Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Romulusenkel.

(1879)

M uzio Orazio de' Cesari war der stolze Name eines bescheidenen römischen Bürgers, der immer zu erröthen pflegte, wenn unter seinen Freunden im Café die Rede darauf kam, daß einer wohlbeglaubigten Familientradition zufolge ein Tropfen vom Blute jenes ersten römischen Weltbeherrschers in seinen Adern floß. Studirte man den Stammbaum, den im sechzehnten Jahrhundert ein gelehrter Vorfahr des wackeren Signor Muzio sorgfältig durch die Jahrhunderte hinauf verzweigt und auf einem großen Pergamentblatt reinlich ausgebreitet hatte, so fand sich freilich, daß die Familie de' Cesari sich nur des Ursprungs aus einer illegitimen Verbindung des großen Julius zu rühmen vermochte. Auch hiefür lag kein sichreres Zeugniß vor, als die schriftliche Erklärung des ältesten bekannten Vorfahren, Quintus Pomponius de' Cesari, welche derselbe hinter einem alten Pergamentmanuscript des Terenz aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts feierlich mit seinem eigenen Siegel bekräftigt hatte. Wem dies aber nicht genügte, der durfte nur einen Blick auf die andere Reliquie werfen, die Signor Muzio in seinem Schlafzimmer bewahrte: eine Büste des großen Gajus Julius aus rosso antico mit eingesetzten Augen aus gelblichen Carneolen, die der Sage nach der Stammmutter des Geschlechts von ihrem erlauchten Geliebten zum Andenken verehrt worden war, als er selbst sich von ihr trennen mußte, um Cornelia, die Tochter des Cinna, zu heirathen.

Nun gab es freilich nüchterne Menschen, die aller historischen Idealität ermangelten und Angesichts dieses Familienheiligthums daran erinnerten, daß Julius Cäsar die Ehe mit der Cornelia bereits in seinem siebzehnten Jahre geschlossen habe, während die Büste ihn kahlköpfig und mit allen Furchen zeigte, die der gallische Krieg in seine Stirn gegraben. Dann pflegte Signor Muzio mit großer Ruhe zu bemerken, daß seine Urahnin ihren Jugendgeliebten überlebt und das Bild von einem geschickten Meister habe überarbeiten lassen, um die theuren Züge festzuhalten, wie sie dieselben in seinen letzten Lebensjahren nur noch von fern erblicken durfte. Dabei stellte er sich scheinbar absichtslos neben die hölzerne Säule, auf welcher die Büste zur Seite eines kleinen Waschtisches postirt war, und forderte stillschweigend zu einer physiognomischen Vergleichung des Enkels mit dem Stammvater heraus. Da er nun auch, wie der große Imperator, eine scharfe, schmale, gebogene Nase, dünne Lippen und etwas hagere Wangen hatte und schon vor dem Eintritt in die Vierzig Ursache gehabt hätte, seinen stark gelichteten Scheitel unter einem Lorbeerkranz zu verstecken, so brauchte nur noch das Erröthen hinzuzukommen, um die Blutsverwandtschaft mit dem rothen Brustbilde jedem wohlwollenden Betrachter offenbar zu machen; ja man mußte nur staunen, daß eine achtzehnhundertjährige Verdünnung des illegitimen Tropfens noch eine so deutliche Spur in der leiblichen Bildung zurückgelassen hatte.

Der geistige Funke freilich, der in den ersten Generationen noch fortgezündet haben mochte, schien in diesem Letzten des Geschlechts völlig erloschen zu sein. Weder Neigung noch Talent zum Herrschen, Erobern, Schlachtengewinnen ließ sich an dem braven Urenkel entdecken, und wenn seine Freunde ihn einen Galantuomo nannten und feine alte Haushälterin Menica einen Engel, hielt das die Ersteren doch nicht ab, den völlig Arglosen zur Zielscheibe ihrer freundschaftlichen Neckereien zu machen, während die Alte, die schon den Knaben behütet hatte, auch den reifen Mann noch immer fast wie ein unmündiges Kind zu gängeln pflegte. Vom Cäsarenwahnsinn war – bis auf jene genealogische fixe Idee – so wenig in ihm, daß er sich beides geduldig und sogar, dankbar gefallen ließ. Die Neckereien der Freunde bestärkten ihn in seinem Glauben, man beneide ihm heimlich seinen alten Adel und räche sich dafür durch wohlfeile Possen; das gestrenge Hausregiment aber, zumal es in so sicheren und treuen Händen lag, war seiner unglaublich trägen Natur viel zu bequem, um sich dagegen aufzulehnen.

Sein Vater, Terenzio de' Cesari, der Advocat gewesen, aber schon bei seiner Verheirathung von diesem Beruf zurückgetreten war, hatte auch den Sohn für die Jurisprudenz erzogen, als die einzige eines Cäsarenenkels würdige öffentliche Laufbahn, da selbst die alten Kaiser die Redekunst geübt und es nicht verschmäht hätten, in Rechtshändeln auf dem Forum zu plaidiren. Noch aber war Muzio nicht dazu gelangt, sich den Doctorhut zu erringen, als der alte Herr die Augen schloß und ihn als alleinigen Besitzer eines großen, weitläufigen Hauses zurückließ. Dieses Haus stand am spanischen Platz, in der gesuchtesten Gegend der Stadt, und die drei sonnigen Stockwerke desselben waren in jedem Winter an reiche englische Familien vermiethet, so daß für den Hausherrn nur ein paar trübe Zimmerchen nach hinten hinaus übrig blieben, nachdem er auch die Räume, die seine Eltern bewohnt, den Dienstboten der Fremden überlassen hatte. Außer jener Schlafkammer, wo die pergamentene Stammtafel unter Glas und Rahmen hing und der rothe steinerne Ahnherr prangte, besaß Signor Muzio nur noch ein einziges Gemach, das als Speisezimmer, Bibliothek, Salon und Wohnstube diente. Hier saß auch die alte Menica, wenn sie ihre Küche besorgt hatte, an dem einzigen Fenster, mit einer Näh- oder Flickarbeit, da in ihre Schlafkammer nie ein Sonnenstrahl hineindrang, und wenn sie Wäsche gehabt hatte und Regenwetter den kleinen Garten hinterm Hause zum Trockenplatz untauglich machte, spannte sie unbedenklich ihre Stricke durch das ganze Zimmer aus und hing die wenigen Hemden und Strümpfe ihres Herrn ihm fröhlich überm Kopfe auf, so daß er an solchen Tagen einen Besuch nur in seinem Schlafzimmer empfangen konnte. Auch dieses zeigte vier kahle, ehemals weißgetünchte Wände, der nackte Fliesenboden war selbst im Winter mit keinem Teppich bedeckt, in der großen zweischläfrigen Eisenbettstatt wurden täglich die Linnen abgezogen und die rothe Matratze hoch zurückgeschlagen, und hier saß Signor Muzio, da es an einem Kamin fehlte, selbst in den eisigsten Tramontana-Tagen ohne Feuerung, in seinen großen altmodischen Mantel gehüllt, einen stockfleckigen Livius oder Tacitus auf dem wackeligen Tischchen vor sich, in welchem er selten über eine halbe Seite hinter einander zu lesen pflegte. Da er auch der tröstlichen Gesellschaft einer Cigarre entbehrte, raffte er sich nach den ersten Morgenstunden bald zu einem Gang in die Stadt hinunter auf, wo er entweder in ein Café trat und ein paar Stunden hinter Zeitungen verträumte, oder den Corso auf und ab spazierend, sich die Gesichter in den Carrossen oder die bunten Sachen in den Schaufenstern ansah, von Zeit zu Zeit seufzend, ohne daß ihm irgend ein Grund dazu bewußt gewesen wäre. Pünktlich um Ein Uhr kehrte er wieder nach Hause zurück und machte colazione, die regelmäßig aus einer Schinkenschnitte und einigen Eiern bestand, um Nachmittags das Schlendern, Herumspüren und Seufzen in dem bekannten Stile fortzusetzen, bis die späte Essenszeit herankam. Es ging auch dabei ziemlich frugal und einförmig zu, da Menica nur wenige Gerichte zu bereiten verstand, und wenn andere häusliche Arbeit ihr zu schaffen machte, den »Engel von einem Herrn« unbedenklich auf halbe Rationen setzte. Denn sie war von sehr träger Gemüthsart, gerieth bei der geringsten Zumuthung irgend einer außergewöhnlichen Leistung in eine sittliche Entrüstung über die harte Sklaverei, zu welcher Armuth den Menschen verdamme, und wußte sich Allem, was ihr zu viel däuchte, durch schleunigen Kirchenbesuch und stundenlanges Beichten zu entziehen; dabei vergötterte sie ihren Herrn, hielt ihn sauber und pflegte ihn getreulich bei kleinen Unpäßlichkeiten und bedauerte nur, daß er gar so viel studire und viel weniger Vergnügungen habe, als junge Menschen sich sonst zu gönnen pflegten. Ein giovinotto, wie Signor Muzio, müsse seine Jugend noch genießen.

Daß der vierzigjährige Jüngling hierzu nicht größere Lust bezeigte, ja selbst im schwülsten Sommer kaum auf ein paar Wochen sich zu einem Ausflug in die Berge entschloß, wurde ihm von Manchem als der schnödeste Geiz ausgelegt. Im Grunde aber war ihm das Geld gerade so gleichgültig, wie alle andern irdischen Dinge, die er besaß oder entbehrte, und selbst die Frauen, denen er schon darum eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte, weil er gelesen hatte, daß sein Ahnherr in diesem Punkt nicht geringere Gaben besessen als auf andern Gebieten, beschäftigten ihn nur wie theoretische Probleme, über die er sich in geheimnißvollen Reden und Andeutungen zu ergehen pflegte. Wohl war er ein guter Rechner und sagte sich, daß eine schöne junge Hausfrau ein größerer Luxusartikel sein würde, als wenn er sich gestattete, in einem eleganten Wagen täglich die Corsofahrt auf dem Pincio mitzumachen. Dabei hatte er aber doch eine allzeit offene Hand, wenn etwa arme Verwandte zu ihm ihre Zuflucht nahmen, und zwei alte Tanten, Schwestern seiner verstorbenen Mutter, wurden aufs Anständigste von ihm allein unterhalten. Man hatte also Recht, ihn nach Belieben einen galantuomo zu nennen oder einen Engel, und da er in seinem großen stattlichen Hause ein Leben führte, wie es ein deutscher Tagelöhner nicht mit freiem Willen ertragen haben würde, zumal an Wäschetagen, wo Menica ihn hungern ließ, so geschah es nur, weil er zu sanftmüthig war, um der Alten, die schon seinen beiden Eltern die Augen zugedrückt hatte, ein scharfes Wort zu sagen oder ihr zu entlaufen, um für sein gutes Geld in einer Trattorie sich gütlich zu thun. Er konnte dann mit einem stillen Seufzer sich in sein Schlafstübchen zurückziehen und gegenüber der rothen Cäsarenbüste über den Abstand nachgrübeln, der sein Mahl, aus einem Süppchen, einem Salat und einer halben Flasche Marino bestehend, von den schwelgerischen Gelagen seines Ahnherrn trennte, zu welchen alle Länder um das mittelländische Meer herum ihren Tribut zu liefern pflegten.

