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Nähert man sich vom Meer her den Städten Rostock, Wismar, Stralsund, so sieht man ihre Kirchen wie schwimmende Burgen, von denen aus ein Geschlecht von Riesen das grenzenlose Reich beherrschte. Die Westfalen, Rheinländer, Friesen und Holländer, die ihre Heimat verließen, um sich im slawischen Lande, von slawischen Fürsten gerufen, anzusiedeln, besiegelten mit diesen Kolossen den Bund, den sie mit ihrem Gott geschlossen hatten, dem Gott, der sich mächtiger als die slawischen und nordischen Götter erwiesen hatte. Wie ein Urelement stehen sie da, die Sankt Marien und Sankt Nikolaus, alt und unvergänglich wie der Sturm und das Meer und die Nacht, triumphierend über die flüchtigen Menschen, deren Gräber in ihren Gewölben zerfallen. Und doch waren es diese heimatlosen Menschen, die sie bauten, damit sie das Heiligtum ihrer neuen Heimat würden.
Außerordentlich schnell brachten die günstige Lage und die Tüchtigkeit der Einwanderer die Küstenstädte an der Ostsee zur Blüte; entstanden am Ende des 12. Jahrhunderts, waren sie schon nach fünfzig Jahren zu wohlhabenden, wirkungsvollen Gemeinwesen geworden, in deren Häfen eigene und fremde Schiffe vor Anker lagen. Denn Handel war es, der sie reich machte, Kaufleute waren es, die den Kern der Bevölkerung ausmachten und sie leiteten. Aus ihnen bildete sich ein Patriziat, das die stolzen Häuser am Markt, in der Nähe des Rathauses erstellte, während die Gewerbsleute in besonderen Quartieren um eine eigene Kirche herum bescheidenere Häuser bewohnten. Wie im Süden wuchsen auch im Norden die Städte zu Gruppen zusammen, je nachdem politische und wirtschaftliche Interessen sie verbanden. Sämtliche an der Ostsee oder nahe der See gelegene Städte vereinigte das Bedürfnis, das östliche Meer zu beherrschen und fremde Völker davon auszuschließen.
Die Kölner, die Wein nach England brachten und Wolle von England ausführten, gründeten schon im 12. Jahrhundert eine Niederlage in London, welche die Gildehalle genannt wurde und sich bedeutender Privilegien von Seiten der englischen Regierung zu erfreuen hatte. Die homines imperatoris, Leute des Kaisers oder die Männer von der deutschen Hanse, wie sie später genannt wurden, brachten, wie alle Deutschen, ihr heimisches Recht mit ins Ausland und regierten und verwalteten sich danach; an ihrer Spitze standen zwei Aldermänner, von denen der eine ein Deutscher, der andere ein Engländer sein mußte. Sie hatten die Verpflichtung, ein Tor der Mauer, das Bischofstor, zu bewachen, ein Beweis, wieviel Vertrauen man ihnen schenkte. Noch älter war die Vereinigung deutscher Kaufleute auf der Insel Gotland; ihr Einfluß war so groß, daß der Rat der Stadt Wisby aus Goten und Deutschen bestehen mußte. Sie führten im Jahre 1229 ein eigenes Siegel. Im 12. Jahrhundert traten sie an die Stelle der Gotländer in Nowgorod, wo diese hundert Jahre früher eine Niederlage gegründet hatten; es war der östlichste Punkt des hansischen Handelsgebietes. Dazu kam ein Kontor in Brügge, das im 13. Jahrhundert und eins in Bergen, das im 14. Jahrhundert entstand. Namentlich in den skandinavischen Ländern spielte das deutsche Element eine bedeutende Rolle. König Magnus von Schweden erließ ein Gesetz, wonach die Deutschen in den schwedischen Städten dieselben Rechte genießen sollten wie die Eingeborenen; die Hälfte der Bürgermeister und Ratsherren sollten Deutsche sein. Stockholm war überwiegend deutsch, betrachtete sich als Hansestadt. Norwegen war von den Getreidelieferungen aus Deutschland abhängig, das Gewerbe war in allen skandinavischen Ländern so unentwickelt, daß sie der Einführung deutscher Waren durchaus bedurften. Außer den dreißig Höfen deutscher Kaufleute am Hafen, der sogenannten Deutschen Brücke, gab es in Bergen eine große Anzahl deutscher Handwerker, deutsche Schuhmacher genannt, weil diese überwogen. In diesem Bezirk war Raub und Mord nichts Seltenes, woran zum Teil die Rauflust der Deutschen schuld war und der Hochmut, mit dem sie auf die Nordleute herabsahen.
