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In einer halbdunklen Kammer, in der es nach faulem Gemüse, Speck und Mäusekot muffelte, rennt die Bellincona geschäftig hin und her. Die eine Wand des Raumes besteht aus Brettern, hinter denen sich wieder ein ähnliches Gelaß befindet, in das eine schmale, kaum sichtbare Tür führt. Die Kupplerin rennt von einer Kammer in die andere, kramt aus Truhen und Kästchen allerhand seltsames Zeug heraus und ordnet es auf einem Tischchen, das mit einem schwarzen Tuch bedeckt ist.
Das kleine Steinhaus mit der steinernen Upupa über der Tür liegt abseits der Via Flaminia, hart an den Pinciogärten, und ist von der Straße kaum zu sehen, da es rings von hohen Bäumen umstanden ist. Die Vettel hätte sich kein günstigeres Haus in ganz Rom für ihr verdächtiges Gewerbe finden können. Von außen gesehen, scheint das Gebäude sauber gehalten, doch sobald man die schmale Holztreppe betritt, riecht man den Schmutz in allen Winkeln, und es ist, als huschten aus den Ritzen der Bretterwände Ratten und Mäuse hervor, die sich an den Gemüseresten gütlich tun wollten.
Die Leonarda aber weiß ihren Geschäftsraum zu drapieren. Sie hat's von ihrem Bruder Pandolfo gelernt, der den Ruf eines Incantatore, 41 eines Zauberers, besitzt und in Neapel sein schmutziges Gewerbe betreibt. Da hat sie in einem Winkel eine Tafel mit allerhand kabbalistischen Zeichen stehen, aus der sie für ihre Kunden verschiedene Berechnungen konstruiert. Auch die Planeten sind in wirrem Durcheinander auf einem Blatt mit bunten Farben unbeholfen gemalt, und in einer Ecke auf einem Postament schauert ein Totenkopf dem Besucher ins Gebein. Rechts und links davon flackern zwei Kerzen. Darunter liegen die Requisiten der Hexenkomödie auf einem kleinen Piedestal, umgeben von Dürrkraut und geheimnisvollen Fläschchen: Maulwurfsknochen, aufgespießte Spinnen, Menschenhaare, Sonnenblumenöl und Öl, das angeblich aus dem ewigen Lämpchen einer Kirche entwendet wurde, weil nur ein solches eine magische Wirkung zu erzielen vermag; drei Daumennägel, die von der Leiche eines Selbstmörders gerissen und dann über einem Feuer erhitzt wurden, das aus Terebinthenholz entflammt werden mußte. An einer Wand hängt das verzerrte Gesicht eines Täuferkopfes, der, wenn man ihn von der Seite anblickte, sich in die Fratze eines Judas verwandelte. Beim Schein des bläulichen Lichtes, das die Bellincona zu entzünden wußte, konnte ein geängstigtes Herz sogar den Teufel vor sich sehen, dessen Augen aus einem hohlwangigen Gesicht den Besucher anstarrten, 42 während hinter dem Kopf allerhand Nachtgetier seinen grausigen Spuk trieb. Die Haare des schrecklichen Kopfes waren zerzaust, als flatterten sie im Sturme, der glasige Blick machte das Blut erstarren, und die Krallen an den fleischlosen Händen griffen ins Leere. Zu seinen Füßen kauerte ein blühjunges Weib, das sich nackt in demütiger Gebärde vor dem fürchterlichen Gebilde duckte, während eine alte Vettel ihr den Rücken rieb. Die Bellincona deckte nun vorsichtig das schauerliche Bild mit einem schwarzen Tuch zu, das sich auf Schnüren auf und ab ziehen ließ. Sie ging öfter ans Fenster und sah in den werdenden Abend hinaus, ob nicht jemand käme. Aber die Gegend lag ausgestorben und öde da.
Mit einemmal lauschte sie gespannt – ein Menschenfuß – noch bedeckte das Buschwerk die Gestalt – aber jetzt – ja, das ist sie.
