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(1880)
Es war im März. Die Dämmerung brach herein, das Gewühl der Wagen und Fußgänger, das jeden Nachmittag ein paar Stunden lang den Corso füllt, fing an sich zu verlaufen. Ich kehrte von einer weiten Wanderung durch die Campagna zurück, todmüde und halb verschmachtet, und strebte meiner Wohnung zu, die nahe der Piazza del Popolo gelegen war. Da wurde mein eiliger Schritt plötzlich gehemmt durch eine wohlbekannte lange Gestalt in einem sandfarbenen Paletot und breitkrämpigem grauem Hut, die regungslos, die Arme über der Brust gekreuzt, mitten auf dem Trottoir stand, wie ein Wellenbrecher, um welchen der Strom der Vorüberwandelnden rechts und links sich herumwinden mußte. Ohne einiges Murren, Zischen und Aufbrausen konnte das auch hier nicht abgehen. Das schien aber den einsam Hingepflanzten nicht im Geringsten zu kümmern. Unverwandt hatte er den Blick auf die Fenster im zweiten Stock des gegenüberliegenden Hauses geheftet, wo weder ein Licht brannte, noch ein lebendes Wesen oder auch nur ein künstlerischer Zierath zu erblicken war. Das Haus bildete die eine Ecke der Via de' Pontefici, ein so nüchterner, schmuckloser, unhistorischer Menschenkäfich, wie die meisten Miethhäuser in dieser welthistorischen Straße.
Ich gestehe, daß trotz meiner Erschöpfung eine unüberwindliche Neugier mich anwandelte, zu erfahren, was meinen guten Freund an diese Stelle fesselte und in eine Salzsäule zu verwandeln schien. Ich hatte seine Bekanntschaft erst vor wenigen Wochen gemacht, aber großes Gefallen an ihm gefunden. Ein Mensch, der in hohem Grade jene wundersame Mischung von Weltbildung und fast kindlicher Naivetät besaß, die nur bei phantasievollen Naturen anzutreffen ist, wenn ihr gutes Glück sie aus engen Kreisen nach einer halbverträumten Jugend ins große Leben hinausführt. So war es hier geschehen. Dieser jüngste Sohn eines schlichten holsteinischen Pfarrers hatte sich erst in seinem zwanzigsten Jahre über seinen Lebenslauf entschieden, indem er plötzlich der Theologie absagte und trotz aller Kämpfe und Entbehrungen, die es kostete, sich zu einem Baumeister in die Lehre begab. Als sein Talent über diese dürftige Schule hinauswuchs, waren reiche Gönner seines Vaters ihm behülflich gewesen, auf der Berliner Bau-Akademie weiterzustudiren. Er hatte dort ein Stipendium erlangt und war mit vierundzwanzig Jahren zum erstenmal über die Alpen gewandert. So viel wußte ich aus seinen eigenen Mittheilungen, und auch, daß er jetzt in Petersburg lebte, mehr Aufträge hatte, als er bewältigen konnte, und um der rastlosen Arbeit nicht endlich zu erliegen, sich einmal frei gemacht hatte, um einen ganzen Winter zur Hälfte in Neapel, zur Hälfte in Rom zu verleben.
Ich war stehen geblieben und wartete, ob er aus seiner Versunkenheit nicht von selbst aufwachen würde. Noch war es nicht so dunkel, daß ich auf seinem Gesicht nicht jede Linie deutlich hätte beobachten können. Dieses Gesicht war nicht schön nach dem landläufigen Begriffe, ein wenig zu hager und in die Länge gezogen, die feine Haut über dem starkknochigen Gerüst fahl und blutlos. Aber die grauen Augen leuchteten, wenn er sprach, von Geist und Feuer, und wenn der große Mund sich zu lächeln anschickte, bekam das bartlose Gesicht einen zarten jugendlichen Reiz, ja eine fast mädchenhafte Anmuth, die durch ein flüchtiges Erröthen noch erhöht wurde.
Das Haar hing ihm in dichten, schlichten Büscheln bis tief in den Nacken hinab. Die blonde Farbe war hie und da schon einem glanzlosen Grau gewichen.
Und so stand er vor mir, das Profil immer in derselben Richtung nach oben gewendet, aber ohne mit einer Miene zu verrathen, was seine träumende Seele an diese Stelle fesseln mochte.
Ich trat endlich dicht an ihn heran und rief ihn leise bei seinem Namen. Da sah ich, daß es wie ein elektrischer Schlag von Kopf bis Fuß durch die lange Gestalt ging, etwa wie ein Nachtwandler zusammenfährt, wenn man ihn plötzlich anruft. Aber sogleich war er seiner Sinne und Gedanken vollkommen Herr, nur daß über seinen Augen noch ein Schleier blieb und ein Lächeln seinen Mund umzog, das eine leichte Verlegenheit verbergen sollte.
Sie sind es! sagte er. Ich freue mich, Sie zu sehen. Ich merke, daß ich hier schon zu lange den guten römischen Pflastertretern im Wege gestanden bin. Aber es giebt Tage und Stimmungen – kommen Sie! – (er faßte mich unter den Arm) – ich begleite Sie eine Strecke – es ist manchmal nicht gut, daß der Mensch allein sei – oder haben Sie etwas vor?
Ich sagte ihm, daß ich nur nach Hause gewollt, um mit einem Glase Wein und einer Orange mich vorläufig zu stärken, da es zur Abendmahlzeit noch zu früh sei.
Wenn Sie weiter Nichts nach Hause zieht, sagte er rasch, so thun Sie mir den Gefallen, mit mir noch ein paar Schritte zum Thor hinaus zu thun. Wir finden da, was Sie wünschen, in der nächsten besten Osterie und genießen noch ein wenig die himmlische Frühlingskühle. Es liegt mir was auf der Brust, ich glaube, ich würde jetzt zwischen vier dumpfen Wänden ersticken müssen. Und wenn Sie gut sein wollen und in diesem beklommenen Zustande mit mir Geduld haben, find' ich vielleicht auch den Muth, Ihnen eine alte Geschichte zu erzählen, die gerade heut in ungewöhnlicher Lebendigkeit, ordentlich spukhaft, wieder vor mich hingetreten ist und mir mehr, als gut ist, zu schaffen macht. Seltsam, daß man mit Nichts fertig wird, zumal mit dem, was nicht in sich selbst fertig wurde. Aber auch das hat seine Zeiten. Wie ich zum ersten Mal an einem gewissen Hause wieder vorbeiging, spürte ich kaum eine lebhaftere Blutwelle, die an meine Herzkammer klopfte, um zu fragen, ob darin kein Rest von alten Gefühlen mehr vorhanden sei. Und heut –
Er nahm den Hut ab und strich sich mit der schmalen, auffallend weißen Hand über die Stirn, an der die blonden Haare klebten. Dabei versuchte er wieder zu lächeln.
Ich ging schweigend neben ihm her. So kamen wir durch die Porta del Popolo auf die alte flaminische Straße, die sehr belebt war von ländlichen Fuhrwerken, Ochsenkarren und Bauernweibern, während es rechts und links in den Weinschenken munter zuging. Aus einem uralten Hause, das ehemals ein Palast gewesen, hörten wir Musik, eine schrille Ziehharmonika, auf der ein Walzer gespielt wurde. In der weiten, dunklen Halle zu ebener Erde, nur von einem großen Herdfeuer erhellt, wurde getanzt, eine dicke Frau drehte sich mit einem halbwüchsigen Burschen, Geschrei und Gelächter begleiteten die grotesken Sprünge des Knaben; wir fühlten keine Lust, einzutreten. Sehen Sie, sagte mein Freund, es ist doch nicht mehr ganz das alte, Rom. Vor zwanzig Jahren hätten wir hier einen Saltarello gesehen. Und da bläs't vollends der Conducteur der Pferdebahn auf seinem Hörnchen. Aber gehen wir auf die andere Seite hinüber, da ist es stiller, und wir finden wohl noch einen Winkel, wo man höchstens durch das Rauschen der Tiber daran erinnert wird, daß »Alles fließt.«
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Noch war es so hell, daß außer der Venus kein Stern in der silbergrauen Luft erschien. Wir sahen die zarte Linie des Monte Mario und die Pinien der Villa Mellini über den Mauern schweben, mit denen die Straße eingesäumt ist, und seltsam, alle Müdigkeit war plötzlich von mir abgefallen. Ich wäre am liebsten bis nach Ponte Molle hinausgewandert, wo ich einen Lieblingsplatz in einem bescheidenen Wirthshäuschen hatte. Als ich das aber gegen meinen Begleiter äußerte, schüttelte er den Kopf und blieb plötzlich am Eingang einer Gartenschenke stehen.
Hier war's! sagte er. Hier habe ich vor fünfundzwanzig Jahren das erste Glas römischen Wein getrunken. Ich dachte nicht, daß ich den Ort wiederfinden würde. Aber der Zahn der Zeit hat den beiden Wappenthieren oben auf den Thorpfeilern nur die Köpfe abgenagt. Und drinnen – sehen Sie, der runde Laubengang, der nach dem Fluß hinüberführt – und die Loggia – und das Springbrünnchen davor. Vielleicht finden wir sogar den braven Domenicuccio, der damals ein junger Wirth war und erst kürzlich geheirathet hatte. Aber nein, Menschen zerbröckeln rascher als todte Steine. Der rothhaarige Kerl, der dort dem einsamen Paar das Fiasco auf den Tisch stellt, ist von einer neuen Generation.
Wir waren eingetreten und hatten uns auf einer Bank niedergelassen, die etwas erhöht stand, so daß wir zwischen dem Hause und dem jetzt noch blätterlosen Laubengang hindurch die ferne Peterskuppel wie eine duftige veilchenblaue Glocke herüberblicken sahen. Immer durchsichtiger flimmerte die Luft, immer stiller wurde es um uns her. Nur unten an der Tiber sang eine Knabenstimme ein leidenschaftliches Ritornell, und die Fledermäuse strichen so nahe an uns vorbei, daß wir das Schwirren ihrer Flügel zu hören glaubten.
Der Rothkopf hatte uns Wein gebracht – ein einsilbiger, unwirscher Geselle. Wir stießen leise mit den Gläsern an.
Auf unsere Jugend! sagte mein Freund. Sie hat einen leisen Schlaf, und man braucht nur auf sie anzuklingen, so steht sie leibhaft vor einem. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen ein wenig sentimental vorkomme. Aber so ein Gedenktag – und wieder an der alten Stelle – und gerade ein solcher Abend war's. Hören Sie, wie die Kinderstimme drüben so seltsam klingt? Gar nicht weich und süß! Aber freilich, es ist ein Aberglaube, daß die Jugend das Süßeste sei, was so ein armer Sterblicher erlebe. Oder wenn uns etwas Süßes beschert wird – wie bitter ist gewöhnlich der Nachgeschmack!
Er leerte das Glas auf Einen Zug, als ob er den Nachgeschmack wegspülen wollte.
Der Wein ist herb, sagte er. Er macht mich wieder zum Manne. Vorhin, wie Sie mich da mitten auf dem Corso antrafen – haben Sie mich nicht für halb verrückt gehalten? Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um das verwünschte Zittern nicht zu verrathen, das mir jeden Nerv durchzuckte. Diese Schwäche stammt noch von jener Zeit. Was mir damals begegnete, hat irgend einen Punkt in meinem sonst sehr soliden Fundament locker gemacht. Wenn mich jetzt etwas im Innersten trifft, wankt der ganze Bau.
Ich weiß nicht, ob ein Anderer es rascher abgeschüttelt hätte. Vielleicht ging mir's nur so ans Leben, weil ich damals erst halb genesen war. Und dann – es war ja auch nicht die gewöhnliche perniciosa, von der wir Nordischen hier so tückisch befallen werden. Das Klima vertrug ich ganz gut. Ich hatte in Pompeji drei Wintermonate in einer elenden Kammer beim Diomed mit geringer Kost und unter rastloser Arbeit zugebracht. Die letzten schönen Herbstwochen wollte ich erst in Neapel und an den Küsten dort unten genießen, ehe ich in die römische Schule ging. Aber ich kam von dem verschütteten Nest nicht los. Sie wissen, daß ich damals noch ein fanatischer Schinkel-Anbeter war. Da hatte ich nun allerlei Schrullen im Kopf, denen ich in diesem Gespenst von einer Stadt recht con amore nachhängen konnte, machte meine Messungen, Skizzen, Rechnungen vom ersten Morgengrauen, bis der letzte Sonnenstrahl auf dem Vesuv erlosch, und trieb das so besinnungslos den ganzen Winter hindurch, wie in einer Art Verzauberung.
Ich hätte auch wahrscheinlich noch den ganzen Sommer so fortgeträumt, Rom lockte mich kaum, es war mir viel zu jung, aber mein Beutel war klüger als ich und predigte mir endlich Vernunft. Ich konnte gerade noch den Vetturin bezahlen, der mich mit einer sehr gemischten Gesellschaft nach Rom schaffte, – Pfaffen und Schauspielerinnen; es gab eine tolle Wirtschaft im Wagen, deren Naturlaute nicht immer sehr geistlich klangen. Ich aber saß auf dem Bock neben dem Wagenlenker und achtete nicht sonderlich auf das, was hinter meinem Rücken vorging. Der Schmerz des Abschiedes von meiner geliebten Todtenstadt wurde bald durch die herrliche Landschaft gestillt, durch die man damals drei ganze Tage hinrollte.
Endlich – eines unvergeßlichen Nachmittags – fuhren wir durch die Porta San Giovanni in Rom ein. Wie mir war, lieber Freund, als ich nun das Pflaster der ewigen Stadt unter dem Hufschlag unserer Pferde dröhnen hörte, – Ihnen brauche ich's nicht zu schildern. All die Namen, die der Vetturin nannte, die Thürme und Paläste, auf die er mit der Peitsche wies, – ich kannte das Alles aus meinen Studien und war wie zu Hause, und doch schien Alles wieder ganz märchenhaft neu und unerhört. Wie wenn sich Jemand aus Briefen und nach einem recht ähnlichen Miniatur-Portrait in ein Weib verliebt hat und sieht es endlich von Angesicht und hört es zum ersten Mal sprechen. Ich war so berauscht von Freude und Neugier, daß ich, als der Wagen vor einer bescheidenen Herberge dritten Ranges hielt, mir gar nicht erst Zeit nahm, mein Zimmer zu besichtigen. Dem Kellner überlieferte ich hastig mein schmales Gepäck und stürmte fort, zu allererst einen Gang übers Forum zu machen, gleichsam auf diesem geweihten Platz Besitz zu nehmen von meiner Eroberung.
Da schlenderte ich nun zum Capitol hinauf und die gewundene Straße wieder hinab und sah Säulentrümmer, Kaiserpaläste und Colosseum mit einer Wonne, wie ich sie nur ein einziges Mal als kleiner Junge erlebt hatte. Ich hatte am Nachmittag vorm heiligen Abend durchs Schlüsselloch in die Weihnachtsstube geguckt, was streng verboten war. Da hatte der Baum fix und fertig gestanden und meine ganze Bescherung lag schon ausgebreitet. Als ich mich wieder wegschlich, klopfte mir das Herz. Ich fürchtete, zur Strafe für meine heimliche Sünde würde wirklich, wie die Mutter gedroht, am Abend Alles verschwunden sein. Wie ich es dann aber doch wieder fand, und noch viel schöner, als ich geglaubt, und Alles mit Händen greifen konnte, schrie ich laut auf vor kindischem Glück.
Geschrieen habe ich nun freilich nicht, als ich zum erstenmal in die wunderbare Riesenmuschel des Colosseums blickte, die sich damals noch so viel feierlicher ausnahm, ehe die Archäologen, die keinen Respect vor malerischen Geheimnissen kennen, den Grund aufgewühlt und die Substructionen bloßgelegt haben. Ich saß aber wohl eine Stunde am Fuß des Crucifixes und schwelgte in unaussprechlichen jungen Gefühlen.
Dann merkte ich endlich, daß mein leibliches Theil bei diesem Fest leer ausging. Ich hatte seit einem sehr summarischen Frühstück noch nichts genossen, unser Vetturin hielt uns kurz und vertröstete uns auf das römische Mittagessen, das aber ausblieb. Es dämmerte schon, ich fand für gut, mich nach Hause zu begeben und unterwegs in einer Trattorie mich zu stärken. Wie ich aber an einer der Straßen vorbeikomme, die auf das Forum, hinter dem Friedenstempel, münden, sah ich an einer Thür einen Zettel aushängen, auf dem ein möblirtes Cabinet ausgeboten wurde. Im dritten Stock, aber nur um so besser. Wie weit und frei mußte man von da oben dieses ganze zauberhafte Trümmerfeld überblicken.
Ich ging also hinauf und fand droben Alles noch weit über Erwarten. Ein enges, niederes Zimmerchen freilich, ganz auf gut Römisch nur mit dem Nothwendigsten ausgerüstet, nicht einmal eine Strohmatte auf den Fliesen. Aber welch ein Panorama, sobald man den Kopf aus dem Fenster steckte! Es war da nichts mehr zu überlegen, die Götter hatten mir ihre Gunst zu sichtbar bewiesen, auch dadurch, daß sie mich armen Teufel ohne große Kosten zu diesem paradiesischen Asyl gelangen lassen wollten; denn die Miethe war kaum höher als in Pompeji, die Wirthin, eine gute, dicke Frau, Hebamme ihres Zeichens, verlangte nur der Sicherheit halber Vorausbezahlung für eine Woche.
Ich schämte mich, daß, wie ich in die Tasche griff, ich nur noch einen einzigen Paul daraus hervorzog. Sie wollte, da sie meine Verlegenheit sah, nicht auf ihrer Forderung bestehen. Ich aber, um meinerseits mir das Quartier zu sichern, drang ihr meine Uhr als Pfand auf, sagte, daß ich noch heute Abend meinen Koffer schicken und dann selbst nachkommen würde, weil ich mir schon in den Kopf gesetzt hatte, morgen früh bei meinem ersten Erwachen in Rom die Kaiserpaläste zu meinen Füßen liegen zu sehen, und flog dann die drei steilen Treppen in einer Aufregung hinunter, wie wenn die gute Dame Rubicondi ein schönes Mädchen gewesen wäre, das mir eben das Jawort gegeben.
Das Wichtigste war nun, den Bankier aufzusuchen, bei welchem ich den Rest meines Reisegeldes zu erheben hatte. Ich wußte seine Adresse, Via della Vite, Nummer so und so, auch daß es eine Nebenstraße des Corso sei. Aber es hielt schwer, die Straßennamen an den Ecken in der beginnenden Nacht zu entziffern. Ein junger Bursch von ziemlich confiscirtem Aussehen, aber gewandtem, höflichem Benehmen trat mich an und fragte, ob ich etwas suche. Ich hielt ihn für einen Kuppler, wie sie mir in Neapel oft genug zur Last gefallen waren, und wies ihn kurz ab. Er wiederholte aber ganz bescheiden seine Frage, als er mich an der nächsten Straßenecke wieder rathlos fand, und ich sagte ihm endlich, wohin ich wollte.
Sogleich ging er mir dienstbeflissen voran, und nach hundert Schritten lenkte er in die Via della Vite ein, mit abgezogener Mütze vor dem Hause stehen bleibend, das ich gesucht hatte. Ich konnte ihn nicht unbelohnt lassen, obwohl ein ganzer Paul für die geringe Mühe wohl etwas zu fürstlich war. Aber wer eben Rom erobert hat! Und so nickte ich ihm gnädig zu, während er sich mit der Geberde der Ueberraschung in Danksagungen erschöpfte, und trat bei meinem Bankier ein.
Ich kam kurz vor Comtoirschluß und nahm die bescheidene Summe in Empfang, mit der ich nun ausreichen sollte bis nach Hause. Aber ich hatte wenig Bedürfnisse und verstand meinen Bettlermantel in die anmuthigsten Falten zu legen. Also steckte ich die Banknoten sehr vergnügt in mein Skizzenbuch und dieses in die Brusttasche meines Reisekittels und empfahl mich.
Es fiel mir auf, den Burschen von vorhin unten beim Hause wieder anzutreffen. Doch schob ich es auf seine Dankbarkeit, beschloß aber, ihn abzuschütteln, da mir seine listig unterwürfige Miene nicht gefiel, und sagte ihm, als er sich dienstwillig näherte, ich brauchte ihn nicht mehr und könne meinen Weg allein finden. Worauf er einen tiefen Katzenbuckel machte und um die Ecke verschwand.
Nun galt es, eine Trattorie zu finden, da nach damaliger Sitte in dem Gasthof, wo ich abgestiegen, auf eine Mahlzeit nicht zu hoffen war. Ich schlenderte den Corso hinunter, rechts und links mich umsehend, aber ein oder zwei erleuchtete Locale, in die ich durch die Fenster hineinspähte, schienen mir zu vornehm für meine Verhältnisse. Fast bereute ich nun doch, meinen Führer so voreilig abgedankt zu haben. Indessen war die Luft köstlich, und der Nachthimmel, der über dem Obelisken auf der Piazza del Popolo blaute, lockte mich noch eine Strecke zum Thore hinaus. Und endlich fand ich, was ich suchte: in dieser Osterie, wo wir jetzt sitzen, ein leidliches Essen und einen höchst rühmlichen Wein, von ganz anderem Feuer als der zweifelhafte Tropfen, der heute unsere Gläser füllt.
