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Zwölftes Kapitel. Wenn's dem Esel zu wohl wird ...

Ein warmer, sonnenheller Nachmittag war es gegen Ende Mai.

»Gutes Wetter für meine Wäsche«, hatte Trautchen in der Frühe gesagt, mit einem Blick zum Himmel, der sich ausnahm, als glaube sie ganz richtig an ein höheres Wesen da droben, das um ihretwillen den Barometerstand beeinflußt hätte und nun gespannt auf ihre leutselige Anerkennung warte.

Tom war nicht rosig gestimmt. Es hatte ein magres und reizloses Mittagessen gegeben, wie stets, wenn Frau Glaß, die Waschfrau mit den Gaben einer Konzertesserin, im Hause weilte. Und langweiliges Essen hinterläßt ja die gleiche innere Leere wie langweilige Gespräche, wenigstens bei Leuten, die Besseres gewohnt sind.

Heute nun gesellte sich dazu noch etwas andres, was einen ehrgeizigen Künstler wohl zu plagen vermochte. Gleich nach Tisch waren die drei neuen, für die bevorstehende Sezessionsausstellung bestimmten Bilder vom Vergolder zurückgekommen. Toni hielt darauf, seine Werke, bevor sie der Öffentlichkeit gezeigt wurden, im Rahmen noch einmal daheim genau und prüfend zu mustern. Die begrenzenden Goldleisten gaben ihnen gleichsam ein andres Gesicht; und so gewann er den Abstand, aus dem er zu ergründen suchen konnte, wo es etwa noch fehle, und wo vielleicht eine Besserung von letzter Hand nötig und möglich wäre. Ach ja, weit zurück lagen die Zeiten glücklicher Naivität, da dem starken Mann die eignen Sachen bei solchem Wiedersehen nach kurzer Trennung erstaunlich viel besser als in der Erinnerung zu erscheinen pflegten, da er noch immer aufs neue darüber verblüfft sein und sich wundern konnte, wie verdammt und ausnehmend talentvoll er war.

Die Palette am Daumen, die Faust zum Pinselköcher gerundet, so trat Toni bald vor die eine, bald vor die andere der drei Staffeleien, nahm die Kopfhaltung eines Stiers an, der stoßen möchte, runzelte die Brauen, kniff forschend die Augen zu Gedankenstrichen zusammen, riß plötzlich einen Pinsel aus dem Bündel, mischte in wütender Eilfertigkeit den Ton, der ihm vorschwebte, und schleuderte mit kurzem Hieb irgendein raffiniertes Glanzlicht in das Bild; häufig nur, um es gleich wieder mühsam und sorgfältig auszulöschen, unter verärgertem Ächzen und Schimpfen.

»Ich sag's ja!« brummte er in sich herein und stampfte mit dem Fuß auf. »Raus kommt eh nix bei der Schinderei, der blöden. Ach, sie hat ja so senkrecht wie immer. Hätt' ich den Dreck bloß gleich in die Sezession spedieren lassen!« Dennoch vermochte er sich nicht loszureißen von der sauren Arbeit, die ihm offenkundig so wenig Freude machte.

Zu desto mehr Vergnügen boten diese künstlerischen Geburtswehen des Meisters einem andern Anlaß, und das war herzloserweise sein leiblicher Sohn.

Möglichst unscheinbar stand der Bub vor seiner kleinen Privatstaffelei, an der er sich in letzter Zeit gern einer breitpinseligen Schilderei in Wasserfarben befliß. Auch heute hatte er aus der Tiefe seines Gemütes ein Kunstwerk auf grauen Pappendeckel geworfen, das ihm mit reiner Genugtuung erfüllte. Er, er besaß noch die jugendliche Begeisterung für das eigne Können, oder auch Nichtkönnen; das bleibt sich wohl gleich. Vielleicht vermochte er deshalb den ungebärdigen Anstalten seines Erzeugers bloß die komische Seite abzugewinnen.

Jedenfalls hatte Toni plötzlich, stark und bestimmt wie eine körperliche Berührung, ein Gefühl, als ob ihn irgendwo irgendwer nicht gebührend ernst nähme. Kampfbereit wendete er den Kopf und sah in Micheles vor spöttischer Wonne strahlendes Lausbubengesicht.

»Was is denn?« knurrte er, künstlich barsch.

»Ja, Vater?« fragte der Junge, harmlos erstaunt.

Vati, so sagte höchstens noch Trautchen. Das Michele deuchte sich längst zu männlich für solch eine täppische Anrede.

»Was du zu grinsen hast, möcht' ich wissen?« forschte Toni mit grimmiger Miene weiter.

»I–ich?!«

»No? Krieg' ich bald eine Antwort, Schurke?«

Nun war der Bub beruhigt. Wenn der Vater Schurke sagte, hatte es weiter nichts auf sich.

»Ja, weil ...« begann er zaudernd, und schon lachten seine Augen wieder.

»Weil?«

»Weil du so dumm tust!« schoß es dem Michele heraus, und es pruschte, halb dreist, halb erschrocken, in die vorgehaltene Hand.

»Du!« warnte Toni. »Bis ich dir einmal die Ohrwascheln auf einen Meter verlängre! Außerdem is hier das geheiligte Reich der Arbeit. Malen, oder an die frische Luft gesetzt werden, Bursche!«

»Bin eh schon fertig!« erklärte der Bub, postierte sich auf zwei Schritt Entfernung von seiner Staffelei, nahm eine treu dem Alten abgelauschte Kennerhaltung an und musterte mit dem rechten Auge – das linke hatte er fachmännisch zugekniffen –, was er vollbracht.

»Also, wollen einmal schaun!« Toni trat hinter seinem Sprößling. »Teufel!« entrutschte es ihm dann; er fuhr ein wenig zurück und machte ein verzwicktes Gesicht.

Der werdende Künstler besaß im ganzen noch die unschuldigste Anfängertechnik. Auf seinem Pappendeckel prangten übereinander drei etwas eckig geratene Kreise, die nach oben immer kleiner wurden. Der mittlere trug an den Seiten Henkel, vom unteren baumelten zwei rechtwinklige Haken abwärts. In der Hinsicht war es auf die schlichteste Formel gebracht, auf die ein wohlgenährter Mensch weiblichen Geschlechts gebracht werden kann. Aber es steckte noch etwas mehr darin, eigentlich etwas verdammt Gutes, fand der stolze Vater insgeheim; und das lag einmal in einem gewissen natürlichen Farbengeschmack, andrerseits, stärker noch, im Ausdruck. Wie durch ein paar Striche und Tupfer dies Gesicht mit den zinnobernen Bäckchen in den obersten Kreis gesetzt war, daraus sprach Beobachtung, und eine fast boshaft scharfe außerdem. Toni wußte nur zu genau, welche Dame ihres nächsten Bekanntenkreises von dieser Würde, dieser inbrünstig satten Zufriedenheit überglänzt war.