Nun geschah es an einem unholden, windigen Dezembertage, daß Signor Muzio, die Nase tief in die Falten seines malerisch umgeschlagenen Mantels getaucht, rascher als sonst seinen täglichen Vormittagsgang den Corso entlang vollbrachte. Er schien mehr eine Pflicht damit zu erfüllen, als ein Vergnügen daran zu finden, und wenn er diesmal dabei seufzte, hatte er auch wohl einen besseren Grund dafür, als sonst. Denn seine Menica hatte, ohne ihn erst zu befragen, auswärtigen Besuch, ein ältliches Ehepaar, mit dem sie weitläufig verwandt war, in seinem einzigen wohnlichen Zimmer einquartiert, so daß er für eine Woche auf die enge Schlafkammer angewiesen war und selbst zu dieser keinen andern Zugang hatte, als durch das Fremdenzimmer. Ein Engel, wie er war, hatte er diese Vergewaltigung ohne Widerrede hingenommen, aber der tausendfach verdünnte Tropfen seines Cäsarenbluts empörte sich im Stillen, und während ihm der scharfe Wind um die julische Nase wehte, hielt er lebhafte aber lautlose Reden gegen das Joch des Weiberregiments, gegen das er fest entschlossen war sich aufzulehnen, sobald die leidige Einquartierung aus dem Hause sei.

So war er bis Piazza Colonna gelangt und überlegte eben, ob er seine Menica nicht empfindlich strafen und – zum ersten Mal seit langen Jahren – selbständig in der trefflichen Birreria Morteo frühstücken sollte, als sein mißmuthig herumirrender Blick auf der Gestalt, eines kleinen Mannes haften blieb, der eben aus einem Farbenlädchen trat, ein großes Packet unter dem Arm. Der Mann war nachlässig ganz in graues Tuch gekleidet, trug einen breitrandigen Künstlerhut und über dem groben Plaid, das er als Mantel um die Schultern geschlagen, fiel ein feiner grauer Bart in zwei Spitzen tief über die Brust herab. Er sah stille vor sich hin und wollte eben vor Signor Muzio vorbei, als dieser ihn sanft beim Arm berührte und mit seiner freundlichsten Stimme nach seinem Befinden fragte.

Man hat Euch ja eine ganze Ewigkeit nicht gesehen, Signor Romolo, fuhr er fort, und Einige wollten sogar wissen, Ihr wäret fortgezogen. Ich – obwohl ich täglich an Euch denke, so oft ich das schöne Bild betrachte, das Ihr von meinem theuren Vater gemalt habt, – wahrhaftig, vor lauter Geschäften hab' ich die Zeit nicht finden können, mich nach Euch zu erkundigen. Thut mir nun den Gefallen, mit mir hier einzutreten und mir bei meiner colazione Gesellschaft zu leisten.

Der kleine graue Mann schüttelte sanft den Kopf, erwiederte aber den Händedruck seines jüngeren Freundes mit besonderer Herzlichkeit. Er werde zu Hause von seiner Tochter erwartet, entschuldigte er sich. Wenn aber Signor Muzio nicht durch eine Verabredung gebunden sei, möge er ihm die Freude machen, ihn zu begleiten und ein Glas Wein mit ihm zu trinken. Sie könnten dabei von alten Zeiten plaudern und – fügte der Alte mit einem räthselhaft schwärmerischen Blick hinzu – auch von neuen Dingen, die noch erlebt zu haben wohl die Mühen und Gebrechlichkeiten des Alters aufwiege.

Muzio, der gewohnt war, sich leiten zu lassen, weigerte sich nicht lange, und so schritten sie neben einander die Straße hinunter, der Alte immer in sich gekehrt, die feinen, etwas verblichenen Züge von einem stillen Glanz verklärt, der zumal aus den großen schwarzen Augen dann und wann mit einer seltsamen Flamme herausschlug, die ganze Erscheinung so auffallend gegen frühere Jahre verwandelt, daß sein Begleiter, so wenig er sich auf Seelenkunde verstand, dennoch zu der Vermuthung kam, etwas sehr Frohes oder sehr Wehmüthiges müsse in der Zwischenzeit den alten Freund seines Vaters betroffen haben. Jetzt zuerst fiel ihm auch auf, daß seit sechs oder sieben Jahren auf keiner der öffentlichen Ausstellungen ein Bild des Alten erschienen war, da er doch sonst alljährlich mit einer großen historischen Staatsaction, am liebsten den Geschichtsromanen d'Azeglio's und Guerrazzi's entnommen, sich hatte sehen lassen. Daß er vor geraumer Zeit seine Frau verloren, war das Letzte, was Signor Muzio von ihm wußte, da er der Verstorbenen selbst das letzte Geleit gegeben hatte. Inzwischen mußte die Tochter herangewachsen sein, und es verlohnte jedenfalls einen Gang, zu sehen, was aus dem artigen Kinde geworden sein mochte.

So gelangten sie in ziemlich einsilbiger Unterhaltung in die Via Margutta, wo das zweistöckige schmale Haus des Alten an der Südseite stand, die Rückwand mit zwei hohen Atelierfenstern dem Monte Pincio zugekehrt. Der Alte bewegte den Thürklopfer, oben an einem offenen Fensterchen erschien ein Mädchenkopf mit einem Paar schwarzer Augen, eine dicke schwarze Flechte fiel über den Fenstersims herab, als sie sich hinausbog, um ihr: Wer ist da? zu rufen. Sofort aber zog sie die Schnur, und der Hausherr ließ seinen Gast über die steinerne Schwelle in einen Flur treten, der, ganz lichtlos, eine schauerliche Kellerkühle ihnen entgegenhauchte.

Wie lange war Muzio diese enge steinerne Treppe nicht mehr hinaufgestiegen! Sie war aber noch genauso trübe, die Wand schwärzlich und hie und da des Bewurfs entkleidet, ja der Abdruck einer mit Oelfarbe getränkten Kinderhand, den er damals bemerkt und mit Recht für eine erste Talentprobe der kleinen Malerstochter gehalten hatte, war in all den Jahren nicht getilgt worden. Wie selten römische Hausbesitzer das Bedürfniß empfinden, den Tüncher in Nahrung zu setzen, erscheint einem Nordländer kaum glaublich. Und hieran hatte auch das neue Regiment, das seit Signor Muzio's letztem Besuch von der ewigen Stadt Besitz ergriffen, nicht das Mindeste geändert.

Wohl aber war mit dem Kinde, das damals seine kleine Hand aus Versehen oder Muthwillen in die Palette ihres Vaters gedrückt und ein Autograph gegen die Treppenwand geklatscht hatte, eine nicht geringe Veränderung vorgegangen. Es trat oben den beiden Männern ein schlankes, reizendes Persönchen entgegen, dessen rothe Lippen und blanke Zähne in der Dämmerung des Corridors sehr lustig leuchteten, während die schwarzen Augen halb zugedrückt mit einem herausfordernden Muthwillen den Fremden von Kopf bis Fuß musterten. Der Alte nickte ihr zerstreut zu, nannte seinem Besucher ihren Namen Caterina und ging an ihr vorbei in das große Hinterzimmer, das zum Atelier hergerichtet war und heut durch sein großes Fenster nur das bleiche Licht eines römischen Regentages empfing.

Auch dieser Raum war geblieben, wie Muzio ihn seit zwanzig Jahren in der Erinnerung hatte. Noch immer standen die drei großen Staffeleien neben einander im besten Licht und eine Reihe alter, mit Leder überzogener Sessel ihnen gegenüber, als ob hier täglich eine ganze kunstrichterliche Jury erwartet würde. Die Spinnweben in den Ecken und am Plafond waren ein wenig grauer und dichter geworden, der grobe Teppich vor den Sesseln hatte seine letzte Farbe verloren, und da in dem großen Kohlenbecken, das mitten im Zimmer stand, die letzte Glut schon lange verglommen war, herrschte auch hier die feuchte Moderluft, die das ganze Haus durchzog und durch den Duft von Oelfirnissen und Terpentin für athmende Wesen nur noch beschwerlicher wurde. Es schien ein Wunder, daß der große, dickverstaubte Lorbeerbaum, der mit einigen anderen immergrünen Pflanzen die eine Ecke am Fenster ausfüllte, in dieser Luft fortzugrünen vermochte.

Der Alte hatte sich, ohne ein Wort zu sprechen, in Hut und Plaid, wie er war, auf einen Sessel geworfen und lud seinen Gast mit einer Handbewegung ein, neben ihm Platz zu nehmen. Wie erstaunte aber Muzio, als er vor die Staffeleien trat und statt patriotischer Schildereien aus dem fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert drei große Gespensterscenen erblickte, die ihn um so unheimlicher befremdeten, da statt der soliden, etwas trockenen, aber nachdrücklichen Manier, in welcher der Alte seine Historien zu malen pflegte, eine verschwommene, unruhig flackernde Behandlung der Formen und Farben eingerissen war, wie wenn die Hand eines Fieberkranken oder Wahnsinnigen den Pinsel geführt hätte. Das alte Talent hatte sich nur noch im ersten Wurf der Composition bewährt.