Auch war der Garten belebt, Lichter blitzten aus den Gebüschen und dem Laubengang, schöne römische Augen funkelten dazwischen. Das junge Paar, das die Wirthschaft hielt, lief geschäftig ab und zu und that sein Bestes, die Gäste zufriedenzustellen, und über dem ganzen herrlichen Leben ragte gerade wie jetzt das dunkle Haupt des St. Peter, das ich hier zum erstenmal in seiner magischen Hoheit genoß, da es beim Herannahen an die Stadt von Süden her mir nicht sonderlich merkwürdig erschienen war.
Ich verfiel meiner Gewohnheit nach in eine andächtige Träumerei, in welcher sich die frommen Stimmungen meiner Jugend im Pfarrhause und die heidnische Lebenslust meiner späteren Jahre ganz verträglich durcheinandermischten. Darüber beachtete ich nicht, daß der Garten immer stiller, leerer und dunkler wurde, bis endlich auch die Letzten aufstanden und sich davonmachten. Da rief ich den Wirth, bezahlte meine geringe Zeche und verließ ebenfalls den Garten, um nun doch noch eine Nacht in meinem Gasthof zuzubringen.
Als ich auf die Straße hinauskam, sah ich drüben an der grauen Mauer einen dunklen Schatten, der unbeweglich stand, wie eine Schildwache. Sobald ich mich nach rechts wandte, dem Thore zu, regte sich auch das Gespenst, und ich merkte deutlich, daß es Schritt mit mir hielt. Wenn ich stehen blieb und zurücksah, schien es augenblicklich wieder einzuwurzeln. Es war mir nicht ganz geheuer. Aber noch begegneten mir einzelne späte Wanderer, und auf alle Fälle hatte ich meinen derben Stock in der Faust, mit dem ich mir schon auf dem einsamen Wege nach Camaldoli einen verwegenen Burschen vom Leibe gehalten hatte.
So erreichte ich das Thor und fühlte mich nun vollkommen sicher. Das Wetter war umgeschlagen, kein Stern mehr am Himmel, Scirocco in der Luft. Ich schritt über den ganz verödeten Platz und weiß noch, daß ich beim Obelisken stehen blieb und lange nach dem Pincio hinaufblickte, in dessen Bäumen der Wind leise hin und her zu wogen begann. Es zog mich da hinauf, so gruselig es dort unter den Schatten sein mußte. Aber ich hielt es doch für gerathen, obwohl mein eigener unheimlicher Schatten mir nicht durchs Thor gefolgt war, endlich nach Hause zu kommen.
Auf einmal – ich hatte eben den Corso erreicht – hör' ich Schritte hinter mir, hastig und sacht, wie von einem Menschen, der auf den Strümpfen läuft. Aber eh ich mich noch umwenden konnte, überfällt mich's von hinten, ich werde von zwei Armen umklammert, die mir die Brust wie in einer stählernen Zange zusammenpressen, eine Hand zerrt an meinem Rock, fährt in die Brusttasche und reißt das Skizzenbuch heraus, das ich fest genug darin verwahrt glaubte, – dann werd' ich mit einem letzten Ruck losgelassen, daß ich eine Strecke weit forttaumle, und der Räuber entspringt vor meinen Augen in den langen dunklen Corso hinein. Nur zwei Secunden hatte der Ueberfall gedauert, die Wuth half mir die Betäubung abschütteln, ich schwang meinen Rebstock mit dem schönsten italienischen Fluch, dessen ich mächtig war, und rannte wie der Blitz dem Schurken nach.
Meine braven langen Beine ließen mich auch nicht im Stich. Nahe bei San Giovanni packte ich meinen Mann. Ich ließ ihm den Stock um die Schultern sausen, daß ihm die Mütze abflog. Da war's denn wirklich der dienstfertige Schuft, der mich in die Via della Vite geführt und wohl gewittert hatte, was mein Geschäft in dem Hause des Bankiers gewesen war. Birbante! schrie ich, außer mir, und schüttelte ihn, wie wenn ich ihn zwingen wollte, mit feinem Raube zugleich die spitzbübische Seele fahren zu lassen. Er aber, der sein Handwerk verstand, schlüpfte mit einer katzenhaften Geschmeidigkeit, die meiner Kraft überlegen war, unter meiner Faust durch und umschlang mich mit beiden Armen, Brust gegen Brust, dabei ein heiseres Kichern ausstoßend, als ob er den ganzen Handel wie eine lustige Posse betrachtete. So rangen wir eine Weile, während ich vergeblich mich bemühte, von meiner Waffe Gebrauch zu machen. Ich rief dabei, so laut meine gepreßte Brust vermochte: Hülfe! Räuber! Mörder! – weit und breit kein Echo, die Straße wie ausgestorben. Er aber hatte seinen Vortheil ersehen und mich an eine Treppenstufe gedrängt. Wir taumelten Beide, uns fest umschlungen haltend, zu Boden, ich über ihm. Es sollte mir nichts helfen. Im nächsten Augenblicke fühlte ich einen heftigen Stoß gegen meine linke Schulter, der mir den Arm lähmte. Ich mußte den Schurken loslassen, der sofort unter mir hervorglitt und ein schallendes Gelächter aufschlagend um die nächste Straßenecke verschwand.
Nun merkte ich erst, daß die Sache ein übles Ansehen hatte. Ich konnte mich noch aufraffen und nach meinem Stocke tasten, der zufällig ganz nahe auf dem Pflaster lag. Als ich aber nach der Schulter griff, fühlte ich einen harten Gegenstand, der mir im Fleische saß, und eine feuchte Wärme, die rasch durch Hemd und Rock sich verbreitete. Ich war zu schwach, das Messer aus der Wunde zu ziehen, meine Besinnung fing an zu schwinden. Nur wie im Traume tappte ich noch etwa hundert Schritte fort, von Zeit zu Zeit einen dumpfen Hülferuf ausstoßend. Dann verließ mich das Bewußtsein, und vor einem Hause, das wiederum eine Straßenecke bildete, brach ich besinnungslos zusammen.
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Verzeihen Sie, daß ich Sie mit allen Details dieser sehr alltäglichen Räubergeschichte langweile. Aber indem ich eben daran zurückdenke, ist mir Alles so gegenwärtig und wichtig, als wäre es gestern passirt. Ja, ich glaube den fatalen Geruch des Burschen nach Wein und Käse wieder in der Nase zu spüren – Nasen haben bekanntlich ein gutes Gedächtniß, – und genau dieselbe aus Zorn, Grauen und Ekel gemischte Gemüthsbewegung wacht wieder in mir auf, die ich während des Kampfes in mir erlebte. Ich weiß auch noch, wie wonnig es mir war, in die Ohnmacht zu sinken, und daß ich nur noch Einen klaren Gedanken hatte, der mir Kummer machte, wie schade es sei, daß meine pompejanischen Forschungen das Licht der Welt nun nicht mehr erblicken würden.
Was dann mit mir geschah, habe ich erst später erfahren. Ich wachte nur einen Moment wieder auf, als das Eisen aus meiner Schulter gezogen wurde, und sah eine Anzahl fremder Gesichter um mich her und hörte dumpfe Stimmen wie ferne Meeresbrandung. Dann wurde es wieder tiefe Nacht um all meine Sinne.
Seltsam aber war's, wie ich, nachdem die Kräfte sich in einem tiefen Schlaf ein wenig gesammelt hatten, in der grauen Morgenfrühe wieder zu mir kam. Ich fand mich in einem breiten Himmelbette, dessen Vorhänge zurückgeschlagen waren, behaglich ausgestreckt und spürte vor Schwäche kaum einen leisen Schmerz in der verwundeten Schulter, nur einen Druck auf den Füßen, dessen Ursache ich nicht sogleich begriff. Als meine Augen und Gedanken sich etwas klärten, sah ich zu meinem größten Erstaunen eine schöne Frau in dem Lehnstuhl neben meinem Bette sitzen, vielmehr mit dem Oberleib über das Fußende desselben zurückgesunken, so daß ihr Kopf gerade auf meinen Füßen ruhte. Sie bewegte sich nicht und hatte die Augen geschlossen. Ich konnte sie mit aller Muße betrachten, und selbst in dem armseligen Zustande, in dem ich mich befand, war ich Manns genug, die große Schönheit dieses Kopfes ganz deutlich zu empfinden und plötzlich mein Herz schneller klopfen zu fühlen.
Ein Gesicht vom reinsten römischen Schnitt, ein echtes Caméen-Profil, nur die schlanke Nase verlief fast ohne jede Biegung, in griechischer Reinheit der Contur. Die Stirn entzog sich mir, da die losgegangenen schwarzen Haare darüber herabfielen, aber die schöne breite Wange sah ich und den etwas streng geschürzten Mund, nicht sehr roth gefärbt, aber jetzt, da er im Traume ein wenig lächelte und die ganz regelmäßigen Zähne sehen ließ, von einem fast schalkhaften Reiz. Daß ich auch das Ohr nicht vergesse, dessen zierlich und doch kräftig geformte Muschel wachsbleich aus den Haaren hervorsah. Die Gestalt war in einen granatrothen Schlafrock gehüllt, mit einer golddurchwirkten schwarzen Schnur gegürtet. Sie schien nicht sehr groß zu sein, vom herrlichsten Wuchs, so viel das dreiarmige Lämpchen verrieth, das auf einem Stuhl mir zu Häupten stand. Langsam bewegte sich, wie sie im Schlaf athmete, die kräftige Brust, und die Nasenflügel zitterten leise. Es mußte nah am Tage sein, durch zwei halbverhängte Fenster fiel ein trüber Schimmer in das große Gemach, aber noch nirgends war ein Laut zu vernehmen, weder im Hause noch auf der Straße.
Es hatte einige Zeit gedauert, bis ich so weit bei Besinnung war, um zu wissen, daß ich nicht träumte. Ich hütete mich aber wohl, irgend eine Bewegung zu machen, um die Schläferin nicht zu stören, die zu betrachten ich nicht satt wurde. Da fingen plötzlich die Glocken irgend einer nahen Kirche ein gewaltiges Läuten an, und in demselben Augenblick schlug der schöne Kopf auf meinen Füßen die Augen auf, sah meinen Blick auf sich gerichtet und hob sich sacht in die Höhe. Ich suchte in meinem noch sehr umdämmerten Gehirn nach irgend einem Wort, das ich an die wundersame Erscheinung richten wollte. Aber eh' ich es noch gefunden, hatte sie sich schon erhoben, den Finger auf den Mund gelegt, der auf einmal sehr ernst und gebieterisch erschien, und war zu einem Tischchen hingegangen, auf dem ich eine große Schüssel und allerlei Flaschen und Tücher erblickte.
Sie tauchte eine starke Compresse in die Schüssel, und gleich darauf war sie an meiner Seite und erneuerte den Eisumschlag. Ich hätte viel darum gegeben, ihre Hand haschen und an meine Lippen drücken zu können. Aber die Bewegung, die ich machte, erregte mir einen so stechenden Schmerz, daß ich gleich wieder zurücksank, ohne mehr als Grazie! stammeln zu können; dann verlor ich von Neuem das Bewußtsein.
Es kam mir auch im Laufe des Tages nur einmal wieder, während der Viertelstunde, in der mein Verband erneuert wurde. Ich sah einen kleinen Mann mit kurzgeschorenem grauem Haar und zwei klugen schwarzen Augen über einer ungeheuern Nase mit mir beschäftigt, die Schöne stand neben ihm und hielt ihm die Lampe nach seiner Anweisung, so daß ich das herrliche Gesicht abermals nach Herzenslust studiren konnte, eine Alte in geringer Kleidung machte sich am Tische zu schaffen und reichte Linnen und Verbandzeug, doch wurde kein Wort gesprochen, und als ich selbst die Lippen öffnete, um eine Frage an meinen barmherzigen Samariter zu richten, hörte ich nur ein entschiedenes: Zitto! Zitto! über die energischen Lippen des kleinen Mannes zischen.
Auch hatte mich die Procedur von Neuem so erschöpft, daß ich bald die Augen freiwillig wieder schloß, obwohl das schöne Gesicht noch mir gegenüber leuchtete. Ich fühlte, daß mir etwas Stärkendes eingeflößt wurde, und eine gewisse Lebenslust und -Hoffnung rieselte mir wieder durch die Adern, während ich noch die Nacht zuvor von nichts Anderem geträumt hatte, als schon im Jenseits zu sein und eine himmlische Wärterin neben mir zu haben, die zunächst alles Erdenweh von mir abwaschen solle.
Diese Nacht schlief ich, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. Als der lärmende Tag draußen mich ermunterte, war die Alte im Zimmer, deren Gesicht mir, ich weiß nicht warum, im höchsten Grade widerwärtig vorkam. Ich hatte aber noch nicht lange wach gelegen, als die Thür des Nebenzimmers sich aufthat und ein neues reizendes Menschenbild sich zu mir hereinschlich.
Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen vier und fünf Jahren, wie ein Püppchen gekleidet in braunen Sammt, mit einem schmalen Pelzchen verbrämt, ein Hütchen von spitzer Form, fast wie eine phrygische Mütze, auf den dicken schwarzen Haaren, die – damals noch eine ungewohnte Tracht – ganz frei auf die Schultern herabfielen. Das kleine Geschöpf kam auf den Zehen hereingesprungen, blieb dann, da ihr die Alte etwas zurief, was ich nicht verstand, mitten im Zimmer stehen und betrachtete den fremden Mann, der noch am hellen Tag im Bette lag, mit schüchterner Neugier, etwa wie ein fremdes Thier. Ich nickte ihr zu und bewegte die Hand, um sie heranzuwinken. Sie schien sich aber vor der Alten zu fürchten. Erst als diese auf einen Ruf aus dem Nebenzimmer hinausgegangen war, faßte die Kleine sich ein Herz, langsam bis dicht an mein Bett heranzuschleichen, wo sie dann auf den Zehen sich erhob, um ganz zutraulich, aber immer, als ob ich eine Bildsäule oder sonst etwas Lebloses wäre, mein Gesicht zu betrachten. Ich blieb auch eine Weile ganz still und weidete mich an dem allerliebsten Figürchen und dem holden kleinen Gesicht. Zug für Zug glich es der schönen Frau, nur etwa wie eine wächserne Miniatur-Copie einer Marmorbüste. Aber schon ganz die scharfgezeichneten Brauen, das stolze Mündchen, die Stirn, die sich in breitem Zuge nach den Schläfen verlor und von den gescheitelten Haaren tief überschattet war. Die Mutter aber hatte dunkle Augen, das Kind ganz saphirblaue.
Wie heißest du? fragte ich endlich halblaut.
Bicetta.
Und die Mutter?
Mammina.
Bist du mir ein bischen gut, Bicetta?
Sie nickte, ohne sich zu besinnen.
Siehst du, sagte ich, ich bin krank, sonst würde ich gerne mit dir spielen, und wenn wir recht lustig gewesen wären, müßtest du mir zum Dank ein Küßchen geben.
Im Nu kletterte das Kind auf mein Bett hinauf, faßte mich mit beiden Aermchen um den Hals und drückte ihr kleines weiches Mäulchen herzhaft gegen meine Wange.
In diesem Augenblicke ging die Thür, die schöne Frau trat herein. Ich sah, daß sie Miene machte, böse zu werden, als sie mich so belagert fand. Aber gleich darauf lachte sie.
Was fällt dir ein, Bicetta! rief sie. Laß den Herrn in Ruhe! Komm, wir gehen aus.
O Signora, sagt' ich, lassen Sie sie mir, è tanto carina, und ich – wie Sie sehen – ich bin fast geheilt. Sagen Sie mir nur –
Sie trat rasch, mit ihrem prachtvollen, königlichen Schritt, wie man die tragischen Heldinnen auf der Bühne schreiten sieht, auf mich zu und hob das kleine Ding rasch von meiner Seite weg.
Still! sagte sie ganz ernsthaft. Sie dürfen nicht reden, der Doctor hat es aufs Strengste verboten. Diese wilde kleine Creatur soll Sie nicht wieder belästigen. Ich gehe auf eine Stunde aus. Die Mutter wird Sie inzwischen bewachen, daß Sie keine Dummheiten machen. Seien Sie vernünftig und thun Sie Alles, was man Ihnen sagt. Sonst –
Sie machte eine drohende Geste, aber gleich darauf lächelte sie mit der reizendsten Freundlichkeit mir zu und winkte zum Abschied mit der Hand, die in einem eleganten Handschuh steckte. Sie trug ein dunkles Seidenkleid, das ihre volle Gestalt aufs Vortheilhafteste hervorhob, darüber ein Sammtmäntelchen mit einem dunklen Pelzbesatz, einen Hut mit schwarzer Feder, keinen Schmuck. So viel ich davon verstand, war ihre Toilette von der ausgesuchtesten Feinheit, was man jetzt Chic nennen würde. Dann faßte sie die Hand des Kindes und verschwand durch die Seitenthür.
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Ich blieb eine Weile allein und sah mich zum ersten Male in meinen vier Wänden um. Es war offenbar ihr eigenes Schlafzimmer, das die Herrin des Hauses mir eingeräumt hatte, das Bett mit rothseidenen Vorhängen drapirt und die Kopfkissen mit Spitzen besetzt. Ein großer Broncelüster hing von der Decke herab, die dicken, halb herabgebrannten Wachskerzen ließen erkennen, daß sie nicht blos zum Putz aufgesteckt waren. Ueber dem Kamin ein Spiegel in breitem Goldrahmen, der bis an die Decke reichte, auf dem schwarzen Marmorsims eine große Uhr, auf der eine goldene Venus von drei Tritonen auf einer Muschel von Email oder Perlmutter in die Höhe gehoben wurde, daneben vielarmige vergoldete Candelaber von der schönsten Pariser Arbeit. Der Rococotisch in der Mitte des Zimmers, der jetzt die Schalen mit Eis und die übrigen Lazareth-Requisiten trug, schien sonst vor dem rothen Sammtsopha drüben an der Wand zu stehen, da die geschweiften und stark vergoldeten Füße ganz zu dem Schnitzwerk jenes Möbels paßten. Sonst war keinerlei Geräth ringsum zu erblicken, auch weder Blumen noch Bilder, bis auf ein einziges lebensgroßes Portrait über dem Sopha, das einen Cardinal darstellte, ein scharfes, kluges, regelmäßiges Gesicht, eines von jenen Priestergesichtern des Cinquecento, denen Harnisch und Helm besser zu stehen pflegte, als der rothe Hut und der geistliche Ornat. Seltsam, ich mußte beständig die fast drohend auf mich gerichteten Augen des Bildes betrachten, die mich sofort an die Augen meiner barmherzigen Unbekannten erinnert hatten. Auch im Munde glaubte ich eine Aehnlichkeit zu erkennen, freilich nur, wie die schöne Frau ihn in ihren gebieterischen Anwandlungen zu schürzen pflegte. Ich war aber noch zu schwachen Geistes, um viel darüber nachzugrübeln.
Eines aber ging mir durch den Kopf: war es möglich, daß die widerwärtige Alte, die mich in ihrer Abwesenheit bediente, die Mutter dieses herrlichen Weibes war? – Sie trat eben wieder herein, das Eis in der Compresse zu erneuern; ich konnte das Gesicht zum ersten Mal ganz in der Nähe betrachten und sah nun freilich, daß es ebenfalls den Stempel römischer Herkunft trug. Es kam mir aber in seiner Dürre und Verwitterung so gräulich hexenhaft vor, daß ich bald wieder die Augen schloß und die harten braunen Hände sich mit meiner Pflege beschäftigen ließ, ohne nur einen Laut des Dankes über die Lippen zu bringen.
Sie ließ mich dann eine Tasse Fleischbrühe trinken, gleichfalls ohne ein Wort zu sprechen, aber mit einer feindseligen Miene, daß es mir schien, sie hätte mir weit lieber einen Gifttrank eingeflößt. Doch schlief ich nach dieser Stärkung ruhig wieder ein und erwachte erst, als der kleine Doctor Abends nach meiner Wunde sah.
Das wortkarge Männchen mit den durchbohrenden Augen und dem sarkastischen Zug um den Mund flößte mir ein Vertrauen ein, wie man es damals den italienischen Aerzten nicht zu schenken pflegte. Er war unglaublich rasch und sicher in seinen Manipulationen und trotz der Barschheit seines Wesens so behutsam mit dem armen Schächer, wie eine Amme mit ihrem Säugling.
