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Vierundvierzigstes Kapitel

Man kommt ins Reine

Im Gasthof einer kleinen Stadt in der Nähe der Residenz hatte sich seit acht Tagen ein jugendliches Paar in zwei Zimmern niedergelassen. Es hatte seine Reise auf das unliebsamste dadurch unterbrochen gesehen, daß die Dame beim Verlassen des Abteils sich den Fuß übertreten hatte. Der herbeigerufene Arzt fand den Fall nicht unbedenklich. Endlich gegen das Ende der zweiten Woche war die Besserung immerhin soweit vorgeschritten, daß der Arzt, wenn auch achselzuckend, auf das Drängen des jungen Herrn die Fortsetzung der Reise erlaubte. Das Paar schien es furchtbar eilig zu haben und so wurde der Aufbruch schon für die kommende Nacht in Aussicht genommen. Allein die Fortsetzung der Reise geschah in einer anderen Weise, als das junge Paar wohl gehofft hatte; denn als der Herr seine Rechnung begleichen wollte, erschien mit dem Wirt zugleich auch ein Polizeioffizier. Und dieser sagte, indem er rasch auf den bestürzten jungen Herrn zuschritt und ihm die Hand schwer auf die Schulter legte: »Graf Eugen Altheim, früher Leutnant bei den Dragonern, Frau Adele von Wildenow, Gattin des Rittmeisters Dagobert von Wildenow, ich verhafte Sie!«

Die Nachricht davon gelangte schon am nächsten Tag nach Menkendorf. Detlef von Gunsleben vernahm sie anscheinend mit der vollsten Gleichgültigkeit und bemerkte kalt: »Mit einem Feigling und Dummkopf konnte es wohl nicht anders enden. Abgetan.« Wenig anders schien die Nachricht auf die Seinen zu wirken, wenn wir etwa von Hildegard absehen wollen, die, gerade auf einem Spaziergang nach Drömnitz begriffen, die Kunde erst einige Stunden später erfuhr; nicht, daß diese seltsame Frau ein anderes Urteil über den Ausbund fällte, keineswegs, aber, – es lag auf der Hand, sie sah den Vorfall von einem ganz anderen Standpunkt an, indem sie fragte: »Was soll nun geschehen?«

»Nichts!« sagte der ›Junker‹ während die andern im Kreise eiskalt schwiegen.

»Aber man muß doch irgend einen Schritt versuchen, Herr Vater, um diesen Skandal –«

»– Schritt!? Was für einen Schritt, Frau Tochter? Soll ich ihm etwa noch einmal einen Revolver hinlegen wie vor dem Jahr? Oder wie denken Sie sonst?«

Blanka hatte sich schon bei der ersten Frage Tante Hildegards erhoben und war in den Garten hinausgegangen, wo ihr wie auf einen Wink vom Himmel Marie entgegenkam.

»Was ist denn, Schatz? Du bist ja ganz bleich –«

»Ach, Häßliches, Marie, immer wieder Häßliches! Wann und wie mag das enden? Der arme, arme Großpapa! Nicht nur, daß es ihn wiederum so arg von außen her trifft, muß er auch noch von innen her Widerstand und Auflehnung gegen sich finden. Tante Hildegard –