»Wer soll jetzt das wieder sein?« fragte er trotzdem obenhin und betont ahnungslos, in der stillen Hoffnung, das Michele würde die goldne Brücke, die er ihm auf die Art baute, benutzen. Der Bub war aber wirklich ein Beobachter und hatte das flüchtige Zucken der Erheiterung um seines Vaters Mundwinkel blitzschnell erfaßt und richtig gedeutet. Schlicht und keck zu erklären, daß diese selig schmunzelnde Kugelpyramide die Mutter darstelle, schien ihm doch wohl nicht ratsam. Er wußte sich aber eine Umschreibung, von der er wahrscheinlich meinte, daß sie sein immerhin gewagtes Geständnis ins harmlos Humoristische abschwäche.

»Das?« sagte er mit gemachter Leichtigkeit. »Das is doch die geborne Grunelius.« Doch kaum war's heraus, da zuckte schon sein Kopf erschrocken zur Seite, und der gekrümmte Arm hob sich vorsorglich als Schild.

»Ja, was fällt denn dir ein!« wetterte Toni in hastig zusammengerafftem Pädagogenernst. »Wie redst denn du von deiner Mutter! Möcht wissen, woher du die Ausdrück' hast!«

Kam beim Vater die Watschen nicht gleich, so kam sie überhaupt nicht. Das Michele ließ demgemäß den Arm sinken, machte große, reine Augen und entgegnete mit vor lauter Unschuld fast gekränkter Miene:

»Ja, von dir, Vater!«

»Schwätz net so blöd daher! Was: von mir? Na, wird's bald? Antwort!«

»Jawohl, das sagst du doch«, kam es weinerlich zurück.

»Was soll ich sagen?«

»No, halt das ... das, wo ich net sagen soll ...«

»Dummes Gered'!« grollte Toni abschließend, aber sein Gewissen biß ihn dabei. Sich selber konnte er nicht gut verhehlen, daß neuerdings in seinen verschwiegnen Gedanken Trautchen häufig als die geborne Grunelius aufzutreten pflegte. Und so mochte es denn geschehen sein, daß etwas davon einmal in einem unpassenden Moment versehentlich laut geworden war.

»Und wenn du's doch gesagt hast!« maulte das ungerecht behandelte Michele.

»No ja«, so wich der Herr Papa langsam von seiner Bestimmtheit zurück, »aber das is noch lang' kein Grund! Und wenn ich einmal einen Spaß mach' ... Ich weiß zwar gar nix davon. Und wenn ein Bub wie du so was sagt von seiner Mutter, schau, Michele, besonders hübsch is das einmal net!«

»Ich spaß' doch auch bloß!« wendete, geniert durch diese Gefühlstöne, der Junge ein.

»Das gehört sich aber net! Und überhaupts, schau, seine liebe Mutter so abmalen, das tut man doch net!«

»Warum?«

»Schau, Michele, glaubst denn du, die Mutter tät' eine große Freud' haben, wenn sie das sieht?«

»Ja, sie lass' ich's doch net sehn! Da mach' ich schon zuvor was andres daraus. A, das geht ganz leicht. Ich weiß: eine Fledermaus!«

Jetzt blitzten Micheles Augen wieder vor reinem Vergnügen und unternehmender Schöpferfreude.

»Na sixt es!« rief Toni befriedigt. »Du bist gar net so dumm! Du weißt es schon selber!« Aber dann fühlte er sich doch verpflichtet, diese Angelegenheit nicht so gewissermaßen mit einem halben Lobspruch ihren Abschluß finden zu lassen, sondern noch eine recht väterliche Ermahnung daran zu knüpfen.

»Schau, Michele«, begann er, »das mußt du doch als ein gescheiter Bub' einsehn! Wo die Mutter immer so gut zu dir is und so viel Müh' und Plag' mit dir hat!«

»Könnt' sich ja manches davon auch sparen!« warf der Junge kaltblütig hin. Er hatte Amüsanteres zu tun, als sich von aufgenötigter Rührung ans Herz greifen zu lassen. Versah er doch gerade den Kopf der gebornen Grunelius mit zwei gewaltigen spitzen Ohren, zog die Winkel des mild lächelnden Mundes fast bis an diese Ohren hinauf, vergrößerte die Nasenlöcher und setzte einen kühnen geschwungenen Bogen darüber.

»Denk doch dran«, predigte Toni weiter, »was sie bloß damit für Arbeit hat, wie du alle deine Sachen zerreißt!«

»Da kann ich aber nix dafür!« wehrte sich das Michele. »Weil nix mehr das aushalten tut wie früherszeiten, hast du doch selber gesagt, und weil die Stoffe jetzt halt so ein Glump sind.«

»Und weil du auf jedem Baum kraxeln mußt, und weil gewisse Leut' im Winter am bloßen Hosenboden rodeln, deshalb!«

Der Bub war jetzt eifrig darein vertieft, die Füße seines Porträts mit einer unwahrscheinlichen Zahl von scharfen Krallen zu bewaffnen.

»Ich sag's ja alleweil«, gab er seelenruhig zur Antwort, »mir is es bloß recht, bal mir die rindsledernen Hosen und Janker machen laßt's, die wo abends zum Wichsen vor die Tür 'nausgestellt werden. Soll mich bloß einer derblecken von die andern Buben, nachher hau' ich ihm eine hinter die Luser!«

»Red' doch net gar so g'scheert, Bubi! Was tät' die Mutter sagen!«

»Weißt, was ich glaub', Vater: mir zwei, das richtige Sächsisch-Hochdeutsch lernen mir nimmer.«

»Du! Fangst schon wieder so an?!«

Das Michele hatte keine Zeit, vor diesem drohenden Ton zu erschrecken. Es zog wilde Striche auf seinem Pappendeckel, ließ dann plötzlich den Pinsel sinken und trampste hart mit dem Fuß auf.

»Ja, Kruziteufel Sakrafixen!« fuhr es ihm heftig heraus.

»No, so was! Was war denn jetzt das für eine neue Mode!« begehrte der Vater auf. »Das ging' uns grad' noch ab: fluchen! Mit elf Jahr'!«

»Nimmer weit von zwölf«, stellte der Sohn sachlich fest. »Außerdem bin ich protestantisch«, fügte er in einem Ton hinzu, als sei damit die Sache vollkommen erledigt.

In der Tat hatte Toni ihn dem Glauben Trautchens folgen lassen. Und für den Augenblick verblüffte ihn der mit solcher Sicherheit vorgebrachte dogmatische Einwand derart, daß er fast kleinlaut erwiderte:

»Reden mir gar nix davon, ob es eine Sünd' is, das Fluchen; aber es gehört sich einmal net.«

»Weil doch die Malafizflügel, die elendigen, so schwer gehn!« entschuldigte sich das Michele lässig.