Bravo! murmelte er vor sich hin. Ich finde, daß Ihr Euch wacker aus dem Handel zieht. Gestern fürchtete ich noch, die Lunge möchte verletzt sein. Aber nichts da! Nur Gehorsam – Stille – keine Aufregungen – keine Thorheiten – und in drei Wochen –
Drei Wochen! – Ich sah meine schöne Pflegerin an, die wieder in ihrem rothen Schlafrock, die Haare in einen mächtigen Knoten geschlungen, ruhig wie eine Karyatide neben dem Doctor stand. Aber das ist ja eine Ewigkeit! Lassen Sie mich wenigstens in ein Spital bringen, wenn es im Gasthof nicht gut anginge – drei Wochen! – wie soll ich noch so lange dieser edlen Dame –
Der kleine Mann blitzte die Schöne an, zuckte die Achseln und sagte: Ihr werdet bleiben, wo Ihr seid. Im Ospedale ginget Ihr zu Grunde; ich weiß, wie sie da mit Christenfleisch umgehen. Was die Signora betrifft, so wird sie wissen, was sie thut. Wenn sie Euch auf der Straße aufgelesen hat, wird sie es nicht übers Herz bringen, Euch wieder auf die Straße zu werfen. Basta! Spart Euern Athem! Und gute Nacht!
Er drückte den Hut tief in die Stirn, warf den Mantel mit dem bekannten römischen Faltenwurf um die Schulter, daß das halbe Gesicht vermummt war, und rannte hinaus.
Sie hatte ihm bis an die Treppe geleuchtet. Als sie dann zurückkam, stellte sie die Lampe auf den Tisch und trat an mein Bett.
Schlagt Euch die albernen Grillen aus dem Kopf, sagte sie mit ihrer tiefen und doch weichen Stimme, die einen sonoren Celloklang hatte. (Sie nannte mich zum erstenmal Ihr, wie auch der Doctor gethan.) Gott selbst hat Euch mir vor die Thür gelegt, ich müßte keine Frömmigkeit und Respect vor dem Willen des Himmels haben, wenn ich Euch wieder fortließe, ehe Ihr ganz geheilt seid. Seht, vorgestern Nacht lag ich da an derselben Stelle, wo Ihr jetzt ruht, und konnte nicht schlafen und hörte alle Uhren schlagen und mein Herzblut klopfen, wie wenn ich da einen Pendel unter der Brust gehabt hätte. Ich weiß nicht, was mir war, aber das Leben war mir auf einmal verhaßt, ich langweilte mich und dachte, wenn das so fortgeht viele Jahre – und endlich wirst du grau und alt wie die Mutter – uh! Lieber gleich ins Kloster, wo einem die Langeweile doch als ein verdienstliches Werk angerechnet wird! – Und endlich, da mir's immer beklommener wurde und ich spürte, daß draußen der Scirocco zu wehen anfing, warf ich die Decke weg, sprang aus dem Bett und wollte wenigstens das Fenster aufmachen, um die Nachtluft hereinzulassen. Da hör' ich unten Hülfe! rufen und Stöhnen und ein unheimliches Geräusch; ich reiße das Fenster auf und biege mich hinaus, so weit ich konnte, sah aber nur eine dunkle Masse auf den Stufen unten vor der Hausthür, und keine Antwort kommt, obwohl ich zwei-, dreimal hinunterrufe, wer da liege. Da fuhr mir's durch den Kopf: am Ende kannst du an einer Menschenseele etwas Gutes thun, und darum hast du nicht schlafen und dir dein Leben verwünschen müssen! Und ich stürze ins Zimmer, wo die Mutter schläft, und sie muß mit mir hinunter, und wir wecken unten den Schneider, den Girolamo, der den Portier macht, und wie wir die Thür aufschließen und Eure lange Figur, die sich dagegen stemmte, mit der Thür ins Haus fiel, – Madonna, wie wir erschraken, als wir Euch in der großen Blutlache liegen sahen! Wir erkannten gleich, daß Ihr ein Fremder wart, fanden aber keine Karte oder einen Paß bei Euch, daß wir Euch nach Eurem Haus hätten schaffen können. Der Girolamo rieth, Euch nach San Giovanni ins Hospital zu schaffen. Aber sie reden nicht viel Gutes davon, und ich weiß nicht, Ihr dauertet mich, als wäret Ihr ein Bruder oder ein alter Bekannter. Pfui, Girolamo! sagt' ich. Nach San Giovanni, wo erst vorige Woche der Don Giuseppe am Lazarethfieber gestorben ist? Da würde ich ihn lieber hier in seinem Blute liegen lassen, sagt' ich, und befahl ihm, Euch aufzuheben und in unsere Wohnung hinauszuschaffen. – Und die Polizei? sagte er. Und wenn man morgen die Blutspuren findet und fragt, was uns der Inglese angehe, daß wir ihn im Hause versteckt haben? Und kann es nicht ein schlechter Mensch sein, den sie hier ganz mit Recht überfallen und ihm sein Theil gegeben haben? – Ich hatte inzwischen Euren Kopf von den Steinen aufgehoben. Da seht, sagt' ich, ob das ein Bösewicht ist – denn Ihr machtet ein so unschuldiges Gesicht, wie ein Kind an der Mutterbrust. Schämt Euch, Girolamo! Thut, was ich Euch sage. Wenn darüber geschwatzt wird, schickt die bösen Mäuler nur zu mir, und die Polizei – nicht so viel fürchte ich mich vor der!
Die Mutter zupfte mich am Arme. Du bist toll, Gemma, sagte sie. Willst du dir die Last mit dem sterbenden Menschen aufladen? Und wohin mit ihm? Wir haben kein überflüssiges Bett. – O, sagte ich, mein eigenes geb' ich gerne her, ich habe ohnehin keinen Schlaf gehabt, und eine Stimme vom Himmel war's, die mich mitten in der Nacht aufweckte. Und, sagte ich, wenn ihr Beide so steinerne Herzen habt, ich brauch' euch gar nicht; ich bin stark genug und trage ihn schon allein die Treppe hinauf. Und damit faßt' ich Euch unter den Armen an, und da ich so wüthend war über ihre Hartherzigkeit, hatte ich mehr Kraft als sonst. Aber nun sprangen sie doch herzu und so faßten wir alle Drei an, und auch da noch ging's schwer und langsam, denn Ihr seid keine Flaumfeder – (dabei lachte sie hell auf, und ich mußte mitlachen) und obwohl Ihr nicht bei Euren Sinnen wart, stöhntet Ihr doch beständig, da das verfluchte Messer noch in Eurer Schulter steckte. Nun, und dann mußte der Girolamo zum Doctor Susina laufen, und Ihr wurdet verbunden, und Eis holte die Mutter von San Giovanni, und der Schneider wusch noch in der Nacht die Treppe und die Straße unten mit heißem Wasser und streute Asche über die Blutflecken, die nicht verschwinden wollten. Seht, so hab' ich mir Euch erobert, und eh' Ihr nicht die Treppe, die Ihr wie ein steinerner Heiliger hinaufgeschleppt worden seid, wie ein Vogel wieder hinunterfliegt, geb' ich Euch nicht heraus, das sollt Ihr nur wissen. Und jetzt schlaft; es ist schon viel zu viel geschwatzt worden.
Sie nickte mir freundlich zu und wollte sich abwenden. Aber ich ergriff den Zipfel vom Aermel ihres Schlafrocks und hielt sie daran fest.
Frau Gemma, sagte ich, Ihr seid ein Engel des Himmels. Wenn ich das Blut, das ich in jener Nacht verlor, für Euch vergossen hätte, es würde mich nicht reuen. Und ich verspreche Euch zum Dank, Euch in Allem zu folgen und Euch so lange zur Last zu fallen, bis Ihr mir selbst die Thür weist. Aber thut mir nur die Liebe und schafft mich in irgend einen Winkel, wo ich Euch weniger im Wege bin. Wenn ich denke, daß dieses Bett – und wo habt Ihr nun eine Stätte, wo Ihr Euer Haupt hinlegen könnt? –
Das ist meine Sache! sagte sie mit einem kurzen, sonoren Auflachen. Ich brauche zunächst kein Bett. Wir wechseln ab mit der Nachtwache, die Mutter und ich. Wer gerade nicht Dienst hat, legt sich zu der Bicetta. Seh' ich etwa aus, als ob mich Eure Pflege sonderlich angriffe?
Sie stand vor mir, strahlend in ihrer Schönheit und Jugendfülle. Ich haschte nach ihrer Hand, die ich zitternd an meine Lippen drückte. Sie gab mir einen sanften kleinen Schlag auf die Wange und drückte mich wieder in die Kissen nieder. Dann ließ sie mich eine Weile allein.
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Dies Alles hatte mich angegriffen; aber der Schlaf wollte sich noch so bald nicht einstellen. Ich dachte zum ersten Mal über meine Lage nach. Das geraubte Geld war mein ganzes Vermögen gewesen, für die nächsten Monate konnte ich nichts erwarten, mein Vater hatte für sechs Töchter zu sorgen; ob das Ministerium in Folge der Räubergeschichte ein menschliches Rühren fühlen würde, war höchst zweifelhaft. Hier freilich, so lange ich die Gastfreundschaft dieser herrlichen Frau genoß, war ich wohlaufgehoben. Aber es drückte mich doch, daß ich so ganz als von der Straße aufgelesener Bettler all diese Gutthaten hinnehmen sollte. Sie schien sehr reich zu sein; ich hatte Ringe an ihrer Hand gesehn, die keiner Herzogin Schande gemacht hätten. Dienerschaft war freilich nicht zu erblicken. Nur am Morgen kam ein fremdes Gesicht herein, die Frau des Schneiders, wie ich später erfuhr, welche das Gröbste an Hausarbeit und Reinigen der Wohnung besorgte, und ihr Mann ging täglich auf den Markt, die Einkäufe für die Küche zu machen. Das Kochen selbst besorgte die Alte. Und wovon lebten sie? War noch ein Mann vorhanden, oder hatte er schon dieser Welt und seiner schönen Frau den Rücken kehren müssen? In jedem Falle konnte ich die gehäuften Liebesdienste und Opfer, die man mir anthat, nicht so ganz selbstverständlich über mich ergehen lassen und ohne irgend ein Zeichen des Dankes meiner Wege gehen. Doch selbst um der Bicetta eine Puppe zu kaufen, fehlte mir das Geld. Es marterte mich förmlich, die seidene Decke zu fühlen, unter der ich gebettet lag.
Nun hatt' ich freilich einen guten Freund in Rom, der aber Zeit seines Lebens ein eben so armer Teufel gewesen war, wie ich selbst. Ein Schulkamerad und Nachbarssohn, ein früh entwickeltes Künstlergenie, von dem ich seit zwei Jahren nichts mehr gehört hatte, als daß er sich – Gott weiß, wie – bis nach Rom durchgeschlagen. Er hatte den Spitznamen Kürdchen erhalten, der ihm so fest saß, daß ich mich jetzt wahrhaftig auf seinen richtigen Vornamen nicht besinnen kann. Das kam von seinem ersten Bilde, welches das Gänsemädchen vorstellte; – man war damals noch stark in der Düsseldorfer Manier, und die Aschenbrödel, Dornröschen und Schneewittchen florirten. Jenes Bild hatte Aufsehen gemacht und konnte in der That für eine volle Talentprobe gelten. Das Figürchen, das die blonden Zöpfe flechtend auf dem Hügel saß, mitten unter der Gänseheerde, war allerliebst, und der junge Bursche, dem sie mit ihrem Sprüchlein den Hut vom Kopfe hexte, daß er ihm nachlaufen mußte, nahm sich drollig genug aus, zumal er eine gewisse Aehnlichkeit mit dem jugendlichen Künstler hatte. Nicht bloß in den Zügen, sondern auch in einem kleinen körperlichen Gebrechen, das den Lebenskummer unseres Freundes ausmachte. Das ganz hübsche und feine Gesicht war nämlich durch ein rothes Näschen entstellt. Schon als Knabe hatte er sich's in einem unserer strengen holsteinischen Winter erfroren, und alle Mittel, die er dagegen anwandte, blieben erfolglos. Das zog er sich dermaßen zu Gemüth, daß er fast menschenscheu wurde und besonders den Mädchen auswich, obwohl er von sehr zärtlicher Natur war und ohne eine stille unglückliche Liebe nicht leben konnte. Wie ich ihn zuletzt gesehen, hatte er mir gesagt: Du glaubst, daß mich die Sistina und die Stanzen nach Italien ziehen? Ich will dir im Vertrauen gestehen, daß mein Hauptzweck die Hoffnung ist, die südliche Sonne werde mir das Alpenglühen aus meiner armseligen Visage vertreiben. Ein solcher Eiszapfen muß doch endlich aufthauen, in einem Lande, wo ewiger Sommer ist. – Ob es ihm damit nach Wunsch gegangen, wußte ich nicht, nur daß er schon den zweiten Winter in Rom zugebracht hatte. Ich begriff nicht, wie er es möglich gemacht hatte. Von Bildern, die er gemalt und verkauft, war nie die Rede gewesen; ich hatte ihm meine Ankunft von Pompeji aus gemeldet und nur einen Zettel zurückerhalten mit einem einsilbigen, aber herzlichen »Willkommen!«
Sie begreifen, daß ich nicht so sanguinisch war, diesen Strohhalm für einen Balken anzusehen. Aber es war der einzige feste Halt, da Alles um mich her schwankte und wankte.
Und richtig verschlimmerten diese Sorgen meinen leiblichen Zustand. Am andern Morgen lag ich im schönsten Wundfieber, wieder ganz besinnungslos. Nur selten sah ich durch den Nebel meiner Phantasieen die schönen schwarzen Sterne leuchten, die sich ernsthaft zu mir herabneigten, während mir das Pfühl gelockert oder ein wenig Nahrung beigebracht wurde. Ich litt dabei nicht viel; ja ich glaube, mir war in meinem ganzen Leben nicht so wohl gewesen, als wenn ich die Hand meiner Pflegerin an meiner Stirn fühlte, wie sie mir das wirre Haar zurückstrich, oder wenn sie mich um den Hals faßte, um mich aufzurichten und mir einen Löffel voll Medicin einzuflößen.
Doch machte in dieser Zeit die Heilung der Wunde selbst gute Fortschritte. Mein gesundes junges Blut riß mich heraus. Am siebenten Tage sah ich wieder ganz klar aus den Augen, und der kleine Doctor rief ein herzhaftes: Bravo, foglio mio! ma bravo davvero! als er den Verband abnahm. Ich werde nie das holde Gesicht vergessen, mit dem Frau Gemma diese frohe Botschaft anhörte, – stolz und glücklich, wie wenn sie ihr eigenes Werk hätte loben hören, dabei mit so selbstvergessener Rührung und Freude, daß man ihr hätte um den Hals oder zu Füßen fallen mögen. Noch immer wurde mir die größte Vorsicht und Vernunft eingeschärft. Ich durfte doch aber am nächsten Tage eine Stunde außer Bett zubringen und wurde wie im Triumph von meiner Pflegerin nach dem Sopha geführt, während die Bicetta meine andere Hand gefaßt hatte und mit ihrer süßen Stimme eine Menge kindischer Fragen an mich richtete.
Nun saß ich unter dem Bilde des rothen Priesters und sah mich halb im Traume im Zimmer um, als ob ich es zum erstenmal erblickte. Mir war so festlich zu Muth, dabei so schwach und weichherzig, daß ich in Thränen ausbrach. Ich faßte mich erst wieder, als ich die Aermchen des Kindes, das neben mir auf das Sopha geklettert war, um meinen Nacken geschlungen fühlte und dabei, da sie mich fest umklammerten, einen stechenden Schmerz in der Wunde. Aber das kümmerte mich nicht. Ich preßte das Kind an mich und küßte es wieder und wieder. Die Mutter, die daneben stand, wagte ich kaum anzublicken. Ich fürchtete mich vor meiner eigenen Schwäche. Aber sie lächelte und schalt das Kind, und nahm es dann mit fort, sie auf ihrem täglichen Spaziergange zu begleiten. Ich sollte Ruhe haben.
Die hatte ich nun freilich nicht. Kaum war ich allein, so schleppte ich mich ans Fenster, dem schönen Paar nachzublicken, das aus dem Hause nach der Sonnenseite hinüberging und richtig drüben einen Augenblick stehen blieb und zu meinem Fenster hinaufsah. Die Frau schien geahnt zu haben, daß ich nicht still auf meinem Platz bleiben würde. Sie warf mir einen strafenden Blick zu, das Kind ein Kußhändchen. Dann gingen sie den Corso hinunter, der Piazza Colonna zu.
Ich sah, wie Alle, an denen sie vorübergingen, stehen blieben, um ihnen nachzuschauen. Einige der jungen Löwen des Corso grüßten sie; Gemma dankte kaum mit einer leisen Bewegung des Kopfes. Aus den Fenstern fuhren unfrisirte Frauenköpfe und mit Lorgnetten bewaffnete Hände, wahrscheinlich um ihre Toilette zu mustern. Ich bemerkte das Alles mit großer Genugthuung, als ob etwas bewundert würde, das mir gehörte. Sie verschwanden mir aber bald. Da trat ich vom Fenster weg in einer plötzlichen Verschämtheit und Verlegenheit. Wenn man mich von unten oder drüben gesehen hätte –! Wie kam ich dazu, bei diesem königlichen Weibe häuslich eingerichtet zu sein? Was sollten alle Die davon denken, die auf der Straße nur nach einem flüchtigen Blick von ihr schmachteten? Eine Wittwe war sie auf jeden Fall. Aber dann umsomehr durfte ich sie nicht compromittiren.
Nun schlich ich mit wankenden Knieen wieder nach dem Sopha zurück, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick ins Nebenzimmer zu werfen. Es sah aus wie ein Speisesälchen, in welchem seit Monaten der Tisch nicht gedeckt worden war. Lebhafte, golddurchwirkte Tapeten, blauseidene Vorhänge, ein kleines Buffet mit wenigem, bunt durcheinander gestelltem Geräth, kein Bild an den Wänden, auf dem Sims des Kamins ein großer dickverstaubter Strauß künstlicher Blumen in einer zerbrochenen, nothdürftig wieder geflickten Alabastervase. Daneben stand ein strohumflochtenes Fiasco voll Wein, auf einem Teller Ueberreste eines Frühstücks – die ganze Ungemüthlichkeit einer italienischen Haushaltung. Aber zur Rechten war noch eine Thür. Ich erlaubte mir auch diese zu öffnen und sah in ein großes fensterloses Gemach, das sein spärliches Licht durch eine auf den Corridor führende Glasthür erhielt. Hier sah es so kahl und verwahrlos't aus, wie auf einer kleinen Bühne hinter den Coulissen, die einen fürstlichen Salon vorstellen. Ich mußte mich erst an das Halbdunkel gewöhnen, um hinten an der Wand ein großes, noch ungemachtes Bett zu unterscheiden, in der Mitte einen runden Tisch ohne Decke, an dem ein paar alte, mit Stroh gepolsterte Stühle standen. Ein paar Schränke, ein elendes Waschtischchen, im Winkel ein kleines Heiligenbild, vor dem ein winziges rothes Oelflämmchen knisterte, – das war Alles.
Ich wurde auf einmal sehr traurig, ohne mir Rechenschaft geben zu können, warum. Von italienischen Häusern hatte ich genug gesehen, um zu wissen, daß selbst die glänzendsten Gräfinnen und Duchessen, die in schimmernden Equipagen die neuesten Pariser Toiletten spazieren führen, zu Hause oft so dürftig sich behelfen, wie es keine Handwerkersfrau in Deutschland ohne Kummer übers Herz brächte. Ländlich sittlich. Man lebt ja im Süden auf der Straße und für die Straße. Warum nahm ich es meiner großherzigen Retterin und barmherzigen Schwester im Stillen so übel, daß sie kein Talent zu einer biederen deutschen Hausfrau zu haben schien?
Von ihrer Mutter, die in einem ganz vernachlässigten Aufzuge herumging, konnte sie den Sinn für häusliches Behagen nicht wohl gelernt haben. Ich sah der Alten durch die Glasthür zu, wie sie in der Küche hantierte. Es war dazu angethan, einem Alles, was von diesem Herde kam, verdächtig zu machen. Ein großer schwarzer Kater strich dabei um sie herum, und in meiner noch nicht ganz fieberfreien Phantasie stiegen allerlei märchenhafte Gedanken auf. Ich machte, daß ich in mein Krankenzimmer zurückkam, wo ich mich auf das Sopha streckte und meinen Träumen nachhing.
Nicht lange, so trat meine Pflegerin wieder herein, und ein Blick von ihr, ein Ton aus ihrem Munde genügte, um alles Unbehagen zu verscheuchen. Es war nicht das Wunder von Schönheit allein, wie Sie vielleicht glauben, mehr noch der Zauber einer fast kindlichen Harmlosigkeit, einer Güte und Mildherzigkeit, die sich nicht allein an mir armem Fremdling thätig erwies. Den ganzen Tag ging der Klopfer draußen an der Thür und hörte ich jene winselnden, künstlich tremulirenden Bettlerstimmen, die mit der Zeit nicht mehr den geringsten Eindruck, selbst auf ein weiches Herz, zu machen pflegen. Auch suchte die Alte, so oft es ging, die zudringliche Landplage mit Murren und Schelten abzuwehren. Ihre Tochter aber durfte es nicht hören, wenn sie nicht doppelt geben sollte. Nur auf der Straße, so oft ich ihr vom Fenster aus nachsah, hielt sie sich bei keinem Bettler auf. Auch das gefiel mir an ihr.
