Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Waren auch viele Wälder gelichtet und viele Moore entwässert, noch immer gab es tagereisenweit Wildnis in deutschen Landen. Tagelang ging der junge Bayer Sturm, als er einen Platz für das Kloster suchte, das Bonifatius gründen wollte, durch Wälder und flocht bei Nacht einen Zaun um seinen Esel, um ihn notdürftig vor wilden Tieren zu schützen, und wenn es in den Zweigen raschelte und knackte, horchte er gespannt, ob ein Mensch oder ein Wolf oder Luchs sich heranschliche. An den Mündungen des Rheins, der Weser und Elbe überschwemmte das Gewässer oft weithin das Land, Sturmfluten brandeten über die noch nicht eingedeichten Ansiedelungen und rissen sie in die Tiefe. Im Herbst, im Winter und im Frühling, wenn die Wolken tief herabhingen, der kalte Wind heulte und Schnee und Regen die Wege zu Morast aufweichten, mochte dem Wanderer, der zu Fuß oder zu Pferde ein entferntes Ziel zu erreichen suchte, oft die Hand erstarren und das Herz erbeben. Nicht nur wilde Tiere, auch die wilden Menschen mußte er fürchten, Wegelagerer, Krieger, die zum Kampfe auszogen oder vom Kampfe zurückkehrten und ihren Übermut an jedem Beliebigen austobten, Feinde vielleicht, die die Gelegenheit wahrnahmen, einen alten Span auszutragen. Weit und breit kein Haus; die Dörfer, durch die man etwa kam, bestanden aus dürftigen, strohgedeckten Hütten aus Lehm und Holz. Zuweilen kam man wohl an festen, breiten Häusern freier Bauern oder an Gutshöfen vorüber, die Eschen und Eichen beschirmten, an denen ein Quell vorüberrieselte, und die wohlbestellte Äcker umgaben. Städte gab es noch wenige außer den alten Römerstädten am Rhein, Straßburg, Basel, Mainz, Köln, außer Augsburg am Lech und Regensburg an der Donau, und auch dort öffneten sich dem Wanderer zu Schutz und Herberge nur die Klöster, die es dort etwa gab.
Inmitten des wolkenverhangenen, wälderrauschenden, waffenklirrenden Landes gab es Bezirke, die der Friede Gottes erfüllte. Mochte draußen Krieg rasen, unter der täglichen Fron der Landarbeiter seufzen, Gewalt und Unrecht triumphieren, im Kloster glühte die Flamme ewiger Anbetung, beugten sich immer Knie vor dem Herrn, riefen immer inbrünstige Lippen den höchsten Namen an, legten Gottgeweihte das Geschick ihrer weltlichen Brüder an das Vaterherz im Gebet. Nach siebenstündigem Schlaf, eh noch der Tag zu dämmern begann, erhoben sich die Mönche vom Lager und betraten die Kirche, um das Lob des Allmächtigen zu beginnen. In festen Rhythmen begleitete die Musik den Psalm der Stunde des Tages, alle Gefühle des Herzens ergießend: die Klage über das Vergebliche der Lust der Welt, den düsteren Schmerz der Unzulänglichkeit und Schuld, das Rühmen und Danken, den Jubel des Glaubens, die Angst des Zweifels, das unstillbare Heimweh. Über die Wände der Kirche breitete sich in feierlichen Bildern die Geschichte vom Bunde Gottes mit der Menschheit aus. Man sah lieblich und herrlich zugleich die jungfräuliche Mutter mit dem Kinde, das, so klein es war, doch das Göttliche in sich faßte, man sah den Herrn am Kreuze und sah ihn in seiner Majestät unerbittlich am Jüngsten Tage die Bösen von den Guten sondern. Wer den geweihten Raum betrat, spürte die Gegenwart überirdischer Mächte. Die Knaben vornehmer Abkunft, die hier von den Eltern Gott dargebracht wurden, wußten, daß sie bestimmt waren, Krieger des höchsten Kriegsherrn zu werden, wenn sie auch keine Rüstung trugen. Stolz, spröde, keck beugten sie sich doch der Zucht ihrer Lehrer und des Abtes, die nach der Regel streng und milde, brüderlich und königlich sie regierten. Der Sehnsucht des germanischen Jünglings, einem Führer Gefolgschaft zu leisten, der im Kampfe voranging, konnten sie auch im Kloster Genüge tun. Je nach ihrer Begabung war ihnen das Kloster Universität, Kunstschule, Handwerkerschule, landwirtschaftliche Schule. Denn es war eine Welt im kleinen, alles, was gebraucht wurde, wurde im Kloster angefertigt, das über den Gebrauch hinaus Erzeugte ging zum Verkauf hinaus.
