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»Sagt doch«, fragte am folgenden Tage Lieschen die beiden Mädchen, als sie sie über den Gartenzaun anredete, »warum wurdet ihr so früh von eurem Vater nach Hause geholt?«
»Weil dem Vater das Zigarettenrauchen und manches andere nicht gefiel.«
Lieschen zog ein spöttisches Gesicht. »Was ist dabei, das tun jetzt die meisten Damen in Gesellschaften. Edgar sagte auch, ihr seiet sonderbare Geschöpfe.«
Gretchen lacht. »So, sagte er das? Nun, er hat ja nicht nötig, sich mit uns abzugeben. Wir entbehren seine Gesellschaft nicht.«
»Ihr wollt eben etwas Besonderes sein, das sagen die Eltern auch.«
»Wir richten uns nach den Wünschen unserer Eltern und befinden uns dabei ganz wohl«, sagte Gretchen.
»Und können ebenso lustig sein, wie ihr bei eurem Rauchen und Scherzen mit den jungen Leuten«, fügte Eva hinzu.
»Wie lange bleibst du denn noch hier?« fragte Lieschen plötzlich die Eva.
»Ich denke, bis zum nächsten Mai, dann wird mein lieber Vater mich wieder holen.«
»Aber du wirst jedes Jahr kommen und uns besuchen?«
»Und du mich, Gretchen. Du wirst sehen, wie hübsch ich es habe und wie es sich in unserem Städtchen lebt.«
»Ihr habt euch wohl sehr lieb?« fragte Lieschen wieder.
»Ja, wir lieben uns wie Schwestern und wollen immer Freundinnen bleiben.«
Lieschen sah nachdenklich vor sich hin. Es war, als wollte sie sagen: »Ich möchte wohl auch eine Schwester haben und möchte auch sehen, wo du wohnst und wie gut du es bei deinem Vater hast.«
Acht Tage besuchten die beiden noch die Haushaltungsschule. Dann waren sie froh, als die alte Tageseinteilung wieder stattfand und die Mittwochsbesuche bei Tante Alice ihren Fortgang nahmen. Frau Maria war zufrieden mit dem, was sie in der Kochschule gelernt hatten, es tat ihr nicht leid, sie dahingeschickt zu haben. Gab es abends einmal eine kleine Gesellschaft mit Freunden, so hatten die Töchter gelernt, die Gemüseschüsseln hübsch zu garnieren oder allerlei wohlschmeckende Salate anzufertigen, zum Tee kleinen Kuchen zu backen, sie hatten überhaupt mehr Sicherheit in allem bekommen und gelernt, sich schnell und gewandt zu bewegen. Es hatte in der großen Menge immer eine die andere geschoben, der Ehrgeiz, es den andern zuvorzutun, war geweckt worden, so war die Zeit gewinnbringend und nicht als verloren anzusehen.
Nun kamen die Herbstmonate. Da gab es wieder andere Arbeiten im Haushalt, da wurde das Obst eingeheimst und eingekocht. Beim Apfelpflücken erwiesen sich die Knaben als tüchtige Helfer, sie standen oben auf den Bäumen und brachen vorsichtig die Früchte, welche die Mädchen in große Körbe packten und ins Haus trugen. Die Pflaumen wurden geschüttelt, dabei gab es manchen Spaß und allerlei Kurzweil.
So waren sie eines Tages alle miteinander im Garten. Es war prächtiges Herbstwetter, so daß es eine Freude war, das Obst, das in diesem Jahr in reichlicher Menge gewachsen war, einzuheimsen. Da rief Frau Maria: »Gretchen!«
Eva sah verwundert auf, was es gäbe, beugte sich aber gleich wieder zur Erde, um die schönen Pflaumen, die Georg herunterschüttelte und die ins grüne Gras prasselten, aufzulesen, lachte dazu mit Gertrud, die fleißig half. Da erschien Gretchen wieder mit blassem, traurigem Gesicht und winkte Eva. Sprechen konnte sie nicht.
Diese stand eilend auf und lief ihr entgegen. Sie sehen und ausrufen: »Gretchen, was fehlt dir«, war eins. Gretchen legte den Arm um sie. »Komm zur Mutter, liebe Eva!« Dann schien es, als sei ihr die Kehle zugeschnürt. Angstvoll sah sie Eva an.