Gleich darauf steht Lucia Impaggi vor der Tür. Ihr Herz klopft wie ein Schmiedhammer. Sie will umkehren, aber das Auge der Bellincona hat sie schon gebannt. Vom Fenster herab winkt sie ihr zu. »Kommt doch, meine Colombina d'oro, es ist alles vorbereitet.«
Lucia hat über ihren Frauenrock einen Männermantel geworfen und über das goldblonde Haupt einen breiten Hut gedrückt, der ihr Gesicht verschattet. Bebend steht sie vor der Tür und wagt sich nicht über die Schwelle. Da zieht die 43 Bellincona die Zagende mit sich fort, die knarrenden Stufen hinauf bis zur Kammertür, die durch einen Vorhang verdeckt ist.
»Was Ihr auch sehen solltet, haltet Euer Blut in Zaum.«
»Ihr schreckt mich, Leonarda,« zittert Lucia an allen Gliedern.
Die Kupplerin stützt das angstgelähmte Kind und zieht nun den Vorhang zurück. Es ist ganz dunkel, denn die Vettel hat auch das Fenster mit einem schwarzen Tuch verhängt. Sie führt Lucia bis zu einem Stuhl, wo sie sie sanft niederdrückt. Auf den Fußspitzen schleicht sie in eine Ecke und entzündet eine Kerze, die mit bläulichem Licht brennt und einen süßlichen Geruch verbreitet.
Lucia wagt sich kaum in dem Gelaß umzusehen, ihre Zähne klappern vor Angst. »Laßt mich wieder fort,« stammelt sie und will sich erheben; aber sie spürt, wie unter dem zielenden Blick der Bellincona ihr Wille gelähmt wird und ihre Glieder sich nicht vom Sesselholz zu lösen vermögen.
Da erblickt sie den Totenkopf auf dem Gestell in der Ecke. Die Angst läßt ihre Glieder zittern und es läuft ihr eisig über den Rücken.
Die Bellincona setzt sich neben sie hin und streichelt liebreich über ihre zitternden Knie. »Ah, das Ärgste ist vorüber, und Ihr habt Euch bald 44 an den Anblick der Vergänglichkeit gewöhnt. Der Totenkopf ist nur das Mahnzeichen für den Jünger der Magie, daß auch sein Vorhaben von dem Schatten des Todes bedroht wird. Im übrigen wollen wir uns mit dem Knochenwerk nicht länger abgeben, sondern in die Tiefe der Geheimnisse dringen. Es ist also Euer Wille, die Liebe Eures Herzerkornen gefestigt zu sehen und seine Liebe vor jeder Gefahr bewahrt zu wissen? Ihr wollt die verderbende Wirkung eines andern Frauenblickes aus dem Bereich der Möglichkeit ausgeschaltet wissen?«
»Das will ich wahrhaftig,« stammelt Lucia unter Zähneklappern. »Nur bitte ich Euch, laßt dabei alles christlich zugehen und verbannt jede böse Macht aus meiner Nähe.«
»Non avete fede?«
»Oh, ich habe den Glauben, aber einen wahrhaftigen Christenglauben,« rafft sich Lucia auf. Im gleichen Augenblick spürt sie, wie sich ein süßsäuerlicher Geschmack auf ihre Zunge legt und ihr das Weben der Gedanken sonderbar beengt. Ist das bläuliche Kerzenlicht daran schuld oder hat die Gevatterin sonst ein geistverwirrendes Mittel in Händen, um sie zu beeinflussen?
»Stärkt Euch doch mit einem Gläschen Würzwein aus den Früchten der Rosa canina.« Die Bellincona schüttet aus einem Tonkrug ein goldsattes Naß in einen Becher. »Da!«
45 Das Feuer des Weins fließt stärkend durch das junge Blut.
»Nun werdet Ihr gleich sehen, wie wohlig es sich bei der Gevatterin Leonarda atmen läßt. Spürt Ihr schon den Geruch von Lavendel und Steinklee?«
Lucia schnuppert mit dem Näschen in die Luft. »Bei Gott, es will mir scheinen, als spürte ich den Geruch. Warum ist es so blaudämmerig in dem Zimmerchen?«
»Damit die innere Helle besser arbeiten könne. Auf das Äußerliche legen wir kein Gewicht, denn die Liebe nährt sich aus innern Strömen. Und nun legt die Hände fein über der Brust zusammen und betet mit zurückgehaltenen Atem still für Euch die Worte nach: Moratura selem Athena. So, und nun merkt: Gedanken binden, Gefühle hemmen. In der Zeiten Lauf feßle ich Unwägbares mit der Kraft des dunklen Willens, zerbreche die Schädlichkeit eines fremden Herzens-Stromes, zermalme Widerstände und Hemmungen, sauge mich fest an den Lippen des Liebsten, nehme ihn zu eigen, binde ihn an mein Herz, meinen Leib, meine Schönheit, meinen Gang, meine Haltung und an meinen Blick, an das Wogen der Brüste, an die Glut der Glieder, in denen die Geister süßer Besessenheit hausen.«
Da überkommt Lucia ein Gefühl wonniger Erdentrücktheit. Ihr ist, als woge der Boden 46 unter ihr und als würfe sich die Luft in lauen Wellen gegen ihren Leib.
