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Lucia Impaggi lebt wie im leichten Fieber. Natale, das Geburtsfest Christi war gekommen. Durch die Gassen Roms ziehen die Pastorelli aus der Campagna, aus den Sabiner- und Albanerbergen und spielen auf der Cornamusa die schlichten Weihnachtslieder, singen die alten, eintönigen Texte dazu, bettelnd von Tür zu Tür gehend. Auch auf dem Monte Gianicolo erklingen die Pastorellen, und jedesmal wenn einer der schwarzäugigen braunen Jungen mit dem großen Hut in der Hand vor der Tür singt, läßt Lucia ihn heraufholen, gibt ihm den kleinen Ceppo, die 235 Bescherung, und bittet ihn, er möge für sie auf den Stufen von Santa Maria Maggiore ein Gebet zur Virgine sprechen, denn sie sei in großer Gefahr.
Aleandi war wirklich nach Florenz gegangen. Aus der Werkstatt des Michelangelo kamen liebesinnige Briefchen, in denen er von seiner Zufriedenheit sprach, zum Schluß gingen immer Eifersuchtswogen hoch, Besorgnisse um Lucias bedrohtes Leben türmten sich auf, und sie hatte Mühe, in ihren Antworten seine Angst um sie zu zerstreuen.
Lucia hatte dem Maler die nächtliche Kardinalskomödie verschwiegen. Sie wollte keinen Wutanfall bei ihm heraufbeschwören und seiner Eifersucht nicht neue Türen öffnen, um so mehr, als er vor seiner Abreise nach Florenz stand. Nun war sie von doppelter Marter gequält. Einerseits gab ihr die Eifersucht ihres guten Ascanio keine Ruhe, anderseits plagte sie die fortwährende Gespanntheit ihrer Seele, die lauernde Gefahr, die ihr von Seiten des Kardinals drohte. Wenn dieser auch damals eine Art Schlußstein auf das Gebäude seiner Liebe gesetzt zu haben schien, so klang doch noch lange der verzweifelte Ton seiner Herzensaufgewühltheit in ihr nach, und sein Liebesleid, das ehrlich zu sein schien, bedrängte ihre Seele wochenlang. Sie sagte sich, daß sein gewaltsamer, einer 236 Verjagung gleichender Abschied aus ihrem Hause, seine Flucht einen endgültigen Verzicht auf seine Liebe zu bedeuten schien. Und dennoch lebte sie von da an in steter, banger Erwartung, daß sich der Kardinal anders besinnen könnte. Sie glaubte sich beobachtet und ausspioniert, und ihr Dasein versank in Bedrücktheit und heimlicher Angst. Wie in einem Alptraum ging sie durch die Gassen, und wenn die Dämmerung vor ihrem Hause ihre grauen Gespinste über die Landschaft legte, vergrößerte sich ihre Furcht, daß sich das Abenteuer des Kardinals in irgend einer Form wiederholen könnte. Aber in Wahrheit kam keine Serenata, kein Brief, kein Blumenstrauß. Monate vergingen. Lucias Herz beruhigte sich endlich und sie wähnte die Gefahr für immer gebannt.
Einmal sah sie den Kardinal am Himmelfahrtsfest der Madonna in der großen Prozession, die von Santa Maria della Pace nach Santa Maria Maggiore zog. Er schritt ernst und würdig unter den Assistenzpriestern des zelebrierenden Kardinals, Lucia stand mit ihrer Sänfte am Weg, den die Prozession ging, und ihr war es, als hätte sie der Kardinal entdeckt. Doch er hatte sofort den Blick gesenkt und war ohne sichtbare Erregung weitergegangen.
Der Winter nahte. Natale wurde in den Kirchen feierlich begangen, während in den Häusern festliche Wellen hin und her gingen.
237 Am ersten Christtag erhielt Lucia plötzlich ein biglietto durch einen Diener des Kardinals. Sie las und erschrak. Ein Totenkopf schmückte, fein gezeichnet, die Stelle, wo sonst die Anrede zu stehen pflegte. Darunter stand »Einer, der sich der Liebe geweiht, die ihre zarten Arme vor ihm verschloß, weiht sich dem Tode. Er nimmt die Macht in Sold, die die Menschen das Finale des Lebens nennen. Er hat es nie gewagt, sich auf diese Weise in das Gedächtnis derjenigen zu schmuggeln, die es verschmäht hat, ihn zu erhören. Aber seine Gedanken waren immer bei ihr, und Gedanken sind verläßliche Liebesboten. Das Fest des Herrn soll mahnend an Euer Ohr klingen: Auch Euch ist heute der Heiland geboren und sein Heil überleuchte Euren Weg.«
Dem Diener war Schweigen geboten worden. Aber Lucia wußte auch ohne die Unterschrift, woran sie war. Sie horchte dem Brausen in ihrer Brust und hielt den Brief wie verloren in der Hand. Ein Gefühl der Schwäche überkam sie, sie tastete nach einem Stuhl, rief Ghitta herbei, die ihr die Schläfen netzte.