»Gretchen, was hast du? Wie siehst du aus? Ist etwas passiert?«
Da sagte sie unter Stocken: »Es ist eben eine Depesche gekommen, du sollst schnell nach Hause kommen, Dein – Vater ist plötzlich – sehr krank geworden.«
Nun war das Erschrecken an Eva.
»Mein Vater!« rief sie, von Schmerz übermächtigt. »Mein lieber Vater! O, da muß ich gleich abreisen und ihn wieder gesund pflegen.«
Gretchen sah sie tieftraurig an. Sie wußte es schon, daß daran nicht zu denken war, denn die Depesche lautete, daß ein Schlagfluß plötzlich seinem Leben ein Ende gemacht habe.
Als sie zu Frau Dunker hereinkam, nahm diese sie in ihre Arme und brachte ihr in schonender, mütterlicher Liebe die Trauernachricht bei von dem plötzlichen Ableben ihres geliebten Pflegevaters.
Ein leidenschaftlicher Ausbruch des Schmerzes erfolgte. Frau Maria ließ sie ruhig gewähren, Eva war eine lebhafte Natur, Maria wußte vorher, daß ein heftiger Schmerz sie erfassen und sie in laute Klagen ausbrechen würde.
»Nun bin ich ganz einsam und verlassen! Wer wird sich nun meiner annehmen? O, mein lieber Vater, meine liebe Mutter, warum mußtet ihr so früh von mir gehen? Ich hatte mich so darauf gefreut, meinem Vater eine Stütze zu sein, und ich weiß, daß er sich auch auf die Zeit gefreut hat, wo er mich wieder haben würde. Und nun ist alles aus!«
Frau Maria wartete, bis die Schmerzensausbrüche sich gelegt; erst als der Schmerz in einen erlösenden Tränenstrom überging, versuchte sie, ihr Trost auszusprechen. Gretchen aber saß neben ihr, hielt ihre Hand fest umschlungen und weinte zum Herzbrechen mit.
Nun kam Herr Dunker, den Frau Maria gleich aus dem Geschäft hatte rufen lassen. Er war natürlich sehr erschüttert durch die plötzliche Nachricht, sagte aber gleich, Eva die Hand hinstreckend:
»Dann bleibst du natürlich bei uns und wirst unser Kind, liebe Eva. Wenn wir dir auch vielleicht das nicht bieten können, was dein lieber Vater für dich hatte, so wollen wir dich doch herzlich liebhaben und dich halten wie unser Kind. Nicht wahr, Mutter?«
»Ich bin ganz deiner Ansicht, lieber Mann. Ich wollte nur nicht eher etwas sagen, als bis ich deine Meinung wußte.«
»Es heißt: Nimm auf, was Gott dir vor die Tür legt. Dies hat uns Gott unmittelbar vor die Tür gelegt, daran ist kein Zweifel.«
Auf Gretchen hatten diese Worte eine erlösende Wirkung. Sie sah getröstet auf und rief: »Dann wird Eva meine rechte Schwester, o, wie freue ich mich!«
Eva hörte wohl alles, was gesprochen wurde, aber noch konnte sie nichts in sich aufnehmen, konnte keinen Trost fassen, es war alles um sie wie in dunkle Wolken gehüllt.
Herr Dunker überlegte eben mit seiner Frau, daß er sich mit Eva zur Reise nach N. rüsten müsse, allein könne er das arme Kind nicht gehen lassen, da meldete Rieke eine Dame. Auf der Karte stand ein unbekannter Name. Herr Dunker ging hinaus und kam nach einiger Zeit zurück mit der Nachricht, es sei eine Frau Schmieder im Besuchszimmer, sie habe sich als Schwester des Herrn Rechtsanwalt Belzer zu erkennen gegeben, und da sie durch diese Stadt reisen müsse und wisse, daß Belzers Pflegetochter hier in Pension sei, so habe sie gedacht, sie wolle sie gleich mitnehmen, da sie natürlich auch abreisen würde.
Frau Maria eilte schnell, um die Dame zu begrüßen. Sie fand eine kleine, lebhafte Frau in tiefer Trauer, die sehr erschüttert schien über den plötzlichen Todesfall.
