Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Fünftes Kapitel

Ich hatte mir doch immer gedacht, Sie würden wiederkommen! sagte Herr Könnecke; ein bißchen anders ist es ja nun geworden, meine Kusine hat einiges umgestellt – denn sie hat inzwischen natürlich drin gewohnt! – Er entfernte unauffällig eine kleine Haarwolke vom Waschtisch.

Pitt hatte von vornherein nicht die Absicht gehabt, wieder bei Fräulein Nippe zu wohnen, der Anblick der Haarwolke bestärkte ihn in seinem Vorsatz, und er fragte: Wo ist denn mein großer Koffer? – Hier! sagte Herr Könnecke und deutete auf das «Angßangbel», da steht er drunter! Und er sah Pitt verblüfft an, als der sagte, er lasse ihn im Lauf des Tages abholen, denn er wohne woanders. Och nein! meinte er enttäuscht, fügte aber nichts hinzu, da es nicht seine Sache war, sich den Menschen aufzudrängen. Pitt ließ ihn grübelnd zurück, was wohl der Anlaß sein könne, daß er nicht wiederkommen wolle. Zum Schluß sagte er noch, er wollte ihm seinen Bruder schicken, von dem Herr Könnecke auch einen höheren Preis verlangen könne, denn er habe viel mehr Geld als er selber. Eine Mischung von Herrn Könnecke, Fräulein Nippe und Fox – so dachte er – kann etwas ganz Lustiges ergeben, und empfahl Fox dieses Zimmer mit großer Zungenfertigkeit. – Er hat doch ein gutes Herz! sagte Fräulein Nippe, der Zusammenhang ist doch so einfach! Als er hörte, ich wohnte in dem Zimmer, hat es ihm leid getan, mich wieder daraus zu vertreiben, das ist doch sonnenklar! – Mach' du nur die Stube recht in Ordnung, denn wenn der Bruder kommt, so darf da nicht wieder so was herumliegen! Herr Könnecke führte sie zu der Haarwolke, die er aufbewahrt hatte, weil er dachte, sie habe sie vielleicht noch nötig. Hat er das gesehen? fragte sie; und wenn auch! Daß das Haar echt ist, hat er dann jedenfalls auch gesehen! So dunkles, dichtes Haar, und die Farbe so kastanienbraun – ich konstatiere nur! Manche Frauen gäben was drum, wenn sie die Farbe hätten!