Und was gefiel mir nicht! Sogar ihre offenbaren Schwächen und Fehler, bis auf den einen, daß sie das Kind zuweilen für eine kleine Unart mit großer Heftigkeit schelten oder gar schlagen konnte, um es freilich im nächsten Augenblick wieder mit Küssen zu bedecken und ihm zu schenken, wonach es nur verlangte. Sie kniete dann halbe Stunden lang zu dem kleinen Ding auf den Steinboden hin, meist vor dem Kamin im Nebenzimmer, der zu einer Puppenstube hergerichtet war und zeigte sich so erfinderisch in den reizendsten Komödien-Scenen, daß die Kleine nicht aus dem Lachen und Jauchzen herauskam. Plötzlich stand sie dann auf, ihr Gesicht wurde sehr ernst, als brütete sie über den gewaltigsten Plänen; sie schritt mit gekreuzten Armen ein paarmal das Zimmer auf und ab und stand endlich vor dem Spiegel still, um eine neue Mantille oder einen Haarputz zu probiren, wobei es sie nicht im Geringsten zu kümmern schien, daß ich an der Schwelle stand und sie mit meinen Blicken verschlang.
Ich war bald dahinter gekommen, daß sie von Allem, was wir Bildung nennen, nicht das Geringste besaß. Weder Kenntnisse, noch allgemeine Begriffe. Sie hatte zur Noth Lesen und Schreiben gelernt, übte aber Beides fast nie. Ein Buch war in der ganzen Wohnung nicht zu finden, ein Schreibzeug aus Perlmutter und Gold, mit einer goldenen Feder, stand auf einem Pfeilertischchen, es war aber noch nie ein Tropfen Tinte darin gewesen. Und doch, obwohl sie auch keinerlei Handarbeit verrichtete, sondern die Sorge für ihre und Bicetta's Kleidung und Wäsche der Alten überließ, schien sie nicht zu wissen, was Langeweile heißt. Denn jener nächtliche Anfall von gegenstandslosem Unmuth und Ungenügen, von dem sie mir erzählt und den sie noja, genannt, hatte wohl mehr im Herzen als im Kopf seinen Sitz gehabt. Seit ich keiner stündlichen Pflege mehr bedurfte, schien ihr Tag ganz in der früheren einförmigen Weise zu verlaufen, ohne ihr zu lang zu werden. Sie konnte stundenlang, zumal am Nachmittag, wenn unten die langen Wagenreihen vorüberbraus'ten, am Fenster sitzen, oder ein Tüchlein um das schwarze Haar geschlungen, bequem aufgestützt, sich hinausbeugen und die Huldigungen ihres getreuen römischen Volkes entgegennehmen, ohne mit einer Miene zu verrathen, daß ihr viel daran gelegen sei, wenn Senatus popolusque Romanus sie für die schönste Frau im Bereiche der sieben Hügel erklärten. Wurde es dunkel, so zündete sie außer der dreiarmigen Lampe, die auf den Tisch vorm Sopha gestellt wurde, die Kerzen auf den Kaminleuchtern an und wandelte mit übereinandergeschlagenen Armen durch beide Zimmer auf und ab, manchmal einen finsteren Blick in den Spiegel werfend, aber zerstreut und wie wenn sie über ihr eigenes Bild hinweg etwas suchte oder sähe. Um sechs Uhr wurde gegessen. Nur mir zu Gefallen hatte sie sich bequemt, nicht wie sonst in dem dunklen Hinterzimmer zu tafeln, sondern in dem Salon. Sie selbst aß wenig und trank nie einen Tropfen Wein, nur von Orangen und Gemüse schien sie zu leben. Das Kind wurde mit Kuchenwerk überfüttert, die Alte rührte im Zimmer nie einen Bissen an; es hatte nach den feindseligen Blicken, mit denen sie mich von der Seite bestrich, fast den Anschein, als ob meine Gegenwart ihr die Eßlust raubte, während ich wiederum nicht sicher war, daß in ein Schüsselchen, das eigens für mich bereitet worden, nicht etwa ein paar Tropfen Schierlingssaft geträufelt worden seien.
Hatten wir dann unsere Cena vollbracht, so etablirte ich mich in meinem Reconvalescentenwinkel auf dem Sopha, die Kleine belagerte mich, so dicht sie nur konnte, und da ich freilich den linken Arm fest an den Leib gebunden trug, um die wunde Schulter nicht zu reizen, die rechte Hand aber frei gebrauchen konnte, hatte ich mir Papier und Bleistift ausgebeten und zeichnete dem lieben Ding, was ihm nur einfiel von mir zu verlangen. Frau Gemma sah aufmerksam zu. Ich hatte Muße, ihnen Beiden einen Begriff davon zu geben, wie es in meiner Heimat aussah und wie man dort lebte. Mein Elternhaus mußte ich ihnen zeichnen, dessen spitzer Giebel ihnen ebenso wunderlich vorkam, wie der Kirchthurm dicht daneben. Dann kamen Vater und Mutter an die Reihe und meine sechs Schwestern und ihre Namen, die sie sich vergebens zu behalten bemühten, wie sie auch meinen eigenen Vornamen Erich sich in einen Arrigo umänderten. Das Kind war unermüdlich in Fragen, die oft sinnig und spitzfindig weit über sein Alter waren. In dem kleinen Köpschen glimmte offenbar ein Funke, der nur ein wenig Nahrung bedurfte, um einmal ein schönes Flämmchen zu werden. Aber die wundersame geistige Bedürfnislosigkeit ihrer Mammina kam ihr dabei nicht entgegen. Dieses seltene Wesen war wie ein Stück Natur, in seinen engen Schranken von unerschöpflichem Reiz. Denn – Sie werden es als eine verliebte Uebertreibung belächeln, lieber Freund, aber es ist buchstäblich wahr: auch ich fühlte, so stundenlang mit ihr allein – höchstens das Kind lief ab und zu – nie einen Hauch von Langerweile, obwohl ich selbst bald genug darauf verzichtet hatte, so etwas wie eine Conversation im Gang zu erhalten. Es war mir, wie wenn ich dem blauen Meere unten an der Bucht von Neapel gegenüber säße, oder in einer der römischen Villen, wo durch Cypressen und indisches Feigengestrüpp der Blick über die Campagna schweift und man Stunden und Tage hinleben kann, wunschlos und selig.
Nur freilich: wunschlos wäre zu viel gesagt, was mein Gefühl der schönen Frau gegenüber betraf. Ich war – fast vom ersten Augenblick an – so rettungslos an sie verloren, ihre Macht über mich wuchs so sehr von Tag zu Tage, daß ich es mir nicht vorstellen konnte, wie ich sie wieder entbehren sollte, ohne daß mir ein eisiger Schweiß auf die Stirne trat und das Herz zu hämmern anfing, als ob es seine Bande zerreißen wollte.
Diese wahnsinnige Leidenschaft wurde noch geschürt durch ihre gleichmüthige Ruhe. Ob ich ein wunder junger Mensch oder ein krankes Huhn sei, das sie zufällig in Pflege genommen, ließ sich an ihrem Betragen nicht erkennen. Nie eine kokette Geberde, ein herausfordernder Blick. Sie sorgte für mich fast mütterlich, mit einer Gewissenhaftigkeit, als ob ich ein kostbares Gefäß wäre, das nach einem Fall nothdürftig wieder gekittet und nun doppelt vorsichtig zu behandeln sei. Wenn sie mir das Essen auf meinem Teller vorschnitt, mir den kühlenden Trank mischte, den der Arzt verordnet, am Morgen sich nach meinem Schlaf erkundigte, – es war Alles so lieb und gut, aber auch so gleichmäßig kühl, daß ich zum Dank ihr mein Herz hätte als Schemel unter die Füße legen und zugleich vor Qual und Verzweiflung aus der Haut fahren mögen.
Ich hatte noch nicht viel mit Weibern zu schaffen gehabt. Ein schöner Junge war ich nie gewesen, meine derben Knochen und mein fahlblondes Haar, dazu die etwas ungeschlachten Manieren waren nicht dazu angethan, einer Frau, die gewiß unter der jeunesse dorée die Auswahl hatte, gefährlich zu werden. Und zum Dank für all ihre überschwängliche Güte einen albernen Roman mit ihr anzufangen, den schmachtenden Schäfer zu spielen, dazu war ich zu stolz und trotz meiner unsinnigen Verliebtheit noch zu vernünftig. Ich schwor mir zu, die Grenze der dankbaren Freundschaft nie zu überschreiten. Ja, ich bemühte mich, unfreundlich und launenhaft zu scheinen, um mich nur ja nicht in den lächerlichen Verdacht zu bringen, als ob ich mir einfallen ließe, sie durch Liebenswürdigkeit gewinnen zu können.
Aber weder meine guten noch meine bösen Launen konnten ihr Betragen gegen mich irgend verändern.
So ungestüm und jäh sie sich gegen das Kind zeigen konnte, so engelssanft ließ sie Alles über sich ergehen, womit ich ihre Geduld zuweilen auf die Probe stellte, was natürlich zur Folge hatte, daß ich mich nur immer unlösbarer von ihrem magischen Netz umstrickt fühlte.
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In dieser Verzauberung hatte ich nun drei Wochen hingelebt. Meine lichten Intervalle, in denen ich mein ganzes Unglück begriff, wurden immer länger, je näher die Zeit heranrückte, wo ich wieder in das wache Leben hinausgestoßen werden sollte. Als ich zum ersten Male den linken Arm eine Stunde aus der Binde lassen durfte, war ich in heller Verzweiflung, während sie mir mit dem lieblichsten Lächeln der Freude Glück wünschte. Was halfen mir zwei gesunde Arme, die das einzige Glück, das ich mir träumen konnte, nie umfassen durften?
Derselbe Tag – es war am Ende der dritten Woche – brachte noch allerlei Aufregungen.
Wir hatten eben unser bescheidenes Mittagsmahl eingenommen; ich saß auf dem Sopha, das Kind schlief neben mir, den Kopf auf mein Knie gelegt. Frau Gemma stand am Fenster und sah in die Wolken hinauf. Es war ein schwüler Tag im April. Da kommt die Alte herein mit einem Brief, den sie der Tochter hastig zusteckt. Es werde auf Antwort gewartet. Ganz ohne Neugierde, von welcher weiblichen Schwäche sie überhaupt frei war, öffnete sie das Couvert und überflog die drei enggeschriebenen Seiten. Wieder einmal dieser lästige Mensch! hörte ich sie sagen. Dann reichte sie mir den Brief und sagte: Da seht, was es für Thoren giebt!
Ich las und merkte schon nach den ersten Zeilen, daß ein Mensch sie geschrieben, der, wie man auch hierzulande sagt, in demselben Spital mit mir krank lag. Es war eine leidenschaftliche Liebeserklärung, Klagen über Unnahbarkeit, Kaltsinn, Geringschätzung der treuesten Bewerbungen um ihre Gunst. Er erneuerte die Anerbietungen, die er ihr schon wiederholt gethan; sich selbst, Alles, was er besaß, legte er ihr zu Füßen, lud sie ein, da jetzt die wärmere Jahreszeit sich näherte, eine Villa zu beziehen, die er ihr ausführlich beschrieb, und dort als Herrin zu schalten, wie ihr beliebe. Er werde sie draußen nur besuchen, wenn sie es ihm ausdrücklich gestatte. Mit einem kurzen Wort der Einwilligung werde sie ihn überglücklich machen. Das Alles in einem überreitzt theatralischen Stil, der aber doch ein wahres Gefühl durchschimmern ließ.
Unterzeichnet war der Name eines der bekanntesten römischen Grafengeschlechter, dessen Reichthum sprichwörtlich war.
Ich sah Gemma verstohlen an, indem ich den Brief auf den Tisch legte. In ihrem Gesicht war keine Veränderung zu entdecken.
Gieb mir ein Stück Papier! sagte sie zu der Alten. Die brachte ihr murrend und immer halblaut in sie hineinredend eine elegante kleine Schreibmappe, die noch kaum gebraucht zu sein schien. Gemma zog ruhig ein Blatt heraus, ergriff den Bleistift, der auf dem Tische lag, und schrieb stehend zwei Worte. Dann reichte sie mir das Blatt.
Es stand nichts darauf als: No! mai! und darunter ein großes G.
Sie lächelte, da ich es ihr schweigend zurückgab. Ich kann schöne Briefe schreiben, nicht wahr? sagte sie. Dann steckte sie es in ein Couvert, schrieb mit festen, aber etwas ungeübten Buchstaben die volle Adresse des Grafen darauf und ging hinaus, das Billet selbst dem Boten einzuhändigen.
Die Alte war ihr gefolgt. Gleich darauf hörte ich draußen ihre rauhe Stimme, sie schien mit einer Flut von Scheltreden ihrer Wuth, die sie in meiner Gegenwart mühsam gebändigt, Luft zu machen. Nicht ein Wort konnte ich verstehen; die Frauen waren in dem dritten Zimmer, aber ich hörte, daß die Alte fast immer allein sprach. Ihre Tochter schien nur selten ein Wort dazwischenzuwerfen. Auch wäre es hoffnungslos gewesen, vernünftigen Gründen Gehör zu verschaffen bei diesem rabbiaten alten Weibe.
Endlich schien dem Sturm der Athem ausgegangen zu sein. Die letzten schrillen, keuchenden und schnaubenden Töne verhallten. Frau Gemma trat wieder herein in ihrer gewohnten ruhigen Haltung; nur ihre Wangen brannten.
Ihr habt Aerger gehabt? wagte ich zu fragen. Euer kurzer Brief war der Mutter nicht recht?
Die arme Alte! sagte sie halb mitleidig, halb von oben herab. Wir denken eben verschieden.
Das Kind war aufgewacht und lief zu der Mutter hin, die es in die Arme nahm und heftig küßte. Dann ließ sie es plötzlich wieder auf den Boden gleiten, ging ans Fenster und öffnete es.
Es ist heiß! sagte sie, das Haar aus der Stirn streichend. Wir werden ein Gewitter haben.
Wollt Ihr nicht den Fächer dort nehmen? fragte ich.
Welchen Fächer?
Ich hatte gleich am ersten Tage ein zierliches, schmales Kästchen auf dem Kaminsims zwischen den beiden Leuchtern bemerkt, worin mir ein Fächer verborgen zu sein schien. Nun ging ich hin, ihn ihr zu bringen. Als ich mich aber nach ihr umwandte, hörte ich sie plötzlich hell auflachen. Alle Spuren der Erregung waren wie weggeweht; sie war ein großes Kind, das sich über einen lustigen Spaß nicht zufrieden geben konnte.
Ja wohl, rief sie, dieser Fächer kühlt freilich ab, aber es möchte ein wenig zu viel werden. Macht das Kästchen nur auf, Signor Arrigo, Ihr werdet mir Recht geben.
Ich öffnete erstaunt und sah statt dessen, was ich vermuthet hatte, ein schmales Messer darin liegen, eine Spanne lang, mit kurzem, dickem Griff, der in einen Knopf endete, die Klinge nicht breiter als ein kleiner Finger und durch ein paar Rostflecke verdunkelt.
Kennt Ihr es nicht mehr? rief sie, immer von Neuem lachend, daß alle Zähne in dem frischen rothen Munde blitzten. Ich denke, Ihr habt nur zu gute Bekanntschaft mit diesem Fächer gemacht und wißt, daß es ein gefährliches Spielzeug ist. Nein, legt es wieder hinein; es überläuft mich kalt, wenn ich daran denke, wie Euer armes junges Blut herausspritzte wie eine kleine Fontäne, als Doctor Susina den Stahl aus Eurer Schulter zog. Fort damit! Ich hebe es nur auf, weil es dort auf dem Kamin am unschädlichsten ist. Bitte, bringt es mir aus den Augen.
O Gemma, stammelte ich, ich bin ihm dankbar, da ich ohne seine Vermittlung Euch nie hätte kennen lernen können. Und doch, es hätte seine Schuldigkeit nur noch besser thun sollen. Noch einen Zoll tiefer, und ich wäre alles Elend los, das mich jetzt –
Ich konnte nicht ausreden, zu meinem Glück, da ich sonst wer weiß was für thörichte Dinge gesagt hätte. Der Doctor trat ein, er fühlte meinen Puls, erneuerte den leichten Verband, den ich noch immer tragen mußte, und erklärte sich so befriedigt, daß er davon sprach, wenn die Nacht ruhig verlaufe, dürfe ich morgen eine erste Ausfahrt unternehmen. Ich brachte es nicht übers Herz, ihm ein frohes Gesicht zu zeigen, wie er wohl erwartet hatte. Auch Gemma war nachdenklich geworden. Als der Doctor sich entfernt hatte, setzte sie ihr Hütchen auf, zog die Bicetta an und ging aus, nach San Carlo, wo irgend ein Abendgottesdienst mit feierlicher Musik abgehalten wurde.
Sie ging fast täglich in irgend eine Kirche, immer in Begleitung des Kindes. Doch hatte ihre Frömmigkeit keinen bigotten Anstrich; es war halb Gewohnheit, halb ein kindliches Gefühl von schaurigem Behagen dem Uebersinnlichen, Unbegreiflichen gegenüber. Noch lieber, gestand sie mir, besuchte sie das Theater. Das hatte sie nun schon viele Wochen nicht mehr gethan. Mit wem soll ich gehen? warf sie hin. – Ich wagte nicht zu fragen, mit wem sie denn vor dieser Zeit gegangen. Ihr Mann mußte doch schon vor Jahr und Tag gestorben sein, da sie nicht mehr Trauer trug. Den Doctor hätte ich gerne ein wenig ausgeforscht; ich war aber nie mit ihm unter vier Augen.
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Er unterbrach sich hier und saß eine Weile regungslos, das Kinn tief auf die Brust gesenkt, mir gegenüber. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß ich seine Züge, so nahe wir einander waren, nicht mehr deutlich erkennen konnte. Der Wirth kam an unsern Tisch und fragte, ob wir etwas wünschten, ob er Licht bringen solle. Ich antwortete statt meines Freundes, wir bedürften nichts. Aber auch dieses Intermezzo riß den Versunkenen nicht aus seiner Träumerei. Erst als ein fernes Glockengeläut zu uns herüberklang, – ein Todtenglöckchen, wie ich bald inne ward – kam er wieder zu sich. Auch er hatte gemerkt, was der Ton zu bedeuten hatte.
Verzeihen Sie, sagte er. Ich werde Ihnen sonderbar vorkommen, daß ich Ihnen so weitläufig diese alte traurige Geschichte erzähle. Aber haben Sie noch ein wenig Geduld, es ist nun bald überstanden. Und um zu begreifen, wie das nun Alles noch verlief, müssen Sie genauer eingeweiht sein in dies scheinbar unwichtige Detail, bei dem denn auch der Zustand meiner armen Seele nicht gleichgültig ist. – Aber Sie trinken gar nicht. Schenken Sie uns wieder ein – ich – sehen Sie, es ist lächerlich – meine Hand zittert, als hätte ich gestern erst all diese Schläge erlitten. Ich will mir Courage trinken, um noch den Rest zu berichten.
Er leerte das Glas, das ich ihm gefüllt, auf Einen Zug. Wo sind wir doch stehen geblieben? sagte er. Richtig, bei meiner ersten Ausfahrt. Welch ein wonniger Tag, lieber Freund! Das Wetter so paradiesisch, wie nur ein römischer Frühlingstag nach einem starken nächtlichen Gewitter sein kann, das Genesungsgefühl, das so empfänglich macht für alles Gute, die geliebte Frau in ihrem reizendsten Anzug, die mich langsam die hohe Treppe hinunterführte und immer schalt, wenn ich mich nicht fest genug auf sie stützte, das liebe Kind, das voransprang und den Hausbewohnern, die alle unter ihre Thüre traten, verkündete, Signor Arrigo dürfe zum ersten Mal ausfahren. Nur Einen Kummer hatt' ich, als der Schneider unten mir in den Wagen half, daß ich nicht in die Tasche greifen und eine Handvoll Ducaten hervorholen konnte, seine Treue und Mühe um mich fürstlich zu belohnen. Der gute Mensch aber schien auf dergleichen gar nicht zu warten. Er winkte uns vertraulich nach, als der bequeme viersitzige Wagen davonrollte, wir zwei im Fond, Bicetta mit ihrer größten und elegantesten Puppe auf dem Rücksitz.