Je mehr sich die Rats Verfassungen in den Städten ausbildeten, was etwa um 1300 vollendet war, desto mehr strebten die Städte danach, die auswärtigen Kontore der Kaufleute sich unterzuordnen. Im Jahre 1356 erschienen Vertreter von Lübeck, Hamburg, Stralsund, Dortmund, Soest, Thorn, Elbing, Wisby und den livländischen Städten in Brügge, geführt vom Bürgermeister Heinrich Pleskow von Lübeck, und faßten einen darauf bezüglichen Beschluß. Bald danach hieß es nicht mehr die Männer von der deutschen Hanse, sondern die Städte von der deutschen Hanse; das Wort, das ursprünglich sich auf die deutschen Kaufleute bezogen hatte, die im Ausland Handel trieben, wurde zu einer Bezeichnung für die handeltreibenden Städte des deutschen Nordens. Dieser Wechsel war für die Kaufleute ein Gewinn, insofern sie einen stärkeren Rückhalt bekamen; aber sie wurden auch mehr in die Verwicklungen ihrer Städte mit dem Ausland hineingezogen.
Es kann in Erstaunen setzen, daß die Städte die Nord- und Ostsee beherrschen konnten, wenn man bedenkt, daß das staatliche Leben in England bereits hoch entwickelt war. Auch wurden unter Eduard III. Bemühungen zur Hebung des englischen Kaufmanns angestellt, die sich natürlich gegen die Hanse richteten; aber sie zu entbehren war doch noch nicht möglich. Noch war England vom Kapital der deutschen Kaufmannschaft so abhängig, daß die englische Königskrone längere Zeit an Dortmunder Kaufleute versetzt war. Ferner war der englische Handel durch Englands hundertjährigen Krieg mit Frankreich gelähmt. Es zeigte sich, wie günstig für die deutschen Städte die lockere Verfassung des Reiches war, die den einzelnen Gliedern eine selbständige Entfaltung ermöglichte, indem sie nicht gezwungen waren, an allen Schicksalen eines Gesamtstaates teilzunehmen. Obwohl unter den Hansestädten, abgesehen von Mühlhausen und Nordhausen, die wenig in Betracht kamen, nur eine, nämlich Lübeck, Reichsstadt war, so waren die niederdeutschen Seestädte doch, wenn auch Fürsten Untertan, Republiken. Den Schutz, den ein mächtiger Staat verleihen kann, entbehrten sie. Umgeben von Feinden und Nebenbuhlern, hatten sie keinen Freund als etwa irgendeinen Fürsten, der mit einem anderen in Fehde geraten war und deshalb den Bund mit den Städtern suchte. Sie wußten, daß das nur vorübergehend sein konnte; denn während die Streitfälle zwischen den Fürsten ausgeglichen werden konnten und wurden, blieb der Gegensatz zwischen den Fürsten und Städten bestehen. Es ist bewundernswert, daß sie in einer so gefährdeten Lage ungefähr 200 Jahre lang die Vorherrschaft auf der Ostsee halten konnten. Sie verdankten diesen Sieg teils der Schwäche ihrer Gegner, mehr noch ihrer Umsicht und Tüchtigkeit auf allen Gebieten.