Toni kratzte sich hinterm Ohr; gemischte Gefühle sprachen aus seinem Gesicht, unter denen freilich eine leichtfertige Belustigung vorwog. Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum; und er als Erzieher, das gab wohl eine komische Figur. Es war nur seine Eheliebste, die auch in ihrer Abwesenheit unsichtbar hinter ihm stand und ihm ans Gewissen stupste. Er wußte genau, daß er sich zum Moralpredigen anstellte wie das Flußpferd zum Harfenzupfen. Darum verfiel er ja, wenn er's probierte, gar so leicht ins Geschwollne, Salbungsvolle, in ein saudummes Appellieren an Micheles Gemüt, in ein rührsames Erweichen des Kinderherzens durch Hymnen auf Trautchens Liebe und Güte, als ob sich so was bei einer Mutter nicht einfach von selbst verstünde.

Gott sei Dank, sie beide, das Michele genau wie er, waren viel zu richtige Mannsbilder, um solche Töne nicht im Grund blamabel und einigermaßen lächerlich zu finden. Er spürte ja so genau: wenn er seinen Sohn erzog, schämten sie sich alle zwei ganz in der gleichen Weise, voreinander und, mehr noch, füreinander.

»Geh halt her, Vater!« rief da das Michele ungeduldig und fast vorwurfsvoll.

»No ja, und?«

»Zeig mir halt, wie daß sie geh'n, die Flügel! Bloß, wie sie gehn. Nachher kenn' ich mich schon selber aus.«

»Was du aber auch für ein Patzer bist!« rief Toni, sofort bei der Sache. »Das könnt' im Notfall einen Schmetterling geben, einen recht einen angefressenen; aber gar nie ...« Schon hatte er sein Malgerät beiseitegelegt und zwängte nun seinen großen Daumen mühselig durch das Loch von Micheles blecherner Kinderpalette. »Wo hast denn du den Dachshaarpinsel her?« fragte er plötzlich, im Ton des Untersuchungsrichters.

»Och ... Der Bub schaute den Gestrengen humorvoll schuldbewußt von unten herauf an.

»Also!« drohte der. »Bloß noch einmal geh mir über meine Sachen! Nachher wachsen mir einmal zusammen!«

»Ja, Vater, bal sie mir bloß alleweil so talentlose Dilettantenpemsel kauft!«

»Du! Sei so freundlich! Man sagt net: sie, man sagt: die Mutter.« Hiermit glaubte Toni für diesmal seinen erzieherischen Pflichten genügt zu haben. Er begann dem kuriosen Untier, das sein Sohn geschaffen hatte, ein wunderbares Paar Fledermausflügel wachsen zu lassen. Darüber vergaß er alles andre und glitt in eine reine Künstlerfreude herein. Leuchtenden Auges sah ihm der Bub zu, nickte bei jedem Strich heftig beistimmend, zog die Kurven mit der Hand in der Luft nach und lernte, gerade weil er gar nicht belehrt wurde.

»Haut schon, haut schon!« jubelte er und schnalzte bekräftigend mit den Fingern.

»So!« erklärte Toni nach einer Weile und trat ein paar Schritte zurück. »Jetzt schaut's doch halbwegs so einem Viech gleich.«

»Ein richtiger Vampir, ein blutsaugater!« sagte das Michele. »Und weißt, Vater, jetzt spannt das keiner mehr, wer das sein soll. Heißt das: mir zwei – schon!« verbesserte er sich und schnitt dazu ein so auserwähltes, entzückend schlaues Lausbubengesicht, daß der schwache Vater ihn wahrhaftig am liebsten hätte küssen mögen. Aber erstens war so eine Abschmatzerei unter Männern bei ihnen überhaupt nicht Mode, und außerdem ließ sich schwer leugnen, daß sie wieder einmal mitsammen ein Geheimnis vor Trautchen hatten. Gerade solche Bündeleien vermerkte diese besonders übel und fand sie unpädagogischer als irgend etwas andres.

»Du!« so warnte deshalb ihr gut gezogener Gatte den gemeinsamen Sohn und gab als Einleitung zu weiterem einen unverständlichen Laut von sich. Aber die geplante väterliche Predigt wurde ihm durch einen gesegneten Zufall gespart. Die Haustürglocke drunten trillerte heftig und anhaltend. Und dabei ging es ihm und dem Buben plötzlich auf, daß es vorher schon zweimal geklingelt hatte; sie waren bloß zu sehr in andres vertieft gewesen.

»Ja, sitzen denn die wieder auf ihre Ohrwascheln, die Kathi und die Leni?« wetterte der Hausherr.

»Is ja die Frau Glaß da«, erläuterte das Michele. »In der Waschküch' hört man's net.«

»Aber die Mutter?«

»No, die wird doch net fehlen, da draußd' in dem Ratschklub!«

»Was?!« so bäumte sich der entrüstete Vater auf.

»Wie du alleweil sagst«, ergänzte der Bub schnell und hell.

»Ich?« heuchelte Toni, fand es dann aber doch einfacher, abzulenken, und sagte: »Du, geh 'nüber ins Biedermeierzimmer und spitz beim Fenster 'naus! Wenn's von der Mutter ihre pasinger Bekanntschaften eine is, dann tust nix schnaufen! Nachher schellt sie von mir aus, bis sie schwarz wird! Die Urscheln gingen mir ab!«

»Is mir eh lieber!« stimmte das Michele zu. »Die! Grad' immer was zum Petzen haben s' über mich. Auch wenn sie durchaus gar nix wissen können! Alleweil soll es ich gewesen sein!«

»Weil du halt stadtbekannt bist!« Toni nickte in einer Mischung von Vorwurf und Anerkennung.

»Heißt man das auch eine Stadt?« klang es verächtlich zurück.

»Jetzt aber dalli! Und schwing keine Reden! Dich kennt man!«

»Hab' halt einen Vater, den wo alle Leut' kennen«, gab der Bub listig zur Antwort und wischte unter Anstimmung des Liedes »Das ist der Toni, den ein jeder kennt ...« eilend zur Tür hinaus.

»Gesundes Mundwerk!« schmunzelte der starke Mann in sich herein. »Daß der einmal ums letzte Wort verlegen wär'! No ja, bin auch net anderst gewesen.«

Da riß das Michele die Tür schon wieder auf, steckte den Kopf herein und verkündete:

»Der Onkel Theo is es mit der Tante Pepi.«

»So? Also: marsch marsch!«

»Hier ins Atelier 'rauf?«

»Hm, wart einmal! – Ja, von mir aus!« Toni ließ den Blick zu seinen neuen Werken hinüberschweifen. Es wär' am Ende gar nicht so dumm, zu hören, was ein Fachmann darüber dächte. Warum schließlich auch nicht! Mochte die Form, in die der Kollege aus Preußen sein Urteil zu kleiden pflegte, auch eher rauhbauzig als überschwenglich pathetisch zu nennen sein, gelobt hatte er Tonis Bilder noch immer. Und wieviel Lob kann ein Künstler ertragen!