Wir schienen Aufsehen zu machen; wenigstens stand im Corso Alles still und sah uns nach. Gemma rief dem Kutscher zu, in die Gasse bei San Giovanni einzulenken. Im Uebrigen wußte er schon Bescheid. Die Ripetta fuhren wir hinab, durch die lange Straße nach der Engelsbrücke, an Castell Sant' Angelo vorbei nach Sanct Peter. Wenn Sie bedenken, daß ich dies Alles zum ersten Mal sah, und in welcher Gesellschaft, werden Sie meine märchenhafte Stimmung begreifen. Wir sprachen nicht viel mit einander. Aber meine Hand lag neben der ihren, und ein paarmal machte mich das Entzücken über Alles, was mein Blick hier umspannte, so kühn, daß ich diese theure Hand ergriff und lebhaft drückte. Ihr Gesicht blieb dabei immer sich gleich. Diese Scenerie war ihr ja nicht fremd, und überhaupt hatte sie nicht den geringsten Sinn für Kunst und noch weniger für historische Erinnerungen. Nur als ich ihr bei der Engelsburg von Cellini erzählte, wie er erst von der Höhe dieses gigantischen Bollwerks herab Rom mit seinen Kanonen vertheidigt, dann als Gefangener des Papstes den Lohn der Welt darin ausgekostet, und endlich seine verwegene Flucht, schien sie großes Gefallen an dem abenteuerlichen Manne zu finden, und ich mußte versprechen, ihr das Buch vorzulesen, in dem er das Alles selbst beschrieben.
So kamen wir auf den Petersplatz. Ich ließ am Eingang zwischen den Colonnaden ein wenig halten; mein Herz schlug lebhaft, als ich das Wundergebilde dieses Bauwerks und den einzigen Platz nun vor mir liegen sah. Wär' ich nicht so gut bewacht gewesen, schwerlich hätte ich der Versuchung widerstanden, wenigstens einen Blick ins Innere zu werfen. Aber ich mußte für diesmal noch verzichten.
Da, als wir eben uns wieder in Bewegung setzen nach Porta Angelica zu, – Himmel! wer tritt da aus der Colonnade heraus, wirft einen spähenden Blick in unsern Wagen und gleitet, als er gesehen, wer darin sitzt, wie ein Fuchs, der eben die Nase aus dem Bau gesteckt, wieder hinter die Säulen zurück? Kürdchen! rief ich. Kürdchen, ich bin's! – Aber kein Laut antwortet, kein Kürdchen tritt wieder ans Sonnenlicht hervor. Die Erscheinung war so blitzschnell aufgetaucht und verschwunden, daß ich fast glaubte, eine Sinnestäuschung erlebt zu haben.
Ich mußte meiner Begleiterin sagen, wen ich da angerufen. Dabei ging es mir beständig im Kopf herum, warum der wunderliche Mensch sich mir so hastig entzogen haben mochte. Nun, er war doch wenigstens noch in Rom, und heute noch konnte ich ihm eine Botschaft senden, da ich seine Adresse wußte. Ich hatte es bisher unterlassen, um in den reizenden Traum, der mich eingesponnen, keine Stimme von draußen hereintönen zu hören. Jetzt aber war hohe Zeit, seine Freundeshülfe in Anspruch zu nehmen.
Ich beichtete nun auch zum ersten Mal meiner Freundin, in welcher Lage ich mich befand, daß ich auf die Hülfe meines Gesandten und dieses Einen Freundes angewiesen sei und im Uebrigen ein armer Tropf, der nur einen Wechsel auf seine Zukunft in der Tasche trug. Das hörte sie mit sichtlicher Gleichgültigkeit mit an. Ei was! sagte sie endlich. Reden wir nicht von Geld! Die Engel im Himmel haben keinen Bajocco in der Tasche und sind doch seelenvergnügt. Seht, wie schön es da blüht!
Wir fuhren die lange Straße zwischen dem Monte Mario und der Tiber hin; zu beiden Seiten war Alles bunt von rothen, weißen und gelben Blumen, aus den Gärten lachte der schöne Frühling, der Himmel war von einer überschwänglichen Klarheit und Tiefe, und mein armes Herz flatterte wie ein eben flügge gewordener Vogel zwischen Himmel und Erde und kehrte immer wieder auf den Schooß der schönen Frau zurück, der ich es verdankte, daß ich dies Alles wieder genießen durfte. Bicetta verlangte heftig nach den Blumen. Ich stieg mit ihr aus und pflückte ein ganzes Tuch voll Anemonen und Veilchen. Dazwischen sah ich nach Gemma hinüber, die ruhig im Wagen geblieben war, ernsthaft nach ihrer Art vor sich hinsah und unter all dem Schönen und Blühenden rings umher das Allerschönste war. Dann ging es weiter und an Villa Madama vorbei über Ponte Molle zurück.
Anderthalb Stunden hatte die Fahrt gedauert. Als der Wagen wieder vor unserm Hause hielt, fühlt' ich meine Kräfte doch erschöpft. Ich wankte, wie berauscht von Luft und Sonne, die Treppe hinauf, von meiner Freundin unterstützt. Aber oben angelangt – allein mit ihr, da das Kind wie eine Eidechse vorangeschlüpft und längst im Zimmer war – verließen mich in der That die Kräfte; ich wankte, so sehr ich mich zusammennahm, und meine Freundin hatte mich kaum über die Schwelle geführt, als ich Miene machte, zu fallen. Sie hielt mich aber mit ihren kräftigen Armen, und so in der Schwäche und Verwirrung – ich wußte nicht, wie es geschah, – mein Kopf näherte sich ihrem Haar, meine Lippen streiften ihre Wangen, ich drückte einen lebhaften Kuß darauf und sank im nächsten Augenblick ihr zu Füßen.
Verzeihung! stammelte ich, ich bin toll – die neue Freiheit – die Frühlingsluft – das Glück, wieder zu leben, – o, wenn Ihr wüßtet, wie es in mir aussieht –
Sie stand vor mir und sah ruhig, aber nicht kalt und abweisend, auf mich herab.
Kind, das Ihr seid! sagte sie. Weiß ich es denn nicht lange? Habt Ihr es mir nicht oft genug gestanden, erst wie Ihr noch im Fieber lagt, und hernach mit Blicken und Seufzern? Aber steht auf und seid vernünftig. Wenn die Mutter Euch so fände –
Ihr habt es gewußt, rief ich außer mir – gewußt und mir nicht darum gezürnt? Und jetzt, Gemma, jetzt, da ich es Euch hier auf den Knieen sage – ist es denn möglich? Ihr seid mir ein wenig gut? Ihr stoßt mich nicht zurück? Ihr ruft mir kein grausames No! mai! zu, obwohl ich ein Bettler bin, ein armer Invalide, und kein vornehmer Herr, der Euch Schätze zu Füßen legen kann?
Sie neigte sich lächelnd zu mir herab. Arrigo, sagte sie, du bist ein großer Narr. Kennst du mich nicht? Hast du drei Wochen hier bei mir gelebt und weißt nicht – aber steh auf! Und schweige ganz still! Das sind alles unnütze Reden, die dich nur angreifen. Komm! Wir dürfen keine Thorheiten begehen.
Sie ergriff mich mit beiden Armen und hob mich sanft in die Höhe. Gemma! rief ich in wahnsinnigem Entzücken. Meine Arme umfaßten ihren Leib – ich zog sie zu mir herab – schon fühlte ich die Wärme ihrer Lippen nah an den meinen, da ging die Thür auf und der Doctor stand neben uns.
Bravo! rief er mit seinem ironischen Lachen. Bravo, mein Sohn! Ich wollte nur sehen, wie Euch die frische Luft bekommen sei, und finde, daß Ihr mich nun nicht mehr braucht. Ihr seid ja so munter wie ein Fisch, nur noch ein bischen erhitzt. Aber für dies Fieber giebt es kein Chinin in der Apotheke.
Ich war aufgesprungen und stand in tödtlicher Verlegenheit sprachlos da. Gemma hatte keinen Augenblick ihre Fassung verloren.
Laßt ihn nur noch nicht aus den Händen, Doctor, sagte sie. Er phantasiert noch immer, und man muß auf der Hut sein, daß er keine tollen Streiche macht. Eben hat er mich für ein Heiligenbild gehalten und ist vor mir auf die Kniee gefallen.
Der kleine Mann sagte kein Wort, kniff die Lippen zusammen und näherte sich mir, meinen Puls zu fühlen. Dann schüttelte er mit leisem Brummen den Kopf, machte der Frau ein Zeichen und ging ihr rasch voran in das Nebenzimmer, wohin sie ihm folgte, nachdem sie mich mit einem freundlichen Wink ihrer dunklen Augen zur Ruhe ermahnt hatte.
Ich hörte sie nebenan leise reden; es dauerte kaum fünf Minuten, dann traten sie Beide wieder herein.
Der garstige Doctor will Euch nicht länger in meiner Pflege lassen, sagte sie lächelnd. Er glaubt, Ihr müßtet nun anfangen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, die Luft hier im Hause sei Euch nicht gesund, Langeweile sei die beste Medicin für einen Halbgenesenen. Drei ganze Wochen sollt Ihr Euch ohne mich behelfen. Was sagt Ihr dazu, Signor Arrigo?
Er hat Nichts zu sagen, sondern zu pariren, fiel ihr der kleine Graukopf scharf ins Wort. Kommt! Schnürt Euer Bündel und nehmt Abschied. Ich selbst werde Euren Transport leiten und Euch nicht eher von der Seite gehen, als bis ich Euch wohlgeborgen weiß. Pofare il mondo! Das fehlte noch, daß ich Euch an den Haaren aus dem Styx gezogen hätte, damit Ihr Euch kopfüber wieder hineinstürztet!
Ich mußte der Gewalt weichen, so hart es mich ankam. Meine Siebensachen, die gleich in den ersten Tagen aus dem Gasthofe abgeholt worden waren, wurden ziemlich unordentlich in den Koffer geworfen, meine Mappen und Malgeräthe darauf geschnürt, in weniger als einer halben Stunde war Alles geschehen. Der Doctor stand daneben und behielt mich scharf im Auge. Als die Droschke vorgefahren kam, warf sich das Kind an meinen Hals und erstickte mich fast mit Liebkosungen, indem es beständig rief: Er soll nicht gehen! Er soll bald wiederkommen und Bicetta Bilder zeichnen! – Die Alte ließ sich nur einen Augenblick sehen, bloß um mir unzweideutig ihre Genugthuung zu zeigen, daß sie mich endlich loswurde. Gemma blieb still und heiter, und als ich ihr zum Abschied die Hand küßte, sagte sie: Drei Wochen sind keine Ewigkeit. Werdet gesund, wenn Ihr glücklich werden wollt!
Ich konnte kein Wort über die Lippen bringen, ich ging aus der Thür, wie Adam aus den Pforten des Paradieses, und der Engel mit dem feurigen Schwert setzte sich in Gestalt des Doctor Susina zu mir in die Droschke. Der wackere Schneider und seine Ehefrau standen, diesmal mit etwas langen Gesichtern, neben dem Wagenschlag. Ich konnte sie nur darauf vertrösten, daß sie bald von mir hören würden.
Oben im Fenster lag Gemma, das Kind neben ihr, das mir Kußhände zuwarf. Die Mutter winkte nur mit den Augen. Dann rollte der Wagen fort.
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Ich wollte, ehe ich ein neues Quartier suchte, doch erst sehen, ob das Zimmer am Forum, das ich vor drei Wochen gemiethet, noch frei geblieben sei. Unterwegs sprach ich wenig. Es widerstrebte mir, den Doctor über die Verhältnisse meiner Freundin auszuforschen, nachdem so bedeutungsschwere Worte zwischen uns gewechselt worden waren. Nur einmal sagte ich: Welche Frau! welch großmüthige Seele!
Sie ist eine Art Engel im Unterrock, erwiderte er kurz. Schade, daß ihr Kopf nicht immer so fest sitzt wie ihr Herz.
Ich schwieg und fragte nicht weiter nach dem Sinn dieser Rede. Ich war wie im Traum, der Lärm der Straße betäubte mich, der Schmerz, nun in der ungeheuren Stadt allein zu sein, nagte mir am Herzen. Dazu war's für einen eben Auferstandenen der Aufregungen ein wenig zu viel gewesen.
Zum Glück aber fand ich die kleine Wohnung bei der weisen Frau noch zu meiner Verfügung. Die gute dicke Dame kam mir mit freudigem Erstaunen entgegen, sie hatte mich gestorben oder verdorben, oder wenigstens abgereis't geglaubt und meine Uhr, die ich ihr als Pfand zurückgelassen, täglich mit Kopfschütteln aufgezogen. Nun war ich bald installirt, und mein Leibarzt, nachdem er der Wirthin einige Anweisungen gegeben und mir das Wort abgenommen hatte, keine Dummheiten zu machen, verließ mich auf einem großen, harten Ledersopha ausgestreckt, in Erwartung einer kräftigen Suppe, die Frau Rosalia mir von ihrem eigenen Herde aufzutischen versprach.
Ich hatte einen Heißhunger, trotz aller Gemüthsbewegungen, und ließ keinen Tropfen in der Schüssel. Kaum aber wollte ich mich einer kleinen Siesta erfreuen, die mir sehr nöthig war, als die Wirthin wieder hereintrat und mir einen Besuch meldete.
Niemand anders war's als Kürdchen, das gute, alte, wohlbekannte Gesicht, leider noch mit dem fatalen Zinnoberschimmer auf der hübschen kleinen Nase, im Uebrigen aber nicht der alte herzliche Junge, auf den ich mich gefreut hatte. Ich sprang ihm entgegen und begrüßte ihn mit einem lauten Freudenruf; kam er mir doch wirklich als ein Helfer in der höchsten Noth. Er aber war einsilbig, verlegen, mürrisch und sah mir kaum einmal gerade ins Gesicht. Er trat ans Fenster, lobte die Aussicht, schimpfte auf die neuen Ausgrabungen, die das Forum verhunzten zum Besten von ein paar antiquarischen Notizenjägern, und als ich ihn fragte, wie es ihm ergehe: Wie du siehst, sagte er. Ich bin sie auch hier nicht losgeworden, und diese Diogeneslaterne mitten im Gesicht wird mir wohl zu Grabe leuchten. Dagegen bin ich etwas Anderes losgeworden, was ich hier erst recht ans Herz zu drücken und daran festzuschmieden dachte: die Kunst nämlich. Ich war noch kein Vierteljahr in diesem gelobten Lande, als ich einsah, daß ich nur die Wahl hatte, meine sogenannte Kunst an den Nagel zu hängen, oder mich selbst. Da zog ich, ein schwacher Sterblicher, wie ich bin, das Erstere vor. In unserm photographischen Jahrhundert ist es ein Wahnsinn, ein Künstler sein zu wollen. Die Muse sitzt wie das Gänsemädchen auf ihrem Hügel und flicht ihre Zöpfe, da sie immer noch darauf wartet, wieder die Prinzessin zu werden, die sie eigentlich ist. Aber sie kann lange warten, und inzwischen läuft ein und das andere Kürdchen sich den Athem aus,
bis sie sich geschnatzt
und wieder aufgesatzt.
Nein, dieser Athemverschwendung bin ich satt und müde. Jede Zeit hat ihre Aufgabe. Das Cinquecento sah die Natur auf ihre Schönheit an, unser Jahrhundert auf ihre Eßbarkeit oder sonstige Mériten.
Ich wagte die Frage dazwischenzuwerfen, ob er irgend ein Stück Natur aufgestöbert habe, das ihm zu essen gebe. Denn ich sei selbst in sehr brodloser Verfassung und hätte stark auf ihn gerechnet.
O, sagte er und strich sich den kleinen blonden Bart, was das betrifft, sei ganz ohne Sorge. Meine Bemühungen, die Welt über den Unsinn, heute noch Kunst zu treiben, immer entschiedener aufzuklären, sind ein nahrhafteres Gewerbe, als wenn ich mit Rafael's Hand und Auge und Michel Angelo's Genie mir mein Brod verdienen wollte. Ich helfe nämlich den Dilettantismus noch mehr in Flor zu bringen, als er es Gott sei Dank schon ist; denn wenn erst jeder dritte Mensch ein Dilettant geworden, werden die wenigen Künstlergenies, die noch auftauchen, durch die ungeheure Ueberzahl der Pfuscher erstickt, und von wahrer Kunst spricht kein Narr mehr. Ich gebe Frauenzimmern und Engländern Stunden im Aquarellmalen, die mir sehr gut bezahlt werden. Mit wie viel hundert Scudi kann ich dir dienen?
All das und noch viel mehr hatte er so hingeredet, ohne mit einem einzigen Wort sich nach meinen persönlichen Schicksalen zu erkundigen, obwohl er mir ansehen mußte, daß ich viel ausgestanden. Ich war ihm gleich mit der Frage entgegengetreten, warum er heute bei den Colonnaden mir ausgewichen, ob er meinen Anruf nicht gehört, mich wirklich nicht erkannt habe. Er hatte mit der dreistesten Stirn geleugnet. Nun erzählt' ich ihm Alles, was mir in den letzten drei Wochen begegnet war.
Er hörte mir zu, ohne den Blick vom Fenster wegzuwenden. Auch die letzte Scene zwischen mir und meiner Freundin verschwieg ich ihm nicht; ich war gewohnt, kein Geheimniß vor ihm zu haben. Er blieb aber noch eine ganze Weile stumm, während ich mich wieder auf das Sopha geworfen hatte und in der Erinnerung an diesen Augenblick, die mir das Blut sieden machte, mich und ihn vergaß.
Du Ungeheuerster! hörte ich ihn plötzlich vor sich hin sagen. Du Glücksräuber! Du Sternenfischer! Noch keinen ganzen Tag in Rom, und mit ein paar elenden Blutstropfen erkauft sich der Götterliebling, wonach Andere – Weißt du auch, fuhr er mich an, indem er sich rasch nach mir umwendete und mir zum ersten Mal sein todblasses Gesicht zeigte, in welchem das Näschen um so purpurner glühte, weißt du auch, daß dir im Schlaf in den Schooß gefallen ist, wonach andere ehrliche Kerls, die vielleicht mehr Anwartschaft darauf hatten, mit jedem Blutstropfen in ihrem Leibe jahrelang vergebens geschmachtet haben? Von meiner Sehrwenigkeit, die obenein Gott gezeichnet hat, zu schweigen: weißt du, daß diese Frau, die sich in Gnaden zu deiner semmelblonden Person herabgelassen, das feinste Stück Weiberfleisch ist, das zwischen Alpen und Sicilien von der Sonne beschienen wird, und daß du langer Laban ein Glück gemacht hast, nach welchem Prinzen und Grafen sich vergebens die Hälse ausgereckt haben?
Ich wollte ihm erwidern, daß ich mir vollkommen bewußt sei, wie wenig Ansprüche auf ein so märchenhaftes Glück ich hätte, aber er ließ mich nicht zu Worte kommen. Er trat dicht an mich heran, schüttelte mich mit beinahe feindseliger Heftigkeit an der Schulter, zum Glück an der gesunden, und ergoß seine Worte unaufhaltsam über mich. Ja, rief er, nun will ich's auch gestehen, daß es nicht mein Gespenst, sondern ich selber war, was euch bei Sanct Peter in der Carrosse fahren sah. Aber der Gedanke, dicht an ihren Wagen heranzutreten, ein Wort mit ihr zu wechseln, ihren Blick so ganz in der Nähe aushalten zu müssen, machte mich schwindlig. Ich hätte die lächerlichste Figur gespielt, und wozu sollte es führen? Du saßest so breit und mit so schnöder Behaglichkeit als beatus possidens an ihrer Seite, ich haßte dich in dem Augenblick, es wäre mir absolut unmöglich gewesen, Freude zu heucheln. Zwar daß du so weit mit ihr seiest, traute ich dir nicht zu. Unter uns gesagt, wie sie auf einmal an deinem langen Gerippe, dem biederen holsteinischen Käsegesicht und deiner schäbigen Toilette einen Narren gefressen haben sollte, wollte mir nicht einleuchten. Irgend ein Spaßvogel, dacht' ich, hat ihm in Neapel eine Empfehlung an die Hexe mitgegeben, und die ist auf den Scherz eingegangen und führt das seltsame nordische Thier in Rom spazieren. Nimm mir das nicht übel, Erich; du weißt nicht, wie kostbar sie sich macht. Und mit deinem halben Königreich könntest du sie schwerlich erkaufen. Ich – seit ich sie zuerst gesehen, bin ich wie ein schüchterner Hund ihren Spuren gefolgt, bloß um mir von ferne so einen Gnadenbrocken von Blick, womit sie auch die geringsten Geschöpfe beglückt, zuwerfen zu lassen. Und nun finde ich diesen Gesellen, der weder ein Adonis noch ein Krösus ist – himmlische Mächte! Man könnte rasend werden, wenn man denkt, welch eine grillenhafte, kopflose Metze die Fortuna ist und wie sie Küsse und Nasenstüber blindlings an Gerechte und Ungerechte austheilt!
Er griff nach seinem Hut und wollte fortstürmen: meine Gesellschaft schien ihm unerträglich. Ich hatte Mühe, ihn zurückzuhalten, ihn auf einen Stuhl zu drücken, und indem ich ihn hoch und heilig bei unserer alten Freundschaft beschwor, ihn ausführlicher ins Verhör zu nehmen.