Am reinsten ist das hansische Genie in Lübeck zur Entfaltung gekommen. Die Ursache davon ist vielleicht, daß Lübeck Reichsstadt und Bischofsstadt war, daß es von den edlen Säften einer mannigfaltigen Kultur gespeist war. Die Bevölkerung von Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald war in der Hauptsache westfälisch wie die Lübecks, wenn auch vielleicht mehr gemischt. Daß sie so verschieden von Lübeck waren, ist nicht aus dem Stammescharakter zu erklären, selbst wenn man annimmt, daß ein Zuschuß wendischen Blutes namentlich in die Handwerkerkreise der östlichen Städte eingedrungen sei. Sie waren mehr als Lübeck Kolonialstädte, schnell aus dem feuchten slawischen Boden aufgeschossen, angesichts des Meeres, nur der Meereshantierung zugewendet. Es kamen Jahre, wo sich Stralsund neben Lübeck als Haupt der Hanse betrachten konnte; aber seine Größe behielt immer etwas Wikinghaftes, Unbändiges, Unberechenbares. Das zeigte sich auch in den Führern. Bertram Wulflam, der während erfolgreicher Jahre hansischer Herrschaft an der Spitze von Stralsund stand, wurde als Greis durch das mit der finanziellen Verwaltung unzufriedene Volk gestürzt. Die Verwaltung war in der Tat anfechtbar. Ein strenger Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Vermögen wurde nicht gemacht. Die meisten fühlten sich wohl im großen Sinne eins mit der Stadt, feilschten nicht mit ihrem Leben und Gut, wenn es das Wohl der Stadt galt, schöpften dafür aber auch aus dem Vermögen der Stadt, was sie brauchten. Bertram Wulflam brauchte viel, mehr noch brauchten seine Söhne; das, glaubten sie, komme ihnen zu. Durch den Stolz, mit dem er die Zumutung ablehnte, Rechenschaft über die Finanzverwaltung abzulegen, reizte der alte Wulflam die empörte Menge. Vor dem Tode schützte ihn der Anführer der Aufständischen, der junge Bürgermeister Carsten Sarnow, ein Mann aus dem Volke, der durch einen glänzenden Sieg über die Seeräuber zu Ansehen gekommen war; in Fässern, aus denen ihre Köpfe hervorstarrten, hatte er die Gefangenen auf den Markt von Stralsund gebracht. Den Leichnam des alten Wulflam, der in der Verbannung starb, führten seine Söhne zurück und setzten ihn auf den Stuhl, den er bei den Ratssitzungen eingenommen hatte, um ihm öffentlich seine Ehre zurückzugeben. Karsten Sarnow wurde gerädert; so schnell opferte das Volk seinen Liebling. Bertram Wulf lams Sohn Wulf wurde Bürgermeister und zeichnete sich in der Führung hansischer Geschäfte aus; aber durch Hochmut, Verschwendung und Wildheit machte ersieh zu Hause verhaßt. Er starb ermordet, weil der Sohn eines Freundes, mit dem er sich verfeindet hatte, und den er umbrachte oder umbringen ließ, die Blutrache vollzog. Bald ging dies königliche Geschlecht in Elend und Schande unter.
Die großen Bürgermeister von Lübeck, Johann Pleskow, Heinrich Westhof, Heinrich Rapesulver, waren Männer ganz anderer Art. Sie ließen die Leidenschaften nicht über sich zusammenschlagen, sie berechneten ihre Kräfte und die Kräfte der anderen und handelten danach. Vor allem hatten sie die Fähigkeit, politische Gedanken zu fassen und durchzuführen. Die Lübecker Herren beherrschten andere, weil sie sich selbst beherrschten, sie machten so sehr den Eindruck von Überlegenheit, daß sich die Städte willig ihrer Leitung unterwarfen: Lübeck wurde das anerkannte Haupt der Hanse. Irgendeine Machtbefugnis wurde ihm nicht eingeräumt: sein persönliches Schwergewicht war seine Macht. Die tatenreiche Gemeinschaft der Hanse war auf den guten Willen ihrer Mitglieder angewiesen; keine Verfassung, keine Urkunde, kein Gesetz, nicht einmal eine gemeinsame Kasse hielten sie zusammen. Als im Jahre 1418 auf einem großen, von 55 Städten besuchten Hansetage ein zwölfjähriges Bündnis, eine sogenannte Tohopesate geschlossen wurde, glaubten die Städte selbst, es gebe eine Gründungsurkunde, die sich aber natürlich nicht fand. Das Entstehen der Hanse war eine Folge der Verbindungen der Kaufleute im Auslande, der im Mittelalter herrschenden Neigung zu genossenschaftlichen Bildungen, die die Neigung zur Bewahrung individueller Besonderheit und Selbständigkeit ergänzte. Alle Städte nahmen in Nöten die Hilfe benachbarter Städte in Anspruch, sprangen auch wohl notleidenden Städten hilfreich bei, aber sie haßten es, sich zu binden und den gemeinsamen Interessen regelmäßige Opfer zu bringen. Daß jeder sich selbst der Nächste sei, wurde als ein heiliger Grundsatz angesehen. »Es were unsir schade czu gros«, sagten einmal die preußischen Städte, »sulde wir unsir und unsir stete gut so grobelich in den gemeinen nutz usgeben.« Der gemeine Nutzen wird hier offenbar als ein verächtlicher Irrweg betrachtet. Auch Köln, das im Bewußtsein seiner rühmlichen Geschichte sich überhaupt zurückhaltend benahm, sagte gelegentlich, es sei unerhört, daß es um des gemeinen Besten willen auf Sonderrechte verzichten solle. Daß trotzdem große gemeinsame Leistungen vollbracht und gemeinsame Erfolge errungen wurden, kam daher, daß gemeinsame Interessen vorhanden waren, sich geltend machten und entsprechende Maßnahmen bewirkten, dann aber war es der Klugheit, Stetigkeit und Willenskraft Lübecks zu danken.