 

War mangels jeglicher Blutsverwandtschaft schon Theo Schlotthauer dem Michele ein reichlich entfernter Onkel, so war die sehr hübsche junge Dame, die jetzt mit ihnen beiden zur Tür hereintrat, eine noch wesentlich entferntere Tante von ihm. Nicht einmal unter dem Begriff der angeheirateten Nenntante ließ sie sich so recht unterbringen, schon deshalb nicht, weil sie sich, trotz langjährigen nahen Beziehungen zu Theo, noch durchaus im ledigen Stande befand.

Das hinderte sie aber nicht, ein häufig und gern gesehener Gast im Gwinnerschen Hause zu sein. Trautchen besaß, so gut bürgerlich ihr eigner Wandel genannt zu werden verdiente, nach der Richtung keine pharisäischen Neigungen. Allerdings: als in der ersten Zeit Toni es einführen wollte, die Pepi beim Grüß Gott und Adieu wie eine gnädige Frau mit einem Handkuß zu beehren, da hatte seine Gemahlin dies denn doch übertrieben gefunden.

Heute aber weilte sie in der Waschküche und sah es nicht; warum also sollte er diesem netten Mädel nicht die Hand küssen? Er tat es ungeniert und sagte feinschmeckerisch:

»Respekt! Schon wieder schöner geworden!«

»Wo das noch einmal hinführen soll?« bemerkte Theo; und auch Pepi nahm die Schmeichelei des Hausherrn nicht mit der gebührenden Verklärung zu sich, sondern erwiderte:

»Geh, lassen S' mi aus, Sie Schlankl!«

Das Michele, das sich als ein vergnügter Beobachter der schwerenöterischen Anstalten seines Vaters abseits hielt, konnte auf diese respektlose Betitelung hin das Lachen nicht mehr bezwingen und pruschte herzhaft in die vorgehaltne Hand.

»Was stehst denn da so herum?« brummte Toni ihn an. »Schau, daß du weiterkommst! Und der Mutter sagst, es is Besuch da! Schick dich; vorwärts!«

Der Bub trollte sich mit verdrossener Langsamkeit. Alleweil, wenn's grade so recht amüsant zu werden versprach, expedierte man ihn. Ach ja, es ist schon ein Elend, ein Kind zu sein! Die Tür fiel demgemäß etwas hart ins Schloß.

»Bumm!« sagte Theo. »Soll ich vielleicht auch 'rausgehn, oder genügt's, wenn ich mich umdreh'?« Und er drehte sich um und versank in eine genaue Musterung der neuen Bilder seines Freundes. Ein kleines Schweigen stand zwischen den vier Wänden, bis Pepi es mit den Worten unterbrach:

»Bewundern Sie mich nur ruhig weiter!«

Ja, das war leicht gesagt! Toni hatte sich ihr gegenüber die scherzhaften Kurmachersitten angewöhnt, weil es zwischen ihm und ihr nicht recht einen andern Gesprächsstoff gab. Übung hatte er mithin wohl allmählich. Aber so auf Kommando ...

»No! Seh'n Sie mir denn gar nix an?« fragte sie mit einem besonderen, pfiffigen und doch leicht verlegnen Lächeln.

Er schaute krampfhaft und rief dann erleichtert:

»Jawohl ja, der Hut! Hundsnobel! Das reine Gedicht!«

»Ach so, der Hut?« Sie langte unwillkürlich mit der Hand hin. »Hab' ich mir selber kopiert.«

»Ja, Sie!« rief Toni bewundernd. »Und Sie wissen freilich, was Sie kleidet! Zu Ihrem feinen brünetten Fell!«

»Sagen Sie doch gleich: Schwarte!« schlug sie mit einem halben Auflachen vor.

»Also: Teng«, verbesserte er sich nachgiebig. »Wie da das Orange am Hut droben dazu steht! Also, hol' mich der oder jener, Madel: Porträtist könnt' einer werden!«

»Och«, warf Theo aus dem Hintergrunde dazwischen. »Wenn das Bild nachher uns gehört, lassen wir schon mit uns sprechen.«

»Ja?« rief Pepi erfreut. »Sie wollen wirklich? In allem Ernst?« Und, wieder mit dem besonderen Lächeln, fügte sie hinzu: »Eine Gelegenheit, zu der Sie's uns dediziern dürfen, wüßt' ich nämlich schon! Gel, Theo?«

Doch der schien sehr in die Gemälde vertieft zu sein und schwieg sich aus.

»Und ich fall' ihm drauf 'rein!« sagte sie plötzlich wieder gegen Toni hin. »Bloß daß er einem den Mund wäßrig macht! Der Trautchen is es ja eh net recht.«

»Was soll ihr net recht sein?« Der starke Mann tat äußerst befremdet. »Das dürfte denn doch wohl nur von mir abhängen.«

»Meint man!« warf der ewig skeptische Preuße dazwischen.

Darauf gehörte ihm aber was.

»Wenn net am End' sonst wer es dann mit der Eifersucht kriegt!« bemerkte Toni beißend. »Zum Beispiel vielleicht ein gewisser Herr Theo.«

»O mei!« erwiderte der. Ein solches Maß von verächtlichem Mitleid konnte er nur auf altbayerisch zum Ausdruck bringen.

»Wie er tut!« gab der Hausherr zurück. »Jetzt reden Sie einmal, Schlotthauerin!« so rief er Pepi zur Zeugin auf.

»Bitte!« widersprach die. »Schlechtweg: Pepi oder aber: Fräulein Kurzbichler; mir sind jetzt verlobt.«

Der starke Mann starrte sie verblüfft an. Jedenfalls hatte sie damit einen sehr guten Witz machen wollen, soweit glaubte er sie zu kennen; nur blieb ihm diesmal die Pointe völlig verborgen.

»Verlobt, jawohl, sehr gut«, murmelte er etwas verwirrt, in dem besänftigenden Ton, wie man einem geistig nicht recht Normalen bereitwillig alles zugibt. Theo faßte einen Entschluß: er machte kehrt und sagte leichthin:

»Kurz und gut: Willst du der Katastrophe nun als sogenannter Trauzeuge beiwohnen oder nich?«

»Heiraten wollt ihr?!« stammelte Toni, und der Mund blieb ihm offen stehen.

»Natürlich bloß: wenn es dich nicht stört!« knurrte der Bräutigam kampfbereit. Spitzig fiel Pepi ein:

»Sie raten ihm wohl ab?«

»A, woher denn!« antwortete Toni. »Wär' ja auch eine Retourkutsche. Denn er dazumal!«

»No, und? Hat's was geholfen?« Überlegen spöttisch blinzelten ihre Augen ihn an.

»Hilft nie was!« sagte der starke Mann sanft und lebenserfahren. »Und also: meinen gehorsamsten Glückwunsch!« Er ergriff ihre Hand und drückte chevaleresk die Lippen darauf.

