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Als Heinrich IV. im Jahre 1073 vor den Sachsen fliehen mußte, als der Papst ihn gebannt, der Erzbischof von Mainz ihn abgesetzt hatte, als er krank und verlassen in Ladenburg sich aufhielt, kamen Bürger von Worms zu ihm, um ihn feierlich in ihre Stadt einzuholen. Sie kamen in Wehr und Waffen, um ihm zu zeigen, daß eine Mannschaft vorhanden sei, die es mit vielen Feinden aufnehmen könne. Hatten sie doch schon die bischöflichen Krieger aus der Stadt verjagt und hätten sie doch auch den Bischof selbst gefangengenommen, wenn er nicht entflohen wäre. Sie gelobten dem Kaiser Treue, sie besteuerten sich selbst, um die Kriegskosten zu decken; ohne sein Zutun gewann er eine ummauerte Stadt als Zufluchtsort, ein zuverlässiges Heer, das Gut und Blut für ihn zu opfern bereit war.
Dieselbe Stimmung wie in Worms herrschte in Köln, der Stadt des Erzbischofs Anno, der eine Zeitlang während der Minderjährigkeit Heinrichs das Reich regiert und den königlichen Knaben allzu rücksichtslos bevormundet hatte. Jenseits der alten Römermauer im Osten der Stadt, in der Richtung auf den Rhein, war in Köln der Markt entstanden; denn zur Beförderung der Güter benutzte man wo möglich die Wasserstraßen, und namentlich der Fernverkehr mußte sich in der Nähe des Stromes abspielen. Dort war seit alters die Judenstraße. Zwischen ihr und der Kirche und dem Kloster Groß-Sankt-Martin befand sich der Alte Markt, auf dem Lebensmittel und gewerbliche Erzeugnisse zum Verkauf ausgestellt waren, und wo die Handwerker wohnten; weiter südlich gegen Sankt Maria im Kapitol erstreckte sich die größere Hälfte des Marktes, den die stattlichen Häuser der reichen Kaufleute umgaben. Während der erste Dom bis ins neunte Jahrhundert im Westen der alten Römerstadt gestanden hatte, befand sich nun, im elften, ein neuer in ihrer nordöstlichen Ecke, nicht weit vom Markt, daneben eine königliche Pfalz und die erzbischöflichen Wohngebäude. Am Osterfeste des Jahres 1074 hatte der Erzbischof Besuch von seinem Freunde, dem Bischof von Münster. Als dieser heimzufahren wünschte, schickte Anno Diener in die Rheinvorstadt mit dem Auftrage, das Schiff eines Kaufmannes zu diesem Zwecke bereitzumachen. Das Recht, Schiffe der Kaufleute für ihre persönlichen Zwecke zu beschlagnahmen, stand den Stadtherren in der Regel zu, und es ist möglich, daß man einem beliebten Herrn, der in freundlicher Weise um ein Schiff gebeten hätte, willfährig entgegengekommen wäre; wahrscheinlich aber ist, daß das Recht zu den bestehenden Verhältnissen nicht mehr paßte, daß es lange nicht in Anspruch genommen war, daß Annos Betonung der Herrschaft überhaupt unwillig ertragen wurde und daß es viele gab, die gern einen Anlaß ergriffen, sich dem Erzbischof zu widersetzen. Der Sohn des Kaufmanns, dessen Schiff Anno benutzen wollte, weigerte sich, es den Dienern zu überlassen, heftige Worte wurden gewechselt, Streit entstand, und der entrüstete Erzbischof drohte mit strenger Strafe, wodurch er das Selbstbewußtsein der Kaufleute noch mehr reizte. Zweierlei zeigte sich: daß der Unwille gegen den Stadtherrn die ganze Bevölkerung beherrschte und daß die reichen Kaufleute einen bedeutenden Einfluß auf sie ausübten, denn es gelang dem Kaufmannssohn und seinen Gefährten