Im Klostergarten wurden Rosen, Verbenen, Nelken und andere Blumen des schönen Anblicks und des Duftes wegen gezogen, daneben Gemüse, Küchenkräuter und Pflanzen, denen Heilkraft zugeschrieben wurde: Lattich, Lauch, Erbsen, Petersilie, Minze, Lavendel und Thymian. Die reichen Klöster hatten auswärtige Besitzungen, oft von weither wurden dem Mutterkloster Erträge zugeführt. Das Kloster Reichenau bezog aus eigenen Gütern in Italien Wein und Öl. Hohe Gäste pflegten Schenkungen an Wild oder Fisch oder Wein zu machen, und der für die Gabe festgesetzte Tag wurde zum Festtag. Ekkehard IV. hat den Besuch geschildert, den der liebenswürdige König Konrad I. im Jahre 911 in Sankt Gallen machte. Während er in Konstanz die Weihnacht feierte, erzählte ihm der Bischof Salomon, der in Sankt Gallen erzogen war, von der Prozession, die an einem der folgenden Tage dort stattfinde, worauf der König ausrief: »Wären wir dort! Und warum, mein Herz, gehen wir nicht morgen früh hin?« Fröhlich fuhren sie zu Schiff den Rhein hinauf und wurden in Sankt Gallen mit Hymnen empfangen. Von den drei Freudentagen, die der König dort zubrachte, blieb der Tag der Unschuldigen Kindlein, der ein Tag besonderer Freiheit für die Klosterschüler war, allen die liebste Erinnerung. Der König, offenbar ein Kinderfreund, ließ den kleinen Burschen Obst hinschütten und staunte, als nicht einer sich rührte, um danach zu greifen, dann wieder nahm er sie auf den Schoß und legte ihnen Goldmünzen in den Mund und lobte lachend den einen, der das Gold voll Abscheu ausspie. Er speiste mit den Mönchen, bereicherte das bescheidene Mahl durch außergewöhnliche Zutaten, verbreitete fröhlich plaudernd gemütliche Stimmung und sagte später zum Bischof von Konstanz, das wenigstens war die Überlieferung des Klosters, er sei noch nie bei einem Gastmahl so heiter gewesen. Auch in die Gebetsverbrüderung ließ er sich aufnehmen, eine Einrichtung, zufolge welcher Laien nach erfolgter Zustimmung der Mönche eine gewisse Zugehörigkeit zum Kloster sich erwerben konnten, so daß die Mönche sie in ihr Gebet einschlossen, und sie das Recht hatten, vorübergehend im Kloster zu verweilen, wovon Fürsten und Adlige wohl am Ende ihres Lebens Gebrauch machten, um in geheiligten Räumen zu sterben.