»Ich bin Mutter vieler Kinder«, äußerte sie, »aber ich habe alles einem guten Mädchen überlassen, meinen geliebten einzigen Bruder muß ich noch einmal sehen, es ist ja zu plötzlich und unerwartet gekommen.« Während sie nun mit Frau Maria sprach und mit ihr die Abfahrt überlegte, war Herr Dunker zu Eva zurückgegangen und hatte sie nach dieser Tante gefragt, von der sie, seiner Meinung nach, nie gesprochen hatte.
»Ich kenne sie sehr wenig, diese Tante Cäcilie. Sie wohnen sehr weit von uns, ich glaube, sie leben in beschränkten Verhältnissen.«
Für Herrn Dunker war es augenblicklich seiner Geschäfte wegen eine Erleichterung, daß er nicht sofort zu reisen brauchte, doch hoffte er, sich zum Beerdigungstage frei zu machen und dann Eva wieder mit hierher zu bringen.
Frau Maria kam nun mit der Dame ins Wohnzimmer. Sie war sehr freundlich und herzlich mit Eva, es schien jedoch, als ob sich diese etwas fremd ihr gegenüber fühlte. Um 9½ Uhr ging ein Schnellzug, der benutzt werden sollte, da galt es, die Zeit auszukaufen. Es mußten Evas Trauersachen, die sie nach dem Tode der Mutter getragen hatte, schnell hervorgesucht und kleine Änderungen vorgenommen werden.
Gretchen mußte einen Trauerhut besorgen, Rieke das Abendbrot zeitig richten, kurz, es gab so viele äußere Dinge zu bedenken, daß man gar nicht Zeit hatte, über das traurige Ereignis nachzudenken. Erst als man Eva, die sich nun in Gegenwart der fremden Tante sehr zusammengenommen hatte, an die Bahn gebracht und der Vater versprochen hatte, bald nachzukommen, saß die Familie Dunker noch lange beisammen, traurig das Schwere besprechend, das so schnell über die arme Eva hereingebrochen war. Wunderbare, unbegreifliche Wege ging Gott mit diesem Kinde, das klein durch den Tod der rechten Mutter einsam in der Welt zurückgelassen und durch den Tod der prächtigen Pflegeeltern abermals zur Waise geworden war. Aber es stand fest bei Dunkers, wenn diese Verwandten nicht Ansprüche an Eva machten, dann wollten sie sie in ihren Familienkreis aufnehmen, wozu alle Kinder ihre freudige Zustimmung gaben; sie hatten das muntere, allzeit fröhliche und dienstfertige Mädchen herzlich liebgewonnen und freuten sich, sie als Schwester ganz behalten zu dürfen. –
Einige Tage waren nach dem letzten Ereignis vergangen. Frau Maria saß in ihrem Stübchen und las nachdenklich einen Brief ihres Mannes. Heute erwartete sie ihn mit Eva zurück. Er schrieb, daß Belzer, wie alljährlich, einige Wochen an der See gewesen sei, sich aber nicht so wohl wie sonst nach solcher Erholungsreise befunden habe. Da – eines Tages, so habe seine Haushälterin erzählt, habe sie ihn zu Tisch rufen wollen, weil er nicht wie immer zur gewöhnlichen Zeit erschienen sei, da habe sie ihn zu ihrem größten Schrecken, vom Schlagfluß getroffen, tot auf seinem Lehnstuhl am Pult gefunden. Ein Testament habe sich bis jetzt nicht gefunden, er fürchte, es würde keins da sein, und Frau Schmieder schien sehr auf die Erbschaft zu hoffen. Alles Nähere wolle er mündlich mitteilen.
Ob Frau Schmieder nun gewillt sei, Eva künftig bei sich aufzunehmen, davon stand nichts da; nun sie würde ja alles erfahren, wenn ihr Mann heute abend nach Hause kommen würde.
Es war schon spät, als die beiden eintrafen. Eva sah blaß, abgehärmt und verweint aus. Gretchen kam ihr mit schwesterlicher Liebe entgegen und ging gleich, nachdem sie sie ein wenig mit Speise und Trank erquickt hatte, mit ihr nach oben, damit sie bald zur Ruhe komme.
