Victor Hugo
Notre-Dame in Paris. Zweiter Band
Victor Hugo

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4. ΑΝΑΓΚΗ.Griechisch: Verhängnis.

An einem schönen Morgen des nämlichen Monats März, ich glaube, es war am neunundzwanzigsten, einem Sonnabende, am Tage des heiligen Eustache, bemerkte unser junger Freund, der Student Johann Frollo du Moulin, als er sich eben ankleidete, daß die Taschen, die seine Börse enthielten, nicht den leisesten Metallklang von sich gaben. »Arme Börse,« sprach er, indem er sie aus der Hosentasche zog, »was! nicht der geringste Pariser Heller mehr drin! wie haben dich doch die Würfel, Bierkannen und VenusLateinisch: Die Göttin der (sinnlichen) Liebe. grausamerweise ausgebeutelt! Wie bist du nun leer, runzlig und schlaff! Du gleichst dem Schlunde einer Furie! Ich bitte euch, Herr Cicero und Herr Seneca, deren ganz verschrumpfte Exemplare ich verstreut auf dem Boden liegen sehe, was nützt es mir, besser als ein Münzmeister oder ein Jude von der Wechslerbrücke zu wissen, daß ein goldener Kronthaler fünfunddreißig Unzen, jede zu fünfundzwanzig Sous acht Pariser Heller gilt, und daß ein Kreuzthaler sechsunddreißig Unzen, zu sechsundzwanzig Sous und sechs Heller Tours'sche Münze das Stück macht, wenn ich nicht einen erbärmlichen schwarzen Heller an eine Doppel-Sechse zu wagen habe! Ach! Consul Cicero! das ist doch keine Calamität, aus der man sich mit Umschreibungen, mit einem »quemadmodum«Lateinisch: Wie auch. oder »verum enim vero«Lateinisch: Doch, aber. Anm. d. Uebers. herauszieht!«

Er kleidete sich mürrisch an. Ein Gedanke war ihm gekommen, während er sich die Schuhe zuschnallte; aber er wies ihn anfangs von sich; jedoch kam er wieder; und er zog seine Weste verkehrt an, was offenbar das Zeichen eines heftigen, inneren Kampfes ist. Schließlich warf er seine Mütze zur Erde und rief: »Desto schlimmer! es mag kommen, wie es wolle. Ich will zu meinem Bruder gehen! Ich werde da zu einer Strafpredigt kommen, aber auch einen Thaler erwischen.«

Dann zog er schleunigst sein pelzverbrämtes Wamms an, raffte seine Mütze auf und ging verzweifelt davon.

Er ging die Rue-de-la-Harpe nach der Altstadt hinab. Als er an der Rue-de-la-Huchette vorbeikam, begann der Duft jener bewunderungswürdigen Bratspieße, die sich hier beständig drehen, sein Geruchsorgan zu kitzeln, und er warf einen verliebten Blick in die cyklopische Garküche hinein, die eines Tages dem Franziskaner Calatagironne jenen pathetischen Ausruf entlockte: »Veramente, queste rotisserie sono cosa stupendaItalienisch: Wahrhaftig, diese Garküche ist eine staunenswerthe Sache! Anm. d. Uebers. Aber Johann besaß nichts, womit er frühstücken konnte, und er verschwand mit einem tiefen Seufzer unter dem Thore von Klein-Châtelet, diesem ungeheuern Doppel-Kleeblatte von massiven Thürmen, das den Zugang zur Altstadt hütete.

Er nahm sich nicht einmal die Zeit, im Vorbeigehen, wie es Sitte war, einen Stein nach dem Standbilde jenes elenden Périnet Leclerc zu werfen, welcher unter Karl dem Sechsten Paris an die Engländer verrathen hatte, ein Verbrechen, welches sein Bildnis, dessen Fläche von Steinwürfen zerschellt und mit Koth besudelt war, drei Jahrhunderte lang, wie an einem ewigen Pranger, an der Ecke der Rue-de-la-Harpe und der Rue-de-Bussy hat büßen müssen.

Als Johann de Molendino die Kleine Brücke überschritten und die Rue Neuve-Sainte-Geneviève durchwandert hatte, befand er sich vor Notre-Dame. Nun packte ihn wieder die Unentschlossenheit, und er spazierte einige Augenblicke um die Bildsäule des Herrn Legris herum, wobei er sich beklommen die Worte wiederholte: »Die Strafpredigt ist dir gewiß, der Thaler ist zweifelhaft!«

Er hielt einen Kirchendiener an, der aus dem Kloster kam. »Wo ist der Herr Archidiaconus von Josas?«

»Ich glaube, daß er sich in seinem Thurmverstecke befindet,« sagte der Diener, »und ich rathe Euch nicht, ihn da zu stören, wenn Ihr nicht etwa von Seiten jemands, wie des Papstes oder unseres gnädigen Herrn, des Königs, kommt.«

Johann schlug die Hände zusammen. »Ei! der Teufel! das ist ja eine prächtige Gelegenheit, das berüchtigte kleine Zaubergemach kennen zu lernen!«