Eines der hansischen Kontore schrieb einmal an die Stadt Danzig: »Ihr Herren mögt euch merken, wenn der Kaufmann betroffen wird, dann verliert niemand mehr als ihr Herren von den Städten, denn ihr seid der Kaufmann!« So war es wirklich; wenn die Kaufmannschaft den Städten im ganzen Reich den Charakter gab, so war das ausdrücklich in den niederdeutschen Seestädten der Fall. Das Interesse des Handels einschließlich der Gewerbe, die dem Handel zugrunde lagen, beherrschte die Politik. Dementsprechend war der Grundsatz Lübecks, dessen Regenten Grundsätze aufstellten und befolgten, mit allen Mitteln den Frieden zu erhalten und das, was im Interesse des Handels zu fordern war, durch diplomatische Verhandlungen zu erreichen. Verfingen diese nicht, so wurde das Mittel der Handelssperre angewendet, das in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Flandern so bald zum Erfolg führte. Zum Kriege entschloß man sich nur, wenn das Interesse des Handels auf keinem anderen Wege gewahrt werden konnte, dann aber wurde er energisch, mit Anspannung aller Kräfte betrieben. Ein solcher Fall trat ein, als im Jahre 1340 König Waldemar Atterdag in Dänemark zur Regierung kam. Es wiederholte sich mehrmals, daß die Könige des Nordens mit Hilfe der deutschen Seestädte ihren Thron eroberten und sich gegen sie wendeten, sobald sie sich sicher fühlten. Das lag in der Natur der Tatsachen, dem Kampfe Dänemarks und der Städte um die Beherrschung des Baltischen Meeres. Der begabte und tatkräftige Waldemar, der die Städte verachtete und nach der Art der Territorialfürsten seiner Zeit die Kräfte des Landes in seiner Hand vereinigt hatte, unternahm es, den gesunkenen Einfluß Dänemarks wiederherzustellen. Nacheinander nahm er Helgoland, Schonen, Wisby. Durch die Besetzung Helgolands fühlte sich Hamburg bedroht, der Verlust der deutschen Niederlassungen auf Schonen, wo die Heringe, damals ein Volksnahrungsmittel, in Massen gefangen wurden, bedeutete eine unleidliche Einbuße. Die Eroberung des alten, mächtigen Wisby mit seinen 48 Türmen und 18 Kirchen, von denen die Marienkirche, die Kirche der Deutschen, noch vollständig erhalten ist, war ein eindrucksvolles Ereignis, das die Sage ausschmückte. Waldemars mit Beute beladene Schiffe soll ein Sturm im Meer versenkt haben; man glaubte die Karfunkelsteine, die, in die Fensterrosetten der Nikolaikirche eingelassen, den Schiffen als Leuchte gedient hatten, zuweilen aus der Tiefe des Meeres hervorglühen zu sehen. Obwohl der König die Freiheiten der berühmten Stadt nicht antastete und sie nach wie vor nicht als dänische, sondern als Hansestadt betrachtete, verlor sie seitdem an Bedeutung und wurde schließlich zu einem Stützpunkt für Seeräuber.
