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II.

Berlin im Jahre 1710! Ein Emporkömmling mit allen Untugenden eines aus der Dürftigkeit zu schnell zur Bedeutung gelangten Wesens! Seit dem Niedergang Schwedens waren die Befestigungswälle des großen Kurfürsten überflüssig geworden; in der Bastion am Georgenturm ein Zirkus – da kämpften zur Belustigung des Hofes Löwen, Tiger und Bären. In der benachbarten Bastion am Stralauer Tor ein Proviantamt. Brot und Spiele, wie im alten Rom. Dazu die ultima ratio des unbeschränkten Königtums, verkörpert durch das stattliche Zeughaus mit dem benachbarten Gießhause in der ehemaligen Bastion auf der Dorotheenstadt. Daneben aber das alte Berlin, von der neuen Zeit fast unberührt. Schmale Gassen mit niedrigen Häusern im schroffen Gegensatz zu den stolzen Fronten auf dem benachbarten Werder oder gar den regelmäßigen Häuserblocks auf der Friedrichstadt. Schloß, Lange Brücke mit dem vor sieben Jahren von Schlüter gefertigten Reiterbild des letzten und größten Kurfürsten, dazu einzelne Paläste am Molkenmarkt und in der Spandauer Straße – Flicken von Seide auf einem abgetragenen Tuchrock, der überall zu kurz und zu eng geworden. Das stattliche Neue wirkte noch wenig in der dürftigen Nachbarschaft, die daneben sich noch dürftiger darstellte.

Auf königlichen Befehl waren seit dem 1. Januar des vorigen Jahres die früher selbständigen Städte Berlin und Cölln mit ihren Vorstädten und die auf landesherrlichem Boden angelegten Städte, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und im Westen die Friedrichstadt, zu einer Gesamtstadt Berlin vereint. Dem entsprach die Gerichtsverfassung. Ein kollegiales Stadtgericht mit einem vom König ernannten Vorsitzenden, gebildet aus den Richtern der einzelnen Städte und einigen Beisitzern. Jene aber zugleich Bagatellrichter in ihrer jetzt zum Stadtteil gewordenen Stadt. Dazu ein volles Fünftel der Einwohner als Mitglieder der seit dem letzten Menschenalter begründeten französischen Kolonie, eine Stadt in der Stadt bildend. Adel, Beamte und Militär unter eigener königlicher Gerichtsbarkeit. Dieselben Gegensätze auch in der Verwaltung. Für schärfer Blickende leicht erkennbar, daß nach und nach die letzten städtischen Sonderrechte und der Schatten ehemaliger Selbständigkeit von der königlichen, stetig steigenden Macht beseitigt werden würden.

Aber in bezug auf Klatschsucht war Berlin noch völlig Kleinstadt, hatte damit sogar die höfischen Kreise vom König herunter angesteckt. Nicht mehr sprach man vom Todesringen Karls von Schweden oder von neuen überheblichen Dreistigkeiten der beim König allmächtigen Gräfin Wartenberg –, der Mord des Hofkürschners beschäftigte alle. Das Stadtgericht hatte bereits am 13. Januar die von Helwig getroffenen Anordnungen genehmigt und ihn mit der Führung der Sache beauftragt. Aber nicht einen Schritt war er seitdem weiter gekommen. Die junge Königin Sophie, bei der sich in unbefriedigter Ehe immer schärfer der Verfolgungswahn entwickelte, fühlte sich im Schlosse nach dem Morde nicht mehr sicher. Unaufhörlich bestürmte sie ihren Gatten, den Mörder zu strafen, damit sie wieder ruhig schlafen könne. Der befahl, am Sonntag, dem 19. Januar, in allen lutherischen, reformierten und französischen Kirchen eine dringende Mahnung zu erlassen, daß jeder, der etwas vom Morde wisse, dies sofort anzeigen solle. Dies geschah – wieder ohne Erfolg! Zwar Anzeigen genug, die sich aber sofort als unbegründet herausstellten.