»Von Herzen kommt Ihnen das aber net«, meinte sie mißtrauisch.

»Aber ja!« beteuerte Toni und reckte Theo bieder seine große Pratze hin. »Heil, Sieg und so weiter! – Zwar, du warst einmal ein richtiggehender Junggesell mit Prinzipien und allem Teufel; aber für das Gewesene ... Also: ruhe sanft, ehrengeachteter Jüngling!«

»Herrschaft!« erscholl es sehr erheitert, doch mit gedämpfter Stimme aus dem Hintergrund. Dies war eine Meinungsäußerung des Michele, welches jetzt das Öffnen der Tür wesentlich geräuschloser besorgt hatte als vorhin das Schließen. Natürlich: genau wie den Onkel Theo hatte sich der Bub einen Jüngling von jeher vorgestellt. Schon so recht boshafte Witze konnte er machen, der Vater.

»No? Was is denn schon wieder?« knurrte Toni.

»Wenn sie mich schickt!« so lehnte sich das Michele gegen die ungerechte Behandlung auf. »Ich kann nix dazu, wenn sie sich zuvor anziehn muß.«

»Also, dann wissen mir's!« sagte der Vater. »Allons! Verschwind! Mach' dich dünn!«

Der Bub zeigte eine Miene, aus der jeder Beobachter leicht die Feststellung hätte herauslesen können, die Gesellschaft wäre ihm eh zu fad, um seine kostbare Zeit daran zu vertun. Festen Schrittes trampste er von dannen, drehte sich jedoch in der Tür noch einmal um und richtete lässig noch folgendes aus: »Die Tante Pepi wenn mag, derf von ihr aus ins Schlafzimmer nüber.«

Einer so schmelzend liebenswürdigen Einladung schien die glückliche Braut nicht widerstehen zu können.

»Wart, Bubi«, rief sie, »ich geh' gleich mit dir.«

Er würdigte sie keiner Antwort, machte aber doch halt, und gleichgültige Duldung sprach aus seiner Rückenlinie. Befand er sich auch in den Jahren, wo es einem gesunden Jungen für eine ehrenrührige Schande gilt, sich öffentlich mit einem Wesen weiblichen Geschlechts zu zeigen; hier im Hause sah es schließlich kein Mensch, auf dessen Urteil in solchen feineren Kommentangelegenheiten er irgendeinen Wert gelegt hätte. Pepi wendete sich wieder an Toni:

»Die Trautchen, das weiß ich, da krieg' ich wenigstens eine ehrliche Gratulation. Derweil können Sie's ihm ja ruhig ausreden!« Sie lächelte siegesgewiß, machte eine schnippische Verneigung und ging zur Tür. »Bubi, komm!« sagte sie frisch, strich dem Michele über die Haare und legte ihm den Arm um die Schultern, womit sie aber arg an den Falschen geriet. Er entwandte sich unwillig solcher plumpen Vertraulichkeit und schaute, daß er ihr um drei Schritte vorankam.

Ein kurzes Schweigen wurde lang zwischen den Freunden, als sie allein geblieben waren.

»Was du dir jetzt denkst, weiß ich!« begann schließlich Theo voll Trotz.

Auch Toni wußte natürlich, was er sich dachte. Aber er erwiderte ganz sanftmütig mit einem alles verstehenden Lächeln:

»Ach, du meinst, weil du's immer so scharf verschworen hast? Tja, Heiraten is halt ein besonderer Fall. No, das geb ich ja zu: ein bissel plötzlich kommt es am Ende.«

»Plötzlich! Sieben Jahr' waren wir jetzt im letzten Fasching beisammen. Das heißt vielleicht lang' genug überlegt. Oder?«

»Gewiß, gewiß, eine hübsche Zeit; alles, was recht is. Überlegt hast du dir bisher zwar das Gegenteil.«

»Lieber Toni, warum soll ich sie nich heiraten?«

»Hab' ich gesagt, du sollst net?« so wich der starke Mann diplomatisch aus.

Doch Theo schien sich trotzdem für verpflichtet zu halten, seinen großen Entschluß des weiteren zu begründen.

»Auch künstlerisch, find' ich«, fing er an.

»Künstlerisch, so?« bemerkte Toni trocken. »Kriegt man bei euch in Preußen mehr Talent davon, wenn ein Standesbeamter die gesetzlich vorgeschriebnen dummen Fragen an einen stellt?«

»Sieh mal, Toni, die ewige Zeichnerei für die ›Jugend‹ ...«

In der Tat durfte heute keiner Theo einen Lügner schelten, wenn er sich als ständigen Mitarbeiter dieser beliebten Zeitschrift ausgab. Erfüllt hatten sich ihm die kühnsten Träume von ehemals; ach ja, und nun schimpfte er drüber. So ist's in der Welt: was man hat, kann einem nichts nützen.

»Zeichnerei für die ›Jugend‹!« so äffte Toni dem Freunde nach. »Wie er tut! Da wüßt' ich dir manchen, der dir neidig drum is.«

»Jawohl, das glaubt man! – Und is ja ganz recht. Aber bloß immer zeichnen, was die bestellen! Ich will auch malen, und zwar was mir paßt.«

»Und das, kalkulierst du, kannst du als ein Verheirateter besser?« erkundigte sich der starke Mann mit leiser, aber tiefer Ironie.

»Die Arbeit, das is doch klar!« erwiderte Toni lebhaft. »Man ... Herrgott, schau dich doch selber an! Ja, weißt du denn überhaupt, wer eigentlich, wenn man's genau nimmt, der edle Stifter meiner Ehe is?«

»Ich schon, mein Lieber!« Toni blinzelte schlau. »Aber du gibst dich da vielleicht Täuschungen hin.«

»Kuck in den Spiegel, da kannst du ihn sehn! Soll einem das keinen Mut machen? Hat ein Leben wie Gott in Frankreich, steht im besten Futter, malt mythologische Bilder!«

Der Hausherr hängte sich beflissen an das letzte Wort des andern:

»Du, Theo, du hast die sogenannten Ölgemälde vorhin so fleißig studiert. Meinst du, es is was?«

»Ahaha!« höhnte Theo. »Schmeicheleien will er.«

»Woher doch! Sei net so blöd'! Bloß, ich hab' neuerdings oft das Gefühl ... Steckt da eigentlich noch die richtige Frische drin?«

»Dir geht es scheinbar zu gut!« sagte der alte Nachbar mit einem Auflachen. »Wenn's nich bloß Getu' is! Denn da hast du ja doch keinen Zweifel, daß das wieder verkauft wird wie die warmen Semmeln. Und die hohe Kritik stößt gehorsamst ins Horn.«

»Jawohl, mein Lieber: jeder einzelne in seine zwei Hörner. Auf die Lobgesänge von den Brüdern pfeif' ich allmählich.«

Theo zeigte ein nachsichtiges und nicht sehr gläubiges Lächeln.