Von diesem Gedanken getrieben, verschwand er entschlossen in der kleinen, dunkeln Pforte, und begann die Wendeltreppe des heiligen Aegidius, welche nach den obern Stockwerken des Thurmes führt, hinaufzusteigen. »Ich will mich überzeugen!« sprach er unterwegs zu sich. »Bei den Schmerzen der heiligen Jungfrau! es muß doch ein sonderbares Etwas mit dieser Zelle sein, die mein ehrwürdiger Bruder verbirgt wie seine Scham! Man behauptet, er heize hier riesige Herde und lasse den Stein der Weisen bei mächtigem Feuer sieden. Bei Gott! ich sorge mich um den Stein der Weisen so viel, wie um einen Kieselstein, und möchte auf seinem Herde lieber einen Ostereierkuchen mit Speck, als den größten Stein der Weisen von der Welt finden!«

Als er auf der Säulchengalerie angelangt war, verschnaufte er einen Augenblick, und fluchte zahllose Karren voll Teufel auf die endlose Treppe herab; dann setzte er seinen Aufgang durch die enge Thüre des nördlichen Thurmes fort, die jetzt dem Publikum verboten ist. Als er nach einigen Augenblicken an der Glockenstube vorübergekommen war, traf er auf einen kleinen Treppenabsatz, welcher in eine Seitenvertiefung führte; und unter der Wölbung auf eine niedrige Spitzbogenthüre, deren eine, gegenüber in die Zirkelmauer der Treppe gebrochene Schießscharte, ihm das ungeheure Schloß und den mächtigen Eisenbeschlag zu bemerken gestattete. Alle die Personen, die heute neugierig sein könnten, diese Thür zu besichtigen, vermögen sie an folgender Inschrift zu erkennen, die in hellen Buchstaben auf die dunkle Mauer eingegraben ist: »Ich bete Coralie an, 1823. Unterzeichnet: Ugène.« (»Unterzeichnet« steht im Wortlaute.)

»O!« sagte der Student, »hier ist es sicherlich.«

Der Schlüssel stak im Schlosse. Die Thüre war nur angelehnt; er machte sie sacht auf und steckte den Kopf durch die Oeffnung.

Der Leser wird gewiß schon das bewundernswürdige Werk Rembrandts, dieses Shakespeares der Malerei, durchgeblättert haben. Unter den vielen bewunderungswürdigen Stichen ist namentlich ein Blatt, das, wie man vermuthet, den Doctor Faust vorstellt, und das man ohne geblendet zu werden, nicht betrachten kann. Es stellt eine düstere Zelle vor; in der Mitte steht ein mit scheußlichen Gegenständen (Todtenköpfen, Planetengloben, Retorten, Compassen, hieroglyphenbeschriebenen Pergamenten) bedeckter Tisch. Der Doctor befindet sich vor diesem Tische, in seinen großen Ueberrock gehüllt, das Haupt bis zu den Brauen mit der Pelzmütze bedeckt. Man sieht von ihm nur die Hälfte des Leibes. Er hat sich halb aus seinem ungeheuern Lehnstuhle erhoben; die runzeligen Hände stützen sich auf den Tisch, und er betrachtet mit Neugierde und Schrecken einen großen, leuchtenden, aus magischen Buchstaben geformten Kreis, der auf der Mauer im Hintergrunde wie das Sonnenspectrum in dem dunkeln Zimmer glänzt. Diese kabbalistische Sonne scheint vor dem Auge zu flimmern und erfüllt die matterleuchtete Zelle mit ihrem geheimnisvollen Scheine. Es ist schrecklich und schön zugleich.

Etwas der Zelle Fausts ziemlich Aehnliches bot sich dem Auge Johanns dar, als er seinen Kopf durch die halbgeöffnete Thür zu stecken gewagt hatte. Es war gleichfalls ein düsteres und kaum erleuchtetes Gemach. Auch hier befanden sich ein großer Lehnstuhl und ein großer Tisch, Compasse, Destillirkolben, an der Decke hängende Thierskelette, auf dem Boden ein rollender Himmelsglobus, Pferdeköpfe im bunten Gemisch mit Glasflaschen, in denen Blattgold flimmerte, Todtenköpfe, welche auf Pergamentblättern ruhten, die über und über mit Figuren und Schriftzeichen besäet waren, dicke Handschriften, welche ganz geöffnet und ohne Rücksicht auf die geknickten Pergamentecken, übereinander lagen, kurz – aller Kehricht der Wissenschaft, und überall auf diesem Wirrwarr Staub und Spinneweben; aber nirgends fand sich der Kreis aus leuchtenden Buchstaben, kein Doctor in Verzückung, der die flammende Erscheinung betrachtete, so wie der Adler nach seiner Sonne blickt . . .