Indessen, nicht dadurch allein sollte das Kloster einen Gegensatz zur Welt bilden, daß es eine Stätte des Friedens sei, während draußen Blut und Tränen vergossen wurden: Leiden und Entbehrung sollte der Grundton des mönchischen Lebens sein. Es sollte ein freiwillig übernommenes Leiden sein zum Zeichen der Nachfolge Christi; mit dem dreifachen Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams verzichtete deshalb der Mönch auf alles, woraus der Mensch die Genüsse zu schöpfen pflegt, auf Besitz, auf Liebe und Familie, auf den eigenen Willen. Im Kloster sollte ein Grundgedanke des Christentums verwirklicht werden: die Ausschaltung des Privateigentums. Auch nicht ein Buch, nicht einen Griffel sollte der Mönch zu eigen besitzen, allen sollte alles gemeinsam sein. Die meisten Kirchenväter stimmten darin überein, daß der Gemeinbesitz gut, von der Natur und von Gott gewollt sei, daß die Habsucht der Menschen das Sondereigentum eingeführt habe. Damit hing das Gebot der Ehelosigkeit zusammen, denn in der Familie bildet sich die Neigung aus, Vermögen zu erwerben und den Kindern zu vererben, wodurch es der Gemeinde entzogen wird. Dem germanischen Bauer, besonders dem sächsischen, der gern allein auf seinem Hof saß, war die kirchliche Lehre von der Gütergemeinschaft durchaus entgegengesetzt. Auch wurde das strenge Gebot im Kloster oft durchbrochen, da es immer solche gab, die etwas Eigenes zu verheimlichen wußten, worüber es dann zu häßlichen Zankereien kam. Allein wenn auch Heuchelei und Schwäche das Vorleben des christlichen Gedankens trüben und die Unmöglichkeit, ihn rein zu verwirklichen, beweisen mochten, er leuchtete doch von dieser Stätte in die von Habgier zerrissene Welt, einen Hafen allen denen öffnend, die ihm dienen wollten. Hier in diesem geheiligten Bezirk sollte das Gold nur dem Schmuck des Altars dienen, die weißen Hände des Mönchs sollten sich nie um eine erraffte Münze schließen, nur sich öffnen, um sie dem Bedürftigen auszuteilen. Das zur Erhaltung des Lebens Notwendige war da, gab es etwas darüber hinaus, wurde es mit Dank genossen, aber im allgemeinen sollte die Lehre der Kirchenväter gelten: wer etwas Überflüssiges hat, entzieht es dem Armen. Die Begabung sollte innerhalb der Gemeinschaft zwar anerkannt und gepflegt werden und sich entfalten, aber keinen Vorzug der Ehre oder der Einkünfte zur Folge haben. Alle standen unter gleichem Gesetz, wohnten gleich, nährten und kleideten sich gleich, einzig die Persönlichkeit, deren Wurzel sich menschlichem Eingriff entzieht, göttliche Prägung, die kein irdischer Despot verwischen kann, machte sich durch größeres Lieben und Geliebtwerden geltend, trotz aller Bestimmungen, die auch die Freundesliebe gegenüber der Nächstenliebe beschränken sollten. Soweit es menschliche Leidenschaft und menschliche Schwäche zulassen, wurde hier christliche Brüderlichkeit verwirklicht.
Nicht immer ertrugen die jungen Männer die Vergewaltigung, die ihrer Natur durch das Mönchtum angetan wurde, gutwillig. Oft waren es solche, die schon als Kinder durch Kränklichkeit, Zartheit, Neigung zum beschaulichen Leben, geistige Begabung für die klösterliche Laufbahn vorbestimmt schienen; war das nicht der Fall, so mußten die adligen Knaben, deren Väter und Brüder das Schwert führten, sich im Kriege auszeichneten, Abenteuer erlebten, hart mit sich ringen, bis sie inneren Frieden fanden oder wenigstens sich zu fügen lernten. Zwischen den Klostermauern versiegte manche Träne des Zorns, verhallte mancher Fluch der Verzweiflung. Nur zufällig ist uns das Schicksal des jungen Grafensohnes Wolo überliefert, der, um von ferne die blauen Berge zu sehen, dem Verbote trotzend einen Turm bestieg, stürzte und das Genick brach, im Sterben wohl das Geschick segnend, das ihn befreite. Unseliger endete der sächsische