Sie sind verstummt, sagte der Maler endlich, als Muzio eine volle Viertelstunde regungslos seine Blicke von einer Leinwand zur andern hatte schweifen lassen. Ich sehe mit Vergnügen, daß das Ueberirdische auch auf Ihre Natur, so unvorbereitet Sie auch sind, einen Eindruck macht. Und doch sind dies nur schwache Versuche, etwas zu verkörpern, was eben, weil es körperlos ist, unserer Kunst zu spotten scheint. Wir haben ja auch in unserer groben Sprache kein anderes Wort dafür, als Erscheinungen, während doch der Schein, der unsere Augen trifft, nur der Widerschein eines inneren Lichtes ist, das Geistermacht und himmlische Gnade in unserm geheimsten Innern entzündet. Und doch, wer einmal mit der Ueberwelt in Verkehr getreten, den können die Schattenbilder der Wirklichkeit, mögen sie auch mit den berühmtesten Namen prunken, nicht mehr interessiren. Was war dem Moses der Berg, von dem aus er einen Blick in das gelobte Land thun durfte? Er ließ ihn sich gefallen als unentbehrlichen Stützpunkt, der ihn so hoch erhob, daß er in das versagte Reich seiner Sehnsucht wenigstens mit der Ahnung eindringen konnte. So ist mir meine ganze Historienmalerei Nichts mehr als eine Schwelle vor der halb aufgethanen Pforte der Geisterwelt. Sehen Sie diesen Brutus, dem Nachts im Zelt der gemordete Cäsar erscheint, und diese Artemisia, der ihr verstorbener Gatte Mausolus ans Herz legt, seine Gebeine in dem erhabensten Grabmal aller Zeiten zu verschließen. Die irdischen Figuren würden mich schwerlich je zu einer künstlerischen That begeistert haben, – ein Vatermörder und eine trauernde Wittwe, von der wir im Guten und Bösen nicht viel wissen. Daß sie aber gewürdigt wurden, eine Stimme von drüben zu vernehmen und sogar die Züge ihrer Abgeschiedenen wieder zu schauen, das macht sie mir bedeutend. Das dritte Bild –

Er verstummte plötzlich, als wollte er die Wirkung dieser dritten phantastischen Leinwand durch kein Hineinreden stören. Auch war eine Erklärung in der That nicht vonnöthen. Vor der Staffelei, in Lebensgröße, die kleine, hagere Figur ganz in Grau gekleidet, sah man den Maler selbst sitzen, in der Geberde höchster Spannung und Verzückung, der, wie man an der zu Boden gefallenen Palette erkannte, ein schauderndes Erschrecken vorangegangen war. Die großen schwarzen Augen starrten aus dem Bilde heraus, mit einem scheuen, ehrfurchtsvollen Ausdruck, als ob sie trotz der lebhaftesten Begierde sich nicht zu der Gestalt zu erheben wagten, die soeben im Rücken des Sitzenden dicht an die Lehne des Sessels herangetreten war und mit einem Finger ihrer durchsichtigen Hand seine Schulter berührte. Der Raum, der die Figuren umgab, war von einem helldunklen Schleier übersponnen, durch welchen nur die Silhouette des Lorbeers schwach hindurchschimmerte, um über das Local, wo der Spuk erschienen, keinen Zweifel zu lassen. Muzio erkannte auf den ersten Blick die Züge der Signora Emilia, der verstorbenen Gattin seines alten Freundes. In ihrem verklärten Zustande freilich war das gutmüthige, sehr wenig geistvolle Gesicht zu einer ernsten, mystischen Schönheit gereift, während die bläulichen Flämmchen, die alle Glieder umspielten, die behagliche Fülle weggezehrt hatten, deren die gute Dame im Leben sich erfreute. Sie blickte mit einer rührend zärtlichen Neigung des Hauptes auf ihren gealterten Mann und schien eben die Lippen zu öffnen, um ihm ein Trostwort zuzuhauchen. In der Ecke des Bildes sah man ein Hündchen mit gesträubtem Fell und weit aufgerissenem Maul die in geisterhaftem Duft schwebende Gestalt anstieren, nicht viel anders, als wenn sich eine fremde Katze in das Atelier geschlichen und den kleinen Gesellen in seinem Hausrecht bedroht hätte.

Haben Sie das wirklich erlebt, Signor Romolo? brachte Muzio endlich stotternd über die Lippen.

Der Maler antwortete nicht sogleich. Er stand auf, warf mit einer Heftigkeit, als ob es ihm plötzlich zu schwül würde, Hut und Plaid ab und ging, die Hände auf dem Rücken haltend, eine Weile im Hintergrunde des Zimmers auf und ab. Dann kam er wieder zum Fenster zurück und stellte sich dicht neben seinen Besucher, vermied es aber, ihm ins Gesicht zu sehen. Muzio betrachtete ihn mit wachsender Theilnahme. Er glaubte ein solches Menschengesicht nie gesehen zu haben, soviel Milde, Zartheit und schwärmerische Glut war über Stirn und Augen und den bleichen Mund verbreitet.

Ja, mein Freund, hörte er ihn endlich mit einem Seufzer sagen, es giebt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen weder die blödsichtige materielle Philosophie unseres Jahrhunderts, noch die erhabene Weisheit aller Apostel und Kirchenväter sich etwas träumen ließ. Seit ich davon Gewißheit erlangt habe, ist mein Leben verwandelt, mein ganzer innerer Mensch wie in einen Strom getaucht, der unverwundbar macht. Ich gestehe, daß ich früher empfindlich war gegen die kleinen Leiden des Lebens, daß es mir böse Nächte machte, wenn ein Bild von mir nicht verkauft, meine besten Inspirationen von mißgünstigen oder ignoranten Zeitungsschreibern verkannt wurden. Jetzt ist ein ewiger Friede in mir. Ich lebe nicht mehr für eine sichtbare Welt, sondern für eine unsichtbare, in welcher selbst die Kunst nicht mehr Würde und Werth hat, als insofern sie die Schatten unserer Träume festzuhalten sucht. Ich weiß nicht, wie viel Ihr von den spiritistischen Geheimnissen gehört habt, die jetzt offenbar zu werden beginnen, und gleich denen des Evangeliums den Weisen eine Thorheit und den Thoren ein Aergerniß sind. Auch liegt es mir fern, Euch einen Glauben aufdrängen zu wollen, zu dem Ihr nicht vorbereitet wart. Aber wie ich Euch vorhin begegnete, glaubte ich auf Eurem Gesicht den Ausdruck einer inneren Unbefriediguug zu lesen, als fändet auch Ihr kein Genüge mehr an den Mühen und Freuden dieser sinnlichen Welt und hättet ein Heimweh nach höheren Erkenntnissen. Sagt es frei heraus, wenn Ihr mich für einen wahnwitzigen Phantasten haltet, der Euch mit leeren Hirngespinsten langweilt. Ihr braucht Euch dann nicht wieder zu erinnern, daß in der Via Margutta ein alter Freund Eures Vaters wohnt, und mögt, was Ihr hier gesehen und gehört, vergessen oder gegen Andere darüber spotten: meine innere Gewißheit und meine Gesinnungen für Euch bleiben darum die alten.

Muzio hatte diese Bekenntnisse in einer wunderlichen Gemüthsverfassung mit angehört. Er brachte es nicht übers Herz, dem Alten zu gestehn, daß der Ausdruck von Unbefriedigung in seinem Gesicht keinen tieferen Grund gehabt, als den Unmuth über seine häuslichen Unbequemlichkeiten, und keine höhere Sehnsucht seine Seele erfüllt habe, als das Verlangen nach einem Frühstück. Doch war er eine zu redliche Natur, um einen Glauben zu heucheln, von dem er keinen Hauch in sich verspürte. Er ergriff daher den Ausweg, dem alten Geisterseher zu erwiedern, all diese Dinge seien ihm bisher ziemlich fremd geblieben, und es werde ihm höchst erwünscht sein, endlich einmal von einem Eingeweihten nähere Kunde vom Zwischenreich und anderen überirdischen Dingen zu vernehmen.

Doch ehe Signor Romolo, durch diese bescheidene Wißbegier offenbar erfreut, sich darauf einlassen konnte, sie zu befriedigen, öffnete sich die Thür und die blühende junge Wirklichkeit trat in den Zauberkreis herein und verscheuchte sofort alle Gespensterstimmung. Das schlanke Caterinchen trug auf einem zinnernen Brett eine strohumflochtene rundbäuchige Flasche, ein paar Gläser, einen Teller mit Brod und einfachem Ziegenkäse und einen anderen mit dunkelrothen vollreifen Mandarinen. Das stellte sie auf ein Seitentischchen vor einem alten Ledersopha, wo ihr Vater seine Siesta zu halten pflegte, wischte mit ihrem Schürzchen den gröbsten Staub von der Decke, hustete ein wenig und sagte: Da ist die colazione, Babbo! Dann, den Fremden nur mit einem raschen Blitz ihrer halb zugedrückten Augen streifend, verließ sie gleichmüthigen Ganges das Zimmer.

Doch hatte Muzio jetzt, in dem helleren Lichte des Ateliers, genug von ihrer reizenden Person gesehen, um sie viel interessanter zu finden, als die Geistergestalt ihrer Frau Mutter und selbst den Schatten seines eigenen Ahnherrn, der freilich in der bengalischen Beleuchtung durch Signor Romolo's Kunst mehr seinem letzten Enkel glich, als einem großen Geist. Er hätte sehr gern dem Mädchen ein artiges Wort gesagt und sie zum Bleiben aufgefordert; doch war sie hinausgeschlüpft, ehe er die Lippen öffnen konnte. Auch fiel es ihm auf, daß die Stirn des Vaters sich bei ihrem Eintritt ein wenig umwölkt hatte.

Wie das Kind schön geworden ist! warf Signor Muzio hin. Ihr müsst doch viel Trost und Freude an solch einer Tochter haben.

Der Alte zuckte die Achseln. Kommt und trinkt ein Glas Wein mit mir, sagte er ausweichend. Wir sind nun doch einmal gestört worden, der Zauber ist gebrochen; in der Nähe von irdischer Speise vermag ich nicht von höheren Dingen zu reden. Meine Tochter, sagt Ihr? Hm! Sie ist nicht übel, so viel davon in die Sinne fällt, und auch sonst kein böser Tropfen in ihrem Blut, nur ihre ätherischen Elemente leider verkümmert oder noch nicht herangereift. Sie hält ihren alten Papa für einen Narren, und daß sie auf seine Bemühungen, ihr den Sinn zu eröffnen, nicht mit lautem Lachen antwortet, verdanke ich nur dem bischen kindlicher Zucht, in der ihre Mutter sie auferzogen. Im Herzen hat's gekichert, davon bin ich überzeugt. Aber so kostet doch den Wein; er ist von einer Vigne in Genzano, deren Besitzer ich vor Jahren porträtirt habe. Wollt Ihr nicht auch mein frugales Mahl theilen? Ich bin Vegetarianer; die gröbere Fleischkost ist nur ein Ballast, der unsern Aufschwung in die oberen Regionen hemmt.

Sie saßen an dem Tischchen nieder, Muzio immer noch in Gedanken mit den schwarzen Augen beschäftigt.

Sie kann nicht über achtzehn sein! sagte er plötzlich, wie zu sich selbst.

Neunzehn wird sie im nächsten April. Eine flinke und geschickte Haushälterin, das muß der eigene Vater ihr nachrühmen, sonst aber – ein kleiner, grillenhafter Weiberkopf, wie die Meisten, kein Zug von ihrer Mutter, die eine höhere Natur war, fast eine Dichterin, obwohl sie nie Verse gemacht hat. Wenn sie noch da wäre, meine Emilia – aber ist sie denn nicht noch da? – und er warf einen scheuen Blick nach der dritten Staffelei. Basta! Ich will dem Kinde nichts Uebles nachreden. Wir sind, wie wir sein sollen, nach dem Willen Gottes.

Ihr werdet sie doch vermissen, wenn sie sich einmal verheirathet.