Dennoch war die Zelle durchaus nicht einsam. Ein Mann saß in dem Lehnstuhle und auf den Tisch gebeugt. Johann, welchem er den Rücken zukehrte, konnte nur seine Schultern und das Hintertheil des Kopfes sehen; aber es war nicht schwer, diesen Kahlkopf zu erkennen, dem die Natur eine unvergängliche Tonsur gegeben hatte, als ob sie durch dieses äußerliche Sinnbild die unwiderlegliche kirchliche Bestimmung des Archidiaconus hätte andeuten wollen.

Johann erkannte nun seinen Bruder; aber die Thür hatte sich so leise geöffnet, daß nichts den Dom Claude von seiner Gegenwart benachrichtigt hatte. Der neugierige Student benutzte dies, um einige Augenblicke die Zelle mit Muße auszukundschaften. Ein breiter Kochofen, den er anfänglich nicht bemerkt hatte, befand sich links vom Stuhle unter dem Fenster. Der Lichtstrahl, der durch diese Oeffnung hereinfiel, drang durch das runde Gewebe einer Spinne, welche ihre feine Rosette geschmackvoll im Bogen des Dachfensters angebracht hatte, und in deren Mitte das webekundige Thier, als das Centrum dieses Spitzenrades, unbeweglich saß. Auf dem Ofen waren allerlei Arten von Gefäßen, Steingutkruken, Glasretorten, Destillirkolben mit Kohle bunt durcheinander aufgestellt. Seufzend bemerkte Johann, daß sich keine Bratpfanne darunter befand. »Es ist kalt – das Küchengeschirr!« dachte er.

Uebrigens war kein Feuer im Ofen, und es schien sogar, daß man seit langem keins darin angezündet hatte. Eine gläserne Maske, welche Johann unter den Geräthschaften für Alchymie beobachtete, und die ohne Zweifel dazu diente, das Gesicht des Archidiaconus, wenn er irgend eine fürchterliche Substanz zubereitete, zu schützen, lag mit Staub bedeckt und anscheinend vergessen in einer Ecke. Daneben lag ein ebenso staubiger Blasebalg, und seine obere Fläche trug folgende in kupfernen Buchstaben eingelegte Inschrift: »Spira, SperaLateinisch: Atme, hoffe. Anm. d. Uebers.

Andere Inschriften fanden sich, nach Sitte der Alchymisten, in großer Zahl an die Wände geschrieben; einige mit Tinte gezogen, andere mit einem metallenen Griffel eingegraben: übrigens gothische, hebräische, griechische und lateinische Schriftzüge in bunter Reihe durcheinander durch; die Inschriften aufs Gerathewohl hingeschrieben, diese über jene weg, so daß die neuesten die ältern unleserlich machten, und alle sich durcheinander wirrten, wie die Zweige eines Gestrüppes, oder wie die Lanzen bei einem Handgemenge. Es war in der That ein ziemlich wirres Gemisch aus allen philosophischen Systemen, von allerlei Einfällen, von allerlei Weisheitssprüchen der Menschheit. Hier und da stand ein solcher Ausspruch, der über alle andern, wie eine Fahne unter Lanzenspitzen hervorglänzte. Gewöhnlich war es ein kurzer lateinischer oder griechischer Denkspruch, wie solche das Mittelalter so trefflich ausdrückte: »Unde? inde?Homo homini monstrum.Astra, castra, nomen, numen. – Μέγα βίβλιον, μέγα κακὸν – Sapere aude.Fiat ubi vult« etc.;Lateinisch: Woher? daher? – Der Mensch ist für den Menschen ein Ungethüm. – Die Sterne, eine Festung; der Namen, eine Wundermacht. – Ein dickes Buch, ein großes Uebel (griechisch). – Wage weise zu sein. – Er weht, wo er will u. s. w. manchmal ein Wort, das augenscheinlich jeden Sinnes entblößt war, wie: Ἀναγκοφαγία – was vielleicht eine bittere Anspielung auf die Klosterherrschaft enthielt; bisweilen endlich einen einfachen Lehrsatz aus der Kirchenzucht, der in einen regelrechten Hexameter gekleidet war, wie folgenden: »Coelestem dominum terrestrem dicito domnum.«Lateinisch: Den himmlischen Herrn nenne deinen irdischen Gebieter. Anm. d. Uebers. Hier und da fanden sich auch hebräische Stellen, von denen Johann, der schon ein schwacher Grieche war, nichts verstand; und das Ganze wurde in jedem Augenblicke von Sternen, Menschen- oder Thierfiguren, von sich schneidenden Dreiecken durchkreuzt, was alles nicht wenig dazu beitrug, die besudelte Zellenwand einem Blatte Papier ähnlich zu machen, auf welchem ein Affe eine tintengefüllte Feder hätte herumspazieren lassen. Das ganze Zellchen gewährte übrigens den Anblick vollständiger Vernachlässigung und gänzlichen Verfalles; und der schlechte Zustand der Gerätschaften ließ vermuthen, daß der Besitzer schon ziemlich lange durch andere Beschäftigungen von seinen Arbeiten abgehalten war. Dieser Besitzer nun, welcher über ein dickes, mit seltsamen Malereien geschmücktes Manuscript gebückt war, schien von einem Gedanken gequält zu werden, welcher sich unaufhörlich in seine Betrachtungen einzumischen bestrebte. So wenigstens urtheilte Johann, als er ihn, nach langen, sinnenden Pausen, wie einen Menschen, der im tiefen Traume laut spricht, ausrufen hörte:

»Ja, ManuIndischer Gesetzgeber. sagte es und ZoroasterReformator der Religion der Perser (im sechsten oder siebenten Jahrhunderte v. Chr. Geb.). lehrte es! Die Sonne entsteht aus Feuer, der Mond aus der Sonne; das Feuer ist die Seele des großen Alls; seine Grundsubstanztheilchen ziehen und rieseln unaufhaltsam in endlosen Strömungen durch die Welt! An den Punkten wo diese Strömungen sich am Himmel schneiden, erzeugen sie das Licht; an ihrem Schneidepunkte auf der Erde bringen sie das Gold hervor . . . Licht, Gold – beide sind dasselbe! Feuer im festen Zustande . . . Der Unterschied zwischen Sichtbarem und Greifbarem, zwischen Flüssigem und Festem bei einer und derselben Substanz, zwischen Wasserdampf und Eis, nichts weiter . . . Das sind durchaus keine Träumereien . . . das ist das allgemeine Gesetz in der Natur . . . Aber wie fängt man es an, um das Geheimnis dieses Naturgesetzes in die Wissenschaft herüberzuziehen? Was! dieses Licht, welches über meine Hand flutet, ist Gold? Es handelt sich nur darum, diese nämlichen, nach einem bestimmten Gesetze verbreiteten Substanztheilchen nach einem bestimmten andern Gesetze zu verdichten . . . Wie das anfangen? – Einige haben ausgedacht, einen Sonnenstrahl zu vergraben, AverrhoësName eines arabischen Arztes und Philosophen († 1225). Anm. d. Uebers. . . . ja, Averrhoës ist's . . . Averrhoës hat einen solchen unter dem ersten Pfeiler, links vom Hochaltare des Koran, in der großen Moschee zu Cordova vergraben; aber man darf die Höhle erst in achttausend Jahren öffnen, um zu sehen, ob das Unternehmen gelungen ist.«

»Zum Teufel,« sagte Johann für sich, »das ist eine lange Zeit, auf einen Thaler zu warten.«

». . . Andere haben gedacht,« fuhr der Archidiaconus fort, »daß es besser wäre, mit einem Lichtstrahle des Sirius zu operiren. Aber es ist sehr schwer, diesen Strahl rein zu bekommen, wegen der gleichzeitigen Nähe anderer Sterne, deren Strahlen sich mit ihm zu vereinigen pflegen. Flamel ist der Meinung, daß es einfacher wäre mit dem Erdfeuer zu operiren . . . Flamel! welch ein Name voll Vorherbestimmung. Flamma!Lateinisch: Die Flamme, das Feuer. . . . Ja, das Feuer! das ist alles . . . der Diamant ist in der Kohle enthalten, das Gold befindet sich im Feuer. Aber wie soll man es herausziehen? . . . Magistri behauptet, daß es gewisse Frauennamen von so süßem und geheimnisvollem Zauber gäbe, daß es schon hinreiche, sie während der Operation auszusprechen . . . Wir wollen lesen, was Manu darüber sagt; »Wo die Frauen geehrt werden, da sind die Gottheiten erfreut; wo sie verachtet werden, da ist es unnütz, zu Gott zu beten. – Der Mund eines Weibes ist immer rein; er ist ein fließendes Wasser, ist ein Sonnenstrahl. – Der Name einer Frau muß angenehm, lieblich sein, die Phantasie anregen; muß auf lange Vocale endigen und Segensworten gleichen.« . . . »Ja, der Weise hat recht; in der That: Maria, Sophia, die Esmeral– . . . Hölle und Verdammnis! immer derselbe Gedanke!«

Und er machte das Buch heftig zu. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, als ob er einen Gedanken verjagen wollte, von dem er gequält wurde; dann nahm er vom Tische einen Nagel und einen kleinen Hammer, dessen Stiel sonderbar mit kabalistischen Zeichen bemalt war.

»Seit einiger Zeit,« sprach er mit bitterem Lächeln, »scheitere ich bei allen meinen Experimenten! Die fixe Idee beherrscht mich und ermattet mein Gehirn, wie ein feuriges Kleeblatt. Ich habe nicht einmal das Geheimnis des CassiodorusName eines lateinischen Geschichtsschreibers (um 570 nach Chr. Geb.). Anm. d. Uebers. entdecken können, dessen Lampe ohne Docht und ohne Oel brannte. Und das ist doch eine so einfache Sache!«

»Daß dich die Pest –!« brummte Johann in den Bart.