Drei Wochen nach dem Morde saß Stadtrichter Helwig mit Contius in seinem Geschäftszimmer auf dem Berliner Rathaus, in dem seit 12 Jahren ausgebauten Flügel in der Spandauer Straße – wieder ein Flicken an dem ein Vierteljahrtausend älteren Kern in der Königstraße. Der Stadtrichter hatte einige Bagatellsachen aus dem älteren Berlin erledigt, jetzt machte er sich an sein Dezernat. Das erste Stück war ein Schreiben, in dem eine Bäuerin, Hedwig Berendt aus Köritz im Amte Neustadt a. d. Dosse, beschuldigt wurde, den Mord an Heinrich verübt zu haben. Sie besitze die Fähigkeit, durch die Schlüssellöcher einzudringen und ihren Opfern den Schädel einzudrücken; dann nähme sie vorwiegend Silbergeld, das sie verstände in Gold zu verwandeln. Contius seufzte:

»Die laßt herkommen, Herr Stadtrichter, dann kann sie mein bißchen Aktuargehalt zu Gold machen!«

»Keine schlechten Witze, Contius! Es ist aber ein Elend, daß wir jetzt nach drei Wochen noch ebenso klug wie am Anfang sind! Die Gesellen im Kalandshof und die Weiber in der Königstraße liegen mir dauernd in den Ohren, endlich wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. Ich habe dies neulich schon beantragt, aber unser hoher Vorgesetzter, der leider zu sehr nach oben horcht, will zunächst die Sache beim Minister v. Bartholdi zur Sprache bringen.«

Der kleine Contius ereiferte sich:

»Jammer und Elend, daß es bis dahin mit unsrer alten berlinischen Freiheit gekommen ist! Wäre der Mord vor anderthalb Jahren geschehn – –«

»Ja, ja, dann hätte ich als Stadtrichter von Alt-Berlin tun und lassen können, was ich gewollt. Nur bei ewiger Haft und bei Hinrichtungen hätten der König oder sein hochpreisliches Kriminal-Kolleg ihren Senf dazutun müssen. Doch wozu alte Wunden aufreißen, die Änderung hat ja auch ihr Gutes. Jetzt brauche ich mich nicht allein in dieser scheußlichen Sache, die wir vielleicht nie ergründen, zu blamieren!«

Ein Bote meldete den Diakon Kahmann, der ihm auf dem Fuße folgte:

»Herr Stadtrichter! Ich bringe entsetzliche Kunde furchtbarer Unreinlichkeit – Frau Heinrich und Briesemann haben im Ehebruch gelebt und den Meister ermordet!«

Ein Schrei beider Gerichtspersonen antwortete, Abscheu, aber auch Befriedigung über endliche Aufklärung vermischten sich darin.

»Haben sie dies gestanden?« fragte Helwig mit heiserer Stimme.

»Gestanden nicht, aber sie sind überführt.« Er habe häufig die Gefangenen und Verstrickten besucht und bei der Magd und Littow, weniger bei der Meisterin und Briesemann, ein aufmerksames Gehör gefunden. Schon seit Tagen habe er gefühlt, daß der Herr durch ihn das Herz des Littow gerührt. Er habe die reine Flamme seiner Erkenntnis genährt, und soeben habe er gestanden.

»Was denn? Was gestanden?«

Die Magd habe Littow einmal erzählt, daß Briesemann Ehebruch mit der Meisterin getrieben; sie sei zufällig hinzugekommen.

»Weiter, weiter!«

Sofort sei er zur Heinrich gegangen, die ihn ausgelacht, aber als er die Magd allein vorgenommen, habe sie ihm das nähere erzählt. Eines Sonntags vormittag im letzten Sommer sei der Meister mit Ursula und Littow bei ihm in der Kirche gewesen. Kathi habe die Heinrich etwas fragen wollen und sie nach langem Suchen endlich mit Briesemann unten in der Gesellenstube im Ehebruch betroffen. Die Meisterin sei erregt aufgesprungen und habe ihr streng verboten, dem Heinrich etwas davon zu sagen. Dem Littow es zu erzählen, sei ihr nicht verboten worden.