Der Alte sah vor sich hin. Ich bin kein schlechter Vater, sagte er achselzuckend. Aber es ist seltsam, wie wenig ich der Menschen bedarf, seitdem ich andere Gesellschaft gefunden habe. Wenn das Kind nur glücklich wird – doch das ist eben die Sache. Ich bin nicht reich genug, um sie bloß nach ihrem Herzen versorgen zu können. Da war hier ein junger Mensch im Haus, der hatte sich unter uns im ersten Stock eingemiethet, unter dem Vorwande, er brauche ein großes Zimmer mit Nordlicht, da er zu seinem Vergnügen Aquarell male. Eigentlich war er ein kleiner Beamter im Kriegs-Ministerium, ein hübscher Bursch, auch so weit ganz wohlerzogen, und lebte von seinem geringen Gehalt recht solide und anständig. Der hatte ein Auge auf die Caterinuccia geworfen, und sie auf ihn, und sie hatten ein Einverständniß lange ehe ich's merkte. Dann hielt er in aller Form bei mir an um das Mädchen, aber es war ein reiner Unsinn, und ich mußte ihn ersuchen, seine Wohnung zu wechseln und sich die Sache aus dem Sinn zu schlagen.

Und Caterina? Ist es ihr sehr nah gegangen?

Sie hat mir unter einem kleinen Thränenschauer gesagt: babbo, ich kriege ihn doch noch einmal; alle deine Gespenster sollen ihn mir nicht streitig machen! Und dann hat sie gleich wieder gelacht, und geht seitdem herum, als ob Nichts passirt wäre. Ein rechter Kindskopf. Und wahrlich, ein vernünftiger, fester und braver Mann thäte ihr Noth. Denn sie ist nur für irdische Glückseligkeit geschaffen, zu der aber hätte sie Talente in Fülle. Nehmt von diesen Mandarinen. Sie sind reif und süß.

Signor Muzio stand auf. Ich muß nach Hause, sagte er; meine Geschäfte erwarten mich. Wenn Ihr mir aber wiederzukommen erlaubt –

Mein lieber junger Freund, entgegnete der Alte, ich will Euch einen Vorschlag machen. Ich sehe, daß Ihr von Denen seid, die feinere Organe haben und genug innere Stille, das Wehen des Geisterathems zu vernehmen. Und da ich Euch zugethan bin, schon um Eures Vaters willen, möchte ich Euch all des überschwänglich Guten theilhaftig machen, was ich selbst seit vier Jahren genieße. So lange nämlich bring' ich all meine Abende im Hause einer alten Freundin zu, die eines der feinsten und begnadigtsten Medien ist, von denen man überhaupt weiß. Wir leben da in einem kleinen, auserwählten Kreise einige Stunden in Genüssen und Erhebungen der Seele, wie sie kein irdischer Zeitvertreib, kein Theater und Concert und selbst die Gesellschaft einer Geliebten nicht zu gewähren vermag. Wenn es Euch recht ist, hole ich Euch heute Abend gegen acht Uhr ab und führe Euch in jenem Hause ein. Ihr werdet es nicht bereuen, und sollte es Euch wider Erwarten dort nicht gefallen, seid Ihr Herr, kein zweites Mal zu kommen. Auf Wiedersehen also! Ich möchte fast das Wort unseres Meisters und Trösters brauchen: Hodie eris mecum in paradiso.

Er schüttelte ihm die Hand und begleitete ihn bis an die Thüre des Ateliers. Draußen im dunklen Corridor stand Muzio einen Augenblick still. Er hörte aus einer Seitenthür eine frische Mädchenstimme eine jener Strophen singen, die im Gebirge von Mund zu Mund gehen. Die Worte verstand er nicht alle; nur daß von lustiger Liebe darin die Rede war. Die Melodie aber begleitete ihn bis nach Hause und zerflatterte erst vor seinem Ohr, als seine Menica ihm die Thür öffnete und mit dem scharfen Ton einer Mutter, die ihrem leichtsinnigen Sohn das Herumstreifen auf der Gasse abgewöhnen möchte, fragte, warum Signor Muzio heut eine Stunde später als sonst zum Frühstück komme.

Er fand es nicht nöthig, zu beichten, wo er diese Stunde zugebracht. Zum ersten Mal kam ihr verwittertes, dunkelbraunes Gesicht ihm garstig vor, ihre Stimme rauh und unlieblich. Wie er das fremde Paar erblickte, das sich in seinem Wohnzimmer neben einem improvisirten Bette häuslich eingerichtet hatte und sehr zwanglos Toilette machte, entschuldigte er sich weniger höflich, als er sonst wohl gethan hätte, daß er genöthigt sei, sie zu stören, da sein Zimmer keinen eigenen Eingang habe, und riegelte sich dann in dem Schlafkämmerchen ein. Menica's Fragen, ob sie die colazione bringen solle, beantwortete er nur durch die Thür mit einem trockenen Nein!, hörte dann aber in stillem Ingrimm mit an, wie das fremde Ehepaar sich das für ihn Bestimmte und noch etwas darüber ganz unbedenklich schmecken ließ. Bald aber fielen all diese kleinen Aergernisse von ihm ab, als ob ein Hauch des Geisterfriedens, den der Alte sich nachgerühmt, auch seine Seele schon überschauerte. Er öffnete die Glasthür seines Balkons und stellte einen Stuhl in die trübe Winterluft hinaus. Da saß er mehrere Stunden lang, den Blick in das kleine Hausgärtchen versenkt, wo ein paar riesige Kamellienbäume ganz voller Knospen standen und ein melancholisches Springbrünnchen einen hektischen Wasserstrahl zwei Spannen hoch in die Luft spritzte. Was ging ihm Alles durch den Sinn in dieser sonnenlosen Beschaulichkeit? Seine vierzig Jahre? Sein müßig freudloses Leben? Seine Verpflichtung, das Geschlecht des großen Julius nicht erlöschen zu lassen? Geisterstimmen, die einen säuselnden Chorus bildeten zu dem unschuldig-süßen Gesang einer jungen Menschenkehle?

Ueber solchem Grübeln verging der Tag, und obwohl der trübe Himmel sich zu einem scharfen Regenwetter anließ, fand Signor Muzio doch so viel Muth und Charaktergröße, die Aufforderung der Alten, in Gesellschaft des fremden Ehepaars die abendliche Hauptmahlzeit einzunehmen, mit der trockenen Bemerkung abzulehnen, er werde mit einem Freunde im Café speisen. Als er von dieser Ausschweifung schon um halb acht wieder nach Hause kam, war die Einquartierung nicht anwesend; eines der kleineren Theater hatte ihren Abend in Beschlag genommen. Statt ihrer erwartete ihn Signora Menica mit einer schönen, wohlpräparirten Rede. Sie fand es hohe Zeit, ihrem giovinotto, wie es über die Stränge schlagenden jungen Leuten zuweilen dienlich ist, den Kopf zu waschen und zurechtzusetzen. Kaum aber hatte sie davon angefangen, wie höchst verwundert die Fremden seien, daß Signor Muzio, der als ein galantuomo bekannt sei, ihnen so wenig Höflichkeit bezeige, ja merken lasse, daß ihr Besuch ihm eher unbequem, als eine Ehre sei, – als er ihr das Wort durch die nachdrückliche Bemerkung abschnitt: der Hausherr habe gegen Gäste, die er nicht geladen, durchaus keine Verpflichtung. Sie möge thun, was ihr beliebe, und ihn thun lassen, was ihm genehm sei. Er sei alt genug, um sich jede Bevormundung verbitten zu dürfen.

Damit ging er schnurstracks in seine Kammer, schob wieder den Riegel vor und trat, während die Getreue ihm entgeistert nachstarrte, vor die rothe Ahnen-Büste, mit dem Bewußtsein, heute mehr als sonst des großen Namens, den er trug, sich würdig gezeigt zu haben.

Um acht Uhr pochte es an seiner Thür. Mit etwas kleinlauter Stimme meldete Menica, ein alter Herr wünsche ihn zu sprechen. Sie hatte den Maler so lange Jahre nicht mehr gesehen, daß er ihrem Gedächtniß entschwunden war. Nun sah sie mit neuem Erstaunen, daß der späte Besucher ihren Herrn zu einem ungewöhnlichen Gang abholte, ohne daß dieser sie einer Aufklärung würdigte. Auf die Frage, wann er nach Hause kommen werde, erhielt sie nur den unzulänglichen Bescheid, sie möge nicht auf ihn warten.

Der Alte, sobald sie auf der Straße waren, hing sich unter dem Schirm seines Begleiters an dessen Arm und sagte, immer in seinem gedämpften Ton: Ich muß Euch nun zunächst Aufschluß darüber geben, wohin ich Euch führe und was Euch dort erwartet. Lange ehe ich meine Emilia kennen lernte, war ich sterblich verliebt in ein junges Mädchen, das unserm Hause gerade gegenüber wohnte, ein echt römisches Vollblut-Gesicht und die schönste Gestalt unter der Sonne. Sie wollte mir auch nicht wenig wohl, wir waren bis zum Tausch von Briefen, Haarlocken und Ringen gekommen, da bewarb sich plötzlich ein Anderer um sie, der mehr Quattrini besaß und eine bessere Carrière vor sich hatte, während ich – damals noch ein namenloser junger Leinwandverderber – kurz, Signor Marcello Venusti heirathete mir das gute Geschöpf, das arm war wie ein Engel des Himmels, vor der Nase weg, und ich hörte viele viele Jahre kein Wort mehr von ihr, außer daß ihr Mann eine einträgliche Anstellung in irgend einem päpstlichen Bureau bekommen hatte und endlich sogar seinem Namen ein »Cavaliere« voransetzen durfte. Ich selbst war auf andere Weise, wie Ihr wißt, entschädigt worden, und die Jugendflamme hatte kein Fünkchen in der Asche zurückgelassen. Da begegnet mir – es mögen nun drei Jahre sein – das einige Italien war eben gegründet und unser theures Rom zu seiner Hauptstadt erklärt worden – ich also wandelte eines Nachmittags nach der Farnesina hinunter, um mir wieder nach allem modernen Kram eine Herzstärkung bei dem göttlichen Rafael zu holen – plötzlich seh' ich eine Dame, die auf mich zu kommt, quer über den Platz der Rotonda. – Virginia! ruf' ich und bleibe wie angepfählt stehen, – Signor Romolo! erwidert sie – und wir starren uns wohl fünf Minuten in die Augen. Sie war natürlich sehr verändert, aber der klassische Umriß ihres Gesichts und ein gewisses gebieterisches Aufschlagen der Wimpern brachte mir die alte Zeit sofort wieder zurück. Nun erzählte mir das arme Wesen Dinge, die all meine alte Sympathie wieder aufregten. Ihr Mann, der Cavaliere, hatte bei dem neuen Regiment seine Stelle verloren. Sie lebten sehr zurückgezogen und eingeschränkt, Signor Marcello werde durch ein Magenleiden gepeinigt und sei nicht mehr der sanfte, ritterliche Charakter, wie einst; sie selbst habe ihre Gesundheit – und man sah es ihr wohl an – über allem Unglück eingebüßt, ihr einziger Trost sei ihr Sohn Carluccio, der die herrlichste Tenorstimme von der Welt habe und sich für die Oper ausbilde, was freilich fast unerschwingliche Opfer fordere; und so noch eine Menge intimer Mittheilungen, mit denen ich Euch verschone. Denselben Abend noch besuchte ich die alte Freundin, fand sie leider in der dürftigsten Umgebung, ihren Mann noch widerwärtiger, als er mir in unserer Rivalen-Zeit erschienen war, dazu mit einem bedenklichen Hang, sein Magenleiden durch allerlei Liqueure und starke Weine zu curiren; den jungen Sänger zwar bildschön, aber von der lächerlichsten Eitelkeit besessen und ein Weiberheld der windigsten Sorte. Ihr werdet begreifen, daß ich die Pflicht fühlte, der theuren Frau nach Kräften beizustehen, ohne jegliches eigene Interesse. Dies aber sollte mein Glück werden. Denn eines Abends, nachdem wir zufällig längere Zeit von Geistererscheinungen und dem Mirakelbüchlein des amerikanischen Spiritisten Davis geplaudert hatten – es waren noch ein paar Hausfreunde zugegen, und der Cavaliere hatte uns mit seiner nach Absynth duftenden Gesellschaft verschont, – auf einmal kam meine Freundin mit dem schüchternen Geständniß heraus, sie habe schon öfters Visionen gehabt, und wenn es wirklich sogenannte Medien gäbe, so fürchte sie, ein solches zu sein.