». . . So ist also,« fuhr der Priester fort, »ein einziger erbärmlicher Gedanke im Stande, einen Menschen schwach und albern zu machen! O! wie würde Claude Pernelle über mich lachen, sie, die den Nicolaus Flamel nicht einen Augenblick von der Fortsetzung seines großen Werkes abzuziehen vermocht hat! Was? Ich halte in meiner Hand den magischen Hammer des Zechieles! Bei jedem Schlage, den der furchtbare Rabbi aus der Tiefe seiner Zelle mit dem Hammer auf den Nagel that, versank derjenige seiner Feinde, den er verflucht hatte, und wäre er zweitausend Meilen weit entfernt gewesen, eine Elle tief in die Erde, die ihn verschlang. Der König von Frankreich selbst sank, als er unvorsichtigerweise an die Thüre des Wunderthäters klopfte, bis an die Knien in den Boden seiner Stadt Paris hinein . . . Das hat sich vor drei Jahrhunderten zugetragen . . . Nun gut! ich besitze den Hammer und den Nagel, und beides sind in meinen Händen keine fürchterlicheren Werkzeuge, als ein Hammer in den Händen eines Grobschmiedes. Und doch bedarf es blos das magische Wort wiederzufinden, welches Zechieles aussprach, wenn er auf seinen Nagel schlug.«

»Possen!« dachte Johann.

. . . Wollen sehen, wollen's versuchen!« fuhr der Archidiaconus lebhaft fort. »Wenn es mir gelingt, so werde ich einen blauen Funken aus dem Nagelkopfe herausspringen sehen . . . Emen-Hetan! Emen-Hetan! . . . Das ist's nicht . . . Sigeani! Sigeani! . . . Möge der Nagel das Grab unter demjenigen öffnen, der den Namen Phöbus trägt! . . . Verflucht! immer noch und ewig derselbe Gedanke!« Und zornig warf er den Hammer von sich. Dann ließ er sich so in den Lehnstuhl und über den Tisch gebeugt nieder, daß Johann ihn hinter dem ungeheuern Bücherhaufen aus dem Gesichte verlor. Einige Minuten lang sah er nichts mehr von ihm, als seine krampfhaft über dem Buche geballte Faust. Plötzlich stand Dom Claude auf, ergriff einen Zirkel und schnitt schweigend das griechische Wort:

ΑΝΑΓΚΗ

in großen Buchstaben in die Wand ein.

»Mein Bruder ist ein Narr,« sagte Johann für sich; »es wäre viel einfacher gewesen, »Fatum«Lateinisch: Verhängnis. Anm. d. Uebers. zu schreiben; nicht jeder ist verpflichtet, Griechisch zu verstehen.«

Der Archidiaconus setzte sich jetzt wieder in seinen Lehnstuhl, stützte den Kopf in beide Hände, wie ein Kranker zu thun pflegt, dessen Kopf schwer und glühend ist.

Der Student beobachtete seinen Bruder mit Erstaunen. Er freilich, der seinem Herzen freien Lauf ließ, der keinem Gesetze in der Welt, als dem wahren Naturgesetze, Folge leistete, er, der den Leidenschaften nach seinen Neigungen die Zügel schießen ließ, und bei dem der See großer Gemüthsbewegungen immer trocken war, weil er ihm jeden Morgen in freigebiger Weise neue Abzugsgräben öffnete – er begriff ihn nicht; er wußte nicht, mit welcher Raserei dieses Meer der menschlichen Leidenschaften wogt und schäumt, wenn man ihm jeden Abfluß versperrt, wie es anschwillt, wie es steigt, wie es über das Ufer tritt, wie es das Herz aushöhlt, wie es in innerem Schluchzen und dumpfen Zuckungen berstet, bis daß es seine Dämme zerrissen und sein Bett gesprengt hat. Die strenge und eisige Hülle Claude Frollo's, diese kalte Außenseite schroffer und unnahbarer Tugend, hatte Johann immer getäuscht. Der fröhliche Student hatte niemals daran gedacht, daß kochende, rasende Lava tief unter dem schneeigen Gipfel des Aetna verborgen liegt.

Wir wissen nicht, ob er sich sofort von diesen Gedanken Rechenschaft gab; aber so leichtsinnig er auch war, so begriff er doch, daß er etwas gesehen hatte, was er nicht hätte sehen sollen; daß er die Seele seines ältern Bruders soeben in einer ihrer geheimsten Regungen überrascht hatte, und daß Claude dies nicht merken durfte. Wie er sah, daß der Archidiaconus in seine anfängliche Regungslosigkeit zurückgesunken war, zog er seinen Kopf ganz leise zurück und machte hinter der Thüre ein Geräusch von Tritten, wie jemand, der ankommt und seine Ankunft meldet.

»Herein!« rief der Archidiaconus aus dem Innern der Zelle; »ich erwartete Euch. Ich habe absichtlich den Schlüssel in der Thüre stecken lassen; tretet ein, Meister Jacob.«

Der Student trat dreist ein. Der Archidiaconus, den ein solcher Besuch an einem solchen Orte sehr in Verlegenheit setzte, erschrak in seinem Lehnstuhle. »Was!! Ihr seid es, Johann?«

»Es ist immerhin einer, dessen Namen mit J anfängt,« sagte der Student mit rothem, dreisten und fröhlichen Gesichte.

