Victor Hugo
Notre-Dame in Paris. Zweiter Band
Victor Hugo

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6. Was sieben Flüche in freier Luft für eine Wirkung hervorbringen können.

»Te Deum laudamus!«Lateinisch: »Herr Gott, Dich loben wir!« Anfangsworte des Ambrosianischen Lobgesanges. Anm. d. Uebers. rief Meister Johann aus, als er aus seinem Loche herauskroch, »nun sind die beiden Nachteulen abgezogen. Och! och! Hax! Pax! Max! die Flöhe! die tollen Hunde! Zum Teufel, ich habe genug an ihrer Unterhaltung! Der Kopf brummt mir, wie ein Glockenthurm. Schimmeligen Käse noch obendrein in den Kauf! Frisch! Wir wollen hinabsteigen, den Beutel des großen Bruders nehmen und alle diese Münzen darin in Flaschen umsetzen!«

Er warf einen zärtlichen und bewundernden Blick in das Innere des kostbaren Beutels, brachte seine Kleider wieder in Ordnung, rieb seine Halbstiefeln ab, stäubte die armen, von Asche ganz grau gewordenen Aermel ab, pfiff ein Lied, machte einen Luftsprung, untersuchte, ob nicht noch etwas in der Zelle wäre, das er mitnehmen könnte, raffte hier und da vom Herde einige Glasperlenamulette zusammen, die er Isabeau-la-Thierrye als Schmuckstück geben könnte, stieß dann die Thür auf, welche sein Bruder als einen letzten Gnadenbeweis unverschlossen gelassen hatte, und die er seinerseits als letzten Schabernack offen stehen ließ, und stieg, wie ein Vogel hüpfend, die Wendeltreppe hinab. Mitten auf der finstern Stiege stieß er mit dem Ellbogen an etwas, das sich brummend zur Seite drückte; er vermuthete, daß es Quasimodo wäre; und das kam ihm so spaßhaft vor, daß er sich vor Lachen die Seiten haltend den Rest der Treppe hinabstieg. Und er lachte noch, als er auf den Platz hinaustrat.

Er stieß mit dem Fuße auf, als er sich wieder auf ebener Erde befand. »Ach,« sagte er, »gutes und ehrenwerthes Pflaster von Paris! Die verdammte Treppe, welche die Engel der Jacobsleiter selbst außer Athem bringen kann! Woran dachte ich, als ich mich anschickte, in diese Steinsäule einzudringen, die in die Wolken steigt? Und das alles, um verschimmelten Käse zu essen und die Thürme von Paris durch eine Dachluke zu betrachten!

Er that einige Schritte weiter und bemerkte die beiden Nachteulen, d. h. Dom Claude und Meister Jacob Charmolue, die vor einer Bildhauerarbeit des Haupteinganges in Betrachtung versunken waren. Er näherte sich ihnen auf den Zehen und vernahm, wie der Archidiaconus ganz leise zu Charmolue sagte: »Auf diesem Lapis-lazuli-farbigen Steine hat Wilhelm von Paris einen Hiob einmeißeln lassen. Hiob stellt den Stein der Weisen dar, welcher geprüft und auch gepeinigt werden muß, um zur Vollkommenheit zu gelangen, wie Raimundus Lullus sagt: »Sub conservatione formae specificae salva anima.«Lateinisch: Bei der Bewahrung einer eigenartigen Gestalt eine schöne Seele. Anm. d. Uebers.

»Das ist mir ganz gleichgiltig,« sagte Johann, »denn ich bin's, der die Börse hat.«

In diesem Augenblicke hörte er, wie hinter ihm eine starke und wohllautende Stimme eine Reihe von schrecklichen Flüchen ausstieß: »Beim Blute Christi! – Beim Leibe Gottes! – Bei Gott! – So wahr Gott lebt! – Beim Nabel Beelzebubs! – Beim heiligen Vater in Rom! – Donner und Teufel!«

»Bei meiner Seele,« rief Johann, »das kann nur mein Freund Phöbus, der Hauptmann, sein!«

Der Name »Phöbus« traf das Ohr des Archidiaconus gerade im Augenblicke, als er dem königlichen Procurator den Drachen erklärte, der seinen Schwanz in einen Wasserbehälter steckt, aus welchem Rauch und der Kopf eines Königs sich erheben. Dom Claude schrak zusammen, brach zum großen Staunen Charmolue's ab, wandte sich um und sah seinen Bruder Johann, der einen hohen Offizier an der Thür des Hauses Gondelaurier anredete. Es war in der That der Herr Hauptmann Phöbus von Châteaupers. Er hatte sich mit dem Rücken an die Ecke des Hauses seiner Braut gelehnt und fluchte wie ein Heide.