Ich lachte sie freundlich aus, da ich die ganze Geisterwirthschaft für einen gräulichen Humbug hielt; sie aber blieb ganz ernst, und Einer aus der Gesellschaft machte den Vorschlag, es sogleich einmal mit dem berüchtigten Tischklopfen zu versuchen.

Von diesem Abend datirt eine neue Epoche in meinem Leben. Kein Tag ist seitdem vergangen, der nicht durch ein Zwiegespräch mit höheren Wesen seine Weihe bekommen hätte. Im ganzen Gebiet der heiligen und Profangeschichte ist kaum Ein bedeutender Name, den wir nicht citirt hätten, und wenn Alles aufgeschrieben wäre, was wir in diesem Verkehr an denkwürdigen Aufschlüssen gewonnen haben, würde eine neue, mindestens zehnbändige Weltgeschichte vorhanden sein. Die Geister selbst aber wünschen das nicht. Wir haben einmal Tacitus selbst gefragt, ob wir seine Berichte über allerlei geheime Geschichten der Kaiserzeit nicht als Ersatz für seine verlorenen Bücher veröffentlichen dürften. Er wollte nichts davon wissen. Man glaube heutzutage, durch eine hochmüthige Kritik verblendet, schon dem geschriebenen Zeugniß zu wenig, diese Welt voll Zweifler, die das Härchen im Ei suchen, verdiene es nicht, noch mehr Stoff zu höhnischen Widerlegungen, Rettungen und Verdächtigungen zu erhalten. Nicht anders hat auch Herodot sich ausgesprochen.

Alles durch den klopfenden Tisch?

Natürlich, lieber Freund! Mit unserm abgekürzten Alphabet können wir uns jetzt so rasch und sicher verständigen, wie Taubstumme mit ihrer Fingersprache. Ihr werdet es heut erleben, daß ein Irrthum unmöglich ist.

Aber wie in aller Welt könnt Ihr wissen, daß wirklich der gerufene Geist erscheint und keine Täuschung mit unterläuft? daß Ihr nicht nur hört, was Euer eigener Geist Euch vorphantasirt?

Ich erwartete diese vorsichtige Frage, sagte der Alte ruhig. Ich selbst habe sie gestellt in jener ersten Zeit, die ich mein Geister-Noviziat nenne. Darauf ist mir die Antwort geworden, daß, wenn wir unsere Sitzungen stets mit einem aufrichtigen Gebet zu dem allmächtigen Gott beginnen, er möge uns nur einen wahrhaftigen Geist senden, wir gegen jede Täuschung geschützt sein würden. Denn es ist ein Gott, mein junger Freund, was auch die Gottlosen und Ueberweisen dieser Tage sagen mögen, und er ist der Herrscher über alle Geister. Gleichwohl, wie er im Leben das Böse zuläßt, so läßt er auch zu unserer Prüfung den Zufall und absichtlichen Betrug walten, und mehr als einmal hat einer der niederen lügnerischen Geister sich in unseren Kreis eingeschlichen und uns den haarsträubendsten Unsinn aufbinden wollen. Dies geschieht fast immer, sobald Signora Virginia durch ein häusliches Geschäft oder einen uneingeweihten Besuch auf kurze Zeit abgerufen wird. Hernach gesteht uns dann der echte Geist, den wir angerufen, daß er durch einen falschen und schadenfrohen verdrängt worden sei und ihn nun wieder bezwungen habe, nachdem er durch die Nähe der geistigsten Natur unter uns neue Kraft gewonnen. O mein Theurer, fuhr er fort, indem er einen Augenblick stehen blieb, als ob der Gedanke an so Erhabenes ihm den Athem beklemme, wie beklage ich Alle, die nur in der sichtbaren Welt ihr gedankenloses Dasein fortspinnen, ohne zu ahnen, was auf Schritt und Tritt sie wie mit ätherischen Flügeln umweht. Denn die Geister der Geschiedenen sind keineswegs auf irgend einen entlegenen Raum beschränkt, wie die alten Dichter und selbst unsere heiligen Bücher noch uns glauben machen wollen. Homer hat uns selbst gestanden, daß er sehr bedauere, durch den Gesang der Odyssee, der im Hades spielt, eine falsche Vorstellung von der Ueber- oder Unterwelt verbreitet zu haben. Und die alten Götter selbst –

Wie? Auch mit den olympischen Gottheiten habt Ihr gesprochen? Nun, mein verehrtester Freund, da müßt Ihr mir schon erlauben, den Thomas zu spielen. Nimmermehr werdet Ihr meine Ueberzeugung erschüttern, daß Jupiter und Juno, Venus, Mars und wie sie alle heißen mögen, Erfindungen der Poeten oder, wie man jetzt sagt, der dichtenden Volksseele seien und nie gelebt haben.

Nie gelebt haben? erwiderte der Alte sanft, ohne sich im Geringsten empfindlich zu zeigen. Je nun, wie man es nimmt. Als Götter haben sie freilich nie gelebt, denn es giebt nur Einen Gott. Aus ihrem eigenen Munde aber wissen wir es besser. Nichts anderes sind sie gewesen, als Menschen, wie wir, nur mit ungemeinen Gaben, höchstem Verstande, staunenswerther Kraft, Schönheit und Macht über die Gemüther ausgestattet und sammt und sonders das, was wir heutzutage Medien nennen, darum befähigt, Geheimnisse der Natur und des Schicksals zu verstehen, die den gewöhnlichen Sterblichen verhüllt blieben. Wie dann auch sie dem Gesetze alles Irdischen unterlagen, sind sie von den dankbaren Menschen, die damals noch wundersüchtiger und glaubensfroher waren, vergöttert und als übernatürliche Wesen verehrt worden! Ecco, mein Freund! Da habt Ihr den Schlüssel der ganzen Mythologie.

Muzio ging eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er:

Wenn Ihr es so erklärt – ich komme aus einem Staunen ins andere – und sagt, Ihr habt Euch wirklich mit ihnen unterhalten? Mit Venus z. B. und den Grazien?

Die letzteren haben wir zufällig nie citirt. Venus aber mehr als einmal. Man hat mir großes Unrecht gethan, äußerte sie sich, und Alles, was man an leichtfertigen irdischen Weibern tadelnswerth und gefährlich findet, mir auf den Leib gedichtet. Ich bin nichts gewesen, als die schönste Frau, die jemals auf Erden wandeln durfte, und natürlich hat meine Schönheit, gerade weil sie mit Tugend gepaart war, viel Unheil angerichtet, denn dem großen Künstler und Erzbildner, der mich heimführte, bin ich zeitlebens treu geblieben, obwohl ein berühmter Feldherr leidenschaftlich nach meiner Gunst gestrebt hat. Weil aber die Menschen eine solche Ehrbarkeit nach ihrer eigenen schwachen Natur unbegreiflich finden mochten, haben sie die unehrbaren Fabeln von meinem Verhältnisse zum Gott des Krieges in Umlauf gebracht. So hat sie uns auch für all die schlüpfrigen Mythen, in denen sie sonst noch eine Rolle spielt, eine ganz plausible Erklärung gegeben und das berühmte Sonett des Filicaja an Italien citirt, da die Worte auch auf sie paßten:

O tu cui feo la sorte
Dono infelice di belleza ...

und wie es dort weiter heißt:

Deh fossi tu men bella, o almen più forte! O du, der das Geschick
Der Schönheit unheilvoll verliehen …
Ach, wärst du wen'ger schön doch, oder stärker! …

Per Bacco, Verehrtester! unterbrach ihn Muzio, das übersteigt allen Glauben! Venus, die den Filicaja gelesen hat?

Ihr sollt noch an Unerhörteres glauben lernen, versetzte der Alte mit dem milden Lächeln reifer Ueberlegenheit. Was werdet Ihr zum Beispiel dazu sagen, daß Christus mit großem Interesse die Entwicklung seiner Kirche verfolgt und sich um alle Streitereien und dogmatischen Quisquilien der Scholastiker bis hinauf zum Altkatholicismus bekümmert hat?

Unsinn! Verzeiht, werther Freund! aber ehe ich glaube, daß der Sohn Gottes sich auf solche Thorheiten einläßt –

Und doch seid Ihr als guter Christ überzeugt, daß sein göttlicher Vater sich um jedes Haar auf Eurem Haupte bekümmere. O, mein Theurer, wie widerspruchsvoll ist der Glaube und Unglaube Derer, deren Geist in ihre Hirnschale wie in eine Kerkerzelle eingeschlossen ist, in der sich kein Pförtchen öffnet, um anderen Besuch einzulassen, als den ihre fünf Sinne ihnen zuführen! Aber lassen wir jetzt allen Streit. Ihr werdet selbst hören und prüfen und mögt dabei, so sehr Ihr könnt, auf Eurer Hut bleiben gegen alle Täuschung. Viel verstocktere Skeptiker, als Ihr, haben der Macht der Wahrheit nicht widerstehen können. Daß Ihr Euerm Unglauben nicht in offenem Spotte Luft macht, so lange Ihr unter Andächtigen verweilt, brauch' ich Euch nicht erst ans Herz zu legen. Ihr seid ein Galantuomo. Und übrigens, hier stehen wir an der Schwelle. Favorisca, Signor Muzio!