»Habt Ihr der Witwe diese Angabe der Magd vorgehalten?«

»Ja.« Sie sei aber verstockt geblieben, habe gelacht, die Kathi sei sonst ganz ehrlich, ginge aber bisweilen über den Wein, da möge sie Wunderdinge gesehen haben. Ob ich sie für so töricht hielte, nicht zunächst die Tür zu verriegeln, wenn sie so etwas habe tun wollen.

»Das wäre allerdings zweckmäßig gewesen,« murmelte Helwig. »Was sagte Briesemann dazu?«

Der habe auch gelacht und über die dämliche Magd Witze gemacht; es sei eine Beleidigung, daß man ihm zutraue, das Vertrauen seines Meisters, Wohltäters und zukünftigen Schwiegervaters so gröblich getäuscht zu haben.

Halb enttäuscht, halb beruhigt wandte sich Helwig an Kahmann:

»Aus solchem Gerede der Magd haltet Ihr Ehebruch und Mord für erwiesen?«

»Unbedingt! Die Rechtsgelehrten mögen ja andere Beweise brauchen, aber dem Geistlichen hat es der Herr gegeben, untrügliche Blicke in das Herz seiner Beichtkinder zu tun. Da weiß ich denn ganz bestimmt, daß die Magd nicht gelogen!«

»Und der Mord? Der Mord?«

»Haben die beiden in dieser Unreinlichkeit gelebt, so hat der Teufel sie immer weiter zur Sünde gereizt. Sie haben schändlich das dritte Gebot verletzt, da sind sie dann in die Sünde des sechsten verfallen, schließlich hat sie der Teufel zur Sünde des fünften verlockt.«

Kahmann entfernte sich mit der Bitte, daß der Witwe und dem Gesellen Briesemann ein andrer Beichtvater beigeordnet werde. Er habe ihr ohnehin schwaches Vertrauen völlig verloren, seitdem er die Magd zu ihren Bekundungen veranlaßt habe. Helwig versprach dies.

Nachdenklich bemerkte er:

»Vielleicht das Wichtigste von dem ganzen Gerede ist, daß Briesemann sich jetzt als zukünftigen Schwiegersohn Heinrichs aufspielt. Das sieht gerade so aus, als ob er dies als Rettungsplanke benutzen möchte.«

»Herr Stadtrichter möchte zum Herrn Kammergerichtsrat so bald als möglich kommen,« meldete ein unförmig dicker Bote mit dem Stadtwappen, dem aufrecht schreitenden Bären, auf einem Blechschild am Arm.

Helwig folgte dem Dicken über den Flur, durchschritt ein kleines Vorzimmer und betrat auf das »Herein« des Justiz-Bürgermeisters, Stadtgerichts-Direktors und Kammergerichtsrats Ludwig Senning dessen Arbeitszimmer. Etwas geräumiger und besser ausgestattet als das des Stadtrichters, war es auf der Rückwand mit dem Weidemannschen Bild des Königs geziert. Im reichsten Goldrahmen zeigte es den Fürsten mit riesiger Perücke, ganz gepanzert, mit dem Orangeband des Schwarzen Adlerordens und daran hängendem Blauen Kreuz an der Hüfte. Um die Schultern des Dargestellten, den natürlich niemals jemand in dieser unmöglichen Tracht gesehen hatte, lag ein Hermelinmantel und auf einem Stuhl neben ihm die Königskrone. Ganz unwirklich, aber desto eindrucksvoller.

Senning, ein noch jüngerer Herr, um vieles reicher gekleidet als sein älterer Untergebener, winkte einen etwas steifen Gruß. »Er sieht immer aus, als schritte er bei Hofe hinter den Obersten beim Throne vorüber,« spottete man über ihn. Dann sprudelte er los, es sei dringend notwendig, daß endlich Licht in die Sache käme. Gestern habe es Exzellenz Bartholdi sehr beklagt, daß man noch immer im Dunkeln tappe. Helwig teilte ihm das von Kahmann soeben Erfahrene mit.