Als Fox erschien, war das Zimmer peinlich sauber. Die Hände unter der Brust zusammengelegt, die Knie etwas eingeknickt, stand Fräulein Nippe da und sah verehrend zu ihm hinauf. Dieser stattliche junge Mann! Diese regelmäßige blühende Figur, dieser volle rosige Hals, und die Backen lachten vor Wohlergehen! – Kostet? – Diese Präzision, diese fast militärische Einfachheit! Sie nannte den Preis. – Bon! – Mieten wir? fragte sie, kurz, aufmunternd, burschikos. – Abgemacht. – Träbong. – Bien! – verbesserte er, worauf sie militärisch grüßend die Hand an die Schläfe führte. Sie verstand es schon, mit jungen Leuten umzugehen! – Mein Bruder ist ein Schafskopf. – Sie erwartete, daß noch etwas folgen werde, aber er war fertig; sie lächelte taktvoll-allgemein. Fox verschwand wieder, im Lauf des Nachmittags kamen seine Koffer, und, wie früher Lotte, weidete sich nun Fräulein Nippe an dem schönen Leder. Am nächsten Tage, als er ausgegangen war, durchstöberte sie sein Zimmer, um den neuen Herrn «etwas näher kennenzulernen». Gleich der Kasten zur Nagelpflege zog ihre Aufmerksamkeit an. Bis in die Fingerspitzen hinein soignierte sich dieser junge Mann! Auf dem Waschtisch standen geschliffene Flakons mit wohlriechenden Essenzen, kleine Etuis mit verschieden geformten Bürstchen, Büchschen mit Pomade und Pasten. Sie roch an allem, befühlte die Stärke seiner Zahnbürste und polierte sich endlich versuchsweise einen Nagel. Aber hatte er denn nichts anderes im Zimmer, das sie wirklich «interessierte»? Die Laden waren sämtlich verschlossen, aber halt! da lag was: ein Taschenbuch, das mußte er vergessen haben. – Es war doch vorsichtiger, vorher die Korridortür abzuriegeln. – Der tausend! Was für noble Bekanntschaften! Lauter Barone und Adlige! Weiter: Eine unbenutzte Rennkarte; ein kleines Notizbuch. Das mußte interessant sein! Überschrift: Eindrücke aus Bilderausstellungen. Was aber darin stand, konnte sie beim besten Willen nicht entziffern. Es hatte wohl Ähnlichkeit mit Buchstaben und Worten, aber nur eine ganz entfernte; so etwa wie man sich denkt, daß Schauspieler auf der Bühne schreiben, wenn es das Stück erfordert. Was mochte das wohl bedeuten? Achtungsvoll schob sie das Büchlein wieder an seinen Platz. Da, endlich! Ein Brief! Sie merkte sich genau die Art, wie er zwischen die übrigen Sachen hineingesteckt war, dann nahm sie ihn heraus: Geliebter Fox! Das Schicksal hat uns für einige Zeit getrennt... o das war ja interessant, das übertraf alle ihre Erwartungen! Gleich sah sie nach der Unterschrift: Deine treue Lotte. Und ein Herzchen war dahinter gemalt, etwas schief, mit Tinte. Darin stand ein Monogramm aus L und F.; Trennung und Wiedersehen, Wiedersehen und Trennung wiederholten sich durch alle vier Seiten hindurch. Und am Schluß hieß es: Nun habe ich dir so furchtbar viel geschrieben, daß es inzwischen Nacht geworden ist. Dann kam noch einmal der Trost, daß sie ihn ja nun bald wiedersehen werde, wenn er in das Semester zurückkehre. – Fräulein Nippe sah nach dem Wohnort. – ob die wohl inzwischen erfahren hatte, daß Fox woanders hingegangen war? Und weshalb war er wohl nicht zurückgegangen?

Ich verstehe absolut nicht, sagte Fox zu Pitt, weswegen du nicht wieder in die Wohnung wolltest; anfangs dachte ich: Sie hat einen Haken, den mir mein lieber Bruder verschweigt; aber bis jetzt habe ich keinen gefunden. Die Wohnung ist tadellos, das Ameublement direkt so, daß es bei uns zu Hause im Salon stehen könnte! Und die Leute sind doch wirklich reizend! Dieses Fräulein Nippe hat ein Benehmen, das man geradezu als kavaliermäßig bezeichnen muß! Schön ist sie nicht, das gebe ich zu, aber da ist auch kein Wort zu viel an dem, was sie sagt, jedes sitzt bei der am rechten Fleck. Und dann hat sie überall einen direkten weiten Standpunkt! Vor meinen Augen hat sie die Waschschüssel, weil eine Stelle abgestoßen war, aus dem Fenster in den Hof geworfen, und als ich meinte, das könnte ihr doch Unannehmlichkeiten bringen, sagte sie, die Menschen führten ein solches Philisterleben, daß ihnen ein kleiner Krach und Schreck ganz heilsam in die Glieder fahren würde. Ich finde da alles Mögliche, so eine Urwüchsigkeit und Frische, und so ein sorgloses Umspringen mit dem Gelde – denn gut geht's der Person nicht, das merkt man. Und dann diese heitere Ruhe unter ihrer äußern Lebhaftigkeit! Da sieht man wieder: Das Leben selbst ist die beste Erziehung für Menschen – wenn nämlich die Menschen sich vom Leben erziehen lassen! Der Könnecke allerdings gefällt mir weniger, der hat ein bißchen was Vulgäres, aber alles in allem: Man muß ihn gelten lassen, wenn man sich einmal auf das Niveau dieser Sorte Menschen stellt!

Seinem Plan gemäß warf Fox sich dies Semester auf die Schauspielkunst. Er wollte Stunden nehmen und bereitete sich autodidaktisch auf sie vor. Eines Morgens dachte Fräulein Nippe, ihr Heim sei der Schauplatz einer jener Tragödien, wie sie sie bisher nur aus dem «Vermischten» ihres Zeitungsblättchens kannte. Leidenschaftliche Ausrufe, Drohungen wurden da ausgestoßen; helfend, sich selbst preisgebend stürzte sie ins Zimmer, im Geiste schon von einem «schuldlosen Opfer einer entsetzlichen Katastrophe» in dem «Vermischten» lesend, aber Fox versicherte ihr höflich, er rezitiere nur.