Herr Dunker hatte noch lange mit seiner Frau über alles zu reden. »Die Frau Schmieder«, sagte er, »wollte mir nicht recht gefallen, sie schien mich als einen Eindringling in ihre Rechte anzusehen, obgleich es doch ganz natürlich war, daß ich nach einem etwaigen Testament Belzers forschte.« ›Denken Sie‹, sagte sie, ›daß er dieser angenommenen Tochter alles vermacht hat, wo er eine leibliche Schwester hat, die nicht weiß, wie sie mit ihren sieben Kindern durchkommen soll? Mein Mann hat als Subalternbeamter ein so geringes Gehalt, daß wir nicht wissen, wie wir durchkommen sollen, wenn die Kinder größer werden.‹
Ich antwortete ihr, daß sie es mir auf der anderen Seite nicht verdenken könne, wenn ich an die Pflegetochter dächte, die Belzers als kleines Kind angenommen und treu für sie gesorgt hätten.
›Ja, das haben sie getan‹, entgegnete sie mir, ›aber jetzt ist das Mädchen groß genug, um für sich selbst zu sorgen. Ich würde es sehr unrecht finden, wenn dem Mädchen alles vermacht wäre und die arme Schwester leer ausginge.‹ Ich meinte, es könne ja auch geteilt werden. Da zuckte sie die Achsel und erwiderte: ›Es kommt eben darauf an, ob sich ein Testament findet oder nicht. Im letzteren Fall kommt es mir zu, das ist keine Frage.‹
Herren, die ich bei der Beerdigung traf, die wußten, wie lieb beide das Kind gehabt, bedauerten mit mir, daß kein Testament da war. Der gute Belzer hat nicht an einen so frühen Tod gedacht, hat gemeint, das habe noch lange Zeit. Aber meine Meinung ist, man sollte rechtzeitig seine Bestimmung treffen, zumal hier, wo es sich um ein Pflegekind handelt.«
Frau Maria sah ihren Mann liebevoll und ernst an und sagte: »Hatten wir uns nicht entschlossen, Eva für eigen anzunehmen, ohne auf große Schätze zu hoffen?«
»Es ist nur eines, liebe Frau, wer sagt uns, wie lange wir zu leben haben? Es sind noch vier unversorgte Kinder, wenn Christian mit seinem Studium fertig ist.«
»Wenn man nur so viel bekäme, daß Eva weiterlernen und ihr Examen machen könnte, dann würde sie später auf eigenen Füßen stehen«, sagte Frau Maria, der nun auch einige Bedenken kamen. »Aber«, fügte sie getrost hinzu: »Gott der Herr hat bisher so treu für uns gesorgt, laß uns ihm vertrauen, er wird ferner alles wohl machen.«
»Du hast recht, liebe Maria. Laß uns nicht um eitlen Lohnes willen Gutes tun, nicht, wie die Kinder der Welt, auf Vorteil rechnen. Wir nehmen einfach Eva als Kind unter unsere Schar auf und sehen, auf welche Weise wir am besten für sie sorgen können. Doch es ist zu spät, laß uns zur Ruhe gehen, morgen berichte ich dir mehr von allem, was ich erlebt und erfahren habe.«
Am folgenden Tage sah Eva etwas frischer aus, war aber still und gedrückt. Man sah es ihr an, es war nicht allein die Trauer um den geliebten Vater, es waren andere Dinge, die ihr schwer auflagen. Frau Maria hätte sie gern in den Garten geschickt, wie die Woche vorher, wo sie fröhlich unter dem Obst arbeiteten, aber es war ein gründlicher Regentag mit herbstlichen Winden, was die trübe Stimmung noch erhöhte.
Am Nachmittag, als die Mutter mit den Mädchen bei der Handarbeit saß, fing Eva von der Tante Cäcilie an; sie erzählte, daß selbige nie sehr liebevoll mit ihr gewesen sei, sie habe sie, wenn sie zu Besuch gekommen sei, oft übersehen. Auch jetzt sei sie kurz angebunden gewesen, und dann habe sie ihr etwas gesagt, was sie nie gewußt. Sie habe von einer Großmutter gesprochen, die noch am Leben sein müsse. Es sollte doch versucht werden, diese ausfindig zu machen. Sie fragte nun Frau Dunker, ob sie je davon gehört habe, daß noch eine Großmutter von ihr lebe.