»Meiner Treu! Hauptmann Phöbus,« sagte Johann und ergriff seine Hand, »Ihr flucht ja mit einem bewunderungswürdigen Feuer.«

»Donner und Teufel!« antwortete der Hauptmann.

»Donner und Teufel über Euch selbst!« versetzte der Student. »Nun aber, netter Hauptmann, was ist der Grund zu diesem Ueberflusse an schönen Redensarten?«

»Verzeihung, lieber Kamerad Johann,« rief Phöbus, während er ihm die Hand schüttelte, »ein durchgehendes Pferd steht nicht so bald still. Nun ich fluchte im vollen Galopp. Ich komme aus dem Hause dieser Zieraffen, und wenn ich da herkomme, habe ich immer die Kehle voller Flüche; ich muß sie ausspeien, oder ich würde ersticken, Himmel und Hölle!«

»Wollt Ihr mit mir zechen gehen?« fragte der Student.

Dieser Vorschlag beruhigte den Hauptmann.

»Sehr gern, aber ich habe kein Geld.«

»Aber ich habe welches!«

»Ei was! laßt sehen!«

Johann zeigte überlegen und gutmüthig die Börse vor den Augen des Hauptmanns. Währenddem war der Archidiaconus, welcher Charmolue verwundert hatte stehen lassen, zu ihnen gekommen, hatte sich auf einige Schritte genähert, und beobachtete sie alle beide, ohne daß sie Rücksicht auf ihn nahmen, so sehr hatte die Betrachtung des Geldbeutels ihr Interesse in Anspruch genommen.

Phöbus rief aus: »Eine Börse in Eurer Tasche, Johann, – das ist der Mond in einem Wasserkübel. Man sieht ihn drin, aber er ist nicht drin. Es ist nur der Schatten davon. Bei Gott! wir wollen wetten, daß es Kieselsteine sind!«

Johann antwortete kaltblütig: »Da sind die Kieselsteine, mit denen ich meine Hosentasche pflastere.«

Und ohne ein Wort weiter zu verlieren, schüttete er die Börse auf einem Ecksteine in der Nähe mit der Miene eines Römers aus, der sein Vaterland rettet.

»So wahr Gott lebt!« murmelte Phöbus, »Schildpfennige, große Weißpfennige, kleine Weißpfennige, Heller, von denen zwei auf einen Tours'schen gehen, Pariser Heller, wirkliche Adlerliards! Es ist zum Blindwerden!«

Johann bewahrte seine Ruhe und Würde. Einige Liards waren in den Koth gerollt; in seiner Begeisterung bückte sich der Hauptmann, um sie aufzuheben. Johann hielt ihn zurück.

»Pfui, Hauptmann Phöbus von Châteaupers!«

Phöbus zählte das Geld und wandte sich feierlich an Johann: »Wißt Ihr, Johann, daß es dreiundzwanzig Pariser Sols sind! Wen habt Ihr denn in der Straße Coupe-Gueule vergangene Nacht ausgeplündert?«

Johann warf seinen blonden Lockenkopf in den Nacken und sagte hochmüthig mit halbgeschlossenen Augen:

»Man hat einen Bruder, der Archidiaconus und ein schwacher Mann ist.«

»Donner und Hagel!« rief Phöbus, »ein würdiger Herr!«

»Wir wollen trinken,« sagte Johann.

»Wohin werden wir gehen?« fragte Phöbus; »nach dem ›Apfel der Eva‹?«

»Nein, Hauptmann, wir wollen zur ›Alten Weisheit‹ gehen. Eine Alte, in deren Kannen die Weisheit steckt, das ist ein Wortspiel; ich liebe so etwas.«Die Worte Johanns bilden im französischen Originale einen deutsch nicht wiederzugebenden Wortwitz. Aus den Worten des Wirthshausschildes »Vieille-Science« (Alte Weisheit) macht der Student das homophonische: Une »vieille« qui »scie« une »anse« (eine Alte, die einen Henkel zerschneidet).