Grafensohn Gottschalk, der auf einem Konzil in Mainz Entlassung aus dem Kloster verlangte, weil er des mönchischen Lebens überdrüssig geworden war. Das Konzil, dem er selbst seine Sache vortrug, war weitherzig genug, seinem Gesuch entsprechen zu wollen, nicht so der Abt des Klosters Fulda, dem er angehörte, Hrabanus Maurus. Der Mann, den die Mit- und Nachwelt wegen seiner Kenntnisse und seiner Frömmigkeit bewunderte, zeigte sich Gottschalk gegenüber bis zur Grausamkeit starr. Er focht das Urteil des Konzils an, indem er sich darauf berief, daß die Gelübde der Eltern, die Kinder dem Kloster darbrächten, nicht gelöst werden könnten. Um Gottschalks Klage über Freiheitsberaubung zurückzuweisen, sagte er, man verliere seine Freiheit nicht, wenn man sich dem Dienste Christi weihe, was Gottschalk doch gar nicht getan hatte. Ludwig der Fromme gab, wie zu erwarten war, dem Abte nach, doch wurde Gottschalk gestattet, in ein anderes Kloster zu gehen, und er wählte Orbais in der Diözese Soissons. Mit der Heftigkeit eines aufgestauten Tatendranges vertiefte er sich in die Schriften des heiligen Augustinus und entdeckte die Lehre von der Gnadenwahl, die er kampflustig und trotzig zu verbreiten suchte als eine Wahrheit, die die Kirche der Christenheit vorenthalten habe. Er überzeugte manche, gewann namhafte Anhänger; aber da sich zwei mächtige Feinde gegen ihn verbündeten, sein alter Gegner, Hrabanus Maurus, der inzwischen Erzbischof von Mainz geworden war, und der gewalttätige Hinkmar, Erzbischof von Reims, beide starke Persönlichkeiten, gelehrt und herrschsüchtig, unterlag er. Durch Geißelhiebe zum Schweigen gebracht, verfiel er schließlich in Wahnsinn. Daß die Lehre von der Gnadenwahl als ketzerisch verurteilt wurde, entsprach dem klugen und milden Geist der katholischen Dogmatik, die den Laien vor dem Gift allzu tief bohrender Gedanken bewahren wollte; den persönlichen Haß, der sich in der Art, wie man ihn behandelte, erweist, mag zu einem Teil das stolze und rechthaberische Wesen des Unglücklichen, der um seine Lehre als um seine Rache kämpfte, verschuldet haben.
Anderen wurde der Zwang zur Läuterung, wie dem jungen Rhätier Viktor in Sankt Gallen, der sehr gelehrt, aber auch anmaßend und widerspenstig war, von seinen Feinden geblendet wurde, dann als Lehrer an die Schule des Bischofs von Straßburg kam und im Rufe der Heiligkeit starb. Für diejenigen, die angeborene starke Kräfte des Geistes und Gemütes nicht vom Irdischen auf das Himmlische übertragen konnten, wurde das Kloster zum Gefängnis; und als Gefängnis diente es auch absichtlich. Das war seine düstere, seine unheimliche Seite. Die Könige benutzten die Klöster, um gefährliche Gegner, etwa Anführer überwundener Völker oder Stämme oder Prätendenten aus der eigenen Familie, Brüder, natürliche Söhne, Neffen, verschwinden zulassen. So endeten Thassilo, der letzte bayrische Herzog aus der Dynastie der Agilolfinger, im Kloster Lorsch, König Lothar, der Sohn Ludwigs des Frommen, im Kloster Prüm in der Eifel.
Übte das Kloster auf die Widerstrebenden Kerkerdruck aus, so konnte es denen, die sich einordneten, zum Paradiese werden. Die regelmäßige Einteilung des Tages und der Nacht, der Wechsel zwischen Tätigkeit, beschaulicher Betrachtung und Gespräch wirkten beruhigend. Vor allen Dingen milderte das tröstende Wort des Freundes auch herbstes Leiden. Gab es neidische, gehässige, bösartige Mönche, so waren doch auch solche da, die durch Güte Frieden und durch Begabung Glanz über ihre Umgebung ausgossen. Dem Umstände, daß Schwaben von jeher Dichter erzeugte, ist es zu verdanken, daß uns Kunde denkwürdiger Persönlichkeiten überliefert ist, die die Zierde schwäbischer Klöster waren. In Sankt Gallen lebte Notker, der trotz seines Zungenfehlers ein verehrter Lehrer war, der strenge Zucht mit