Das Antlitz Dom Claude's hatte seinen strengen Ausdruck angenommen.

»Was habt Ihr hier zu schaffen?«

»Bruder,« antwortete der Student, der sich bemühte, eine sittsame, klägliche und bescheidene Miene anzunehmen, und seine Mütze mit einem Ausdrucke der Unschuld zwischen den Händen drehte, »ich wollte Euch bitten . . .«

»Um was?«

»Um ein wenig moralische Belehrung, die ich sehr nöthig habe.« Johann wagte nicht laut hinzuzusetzen: »Und um ein wenig Geld, das ich noch nöthiger habe.« Dieser letzte Theil seines Satzes blieb unausgesprochen.

»Junger Herr,« sagte der Archidiaconus mit kaltem Tone, »ich bin sehr unzufrieden mit Euch.«

»O weh!« seufzte der Student.

Dom Claude rückte mit seinem Lehnstuhle etwas herum und blickte Johann scharf an. »Es ist mir lieb, daß ich Euch sehe.«

Das war ein fürchterlicher Eingang. Johann machte sich auf einen heftigen Stoß gefaßt.

»Johann, es gehen mir täglich Beschwerden über Euch zu. Was ist das mit jener Schlägerei, bei der Ihr einen kleinen Vicomte Albert von Ramonchamp mit Stockhieben zugerichtet habt? . . .«

»O!« sagte Johann, »hat guten Grund! Ein erbärmlicher Page, der sich damit belustigte, die Studenten dadurch zu besudeln, daß er sein Pferd in den Koth traben ließ!«

»Was ist das dann,« fuhr der Archidiaconus fort, »mit Mahiet Fargel, dessen Rock Ihr zerrissen habt? Tunicam dechiraverunt,Lateinisch: Das Gewand haben sie ihm zerrissen. besagt die Beschwerde.«

»Ach was! ein schäbiges Mützchen von Montaigu! Ist's nicht so?«

»Die Beschwerde sagt »tunicam« und nicht »cappettam«.Lateinisch: Kappe, Mütze. Versteht Ihr Latein?«

Johann antwortete nicht.

»Ja,« fuhr der Priester fort und schüttelte den Kopf, »da haben wir's, wie die Studien und die Wissenschaften jetzt beschaffen sind! Latein versteht man kaum noch, das Syrische ist unbekannt, das Griechische dermaßen verhaßt, daß es bei den ersten Gelehrten nicht für Unwissenheit gilt, ein griechisches Wort, ohne es zu lesen, zu überspringen, und daß man spricht: »Graecum est, non legiturLateinisch: Es ist griechisch, wird nicht gelesen. Anm. d. Uebers.

Der Student schlug mit Entschlossenheit die Augen auf. »Herr Bruder, gestattet Ihr, daß ich Euch auf gut Französisch jenes griechische Wort erkläre, das da an die Mauer geschrieben ist?«

»Welches Wort?«

»ΑΝΑΓΚΗ.«

Ein flüchtiges Roth überzog die faltigen Wangen des Archidiaconus gleich einem Rauchstoße, der äußerlich die inneren Erschütterungen eines Vulkanes ankündigt. Der Student bemerkte es kaum.

»Nun wohl, Johann!« stotterte der ältere Bruder mit Mühe, »was will dieses Wort sagen?«.

»Das Verhängnis

Dom Claude wurde bleich, und der Student fuhr in Sorglosigkeit fort: »Und jenes Wort, welches darunter steht, von der nämlichen Hand hineingekratzt: Ἀναγνεία bedeutet »Unlauterkeit«. Ihr sehet, daß man sein Griechisch versteht.«

Der Archidiaconus blieb stumm. Diese Lection im Griechischen hatte ihn nachdenklich gemacht. Der kleine Johann, der alle Kniffe eines nichtsnutzigen Burschen besaß, hielt den Augenblick für günstig, um sein Anliegen zu wagen. Er nahm daher einen äußerst sanften Ton an, und begann:

»Mein lieber Bruder, habt Ihr einen derartigen Haß auf mich, daß Ihr mir wegen ein Paar böser Ohrfeigen und Faustschlägen, die im offenen Kampfe an, Gott weiß, welche Buben und Fratzengesichter, quibusdam marmosetis, ausgetheilt wurden, ein böses Gesicht macht? Ihr seht, lieber Bruder Claude, daß man sein Latein versteht.«

Aber diese ganze schmeichelnde Gleißnerei machte auf den strengen großen Bruder durchaus nicht die gewohnte Wirkung. CerberusLateinisch: Der Höllenhund bei den Alten. Anm. d. Uebers. biß nicht in den Honigkuchen. Die Stirn des Archidiaconus entrunzelte sich nicht um eine Falte.

