Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Leo glühte vor Wut. Eben war die Nachricht eingetroffen, daß der Herzog von Urbino sich seiner Stadt bemächtigt habe. Die Bürger seien ihm jubelnd entgegengezogen. Der junge Dichter Flaminio, der soeben beim Papst vorgesprochen, weil er sich von dem Verdacht reinigen wollte, daß er mit Urbino allzu enge Verbindungen habe, entwich schnell aus der Bibliothek.

»Diese Schmach! Und wo steht Lorenzo?« wütete Leo.

Giulio berichtet ihm alles. »Lorenzo steht bei Pesaro. Er hat es versäumt, den Rovere, den Herzog von Urbino –«

»Mein Neffe ist der Herzog!« schäumt der Papst wieder.

»Das Kriegsvolk Lorenzos setzt sich aus allen Nationen zusammen. Lorenzo da Ceri wird Mühe haben, diesen Mischmasch von Söldnern 308 in Schach zu halten. Es gärt schon unter ihnen, noch ehe sie den Feind gerochen.«

»Dann ist Lorenzo kein Feldherr, sondern eine Schlafhaube. Sonne, wo ist dein Licht? Die Gnade des Herrn verläßt mich.«

»Habt Ihr je ernstlich an sie geglaubt?« wagt Giulio einzuwenden. »Wer Christus für einen Fabelmann erklärt, kann doch nicht hoffen, von dorther Hilfe zu bekommen.«

Der Papst starrt verloren vor sich hin. »Wenn er mehr wäre als ein Schemen, als eine Ideenkonstruktion; vielleicht hat der Stifter des Christentums wahrhaftig gelebt, denn so erhabene Gedanken und solche sittliche Lehren können nicht ein Sammelsurium von in der Luft schwebenden Geistern sein. Vielleicht hat er doch gelebt.«

»Wenn Ihr Euch entschließen könntet, Allerheiligster Vater, das Wörtchen vielleicht aus Euern Erwägungen zu streichen, dann würdet Ihr vielleicht einen Ansatz zu einem Glauben bekommen. Euer Weisheitsstreben verfängt sich immer in den Schlingen der Zweifelsucht. So werdet Ihr nie zum Frieden kommen.«

Der Papst nickte wehmütig. »Ich – das Haupt der Christenheit – o nur keinen Spiegel jetzt –« Er wendet sich verbittert vom Licht ab.

Im Vorsaal hört man Stimmen. »Was gibt es?«

Kardinal Giulio läßt den Befehlshaber der päpstlichen Sbirren Gaspare Dafreddo eintreten.

309 »Ein süperber Fang, Eure Heiligkeit,« meldet der Hauptmann. »Dieser Brief des Kardinals Petrucci an seinen Sekretär Nino Oltranto ist in die Hände meiner Spione gelangt.«

Leo liest, sinkt erbleichend mit dem Haupt in die Polsterlehne. »Der zweite Vipernstich. Er zielt nach meinem Leben. Man soll sofort Nino Oltranto und Battista da Vercelli verhaften.«

»Nino ist noch gestern nachts angeblich zu seinem Herrn nach Siena geritten. Die Verhaftung Battistas ist im Gange, doch ist es möglich, daß der Mann Wind bekommen hat und ebenfalls entwischt ist.«

»Nur kein Aufsehen, bitte ich Euch. Nun ist alles klar, Battista hätte mich für die ewige Seligkeit salben sollen.« Der Papst ringt nach Luft. »Ach, Ihr Freunde – Giulio, Dafreddo – Petrucci ist im Begriffe, zum Mörder an mir zu werden.« Der Papst haucht das Wort, in dem das Entsetzen schwingt, mit verzerrtem Gesicht vor sich hin. Die Furcht macht sein Glotzauge glasig. »Was tat ich Petrucci, sagt das doch –«

Der Kardinal schickt den Hauptmann hinaus. »Petrucci steht unter dem Einfluß der verjagten Familie, seine Brüder wurden aus Siena vertrieben, ihr Vermögen von Euch, Allerheiligster Vater, eingezogen.«

»Es war notwendig,« ächzt Leo. »Die Blicke der Edelsten von Siena waren auf mich gerichtet, 310 ich mußte ein warnendes Beispiel aufstellen. Ich ließ die Brüder verjagen, ihn selber nicht – ihn nicht! Ich rief kein Kollegium an, legte die Hand nicht auf seinen Sitz, nicht auf seine Schätze, er durfte sich sicher und frei an meinem Hof bewegen, und er benutzt diese Freiheit, um mich zu morden – Giulio, es war noch nie dagewesen, daß ein Papst –«

»Ihr irrt, Allerheiligster Vater. Wieviele waren von Verschwörungen umwirbelt. Denkt an Nikolaus V., dessen Herrschaft Stefano Porcaro beseitigen wollte, an Pius II., den Tiburzio stürzen wollte, an Paul II., der den Schrecken eines Komplotts um sich miterleben mußte, denkt an Alexander Borgia –«

»Willst du mich mit diesem elenden Sünder in eine Reihe stellen?« empört sich Leo. »Alexander war ein Bösewicht, der das Opfer der Hölle werden mußte. Bin ich so verrucht, Vetter?«

»Vor Eurem Edelmut neigt sich eine Welt,« log der Vetter tröstend über das betrübte Haupt hin. »Aber nur gerade Petrucci nicht. Er hat an seinem Geschlecht eine üble Auswirkung des Edelmuts gespürt. Man kann es ihm nicht verdenken, wenn er die Vernichtung seiner Familie nicht gleichgültig hinzunehmen gedenkt.«

»Du billigst seine furchtbaren Rachegedanken?« Der Papst starrt ihn an.