Nächstes Jahr wird gesungen, sagte Fox zu Pitt; jeder Mensch hat eine Stimme, es kommt lediglich auf die Ausbildung an. Übrigens habe ich da einen niedlichen Aufsatz über das neue Lustspiel geschrieben, das letzte Woche aufgeführt wurde, du darfst ihn mal durchlesen, wenn du willst, ich möchte gerne hören, was du über die Episode denkst, wo ich über das antike Lustspiel rede und es mit dem modernen vergleiche. Ich habe mir da mit Büchern durchhelfen müssen und möchte gerne wissen, ob man das sehr merkt! Schließlich, wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir ja doch gestehen, daß uns in unserm inneren Gefühl herzlich wenig mit der Antike verbindet, die Gelehrten mögen sagen, was sie wollen. Der Tieferblickende kann darüber nicht im Zweifel sein. Wir sind andere Menschen, mit anderm Gefühl heutzutage. Das gilt nicht nur vom antiken Lustspiel, von der antiken Tragödie, das gilt auch von allen übrigen klassischen Kunstäußerungen. Prüfe doch mal ein jeder, wenn er vor einer griechischen Plastik steht, sein Herz, ob er irgend etwas empfindet, Wirkliches empfindet! Ob er sich nicht vielmehr schöngeistige Phrasen vormacht, und warum vormacht? weil die ganze Welt sie sich vormacht, vor der man sich nicht blamieren möchte! Die Form ist ja da, aber es ist eben auch nichts als Form, das geistige Element fehlt, und ohne das ist für einen modernen Menschen eine Kunst undenkbar; wenn dann diese Form gar noch in eine Formenspielerei ausartet, wie in den späteren Perioden und schließlich im Barockzeitalter, dann geht die Kunst überhaupt in die Binsen! Zurück zur Natur! Das möchte ich allen zurufen, die einem mit ihrem Phrasengeklingel in den Ohren liegen! Von dem, was ich eben sagte, findet sich schon eine Andeutung in meinem Aufsatz; der Verstehende wird mehr heraushören als eigentlich drinsteht. Es juckt mich wahrhaftig, das mal in eine klare Form zu bringen! – Pitt bekam nun wieder öfter Aufsätze von ihm zu lesen, und Fox hoffte auf eine allmähliche Verbreitung seiner «im tiefen Sinne» populären Ideen.

Allmählich hatte er sich nun genügend auf die Schauspielschule vorbereitet. – Was jetzt noch zu tun ist, sagte er, ist Sache des Lehrers. Satz für Satz habe ich für mich ein ganzes Drama – das hier neulich scheußlich aufgeführt wurde – durchgenommen. Da ist mir vieles aufgegangen; aber meine Stimme geht nicht so, wie ich möchte, die Wirklichkeit bleibt hinter der Intention erschreckend weit zurück, nun heißt es: Technik erwerben, damit die Karre gut in Gang kommt.