»Wo wollt Ihr damit hin?« sagte er im trockenen Tone.

»Nun gut, zur Sache! mein Anliegen ist das!« antwortete muthig Johann, »ich brauche Geld.«

Bei dieser dreisten Erklärung nahm die Physiognomie des Archidiaconus plötzlich einen schulmeisterlichen und väterlichen Ausdruck an.

»Ihr wißt, Herr Johann, daß unser Lehnsgut zu Tirechappe, wenn man den Grundzins und die Einkünfte von den einundzwanzig Häusern in Bausch und Bogen anschlägt, nur neununddreißig Livres, elf Sols und sechs Heller Pariser Geld einbringt. Das ist zwar um die Hälfte mehr, als zur Zeit der Gebrüder Paclet, aber es ist nicht viel.«

»Ich brauche Geld,« sagte Johann mit stoischer Ruhe.

»Ihr wißt, daß das geistliche Gericht entschieden hat, unsere einundzwanzig Häuser hängen als völliges Lehen vom Bisthume ab, und wir könnten den Lehnseid nur dadurch loskaufen, wenn wir dem ehrwürdigen Bischofe zwei Mark vergoldetes Silber im Werthe von sechs Livres Pariser Geld zahlen. Nun, diese zwei Mark habe ich noch nicht zusammenbringen können. Ihr wißt es.«

»Ich weiß, daß ich Geld brauche,« wiederholte Johann zum dritten Male.

»Und was wollt Ihr damit machen?«

Diese Frage ließ einen Hoffnungsschimmer in Johanns Augen erglänzen. Er nahm seine schmeichelnde und süßliche Miene wieder an.

»Glaubt mir, theurer Bruder Claude, ich werde mich in keiner schlechten Absicht an Euch wenden. Es handelt sich nicht darum, mir mit Euern Unzen in den Weinschenken einen schönen Tag zu machen, und in den Straßen von Paris mit meinem Lakeien, cum meo laquasio, auf goldbrokatener Pferdedecke spazieren zu reiten. Nein, Bruder, es handelt sich um ein gutes Werk.«

»Was für ein gutes Werk?« fragte Claude etwas überrascht.

»Da sind zwei meiner Freunde, welche für das Kind einer armen Witwe vom Kloster ein Wickelzeug kaufen wollen. Es ist ein Werk der Barmherzigkeit. Das wird drei Gulden kosten, und ich möchte das Meinige dazu beitragen.«

»Wie heißen Eure beiden Freunde?«

»Peter l'Assommeur und Baptist Croque-Oison.«

»Hm!« sagte der Archidiaconus; »das sind Namen, die zu einem guten Werke passen, wie eine Donnerbüchse auf einen Hochaltar.«

Sicherlich hatte Johann die zwei Freundesnamen sehr schlecht gewählt. Er fühlte das zu spät.

»Und dann,« fuhr der scharfsinnige Claude fort, »was ist das denn für ein Kinderzeug, welches drei Gulden kosten soll, und noch dazu für das Kind einer Klosterwitwe. Seit wann haben die Klosterwitwen Kinder im Wickelbette?«

Johann begann noch einmal im vertraulichen Tone:

»Nun gut, ja! ich brauche Geld, um heute Abend Isabeau-la-Thierrye im Val-d'Amour zu besuchen!«

»Elender Wüstling!« rief der Priester.

»Ἀναγνεία!« sagte Johann.

Dieses Citat, welches der Student vielleicht aus Bosheit der Wand der Zelle entlehnte, machte auf den Priester einen merkwürdigen Eindruck. Er biß sich in die Lippen, und sein Zorn erlosch in Schamröthe. »Verlaßt mich,« sagte er drauf zu Johann. »Ich erwarte jemanden.«

Der Student wagte noch eine Anstrengung.

»Bruder Claude, gebt mir wenigstens eine Kleinigkeit, um essen zu können.«

»Wie weit seid Ihr mit den Decretalien Gratians?« fragte Dom Claude.

»Ich habe meine Hefte verloren.«

»Wie weit seid Ihr mit den lateinischen Humanitätsstudien?«

»Man hat mir mein Exemplar des Horatius gestohlen.«

»Wo steht Ihr im Aristoteles?«

»Meiner Treu! Bruder, wer ist doch jener Kirchenvater, der da sagt, die Irrthümer der Ketzer hätten zu allen Zeiten das Buschwerk der Aristotelischen Metaphysik als Schlupfwinkel benutzt? Aristotelisches Heu! Ich will mir nicht meine Religion an seiner Metaphysik zerfetzen lassen.«

»Junger Mensch,« fuhr der Archidiaconus fort, »beim letzten Einzuge des Königs befand sich ein junger Edelmann, mit Namen Philipp von Comines, der auf der Schabracke seines Pferdes die gestickte Devise trug, die ich Eurem Nachdenken empfehle: »Qui non laborat, non manducet.«Lateinisch: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. Anm. d. Uebers.

