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In dem einfachen Gemach der Engelsburg dunkelt die Nacht. Durch das Fenster blinzeln Sterne. Petrucci spürt aus dem sanften Geflimmer den Anhauch der Ewigkeit. Die erinnerungsvolle Stimme der Nacht trägt ihm den Namen Lucia zu. Er steigert ihn liebkosend zum spielenden Schmuckwort »Stella del paradiso«. Nun läßt er sie durch den schönsten der Sterne aus seiner Kerkernacht heraus grüßen. Er sieht sie vor sich, schöner als alle Heiligenbilder des Vatikans, die 365 erblassen müßten, wenn über ihr Antlitz sich der Schimmer Aurorens legt. Er ahnt noch immer nicht, daß seine Gedanken eine Tote streicheln, deren Seele aus Angst vor seiner tobenden wilden Liebe sich längst in den Glanz der Sphären geflüchtet hatte, aus denen ihn nun ein Schimmer berührt.
Ein Frohgefühl hebt ihn aus der Stille der Nacht. Dreifach durchtränkt von dem Hauch ihrer Anmut erscheint ihm nun die Kerkerluft. Er fühlt, wie ihres Odems Balsam schmerzstillend auf sein Herz träufelt. Einem Mystiker gleich versinkt er in die Wellen dieser Gefühle. Aus irgend einem Zimmer der Engelsburg klingen die schmerzlichsüßen Töne eines Clavicembalo und wühlen sein Gemüt noch stärker auf. Er verflucht sein Schicksal, das ihn in geistliche Würden warf. Er hätte Kriegsmann oder Gelehrter werden sollen. Es war noch immer Zeit, den Kardinalshut wegzuwerfen und den Kriegshelm aufzusetzen, sich als Condottiere irgend einem Tyrannen zu verdingen. Oder aber – seine Gedanken schlagen ins Gegenteil um – er wollte, wenn ihn das Gefängnis freigab, sich in Büßerart als Anachoret Gott ans Herz werfen, sich in der schwermutsvollen Verlassenheit des sagenhaften Strandes beim Kap der Circe oder am Strand von Antium ansiedeln, oder neben einem der alten Sarazenenturme im asturischen Wildwald, wo 366 der antike Hauch der Vorväterzeit ihn umwebt, wo die Tempel Apolls und Neptuns ihre vom Meer umbrandeten Mauern als wehmütige Zeugen der Vergangenheit aus dem Wasser strecken. In dieser versunkenen Welt zwischen Tempelruinen und cäsarischen Villentrümmern wollte er wie ein Büßer leben und den Weg zu Gott suchen, den er als Kardinal nie gefunden. Nebstbei konnte er in den Marmorresten altrömischer Geschichte wühlen und gelehrte Forschungen betreiben. Der Kirche aber wollte er sein Vale zurufen.
Da zerreißt sein wehmütig mit der Zukunft spielender Traum.
Ein Dominikanermönch tritt ein. Hinter ihm ein Fackelträger, der die Leuchte in den Mauerring steckt und sich wieder entfernt.
»Ich will Euch die Beichte abnehmen.« Die fremde Stimme klingt grabeshohl, das feingeschnittene, regungslose Gesicht ist von starrem Ernst durchkühlt.
»Ich habe nicht darnach verlangt,« wehrte der Kardinal die seelische Hilfe ab.
»Es wird immerhin nützlich sein und ich habe – den Auftrag dazu. In Zeiten innerer Bedrängnis tut die Herzenserleichterung gut.«
Petrucci besinnt sich. »Ich habe in diesen Tagen über den Wert dieser Art Erleichterung nachgedacht und ich bin zu einem Ergebnis gekommen, 367 das einigermaßen von der üblichen Bekenntnisart abweicht. Ich will Euch nicht verletzen, guter Bruder. Aber ein in sich gefestigtes, von Reue überflutendes Herz bedarf einer formellen Beichte nicht. Wir Priester sind da wenigstens überflüssig.«
»Ihr – seid – kein Priester mehr –«
»Ach so – ich vergaß. Aber ich bin auch nie einer gewesen. Ich trug ein hochpriesterliches Kleid, aber das Herz darunter war faul, sündig, verschmutzt und ruchlos. Ich habe sinnlich geliebt und entdeckte meine Seele dahinter erst, als es zu spät war. Das ist alles. Wenn Ihr dies für eine Beichte nehmen wollt, so werde ich damit zufrieden sein.«
»Es ist keine ordentliche Beichte,« schüttelte der Dominikaner das Haupt.