»Euch ist heiß, Kindchen, öffnet doch Euer Hemdchen.« Sie hilft der Willenlosen die Nestel über der Brust lösen.
»Ach, das tut gut,« atmet Lucia auf, und ihre Augen bekommen einen düsteren Glanz und irrlichtern in dem blauen magischen Licht umher. »Da oben hängt ein Bild –« sagt sie endlich mit gespannter Stimme. »Zieht doch das Tuch fort.«
»Heute noch nicht,« beruhigt sie die Hexe, »du bist erst in der ersten Stufe der Einweihung. Von dir hängt es ab, immer höher zu klimmen, bis in die Leuchten der Seligkeit, vor denen alles Irdische erblaßt.«
»Ich will von Stufe zu Stufe gehen, gute Leonarda, bitte, bitte, führ mich den Weg!«
»Pst, pst – das will mit Geduld errungen werden. Und nun sag, Herzensrose, hättest du wirklich nichts übrig für den hohen Herrn, der nach dir begehrt?«
Wie ein Dolch stößt die Frage in das Herz des Mädchens. Lucia springt auf, wobei das Hemd von einer Schulter rutscht. »Niemals!« Blank gleißt die Haut im bläulichen Licht. Erschrocken will sie sich wieder bedecken, doch die Bellincona reißt ihr mit kundigem Griff auch die Hülle von der andern Schulter weg. »Oh, deines Fleisches zarter Samt, wie würde er deinem 47 Jungen die Sinne verwirren. Versteh mich wohl, in diesem Augenblick rasen die Gedanken deines Liebsten nach dir und er genießt deine Reize in fiebernden Träumen. O laß ihm, laß ihm das Spiel.« Im Nu wirft die Hexe ein duftendes Kraut in die Flamme, die leicht aufzischt. »So – so – sprüh deine Funken in ihr und sein Herz, laß sie aufflammen in heißem Begehr.«
Immer schwüler wird der Geruch im Gelaß, er drängt sich betäubend in die Sinne des Mädchens. Es klingt ihr in den Ohren, verschiedene Geräusche narren ihre Sinne, sie glaubt die Bretterwand knistern zu hören, vernimmt einen Hahnenschrei und Unkenrufe, dann flitzt es über ihr vorüber wie weißgeflügelte Gestalten, denen sie keinen Namen geben kann. Ein Vogel mit weitausladenden Flügeln, schwarz gehörnt, braust über sie hin und verfliegt in nichts. Ihre Augen glühen wie von einem innern Feuer, es huscht und blitzt rings um sie, schlangenartige Gebilde züngeln nach ihr, ohne daß sie Furcht beschleicht, der Boden ringsherum verwandelt sich in Heidekraut, aus dem Grillen jagen, die sich um sie lagern.
Mitten in den Gesichten flüstert die Stimme der Bellincona: »Verstehst du mich, Colombinetta?«
»Ja,« flüstert sie ganz aufgelöst zurück.
»Mittwoch – merk wohl auf! – Mittwoch 48 kommst du am Abend zu den Thermen des Caracalla. Ich erwarte dich am Eingang von San Sisto her. Du kommst wieder allein. Ich führe dich die zweite Stufe zu dem Herrn der irdischen Gewalten hinauf. Immer inniger verwurzle ich deines Liebsten Herz in dem deinen. Du rasest mit mir aufwärts in die Reiche der Lust, wo eines Herrn Herrschaft regiert, den du noch nicht kennst, dessen Nähe du aber schon beglückend spürst. Nimmst du nicht seiner Herrschaft Schwingen wahr?«
»Nein,« stöhnt Lucia, von bösen Gewalten hin und her gezogen.