Der Scholar schwieg einen Augenblick, den Finger am Ohre, das Auge an den Boden geheftet, und mit erzürnter Miene. Plötzlich kehrte er sich mit der lebhaften Geschwindigkeit einer Bachstelze nach Claude hin.

»Also, lieber Bruder, Ihr verweigert mir einen Pariser Sou, um mir ein Stück Brot bei einem Bäcker zu kaufen?«

»Qui non laborat, non manducet.«

Nach dieser Antwort des unbeugsamen Archidiaconus verbarg Johann das Gesicht in seinen Händen, wie ein schluchzendes Weib, und schrie mit dem Ausdrucke der Verzweiflung: »Ὀτοτοτοτοτοῖ«

»Was soll das denn heißen, Bursche?« fragte Claude, von dieser Albernheit überrascht.

»Nun wohl, was!« sagte der Student, und er richtete auf Claude wieder die frechen Augen, in die er eben seine Fäuste gedrückt hatte, um ihnen die Röthung von Thränen zu geben.

»Das ist griechisch! Es ist ein Anapäst des Aeschylus, welcher auf das Vollkommenste den Schmerz ausdrückt.«

Und hierbei brach er in ein so närrisches und heftiges Lachen aus, daß er auch dem Archidiaconus ein Lächeln abnöthigte. Es war in der That Claude's Schuld: warum hatte er diesen Buben so sehr verzogen?

»Ach! lieber Bruder Claude,« fuhr Johann, von diesem Lächeln ermuthigt, fort, »sehet einmal meine durchlöcherten Halbstiefeln an. Giebt es einen tragischern Cothurn in der Welt, als Stiefeln, deren Sohlen die Zunge herausstecken?«

Der Archidiaconus hatte plötzlich seinen ursprünglichen Ernst wieder gefunden.

»Ich werde Euch neue Stiefeln schicken, aber kein Geld.«

»Nur einen armen kleinen Sou, Bruder,« fuhr demüthig bittend Johann fort. »Ich werde den Gratian auswendig lernen; ich will gern an Gott glauben; ich will ein wahrer Pythagoras an Wissen und an Tugend sein. Aber einen kleinen Sou, wenn ich bitten darf! Wollt Ihr, daß mich der Hunger mit seinem Rachen verschlingt, der da klaffend vor mir steht, und schwärzer, stinkender und tiefer ist, als ein Tartarus, oder als die Nase eines Mönches?«

Dom Claude schüttelte sein runzliges Haupt.

»Qui non laborat . . .«

Johann ließ ihn nicht zu Ende kommen.

»Nun gut,« schrie er, »zum Teufel! Es lebe die Freude! Ich will mich in Schenken herumtreiben, mich prügeln, will Krüge zerschlagen und die Mädchen besuchen!«

Und dabei warf er seine Mütze gegen die Mauer und ließ seine Finger wie Castagnetten schnalzen.

Der Archidiaconus sah ihn mit finsterer Miene an.

»Johann, Ihr habt gar keine Seele.«

»In diesem Falle fehlt mir, nach Epikur, etwas, das aus einem namenlosen Etwas gemacht ist.«

»Johann, Ihr müßt ernstlich daran denken, Euch zu bessern.«

»Ach so!« rief der Student und sah bald seinen Bruder, bald die Retorten auf dem Herde an, »hier ist alles gehörnt, die Gedanken, wie die Flaschen!«

»Johann, Ihr seid an einem sehr schlüpfrigen Abhange. Wißt Ihr, wohin Ihr gehet?«

»In die Kneipe,« sagte Johann.

»Die Kneipe führt zum Pranger.«

»Das ist eine Laterne, wie alle andern; und mit dieser hätte vielleicht Diogenes seinen Menschen gefunden.«

»Vom Pranger führt der Weg zum Galgen.«

»Der Galgen ist eine Wage, an deren einem Ende ein Mensch, am andern die ganze Erde hängt. Es ist schön, der Mensch zu sein.«

»Der Galgen führt zur Hölle.«

»Das ist ein großes Feuer.«

»Johann, Johann, das Ende wird bös sein.«

»Dafür wird der Anfang gut gewesen sein.«

In diesem Augenblicke ließ sich das Geräusch von Schritten auf der Treppe hören.

»Still!« sagte der Archidiaconus und legte den Finger an den Mund, »das ist Meister Jacob. Höret, Johann,« fügte er mit leiser Stimme hinzu: »hütet Euch jemals von dem zu sprechen, was Ihr hier gesehen und gehört haben werdet. Verbergt Euch schnell unter diesem Ofen und rührt Euch nicht.«

Der Student duckte sich unter den Ofen; da fiel ihm ein fruchtbringender Gedanke ein. »Ganz recht, Bruder Claude, einen Gulden, damit ich still liegen kann.«

»Schweigt! ich verspreche ihn Euch.«

»Ihr müßt mir ihn geben.«

»So nimm denn!« sagte der Archidiaconus und warf ihm zornig seinen Geldbeutel zu. Johann kroch wieder unter den Ofen, und die Thüre öffnete sich.


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