Als sich Waldemars Absicht, die Deutschen aus dem Baltischen Meere zu verdrängen, so klar gezeigt hatte, bestand Lübeck auf ernstlichem Zusammenschluß der Hansen und fand auch dafür Verständnis. In Greifswald kam es zu einem Bündnis der Städte Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Anklam, Stettin, Kiel, Bremen, Kolberg mit den Königen von Schweden und Norwegen und zum Beschlüsse des Krieges gegen Dänemark. Zuerst erlitten die Verbündeten eine Niederlage sowohl in der Seeschlacht wie in der Diplomatie; denn Waldemar zog die beiden Könige auf seine Seite und vermählte sogar seine Tochter Margarethe mit Hakon von Norwegen. Ein anderer Fürst ersetzte sie, Albrecht von Mecklenburg, der Anspruch auf Schweden erhob und wohl wußte, daß er ihn ohne die Hilfe der Städte nicht durchsetzen konnte. Auf zwei großen Hansetagen in Lübeck und Köln 1366 und 1367 vereinigten sich die Städte zu energischem Handeln; die Bürgermeister von Lübeck und Stralsund, Jakob Pleskow und Bertram Wulflam, traten dabei am meisten hervor. Bald darauf war Dänemark in den Händen der Verbündeten, und während Waldemar, um Bundesgenossen zu werben, auf dem Festland herumreiste, mußte der dänische Reichsrat einen Frieden eingehen, durch den das Übergewicht der Hansestädte in der Ostsee nicht nur wiederhergestellt, sondern verstärkt wurde. Sie erhielten ein Verkehrsprivileg, das alle im Bunde befindlichen Städte umfaßte, und es wurden ihnen zur Sicherung der Bedingungen die vier wichtigsten Sundschlösser, nämlich Helsinborg, Skannör, Fälsterbo und Malmö, auf 15 Jahre übergeben. Außerdem wurde den Städten bei der Wahl von Waldemars Nachfolger eine entscheidende Stimme zugestanden. Dem König blieb nichts übrig, als den für ihn so unglücklichen Frieden zu bestätigen. Er starb fünf Jahre später auf dem Schloß Gurre am Meere, von dem noch geringes Gemäuer übriggeblieben ist. Er war der Letzte vom Stamme des Sven Esthridson, der im 11. Jahrhundert Freund Adalberts von Bremen war.
Es ist bezeichnend für die damalige Auffassung von Nationalität, daß der treueste Freund und Anhänger Waldemars der Herzog Erich von Sachsen war, der ihn auf allen seinen Feldzügen begleitete. Da Herzog Erich zugleich mit der Stadt Lübeck befreundet war, trafen sie ein Übereinkommen, wonach der Herzog Waldemar auf dem Meere unterstützen durfte, zu Lande aber Frieden mit Lübeck halten wolle. Auch der deutsche Adel auf Rügen, die Putbus, Moltke, von den Lanken, stand im Dienste Waldemars, seine sagenhafte Geliebte, die Tove Lille, soll eine Putbus gewesen sein; allerdings hatte der Herzog von Pommern erst kürzlich Rügen vom Kaiser zu Lehen genommen. Waldemar selbst fühlte sich als deutscher Fürst. Im Jahre 1363, demselben, in welchem in Lübeck der Bürgermeister Johann Wittenborg hingerichtet wurde, weil man ihm die Schuld an der erlittenen Niederlage zuschrieb, weilte Waldemar als Gast in Krakau bei der Hochzeit Kaiser Karls IV. mit der jungen, schönen und starken Elisabeth von Pommern, einer Enkelin König Kasimirs des Großen von Polen, die der königliche Blaubart nach dem Tode seiner dritten Frau, Anna von Schweidnitz-Jauer, heimführte. Er begleitete nach der Hochzeit Karl nach Prag und ließ sich von ihm eine Urkunde bestätigen, durch die der Kaiser ihm vor 14 Jahren die Reichssteuer der Stadt Lübeck zugesprochen hatte. Nach Ablauf der vertraglich ausgemachten 15 Jahre bestand Lübeck trotz des Widerspruchs mancher Städte darauf, daß die Sundschlösser Dänemark übergeben wurden, worüber die Königin so froh war, daß sie eine Wallfahrt nach Aachen unternahm. Lübeck suchte die Handelsprivilegien der Hanse nicht mit Gewalt, sondern durch gute Beziehungen zu Dänemark zu erhalten und war bis zu solchem Grade entgegenkommend, daß ihm die Dänenfreundschaft zuweilen als Verrat vorgeworfen wurde. »Gy van Lubeke, zi zynt Densch!« riefen einmal die preußischen Städte, »Sla dot de vorreder van Lubeke, wente ze hebben den Denschen got!« Mit der Königin Margarete, Waldemars großer Tochter, blieben sie in gutem Einvernehmen, selbst als sie Schleswig, mit dem sie im Anfang ihrer Regierung den Grafen Gerd von Holstein erblich belehnt hatte, wieder an sich nehmen wollte, nachdem die Dithmarscher im Jahre 1404 den Grafen erschlagen hatten. Ein letzter Erfolg glückte ihr, indem sie Flensburg einnahm; dann starb sie auf ihrem Schiff im Hafen vor Flensburg an der Pest. Trotz Hamburgs Unwillen über die Besetzung Schleswigs und obwohl die unteren Volksschichten Lübecks den Krieg gegen Dänemark verlangten, blieb der Rat bei seiner zurückhaltenden Vermittlungspolitik. Der Kampf um Schleswig zog sich, von Stillständen unterbrochen, jahrelang hin, bis der drohende Abfall Schwedens den Nachfolger der Margarete nachzugeben bewog. Infolge des Friedens vom Jahre 1435 blieb das Herzogtum Schleswig in den Händen des Grafen von Holstein, ohne daß die Frage der Lehensabhängigkeit von Dänemark berührt wurde. Etwa zehn Jahre vorher hatte der Kaiser Schleswig den Grafen von Holstein aberkannt und dem König von Dänemark zugesprochen.