Mit diesen Worten lud er ihn ein, in die offene Thür eines düsteren alten Hauses zu treten, das in einer der Nachbarstraßen des Pantheonplatzes lag.

Oben im dritten Stock öffnete ihnen auf ihr Klopfen ein halbwüchsiges, scheu und hungrig aus den gerötheten Augen blickendes kleines Mädchen die Thür. Auf die Frage des Alten, ob die Gesellschaft schon beisammen sei, nickte sie nur mit dem Kopf und verschwand, ohne sie weiter zu geleiten, in einer räucherigen Küche, wo sie bei einem trüben Oellämpchen ihre Arbeit neben dem erloschenen Herde wieder in die Hand nahm.

Eine arme Waise, die das gute Herz meiner Freundin nicht auf der Straße hat verkommen lassen wollen, sagte der Maler halblaut. Sie hilft nun ein wenig im Haushalt. Was eine geschicktere Dienerin kosten würde, geht leider für die Arzeneien auf, mit denen Herr Marcello sein »Magenleiden« behandelt.

Er öffnete die Thür des mittleren Zimmers und trat vor seinem Begleiter ein.

Muzio hatte Mühe, in dem Zwielicht, das sie empfing, sich zurechtzufinden. Von der Decke herab hing eine große runde Ampel aus gebräuntem, fleckigem Alabaster, in welcher ein Kerzenstümpschen flackerte. Darunter stand ein mäßig großer runder Tisch, mit Rohrstühlen umstellt; zur Linken auf einem niedrigen Sopha hatte ein stattliches Paar sich niedergelassen, eine Dame von etwa vierzig Jahren, deren Reize noch ziemlich jugendlich erschienen, Dank einer nicht unlieblichen Wohlbeleibtheit, die in dem runden, an Bernini's Engelsköpfe erinnernden gutmüthigen Gesicht keine vorzeitigen Falten und Furchen aufkommen ließ. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid von etwas veraltetem Schnitt, ein Flortuch um die entblößten runden Schultern, darüber eine goldene Kette, mit deren dicken Ringen ihre weiße Kinderhand beständig spielte. Dabei ließ sie gern ihre Zähne sehen, die klein und regelmäßig waren, wie in einem Puppenkopf, und ihre zärtlichen grauen Augen gingen ruhelos hin und her. Sie mußte in ihrer Jugend schönes blondes Haar besessen haben, dessen Verlust sie jetzt durch einen hochgethürmten Wulst falscher Flechten zu ersetzen suchte.

Der Mann neben ihr, lang und hager, das dunkle Gesicht ganz glatt rasirt, die scharfen Züge noch von jugendlicher Lebendigkeit, während das krause Haupthaar stark angegraut war, hielt in seiner Kleidung die Mitte zwischen priesterlicher Würde und der Eleganz eines Weltmannes. Er war in leisem Gespräch mit seiner Nachbarin begriffen, wobei er häufig seine unförmlich große Nase in ein kleines goldenes Döschen steckte, ohne daraus zu schnupfen. Was er sagte, schien mehr weltlichen als geistlichen Inhalt zu haben. Wenigstens lachte die blonde Dame ein paar Mal verstohlen und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

Der Alte hatte noch auf der Treppe es sich angelegen sein lassen, den Neuling auf die Gesellschaft vorzubereiten, die er in diesem Hause finden würde. Zu den Eingeweihten gehöre vor Allen eine gewisse Gräfin Ildegonda Santini, die seit zehn Jahren von ihrem Gatten verlassen worden sei, nachdem er ihr, der Bürgerlichen, ansehnliches Vermögen zum guten Theil durchgebracht habe. Sie wohne im ersten Stockwerk desselben Hauses, über ihren Wandel, seit ihrer Strohwittwenschaft, gingen allerlei Gerüchte um, doch könne man ihr nichts Schlimmeres nachsagen, als eine nun schon mehrere Jahre dauernde Freundschaft mit einem Weltgeistlichen, der plötzlich, man wisse nicht woher und zu welchen Zwecken, in Rom aufgetaucht sei, von Böswilligen für einen Spion der Jesuiten oder heimlichen Agenten des Vatikans verschrieen werde, übrigens Niemand im Wege sei oder zur Last falle. Er selbst – Signor Romolo – habe in diesem Don Eusebio, wie er genannt werde, einen Mann von großer Gelehrsamkeit und insbesondere tiefen Einsichten in die übersinnliche Welt schätzen lernen.

Einen dritten Habitué würden sie noch antreffen, einen verabschiedeten Kapitän von der päpstlichen Armee, der bei der Vertheidigung der Stadt gegen die italienischen Truppen an der Porta Pia verwundet worden sei, seitdem mit einer mäßigen Pension lebe und außer der spiritistischen Abendunterhaltung nur noch Einer Leidenschaft fröhne, seinem Haß gegen das neue Italien, dem er in Kraftreden und heftigen Prophezeiungen eines baldigen Umsturzes Luft zu machen pflege. Man lasse ihn reden, weil man hier bessere Dinge zu thun habe, als Politik zu treiben. Sein Name sei Achille Cornacchia; hier aber werde er nur »der Kapitän« genannt.

Bei ihrem Eintritt erhob sich in der Fensternische, wo er der Herrin des Hauses gegenüber gesessen hatte, ein Herr von gewaltigem Wuchs in einem dunklen Paletot, der bis hoch an den Hals zugeknöpft war, so daß kein Streischen Weiß darüber hervorblickte. Ein derber Kopf, völlig kahl, saß auf breiten, stark gewölbten Schultern, das Untergesicht war unter einem dichten schwarzen Bart versteckt, zwei kleine schwarze Augen funkelten dem neuen Gast mit einem ingrimmigen Ausdruck entgegen, doch grüßte er mit herablassender Höflichkeit gegen den Alten, während das Paar auf dem Sopha ihn nur mit einem flüchtigen Kopfnicken bewillkommte.

Signora Virginia – Signor Capitano – Signora Contessa – Don Eusebio – ich erlaube mir, Ihnen meinen jungen Freund, Muzio Orazio de' Cesari vorzustellen, der das lebhafte Verlangen fühlt, in unseren Kreis aufgenommen zu werden. Für seine Discretion in jedem Falle bürgt seine Erziehung und mein Wort.

Niemand antwortete auf diese artige Einführungsrede. Die Gräfin hielt eine goldene Lorgnette an ihre Augen und schien den Fremden einer gewissenhaften Prüfung zu unterwerfen. Ihr Nachbar schnauzte sich mit großem Geräusch, der imposante Kapitän zupfte aus seinem Knopfloch unter dem Bart einige verblichene Ordensbänder hervor und gab einen knurrenden Ton von sich, wie ein Haushund, an dessen Hütte sein Herr einen Fremden vorbeiführt, dem er am liebsten die Zähne gezeigt hätte.

Die Hauptperson, die Herrin des Hauses, war ebenfalls aufgestanden, doch ohne nur einen Schritt den beiden Herren entgegenzuthun. Muzio, trotz seiner Beklommenheit, betrachtete sie aufmerksam. Sie mußte in der That eine Schönheit gewesen sein, aber nur die regelmäßigen Grundlinien ihres Gesichts waren geblieben, aller Reiz desselben durch die Jahre und heftige Leidenschaften zerstört, so daß nur noch die alabasterne Blässe in ihrem Contrast zu den schwarzen Haaren, Brauen und Augen ein Malerauge anziehen mochte. Sie war nachlässig frisirt und in einer seltsamen Toilette: ein vergilbtes, weißes Kleid, das selbst in diesem Helldunkel von zweifelhafter Sauberkeit erschien, um den Hals einen dicken, blauen Shawl geschlungen, über den eine schwarze Kette mit einem großen Korallenkreuz herabhing.

Der Alte war, sichtlich betroffen durch den mehr als kühlen Empfang, auf sie zugetreten und hatte einige halblaute Worte gesagt, auf die sie nur mit einer räthselhaften Geberde antwortete. Die Pause wurde immer drückender. Zum Glück fing im Nebenzimmer eine Tenorstimme an, sich in allerlei Solfeggien zu ergehen, die auf einem verstimmten Klavier begleitet wurden. Dann wurde die Cavatine aus dem Troubadour – Non ti scordar di me – mit einem ungeheuren Aufwand von schmelzender Empfindung angestimmt, und die Saiten des alten Instruments klirrten und winselten dazu, so gut sie konnten. Muzio hatte sich unwillkürlich der Thür genähert, aus der doch etwas Menschliches zu ihm sprach. Er horchte eine Weile andächtig. Als er sich wieder nach dem Fenster umsah, war die Dame des Hauses sammt ihrem alten Freunde verschwunden.

Sie führen einen großen Namen, Herr de' Cesari, hörte er plötzlich den Kapitän sagen, der um den Tisch herumgegangen und ihm gleichsam in die Flanke gefallen war. Ja wohl, große Namen, das ist Alles, was unser Rom von seiner alten Größe noch gerettet hat. Ha! wenn die Geister der Republik oder der Weltmonarchie wieder aufständen und sähen, wie die alte Völkermutter mißhandelt, von fremden Eindringlingen geknebelt, ihr das Diadem vom Haupte gerissen worden ist, um eine plumpe savoyische Stirn damit zu krönen! Was sind sie anders, diese piemontesischen Räuber, als eine Barbarenhorde, die uns überrumpelt hat, weil wir auf den Lorbeern unserer Ahnen eingenickt waren! Und wir sauberen Romulusenkel – was thun wir jetzt? Was ist uns geblieben? Die alte Generation führt halblaute Gespräche mit Schatten, und das junge Geschlecht übt seinen Tenor, um Logen und Parquet damit zu erobern, da die kriegerische Donnerstimme, die einst den Erdkreis überflog, in ein quiekendes Falsett umgeschlagen ist. Sie, mein Verehrtester, stehen in der Mitte zwischen Alter und Jugend; Sie tragen nicht die Wunden der Veteranen auf Ihrer Brust und sind über die Weiberpossen der unbärtigen Knaben hinaus. Wenn eine Erneuerung der antiken Macht und Majestät unserer geknechteten Roma zu hoffen ist, wenn die Schmach, die ihrem greisen Lieblingssohne, unserem heiligen Vater, angethan worden –

Der Himmel weiß, wohin die Beredsamkeit des streitbaren Kapitäns sich noch verstiegen und ob er im Ernst dem friedfertigsten aller römischen Hausbesitzer um seines erlauchten Namens willen die Vertreibung der nordischen Eindringlinge angesonnen hätte. In diesem Augenblick aber öffnete sich die Thür zur Rechten, und der alte Maler trat eilig wieder ein. Er ging sogleich auf Muzio zu, faßte ihn beim Arm und führte ihn in eine Ecke.

