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Stadtwappen

Enger i/W.

Mitten in einem unscheinbaren/abseits gelegenen Städtchen, das in eine hügelige Landschaft von bescheidener Anmut eingebettet liegt, erhebt sich eine mächtige romanische Kirche. Altertümlich sieht ein Glockenturm daneben, und die Einheitlichkeit im Stil zeigt an, daß nicht fortwachsendes Leben des Gemeinwesens nach jeweiligem Geschmack und Bedürfnis das Gotteshaus verändert hat. Einsam unter weitem Himmel liegt das Denkmal da, das die Gebeine eines sagenhaften Helden, Wittekinds, des Sachsenherzogs, umschließt. Im Süden und Westen Deutschlands knüpfen die alten Ortschaften ihr Dasein gern an den geheiligten Flamen Karls des Großen; in Westfalen außerdem an den Wittekinds, seines stolzen, endlich versöhnten Gegners. Im Gedächtnis seines Volkes, das noch lange nach der gewaltsamen Unterwerfung und Bekehrung dem Glauben der Väter anhing, mag sich sein Bild hauptsächlich als das des angestammten Führers, des unbeugsamen Kämpfers und Verteidigers der alten Götter erhalten haben. Er und das weiße Sachsenroß waren die Symbole germanischer Freiheit: waldumrauschter, einsamer Höfe, im Winde sausender Eichen, flüsternder Quellen, und es ist sinnvoll, daß sein Andenken im allgemeinen mehr mit Wald, Strom und Heide als mit Domen und Burgen verbunden ist. Erst allmählich, wie der neue Glaube eingewurzelt war, feierte man ihn mehr als den bekehrten Christen, wo man ihn nicht vergaß.

Auch das alte Enger hat die Natur wieder an sich gezogen; es hat sich, wer weiß warum, nicht zur betriebsamen Stadt entwickelt, obwohl die Anlage dazu gegeben war. Nachdem Wittekind die Taufe über sich hatte ergehen lassen, dem siegreichen Gott der Franken sich beugend, und seine Besitzungen ihm infolgedessen zurückgegeben worden waren, ließ er sich in Enger nieder. Warum er es seinem Heimatsort Wildeshausen vorzog, ist nicht bekannt; vielleicht daß er das neue Leben in neuer Umgebung beginnen wollte. Enger wird als Angaria urkundlich zuerst zur Zeit Karls des Großen genannt; aber in der Sage hat es ältere Spuren hinterlassen. Leute von Enger sollen unter Armin dem Befreier gefochten haben, und Leute von Enger sollen mit den Angelsachsen nach England übergesetzt sein. In der Nähe von Enger, da, wo jetzt der Hingesthof ist, soll Hengist, einer der Anführer des denkwürdigen Zuges, die Scharen, die ihn begleiten wollten, versammelt haben.

Vermutlich gab es in Enger, als Wittekind sich dort niederließ, nur einzelne Höfe, kaum eine Burg; Wittekind gründete, seinen neuen Glauben betätigend, im Jahre 789 eine kleine Kirche oder Kapelle mit einer Wohnung für die ihr zugeordneten Priester, Hatte er den Glauben gewechselt, blieb er doch seinen Ahnen treu; er ließ ihre in Wildeshausen bestatteten Gebeine ausgraben, nach Enger bringen und dort in Urnen in einem Grabe beisetzen, das er als Ruhestätte für sich selbst hatte herstellen lassen. In den Urnen fanden sich, als sie 1870 geöffnet wurden, verbrannte Knochen. Wie er es gewollt hatte, bettete man den toten Sachsenherzog neben seine Väter; später aber, als man anfing, ihn als Heiligen zu verehren, wurden seine Gebeine erhoben und in die Stiftskirche versetzt, wo sie sich noch in einem Seitenaltärchen befinden. Als Kaiser Karl IV. sich in Bielefeld aufhielt, erfuhr er dort, daß nicht weit entfernt sich das Grab Wittekinds befinde. Der Sammler von Reliquien hatte so viel Interesse für Heilige und wohl auch für die Altertümer seines Reichs, daß er Enger aufsuchte und befahl, es solle ein würdiges Grabmal für den Helden errichtet werden. Das Grabmal befindet sich im Chor der Stiftskirche; auf einer reichverzierten Tumba liegt der jugendliche König mit Krone und langem Mantel, der mit Edelsteinen verziert war. Merkwürdig ist es, daß die rechte emporgehobene Hand des Bildes den gekrümmten Mittelfinger zeigt, an dem man, wie erzählt wird, den Herzog erkannte; sonst ist an keine Ähnlichkeit zu denken.