»Komm, komm, hier nicht, sonst holt man dich mir wieder fort!«

Wir haben von dem jungen Mädchen in letzter Zeit wenig gesprochen, aber nicht um dessentwillen, weil Blanka etwa einen anderen, sagen wir, geringern Platz im Kreise und der Liebe der Ihrigen eingenommen hätte, sondern nur, weil dieser Platz eben ein durchaus gesicherter war und sich im gleichmäßigen Gange des täglichen Lebens nur selten Gelegenheit fand, den übrigen voraus, in den Vordergrund zu treten und wirkungsvoller ins Leben einzugreifen. Sie hatte in der Zeit, die seit jenem Nachmittag verflossen war, wo es zwischen ihr und Alfred klarer geworden, unendlich viel durchlebt und tagtäglich an Reife gewonnen, wie andere sie nicht in Jahren erlangen. Diese Sommermonate waren freilich für alle Deutschen eine Zeit, wie ganze Geschlechter sie sonst nicht wieder so an- und aufregend, so umgestaltend, so entwickelnd und reifend kennen zu lernen und zu durchleben haben. Aber bei Blanka traf dies noch in besonders hohem Maße zu. Es prägte sich in ihrem ganzen Sein und Wesen, in jedem Bewegen und Handeln voll Entschiedenheit aus, aber, – und das war das Wunderbare und Schöne! – nicht in Strenge und Kälte, nicht in Gedrücktheit oder Verschlossenheit, sondern in wachsender, milder und dennoch fester Klarheit, Gleichmäßigkeit und Zuversicht, die für ihre ganze Umgebung, wenn man Hildegard ausnimmt, zur wahren Wohltat wurden. Alle ließen sich an dem zarten und innigen Kinde aufrecht erhalten. Und nicht nur innerhalb, nein, auch außerhalb des Hauses war es so, wofür als bestes Beispiel wohl der selbstische, in sich versteckte Müller Clarmann dienen möchte, zumal da er jetzt den beiden Freundinnen begegnete. Seit Blanka beim Mühlenbrande so hilfreich eingegriffen hatte, wurde sein hartes Gesicht, wo er sie erblickte, freundlich, die kalten Augen gewannen einen, man hätte sagen mögen, liebevollen Ausdruck, und wenn es zum Reden zwischen ihnen kam, zeugte jedes seiner Worte von seiner tiefen Dankbarkeit. So auch wieder hier.

»Nehmen die Fräuleins es nicht für ungut, daß ich Sie da aufhalte. Ich war gestern in Liepen und habe dort auf der Post einen Brief von meinem Schwestersohn gekriegt. Sie wissen es wohl, er ist Bursche beim Herrn Alfred. Ich habe den Brief mitgebracht, wenn die Herrschaften ihn lesen wollen.« Damit holte er das Papier aus der Tasche und bot es Blanka hin.

Als er gegangen, lasen sie das Schreiben zusammen, blieben still und schritten in dem Steige weiter, der gegen den Lindenplatz führte. Erst als Marie Tränen in den Augen der Freundin sah, brach sie das Schweigen und flüsterte: Hast du ihn denn wirklich so sehr, – sehr lieb, Blanka?«

»Ach ja, ach ja – doch Marie, – was hilft das ihm, was hilft das mir? Unsere Liebe hat kein Glück.«

Indem erklang hinter ihr eine atemlose Stimme: »Halten Sie, gnädiges Fräulein, die Frau Großmutter läßt bitten, sogleich hineinzukommen. Baron von Mirow ist eben mit seinem Herrn Sohn vorgefahren.«

»Ich danke Ihnen, Renate, wir kommen –«

»Ach, Vergebung, gnädiges Fräulein, ich habe – ich hätte –«

»Nun, was denn, Renate?«

»Ich hätte wohl noch etwas zu bestellen und es ist vielleicht ganz gut, daß Fräulein Marie dabei ist, denn es soll nicht wie heimlich aussehen. Ich war gestern wieder drüben zu Drömnitz bei der armen Frau Doktor Stephani, und habe kaum das Weinen lassen können, da ich sie noch hinfälliger fand als letzthin. Sie hat mir gesagt, nur eins liege ihr noch auf dem Herzen, mit Ihnen zu sprechen –«

»Mit – mit mir?«

»Ja, gnädiges Fräulein, sie hat eine große, große Sehnsucht darnach, – es könne dadurch schweres Unglück verhütet werden, sagt sie, und ich soll Sie bitten, ihr bis zum Liebenbusch entgegenzukommen –«

»Nun, wenn es Großmama zugibt, gewiß, gerne! Aber dies bezweifle ich sehr –«

»Mein Gott, die arme, arme Frau –, sie bat so innig –«

»Weinen Sie nur nicht, Renate, ich werde Großmama sehr – sehr bitten! Doch nun gehen Sie, Renate und sagen Sie, daß Sie uns gefunden haben. Wir folgen nach!«