»Fühlst du nicht seines Atems brausendes Wehen?«
»Nein!« Krampfhaft entringt es sich ihrer Kehle.
»Jetzt aber – jetzt –!« Die Bellincona hat sich über die Halbohnmächtige geneigt und träufelt ihr aus einem Fläschchen einige Tropfen unter die Nase.
Ein betörender Duft umspinnt die Sinne Lucias, ihre Augen sind weit aufgerissen, ihre Lippen zucken.
»Fühlst du ihn? Greifst du ihn? Hältst du ihn?« sagt die Hexe an ihr Ohr.
»Ja!« stößt es sich aus ihrer Brust. Und dann ein Schrei: »Der Böse!« Ihr Leib sinkt zurück, ihr Atem dampft, schmerzlich-süß zucken ihre 49 Lippen, und in den Gliedern wallt ihr Blut brausend hin und her.
Da bestreicht die Bellincona ihre Brust mit belebendem Kampfer. Das Wahnbild erlöscht allmählich, der Atem geht weniger gehetzt, die Glieder dehnen und strecken sich, und bald liegt Lucia friedlich mit geschlossenen Augen halb im Stuhl, halb gestützt in den Armen der Vettel. Diese küßt sie auf die Stirn und bringt sie mit magischen Strichen allmählich ins Leben zurück. Erstaunt und sanft blickt Lucia um sich. Die Bellincona hat das Tuch vom Fenster gezogen, Sterne schimmern herein und der Mond wirft sein bleiches Licht in die verschmutzte Stube. Die Hexe löscht das Licht aus, nächtlicher Dämmerschein umspinnt alles Hexengerät.
»Ihr habt viel erlebt, Engelskind,« wechselt die Gevatterin wieder den vertraulichen Ton. »Aber Ihr werdet noch Schöneres erleben. Kommt, ich begleite Euch bis an die Via Flaminia. Dort findet Ihr Euch schon zurecht.«
»Ghitta harrt dort meiner.« Lucia spricht es wie im Traum. Die Schlaffheit der Glieder beunruhigt sie nicht weiter, ihr ist, als schwebe sie mehr anstatt zu gehen. Ist ihr Fuß von irgend einer geheimnisvollen Kraft durchströmt? Ist das alles ein Überbleibsel des Geschehens, das jetzt wie von dunklen Schleiern verhüllt ist? Sie weiß jetzt nur noch, daß ein beseligendes Fließen 50 und Wehen durch ihre Glieder gegangen und daß ihre Seele gleichsam aus dem Körper entlassen worden war, daß sie in wonnevoller Freiheit umhergeirrt, als hätte sie der Himmel von irgendwoher gerufen. Welcher Kraft war sie untertan gewesen? Und konnte sie sie noch mit der Frommheit ihres Herzens in Beziehung bringen? Bei dieser Frage schob sich eine Art Wand in ihre Gedanken ein, an die sich diese stießen.
Sie ging an der Seite der geheimnisvollen Gevatterin schweigend durch die Nacht nach der Straße. Während des Gehens zog sie eine Goldmünze aus ihrer Tasche und reichte sie der Begleiterin. Diese schien überglücklich zu sein.
Bei der Via Flaminia verließ sie die Gevatterin, als sie die Camerista auf einem Wegstein sitzen sah. »Vergeßt nicht, Mittwoch in den Thermen des Caracalla.« Dann verschwand sie wie ein Schatten hinter Buschwerk.
Lucia schritt wie im Traum und bestieg dann das Maultier, das ihr die besorgte Ghitta entgegenführte.
Ghitta hatte ihre Brust voll Neugierde. »Ach, süße Herrin, wo wart Ihr? Sagt es doch endlich. Wo, wo?«
»In Sonne, Nebel und Glück. Gute Ghitta, frag nicht mehr. Was ich tue, ist wohlgetan. Nun wurzelt Ascanio Aleandi fest in meinem Herzen.«
Da ahnte die Camerista, daß sich ihre Herrin 51 mit Hilfe magischer Kräfte ihre Liebe befestigt hatte. Das tat damals die Hälfte des weiblichen Roms. Das dunkle Geschäft der Hexenvetteln blühte.