zärtlicher Fürsorge und Verständnis für jeden einzelnen zu vereinen wußte. Der zarte, magere Mann, dem doch die Kraft nicht fehlte, den Teufel zu überwinden, der ihm zuweilen nachstellte, liebte die jungen Wilden und hatte Nachsicht für die Überschäumenden; in seinen Armen, unter seinen gütigen Worten starb der trotzige Wolo, der ihn eben noch beleidigt hatte, und sein Liebling war der mutwillige Salomon, der später als Bischof von Konstanz der Prächtige und Glückliche genannt wurde. An künstlerischer Begabung war allen Tutilo überlegen. Er dichtete, malte, modellierte und komponierte, besonders bewunderte man sein Saitenspiel. Eine Elfenbeinschnitzerei von seiner Hand, die noch vorhanden ist, stellt den heiligen Gallus dar, wie er den Bären belohnt, der ihm Holz zuträgt. Er liebte die Natur und das Wandern, und seiner Künstlerschaft verdankte er, daß er oft an auswärtige Klöster berufen wurde, um Aufträge auszuführen. Von den schwäbischen Ekkeharden waren mehrere dichterisch begabt. Ekkehard I. war der Dichter des Walthariliedes, dem die lateinische Sprache leider den Stempel des Akademischen aufgedrückt hat, dessen Sequenzen und Hymnen den Gottesdienst zu verschönen bestimmt waren. Die überlieferten Anfangsworte: O martyr aeterni patris und Adoremus gloriosissimum lassen uns die feierliche Pracht dieser Gesänge ahnen. Ekkehard IV., der die Geschichte seines Klosters wie einen buntbebilderten Teppich vor uns ausgebreitet hat, dürfen wir als den ersten Novellendichter unserer Literatur betrachten, einen kundigen Menschendarsteller, einen nachdenklichen, liebreichen und humorvollen Zuschauer des Lebens. Ekkehard II. unterschied der Beiname Palatinus, der Höfische; er war ausgezeichnet durch Schönheit, vornehme Haltung und die Überlegenheit, die das Bewußtsein gefälliger Erscheinung, Klugheit und kühle Gemütsart verleihen. Er mußte der Herzogin Hadwig von Schwaben den Virgil erklären und es scheint, daß sie mehr Zuneigung für ihn hatte, als er erwiderte. Er besaß eine besondere Kunstfertigkeit im Ausmalen von Handschriften.
Leuchten des Klosters Reichenau und der damaligen Welt waren Walafried Strabo, von dem liebliche lyrische Gedichte erhalten sind, und Hermannus Contractus, der von Kindheit an gelähmte Sohn eines Grafen von Veringen. Obwohl er nicht gehen, nur mühsam sprechen und kaum die Hand zum Schreiben bewegen konnte, sein Leben gekrümmt im Stuhle sitzend zubrachte, wurde er Abt des Klosters, war er berühmt als Musiker, Theologe, Historiker.
Als Entgelt dafür, daß im Kloster eine Gruppe von Menschen den ewigen Opferrauch des Gebetes zum Himmel aufsteigen ließ und die Gebote des Herrn der Liebe stellvertretend für das ganze Volk auf sich nahm, widmete man den Mönchen außerordentliche Verehrung. Als einmal Kaiser Konrad II. zu Ingelheim Ostern feierte, leitete Ekkehard IV., damals Vorsteher der Schule zu Mainz, den Gottesdienst und hatte schon die Hand zur Vorführung der Sequenz erhoben, als die Bischöfe, die neben dem Kaiser saßen, diesen um Erlaubnis baten, ihren ehemaligen Lehrer bei dem, worin er selbst sie unterwiesen habe, zu unterstützen. Da der Kaiser Gewährung nickte, vollführten sie mit Ekkehard, der Tränen der Freude weinte, die heilige Handlung. Indessen nicht nur daß die Ehrfurcht vor dem Lehrer die Schüler bis in die höchsten Würden begleitete, das ganze Volk brachte den Mönchen Verehrung entgegen, und die Verehrung äußerte sich in Schenkungen, die die Klöster reich machten. Sie wurden dadurch instand gesetzt, Geldgeschäfte zu treiben, und wenn das auch schädliche Folgen hatte, indem es diejenigen, welche der Welt abgesagt hatten, in sehr weltliche Interessen verstrickte, so vollzog doch das Kloster als eine Art Bank eine Funktion, die in dem reger sich entfaltenden kulturellen Leben nicht fehlen durfte.