»Du bist aber ungenügsam«, entgegnete er achselzuckend.

»Seit wann is das auch schon ein Fehler, bei einem Künstler?« fragte Toni herausfordernd; und nicht ohne einen Hauch von Bitterkeit fuhr er fort: »Grad' umgekehrt wird ein Schuh draus: viel zu genügsam!«

Zum Glück wurde er hier durch die Ankunft der Damen unterbrochen, sonst hätte er dem Kollegen am Ende noch im Eifer des Gesprächs mehr von seiner sogenannten Seele gezeigt, als einem richtigen Mannsbild hintennach angenehm zu sein pflegt.

Es erwies sich, daß Pepi durchaus recht gehabt hatte, als sie sich von Trautchen einen ehrlichen Glückwunsch versprach: auch Theo wurde die Hand beinah aus dem Gelenk geschüttelt vor lauter freudiger Anteilnahme. Es durfte natürlich keine Rede davon sein, daß sich die Verlobten, wie sie zu beabsichtigen vorgaben, nach kurzer Stippvisite wieder empfahlen. Sie müßten zum Essen bleiben, erklärte die Hausfrau, allerdings mit bescheidnen Ansprüchen, wegen des Waschtags. Die Dienstmädchen waren unabkömmlich, aber sie selber wollte die Koteletts braten.

»Und nachher gibt's Maibowle!« verkündete Trautchen. »Wir müssen doch Brüderschaft trinken, nich?« Sie nickte Pepi strahlend zu und legte ihr die grübchenreiche Hand ermunternd auf die Schulter.

»Ich bin so frei«, entgegnete die also Ausgezeichnete manierlich und errötete vor Vergnügen. Das Heiraten trug einem doch viel Angenehmes ein, sogar die glatte Ebenbürtigkeit mit einer Professorin, von der man sich bisher höchstens leutselig hatte geduldet fühlen müssen.

»Für die Bowle interessieren sich wohl die Herren?« ordnete Trautchen an. »Waldmeister holt Michele von der Gemüsefrau. Und Toni, du sorgst auch für die Lampions! Kerzen sind unten im Wirtschaftsschrank. – Wir essen doch draußen in der Laube? Bei dem Wetter!«

So geschah es, daß Theo das eigentliche Fest seiner Verlobung in eben der Laube beging, wo einst seine strengen Hagestolzenprinzipien ihr erstes Loch gekriegt hatten durch den Anblick von Tonis ehelichem Glück.

Und wieder war es ein herrlicher Abend, ganz aufgelöst in sanftmütige Stimmung: sanft ergoß sich der Schein der Lampions über die beiden Paare, sanft tröpfelte Rede und Gegenrede, sanft wedelten draußen an langen Seilen die feuchten Laken, die Frau Glaß zum Trocknen über Nacht hatte hängenlassen, und von denen ein saubrer Duft nach Häuslichkeit herübergeschwommen kam.

Stillvergnügt war jedes. Wer aber förmlich glänzte vor innerm Behagen, das war Trautchen. Wie im Himmel mehr Freude ist über einen bekehrten Sünder als über neunundneunzig sonstige fade Gerechte, so diente ihr der Sieg der sittlichen Weltordnung, den sie heute erlebt hatte, zu ganz besonderem Wohlgefallen. Deshalb trank sie nicht nur Brüderschaft mit Theos hübscher Bekehrerin, sondern zeigte sich wirklich innig befreundet mit ihr.

Das gab Pepi endlich den Mut zu etwas, was ihr schon seit dem Nachmittag keine Ruhe gelassen und sich ihr oft auf die Zunge gedrängt hatte: sie erzählte forsch und keck von Tonis Angebot, ihr Porträt zu malen, erschrak aber, kaum daß es draußen war, und schaute die Hausfrau zaghaft an. Doch sie hatte sich getäuscht: Trautchen fand gar nichts dabei.

»Selbstverständlich! Sehr nett!« sagte sie. »Das tust du aber wirklich, Toni! Gibt dann gleich euer Hochzeitsgeschenk«, erklärte sie dem Brautpaar. »Das heißt«, so schränkte sie ihr Versprechen plötzlich ein, »jetzt, da wird es sich wohl kaum mehr machen lassen. Aber wenn wir aus Schweden zurück sind.«

»Schweden?« Theo glaubte sich verhört zu haben.

»Hat's dir Toni denn nicht gesagt? Wir gehn nach Schweden.«

»A nein? Wann denn?«

»So in vierzehn Tagen, drei Wochen. Für zwei Monate.«

»Wie kommt ihr ausgerechnet auf Schweden?«

»Es ist mal was andres«, erwiderte Trautchen. »Wegen Toni vor allem. Ein Maler muß auch was sehn.«

»Daß ihr mal den Sommer nich nach Oberammergau geht! Und du, Toni, hast doch immer gesagt ...«

»Och«, meinte der starke Mann, »und du hast das Heiraten verschworen. Warum muß denn grad' ich so konsequent sein? Anregender als die Ehe is das Reisen am End' noch.« Hatte er ein paar Glas Wein im Leibe, dann kannte Tonis Mundwerk auch in Gegenwart seiner Frau keine fromme Scheu.

»Trautchen, ich will nicht hetzen«, sagte Theo. »Aber das ließ' ich ihm nich so hingehn! Er wird zu üppig. Und Anregung braucht er! Wer hat sich immer pucklig gelacht über den Ladurner, den spinneten Teufel, weil er egal durch die Welt saust, um dichten zu können?«

»Ja«, so verteidigte Trautchen ihren Mann, »der Philipp, der reist und schreibt nachher doch nichts, aber Toni, paß mal auf, malt nachher feine Sachen. – Komisch übrigens, wie du grad' darauf kommst, wir reisen nämlich mit Ladurners oder treffen sie vielmehr da.«

»Na, viel Vergnügen! Und das soll dann eine Erholung sein?« gab Theo höhnisch zurück. »So? Der hat euch auf die Idee gebracht?«

»Nein, eigentlich ...« entgegnete Toni. »Du, Theo, hast du net voriges Jahr in der Sezession die zwei Bilder von dem Schweden gesehn, dem Wassermaler, dem Pelle Danielsson: nix wie Meer und Felsen und Steine?«

»Ja, weiß schon: echte Danielssons; sehr bunt, mit der üblichen Perlmuttersoße begossen, dabei reichlich hart in der Farbe.«

»Was? Red't sich leicht, so ein Illustrator! Voll gemalt einfach! Und heuer, ich bin doch in der Jury, heuer hat er gleich ein Dutzend von der Sorte da. Eins wie das andre heißt ›Koster‹, Koster eins, Koster zwei ...«

»Koster drei und so weiter bis zwölf«, ergänzte Theo.

