Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zu Anfang ließ sich Pitt seine Tätigkeit etwas schwer werden; das Manuskriptlesen machte ihm noch einigen Spaß, auch die Aufmunterungsschreiben an faule unzuverlässige Mitarbeiter und die Besuche der ständigen Kritiker – es gab auch allwöchentliche Theater- und Konzertbesprechungen – und es schien, als wolle er so etwas wie eine wirkliche künstlerische Tendenz durchführen; aber er erlahmte schon in den Anfängen. Wenn die Kritiker auf seine prinzipiellen Ausstellungen hin erwiderten: Sie machten das nun schon seit Jahren so, und das Publikum sei noch stets zufrieden damit gewesen, das Publikum verlange so etwas geradezu – so dachte er schließlich: Nun ja – und für das Publikum wird ja auch das Ganze gemacht und nicht für mich. – Mit Herrn Bertold kam er außerordentlich gut aus. Manchmal schwebte es ihm auf der Lippe zu sagen: Könnten Sie nicht dieses und jenes unternehmen statt meiner – aber es fiel ihm ein, daß Herr Bertold ja Unterredakteur war, Herr Bertold erschien ihm dann wie die Verkörperung des ganzen Unternehmens selbst – das Pitt an die erste und nicht die zweite literarische Stelle gesetzt hatte – wie seine eigene Obrigkeit gleichsam, die solches Ansinnen gerügt haben würde. Aber Herr Bertold selbst kam ihm zu Hilfe. Zu Anfang dachte er – so wie der Chefredakteur – Pitt sei von großen Plänen und starker Tatkraft beseelt, bis er dann allmählich merkte, daß Pitt sich über alles und sich selbst im Grunde nur lustig machte. Daß dies nicht einem Mangel an Fähigkeiten entsprang, fühlte Herr Bertold auch, und so erschien ihm Pitt nur wie ein Wesen anderer Art und vielleicht höherer Art als er sich selber. Mit halb freundschaftlicher, halb devoter Stimme fragte er, ob er ihm nicht das eine oder das andere abnehmen dürfe. Hocherfreut ging Pitt darauf ein. Und alsbald schaltete und waltete Herr Bertold, immer unter dem Siegel von Pitts Unterschrift.

Es geht gut, es geht vorzüglich! sagte Herr Wolf, seit Ihrem Eintritt ist ein ganz anderer Geist in die Sache gefahren! Nach Ihrer ersten Unterredung damals hätte ich gar nicht geglaubt, daß Sie einen solchen Sinn für das rein Aktuelle hätten! – Ja ja, antwortete Pitt, darauf kommt alles an! und er erschien sich in diesem Moment fast wie sein Bruder Fox.

Fräulein Heine gratulierte ihm zu seiner Genesung, wie sie es nannte; ich bin der Engel, sagte sie, der Sie gerettet hat. Wissen Sie noch, wie zerfahren Sie zu Anfang gewesen sind? Morgen hole ich Sie von der Redaktion ab und gehe mit Ihnen in die Bildergalerie; ich bin mir über die Stellung Cranachs in der deutschen Malerei nicht ganz klar und möchte, daß Sie mir vor den Bildern sagen, was Ihre Ansicht ist. Später gehen Sie dann zu uns zum Essen.

Dies ist eine recht üble Karikatur der Vergangenheit! dachte Pitt, indem seine Gedanken zu Herta zurückgingen, ich muß dafür sorgen, daß es nicht zu toll ausartet, obgleich es mich jetzt schon manchmal elend macht.