Die Camerista wußte, wie es mit ihrer Herrin stand, ihre feine Witterung hatte auch jetzt gleich festgestellt, worum es ging. »Der Kardinal hat sich gemeldet?«
»Mir ist, als wäre dies wieder ein Anfang aller reichlichen Nöten.«
238 »So bleibt eben stumm wie ein Thunfisch. Was will dieser dreiste Herr im Purpur von Euch, Herrin? Bringt er es zuwege, mit einer Doppelseele herumzulaufen? Bald Kardinal, bald Liebhaber? Mit einer Hand das Benedicte zu geben, mit der andern des Liebchens Wangen im Geist zu kosen? Und bei solchen Doppelspielern legt unsereins seine Sünden hin!«
Lucia war zu sich gekommen. Ihre Augen waren verschleiert, ihr Mund schmerzverzerrt. »So liegen Wolken auf den letzten Tagen des Jahres. Ich dachte, es wäre alles begraben, und nun hebt sich eine Leiche aus dem Sarge. Und sie wird lebendig, ersteht wieder, die Leiche seiner Liebe.«
»Gespenster! Winterzeits huschen sie leicht durchs Gemüt. Munter, Signorina! der Himmel blaut, und Gespenster gedeihen nur in Nebelnächten. Das Blut schießt Euch schon wieder in die Wangen. Und nun denkt lieber an den Florentiner Jungen. Wenn er ein anständiger Bursche ist, so sollte er mit Kupidos Flügeln zu Euch eilen.« Sie ging in die Küche.
Lucia nahm wieder den Brief zur Hand. Ihre Einbildungskraft sah den Kardinal vor sich, den das römische Volk mit den übel beleumundeten Frauen in Verbindung brachte, sie spielte damit, daß er nicht ablassen werde, sich durch seine vollendete cortesia immer näher und näher an 239 sie heranzuschleichen. Sie sah ihn sich um ihre Gunst bemühen, sie vermochte den Feuerblick seines Auges nicht mehr zu ertragen, glaubte sich wie ein angstverflattertes Vöglein in seinem Netz verstrickt zu sehen, sie wußte keine Abwehr mehr gegen seine Liebesraserei, der sie einmal zum Opfer fallen mußte, wenn der Kardinal, auf seine Stellung pochend, Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um sie zu gewinnen. Und wo wäre das Tribunal, das die unheimliche Gewalt dieses von der Kirche geschützten geistlichen Fürsten brechen würde? Wo der Richter, der nicht Schonung gegenüber dem Frevler üben würde, den die Hierarchie sorgsam unter ihre Fittiche nahm? Vor dieser Hierarchie sanken Könige in die Knie, sie trieb Fürsten von ihren Thronen, jagte ganze Geschlechter ins Exil, und schleuderte den Bannstrahl gegen Ungehorsame. Wie sollte sie, das hilflose Mädchen, dem der Makel der unehelichen Geburt anhaftete, das Forum finden, vor dem die Klage über die Vergewaltigung des hohen Priesters gehört werden würde?
So kam sie nun aus dem Herzklopfen nicht heraus, so oft die Tür ging, oder wenn im Hause Stimmenlärm zu hören war. Spät erst kam der ersehnte Schlaf, denn ihre Phantasie quälte sich mit Gesichten ab, mit Geräuschen und Vorahnungen böser Ereignisse.
240 Endlich beichtete sie einige Tage nach dem Christfest ihre Angst dem Geliebten Ascanio. Im neuen Jahr erhielt sie dann beruhigende Zeilen aus Florenz. Aleandi versprach, im Karneval auf einige Tage nach Rom zu kommen, und da werde sich alles ordnen. Das Häuschen bei San Miniato sei so gut wie gekauft, es fehle nur noch ein kleines Sümmchen, und dann könnten sie im Sommer daran denken, einzuziehen.
Sie atmete ein wenig auf, glättete ihre krausen Gedanken und glaubte mit ihrer Reinheit die Dämonie ihres Bedrängers überwinden zu können. Ja, manchmal fühlte sie sogar einen prickelnden Reiz, den Wildling mit seinen sicherlich nicht schlechten Anlagen zu zähmen und ihm wie eine Heilige zu begegnen, deren ausflutende Keuschheitskraft Wunder auf ihn ausüben mußte.
Ihre Mutter, an die sie jetzt viel dachte, hätte das Abenteuer ruhig über sich ergehen lassen, ja sie hätte es mit der unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit ihres Wesens bestanden. Sie hätte den wilden Kardinal in ihre Netze verstrickt, ihn darin zappeln lassen, ohne daß er sich hätte rühmen können, ihre Liebe besessen zu haben. Imperia Impaggi hatte es ja immer verstanden, aus ihrem Herzen ein kunstvolles Gewebe zu machen, das man jedermann zur Betrachtung geben, aber nur an den wirklich Geliebten 241 verschenken dürfe. Imperia hatte ihre Liebe durchgeistigt, sie hatte ein Kleinod daraus gemacht, das nur dem geschmackvollen Anbeter gehören sollte, der es zu schätzen wußte. Lucia hatte nicht den Geist der Mutter, nur ihre Schönheit, und diese allein konnte ihr gefährlich werden.
So vergingen Tage, Wochen – es geschah nichts. In Rom begann es zu schneien, fröstelnd verkrochen sich die Leute in ihre Zimmerwinkel, und wo ein Kamin prangte – es kam selten genug vor – flammten die Scheite auf.