»Schau, wie du intelligent bist!« sagte Toni erstaunt. »Koster, das is eine kleine Insel an der schwedischen Westküste. Und da, mein Lieber, landschaftlich, da trau' ich mir dort Motive zu sammeln, daß ich g'lang' für zehn Jahr'!«

Der Kollege lächelte mitleidig.

»Weil's da schon so aussieht, wie's dieser Schwindler malt! Jawoll! Ausgerechnet in Schweden!«

»Aber ja!« versicherte Toni. »Noch farbiger! Die Luft is droben so klar. Der Philipp Ladurner sagt es doch auch.«

»Dann muß es ja wahr sein.«

»Bunt wie die Blumensträuße, hat der Philipp gesagt, stehn die Granitinseln vor dem Meer.«

»Wenn einer schon so einen Mist daherbringt!« gab der norddeutsche Skeptiker zurück. »Mit dem zusammen reisen, da dürft' mir einer zuzahlen!«

»Du magst ihn eben nicht, Theo«, sagte Trautchen. »Er kann aber doch sehr charmant sein. Namentlich, wenn's ihnen gut geht, wenn sie Geld haben und ...«

»Ja eben! Und da dies nie der Fall is ...«

Toni winkte dem Freunde lächelnd ab.

»Wirst dich aber schwer täuschen, mein Lieber: Hier und da wird bekanntlich eine von der Brita ihren berühmten Erbtanten fällig. Es hat, Gott sei's getrommelt, grad' erscht wieder eine von den alten Damen zerrissen.«

»Das geht aber doch auch nicht ewig so.«

»Hm, scheint ja, unberufen, eine recht weitverzweigte Familie zu sein. Und der Philipp wenn sich Sorgen machen wollt' um die Zukunft, wo käm' er da hin! – Kaum, daß jetzt der Mammon da war, is er auch prompt durch mit der Brita, uns voraus als Quartiermacher, bloß, daß er hier net in Versuchung kommt, Schulden zu zahlen.«

»Nu ja«, räumte der Preuße ein, »daß die da 'rauf zu den Wilden verschwinden ... Deutschland is eben zu klein für seinen großen Geist und seine unbezahlten Rechnungen. Aber was euch plagt? – Ihr braucht doch vor niemand zu flüchten.«

»Weißt du das so genau?« fragte der starke Mann mit Humor. »Es will uns nämlich schon die ganzen zwei Jahr', seit der Schwiegerpapa tot is, meine Schwägerin mit ihrem Besuch beglücken; und die is aus Crimmitschau!«

»Ach Toni!« sagte Trautchen schmollend.

»Wieso denn?« gestattete ihm sein alkoholisch befeuerter Mut zu erwidern. »Ich lass' jede Crimmitschauerin leben. Hab' ja sogar eine geheiratet; und das is doch 'ne Leistung. Also prost, Schnucksibucks!« fügte er plötzlich hinzu und hob sein Glas gegen Trautchen; seine Augen zwinkerten sie listig beruhigend an: Na, wir kennen uns ja und verstehen Spaß?

Aber diese mimischen Bemühungen waren ganz unnötig: seiner Gemahlin lag es fern, sich für ihre eigne Person gekränkt zu fühlen; bloß die Schwester mußte sie natürlich in Schutz nehmen:

»Nein, Toni, du hast aber unrecht: Minchen ist ein sehr wertvoller Mensch.«

»Ja, ja«, gab er, nur halb überzeugt, zurück. »Ich hab' ja nix gegen alte Jungfern, aber ...«

»Toni, wollen wir das Thema nicht fallen lassen? Ich finde, wir hätten gerade jetzt eher Grund, ihr dankbar zu sein. Oder?« so rief Trautchen ihre Gäste zu Zeugen auf. »Ist es nicht rührend nett von ihr, daß sie uns die Zeit über auf den Jungen achtgeben will?«

»Geht er denn net mit euch, der Bubi?« fragte Pepi.

»Nein«, erwiderte Toni, »er darf derweil ganz ungestört Tante Minchen genießen. Ordentlich neidig bin ich ihm!«

»Ja, du«, sagte Trautchen tadelnd, »du bestärkst ihn nur in den Albernheiten!«

»Er wär' wohl ums Leben gern mit?« erkundigte sich die weichherzige Pepi.

»Geheult hat er wie ein Schloßhund«, so bejahte der starke Mann diese Frage.

»Er hat dann überhaupt noch Schule«, erklärte Trautchen abschließend.

»No, das wär' für ihn doch eher ein Grund mehr«, meinte Theo.

»Danach sind seine Zeugnisse aber nicht«, stellte sorgenvoll die Mama fest.

»Och, no ...« wendete der anspruchslosere Vater ein. »An Ostern die Noten, grad' mehr den einen Vierer!«

»Und sieh mal, Pepi«, fuhr Trautchen fort, »wenn man sich schon zu so was entschließt und das viele Geld ausgibt, dann muß die Sache doch einen Zweck haben.«

»Zweck?« warf Theo dazwischen. »Ja, auf den bin ich nämlich so gespannt.«

»Lieber Theo: zunächst wegen Toni! Künstlerisch, die neuen Eindrücke! Wenn man immer so fortmalt ... Ich weiß nicht, schließlich, die Frische ...«

»Heißt das: die vermißt du bei meinen Bildern?« so lehnte Toni sich auf. Es hat alles seine Grenzen: was er fand, das hatte seine Frau noch lang' nicht zu finden!

»Nein, nein!« beruhigte sie ihn. »Aber, gib mal acht, nachher erst!«

»Das is ja schön und recht«, wendete Pepi ein. »Aber zu was deshalb der Bubi, das arme Hascherl ...?«

»Ja, siehst du«, erwiderte Trautchen, »ich hab' eben auch das Bedürfnis ... Und wenn Toni sagt, er braucht keine Auffrischung, ich gesteh' ganz offen: ich brauch' eine.«

»So, so?« brummte der starke Mann und schielte sein Eheweib in einem plötzlich erwachenden Mißtrauen an.

»Jeden Sommer nach Oberammergau«, so erklärte Trautchen weiter, »soll das für mich eine Erholung sein? Wo der ganze Haushalt mitgeht! Man kommt eben nicht aus den alten Falten.«

»Nu bin ich im Bilde.« Theo feixte vergnügt. »Frisch aufbügeln willst du dich lassen.«

»Nenn es immerhin so!« gab sie zu. »Denn wenn man so ewig im gleichen Trott ... Man, man rostet ein. Und ich würd' es Toni gar nicht übelnehmen, wenn ich ihm zum Schluß einfach langweilig würde.«

»Jawohl! Oder ich dir!« widersprach ihr Gatte gekränkt und spitzig. Daß sie so in seinen geheimsten Gedanken gelesen hatte, von denen sie doch unmöglich etwas wissen konnte, das sprach wirklich Bände über ihre eignen Gefühle gegen ihn. Sie jedoch legte ihre rundliche Hand sanft auf die seine und wurde ordentlich hübsch vor lauter Herzlichkeit:

»Geh, Vati! Das glaubst du ja selbst nicht! Es ist ja nur deinetwegen. Du sollst eben wieder eine frische, lustige Frau haben. Denn, o ja, ich weiß schon, die letzte Jahre ...« Und dann – schon wieder hatte diese kluge Frau in seinen Gedanken gelesen – fügte sie fast schüchtern lächelnd und so recht lieb hinzu: »Wenn du das vielleicht noch gar nicht so empfunden hast, ist's eben, weil du so ein netter, guter Kerl bist.«

»Das heißt auf deutsch: dumm?« versuchte er sich aufzumanndeln: so weit aber brachte er es doch nicht, daß er ihr seine Hand entzogen hätte. Es begann etwas in ihm zu schmelzeln. Er war doch recht empfänglich für liebevolle Behandlung.