Heut konnten sich die Herren von Mirow weder über eine Ungunst des Geschicks, noch über die Unaufmerksamkeit der Menschen beklagen. Der ›Junker‹ suchte heute nicht das Versteck hinter der Scheune auf, sondern kam, nachdem er die Botschaft empfangen hatte, verhältnismäßig bald heim und trat, wie er ging und stand, zu den Gästen herein, ohne sich in seiner anscheinend guten Laune durch des Barons: »Immer tätig, immer tätig, alter Freund – sollten sich allmählich ein wenig mehr schonen!« stören zu lassen. »Ja was, Mirow,« lautete seine behagliche Antwort, »das ist nicht so wie bei Ihnen, der Sie lustig im Lande herumkutschieren – bei uns heißt's hübsch auf dem Platz sein und die Augen auftun! – Haben freilich auch keinen glücklich geretteten Sohn zu zeigen, wie Sie! – Na junger Herr, da sind Sie ja,« fügte er, Wilhelm musternd, in gleichem Tone hinzu. »Der Herr Papa und die Frau Mama haben tüchtige Angst gehabt. Wie steht's mit den Nerven? Nicht zu schlimm, sehe ich. Die Reise ist Ihnen gut bekommen, scheint's.«

»Er hat uns die ersten Tage schwere Sorge gemacht, so hinfällig war er,« näselte der Baron mit einem bedauernden Blick auf den Sprößling, der sich schon wieder Frau Hildegard zuwenden zu wollen schien. »Wer kann solche schaudervolle Plackereien und Entbehrungen ertragen? Er erzählt schreckliche Dinge – nicht wahr, mein Sohn?«

»Später – später, meine Herrschaften, wenn ich bitten darf!« schnitt der ›Junker‹ kurzweg ab, »dazu muß man Muße haben, daß man alles auch hübsch glatt und ausführlich zu hören bekommt. Und vor Tisch gibt's nicht viel von solcher Ruhe.« Den Grund dieser ungewöhnlichen Rücksicht, erklärte der alte Herr, als er nach einiger Zeit sich erhob, um sich, wie er gesagt hatte, noch einmal draußen nach irgend etwas umzusehen, unaufgefordert dem heimlich herbeigewinkten ›Drakenhöfer‹. »Tue mir einen einzigen Gefallen, mein Junge, und suche für's erste und in meiner Gegenwart die Feldbravaden im Zaum zu halten. Kämen jene niederträchtigen Verleumdungen an die Reihe, so ständ' ich nicht für mich ein – heut nachmittag sollen sie so oder so zur Sprache kommen. Wir müssen mit den Leuten einmal ins Reine kommen.«

Und man kam ...

Die Gelegenheit hierzu ergab sich – es war nach dem Kaffee und in der verschwiegenen Buchenlaube – beinahe von selbst; nämlich so: »Ja, was ich sagen wollte, mein lieber, alter Freund –, ich weiß, daß Sie und die Ihrigen nicht gerne an den Grafen Albert, ihren Schwiegersohn –«

»Bleiben wir beim Titel, Baron!«

»Wie Sie wünschen, alter Freund – an den Grafen Altheim denken oder von ihm reden. Sie haben – leider – ein gutes Recht dazu, dennoch, ich habe von jeher das bedauert –«

»Ist mir wirklich neu, Baron, aber gleichviel, was ist's mit ihm?«

»Ich bin in der Lage, Angenehmes über ihn berichten zu können. Fürst Pleß hat ihm viel Achtung und Vertrauen erwiesen –«

»Viel Vergnügen! – Doch was weiter?«

»Seien Sie nicht allzu streng alter Freund, – ich würdige Ihr Zürnen vollkommen, ich wiederhole: Sie haben viel, sehr viel unter seinen Unbesonnenheiten zu leiden gehabt. Aber bedenken Sie nur, was er an seinen Kindern erleben muß! Da die letzte Geschichte von dem unglücklichen früheren Leutnant – die Bändelei mit der Gattin des Rittmeisters Wildenow, dort die Sache mit der leichtsinnigen Tochter! – Aber was ich sagen wollte, – es ist Ihnen doch auch manches über den bedauernswerten Vater vielleicht sehr entstellt zugekommen. Er hat darüber geklagt. Und er selber ist voll größerer Schonung, als mancher verdienen möchte. Er hat auf eine schreckliche Geschichte hingedeutet, die mit dem Tode Ihres Schwiegersohnes Warneck –«