Ich habe einen kleinen Sturm zu bestehen gehabt, sagte er mit seinem milden Lächeln. Man war ein wenig ungehalten, daß ich Euch unangemeldet mitgebracht. Erst als ich alles Gute, was ich von Euch wußte, und meine alte Freundschaft mit Signor Terenzio, Eurem würdigen Vater, ausführlich zu Euren Gunsten hatte reden lassen, wurde mir verziehen. Frau Virginia fürchtet immer, daß irgend ein Unberufener, der den Geistern unsympathisch wäre, unsern Rapport mit ihnen stören könnte. Nun ist es an Euch, mit einem guten und schicklichen Wort Euch vollends in Gnaden zu bringen.

Die Thür öffnete sich abermals, und die Dame des Hauses trat dem neuen Gast in völlig veränderter Haltung entgegen. Sie entschuldigte ihre frühere Unfreundlichkeit. Sie leide so beständig und an so unerhörten Zuständen, daß das Geringste, was ihr unerwartet komme, sie völlig zu verstimmen und aus den Fugen zu bringen vermöge. Nach Allem, was ihr alter Freund ihr jetzt mitgetheilt, bedaure sie von Herzen den frostigen Empfang, den er hier gefunden, und hoffe, er werde bald sich um so heimischer in ihrem Kreise fühlen.

Muzio verneigte sich und stammelte ein paar höfliche Sätze. Indessen wuchs der musikalische Orkan im Nebenzimmer zu immer heftigerem Toben an.

Er ist heute besonders gut bei Stimme, der liebe Junge! Findet Ihr nicht? sagte die Mutter mit einem zärtlichen Blick nach der Thür. Aber es ist Zeit. Wir haben höhere Pflichten.

Sie ging nach der Thür und ließ ein eigenthümliches Klopfen erschallen. Sofort brach Gesang und Klavierspiel ab, und ein junger Mensch im Beginn der zwanziger Jahre stürmte herein, der durchaus der Schilderung des alten Malers entsprach. Man sah nun erst, als er nach flüchtigem Gruß gegen die Gäste auf seine Mutter zutrat und sie lebhaft umarmte, daß auch sie einmal einen großen Zauber ausgeübt haben mußte, da ihr Sprößling, der ihr wie aus dem Gesicht geschnitten erschien, in der That eines der schönsten Jünglingsbilder war, die man in dem schönheitsbegnadeten Rom nur finden konnte. Er verdarb nur leider sein Antinousprofil und den herrlichsten Wuchs durch eine schreiend bunte, wohlgeschniegelte Toilette, in der sich das junge Italien gern zu zeigen pflegt, und seine Manieren hatten alle Affectation des verzogenen Frauenlieblings.

Ich muß fort! rief er. Ich habe mich über dem Studiren völlig vergessen. Die Fantoni hat mir's auf die Seele gebunden, ihre erste Scene nicht zu versäumen. Addio, mamma! Meine Herrschaften, ich empfehle mich!

So stürmte er, nachdem er der Gräfin Ildegonda im Fluge die Hand geküßt und eine Prise aus der Dose des Don Eusebio geraubt hatte, aus der Thür, und man hörte ihn auf der Treppe mit der höchsten Inbrunst sein Non ti scordar di me in den todtenstillen Flur hinunterschmettern.

Kaum hatte sich der junge Sänger entfernt, so wandte sich Frau Virginia nach dem Kamin, nicht um dort ein Feuer anzuschüren, dessen Niemand in dem unheimlich kühlen Zimmer zu bedürfen schien, sondern um ein paar weiße Weihrauchkerzchen auf dem Marmorsims unter dem verstaubten Spiegel anzuzünden, wohl mehr zum Zeichen, daß nun die Mysterien beginnen sollten, als um des sehr zweifelhaften Duftes willen, der sich mit der beklommenen, von kaltem Cigarrenrauch durchzogenen Luft des Zimmers nicht eben anmuthig mischte. Sie nahm dann ihren Platz an dem runden Tische ein, zu ihrer Rechten setzte sich ihr alter Freund, zur Linken der Kapitän, Gräfin Ildegonda und Muzio, dem das Herz ein wenig klopfte, ihr gegenüber. Nur Don Eusebio blieb abseits im Sophawinkel sitzen, nachdem er eine kleine Schreibtafel hervorgezogen und auf seine Kniee gelegt hatte. So trübe der Lichtschein war, den die alabasterne Leuchte zu ihm hinsandte, schien er ihm doch zu genügen, um sein Secretär-Amt dabei zu verwalten.

Zunächst aber machte auch er, wie die Anderen am Tische, das Zeichen des Kreuzes und bewegte die Lippen zu jenem Gebet um den Beistand des Himmels, durch welches die Einmischung tückischer und unsauberer Geister abgewehrt werden sollte. Nachdem diese stille Andacht wieder mit einer Bekreuzigung beschlossen worden war, begann man die Beschwörung, indem auf dem Tische die magnetische Kette durch die ausgespreizten Hände gebildet wurde. Ein Chiromantiker hätte neuen Stoff zu tiefsinnigen Betrachtungen über die charakteristische Bedeutsamkeit dieses Gliedes finden können, wenn er die hageren, gelblichweißen Hände der Frau Virginia mit den festen, wohlgebildeten Künstlerfingern ihres Nachbars verglichen hätte. Und wie naiv und fast schelmisch schmiegte sich das vierzigjährige Kinderhändchen der Gräfin, das mit vier weichen kleinen Grübchen förmlich zu lächeln schien, an die etwas steife und unausgearbeitete Hand des trefflichen Muzio, während dessen rechter kleiner Finger sich nur schüchtern getraute, die kriegerische, mit schwarzen wolligen Härchen bedeckte Tatze seines Nebenmannes, des Kapitäns Cornacchia, zu berühren.

Der Tisch aber schien heute für diese ausgesuchte Configuration beschwörender Menschenhände unempfindlich zu sein. Er blieb stumm und verstockt, wie ein gemeines Holz. Eine Viertelstunde verstrich in ödem Harren, die zweite nahte ihrem Ende, der Kapitän konnte sich nicht enthalten, überlaut zu gähnen, wobei er, wie ein müdes Raubthier, alle Zähne im Munde zeigte, Don Eusebio klopfte mit dem Stift ungeduldig auf die Lehne des Sophas, und die Gräfin warf drollig-vorwurfsvolle Blicke auf den Neueingeführten, als ob sie ihn allein für die Entkräftung des magischen Einflusses verantwortlich mache. Da endlich hörte man ein sanftes Klopfen, von der Seite wo Frau Virginia saß, der Tisch kündigte durch eine leise Schwankung an, daß das Instrument nun gleichsam gestimmt und bereit sei, auf sich spielen zu lassen.

Wen sollen wir rufen? fragte die Herrin des Hauses in dem Flüstertone, in welchem von jetzt an gesprochen wurde. Der neue Gast mag wählen.

Muzio wurde dunkelroth. Er hatte nicht gedacht, daß er eine Hauptrolle zu spielen haben würde, statt nur zu hören und zu staunen. Sein Herzklopfen steigerte sich, er fühlte deutlich, wie das dünne Haar an seinen Schläfen sich sträubte. Mit stockender Stimme brachte er endlich den Wunsch hervor, den Geist des großen Julius Cäsar, wenn es möglich wäre, citirt zu sehen.

Sofort fing der Tisch wieder an zu schwanken und in raschen Schlägen mit kurzen Pausen den gehorsamen Dolmetscher zwischen der übersinnlichen und der Sinnenwelt zu machen. Der große Ahnherr erschien und gab auf die neugierigsten Fragen seines letzten Enkels gutwillig Bescheid. Uns würde es nun freilich zu weit führen, das Protokoll dieser ersten Sitzung, wie es Signor Muzio noch in derselben Nacht aus dem Gedächtniß aufzeichnete, hier vollständig mitzutheilen. Es genüge zu wissen, daß der Geist den Fragenden feierlich als seinen directen Nachkommen anerkannte, daß er erklärte, die Urahnin, seine erste Liebe, sei, obwohl nur ein Mädchen aus dem Volke, doch an Adel und Schönheit all seinen späteren Liebschaften überlegen gewesen und er habe sie nur aus politischen Motiven verlassen, vergessen aber niemals. Auf die Frage nach ihrem Namen kam deutlich die Antwort: Camilla. Muzio konnte sich des Ausrufs nicht enthalten, wie wunderbar es sei, daß seine eigene Mutter denselben Namen getragen habe. Der Kapitän lachte höchst unpassend und wurde dafür durch einen zurechtweisenden Blick des Mediums bestraft. Don Eusebio, der auf seiner Schreibtafel die Zahl der Schläge registrirte und diese Chiffernschrift in gutes Italienisch übersetzte, schnäuzte sich nachdrücklich, als ob er gleichfalls die Störung mißbillige. Und wirklich hatte der Schatten Cäsar's sich zurückgezogen und war zu weiteren Antworten nicht zu bewegen.

Doch ließ Frau Virginia den Novizen sein unfreiwilliges Vergehen nicht entgelten. Sie flüsterte ihm leise zu, ob er nicht den Geist seines eigenen Vaters zu befragen wünsche, was er mit einem schüchternen Kopfnicken dankbar bejahte. Alsbald vernahm man die Stimme des alten Herrn Terenzio, und das Staunen seines Sohnes wuchs, als er über allerlei Familienverhältnisse, die höchstens noch dem alten Maler bekannt waren, bereitwillig Rede stand, ja gewisse intime Geheimnisse enthüllte, in die selbst der Sohn nie vollständig eingedrungen war. Ergreifend endlich war die Freude, die der Abgeschiedene äußerte, nach so langer Trennung wieder einen liebevollen Verkehr mit seinem verwais'ten Sohne anknüpfen zu dürfen, und die Ermahnung, hinfort den Faden nicht wieder abreißen zu lassen, der die unsterbliche Seele mit der noch im Fleische wohnenden verknüpfte.

Diese beiden Conversationen, obwohl sie den Betheiligten nicht wenig kurzweilig erschienen, hatten doch bei der Schwerfälligkeit und unbeholfenen Redeweise des Dolmetschers über anderthalb Stunden gedauert. Der Kapitän, der mehrfach gegähnt hatte, nun freilich höflicher durch die Nase, schlug vor, die Sitzung aufzuheben. Die Gräfin aber erwiederte mit hastigem Flüstern, es sei heute ihr Tag, sie habe Fragen zu stellen und wünsche, da sie so eben den Jacopo Ortis von Ugo Foscolo gelesen, den Geist dieses Unglücklichen zu rufen, um über Einiges, was ihr in seiner Liebesgeschichte dunkel geblieben, Aufschluß zu erbitten. Signor Romolo nickte zustimmend. Auch Muzio, obwohl ihm in der magischen Kette die linke Hand eingeschlafen war und Jacopo Ortis nach so viel denkwürdigeren Offenbarungen wenig Interesse für ihn hatte, ließ ein höfliches Murmeln des Einverständnisses hören. Frau Virginia aber warf einen raschen Blick nach dem Sopha hinüber, den Don Eusebio richtig deutete.