Seit sie Pitt jene Redaktionsstelle verschafft hatte, glaubte Fräulein Heine sich zu größeren Anforderungen berechtigt. Sie schlug einen freieren, entschiedeneren Ton gegen ihn an, und Pitt kam in eine schwankende Lage. Zunächst spielte er noch zwei Rollen ihr gegenüber: Sah er sie allein, so sprach er in seiner alten Weise, sah er sie im Hause ihrer Eltern, redeten beide mit freundlicher Hochachtung zueinander. – Es freut mich fast, sagte sie einmal zu ihm, daß Sie im Grunde so zäh Ihren Standpunkt gegen mich behaupten – obgleich es mich auch kränken müßte; aber es zeigt mir, daß Sie eine wirklich vornehme Seele besitzen: Andere an Ihrer Stelle würden sich zum Gegenteil bemühen und mir den Hof machen, denn schließlich – prüfen wir doch mal die Sache vom allgemeinen menschlichen Standpunkt, ich meine so, wie gewöhnliche Menschen sie ansehen würden: Ich habe Sie in diese Stellung hineingesetzt und kann Sie ebenso leicht wieder daraus vertreiben. Sie wissen es und riskieren es: Das zeigt mir Ihre stolze Seele. Glauben Sie aber, daß Sie nichts dabei riskieren, so zeigt mir das wieder, daß Sie mich für eine vornehme Seele halten, die erhaben ist über die Kleinheit der andern Menschen! – Ich halte weder Sie noch mich für eine große Seele, sagte Pitt gelangweilt, und im übrigen ist mir alles ganz egal. – Sie sah ihm skeptisch in die Augen, mit ihrem etwas nackten Blick, dann hielt sie ihm die Hand zum Abschied hin. Er nahm sie auch, da schob sie sie an seiner Brust hinauf, bis sie fast seinen Mund berührte. – Ich küsse niemals Damen die Hand! sagte Pitt. Sie schwankte einen Augenblick, dann zog sie die seine durch die Luft zu sich nieder, ein kleiner Knall wurde laut, und sie sagte: Küsset die Hand so euch züchtigt; heißt es nicht so irgendwo in der Bibel? Und ich kriege Sie doch noch rum, passen Sie nur auf!

Ich will sie nicht zu sehr reizen, dachte Pitt zuweilen, denn wenn sie auch von ihrer großen Seele spricht – es wäre schade, wenn ich diese gute Stellung so schnell wieder verlassen müßte; sie ist doch eine Art von vorläufigem Ruhepunkt. – So erreichten ihre Worte den Zweck, zu dem sie gesprochen waren.

Pitt wurde sehr oft in das Haus der Familie eingeladen, und er sah Fräulein Elsa schließlich mehr in dem Kreise der Ihren als allein, denn sie vermied es jetzt fast, ihn außerhalb ihres Hauses zu treffen. Um so ausgiebiger widmete sie sich ihm im Beisein der andern. Pitt konnte nicht anders als höflich auf ihre Interessen eingehen, die wieder mit seinen eigenen verknüpft erschienen, sie sang vor, am Klavier, er mußte loben, wenn ihn Frau Heine, eine etwas üppige Dame, ermunternd ansah, er mußte auch Elsas Gedichte lesen und sich in deren Inhalt vertiefen, und ihr Maltalent bewundern, denn Fräulein Heine malte Stilleben.

Sie erreichte, was sie wollte: Zunächst konnte er, wenn er sie allein sah, überhaupt keinen rechten Ton zu ihr finden, der alte frühere erschien ihm selber stillos, wo er sie jetzt die meiste Zeit als Dame sah und als Dame behandelte, und so kam es, daß er allmählich gar keinen Unterschied mehr machte, ob er sie nun allein oder in ihrem Hause sah, daß er ihr stets mit einer reservierten Freundlichkeit begegnete. Sie ergriff sofort vollkommen Besitz von diesem neuen Zustand, und als er einmal, wie aus Versehen, in seinen alten Ton zurückfiel, sah sie ihn halb kühl, halb herzlich an und sagte: Ich dächte, diese Zeiten wären nun vorbei!

Pitt wußte genau, daß bei allem diesem ein Plan vorlag, und daß er selber in eine schiefe Situation hineingeraten war, aber was sollte er machen?! Er hatte einmal die Gastfreundschaft dieser Menschen angenommen und lebte von seiner Stellung, die er durch Fräulein Heines Bemühungen erhalten hatte, und dieses alles forderte, wenn auch keine Dankbarkeit, so doch einen guten höflichen Ton und einige Rücksicht, um so mehr, als er merkte, daß Elsas etwas jüngerer Bruder Egon anderen Schlages war als die übrigen, von einem viel größeren Takt, einer fast wortlosen Zurückhaltung und einem Feingefühl, das auch die leisesten ironischen Schattierungen im Tone eines andern heraushörte; er zog sich meistens zurück, sobald es die gesellschaftliche Höflichkeit zuließ, denn die ganze Art der Konstellation dieses Verhältnisses war ihm unsympathisch und peinlich. Er fühlte sehr wohl seiner Schwester Absicht und Pitts wahre Empfindung ihr und dem ganzen Hause gegenüber.