»Wie?«

»Ich würdige Ihre Bestürzung, mein Freund! Es ist ja ganz entsetzlich! Er deutete dabei auch auf einen Rat Wehrenberg hin, der ja wohl mit Ihrem Pfarrer, alter Freund, und dem jungen Manne zusammenhängt, den ich am Abend des Ausmarsches bei Ihnen mit Erstaunen in der Uniform eines Ulanenoffiziers sah – es ist ja, wie es heißt, auch gar nicht gut gegangen! Also, sehen Sie, der Graf hat gemeint, weil man seine Mitwissenschaft kenne und im Voraus unschädlich machen wolle –«

»Mitwissenschaft? Also einfach niederträchtig! Na ja, warum denn auch nicht? Das legt man zum anderen und da wird's ein Haufen! Sagen Sie einmal, Mirow, Sie erfahren ja alles wie's scheint, wer hat denn eigentlich die schmutzige Geschichte über unsere Ulanen zusammengelogen?«

Man sah es gut, daß in Mirow das bisherige Unbehagen jetzt von einer unangenehmeren Empfindung abgelöst wurde. Sein Gesicht zog sich zusammen, als müsse er eine bittere Arznei verschlucken, und es überkam ihn auch ein widerwärtiger Husten, als er abgebrochen beisetzte: »Ja – ja – dummes Gerücht – auf dem Schlachtfelde von Metz aber verbreitet und geglaubt. Mein Sohn schrieb mit Schrecken davon und ich teilt' es damals dem Herrn Magister mit – voll Schmerz, alter Freund, voll Schmerz!«

»Na, und von wem die Gemeinheit ausgebracht ist, wissen Sie nicht?«

»Aber wie könnten wir das wissen, alter Freund? War eben ein Gerücht und nicht ganz unglaubhaft. Doch manche – hm! – unzuverlässige Leute im Regiment! – Das unglückliche Gefecht hinterdrein – recht schlimm! Ihr armer Herr Sohn –«

Der ›Junker‹ musterte den verlegenen Herrn mit einem Ausdruck, der einen beinah hätte lachen lassen und Besorgnisse vor einem gar zu gewaltsamen Ausbruch zerstreute – verletzt und gereizt, wie der alte Herr durch jenes Gerücht, vor allem aber durch die Herbeiziehung Altheims sein mußte, konnte die Entladung leicht möglich über jedes voraus zu berechnende Maß hinausgehen! »Nun gut,« sagte er jetzt mit einem sehr bezeichnenden Achselzucken. »Sie und Ihr Herr Sohn haben das dumme Gerücht also gehört; Sie haben's auch geglaubt und weiter davon geredet als nötig – auf Ihrem Hofe, hab' ich gestern aus der Stadt erfahren, ist neulich zu wildfremden Leuten noch ein wenig nichtsnutziger davon geredet worden. Also lassen Sie sich raten, Mirow! Sie wissen, die militärische Ehre ist ein teufelmäßig empfindliches Ding. Der Divisionär hat für das brave Regiment eine Untersuchung in Gang gebracht, die für manchen gedankenlosen Schwätzer unangenehm werden könnte, und die einzeln Genannten werden sich ihrer Zeit auch schon darnach umtun – aber ich glaube, da kommen unsere Damen – und damit genug! Die haben's gleichfalls grausig übelgenommen, kann ich Ihnen sagen. Also – hübsch vorsichtig, Baron!«

Der Gast atmete, da die Damen jetzt wirklich herankamen und sich auch niederließen, sichtbar sehr erleichtert auf und befleißigte sich aller ihm irgend möglichen Liebenswürdigkeit, und wo der verwundeten Angehörigen gedacht wurde, einer ganz ungewöhnlichen Teilnahme. Mit Frau Hildegard erging er sich vorzugsweise über das Befinden und die nächsten Pläne seines Sohnes. Er freute sich, daß er ihn heut so belebt gefunden – in solcher Gesellschaft sei das freilich kein Wunder! Und daß er auf eigene Hand davon ginge und sich selbst Unterhaltung suche, sei ein vortreffliches Zeichen! – Aber – und er sah sich um – kommen sollte er endlich doch. Wenn man bei guter Zeit nach Grünau hinabkommen wolle, werde es Zeit, an den Aufbruch zu denken.