»Ach! Dieser Kahmann!«, rief Senning, »der hat uns einen abscheulichen Streich gespielt! Hat seine Leichenrede für den Gemordeten, die er vor drei Wochen gehalten, bei Lorentz im Druck erscheinen lassen und sie an S. Majestät, an Graf Wartenberg, an Exzellenz Bartholdi, an mich und Gott weiß an wen noch, dieser Tage verschickt! Da seht Euch das Ding einmal an!«

Er nahm vom Tisch ein Quartheftchen von 20 Seiten mit dem Titel:

Eine schmertzliche Jammer-Klage über den / Entsetzlichen und gewaltsamen Tod / Des / in Gott ruhenden Wohlseligen Herrn Martin / Heinrichs / Königl. Preußischen Hoff-Kürschners – – / Zum ewigen Andenken / In einer Leichen- und Trauer-Rede: / Denen von Hertzen Betrübten zum Trost, denen Frommen und Gläubigen zur Erweckung, den Gottlosen und Sündern zur Warnung gehalten, von M. Heinrich Kahmann / Diener des Wortes bey der Gemeine zu St. Marien.

»Seht Euch den gräßlichen Holzschnitt, den Sarg auf der Rückseite des Titels an.«

»Scheußlich!« Helwig erklärte, die Rede bereits in der Kirche gehört zu haben. Kahmann trete den Beweis dafür an, daß Heinrich trotz seines jähen Todes selig geworden sei.

Senning lachte: »Nun, ich will mich kurz fassen. Kahmann übergebe zwar den ruchlosen Mörder in die Hände des gerechten Gottes, der gesagt: Die Rache ist mein; aber törichterweise begnüge er sich nicht damit, sondern reize die Hörer und hetze, was viel schlimmer, die Leser in der ungeheuerlichsten Weise auf. Nach ihm habe Moses angeordnet, daß, wenn ein Mord vorgefallen, und der Täter unbekannt, die Ältesten beim Erschlagenen eine junge Kuh schlachten, ihre Hände in das Blut tauchen und ihre Unschuld bekennen und bitten sollen, daß der Herr das unschuldig vergossene Blut nicht auf sein Volk Israel lege.«

»Gott bewahre! Will Kahmann das hier in Berlin einführen?«

»Ach, das hätte er ruhig vorschlagen sollen, aber da peroriert er, daß wir an das Levitische Gesetz nicht so fest mehr gebunden seien, daß aber wie ehedem das ungesühnte Blut auf unserer Stadt, unserm Lande und auf dem Hause des Erschlagenen sei! Ihr könnt es Seite 18 genauer nachlesen.«

»Dann steh'n wir ja schlechter als im Alten Testament.«

»Sicherlich, lieber Kollege.«

»Wenn es auf dem ganzen Lande ruht, wird der einzelne sich nicht viel darum kümmern.«

»Nein, aber der König oder zuerst die Königin haben von Kahmanns Rede leider Kenntnis genommen! S. Majestät hat gestern früh Exzellenz Freiherrn von Bartholdi zu sich kommen lassen; Wartenberg war zugegen. Gestern abend hat mich dann Exzellenz befohlen und den dringenden Wunsch des Königs ausgesprochen, daß der Mörder endlich entdeckt werde. Er ahne nicht, weshalb S. Majestät über diesen Vorfall so erregt, da von der Maas bis zum Niemen doch öfter ein unentdeckter Mord vorfalle. Vielleicht meine er, daß jetzt, wo überall die Pest sich zeigt, die Strafe Gottes in solchen ungebüßten Bluttaten zu spüren sei. Wartenberg und Bartholdi hätten dann nicht weiter widersprochen. Wer widerspricht einem Fürsten!«

Der Stadtrichter wandte ein, daß der Fall hier doch noch anders läge, als wenn in Kleve oder Memel gemordet wäre. Es sei ein unbehagliches Gefühl, wenn mitten in einer wohlverwahrten Stadt neben einem jemand abgeschlachtet werde! Der Herr Kammergerichtsrat wohne drüben auf dem Werder, das sei weit ab und fast eine andere Stadt. S. Majestät und Wartenberg an der Langen Brücke seien dagegen fast Nachbarn, Bartholdi in der Spandauer Straße wohne fast noch näher, und er selbst schräg gegenüber dem Mordhaus. Seine alte Haushälterin wäre völlig aus dem Häuschen.