»Nein doch!« erwiderte sie eindringlich und gab ihm zärtlich strafend ein paar Klapse auf die große Pratze. »Sieh, grade, wenn man gut zusammen lebt! Man gewöhnt sich ans Verheiratetsein wie ans Atmen, möcht' ich sagen. Und darum ... Man muß zuweilen ...« Sie suchte nach dem Wort.

»Einen kleinen Seitensprung machen!« half ihr Theo ein.

»Hüte dich!« so verwarnte ihn daraufhin Pepi mit komischer Strenge.

»Möchtest du 'ne andre, Vati?« fragte Trautchen, nicht ohne Koketterie lächelnd und seiner Antwort gewiß.

»Dann tät' ich mir ja wahrscheinlich eine nehmen«, äußerte er mit männlicher Barschheit. Aber schon waren es seine Finger, die sich zu begütigendem Druck um die ihren schlossen.

»Und schließlich«, gab der frivole Kollege zu bedenken, »was man da auch erwischt, es ist immer wieder eine Frau.«

Trautchen nickte ihm lebhaft Beifall.

»Nein«, sagte sie, »das ganze Geheimnis der Ehe ist: man muß einander neu bleiben.«

»Wie macht man das?« erkundigte sich Theo und zog ein ungeheuer wißbegieriges Gesicht. »Ich wenigstens hab' mir immer erzählen lassen, auch die verheirateten Damen werden mit den Jahren nich neuer, sondern ...«

»Als ob ihr Männer jünger würdet!« so ließ ihn seine Braut ablaufen. »Du hast es nötig! Wer schon vor der Hochzeit so eine Platten hat!«

»Übertreib auch nich!« erwiderte er und fuhr sich tastend über den gelichteten Scheitel. »Und Haarschwund, der is bei euch natürlich weniger sichtbar.«

Selten schätzt eine Frau Witzeleien über Toilettengeheimnisse, die ihr keine Geheimnisse geblieben sind. Und gar, wenn man sich einst in sein blondes Gelock wie in einen Mantel hat wickeln können! Trautchen kehrte lieber zu ihrem alten Thema zurück:

»Und du wirst sehn, Toni! Schon in Gedanken an Schweden fühl' ich mich als ganz anderer Mensch.«

»Nu«, sagte Theo, »dann werden wir unsere Flitterwochen wohl gleichzeitig feiern. Bloß daß ihr Kapitalistenbande euch 'ne Hochzeitsreise leisten könnt. Denn so was wird es ja scheinbar?«

Die Hausfrau senkte die Lider, ein Lächeln kräuselte kaum sichtbar ihre Lippen; sie befreite plötzlich ihre Hand sänftiglich aus der Tonis und legte sie sittsam zu der anderen in den Schoß.

»No ja«, räumte sie dann ein und schlug ein Paar großer Unschuldsaugen auf, »es ist ja auch die erste, richtige Reise, die wir zusammen machen.«

»Und da fragst du noch, weshalb das Michele an den Busen der Tante gelegt wird?« belehrte Theo seine Braut. »Das könntest du auch schon wissen, daß man auf seine Hochzeitsreise die größeren Kinder so gut wie nie mitnimmt. No, also prost, Toni! Freust du dich recht?«

Der starke Mann setzte das Glas ab, in das er andächtig vertieft gewesen war. Die Frage überrumpelte ihn, und er sagte breit:

»Jawohl freu' ich mich!« Sogleich aber fühlte er sich verpflichtet, das mit etwas anderm zu begründen, als mit der verheißenen Auffrischung seines Eheglücks: »Stell dir bloß vor: auf so einer Insel! Die Post kommt nur einmal die Woche. Zwei Monate lang kein Automobil, keine Kirchenglocken, keinen Kunsthändler!«

Theos Augen kniffen sich zu vergnügten Strichen zusammen und wanderten zu dem Freund hinüber; seine Lippen formten nur das eine, spöttisch mitleidig in der Fistel gleichsam gesungene Wort:

»Ehemann!«

»Bräutigam!« gab Toni ebenso zurück. »Und das, mein Lieber, wär' ich in deinem Alter nimmer geworden!«

»Also, dies Krokodil!« Pepi schlug in scherzhafter Empörung leicht mit der Faust auf den Tisch. »Rät er ihm net schon wieder ab?«

»Woher denn!« beruhigte sie der starke Mann. »Weiß ja eh, daß es umsonst wär'! Denn wenn's dem Esel zu wohl wird ...«

»Dann geht er nach Schweden?« fragte Theo mit freundlicher Anteilnahme.

»Sprichwörter verkorksen, das kann ich selber«, entgegnete der Hausherr. »Wart einmal! Was gibt's denn gleich für eins über so einen wie dich, so einen Hochzeiter?«

»Ja, einfallen muß einem was!« höhnte der Nachbar.

Pepi hüpfte plötzlich auf ihrem Sitz herum, ihre lebhaften Armbewegungen zeigten: ihr war etwas eingefallen, und zwar etwas so Schlagendes, daß sie dafür ein Silentium beanspruchen durfte.

»Wer das Glück hat, führt die Braut heim!« schmetterte sie strahlend hervor.

»Und wer die Braut heimführt, braucht für den Spott net zu sorgen«, sagte nun Toni und senkte salutierend die Stirn, wie ein siegreicher Fechter sein Florett.

Trautchen lehnte sich in ihren Korbstuhl zurück, daß der ein behagliches, humorvoll erschrocknes Ächzen ausstieß. Seelenruhig verschränkte sie die Finger über dem Magen; um ihre Mundwinkel ging ein nachsichtiges Lächeln. Gott ja, irgendeinen Rest von Freiheitsdrang und von Heimweh nach hemmungslosen Junggesellenzeiten tragen sie irgendwo da drinnen wohl alle mit sich herum, die Männer. Und die unter ihnen, bei denen sich das bloß, wenn sie ihr Quantum Bowle haben, in despektierlichen Witzen über die Ehe austobt, die sind längst nicht am schlechtesten zu haben.


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