Als ein stummer Gefährte Wittekinds stand lange noch in Enger eine Eiche, neben der er einen Wartturm zur Rundschau errichtet haben soll. Ihre Stelle vertrat später eine Buche von besonderer Schönheit; sie verzweigte sich dicht über der Erde in sieben mächtigen Schäften, und ihre Krone, heißt es, sei so dicht und stark gewesen, daß man darauf habe stehen können. Zwei von den Schäften wurden in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch Blitz und Feuer zerstört, nachher verschwanden auch die anderen. Das Andenken Wittekinds jedoch hat sich in dem weltfernen Winkel, an dem noch nicht lange eine kleine Lokalbahn vorüberführt, überraschend erhalten. Das Gefolge des Herzogs bildete eine Anzahl von Familien, welche die Sattelmeier genannt wurden, und die vielleicht schon in der Gegend von Enger ansässig waren, bevor er sich dort niederließ. Sie begleiteten Wittekind zu Pferde, mußten je einen berittenen Mann zum Kriege stellen und waren sonst zu verschiedenen Diensten verpflichtet, wie denn einer den Marstall unter sich hatte. Zwölf solcher Sattelmeierfamilien gibt es noch jetzt, und zwar wohnen fünf in unmittelbarer Nähe von Enger, die übrigen in der Umgegend. Die fünf im Kirchspiel Enger heißen Nordmeier, Ebmeier, Meier Johann, Barmeier und Ringsmeier. Sie genießen noch jetzt besondere Rechte, die in altüblicher feierlicher Form vollzogen werden. Wenn sie sterben, wird am Tage vor ihrem Begräbnis in der Königsstunde, von 12 bis 1 Uhr, geläutet, und ihre Leichen werden auf einem mit sechs Pferden bespannten Erntewagen, dem ein gesatteltes Pferd folgt, in die Kirche, von dort erst auf den Friedhof geführt.

Wittekinds Frau Gewa, eine dänische Prinzessin, war der Sage nach vor seiner Bekehrung als Heidin gestorben. Sein Sohn Wigbert kehrte nach Wildeshausen zurück, später jedoch lebte die Familie wieder in Enger, vermutlich ihrem Stande gemäß auf einer Burg. Ein Enkel seines Urenkels, Graf Thidericus, vermählte sich mit einer Frau aus edlem Geschlecht, Reinhilde, deren Vater ein Friese, deren Mutter eine Dänin war. Diesem nordischen Paar entstammte ein wundervolles Kind, eine Tochter namens Mathilde, die Wittekinds, des Überwundenen Geschlecht, zu spätem Siege führen sollte. Sie wurde die Frau Heinrichs I. und Mutter Ottos des Großen, der die Herrschaft der Sachsen über das Reich befestigte und verherrlichte. Sie selbst glänzte durch Liebe, Güte und Opferwilligkeit, Tugenden, die sie schon den Zeitgenossen als Heilige erscheinen ließen. Ähnlich wie man von der edlen Frau von Stein erzählt, einer Vorfahrin des großen Freiherrn, daß sie von ihrem Schloß hinabstieg und sich in der unbekannten Menge verlor, um dem Schicksal zu opfern, das sie und ihre Kinder allzu reich begnadet hatte, fühlte sich Königin Mathilde gedrängt, den Überfluß an Glück, den sie empfangen, mit vollen Händen anderen auszuteilen. Da ihre Söhne mit ihrer verschwenderischen Wohltätigkeit nicht einverstanden waren, zog sie sich in ihre Heimat Enger in das dortige Stift zurück und blieb auch dort, nachdem durch Vermittlung der jungen Königin Edith eine Versöhnung mit Otto zustande gekommen war. Der Kaiser begabte das dem heil. Dionysius geweihte Stift mit vielen Gütern und schenkte es nach dem Tode seiner Mutter auf Veranlassung des damaligen Papstes dem Mauritiusstift in Magdeburg, das er später zum Erzbistum erhob.

Durch Heinrich den Löwen, zu dessen Allodialbesitz Enger gehörte, kamen Burg und Stadt an den Grafen Bernhard III. von der Lippe, einen seiner Vasallen. Dessen Nachkomme Simon III. wurde in einer großen Fehde mit den verbündeten Bischöfen von Osnabrück, Paderborn und Minden und dem Grafen von Ravensberg besiegt und so lange von seinen Gegnern gefangen gehalten, bis er zugab, daß seine Burg geschleift werde und versprach, sie nicht wieder aufzubauen. Auch die Mauer mit den sieben Toren, die Enger umgab, wurde damals, es war im Jahre 1305, abgebrochen, so daß der vormals starke blühende Ort zu offener Stadt wurde. Als Enger kanalisiert wurde, stieß man auf den Burggraben und fand darin Steine, die augenscheinlich von der niedergelegten Burg herrührten.

Mit diesen Ereignissen begann der Rückgang der Stadt Enger und nahm so zu, daß ein Jahrhundert später die Stiftsherren in dem verödeten Ort nicht bleiben mochten und beim Papst durchsetzten, daß ihr Stift nach dem nahen Herford verlegt und an die dortige Johanniskirche angeschlossen wurde. Als die Abgabepflichtigen erklärten, daß sie nur am Grabe des Herzogs zahlen würden, ließen die Stiftsherren die Gruft öffnen und die Gebeine nach Herford bringen, wohin sie auch den Kirchenschatz mitgenommen hatten. Nachdem im Anfang des 19. Jahrhunderts das Stift säkularisiert war, erstattete König Friedrich Wilhelm III. von Preußen der alten Begräbnisstätte die Gebeine des Herzogs zurück. Die Sattelmeier holten die teure Reliquie ab und führten sie unter Glockengeläut in die Heimat.


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