Senning lachte: »Jener Fluch geht also vom Hause aus und verflüchtigt sich nach und nach! Daran ist etwas Wahres. Die Witwe wird schwerlich einen Mieter oder Käufer für ihr Haus finden, ehe der Mörder entdeckt und gestraft ist.«

»Ganz gewiß nicht, Herr Kammergerichtsrat. Ich nähme es selbst nicht geschenkt!«

Da meldete der dicke Bote den Gerichtsdiener Sello, der in der Heinrichschen Mordsache eine vielleicht wichtige Meldung zu machen wünsche. Auf den genehmigenden Wink Sennings trat der alte Wächter des Mordhauses ein. Er begrüßte seinen Vorgesetzten wie ein Wachtmeister seinen Oberst und dann den Stadtrichter wie seinen Rittmeister. Aus seinem Bericht ergab sich, daß ihn die Witwe gleich nach dem Weggange Kahmanns gebeten habe, ein kurzes Schreiben an den verhafteten Briesemann nach dem Kalandshof zu bringen, es handle sich um die Pelzmütze ihrer Tochter. Da die Frau immer sehr nett und freundlich zu ihm gewesen sei, habe er ihr versprochen, diesen Wunsch zu erfüllen, sobald ihn Pahl abgelöst haben werde. Dies sei vor einer Viertelstunde geschehen. Unterwegs sei ihm aber in den Sinn gekommen, daß der Brief doch etwas anderes enthalten könne; er sei deshalb umgekehrt, um den Herrn Kammergerichtsrat zu fragen, ob er den Brief bestellen dürfe.

Senning öffnete den überreichten verschlossenen Brief und las:

»In was Elend wir uns stürtzen, ach mein Jesu, habe ich nicht gesaget, das uns die Magd verrathen wird. Sie hat mir es unter die Augen gesaget; schreibet mir doch, was ich mache, was soll ich doch anfangen, wann doch das Unglücke nicht geschehen wäre, wir hätten noch lange können so leben, wann Ihr man das nicht gethan habet, aber mich däucht, Ihr habet es gethan. Was soll ich doch machen, wann Ihr man wieder davon wäret, aber es wird wol schwer zugehen, was werden sie Euch vor Dranksahl anlegen, und mich desselben gleichen. Ich hatte es nicht gemeinet, das Ihr es so machen sollt. Ich kan nicht davon sagen, ich weiß nichts davon.«

Senning wandte sich mit gütigem Blick an Sello: »Dank Ihm, durch seine Ehrlichkeit hat Er uns einen wertvollen Dienst geleistet.«

»Keine Ursache, Herr Kammergerichtsrat. Ein alter Unteroffizier von Treffenfeld kennt seine Pflicht.«

»Seine Hand her, Sello, ich drücke sie gern einem Ehrenmann! Aber nun schweige Er, damit wir die Halunken desto sichrer fassen!«

Glückstrahlend entfernte sich Sello.

Senning sprang erregt vom Stuhle auf:

»Nun kommt Licht in die Sache! Endlich, endlich etwas Sicheres, Greifbares! Was sagt Ihr dazu, Helwig?«

Helwig starrte vor sich hin:

»Also ein Teufel in Weibsgestalt, Herr Kammergerichtsrat! Sie geht ihrem sichern Untergang entgegen.«

»Ja, und anscheinend eine Frau aus besserem Stand, mit guter Erziehung! Das Mensch schreibt eine so lesbare Handschrift, drückt sich vernünftig und klar aus und weiß auch mit dem Rechtsgange Bescheid!«

»Ihr Vater war – wie die Akten ergeben – Prokurator in Bernau, kam dann nach Berlin, hier aber auf keinen grünen Zweig. Seine einzige Tochter verlor ihn, als sie etwa l7 Jahre, ging zu einer Schwester ihres Vaters, Zielefeld, die Weißnäherin bei Hofe war. Sie heiratete aber bald den damals mehr als 40jährigen Hofkürschner, der sich wohl in ihre hübsche Maske vergafft hatte. Ganz unglücklich schien die Ehe nicht gewesen zu sein, denn sie hat von ihm vier Kinder, von denen nur das älteste, eine bildhübsche Tochter, am Leben. Im Hochsommer erwartet sie wieder ein Kind.«