»Sie begreifen heißt noch nicht sie billigen. 311 War ich's doch selbst, der Euch für die Notwendigkeit der Wandlung in Siena die Augen geöffnet hat. Aber ich wußte auch, daß wir Mediceer uns im Kollegium Feinde machen werden, vor allem den schrecklichen Petrucci selbst. Ich verstehe, daß er für unrecht hält, was wir für recht halten. Seien wir doch ehrlich gegen uns selbst. Die Entwicklung dieser Vergeltungsgedanken bei Petrucci war doch nur eine Frage der Zeit. Mich hätte es nicht gewundert, wenn man Petrucci mit dem Dolch unter dem Gewande im Vatikan auf und ab wandeln gesehen hätte. Lahmheit eines Entschlusses hätte ich diesem Feuergeist nie zugemutet. Ich staune eigentlich, daß man ihn auf so langsamen Schleichwegen ertappen muß. Er wollte wohl erst die Rückendeckung durch Urbino abwarten, vielleicht auch die einiger Kardinäle –«

Den Papst schaudert; er zieht sich ein Fell über die Knie. »Aber sich gegen diese Otternbrut nicht zur Wehr setzen heißt doch die Notwendigkeit ihres Stiches anerkennen. Es geht doch um unser Leben.«

»Eben das gehört auf ein zweites Blatt. Ich sprach nur von der sogenannten Gerechtigkeit Eurer Sache. Die war zu leugnen, die Wehr ist zu bejahen. Die Natter muß sich in der eigenen Schlinge fangen. Ich rate zur Verstellung, zur Heuchelei.«

312 »Wir sollen also nicht zu rasch zugreifen?«

»Petrucci muß durch Locktöne ans Garn gebracht werden. Ihr bedauert einfach, daß seine Familienaffäre eine so ungewollte Wendung genommen hat, Ihr ladet ihn unter dem Schein der Versöhnung vor und sprecht ihm ins Gewissen.«

»Er kommt nicht, er fühlt sich nicht sicher.«

»Ihr müßt ihm freies Geleite versprechen, verbürgt es auch dem spanischen Gesandten gegenüber, dem Petrucci, wie ich höre, sehr verbunden ist.«

»Und dann – und dann?« fragt der Papst ungeduldig.

Da legt Giulio ein furchtbares Wort kühl hin. »Steht Petrucci vor Euch, dann laßt Ihr ihn gefangennehmen.«

»Und das – freie – Geleit –?« Leo schnappt nach Luft.

»Braucht man einem Mörder nicht zu halten.«

»Nicht – zu –halten –« wiederholt Leo mit eisiger Stimme.

Giulio reißt sich zusammen. »So – und nun handelt. Ihr habt weit ordnungsmäßigere Verträge mit Kaisern und Königen nicht gehalten, Ihr werdet doch einem Verbrecher gegenüber nicht rechtschaffen handeln. Die Mediceermoral hat man seit Cosimo, unserm Ahnherrn, immer noch je nach Bedürfnissen biegen können, sie wird in diesem Augenblick nicht brechen. Und was 313 Battista anbelangt, laßt ihn rufen, und während er sich Eure Fistel besieht, treten die Wachen ein.«

»Mit dir kommt man doch immer zu einem greifbaren Ende,« atmet der Papst befreit auf. Aber gleich darauf knickt er wieder zusammen. »Und werde ich mit gutem Gewissen im Beichtstuhl knien können? Es ist eigentlich furchtbar, was du rätst.«

»Anders bekommt Ihr Petrucci nie in die Hände.«

»So sei's getan!« Er lehnt sich erschöpft zurück.

»Bleibt ruhig wie der Falke, der in die Luft steigt und sich dann blitzschnell auf seine Beute stürzt. Und nun in den Alltag hinein, allerheiligster Vater! Gorycius wartet in der Stanza d'Eliodoro, um Euch mit ein paar Versen der Vittoria Colonna und des Guido Posthumus Silvestris aufzuwarten. Auch Beroaldus dient Euch mit einem Tacitus-Kommentar und hofft auf einen gnädigen Empfang.«

»Sie mögen kommen.«

Eine Stunde später meldet Dafreddo, daß der Wundarzt Battista da Vercelli nicht mehr in Marino sei, kein Mensch wisse, wohin er geraten, doch habe es den Anschein, als hätte er sich für einige Tage entfernt, denn sein Diener habe ihn entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit begleitet.

Der Papst ist sehr niedergeschlagen. Alle Schuldigen auf der Flucht! Warum war er so 314 saumselig? Er verlangt nach Bibbiena. Der Kardinal soll das Schriftstück aufsetzen, das Petrucci nach Rom locken soll.

 


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