rasch, einen Aufstand gegen den Erzbischof zu erregen. Eine wütende Masse stürmte gegen den erzbischöflichen Hof und in die Kirche, ein Mann, den man für den Erzbischof hielt, wurde erschlagen. Zufällig hatte dieser kürzlich einem Geistlichen, dessen Haus an die Stadtmauer stieß, erlaubt, eine Tür darin anzubringen; durch diese entkam er. Auf dem Lande hatte er Vasallen und Anhänger, die bereit waren, ihn zurückzuführen und die aufrührerische Stadt zu züchtigen. Wenn es den Kaufleuten leicht gewesen war, einen Aufstand herbeizuführen, so trauten sie sich doch nicht zu, dem heranrückenden Heer zu widerstehen; sie unterwarfen sich und baten um Gnade. Ein Geschichtsschreiber der Zeit berichtet, 600 Kaufleute hätten aus Furcht vor der Rache des Beleidigten die Stadt verlassen. Ist die Zahl auch zu hoch gegriffen, so waren es doch sicher viele, die flüchteten, und daß sie den Erzbischof richtig beurteilt hatten, zeigte die Folge. Anno strafte härter, als man es mit der christlichen Milde eines Bischofs verträglich hielt: der Sohn des Kaufmanns und andere Rädelsführer wurden geblendet, Geldstrafen wurden verhängt, die Güter der Entflohenen wurden eingezogen. Indessen bedeutete die Verödung der Stadt durch die Abwesenheit ihrer reichsten Bewohner, die Stockung von Handel und Verkehr, für den Stadtherrn einen so empfindlichen Verlust, daß er schon nach einem Jahre die Entflohenen zurückrief und ihnen ihre Güter wiedergab. Der Kaiser, den sie nach ihrer Flucht aufgefordert hatten, die Stadt zu besetzen, war nicht darauf eingegangen, so folgten sie dem Rufe des Erzbischofs.
So bedürftig der Kaiser auch der Hilfe war, dachte er doch kaum auch nur einen Augenblick ernstlich daran, die Partei der flüchtigen Bürger zu ergreifen. Die Bürger waren nicht eins mit der Stadt, eher war es der Bischof; es war nicht geraten, aufrührerische Untertanen gegen mächtige Kirchenfürsten zu unterstützen, auf denen seit hundert Jahren die Macht des Königs hauptsächlich beruht hatte. Im Laufe eines Menschenalters aber gewann die Stadt als Gesamtheit der Bürger mehr und mehr Gestalt. Die Richerzechheit, die vereinigten reichen Kaufleute, die Schöffen, die Urteilfinder des erzbischöflichen Hochgerichts und die hohen Beamten des Erzbischofs näherten sich einander, und die Handwerker, die Gewerbetreibenden und Ackerbürger, die in der westlichen Stadt saßen, fühlten sich zu ihnen gehörig. Mehr gemeinsame Interessen wirkten sich aus zwischen den Bewohnern derselben Stadt als zwischen ihnen und dem Erzbischof, der oft abwesend war, der Dienste verlangte, und der besonders dann als gegensätzliche Macht erschien, wenn er sich gegen den Kaiser, die höchste Macht, wendete. Zwischen der Gemeinde, nämlich den Handwerkern und den Ackerbürgern, und den Kaufleuten, den erzbischöflichen Beamten und dem erzbischöflichen Dienstadel bildete sich ein Vertrauensverhältnis, in der Art, daß die Großen, die Reichen und Angesehenen, die man zusammenfassend die Geschlechter nannte, als Vertreter der Gemeinde und Träger des allgemeinen Willens angesehen wurden, wobei Voraussetzung war, daß sie in wichtigen Fällen die Willensmeinung der Gemeinde einholten. Es gab eine Bürgerschaft, die sich als Stadt fühlte, die auch ohne den Erzbischof als Ganzes, als die Stadt handelte.