»Das wohl von Briesemann sein wird. Aber das wird hoffentlich die Sache nicht aufhalten. Es muß ein Geständnis erzielt werden, auf die Folterung können wir bei ihr also unter diesen Umständen bis spät in den Herbst nicht rechnen.«

»Ich glaube, die kluge und gebildete Frau wird uns noch viel zu schaffen machen.«

»Nach diesem Schreiben wird sie sich wohl kaum noch herausreden können. Nehmt Euch der Sache recht eifrig an und befreit die Nachbarschaft bis zum Schlosse von ihren Sorgen! Ich gehe in die Sitzung des Stadtgerichts, beantrage Spezial-Inquisition gegen das verbrecherische Paar, Loslassung der Magd und des anderen Gesellen und die sofortige Verhaftung der Heinrich!«

»Das wäre wohl das für den Augenblick Nötigste, Herr Kammergerichtsrat. Ich werde auf meinem Zimmer die Beschlüsse erwarten und sie sofort zur Ausführung bringen.«

Senning wandte sich zur Tür, drehte sich dann um:

»Noch eins, Herr Kollege! Da setzt mir ein Schuster Lüdicke zu, er könne etwas sehr Wichtiges in dieser Sache mitteilen. Er soll, da ich in die Sitzung muß, zu Euch geführt werden. Seht zu, daß sein Eifer gezügelt wird, wir brauchen wohl solche Hilfe nicht.«

Helwig kehrte in sein Zimmer zurück. Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich. Im Geiste sah er die schöne Frau vor sich – er sah, wie der Henker mit blinkendem Schwerte den schneeweißen Hals durchschnitt. Nie war die Schwere seines Berufs ihm so kraß vor die Augen getreten, wie in dieser Stunde. – Dann raffte er sich auf. Kurz teilte er Contius den Wandel der Dinge mit und daß ihm die Spezialinquisition gegen Frau Heinrich und Briesemann übertragen sei.

»Senning ist doch ein geborener Vorsitzender. Die Art, wie er mit einem gnädigen Händedruck dem ehrlichen Sello dankte, hat mir imponiert. Ich hätte dem sechs Flaschen Kottbuser zahlen können, das hätte ihn nicht so glücklich gemacht!«

Die weitere Unterhaltung wurde durch den Eintritt Lüdickes gestört, der kaum grüßend losplatzte:

»Ick bin den Mörder von Heinrich uf de Spur!«

»So? Wer ist es denn?«

»Det is eene lange Jeschichte. Ick bin überall herumjelofen, da der Hund entdeckt werden muß. Dat Jeld is sicher nach außen jeschafft worden. Eene polnische Prinzessin is in de Mordnacht vor Mitternacht im eigenen Wagen aus die Stadt durch das Köpnicker Tor gefahren.«

»Meint Er, daß die Prinzessin – sie heißt übrigens Lubomirska – für ihre Reise Kleingeld nötig gehabt und es sich bei Heinrich geholt hat?«

»Keenen Spott, Herr Stadtrichter, aber die Polnsche hat eenen Kutscher und zwei Diener jehabt, von die is et eener jewesen.«

»Ach, Unsinn, Meister. Das Gericht hat selbstverständlich längst festgestellt, was an fremden Personen um jene Zeit in die Stadt gekommen, und wer sie nach dem Morde verlassen hat. Da ist uns auch von der Torwache gemeldet, daß jene Prinzessin in der Zeit von 10 bis 12 Uhr abends fortgefahren.«