Es gab da einen Herrn von Sander, der wöchentlich einmal eine Annonce im Blatt erscheinen ließ: er habe eine Theaterschule. Diese wählte Fox aus ähnlichen Annoncen heraus, da er sich sagte, der Adel sei eine gewisse Bürgschaft für Bildung dieses Mannes. Bildung vermißt man gerade unter den Theaterleuten so vielfach! Außerdem war Herr von Sander Mitglied des Schauspielhauses. – Fox suchte ihn auf, zunächst etwas verblüfft über die Erscheinung seines neuen Lehrers: weder Mann noch Frau, in einem unbestimmbaren Alter, mit etwas verwitterter Gesichtshaut, so stand Herr von Sander vor ihm, in seinem knappen, enganschließenden Jäckchen mit Seidenschnüren und Seidenaufschlägen. Fox versicherte ihm sogleich, daß er die Schauspielkunst nicht als Beruf ergreifen wolle, daß er Jurist sei und sich später der Regierungsbeamtenkarriere zuwenden werde. Herr von Sander ließ ihn einen berühmten Monolog vorlesen – das tat er jedesmal, wenn er einen neuen Schüler prüfte – und sagte am Schluß: An Ausdruck fehle es ihm nicht, nur wäre das nicht der Vortrag eines mittelalterlichen Anführers gewesen, sondern etwa eines modernen Leutnants. Aber er werde ihm seine Fehler schon herausbringen. Vor allem müsse seine Stimme geschult werden, damit sie das Knarrende, Schnarrende verliere und Biegsamkeit und Ton bekomme. Dann trug er ihm selbst jenen Monolog vor, in seinem Hausjöppchen und den saffianledernen koketten Schuhen. Mächtig rollten die R's dahin, der Vortrag wuchs aus einem schlichten Erzählerton empor, bis zur Höhe allvergessender Begeisterung, um schließlich wieder herabzusinken und in einem gemäßigten Feuer zu enden. – Ja, das ist ja alles recht schön, sagte Fox, aber besser als meins war es auch nicht. – Nanu, aber erlauben Sie mal! Herr von Sander sprach wieder in seiner gewohnten Art, als ob er nie vorher anders geredet hätte. – Jawohl! sagte Fox, indem er ihn mit einem seiner umfassendsten Blicke ansah. Es kam darauf an, diesem Manne von Anfang an zu imponieren. – Glauben Sie, fuhr er fort, daß der Kerl damals wirklich so geredet hat? Ich nicht. So redet ein Schauspieler, aber kein Heerführer. – Aber wir sind doch auch Schauspieler! warf Herr von Sander indigniert ein. – Die Schauspielkunst, sagte Fox, soll ein Gemisch sein aus Natur und Kunst; ich gebe zu, daß mein Vortrag nicht gerade gut war; Ihrer war besser; technisch wenigstens; aber mir schwebt ein Kunstideal vor, das zwischen beiden steht. Natur und Kunst, verbunden zu höchster Einheit! Vielleicht können wir beide voneinander lernen. Ich habe – also wirklich – ein Naturempfinden, das durch nichts getrübt ist. Lassen Sie es nun zur Kunst werden, ohne meine Eigenart anzutasten. – Der tritt ja gewaltig auf! dachte Herr von Sander, und Talent scheint er auch nicht viel zu haben. Aber immerhin: den verlangten höchsten Preis war Fox sogleich bereit zu bezahlen, und da Herr von Sander am Theater nur eine mittlere Größe war, und der Unterhalt mehrerer Beziehungen sehr viel Geld verschlang, so war er froh, einen neuen Schüler zu bekommen. Außerdem wollte der ja die Sache nur aus Luxus betreiben und keinen Broterwerb daraus machen; so war kein Anlaß da, ihm von der Kunst abzureden – was Herr von Sander sonst vielleicht allerdings auch nicht getan haben würde.

Vor allem erst mal 'ne Perücke auf, und ein Kostüm! sagte Fox zu sich selbst, der nun zu Hause vor dem Spiegel jenen Monolog im Sinne Herrn von Sanders fortwährend probte: Man muß sich selbst Illusionen machen, sonst geht es nicht. Die Perücke kaufte er, das Kostüm nähte ihm Fräulein Nippe aus einem Bettuch. – Ich habe es ganz allgemein im idealen Stil gehalten, sagte sie, indem sie es um seine Schultern hing, nun sehen Sie mal, da ist der Heros fertig, mitten in unserem trivialen, bürgerlichen Leben von heutzutage! – Fox probte von neuem, es ging entschieden schon besser. Aber den größten Schritt des Vorwärtskommens bemerkte er doch erst, als er sich endlich entschloß, das Zungen-R des Herrn von Sander und der Bühne überhaupt anzunehmen; zunächst erschien es ihm affektiert und unnatürlich, er kam sich fast lächerlich vor, aber dann dachte er: Sie machen es ja alle so, und folglich brauche ich mich vor niemand zu genieren. Und als er es dauernd übte, meinte er: was für ein Geheimnis doch oft in den unscheinbarsten Sachen steckt! Dies neue R ist doch wirklich beinah wie ein Zaubermittel! Alles klingt gleich wie in eine ganz andere Sphäre erhoben! Mit dem R hat er doch nicht so unrecht gehabt, wie ich dachte. – Herr von Sander war nach den ersten Stunden nicht unzufrieden, Fox ging jetzt daran, Rollen zu üben.


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