»Fort mit den Wortspielen, Johann! Der Wein ist besser im ›Apfel der Eva‹, und dann steht neben der Thüre ein Weinstock im Sonnenscheine, der mich lustig macht, wenn ich trinke.«

»Nun gut! auf zur Eva und ihrem Apfel,« sprach der Student und ergriff den Arm des Phöbus. »Was ich sagen wollte, mein lieber Hauptmann, Ihr habt soeben die Straße Coupe-Gueule genannt. Das ist sehr übel gesprochen; man ist gegenwärtig nicht mehr so barbarisch. Man sagt: die Straße Coupe-Gorge.«Coupe-Gueule: Halsabschneider; Coupe-Gorge: Kehlabschneider. Beide Namen bezeichnen eine berüchtigte Straße. Anm. d. Uebers.

Die beiden Freunde machten sich nach dem »Apfel der Eva« auf den Weg. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß sie vorher das Geld zusammenrafften, und daß der Archidiaconus ihnen folgte.

Der Archidiaconus folgte ihnen düster und voll leidenschaftlichen Sinnes nach. War der da der Phöbus, dessen verfluchter Name seit seiner Zusammenkunft mit Gringoire sich in alle seine Gedanken drängte? Er wußte es nicht; kurz aber, es war ein Phöbus, und dieser magische Name war hinreichend, daß der Archidiaconus den beiden sorglosen Genossen nachschlich, wobei er ihren Worten lauschte, und ihre geringsten Bewegungen mit ängstlicher Aufmerksamkeit beobachtete. Uebrigens war nichts so leicht, als alles das zu hören, was sie sagten: so laut sprachen sie, und so wenig thaten sie sich Zwang an, die Straßenpassanten an ihren Geheimnissen teilnehmen zu lassen. Sie unterhielten sich von Zweikämpfen, Mädchen, Zechereien und sonstigen Possen.

An der Krümmung einer Straße vernahmen sie den Lärm einer baskischen Trommel, der von der nächsten Straßenecke her erklang. Dom Claude hörte, wie der Offizier sagte:

»Donnerwetter! wir wollen unsere Schritte verdoppeln.«

»Warum, Phöbus?«

»Ich befürchte, daß die Zigeunerin mich erblickt.«

»Welche Zigeunerin?«

»Die Kleine mit der Ziege.«

»Die Esmeralda?«

»Ganz recht, Johann. Ich vergesse immer diesen verteufelten Namen. Laßt uns eilen; sie würde mich wiedererkennen. Ich mag nicht, daß dies Mädchen mich auf der Straße anredet.«

»Kennt Ihr sie denn, Phöbus?«

Hier sah der Archidiaconus, wie Phöbus kicherte, sich zu Johanns Ohre neigte und diesem ganz leise einige Worte sagte; darauf brach Phöbus in ein Gelächter aus und schüttelte den Kopf mit einer triumphirenden Miene.

»In Wahrheit?« fragte Johann.

»Bei meiner Seele!« sprach Phöbus.

»Heute Abend?«

»Heute Abend.«

»Seid Ihr sicher, daß sie kommen wird?«

»Aber seid Ihr thöricht, Johann? Kann man an dergleichen zweifeln?«

»Hauptmann Phöbus, Ihr seid ein glücklicher Ritter!«

Der Archidiaconus hörte diese ganze Unterhaltung an. Seine Zähne klapperten: ein sichtbarer Schauder durchbebte seinen ganzen Körper. Er blieb einen Augenblick stehen, stützte sich wie ein Trunkener auf einen Eckstein; dann nahm er die Fährte der beiden lustigen Schelme wieder auf.

In dem Augenblicke, wo er sie wieder einholte, hatten sie die Unterhaltung verändert. Er hörte sie aus vollem Halse den alten Refrain singen:

»Erzschelme blähen sich ohne Bangen,
Kleine Diebe werden gehangen!«


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