Frau Hildegard schüttelte lächelnd den Kopf. »Nun, Baron, das können Sie ihm nicht übelnehmen! Wer von uns hat, als wir jung waren, immer an die Zeit gedacht, – zumal, wo man sich gut unterhielt?«

Damit, mit der guten Unterhaltung, schien es indessen ziemlich mißlich bestellt gewesen zu sein, denn Wilhelm erschien, als er einige Zeit darauf allein zurückkehrte, nichts weniger als aufgeweckt und heiter, sondern ersichtlich äußerst herabgestimmt. Auf Hildegards Frage nach ihrer Nichte wußte er nur in leidendem Tone zu sagen, daß Blanka sich schon nach kurzer Zeit, eines Auftrages ihrer Großmutter wegen, von ihm getrennt habe und er seitdem allein weiter geschlendert sei, bis ihn nun sein Widerwärtiges »nervöses Kopfweh« heimgetrieben habe. Er finde sich völlig unbrauchbar und wolle den Vater bitten, bald aufzubrechen. Baron Mirow hatte, nach einem scharfen Blick auf den Sohn, gegen diesen Wunsch nichts einzuwenden und ließ das Anspannen bestellen. »So geht's!« meinte er. »Das verdanken wir auch diesem schauderhaften Kriege! Für unsereinen sind solche Strapazen nicht! Wer macht mir nun den Jungen wieder gesund?«

Blanka stellte sich erst ein, als man bereits aufbrach und in das Haus zurückkehrte. Sie war voll ruhiger Unbefangenheit und schien die unfreundlichen Blicke der Tante Hildegard gar nicht zu bemerken, als sie sich Wilhelms gepreßten Abschiedsworten gegenüber mit einer Verneigung begnügte.

Als die Gäste abgefahren, bemerkte Luise, die milde Gattin des ›Drakenhöfers‹ auffällig gegen Hildegard hin: »Weniger als heut hat mir dieser Wilhelm Mirow noch nie gefallen. Da ist doch keine Spur von Jugendlichkeit und Natürlichkeit, und dies Aufspielen mit seinen Nerven macht ihn vollends unleidlich.«

»Sei nicht ungerecht, Schwägerin!« erwiderte Hildegard im herbsten Tone. »Wer sich so mißhandelt findet, wie er es heut von Blanka erlebte – wie soll der zuletzt nicht empfindlich oder sage: matt werden? Mich dünkt gerade, daß er sich musterhaft gehalten hat. Ein anderer würde sich längst abgewendet und die Törin sich selbst überlassen haben.«

»Womit das Kind sehr zufrieden gewesen sein würde,« sagte Frau von Gunsleben in kühlster Ruhe. »Über ihre Gesinnung kann er nicht im Zweifel sein, und so muß ich seine Aufdringlichkeit als zum wenigsten rücksichtslos bezeichnen. Sie hat sich trotzdem, in meinen Augen, äußerst taktvoll benommen, und weil sie mich dauerte, bin ich ihr mit meinen Aufträgen zu Hilfe gekommen, wie ich's vermochte. Aber es scheint ja, als habe er dennoch heut nachmittag sie zum Aussprechen gezwungen. Ich kann freilich nur gottlob dazu sagen, die Quälerei mußte ein Ende nehmen.«

»Es tut mir leid, anderer Ansicht sein zu müssen, Mutter,« entgegnete Hildegard herbe wie vorhin. »Man bricht nicht so gedankenlos und unwiderbringlich mit einer der besten Familien des Landes, am wenigsten eines obendrein verwerflichen Hirngespinstes wegen.«

»Sie wählen starke Ausdrücke, Frau Tochter! Wir wollen die Unterhaltung abbrechen!« entschied hierauf Frau Agnes fest.


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