»Wer fährt denn um die Zeit aus Berlin?«

»Zu Seiner Beruhigung kann ich Ihm auch das sagen: Die Prinzessin hatte einen eiligen Auftrag des Königs von Polen. Sie war beim Grafen Wartenberg, der in der Sache vermitteln sollte, abgestiegen, wurde wider ihr Erwarten von der Kronprinzeß zum Mittagessen eingeladen und mußte nun gegen Mitternacht aufbrechen, da die Sache Eile hatte. Es war ja Mondschein. Er kann übrigens dieses tiefe politische Geheimnis ruhig jedem erzählen.«

»Ihr spottet wieder, Herr Stadtrichter!«

»Nein, ich soll Ihn nur auf den Wunsch des Herrn Kammergerichtsrats darauf aufmerksam machen, daß das Gericht seine gutgemeinte Unterstützung nicht braucht.«

»Wolle Gott, det träfe zu! Aber wenn det Jericht in drei Wochen nischt herausjekriegt hat, da is et Pflicht jedes Bürgers, dem verdammten Mordbuben selbst uf de Spur zu kommen. Wo soll denn det Jeld jeblieben sein?«

»Na, das wird sich schon finden. Doch zu etwas anderem: Heinrich war doch ein alter, klappriger Kerl, der Briesemann ist aber ein recht hübscher Junge – hat da die stattliche junge Frau nicht mit dem Bengel geliebelt?«

»Herr Stadtrichter, ick versteh janz jut, wat Ihr meent. Dat hat mich auch der Nachbar Trillhase von drüben neulich jefragt, dem hab ick aber jeantwortet: Du Esel, verdammter, du Spatzenhirn elendes, warum sollen sich de jungen Leute nich jefunden haben? Der olle Heinrich hätt se nich dabei jehindert und es uf seine Kappe jenommen, hätt' de Sache Folgen jehabt.«

»Aber der Briesemann hätte vielleicht die Meisterin heiraten wollen und deshalb den Heinrich totgeschlagen?«

»Jenau datselbe sagte der Schafskopf Trillhase! Ick sagte ihm aber: Kennst du Hornochse das Testament von Heinrich, oder kenn ick et? Er hat seine Kinder zu Erben injesetzt und seine Frau auf Lebenszeit oder bis zur Wiederverheiratung zur Nutznießerin des janzen Vermögens – et is alles von ihm! Da müßten ja die jungen Leute noch dümmer sein wie du – ick meene Trillhasen –, wenn se, anstatt sich als reiche Leute zu verjnügen, als bettelarmes Ehepaar Hungerpoten saugen müßten!«

»Na, da hat Er wohl den Ochsen Trillhase überzeugt?«

»I Gott bewahre! Bei den is de Dummheit schon zu feste injewurzelt und de jeistige Verstopfung zu weit jejangen. Der olle Esel meinte nämlich, er hätte vor anderthalb Jahren einmal jehört, det Frau Heinrich in de Haustüre jesagt hat, se würde 100 Dukaten jeben, wenn eener se von den ollen Kerl – den Heinrich – befreien würde.«

»Das will Trillhase gehört haben? Das scheint doch recht bedenklich!«

»Herr Stadtrichter, man sieht, dat Ihr een Jungjeselle seid! Ick habe jewiß hundertmal datselbe von meine Olle jesagt und wäre doch höllisch deutlich jeworden, wenn sich eener de 100 Dukaten hätte verdienen wollen! Dat quatscht eener im Ärger bald mal, der nich eenen Dukaten bezahlen könnte.«

»Na, ob das stimmt, Meister Lüdicke?«

»Allemal, Herr Stadtrichter! Da hab ick in die erste Zeit von meine Ehe oft zu meene Alte jesagt: Altes Stück, nimm Steine in de Tasche, ersauf dich in de Spree, dat ich endlich dein ewiges Keifen nich mehr höre! War ja Unsinn, de Spree hatte ja damals noch nich de steenerne Ufermauer, und wer da hineinplumpste, der erstickte einfach im Moder! Meene Olle hat et aber nie jetan, und ick hätte ihr ooch höllische Prügel anjedeihen lassen, wenn se et jetan hätte! Dat jehört nu mal zu eene christliche Ehe!«