Als im Jahre 1104 der Sohn Heinrichs IV., Heinrich, gegen seinen Vater ausgespielt und von den Fürsten zum König gewählt wurde, begab sich Heinrich IV. an den Rhein, wo er Anhänger hatte. Unter anderen Vorwürfen wurde auch der gegen ihn erhoben, daß er den Adel zurückgesetzt und Leute von niedriger Lebensstellung zu höchsten Ehren erhoben habe. Eine grundsätzliche Bevorzugung der Städte oder abhängiger Schichten läßt sich kaum bei Heinrich IV. nachweisen; aber die Bestrebungen des Gottesfriedens, die er in seinen letzten Regierungsjahren förderte, kamen allerdings den Bürgern und Bauern zugute, während der Adel die Friedenserrichtung als einen Eingriff in sein Fehderecht ansah. In Mainz, dessen Bischof zum neuen König übergangen war, wurde der alte Kaiser mit Jubel empfangen, die Bürgerschaft erklärte sich bereit, für ihn zu kämpfen. Dem Kaiser jedoch, den der nochmalige Abfall eines Sohnes schwer verwundet hatte, gab die Unternehmungslust der Städte keinen Aufschwung. Mit gebrochenen Schwingen schleppte sich der alte Adler, der in unzähligen Kämpfen und Stürzen nie ermattet war, jammervoll am Boden hin. Der Tod sickerte durch seinen Körper, wenn es auch niemand sah und er selbst es nicht wußte. Die Hilfe, die der Herzog von Nieder-Lothringen, der Bischof von Lüttich und die Städte am Rhein ihm stürmisch anboten, wehrte er müde ab; er wollte auf die Krone verzichten, er wollte keine Schlacht mit seinem Sohne, er glaubte nicht mehr an die Möglichkeit des Sieges. Allzu vertrauend ließ er sich von seinem Sohn zu einer Zusammenkunft bereden und wurde gefangengenommen. Nachdem es ihm geglückt war, zu fliehen, ging er nach Köln, wo die Geschlechter voll Teilnahme ihn wieder vergeblich zur Aufnahme des Kampfes zu ermutigen suchten; anstatt dessen folgte er einer Einladung des Bischofs von Lüttich. Unwillig mußten die Kölner erleben, daß der Gegenkönig, vom Erzbischof gerufen, in die Stadt einzog. Da begab es sich, daß der Herzog von Nieder-Lothringen und der Bischof von Lüttich über das Heer des Gegenkönigs einen Sieg erfochten und daß der an Erfolge nicht gewöhnte Kaiser noch einmal Mut schöpfte. Als sich Heinrich V. von Aachen aus, wohin er sich begeben hatte, nach Köln wandte, um dort Ostern zu feiern, verschloß ihm die Stadt, nun die Stadt der Bürger, die selbständige, selbstherrliche, dem alten Kaiser treu, die Tore. Aber inmitten dieses herrlichen Aufschwungs den Rhein entlang blieb Heinrich IV. müde und hoffnungslos; er sah, daß das Glück sich ihm zuwendete, aber sein Herz blieb schwer. Soweit gab er seinen Freunden nach, daß er nach Köln ging, sich mit der Bürgerschaft verbündete, die Befestigung leitete. Dem Gegenkönig, der im Sommer mit einem Heere anrückte, gelang es weder in die Stadt einzudringen, noch ihr den Strom zu sperren, noch sie an Ausfällen zu hindern; er brach die Belagerung ab. Die Stadt der Bürger hatte sich erprobt, und als der unglückliche Kaiser starb, setzte sie, obwohl ganz ohne Haupt, ein stolzes Glied des Reiches, dem König, der nun als der rechtmäßige galt, immer noch Widerstand entgegen. Soviel Achtung flößten die Herren von Köln Heinrich V. ein, daß er, als die Stadt dem Falle nah war, sie nicht bestrafte, sondern sie mit einer Geldzahlung Frieden und Versöhnung erkaufen ließ.