Nie wieder hat es eine Einrichtung gegeben, die wie das Kloster der karolingischen und ottonischen Zeit so vielen nützlichen Zwecken und großen Ideen diente. Von ihnen, wenn auch nicht nur von ihnen, ging die Kultivierung des Bodens aus, sie lichteten Wälder, bestellten Äcker, bauten Reben, gaben ein Vorbild umsichtiger Wirtschaft; sie beschäftigten Handwerker und Künstler, pflegten die Musik, förderten die Wissenschaft, unterrichteten die Kinder, waren Schule, Akademie, Universität. Nachdem die staatliche Armenpflege, die Karl der Große organisiert hatte, in den Stürmen der Zeit untergegangen war, übernahmen sie die Klöster. Täglich empfingen dort die Armen der Umgegend Unterstützung an Nahrung und Geld, Pilger wurden aufgenommen und Kranke verpflegt, so waren sie zugleich Hospize und Hospitäler. Als Versorgungsanstalten nahmen sie die vielen auf, die für den Kampf des Lebens zu schwach waren, die infolge gestörten Gleichgewichts der Kräfte, infolge irgendwelcher körperlicher oder geistiger Gebrechen draußen im rücksichtslosen Wettkampf der Arbeit und des Ehrgeizes scheitern mußten, alle die unscheinbaren, allzu zarten Pflanzen, die von achtlosen Füßen zertreten werden, aber unter verständnisvoller Pflege erblühen und Früchte tragen können. Sie waren Gefängnisse, wo der Schuldbeladene verhindert wurde zu schaden, wo er aber nicht aus der Gesellschaft der Guten und Gesunden ausgestoßen war, wo er Strafe erlitt, aber auch Zuspruch, Läuterung und Erhebung finden konnte. Der edle Bischof Otto von Bamberg sagte einmal, als jemand meinte, es gebe schon zuviel Klöster, er solle nicht neue gründen: die Welt sei für den Menschen die Fremde, darum müsse es Herbergen geben, und solche Herbergen seien die Klöster. Sie seien nicht für diejenigen da, die sich auf Erden heimisch fühlten, sondern für die Fremden. Den Fremdlingen auf Erden öffnete sich die gastliche Pforte als ein Vorhof der ewigen Ruhe.
Die alten Klöster mit ihren Kirchen und Kreuzgängen sind im Lauf der Jahrhunderte entweder ganz zerstört oder umgebaut worden. Die Abtei Prüm in der Eifel, die Karl Martells Schwester Bertrada zu Anfang des 8. Jahrhunderts stiftete, stammt in ihrer jetzigen Gestalt aus dem 18. Jahrhundert, Fulda ist vom Barock beherrscht, Sankt Gallen vom Rokoko, ebenso fast alle bayrischen und österreichischen Klöster, im sächsischen Korvey, wo der Mönch Widukind die Geschichten seines Volkes schrieb, muß man die romanischen Überbleibsel des alten Baus aufsuchen. Aber wenn man die Insel Reichenau betritt, dann wird man in die Zeit der Erstlinge des Glaubens entrückt. Hier ist alles fest umgrenzt, alles schlicht geformt, alles Symbol und Geheimnis. Die Häuser sind klein, selbst die Kirchen niedrig, und dennoch, mit ihren dicken Mauern, ihren flachen Decken und kurzen Säulen erscheinen sie gewaltig und hauchen überirdische Schauer aus. Die Göttergestalt Christi, die wir von den halbzerstörten Wandgemälden ablesen, wie sie Kranke heilt und Tote erweckt, steigt aus bodenlosen Abgründen hervor, Führer durch Blut und Tränen in ein Reich jenseits der Sterne. Erdrückend wäre die Heiligkeit dieser Räume, wenn sie nicht Natur hold umgäbe: um die Gemäuer singt die Welle, flüstert das Schilf, blüht und rauscht die Linde. Der Gott, der hier angebetet wird, liebt die Natur, sie ist seine Tochter und atmet dicht an seinem Herzen. An den Spalieren reifen Äpfel und Birnen, Pfirsiche und Trauben, nicht nur durch die Güter, die Schiffe ihr von weither zuführen, ist diese Aue reich, sondern durch das, was sie selbst hervorbringt. Hier sind alle Menschen, die hohen und die niederen, die Herren und die Bettler, Kinder der Erde, ein Volk von Bauern, genügsam in seinen Anforderungen an das Irdische, maßlos in seinen Ahnungen des Ewigen. Ihre Heimat ist eine Insel, umsaust von Stürmen, umbrandet von Wellen, aber hoch oben rollen die Sterne aus der Hand des Herrn als ein Band, das die Erde und ihre kleine Heimat mit dem Himmel verbindet – Adoremus Gloriosissimum.