»Darüber läßt sich streiten, Meister!«

»Ick denke mir de Sache so: De jungen Leute haben mit einander Unfug getrieben, oder, wie Diakon Kahmann et nennt, Unreinlichkeit. Se verdienten ja Prügel, wenn se et nich jetan hätten. Heinrich mußte damit rechnen, wie jeder olle Kerl, der een junges Weib jenommen. Er hätte ja eene olle Hexe nehmen können, dann wär er vor Hörnern sicher jewesen.«

»Das ist ja eine nette Moral, Meister!«

»Herr Stadtrichter, Ihr seid Jungjeselle! Da kennt Ihr dat Leben in de Ehe nicht. Ick aber lege dafür meene Hand int Feuer: Ick jlobe, dat de beeden Unfug jetrieben haben, dat det Ende von weg is – dem Ollen aber haben se keen Haar jekrümmt! Der Mordbube is da, wo dat Jeld is, und wenn det Jericht ihn nicht ufstöbert, so werd ick ihn finden!«

»Gut, Meister! Aber verspreche Er mir, daß Er sich bei Gericht erst dann wieder meldet, wenn Er den Namen des Schuftes angeben kann.«

»Soll jeschehn. Hoffentlich hat dat Jericht nu mehr Jlück als in de letzten drei Wochen!«

»Das wollen wir hoffen. Gott befohlen!«

Der Meister trottelte ab. Helwig brachte jetzt die eben vom Gericht erlassenen Beschlüsse zur Ausführung.

Bald hatten Littow und Frau Heinrich die Rollen vertauscht: Diese ward zum Kalandshof in leidlichen Gewahrsam gebracht, und Littow zog wieder in die Dachstube des Hauses.

Der Stadtrichter aber murmelte zwischen den Zähnen: Ein tolles Ding mit unsrer Justiz; ginge es nach Kahmann, so könnten wir die beiden glatt rädern, ginge es nach Lüdicke, müßten wir sie laufen lassen und sie für die Freiheitsbeschränkung um Entschuldigung bitten.

»Contius, Trillhase soll zu morgen auf den Kalandshof geladen werden. Hoffentlich verfolgt Lüdicke seine polnische Prinzessin in Dresden oder Warschau weiter und läßt uns in Ruhe,« meinte er lachend.

»Herr Stadtrichter, der Kerl ist vielleicht doch auf der richtigen Fährte! Unzweifelhaft fehlen 100 Taler, im Hause ist der kleinste Winkel untersucht – da sind sie nicht! Keiner der Hausgenossen kann das Geld nach der Tat fortgeschafft haben.«

»Richtig, Contius, das ist allerdings höchst auffallend. Die Untersuchung wird es vielleicht noch aufklären.«

»Es ist 1 Uhr, Herr Stadtrichter!«

»Ah, Er sehnt sich nach der Suppe! Hoffentlich hat seine Eheliebste Ihm heute etwas zugekocht, das sich aufwärmen läßt!«

»Ja, wir haben sauren Kalbskopf.«

»Da kann Er ja in einer Viertelstunde losschmausen; ich armer geplagter Mann muß vor dem Essen noch nach dem Molkenmarkt. Ich will bei Zorns vorsprechen und sehen, daß der armen kleinen Ursula die Verhaftung ihrer Mutter in einem Säftchen beigebracht wird.«

»Na, das wird der alte Zorn wohl verstehn, er ist ja Apotheker.«

Die beiden Gerichtspersonen warfen ihre kurzen schwarzen Mäntel um die Schultern und stülpten den aufgeschlagenen dreieckigen weichen Hut auf den Kopf. Vor dem Portal in der Spandauer Straße fragte Helwig:

»Sag Er, Contius, machen denn Eheleute, wie der grobe Lüdicke meint, öfter eine Auslobung, daß jemand sie von dem anderen Eheteile befreit?«

»Das habe ich noch nie getan, Herr Stadtrichter, wohl aber meine Alte oft genug in böser Laune zum Teufel verwünscht.«

»So, so. Na, dann hoffe ich, daß Sein saurer Kalbskopf heute so geraten ist, daß Er den Erbfeind nicht zu bemühen hat. Gott befohlen!«


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