Du bist nicht bei Trost, rief er heftig, wenn du Mehr von ihr wissen willst, als deine Augen gesehen und deine Ohren von ihr selbst gehört haben. Wenn Einer in der Hitze wandert und sieht eine angebissene Orange am Wege liegen, wird er der Narr sein, lange herumzuforschen, wer sie etwa weggeworfen? Daß sie die Hexe vom Corso heißt, kann jeder Droschkenkutscher dir sagen. Wo sie ihre Hexenkunst gelernt, wer schon daran hat glauben müssen, was kümmert's dich, gutes Milchgesicht? Wenn die Milch deiner frommen Denkart darüber gerinnt, ist's nicht dein eigener Schade? Aber ich werde mich hüten, meines Bruders Hüter zu sein. Ja, ich gestehe dir, eine gewisse teuflische Schadenfreude treibt mich, dir zu sagen, diese deine Göttin ist von sehr irdischer Complexion. Du aber, wie ich dich kenne, trachtest nach dem sogenannten Höheren. Einem frommen Pastorensohne kann es nicht gleichgültig sein, ob so ein Bund im Himmel geschlossen ist oder in der Hölle. Nun, ich könnte in Abraham's Schoß sitzen und die Stimme dieser Hexe aus der untersten Bolgia des Inferno hören, wie sie mir zuriefe, ihr ein bischen Kühlung zuzufächeln, ich stürzte mich kopfüber zu ihren kleinen Füßen – nein, das ist ein falsches Beiwort. Klein sind ihre Füße nicht, auch ihre Hände nicht, das ist nur Mode in unseren nordischen Puppensalons. Roms echte Töchter treten sicher auf, und ihre Hände halten, was sie einmal ergriffen haben, mit schönen kräftigen Fingern. O Kind, wie oft habe ich hinter der Ecke gestanden, wenn sie in den Wagen stieg, er ihr den Arm bot, sie den schönen gewölbten Fuß auf den Tritt setzte –
Er? welcher Er?
Je nun, der Letzte, der vor dir den Neid der Götter und Menschen erregt hat, ein sechs Fuß langer, bildschöner, ein wenig verrückter, aber auch unsinnig reicher Neapolitaner, obenein Marchese, ein Galan, der ihr denn doch ein wenig besser zu Gesicht stand, als Euer Liebden. Aber der ist jetzt verschwunden, es sind fast acht Wochen darüber ins Land gegangen. Vor ihm – soll ich dir die ganze Liste herunterbeten? Ich will lieber vom Anfang anfangen.
Nun erzählte er mir, was ich mir schon halb und halb zusammengereimt hatte, daß ihr Vater jener famose Cardinal gewesen, dessen Bild ich in ihrem Schlafzimmer gesehen. Das Verhältniß mit ihrer Mutter hatte begonnen, lange eh ihm der Hut verliehen wurde. Auch soll er des rabbiaten Weibes, zumal ihre Schönheit rasch verblühte, bald überdrüssig geworden sein und sie mit ihrem Kinde nach Civitavecchia verbannt haben. Dort hielt er sie anständig, aber sie durfte ihm nicht wieder nach Rom, und als er eines plötzlichen Todes starb, war für seine hinterlassene Familie in keiner Weise gesorgt. Nichts als das Bild, das die Alte ihm schon früher abgedrungen, erinnerte an die Tage ihres Glanzes. Die Tochter war eben sechzehn Jahre geworden, ihre Schönheit schon voll aufgeblüht, das Wunder der kleinen Hafenstadt. Der französische Consul, ein Monsieur Durand, schon ein Fünfziger, aber noch ein großer Weiberheld, warf ein Auge auf sie, doch die Alte blieb fest. Die Junge lachte ihn aus. Nur leider verging ihr das Lachen, als die Noth immer bitterer wurde und das letzte goldene Schmuckstück, das sie vom babbo hatte, verkauft worden war. Da – ein halbes Kind, wie sie war, – ergab sie sich darein, nun selbst verhandelt zu werden. Daß ein Priester den Handel schloß, daß sie Madame Durand wurde und im Wagen des Herrn Consuls ihre junge Schönheit spazieren führte, tröstete sie sehr, zumal ihr Herz noch nicht mitsprach. Wann das zu lallen anfing, ob vor oder nach der Katastrophe, die dem Franzosen plötzlich den Boden unter den Füßen wegzog, darüber wußte man nichts Gewisses. Genug, eines schönen Tages fuhr der Herr Consul auf einem Dampfer nach Marseille. Er hatte nur für kurze Zeit Abschied von seiner jungen Frau genommen. Aber gleich nach seiner Abfahrt kamen schlimme Dinge gegen ihn auf, bedenkliche Geldgeschäfte, die ihn auf seinem Posten unmöglich machten, und der kluge Mann, der längst gesehen, wie das Gewölk sich zusammenzog, hatte sich vor dem Ausbruch des Unwetters ganz sacht auf französische Manier empfohlen.
Eine Weile wartete die schöne junge Strohwittwe auf seine Rückkehr. Als sowohl er, als alle Nachrichten von ihm ausblieben, suchte sie sich zu trösten, so gut es ging, und es fehlte nicht an Leuten, die ihr dabei ihre guten Dienste anboten. Sie soll schon bei Lebzeiten – will sagen, so lang ihr Mann noch bei ihr war, – einen tapferen jungen Capitän von den päpstlichen Gensdarmen liebenswürdiger gefunden haben, als Herrn Durand. Der Glückliche wurde eines Tages nach Rom versetzt, gerade zur Zeit des Carneval. Als er dort auf einer Redoute im Apollo-Theater erschien, führte er eine Tänzerin am Arm, die Niemand kannte, als Hexe costumirt, in einem phantastischen Anzuge, schwarz und roth, eine goldene Schlange um den Hals geringelt, kleine Fledermausflügel an ihrem rothen Hütchen, die schwarzen Haare frei über den Schultern flatternd bis über die Hüften herab. Sie tanzte wie ein Dämon und lächelte wie ein Engel unter der Halbmaske, die sie den ganzen Abend nicht vom Gesicht nahm. Als das Paar im ersten Morgengrauen die Redoute verließ, schlich mehr als Einer der jungen Leute, denen sie den Kopf verdreht hatte, ihnen nach und merkte sich das Haus, in welchem sie verschwanden. Es lag am Corso, an der Ecke der Via de' Pontefici. Am andern Tage paradirte die halbe jeunesse dorée an diesem Hause vorbei, aber die Hexe vom Corso, wie sie von Stund' an hieß, ließ sich erst in den Nachmittagsstunden blicken. Daß sie ohne Maske sich nur noch besser auf Hexenkunst verstand, war begreiflich. Doch außer ihrem Capitän konnte Niemand sich rühmen, Madame Durand's Schwelle überschritten zu haben.
Dann kam das Kind zur Welt, nun schien sie vollends aus einer wilden Hexe sich in ein häuslich tugendsames Weib verwandelt zu haben. Die Mutter war ihr bald nach Rom gefolgt; die vier Leutchen lebten, ohne Geräusch und Aufsehen zu machen, ein paar Monate so hin, da wurde der junge Hausvater auf einem Streifzug gegen Briganten erschossen, und Frau Gemma war abermals Wittwe.
Man muß ihr nachsagen, fuhr Kürdchen fort, daß sie den Vater ihres Kindes so anständig betrauerte, wie man es nur von einer ganz legitimen Wittib hätte fordern können. Aber dann! Zwanzig Jahre – das schönste Weib in Rom – von hundert jungen und alten Gecken umschwärmt, die sich darum schlugen, ihr die Schätze Indiens in den Schooß zu schütten, und selbst so arm wie eine Kirchenmaus – ich weiß nicht, wie Penelope sich unter solchen Umständen benommen hätte. Sie hatte königliche Revenuen, und Telemach's Erziehung war vollendet, dazu war sie in den Jahren, wo »der Tumult des Blutes zahm« wird. Und überdies ist sie eine fabelhafte Person, deren Wandel wir auf Treue und Glauben hinnehmen müssen.
Deine Liebste aber – entschuldige, daß ich ihr schon jetzt diesen officiellen Titel gebe –
Nein, unterbrach ich ihn, höre auf, mich zu quälen! Ich bin noch ein schwacher Mensch – wenn du wüßtest, wie mir zu Muth ist – aus all meinen Himmeln herabgeschmettert – aus dem reinen Blau in das schmutzige Grau der platten, harten Erde –
Nun, nun! murrte er durch die Zähne, diese harte Erde – zwei so weiche Weiberarme, deren die Venus von Milo sich zur Ergänzung ihrer armen Stümpfe nicht zu schämen brauchte, – und überhaupt, Erich, mein Junge, was schneidest du für ekle Gesichter, wenn du an den Tisch der seligen Götter geladen wirst? Selbst vom Standpunkte deiner altväterischen Moral: hast du vergessen, wie leutselig unser Herr Christus sich gegen das samaritische Weib am Brunnen betrug? Du hast sieben Männer gehabt, und den du jetzt hast, der ist nicht dein Mann! – Wie? Klingt das nach sittlicher Entrüstung? Hätte er nicht eben so gut im Tone des Vorwurfes zu ihr sagen können: Sie haben einen Lebenswandel geführt, Madame Durand, der es mir unmöglich macht, mich hier auf öffentlichem Platz im Gespräch mit Ihnen betreffen zu lassen? – Narr, der du bist! Ich gönnte dir nur auf eine Woche mein Alpenglühen, da würdest du deinen Hochmuth schon ablegen und auf deinen Knieen den Göttern danken, die dir ein so unverdientes Glück in den Schooß haben fallen lassen. Diese Frau – vom Thurmknopf von St. Peter spräng' ich herunter, wenn ich mich vorher nur auf vierundzwanzig Stunden in einen Menschen verwandeln könnte, der Gnade vor ihren Augen fände. Denn siehst du, lieber Sohn, bei allen Freiheiten, die sie sich nimmt, ist sie durchaus keine leichte Beute des Ersten Besten, der ihr nichts zu bieten hat, als brutales Gold oder ein Diamanten-Collier oder einen schönfrisirten Antinouskopf, in welchem ein Eselsgehirn steckt. Die sieben Männer deiner Samariterin, oder wie viele es sind, können sich sehen lassen; es ist eine Art Orden pour le mérite, die Hexe vom Corso spazieren führen zu dürfen. Freilich erlauben ihr ihre Mittel nicht, etwa den Padre Secchi für seine Verdienste um die Astronomie durch ihre Gunst zu belohnen. Daß sie aber ein Herz hat, das von gemeinem Geiz nicht angefressen ist, – ich dächte, deine eigene Erfahrung –
Und so schwatzte er noch endlos fort, zwischen ingrimmigem Hohn und Neid und redlichem Bemühen, als selbstloser Freund an mir zu handeln. Ich hörte zuletzt kaum noch den Klang der Worte, ich saß wie betäubt am Fenster und sah wie die letzte Sonne von der Zinne des Colosseums hinwegschwand, und hätte am liebsten erlebt, daß nun eine ewige Nacht hereingebrochen wäre, da ich mich vor dem neuen Tage und der Nothwendigkeit, irgend einen Entschluß zu fassen, fürchtete.
Nichts von alledem, was er mir gesagt, hatte meine Leidenschaft im Geringsten zu dämpfen vermocht. Auch war ich weit entfernt von irgend welcher moralischen Anwandlung, so weit es mein Urtheil über das angebetete Geschöpf betraf. Freilich, Einer unter Vielen zu sein, es einer Laune zu danken, daß mir eine Sultanin das Schnupftuch zuwarf, – dagegen sträubte sich der Mann in mir. Aber eh ich das Alles gewußt hatte – wenn mir da der Gedanke aufgestiegen war, dies schöne Wesen möchte seinen Ruf nicht allzu ängstlich gehütet, sondern hie und da ihre Wittwenfreiheit sich zu Nutz gemacht haben, immer hatte ich mich getröstet: wenn es mir überhaupt gelänge, sie mir geneigt zu machen, würde ich sie von diesem vulkanischen Boden wegführen, sie und das liebe Kind, und, vielleicht schwer und spät, aber endlich doch sie mit einem mäßigen Loose in meiner Heimat aussöhnen. Freilich war mir ein solcher Traum gleich wieder chimärisch erschienen. Aber ihr No! das sie dem Grafen erwiedert, stärkte meinen Wunderglauben. Und endlich unser letztes Gespräch kurz vor der Trennung – Alles konnte ich von ihr denken, nur nicht, daß sie falsch sein könne, ihr Spiel mit einem armen Fremdling treiben, nachdem sie so viel thätige Liebe und Güte an ihn gewendet hatte.
Und jetzt – wie konnte von einem ehrlichen, dauerhaften Besitz, einem reinen Zukunftsplan die Rede sein? Lebte nicht ihr Mann? Wußte nicht ganz Rom – und ich, wenn ich wirklich der Tollkopf gewesen wäre, meinem frommen Vater, meiner guten alten Mutter dies fremde Weib ins Haus zu bringen, – unter welchem Namen – mit welchen Aussichten – ein angehender Architekt, der noch nicht die erste Bestellung in der Tasche hatte – Wahnsinn! Ein Doppelmord wäre eine bessere, mitleidigere Auskunft für alle Theile gewesen.
Und dieser Verführer, dieses Kürdchen, ging immer noch im Zimmer auf und ab und schwatzte in mich hinein von dem unerhörten Glück, das ich gemacht hätte. Als ob zu jedem rechten Glück nicht auch der rechte Mann gehörte!
Kürdchen, sagte ich endlich, sprechen wir nicht mehr davon. Wie es werden soll, mag Gott wissen. So viel aber steht fest, der Neid wird sich nicht zwischen unsere alte Freundschaft drängen. Wenn du mir außer deinem Leichtsinn und Cynismus auch noch die Mittel geben könntest, dieses Verhältniß im Stil eines galanten Abenteuers, einer noblen Passion fortzusetzen, so würdest du Recht haben, daß ich mehr Glück als Verstand mit nach Italien gebracht. So lange ich aber ein armer Stipendiat des preußischen Ministeriums bin, dem ein Schurke seinen letzten Reisepfennig aus der Tasche gestohlen hat, tauge ich nicht dazu, »das schönste Weib von Rom« zur Geliebten zu haben. Sei so gut und sage mir lieber, wie viel Geld du mir leihen kannst.
Er starrte mich mit weitaufgerissenen Augen an; als er meinen Ernst sah, zuckte er nur leicht die Achseln, zog seinen Goldgurt unter der Weste hervor und fing an, ein Häuflein Napoleons, das darin verborgen war, auf den Tisch zu zählen. Dies ist einstweilen mein ganzes Vermögen, sagte er. In vier Wochen kommt ein neuer goldener Regen. Bis dahin theilen wir brüderlich.
Es kam so viel auf meinen Theil, daß ich fürs Erste sorgenfrei athmen konnte. Am andern Morgen, als Girolamo, der Schneider, auf seinem Marktgang bei mir anklopfte, im Auftrage der Signora Gemma nachzufragen, wie ich geschlafen hätte, war es mir eine große Genugthuung, mich meiner Dankesschuld gegen diesen Galantuomo freigebig entlasten zu können. Er wollte erst Umstände machen, die Signora habe ihn bereits reichlich beschenkt. Endlich ging er doch sehr zufrieden von mir, nachdem er sich zu allen erdenklichen Dienstleistungen erboten hatte.
Gleich sehr beeilte ich mich, meinen kleinen Doctor zu versichern, daß er es mit keinem Undankbaren zu thun habe. Der aber war von der schönen Frau besser instruirt oder aus härterem Stoff. Ich mußte fürchten, ihn allen Ernstes zu beleidigen, wenn ich weiter in ihn drang. Dagegen sparte er seine Ermahnungen zur Vernunft und einem zweckmäßigen Lebenswandel nicht. Ihr habt eine Bären-Constitution, mein Sohn, sagte er barsch. Jetzt kann ich's Euch gestehen: ich gab für Euer Aufkommen keinen Strohhalm. Jetzt seid Ihr durch, wenn Ihr Euch nicht selbst untergrabt. Ihr versteht mich. Giudizo, figlio mio! Ihr müßt noch volle drei Wochen leben, als ob Ihr eine Zelle in den Katakomben bewohntet. Ein Temperament wie das Eure sichert Euch neunzig Jahre, wenn Ihr's danach treibt. Aber Wein und Weiber, römischer Wein notbene und römische Weiber, das ist die Pest für Euch Nordlandsbären. Ihr habt mich verstanden.
Nur zu gut, wackerer Doctor Susina, hatte ich dich verstanden. Aber es brauchte deine Standrede nicht. Ich floh jene Pest schon aus eigener Feigheit und bildete mir kaum ein, daß diese Feigheit den edleren Namen »Vernunft« verdiene.
Kürdchen kam täglich. Er machte mir den Cicerone, zuerst zu Wagen, bis ich mich wieder rüstiger auf den Füßen fühlte. Ein merkwürdiger Mensch, von dem ich Ihnen ein ander Mal mehr erzähle. Rom kannte er wie seine eigene Seele, und zu andern Zeiten wäre es mir unschätzbar gewesen, von einem so kundigen Führer in die verstecktesten Winkel der alten und mittleren Kunst und zu den wundersamsten Prospecten herumgeschleppt zu werden. Damals aber lag's wie ein Schleier über mir, ich sah mit zerstreuten Sinnen, immer nur den Einen Gedanken in mir wälzend. Gesprochen wurde zwischen uns kein Wort mehr von dieser Herzensangelegenheit. Und durch ein stilles Einverständniß mieden wir es sorgfältig, eine der Straßen zu betreten, wo ich hoffen – fürchten konnte, ihr zu begegnen. Ich sah sie auch wirklich nicht ein einziges Mal – nein, doch einmal von fern im Wagen, da sie mit der Kleinen über den Pincio fuhr. Ich war zufällig allein, ich hätte, ohne die Glossen meines Schutzgeistes zu hören, mich ihr nähern können. Aber ich trat rasch, an allen Gliedern zitternd, hinter eine Hecke und sah sie vorüberfahren; es schien mir, als wende sie mit einem erstaunten Ausdruck den Kopf nach jener Seite. Aber wie ein Blitz war die Erscheinung vorüber.
Was ich zu thun hatte, war längst bei mir beschlossen. Sobald ich nothdürftig Rom kennen gelernt, wollte ich abreisen, noch ehe der Termin der drei Wochen ganz verstrichen. Aber Rom ist so groß, und selbst zur flüchtigsten Umschau genügt eine so kurze Frist einem Menschen, der meine Kunst betreibt, schwerlich. So zögerte ich von Tag zu Tag. Ich hoffte im Geheimen auf etwas Erlösendes, Unvorhergesehenes, daß sie mich vergessen, abreisen, etwa mit einem neuen Freunde sich über den unbeholfenen Deutschen lustig machen möchte.
Zwar kam täglich eine Botschaft von ihr, oft mit irgend einer kleinen Erfrischung, Früchten oder einem Fläschchen süßen Weines, nie ein Brief. Sie war nicht sehr literarisch angelegt, und was hätte sie mir auch zu schreiben gehabt? Auch ich erwiederte auf ihre Fragen und Sendungen nur mündlich. Am Tage aber vor dem Ablauf der Wartezeit erschien statt des Schneiders Girolamo seine Frau und mit ihr – die Bicetta. Wie mich das Kind stürmisch begrüßte, mir an den Hals flog, mich mit Küssen bedeckte und kein Ende finden konnte mit dem niedlichsten Geplauder, – es ging über meine Kräfte. Ich verfiel in ein convulsivisches Schluchzen und drückte die Augen in das dichte Haar des kleinen Kopfes, bis es mir gelang, mich zu fassen. Dann holte ich aus dem Koffer, der schon gepackt stand, ein kleines Korallenkettchen, das ich in Neapel für meine jüngste Schwester gekauft, hing es dem lieben Ding um den Hals und nahm es dann auf den Schooß, um es mit den Näschereien zu füttern, die mir seine Mutter geschickt, und die ich nicht angerührt hatte.
Warum bist du traurig? fragte sie immer wieder.
Ich schützte Schmerzen an der Wunde vor und trug der Frau auf, ihrer Herrin zu sagen, ich würde in diesen Tagen kommen, mich zu verabschieden, da die Hitze mir nicht gut thue – wir waren mitten im Mai – und der Arzt mich in die Berge zu schicken wünsche.
Das hatte ich mir ausgesonnen, um sie darüber zu täuschen, daß es ein Abschied auf Nimmerwiedersehen sein würde, denn ich dachte nicht daran, in die Berge zu gehen. Auch reichte meine Baarschaft eben nur zu einer schnurgeraden Rückreise. Und so ließ ich das holde kleine Wesen von mir gehen und blieb den Abend in dumpfer Verzweiflung allein.
Am andern Tag, so gegen zehn Uhr – am Abend wollte ich reisen, der Platz in der Diligence war schon genommen, auf den Mittag hatte ich Kürdchen in die Trattorie bestellt, vorher war nichts mehr abzumachen, als der schwere Gang in das Haus am Corso, – da höre ich plötzlich einen Wagen vorfahren, stürze ans Fenster und sehe unten eine Droschke halten, aus welcher Gemma aussteigt. Gleich darauf höre ich ihre tiefe Stimme draußen im Flur meinen Namen nennen, die Wirthin läuft ihr voran, meine Thür zu öffnen, und da trat sie ein.