Bis jetzt hatte Fräulein Heine ihre Liebe noch mit ziemlicher Fröhlichkeit getragen, noch niemals sie als irgend etwas Schweres empfunden; aber das wurde auf einmal anders.

Eines Abends war sie Pitt immer näher gerückt und hatte heiße, rote Backen bekommen. Wie Pitt dann gegangen war und sie mit ihrer Mutter allein blieb, sagte Frau Heine, die sie sehr beobachtet hatte, mit pathetischer langsamer Stimme: Elsa, Elsa, wie steht es mit deinem Herzen?! – Da fühlte sich Fräulein Heine plötzlich wie von einem großen Schicksal übermannt, von dem sie kurz zuvor selbst keine Ahnung gehabt hatte, sie brach in Tränen aus und sank ihrer Mutter mit einer großen Bewegung in die Arme. Es folgte ein Schweigen. – Diese unselige Redaktion! sagte Frau Heine endlich, erst lerntest du den Bertold kennen, im literarischen Verein, dann ruhtest du nicht, bis er seine Position bekam und schienst bis über die Ohren verliebt in diesen armen Teufel! Du schafftest ihm neue Anzüge an, bezahltest seinen Arzt und ließest ihm sogar goldene Plomben einsetzen, da seine eigenen dir zu vulgär waren. Auf einmal lernst du diesen Sintrup kennen – es mag ja sein, daß er wirklich der richtige Mann war für die Position, die er dann bekam – das gehört nicht hierher – und nun war alles mit einem Male aus mit dem Bertold. Ich danke ja Gott, daß es aus war, ich ahnte damals schon, es müsse irgend etwas dahinterstecken, aber daß du nun wirklich diesen Sintrup liebst, das – ahnte ich zwar auch schon, aber wirklich bestätigt sehe ich es erst heute abend. Schlag dir das aus dem Kopf! Egon sagt, er macht sich über uns alle miteinander lustig! Und über dich am allermeisten! – Das tat er früher! sagte Elsa hastig und heftig, aber jetzt tut er es nicht mehr, er hat selber eingesehen, wie ich es gut mit ihm meine, und er zeigt das in seinem ganzen Wesen! Du hast ihn ja früher gar nicht gekannt! Aber auch schon damals habe ich deutlich gefühlt, daß ich ihm absolut nicht gleichgültig war. Er war grob und impertinent zu mir, das ist man nicht zu Menschen die einem egal sind! Er war darin geradezu erfinderisch, und alles kam in einem so herzlichen, kameradschaftlichen Ton heraus, ich regte ihn durch mein etwas burschikoses Wesen, das ihm neu und anziehend war, direkt zu Impertinenzen an! Ich empfand so deutlich, daß er sich wohl dabei fühlte und gar nicht irritiert, auf mich persönlich war das alles ja auch gar nicht gemünzt, es entsprang nur einem überschüssigen Teil an Geist und Witz, den ich gerade in ihm auslöste, weil er in mir unbewußt eine ihm verwandte Natur empfand! Er mag sich wohl im Anfang gewehrt haben, ich glaube ja auch nicht, daß er jetzt schon direkt verliebt in mich wäre, aber in der kurzen Zeit hat er einen Riesenschritt getan, und heute abend: Ist er auch nur eine Spanne weit von mir fortgerückt, hat er nicht ganz still gehalten?!

Mit diesem Abend trat in Fräulein Elsa eine Wandlung ein. Sie fühlte sich nicht mehr ganz sicher vor den Augen ihrer Mutter, wenn Pitt zugegen war, horchte unwillkürlich selbst mit feinerem Ohr, wenn er etwas sagte, um zu hören, ob es wahr sei, was Egon behauptet hatte. Er dagegen fühlte ihre neue Unsicherheit auch ihm selbst gegenüber, sie überschüttete ihn plötzlich mit Geschenken, und bei irgendeiner Kleinigkeit, die er gar nicht böse gemeint hatte, fuhr sie verletzt in die Höhe, daß er sie ganz erstaunt ansah.