»Dein lieber Vater hat es flüchtig gegen uns erwähnt, doch da die Eltern nie zu dir davon gesprochen, haben wir es natürlich auch nicht getan.«
»Ich weiß nun auch, warum die guten Eltern mir nichts davon gesagt haben.«
Frau Dunker sah von ihrer Arbeit auf. »Du weißt es?« fragte sie.
»Es war«, fuhr Eva fort, »zu der Zeit ein Mädchen bei meinen Eltern, die sich später verheiratet hat. Sie hieß Minna, war sehr treu und den Eltern ergeben. Gegen mich war sie rührend gut, ich kann mich der Zeit, da sie bei uns diente, noch sehr wohl erinnern. Sie wohnt jetzt nicht weit von N. in dem nächstliegenden Dörfchen und war natürlich auch gekommen, als sie von Vaters Tod gehört hatte. Wie glücklich war sie, mich zu sehen und zu hören, daß ich es hier so gut habe. Nun kam Tante Cäcilie und fing von einer Großmutter an, ob Minna nicht wisse, wie sie heiße und wo sie wohne, sie sei doch damals dort gewesen, als ich von Belzers angenommen wurde.
Da sagte Minna ganz aufgeregt: ›Ich habe den Namen von der Frau lange vergessen, weiß auch nicht mehr, wo sie wohnt. Wenn aber das Kind noch einmal der Großmutter angeboten werden soll, dann will ich Eva selber behalten, das leide ich nicht. Nein, meine Eva, wenn wir noch so wenig haben, das Wenige teile ich gern mit dir, zu der bösen Frau darf dich niemand bringen.‹ Sieh, Tante Maria, so steht es mit mir, ich habe niemand Verwandtes auf der Welt, der mich haben möchte.«
»Und wir behalten dich gern, mein liebes Kind. Du sagst nun, wie unsere Kinder: Vater und Mutter, es ist kein Unterschied mehr zwischen dir und unseren Kindern. Bis Ostern bleibst du zu Hause, bis dahin sehen wir, was weiter wird. Nun wollen wir die Sache ruhen lassen und über nichts weiter grübeln und nachdenken. Du bist unser Kind und bleibst unser Kind, alles andere wird sich mit der Zeit finden.«
Gretchen, welche die ganze Unterredung mit angehört hatte und innerlich froh war über das, was die Mutter zuletzt sagte, wurde eben von Rieke hinausgerufen. Ihre Abwesenheit benutzte Eva, Frau Maria noch eins zu fragen.
Sie kam näher, schmiegte sich an sie und sagte: »Werden auch alle damit einverstanden sein, daß ich euer Kind werden soll?« »Natürlich, Eva, wir haben dich doch alle lieb.« »Ja, von denen, die hier sind, weiß ich es. Aber ich meine, ob euer ältester Sohn nichts dagegen haben wird, wenn ich ganz hierbleibe. Es war doch früher etwas anderes, als es nur auf ein Jahr abgesehen war.«
»Darüber kann ich dich ganz beruhigen. Gerade heute morgen hatten wir einen sehr hübschen Brief von ihm. Ich vergaß dir zu sagen, daß er dir seine herzliche Teilnahme aussprechen läßt. Der plötzliche Tod des Herrn Belzer habe ihn sehr erschüttert, schreibt er, er freue sich aber, daß wir den Entschluß gefaßt hätten, dich ganz als unser Kind anzunehmen.«
Eva konnte es nicht wehren, daß ihre Tränen aufs neue flossen. Frau Maria aber nahm sie in ihre Arme und sagte: »So, Evchen, nun siehst du, daß wir dich alle gern hier haben, nun mache dir keine Skrupel mehr, und wenn mein Mann heute abend kommt, rede ihn mit ›lieber Vater‹ an.«
»Liebe, gute Mutter«, gab Eva zur Erwiderung, küßte die Mutter leidenschaftlich und lief dann in ihr Stübchen, um dort Gott dem Herrn zu danken, daß er ihr wieder so gute Eltern geschenkt hatte.