»Vor der Kirche nicht, vor Gott wird sie gelten. Diese Kirche – Gott sei's geklagt – ist zu einem jüdischen Formelkram erstarrt, und in ihr lebt ein Sultansprunk, mit dem der Erlöser nichts mehr zu tun hat. Die Geheimnisse des Christenglaubens werden von den elenden Verwesern dieser Glaubenslehre belächelt oder verachtet. Sünde und Erlösung sind für den Papst und die Kirche keine Probleme mehr. Die Kirche ist ein schamloser Betrieb geworden, ihre Seele ist das Geschäft. Ich selbst stak in diesem Sumpf, ich hatte wie jeder Kardinal meinen Hofstaat, 368 Kammerherren, Geheimschreiber, Schatzmeister und Berater, dazu eine Unzahl von Dienern. Nun bin ich bettelarm. Aber ich danke Gott, daß ich aus der Gemeinschaft der Kirche ausgestoßen wurde. Ich bin nun soweit gefestigt, daß ich mit meinem Gott auf du und du stehe und keines Mittlers mehr bedarf, wenn ich zu ihm sprechen will. Was hätte ich auch Euch, einem völlig Fremden, zu sagen? Was könnte Euch, einem völlig Fremden, mein Bekenntnis gelten? Es sind Worte, die Ihr nie verarbeiten könnt, denn Ihr steht mir innerlich zu fern, um sie zutiefst innerlich zu erleben. Wenn Ihr einen meiner alten Freunde, z. B. Giovanni Piccolomini rufen wolltet –«
»Ich könnte ihn Euch rufen lassen. Er sitzt augenblicklich im Vatikan zu Tisch mit den neuernannten Kardinälen.«
»Es sind Kardinäle ernannt worden?«
»Einunddreißig, sagt man.«
Petruccis Augen werden groß. »Der Heilige Vater scheint seine kirchenfürstliche Legion zu reorganisieren. Ich möchte herzlich wünschen, daß der Papst nicht nur Namen, sondern Menschen um sich sammelt.«
»Es sollen fast sämtliche Anhänger der Medici sein.«
Petrucci verbeißt etwas zwischen den Zähnen. »Das ist wohl Vorbedingung für den roten Hut. Habt Ihr sonst noch etwas?«
369 »So muß ich Euch denn – Euern baldigen – Tod verkünden.«
Petrucci starrt regungslos vor sich hin. Tiefes Schweigen. Nur der Atem der beiden Menschen geht durch die Stille. Endlich ermannt sich der Kardinal. »So gebe mir Gott einen schnellen Tod. Ich bitte Euch nun, meine Freunde grüßen zu lassen, meine Diener. Besonders de Sauli –«
»Er ist nun zu lebenslänglichem Kerker verurteilt.«
Schmerz durchbebt das Herz Petruccis. »Ich riß ihn mit mir – ich unseliger Mann! Was ist mit Nino, Battista da Vercelli?«
»Sie enden in dieser Stunde unter den Händen des Henkers. Ihre Leiber werden gevierteilt.«
Petruccis Herz erstarrt zu Eis. Seine Augen sind leer nach der Tür gerichtet. Und diese Tür hat sich halb geöffnet. Ein riesenhafter Mohr im scharlachroten, langen Gewand steht auf der Schwelle, unheimlich von der schwelenden Fackel beleuchtet. Sein Auge phosphoresziert, seine wollüstigen breiten Lippen sind grinsend verzogen.
»Was soll der Mann?« flüstert Petrucci erbleichend.
»Enden!« Der Dominikaner eilt an dem Mohren vorbei hinaus.
370 Da brüllt Petrucci: »Komm, Würger!«
Der zyklopenhafte Mohr schreitet schwerbeinig mit zähnefletschendem Maul an den Tisch heran und wirft Petrucci die Schlinge um den Hals.
»Grüße mir – meine –« Die Laute vergurgeln im Ersticken.
Die Uhr der Engelsburg holt zu elf schnarrenden Schlägen aus.
Im Vatikan tafeln einunddreißig neuernannte Kardinäle unter den Bildern Apolls und der Musen von Raffael.
Der Papst erscheint frohgelaunt und setzt sich zum Primieraspiel nieder. Er hat eben die Nachricht empfangen, daß sich Urbino infolge Vermittlung Spaniens und Frankreichs dem Papst ergeben habe. Der Krieg hatte Leo achthunderttausend Goldgulden gekostet. Er hoffte, sie beim Spiel mit den Kardinälen langsam wieder hereinzubringen.
Gegen Mitternacht erreichte das Pokulieren seinen Höhepunkt.
Um diese Zeit schob sich der Mond in das Fenster eines düstern Zimmers in der Engelsburg und überbleichte die verzerrten Züge des toten Wildlings.
Vor dem Fenster heult der Sturm, ein Höllensturm, der die alten Sibyllen Roms aufweckt und sie durch die Gassen schleichen läßt. Eine dieser Vetteln prophezeit schreiend in diesem Jahr ein Unheil für die Kirche . . . .
Am 31. Oktober erklingt der Hammerschlag an der Kirchentür von Wittenberg. Die fünfundneunzig Thesen wider Papst und Kirche wettern durch das deutsche Land.