Als Margarete im Kampf um Schleswig vor Flensburg starb, standen in Lübeck nicht mehr die Männer an der Spitze der Stadt, die mit ihr zu verhandeln pflegten, Jordan Pleskow, Heinrich Westhof; es hatte eine Umwälzung stattgefunden, die die Ämter ans Regiment gebracht hatte. Ganz anders ging es dabei zu als in Stralsund, obwohl auch in Lübeck der Rat sich weigerte, auf die Selbstergänzung zu verzichten. In würdiger Weise suchte er die Angreifer zu überzeugen, daß die Interessen der Stadt und der Hanse Schaden leiden würden, wenn das bisherige Vertrauensverhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft zerstört wurde, daß auf der alten Verfassung das Ansehen Lübecks als Haupt der Hanse beruhe, und da diese Vorstellung nichts fruchtete, gingen 15 Ratsherren mit ihren Familien in die Verbannung, teils nach Hamburg, teils nach Lüneburg. Sie bemühten sich dort um die Vermittlung des Kaisers; es war zuerst Ruprecht von der Pfalz, dann Sigismund, der die norddeutschen Verhältnisse nicht genügend kannte, auch zu sehr sein Ziel, bei jeder Gelegenheit Geld zu machen, im Auge hatte, um schnell und durchgreifend helfen zu können. Was die Emigranten zurückführte, war der Gang der äußeren Verhältnisse, der Krieg mit Dänemark, den die Volkswut herbeizuführen drohte. In der schwierigen Lage wurde der demokratische Rat seiner diplomatischen Unbehilflichkeit inne und trat freiwillig zurück; ebenso einsichtig verhielt sich der alte aristokratische Rat, indem er auf jede Rache, wie sie sonst üblich war, verzichtete, sogar einige Mitglieder des neuen Rates in den alten aufnahm. Hernach aber setzte Lübeck den Beschluß eines Gesetzes durch, wonach Aufruhr gegen den Rat in allen Hansestädten mit dem Tode oder mit Verbannung bestraft werden sollte.
In demselben Jahre, als Waldemar Atterdag starb, besuchte Karl IV. mit seiner Frau Elisabeth von Pommern Lübeck. Seit Friedrich I. war kein Kaiser mehr dort gewesen; als Markgraf von Brandenburg hatte Karl wieder Interesse für den Norden. Wie wenig tatsächliche Hilfe auch Karl oder irgendein anderer Kaiser der stolzen Stadt geleistet hatte, das reichsstädtische Verhältnis war wichtig, und der Einzug wurde mit feierlichem Gepränge aufgeführt. Als der Kaiser die Regierenden »Ihr Herren« anredete, lehnten sie diese Betitelung als ihnen nicht zustehend ab. »Ja, ihr seid Herren«, sagte der Kaiser, und es ist anzunehmen, daß er den Städtern nicht schmeicheln wollte, daß sie ihm wirklich imponierten. Der deutsche Kaufmann des Nordens hatte das Zepter der Ottonen und der Salier ergriffen, er verwirklichte, wenn auch in anderer Weise, die Träume des unglücklichen Erzbischofs Adalbert. Er stand am hohen Bord der Schiffe, die das Meer beherrschten, seine trauliche, drollige, kernige Sprache herrschte in den Verhandlungen und Verträgen mit dem Auslande. Daß die Hanse die mit dem Stralsunder Frieden von 1570 erreichte Höhe nicht überschritt und sich doch fast noch 200 Jahre auf ihr erhielt, ist etwas Außerordentliches, um so mehr, als die Umstände immer ungünstiger wurden. Sie erreichte ihr Ziel nicht in der Art, wie die damaligen Territorialfürsten ihre Macht aufbauten, nicht durch straffes Anspannen und oft Erschöpfen aller Kräfte, namentlich der finanziellen, eines untergebenen Landes, nicht durch Zentralisation, sondern durch das dem Mittelalter eigentümliche Mittel: genossenschaftliches Zusammenwirken bei vollkommener Wahrung der individuellen Interessen und Besonderheiten.