Sie wurde launisch und unberechenbar. Manchmal tat sie ganz intim, dann plötzlich, irritiert durch seine Gleichmütigkeit, schien sie kalt und abweisend. Einmal schickte sie ihm einen großen Blumenstrauß, und auf ihrer Karte stand: wegen gestern. Er wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, ahnte nicht einmal, ob sie meine, daß er sie oder daß sie ihn gekränkt habe, und antwortete ihr infolgedessen gar nicht. Als er sie wiedersah, war sie verschlossen und still, antwortete nur durch große fragende Blicke, wenn er etwas sagte, und wollte ihn dadurch zwingen, selbst von dem Blumenstrauß zu reden anzufangen. Er dachte aber gar nicht daran; so bezwang sie sich schließlich mit dem Gedanken: Geduld, Geduld, ich kriege ihn doch noch! Und dann redete sie wieder in ihrer früheren Art.

Er hatte jetzt jedesmal, wenn er von der Redaktion nach Hause kam, Furcht, es könne irgendeine Nachricht von Fräulein Heine auf seinem Tische liegen, was auch meistens der Fall war. Denn schließlich verging kaum ein Tag, ohne daß sie sich irgendwie fühlbar bemerklich machte. Er konnte sie überhaupt kaum noch sehen. Wenn er ihre trockene Stimme im Vorplatz hörte, überlief ihn schon ein irritiertes Gefühl, und die Abneigung steigerte sich mit jedem Tage. Wenn er zu Hause in einem Buche las, schob sich zwischendurch ihr Bild in seine Gedanken, und eine nervöse Unruhe ergriff ihn. Dann konnte er nicht anders als alle Augenblicke von seinem Buch auf durch das Fenster auf den Platz vor seinem Hause sehen, zu jener Ecke hinüber, aus der sie herauskommen mußte, wenn sie zu ihm auf Besuch ging. Und richtig! Irgendwann war jene Ecke nicht mehr leer, bewegte sich da ein rotes Kleid, und oben saß ein Kopf drauf, der suchend auf sein Fenster blickte. Und die Wirkung ihrer Augen, selbst in die Ferne, durch die Fensterscheiben hindurch, war eine latente Raserei in ihm. Dann pfiff sie womöglich noch ein Signal, das sie sich ausgedacht hatte, und endlich stand sie vor ihm. Mit Wut im Herzen konnte er doch nicht anders als höflich sein. Was war dies für ein höchst abscheulicher Zustand? Den Verkehr einfach abbrechen – das konnte er nur dann, wenn er seine Redaktionsstelle aufgab. Diesen Gedanken schob er immer wieder zurück. Aber immer heftiger meldete er sich wieder, zumal Fräulein Heine kürzlich – wie zum Scherz, aber mit sehr nervösem Tonfall – darauf zurückkam, daß er doch eigentlich seine Stelle nur ihr zu verdanken habe. Wenn er auch wußte, daß sie die Drohung, die hierin versteckt schien, niemals wahr gemacht haben würde, um ihrem Charakter keine Blöße zu geben, so wurde die Situation für ihn dadurch doch noch peinlicher. Er fühlte, daß es über kurz oder lang zu einer Entscheidung kommen mußte. Vorerst hielt er noch eine Zeitlang aus. Mehrmals kränkte er Fräulein Heine, aber sie überwand die Kränkungen, freilich jedesmal schwerer. Eine große Erbitterung war allmählich in ihr aufgewachsen, sie fühlte, daß es doch nicht so leicht war, Pitt Sintrup zu gewinnen, und je mehr sie sich in das Gefühl ihrer eigenen Liebe hineingeredet hatte, um so verletzlicher wurde sie gegen jede kleinste Äußerung seiner Gleichgültigkeit. Es bedurfte schließlich nur eines geringsten Anlasses, um alles, was sich in ihr angesammelt hatte, zum Überlaufen zu bringen. – Dieser Anlaß kam.


 << zurück weiter >>