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Es war mir, wie wenn der Fußboden wie das Verdeck eines Schiffes hin und her wogte, ich hielt mich an einer Stuhllehne fest, nachdem ich ihr einen Schritt entgegengethan, und stotterte ein paar einfältige Worte. Aber sie schien von meiner Verwirrung nichts zu merken. Wenigstens sah sie sich mit ihrem gewohnten stillen Gesicht im Zimmer um, nickte mir freundlich zu und sagte endlich ganz gelassen:
Da bin ich. Ich wollte nur hören, wie es mit Euren Plänen steht, Arrigo. Doctor Susina behauptet, er habe Euch kein Wort von einer Villeggiatur im Gebirge gesagt, aber er sei sehr damit einverstanden. Sagt also, wann Ihr fort wollt. Meine Sachen sind im Nu gepackt, und mir ist es gleich, wohin wir gehen. Man könnte jedenfalls erst Umschau halten – in Albano, Arricia, wo die Luft Euch am besten zusagt. Ihr braucht immer noch Schonung und Pflege; daher wird es doch besser sein, ich gehe gleich mit. Ich kann Girolamo unmöglich jeden Tag ins Gebirge schicken, um zu erfahren, wie Ihr geschlafen habt.
Ich stand vor ihr wie ein ertappter Dieb. Aber ich fühlte nur zu gut, daß ich verloren war, wenn ich nicht sofort zwischen uns Beiden die ganze Wahrheit wie eine Brandmauer aufrichtete.
Gemma, sagte ich, Ihr beschämt mich mit dieser neuen Güte. Und ich – nun kann ich es nicht verschweigen, da Ihr Euch so großherzig bis ans Ende gegen mich betragt – ich habe Euch täuschen wollen. Nicht in die Berge will ich, sondern nach Norden, nach Hause, so weit von Euch fort, daß keine wahnsinnige Stunde mich wieder zu Euren Füßen zurückjagen kann. Was ich Euch schuldig geworden bin, – der Himmel weiß, ob ich Euch je nur den hundertsten Theil davon vergelten kann. Wäret Ihr ein armes, hülfloses Geschöpf –
Gott sei Dank, daß ich es nicht bin, unterbrach sie mich, immer noch mit ihrem ruhigen Ton, aber ihre schwarzen Augen hatten einen seltsamen, fast drohenden Ausdruck angenommen. Was redet Ihr da für unsinniges Zeug? Hat es Euch schon gereut, daß Ihr mir Eure Liebe gestanden? Ist das nur ein Rest Eures Fiebers gewesen, und jetzt wollt Ihr so schnell als möglich in Eure kalte Heimat, damit der letzte Funke dort unterm Schnee erstickt?
Ich ließ sie ausreden; ich hatte alle Besonnenheit nöthig, mich nicht von ihrer Stimme, ihrem Blick, ihrem ganzen unsäglichen Reiz fortreißen zu lassen. So ruhig ich konnte, setzte ich ihr dann auseinander, daß unser Beisammenbleiben eine Unmöglichkeit sei; sie wisse, in welcher nothdürftigen Lage ich mich befinde. Es gehe mir gegen die Ehre, länger ihr Gast zu sein, gerade weil ich mit einer gelassenen Freundschaft mich nimmermehr begnügen würde. Ich verhehlte ihr nicht, daß ich Alles oder nichts verlangte, ihren Besitz auf ewige Zeit oder raschen Verzicht für immer. Es sei toll, ich wisse es wohl, zu glauben, daß es ihr überhaupt so ernst sein könne, wie mir. Und doch, wenn sie frei wäre –
Frei? unterbrach sie mich. Bin ich's denn nicht? Mein Mann hat mich schmählich verlassen. Und sonst – – ha, ich merke, du hast über mich reden hören. Nun ja, ich bin keine Heilige gewesen. Wer hat es verschuldet? Aber was ich auch gefehlt habe, – in irgend eines Menschen Knechtschaft habe ich mit eigenem Willen mich nie verkauft. Wenn du auf den Marchese anspielst, – den habe ich lange vor meiner Thür winseln lassen, wie einen armen Hund. Erst als ich erfuhr, daß er nahe daran sei, den Verstand um mich zu verlieren, wurde ich milder gestimmt. Es war vielleicht schon zu spät; denn oft wurde mir unheimlich in seiner Nähe, so verrückte Sachen stellte er aus Liebe zu mir an, zumal wenn er seinen eifersüchtigen Tag hatte. Ja, Der hat mich geliebt, nicht bloß davon gesprochen, wie gewisse Leute. Dem wäre es nicht eingefallen, heimlich auf und davon zu gehen, weil ich es nicht so ernst nahm, wie er. Und zuletzt, als ich ihn selbst fast mit Gewalt von mir entfernte, weil seine Familie in Neapel ihn auszustoßen drohte, wenn er nicht von mir abließe, fast gestorben ist er zu meinen Füßen, daß ich wohl wieder wankend geworden wäre, wenn ich ihn wirklich sehr lieb gehabt hätte. Aber er war ein gewaltthätiger, selbstsüchtiger Mensch, und dabei langweilte er mich, wie ein schönes Thier, mit dem man nichts zu reden weiß. So war ich froh, als ich ihn nicht mehr sah, und ich hoffe, er wird die junge Gräfin, die er nach dem Willen seines Vaters heirathen soll, glücklicher machen, als mich. Frei! Nun war ich es. Aber mir war nicht wohl dabei. Es kann mich wohl eine Weile reizen und ergötzen, über allerlei thörichte Männer zu regieren und selbst von Herzen dabei mich frei zu fühlen. Und doch, siehst du, Arrigo, selbst meinen Mann, der alt war und schlecht und mich nur vor der Welt gut behandelte, – ich wäre ihm nie untreu geworden, wenn ich ihn hätte achten können. Und damals war ich noch so kindisch. Jetzt – in der Nacht, als du überfallen wurdest – da lag ich in meinem Bett und überdachte, was ich Alles erlebt und wie schlecht die Männer sind, wie roh und kalt mitten in ihrer Glut, und was mit mir werden sollte, wenn ich nie einen Mann fände, der gut wäre, wie ich es bin, und dem ich nicht den Fuß auf den Nacken setzen könnte, sondern ihn verehren müßte, fast wie einen Vater, nur daß ich ihn auch liebte, wie einen Geliebten. Und während ich das denke und zur Madonna bete, daß sie mich doch so begnaden wolle, wie ich es hie und da bei guten herzlichen Ehepaaren gesehen, da hör' ich unten das Stöhnen und den Hülferuf, da lagst du auf der Schwelle meiner Thür, und wie ich dir das erste Mal ins Gesicht leuchtete, war mir's deutlich und unzweifelhaft, die Madonna hatte mein Gebet erhört, und der Mann, den ich lieben durfte, ohne mich selbst zu verachten, der war gefunden.
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Ich war auf den Stuhl gesunken, meine Kniee widerstanden der Erschütterung nicht; ich hielt den Blick fest auf den Boden geheftet, denn ich fühlte wohl, wenn ich, während sie diese berauschenden Worte sprach, ihr schönes, ernsthaftes Gesicht gesehen hätte, wäre es um mich geschehen gewesen.
Sie wartete, ob ich etwas sagen würde; als ich aber stumm blieb, trat sie mir einen Schritt näher und fuhr etwas ruhiger fort:
Sie hat mich auch nicht betrogen, die Madonna. So schlimm du dich jetzt machst, Arrigo, ich weiß, daß du gut bist, der beste Mann, der mir je vorgekommen. Schon allein mit dem Kinde dich zu sehen – siehst du, die Andern haben ihm schön gethan und es geliebkos't, aber im Grunde war's ihnen nur um den Schein, und sie waren froh, wenn ich es hinausschickte. Du hast dich mit ihm abgegeben wie eine Wärterin und ihm allerlei gelehrt und bist nie ungeduldig geworden, ja hast es gegen mich selbst in Schutz genommen. Ich hätte dir mehr als einmal um den Hals fallen mögen, aber ich hielt an mich. Ich wußte noch nicht, ob auch du mich lieb hattest. Ja, ich bin fast eifersüchtig geworden, wenn du mehr mit der Creatur sprachst, als mit mir. Sie ist gescheiter als ich, sie hat mehr Talente, es kann etwas Großes aus ihr werden, wenn sie nicht wie ihre Mutter so wild aufwächs't und erfährt weder rechte Liebe, noch rechte Strenge. Siehst du, darum wirst du uns nicht verlassen, böser Mensch, wie du gedroht hast, sondern bei der Frau bleiben, die dich liebt, und bei ihrem Kinde, das deiner bedarf, weil du gut bist. Nur darfst du so thörichte Worte nicht mehr sagen. Ein Bettler! So lange ich keine Bettlerin bin, wird zwischen uns von Geld und Gut nicht gesprochen, hast du verstanden, lieber Narr?
Und hernach? warf ich ein, hernach, Gemma?
Hernach – ei, du bist jung und ein Künstler, und Könige und Fürsten giebt es noch genug, denen du Schlösser bauen kannst. Für jetzt hast du nichts zu thun, als das Luftschloß nicht einzureißen, das wir im Gebirge aufführen wollen. Du wirst die Madonna nicht Lügen strafen wollen, wenn du auch ein Ketzer bist. Nun? Sitzt der Herr noch immer wie ein Bild von Stein, dem die Ohren nur als Zierath am Kopfe wachsen?
Gemma, sagte ich, denke von mir, was du willst, verachte mich, hasse und verabscheue mich – aber es ist unmöglich!
Chè, chè! machte sie. Ich will es, hörst du? und was ich will, habe ich noch immer möglich gemacht. Diesen ganzen Tag lasse ich dir noch, um deine Angelegenheiten zu besorgen. Heute Abend kommst du und sagst mir, daß du dich besonnen hast und hübsch artig sein willst und nicht mehr von Unmöglichkeiten schwatzen. Bis neun Uhr ist meine Thür offen. Die Mutter lassen wir hier in der Stadt zurück, ich weiß, daß du sie nicht gerne siehst. Die Lalla, die Frau des Girolamo, geht mit uns, und natürlich deine Puppe, die Bicetta. Nur Geduld! Acht Tage in meiner Pflege, und du sollst röthere Wangen haben. Sage, ist denn die Wunde völlig vernarbt?
Statt eine Antwort abzuwarten, schob sie mir den Rock zurück und streifte das Hemd vom Halse, daß die Wunde frei wurde.
Ein schauerlicher Anblick noch immer! sagte sie. Ein blutrother Stern, der aber keinen Krieg verkündigt, sondern einen schönen süßen Frieden. Nicht wahr, mein Freund?
Sie schwieg und starrte noch immer auf die Narbe. Plötzlich bückte sie sich zu mir herab und drückte rasch ihre weichen Lippen auf die Stelle, daß mich die Wärme ihres Mundes bis in die Fußspitzen durchrieselte.
So! sagte sie. Nun wird die Wunde dich an mich erinnern, daß du heute Abend nicht ausbleibst. Addio, Lieber! Ich freue mich wie ein Kind zu dir und unserem Glücke. Nein, begleite mich nicht. Es ist besser so. Auf heute Abend!
Und ehe ich mich aus meiner Erschütterung aufraffen konnte, war sie aus der Thüre und ich hörte die Droschke fortrollen.
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Können Sie sich vorstellen, in welcher Verfassung ich zurückblieb? Nein, Sie können es nicht, all Ihre Phantasie und Herzenskunde reicht dazu nicht aus. Wer diese Augen nicht gesehen, diese Stimme nicht gehört und sechs ganze Wochen unter dem Zauber gestanden hat –
Genug! Vernichtung, ein jäher Tod, wäre in diesem Augenblick mir als eine Gnade des Himmels erschienen, denn beständig hörte ich alle die Worte, die sie mir gesagt, in mir klingen, immer mit dem Refrain: Du mußt kommen, denn du bist mein, du wirst die Madonna nicht Lügen strafen! – und immer antwortete eine andere Stimme: Es ist unmöglich, du darfst nicht kommen, Alles oder nichts, auf ewig oder nie!
Ich weiß nicht, wie Sie davon denken, ob Sie mich auch, wie Kürdchen, einen mattherzigen Idealisten schelten werden. Ich selbst habe es später gethan. Aber was wollen Sie? Ich war der Sohn meines Vaters. Ein Schelm giebt mehr als er hat.
Doch war es noch nicht vorbei mit dem inneren Kampf. Ich rannte ins Freie, ich konnte kein menschliches Gesicht ertragen und schweifte ein paar Stunden lang vor den Thoren und um die Ringmauer herum, wie ein Mensch, der leichtsinnigerweise geschworen hat, einen Mord zu begehen, und zwischen dem Abscheu vor der That und der Furcht vor der Strafe des Meineids ruhelos umgetrieben wird. Als ich in der Dämmerung nach Hause kam, sagte mir die Hausfrau, Kürdchen sei dagewesen und werde Abends vor der Abfahrt nach der Post kommen. Jetzt erst fiel mir ein, daß ich ihn Mittags im Stich gelassen hatte. Ich selbst hatte keinen Bissen genossen. Ich ließ Wein kommen und stürzte ein Glas hinunter. Dann setzte ich mich, den Brief zu schreiben, den ich mir unterwegs ausgedacht hatte und für ein Meisterstück von Beredsamkeit, Edelsinn und Mannesstolz hielt. Ich setzte ihr darin Alles noch einmal auseinander, was es mir unmöglich machte, ihr zu folgen, – versteht sich, ohne nur mit einem Wort ihre Vergangenheit, ihren Ruf zu berühren. Ich könne nicht von der Güte und Großmuth eines Weibes leben, nicht des geliebtesten, ja eines geliebten am wenigsten. Und nun ein Abschied mit den heißesten Betheuerungen ewiger, unvergeßlicher Liebe und Leidenschaft – ich Thor! Flammen auf dem Papier, Brief und Siegel über ein Glück, das ich eben vernichtete, Tinte statt des Herzblutes, Selbstachtung statt Selbstvergessenheit – ein schöner Tausch! Und ich war noch stolz auf meinen italienischen Stil!
Ich hatte den Brief eben noch einmal überlesen und ins Couvert gesteckt, als es an meine Thüre klopfte und ohne das Herein! abzuwarten ein mir ganz unbekannter, sehr großer und schwarzäugiger junger Italiener hereintrat.
Signor Arrigo? fragte er, indem er sich kalt und fast wie vor einem Zweikampfe gegen mich verbeugte.
Ich war aufgestanden, hatte mit einem stummen Kopfnicken geantwortet und auf einen Stuhl gedeutet.
Ich werde kurz sein, erwiederte er, immer halb zwischen den Zähnen. Was mich zu Ihnen führt, ist bald abgemacht. Erlauben Sie mir nur, ein Fenster zu öffnen. Sie haben hier eine schwüle Luft und ich – er griff sich nach der Stirne – ich leide an Congestionen.
Ich kam ihm zuvor und ließ die Abendkühle zu beiden Fenstern herein. Dabei betrachtete ich den wunderbaren Gast. Selten hatte ich eine schönere Jünglingsgestalt, ein Gesicht gesehen, das so des Marmors würdig gewesen wäre. Und doch war etwas in den blassen, edelgebildeten Zügen, was eher abstieß als anzog: ein Zug von Müdigkeit und Wildheit zugleich, ein unheimliches unstätes Flackern des Blickes und dann und wann ein Zucken der Unterlippe wie von einem nervösen Raubthier.
Er war nach der neuesten Mode gekleidet, an der linken Hand trug er eine große antike Camée, eine Brillantnadel steckte in seinem Vorhemd. Das üppige schwarze Haar war das Einzige an ihm, was keine Pflege verrieth, vielmehr sah ich, daß er Alles, was der Friseur etwa daran gethan, durch beständiges Wühlen und Zausen mit feinen großen weißen Händen zunichte machte.
Ich bin der Marchese L***, sagte er, mitten im Zimmer stehen bleibend. Der Name wird Ihnen bekannt sein, da Sie gewissermaßen meine Erbschaft bei Gemma angetreten haben. Ich bin weit entfernt, von ihr und Ihnen darüber Rechenschaft zu fordern. Ich hatte sie verlassen müssen, sie war Herrin, zu thun, was ihr beliebte. Auch sehe ich nicht ein, warum ich Ihnen ein Geheimniß daraus machen soll, daß ich mich sehr wider Willen von ihr trennte, um eine junge Dame zu heirathen, die mein Vater mir zur Frau bestimmt hatte. Ich hing von meinem Vater ab, er drohte mich zu enterben, wenn ich mich seinem Willen widersetzte. Er hätte es unzweifelhaft gethan, die Männer in unserer Familie sind alle von heftigen Entschlüssen und führen aus, was sie sich vorgesetzt haben. Also blieb mir keine Wahl, als Gemma aufzugeben, oder mich und sie in Armuth zu stürzen, was uns Beide unglücklich gemacht hätte.
Er sah sich in meinem dürftigen Zimmerchen um, dann zog er ein elegantes Täschchen hervor und sagte: Erlauben Sie, daß ich rauche? Ich bin ein wenig aufgeregt – es calmirt. Darf ich Ihnen anbieten?
Ich dankte stumm. Er zündete sich eine Cigarre an, die offenbar nicht bei einem gewöhnlichen tabaccaro gekauft war, stützte sich auf die Lehne eines Stuhles und sagte:
Ich bedaure, Sie vielleicht zu stören. Aber es ist unumgänglich nothwendig. Ich werde kurz sein, werde kurz sein, wiederholte er drei Mal. Sehen Sie, ich bin vor zwei Stunden erst angekommen, ein plötzlicher Tod hat meinen Vater vor fünf Tagen hingerafft, vorgestern Abend habe ich ihn begraben, gestern früh meiner Braut ein Billet geschrieben, daß ich auf die Ehre verzichten müsse, ihr Gemahl zu werden, dann habe ich den Weg hieher mit Relais in Einem Athem zurückgelegt und mein erster Gang war nach dem Haus am Corso. Ich stürze die Treppen hinauf, Gemma ist zu Hause, um diese Stunde geht sie nie aus, die Mutter öffnet mir und begrüßt mich mit einem Freudenschrei. Ich frage nach Gemma, sie thut erst geheimnißvoll, geht dann hinein, mich zu melden, kommt aber mit dem Bescheid wieder, Gemma sei krank und könne mich nicht sehen. Ich merkte, daß etwas dahinter sei, und drang in das alte Weib, mir nichts zu verheimlichen. Sie hat zum Glück immer ein wenig Furcht vor mir gehabt, und so erfuhr ich –
Er stieß den Stuhl heftig von sich und that ein paar Schritte durchs Zimmer.
Verzeihen Sie, fuhr er nach einer Pause fort, ich bin nicht hier, Sie anzuklagen. Sie haben gethan, was Jeder an Ihrer Stelle gethan haben würde. Aber Sie werden begreiflich finden, daß ich mich dabei nicht beruhigen kann. Die Lage hat sich verändert, ich bin wieder im Stande, nur auf die Stimme meines Herzens zu hören, und fest entschlossen, von den alten Rechten, die ich besessen, wieder Besitz zu ergreifen. Ich habe Gemma trotz meines lebhaften Bittens und Drängens nicht zu sehen bekommen. Ich weiß aber durch die Mutter, daß sie Sie heute Abend erwartet. So leid es mir thut, Ihnen etwas Unangenehmes sagen zu müssen: ich erwarte, daß Sie zurücktreten und sich jeden Gedanken an eine Fortsetzung dieses Verhältnisses aus dem Sinne schlagen.
Ich hatte Zeit gehabt, vollständig kaltes Blut zu gewinnen.
Mein Herr, sagte ich, Sie verfügen über etwas, was nicht in Ihrer Macht ist. Wenn hier von Rechten die Rede sein kann, so kenne ich nur Eine Person, die Rechte zu vergeben und zu entziehen vermag. Wenn Gemma Ihnen ihre Thür verschließt, was habe ich dabei zu thun? Ich bin so wenig betheiligt, daß ich – vierundzwanzig Stunden später – überhaupt nicht mehr in der Lage gewesen wäre, Ihre seltsame Zumuthung entgegenzunehmen. Ich reise ab, noch diese Nacht. In dem Briefe dort habe ich der Frau, der ich so viel verdanke, ein letztes Lebewohl gesagt. Da Sie aber in einem drohenden Tone zu mir sprechen, werde ich es mir nicht nehmen lassen, diesen Brief in Person abzugeben und Frau Gemma noch einmal zu fragen, ob sie irgendwie meiner Dienste bedarf. Entläßt sie mich dann –
Hüten Sie sich! unterbrach er mich plötzlich mit mühsam gedämpfter Stimme. Ich kenne Gemma's Trotz und Eigensinn. So lange Sie noch hier sind, wird sie Sie freiwillig nie aufgeben, wäre es auch nur, um mich in Wuth zu bringen. Was dann geschieht –
Was dann geschieht, sagte ich kühl, indem ich ihn fest anblickte, – wir werden es abwarten, Herr Marchese. Wie ich Frau Gemma kenne, wird sie sich in die Gewalt keines Menschen ergeben, der ihre Freiheit nicht ehrt. Ich weiß nicht, wie sie von Ihrer Rückkehr denkt. Es ist möglich, daß es Eindruck auf sie macht, wenn sie erfährt, daß Sie eine glänzende Verbindung abgebrochen haben, um zu ihr zurückzukehren. Jedenfalls muß ich sie selbst darum befragen.
Er trat so nahe vor mich hin, daß ich den heißen Hauch seines zitternden Mundes an meinem Gesicht fühlte.
Wagen Sie es nicht! rief er mit einer Stimme, die plötzlich allen Wohlklang verloren hatte. Geben Sie mir diesen Brief zu bestellen und reisen Sie, reisen Sie mit Gott! Ich habe durchaus nichts gegen Sie, Sie scheinen ein galantuomo zu sein, aber beim Blute Gottes, wenn Sie es wagen, heute Abend noch einmal Gemma's Schwelle zu überschreiten, erschlage ich Sie wie einen tollen Hund! Das lassen Sie sich gesagt sein. Addio!
Er hatte die letzten Worte in so fassungsloser Wuth herausgeschrieen, daß ich einen Augenblick darauf gefaßt war, er werde sich über mich werfen und ich mit einem Wahnsinnigen zu ringen haben. Gleich darauf trat er aber zurück, nahm seinen Hut, verbeugte sich so höflich, als hätten wir die gleichgültigsten Redensarten getauscht, und ging ruhig aus dem Zimmer.
Ich sah ihm mit gleicher Ruhe nach. Nun war mir erst wieder wohl und der aufreibende innere Zwiespalt beschwichtigt. Nun wußte ich, was ich zu thun hatte; nun konnte ich, ohne mich selbst verachten zu müssen, nicht fort, ehe ich sie noch einmal gesehen, und wenn sie es für gut finden sollte, daß ich zu ihrem Schutze da blieb, vielleicht nun gar sie ins Gebirge begleitete, um sich den Nachstellungen dieses gewaltthätigen Anbeters zu entziehen, – konnte ich es ihr abschlagen? Jetzt war ich nicht mehr der arme Teufel, den sie in einer gütigen Laune vom Wege auflas und mit ihrer Huld beglückte, jetzt brauchte sie mich vielleicht, und das empfindlichste Zartgefühl durfte sich nicht dagegen auflehnen, daß ich noch länger Gastfreundschaft von ihr annahm.
Nur einen Moment regte sich eine unangenehme Empfindung. Die Mittel, die sie besaß, kamen sie nicht von Demselben, gegen den ich sie jetzt beschützen sollte? Aber das waren armselige Scrupel, wo es sich um die Sicherheit ihres Lebens handelte und um meine eigene Ehre.
Es war inzwischen sieben Uhr geworden; nun fühlte ich denn doch, daß ich gut thun würde, mich ein wenig zu stärken. Ich steckte den Brief zu mir, überlegte einen Augenblick, ob ich mir eine Waffe verschaffen sollte für den Fall, daß der Rasende seine Drohung wahr machen möchte, griff dann aber nur nach meinem Rebstock, der im Nothfall kein verächtlicher Helfer war, und ging in die Stadt hinunter nach einer Trattorie, wo ich mich für das versäumte Mittagessen durch eine hastige Cena entschädigen wollte.
Zu meinem Unglück mußte an dem einzigen Tische, wo noch Platz war, der Attaché meiner Gesandschaft sitzen, der mich aufs Liebenswürdigste begrüßte; sobald er aber meine Absicht erfuhr, noch in der Nacht Rom zu verlassen, drang er in mich, nicht zu reisen, ohne mich von seinem Chef zu beurlauben. Derselbe habe geäußert, daß er in einer gewissen persönlichen Angelegenheit mich mit einem Auftrage zu betrauen wünsche. Auch werde es auffallen, wenn ich nach so manchen Freundlichkeiten, die ich von Sr. Excellenz genossen, ihm nicht eine letzte Aufwartung machte. Er sei gerade zu Hause, und mit einer halben Stunde werde Alles abgethan sein.
Ich knirschte innerlich über dies leidige Zusammentreffen. Aber an ein Entrinnen war nicht zu denken. Ich warf mich in einen Wagen, fuhr nach dem Capitol und bat um eine letzte Audienz, die mir aufs Freundlichste gewährt wurde. Ich mag eine seltsame Rolle gespielt haben bei dem langen antiquarischen Gespräch, in welches Se. Excellenz mich verwickelte. Aber endlich nahm auch das ein Ende, ich war entlassen, fand meinen Fiacker geduldig vor der Thür harren und hieß ihn nun auf dem kürzesten Wege nach dem Corso jagen.
Es schlug halb Neun von den Thürmen, an denen ich vorbeikam, als ich in den Corso einbog. Bis Neun hatte sie auf mich warten wollen. So war also noch nichts verpaßt, als höchstens die Abfahrt der Post, zu der ich schwerlich noch zeitig genug mich losmachen konnte.
Ich hielt endlich vor ihrem Hause. Da, eben als ich den Wagenschlag öffnete, wird die Hausthür aufgerissen, und über die Schwelle tritt – nein, taumelt wie ein Betrunkener – eine hohe dunkle Gestalt, ohne Hut, steht einen Augenblick, sieht rechts und links, schlägt sich vor die Stirn und stürmt dann, irgend etwas hervorstöhnend, das wie Dio mio! oder Sangue di Dio klang, um die Ecke, in die schmale Via de' Pontefici hinein.
Keine Laterne war in der Nahe; die an meinem Wagen blinzelten nur schwach, doch hatte ich ihn sofort erkannt. Sein weißes Gesicht unter dem mächtigen Haarbusch starrte den Wagen an, aber es schien ihn nicht zu kümmern, wer darin gekommen sein mochte. Eine besinnungslose Angst jagte ihn hinweg, mir selbst lähmten Schreck und Ahnung die Zunge. Erst als ich hinausgesprungen war, konnt' ich ihm nachrufen. Er hörte mich nicht mehr.
Ich rief dem Kutscher zu, zu warten, und flog die dunkle Stiege hinauf. Das Haus schien zu schlafen, auch bei Girolamo unten war Alles dunkel. Wie ich in den zweiten Stock hinaufkomme, finde ich die Thür zu Gemma's Wohnung halb offen, ich taste mich in den Corridor, ich klopfe an dem Zimmer vorn, wo ich gewohnt hatte und das nun sie wieder in Besitz genommen. Keine Antwort. Da öffne ich zitternd und bebend, und wie ich eintrete, fällt mein erster Blick auf Gemma, die im Winkel des Sophas ruhte, den Kopf seitwärts auf die Lehne gesenkt, in dem rothen Schlafrock. Ich sah jeden Zug ihres Gesichts, denn an dem Lüster brannten wohl ein Dutzend Kerzen und auch die Leuchter vor dem Spiegel. Es sah aus, als ob sie Gesellschaft erwartet habe und vorher noch ein wenig eingenickt sei. Aber wie ich auf den Zehen näher trete, leise ihren Namen rufe, und jetzt ganz nahe – o mein Freund, welch grauenhafter Anblick! – An ihrer linken Schulter, ganz nahe beim Halse, ein dunkler Fleck im Kleide, von dem aus sich ein feuchter Streifen über die Brust herunterzog, ein schmaler purpurner Quell, der über die schlaff in den Schooß herabhängenden Hände rieselte. Mein Fuß strauchelte über etwas, das auf dem Teppich lag. Halb bewußtlos, indem ich nach einem Halt am Tische suchte, bückte ich mich darnach, und was hob ich auf? Das schmale scharfe Messer, das Doctor Susina aus meiner eigenen Schulter gezogen hatte, und das nun warm von frischem Blut mir wieder in die Hände kam!
Ich blieb nur ein paar Secunden in völliger Erstarrung, dann stürzte ich durch das dunkle Nebenzimmer in die große Hinterstube, wo das Bett der Alten und Bicetta's stand. Nur das Lämpchen vor dem Heiligenbild im Winkel brannte; ich unterschied mühsam die Dinge um mich her, hörte aber die tiefen Athemzüge des alten Weibes vom Bett her, auf das sie sich in den Kleidern geworfen hatte, augenscheinlich vom Wein überwältigt. Denn ein großes, halbleeres Fiasco stand auf der Commode, und ich wußte, daß sie allabendlich, wenn das Kind zu Bett gebracht war, sich um die Besinnung zu trinken pflegte. Ich ergriff sie bei den Schultern, schrie ihr ins Ohr und suchte sie aufzurütteln. Als sie die verglasten Augen aufschlug und mich erkannte, fuhr sie in die Höhe, ich wartete aber nicht ab, bis sie völlig erwacht war. Ich stürzte die Treppe wieder hinunter, donnerte mit den Füßen gegen die Thür Girolamo's und rief ihm, als sich's drinnen rührte, zu, spornstreichs einen Arzt zu holen, die Herrin sei ermordet – dann sprang ich wieder die Stufen hinauf und eilte zu dem armen Opfer.
Ich beugte mich über sie und versuchte, ihren Kopf aufzurichten; dabei rief ich ihren Namen, riß mein Tuch aus der Tasche und drückte es gegen den Blutquell am Halse. Der Schmerz rief sie ins Bewußtsein zurück. Sie verzog den Mund zu einem wehmüthigen Lächeln und öffnete langsam die breiten Augenlider. Aber ein Nebel lag über ihrem Blick, der sich erst allmählich verzog. Als sie mich dann erkannte, schloß sie mit einem unsäglich rührenden Ausdruck von Freude die Augen, und ihre Hände bewegten sich, als ob sie meine suchten.
Ich nahm ihr Haupt sanft in meinen Arm und drückte mit der andern Hand die kalten Finger, die sich nach mir ausstreckten.
Du bist es! flüsterte sie, immer mit geschlossenen Augen. Das ist gut, nun ist mir ganz wohl. Ich wußt' es ja, daß du kommen würdest; aber warum so spät? Siehst du, wie es vorhin klopfte, ich dachte, du wärest es – die Mutter schlief schon – da ging ich selbst hinaus zu öffnen, und da war er es. Heute Mittag – da hatt' ich ihn nicht eingelassen, ich wollte ihn nie wiedersehen – es war aus zwischen uns für immer – er aber, er wollte nichts davon hören. O Lieber, ich zitterte, wenn ich dachte, daß du ihn hier treffen würdest, er kennt sich selbst nicht in der Wuth; ich wußte, wenn ich ihn nicht wenigstens anhörte – nicht versuchte, ihn hinzuhalten – gewiß würde er sich an dir rächen. – So! stütze mich ein wenig – ich bin schläfrig – die Augen fallen mir zu – Das Ungeheuer! Die Bestie! Wenn du ihn gehört hättest, wie er hier herumtobte, drohte, weinte, auf den Knien lag, dann wieder meine Hände drückte, daß ich hätte schreien mögen, – ich lachte aber und behandelte ihn wie einen bösen Buben, den man in den Winkel stellt. Er wollte von dir wissen – ich sagte ihm, daß du ein guter Mensch seiest und mein Freund, um vieles sanfter als er – und erzählte ihm, wie Alles gekommen. Da liegt das Messer noch, sagte ich – es war eine grausame Wunde – hier oben in der Schulter – ohne die Hülfe der Madonna hätten wir ihn nicht durchgebracht. Und er – auf einmal hatte er das Messer aus dem Etui genommen und besah es lange und lachte vor sich hin, daß mir die Haare zu Berge standen. Gemma! schrie er plötzlich, schwöre mir bei der Madonna, daß du ihn nie wiedersehen willst, sonst – und er trat dicht vor mich hin und faßte meinen Arm, den er stark preßte. Schwöre! murmelte er. Und ich sah sein Gesicht nahe über mir – das Weiße blitzte und seine Zähne knirschten – und in diesem Augenblick wurde all mein Stolz in mir angefacht – ich hielt seinen drohenden Blick fest aus und: Geh fort! sagte ich, du weißt, mit Drohungen bin ich nicht einzuschüchtern. Ich thue, was ich will – wenn man mich sanft anfaßt, bin ich sanft – wer mich zwingen will – – Schwöre! wiederholte er immer dumpfer und wilder – schwöre! – Nein! niemals! sagte ich überlaut und hob mich mit meiner ganzen Kraft in die Höhe, ihn zurückzudrängen – da – o mein Gott! – –
Ihre Züge veränderten sich plötzlich, ihre Stimme erstarb in einem mühsamen Keuchen – der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn – ich dachte, es sei das Letzte. Aber der Krampf, der ihre Glieder durchzuckte, legte sich wieder, sie schlug die Augen noch einmal voll zu mir auf, und die entfärbten Lippen lächelten.
Ich beflecke dich ganz mit meinem Blut, hauchte sie. Es ist eine böse, dumme Geschichte – aber der Doctor, der dich so gut wieder auf die Beine gebracht hat, – und ich bin noch so jung, und es wäre so schön, wenn wir glücklich würden! – Armer Narr, wie blaß er ist! Nein, es hat keine Gefahr – thu mir das Kleid von der Schulter – es drückt mich wie Blei – siehst du, fast an derselben Stelle – es thut aber nicht weh – sachte, sacht! – Nun ist mir besser – die Luft kühlt – ich bin schön, nicht wahr? – Diese Schulter, diese Brust – Alles wäre dein gewesen – oh! und jetzt – Arrigo! schrie sie plötzlich, küsse mich ein einziges Mal auf den Mund – denn ich muß sterben – sterben – sterben!
Ich neigte mich mit lautem Jammern über sie, sie hatte den Mund geöffnet – als ich meine Lippen darauf drückte, fühlte ich, wie ihre Zähne im Todesschmerz sich zusammenschlossen, dann fiel ihr Haupt zurück, und ich hielt eine Leblose in meinen Armen.
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Er schwieg, und ich – was hätte ich sagen sollen! Wir saßen wohl zehn Minuten regungslos bei einander, der Himmel hatte sich bewölkt, die stolze Linie der Peterskuppel am Horizont und der schlanke Rücken des Monte Mario waren kaum durch den Dunst zu erkennen, der über der Tiber aufstieg. Nur ein Glühwürmchen kreis'te in langgeschwungenem Flug um uns her und ließ sich endlich am Rande meines Glases nieder. Das schien ihn aus seinen tiefen Gedanken aufzuwecken.
Lieber Freund, sagte er, es war nicht wohlgethan, daß ich die Todten nicht habe ruhen lassen. Es verstört, wie ich sehe, auch Sie mehr, als ich verantworten kann. Aber Sie begreifen – es ließ mir keine Ruhe. Es ist ein Unsinn, sich an Tage zu hängen, ein Datum ist ja nur ein Aberglaube, ein Unding, ein Punkt in der endlosen Linie. Aber der Mensch ist ein Sklave des Absurden. Kommen Sie! Wir wollen endlich fort. Ich hoffe, Sie zürnen mir nicht, daß ich Ihnen diese alten Gespenster vorgeführt habe.
Ich drückte ihm lebhaft die Hand, wir standen auf, bezahlten unsern Wein und machten uns auf den Weg nach Hause.
Wie haben Sie's nur überlebt damals! sagte ich.
Ja wohl, erwiderte er, das hat mich selbst gewundert. Aber wenn nicht ein fingerlanges Stückchen geschliffener Stahl nachhilft, ist es unglaublich, was Sehnen und Muskeln Alles aushalten können! Nicht einmal die Besinnung verließ mich, ich hielt sie mit so wachem Bewußtsein in den Armen, wie ein glücklich Liebender seine Braut, als ich schon die Treppe herauf Lärm und Getümmel hörte. Eine Menge Menschen stürmten herein, Nachbarn und Hausgenossen, Neugierige, irgend ein Arzt, den man auf der Straße aufgegriffen, endlich auch Polizei. Mit dieser kam die Alte hereingerast, warf sich heulend über die Todte, zerraufte sich das Haar, zerschlug sich die dürre Brust und sprang endlich wie eine Furie in die Höhe, um mich als Mörder anzuklagen. Ich wußte nun freilich den genauen Zusammenhang, was aber half es, daß ich meine Unschuld betheuerte? Niemand hatte den Marchese das Haus betreten sehen, Niemand wollte überhaupt glauben, daß er wieder in Rom sei, da man ihn hatte abreisen sehen, um in Neapel zu heirathen. So wurde ich von rohen Fäusten unter wüthendem Schreien und Drohen hinweggerissen und konnte nicht einmal zugegen sein, während meine todte Geliebte aufgehoben und aufs Bett getragen wurde. Nicht ein letztes Mal durfte ich ihre Hand, ihre Stirn küssen. Nicht einmal von dem Kinde Abschied nehmen, das den ganzen furchtbaren Auftritt verschlief.
Noch in derselben Nacht wurde ich verhört. Derselbe Unglaube, dieselbe Verlegenheit, irgend ein Zeugniß zu meinen Gunsten beizubringen. So auch an den folgenden Tagen. Ich hörte durch den Gefängnißwärter, daß Kürdchen die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, bis zu mir zu dringen, daß der Gesandte sich für mich verwendet hatte, Alles umsonst. Erst am vierten Tage, da ich mich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, der römischen Justiz zum Opfer zu fallen, und einen dumpfen Trost darin fand, das geliebte Weib nicht lange zu überleben, wird meine Thür plötzlich aufgeschlossen und der treue Freund tritt ein.
Nie hat das Bringen einer guten Botschaft eine tristere Miene gehabt. Wir fielen uns in die Arme und weinten uns satt. Ich war nicht im Mindesten neugierig, was er mir etwa zu melden habe, und er hatte keine Eile, zu sprechen. Wie wir uns in die Augen sahen, stand uns nur das Eine vor der Seele, daß sie nicht mehr war.
Dann aber erzählte er, daß halb Rom an ihrer Bestattung theilgenommen, nicht bloß die Bettler, die sie sämmtlich kannten, sondern die vornehmste Jugend der Stadt, in einer endlosen Reihe von Wagen. Als aber das Grab schon eingesegnet gewesen, habe sich plötzlich eine Bewegung in der dichten Menge, die es umstand, kundgethan, und: Der Marchese! sei von hundert Zungen geraunt worden. Wirklich sei er es gewesen, barhaupt, in ganz vernachlässigtem Anzug, die Spur des Irrsinns auf Stirn und Lippen. Er sei an den Rand der noch offenen Grube getreten, habe die Arme ausgestreckt und laut gerufen: Nun wirst du Ruhe halten, Hexe, und Niemand mehr toll machen. Gute Nacht – gute Nacht! Und dann mit wildem Auflachen: Siehst du nun, daß geschehen muß, was ich will? Liegst du jetzt in deinem Bett und horchst, ob der Andere an deine Thür pocht? Der wird nicht kommen, der weiß zu gut, daß der Tod auf deiner Schwelle steht. Schade drum! Ich hätte es gerne gelinder gemacht, aber Gerechtigkeit über Alles!
Und so noch einen Schwall unsinniger Worte, bis die Nächststehenden sich ermannten, dem Aergerniß ein Ende zu machen. Als sie den Wahnsinnigen aber mit Güte oder Gewalt fortführen wollten, sei er in die Grube gesprungen und habe mit starker Stimme geschrieen, man solle Erde über sie Beide schütten, er könne die Sonne nicht mehr sehen, sie sei so roth wie die Wunde an seiner Liebsten Hals.
Da warf man sich auf ihn und trug ihn gebunden hinweg; das Grab aber wurde ganz mit Kränzen und Blumen gefüllt.
Und ich – ich war ferne gewesen!
Nun war ich frei – was konnte ich mit meiner Freiheit anfangen? Ich weiß es nicht, wie ich die nächsten Jahre überstand. Ein einziges Trost- und Heilmittel hätte ich noch gehabt, das wurde mir vom Schicksal vorenthalten. Ich hatte ein brennendes Verlangen, das Kind zu sehen, die arme Verwais'te an mein Herz zu drücken und nie wieder von mir zu lassen. So arm ich war: als Vater für die Bicetta zu sorgen, durfte ich wohl noch übernehmen. Ich wollte sie der bösen Alten nicht lassen, sie mit mir nach Hause nehmen zu meinen Schwestern. Mein erster Gang an Kürdchen's Seite war in die Wohnung, die wiederzusehen mir freilich graute. Als ich an Girolamo's Thür vorüberging, trat seine Frau heraus und begrüßte mich mit lautem Schluchzen. Ich fragte nach dem Kinde. Ein paar Nächte vorher sei die Alte mit der Kleinen verschwunden, vergebens habe man überall nachgeforscht. Auch ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Aber bei den damaligen gesegneten Zuständen der Polizei im Kirchenstaate blieb Alles umsonst. Wenn der Erdboden sie verschlungen hätte, ihre Spur wäre nicht hoffnungsloser verloren gewesen.
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Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin N.
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