Meine Theure, sagte er laut mit seiner gewöhnlichen Stimme, bedenken wir, daß es sehr zweifelhaft ist, ob dieser Signor Ortis wirklich gelebt hat, oder nur ein Geschöpf dichterischer Imagination gewesen ist. Ich glaube das Letztere, und wir würden vielleicht den Unwillen der Geisterwelt erregen, wenn wir sie nach literarischen Phantomen befragten. Zudem ist es spät, und unsere Wirthin, deren zart organisirte Natur, wie wir wissen, mehr als die unsere unter den Einflüssen der höheren Mächte zu leiden hat, wird sich zur Ruhe begeben wollen. Vertagen wir unsere noch übrigen Fragen bis morgen. Ich höre überdies einen Schritt draußen auf der Treppe, der unser stilles, geistigen Freuden gewidmetes Beisammensein zu stören droht.

Er stand auf, steckte die Schreibtafel ein und näherte sich dem Tische, wo nun auch die Andern sich erhoben. Muzio trat auf die Hausfrau zu und sprach ihr in überströmender Begeisterung seinen Dank aus für die unschätzbare Wohlthat, die ihm an diesem Abend zu Theil geworden. Sie nahm es mit der bescheidensten Miene hin und äußerte nur die Hoffnung, daß er sich öfter hier einfinden und seine neu gewonnene Ueberzeugung befestigen werde, was er lebhaft versprach. Da öffnete sich die Thür, und ein Gesicht erschien, das freilich geeignet war, jeden Zauber geistiger Naturen sofort zu zerstören.

Es gehörte keinem Geringeren, als dem Gatten jener zart organisirten Frau, deren Vermittlung die erlauchtesten unter den abgeschiedenen Seelen sich mit Vorliebe bedienten. Signor Marcello mochte in seiner Jugend eine stattliche Figur gemacht haben; er war einen Kopf größer, als sein alter Nebenbuhler, Signor Romolo, von robusten Gliedern und energischen Zügen. Seit ihm das Mißgeschick seiner amtlichen Laufbahn den nagenden Kummer und dieser das bewußte Magenleiden zugezogen hatte, war ein jäher Verfall über seinen inneren und äußeren Menschen hereingebrochen. An diesem Abend trat er überdies von Regen triefend und mit deutlichen Spuren, daß er auf der Straße einen Fall gethan, ins Zimmer, und ein scharfer Duft, der von ihm ausströmte, ließ keinem Zweifel Raum über den Ort, woher er kam. Er nickte dem Kapitän mit mürrischem Grinsen zu, unverständliche Worte murmelnd, und warf seinen nassen Hut auf das Kanapee, dann blieb sein schwimmender Blick auf dem fremden Gesicht des wackeren Muzio haften, und ein zweiter wandte sich um Auskunft über diesen Unbekannten an seine Gattin. Frau Virginia hatte sich mit der Miene einer Märtyrin abgewendet und schien den Unzurechnungsfähigen keiner Antwort werth zu halten. Der alte Maler trat für sie ein. Er stellte seinen jungen Freund mit ein paar erläuternden Worten vor, wobei der Hausherr, der sich an dem Geistertisch einen Stützpunkt gesucht hatte, mit größter Ernsthaftigkeit dem neuen Besucher ins Gesicht starrte. Plötzlich brach er in ein convulsivisches Gelächter aus.

Bravo! rief er. Immer neue Gimpel! Immer neue Statisten in der lustigen Komödie! Seien Sie mir willkommen, Herr Cäsarenenkel! Nein, ohne Complimente! Wir wollen uns gleich »Ihr« nennen, denn Ihr werdet ja doch nicht wieder aus dem Garn schlüpfen, dafür lass' ich den gentilissimo Signor Romolo sorgen und andere Biedermänner und Auguren. Eure Hand, Signor Muzio, wenn Ihr es nicht verschmäht, die grobe Faust eines gemeinen Sterblichen zu drücken – hahaha! Ohne Umstände – arm aber ehrlich – und wenn der Staat einen wackeren Mann ausstößt und seine eigene Familie –

Er vollendete den Satz nicht. Seine bleiche Frau, jetzt die Wangen von einer fieberhaften Röthe überflogen, war auf ihn zugetreten und hatte ihre schmale, magere Hand auf seinen Arm gelegt. Aber es schien eine stählerne Kraft in diesen dünnen Fingern zu wohnen. Der Angerührte zuckte sichtbar zusammen, seine Rede erstarb in einem verworrenen Lallen, und ohne die Gäste auch nur mit einer Kopfbewegung zu grüßen, ließ er sich widerstandslos aus dem Zimmer führen.

Kommt! raunte der Alte seinem Schützling zu. Wir wollen uns ebenfalls auf Französisch empfehlen, um der armen Dulderin die peinliche Empfindung zu ersparen, mit der sie uns wieder vor die Augen treten würde, nachdem sie das Ungeheuer, die Bestie, an die sie gekettet ist, für diese Nacht gezähmt hat. Welch ein Geschöpf! fuhr er fort, als sie glücklich ohne feierlichen Abschied die Straße erreicht hatten und im laulich rieselnden Regen ihren Häusern zustrebten. Wenn Ihr sie näher kennen lernt, wird Eure Verehrung und Bewunderung so vieler Tugenden nur immer zunehmen; denn mehr als einmal in seiner wahnwitzigen Umnebelung hat er sich thätlich an ihr vergriffen, was sie selbst ihrem vertrautesten Freunde nicht mittheilen würde, wenn die sichtbaren Spuren ein Verhehlen nicht unmöglich machten. Und sie – immer derselbe himmlische Engel der Barmherzigkeit, der Duldung und Geduld. Freilich, zwei tröstende Mächte stehen ihr zur Seite, die Mutterliebe und der Zuspruch höherer Wesen. Aber sie ist von so unerhört zarter Complexion – manchmal mache ich mir Gewissensskrupel, daß wir noch dazu beitragen, ihre Nerven durch unsere Sitzungen zu zerrütten. Zum Glück vergehen ihre Morgenstunden friedlich. Wenn das Thier, ihr unwürdiger Gatte, über Nacht ausgetobt hat, ist er im Hause zu allerlei Diensten anstellig. Zwar steht er selbst spät genug auf, läßt es sich aber nicht nehmen, selbst die Chocolade zu kochen und seiner schwer leidenden Gattin vors Bett zu bringen; dann erst geht er aus, um für den Hausstand einzukaufen, beim Metzger und Pizzicarol, oder auf den Fisch- und Gemüsemarkt, und käme er mit seinen Vorräthen unangefochten bei den Lasterhöhlen der Liquoristen vorbei, wäre das Leben noch erträglich. Aber von Mittag an ist schon wieder nicht auf ihn zu rechnen. Ja, er hat die Stirn gehabt, auf freundschaftliche Vorwürfe, die ich selbst ihm einmal machte, mit höhnischem Lachen zu erwiedern, warum man ihm seine Neigung zu den Spirituosen verarge, da er seine Frau unbedenklich ihrem Hang zum Spiritismus fröhnen lasse. Nun, die Wege der Vorsehung sind wunderbar. Vielleicht wäre ohne diese schwere Prüfung die Seele meiner Freundin kein so bereites Gefäß geworden, die Fülle überirdischer Geheimnisse zu empfangen und wieder auszuströmen.

Muzio schwieg. Er hörte nur mit halbem Ohr auf diese Mittheilungen über das häusliche Unglück ihrer Pythia. Beständig wiederholte er sich jedes Wort, das der Schatten seines großen Ahnherrn zu ihm geredet, und that heimlich das Gelübde, wenn er einen Sohn oder eine Tochter bekäme, sie Camillo oder Camilla zu nennen. Denn zum ersten Mal fühlte er sich entschieden verpflichtet, sein Geschlecht nicht mit ihm aussterben zu lassen. Zum ersten Mal auch stand ihm deutlich das Bild des weiblichen Wesens vor Augen, das er zur Gehülfin bei der Erfüllung dieser Pietätspflicht sich erwählen müsse. Er war von diesem Gedanken so eingenommen, daß er die überwachten und von heimlichem Weinen gerötheten Augen, mit denen seine alte Pflegerin ihn empfing, gar nicht beachtete, so wenig wie er Anstoß daran nahm, daß in dem breiten improvisirten Bette das fremde Ehepaar unwirsch aus dem ersten Schlafe auffuhr, als er, das brennende Licht in der Hand, durch das große Zimmer gehen mußte, um in sein eigenes Schlafkämmerchen zu gelangen.

Als er dann am andern Morgen in seinen kahlen vier Wänden erwachte, schien draußen die Sonne lustig in das Gärtchen mit den Kamellienbäumen und auf die Wäsche der guten Menica, welche diesmal, aus Rücksicht für das fremde Ehepaar, nicht im Salon getrocknet werden konnte. Es war nicht mehr früh. Dennoch blieb Signor Muzio noch eine gute Weile in seinem harten Bette liegen und stellte tiefsinnige Betrachtungen an. Etwas höchst Befremdliches war ihm begegnet: er hatte geträumt, und er träumte sonst nie. Anfang und Verlauf seines Traumes waren ihm nur dunkel entsinnlich, nur so viel wußte er, daß sein Ahnherr eine Hauptrolle darin spielte und daß der Rubicon ein kleines fußbreites Bächlein war, das ein Kind überspringen konnte, und daß dieses historische Bächlein vor dem Hause in der Via Margutta vorbeifloß, in welchem der alte Herr Romolo und seine junge Tochter wohnten. Zuletzt war ihm sein erlauchter Vorfahr wieder begegnet, in einem Café am Corso zwischen zwei wohlbeleibten Damen sitzend, in denen er Gräfin Ildegonda und die theure Abgeschiedene des alten Malers erkannte, und Beide hatten sich eifersüchtig gestritten, welche Kaiserin werden solle. Cäsar aber hatte stumm dazu gelächelt und eine Cavour-Cigarre nach der andern dabei geraucht.

Nun aber erblichen diese albernen Gespenster, und das blühende junge Gesicht der Caterina ging wie ein Morgenstern vor dem Auge des wachen Träumers auf. Er erhob sich endlich langsam mit einem tiefen Seufzer, trat vor den kleinen Spiegel über seinem Waschtischchen und vertiefte sich in eine Musterung seiner eigenen Person, was nicht ohne einiges Kopfschütteln ablief. Seine Augen kamen ihm heut zuerst matt und alltäglich vor, das Weiße darin fast so gelblich wie in den Edelsteinaugen des Steinbildes; ein Versuch, ihnen mehr Feuer und Anmuth zu geben, indem er sie halb zudrückte, was gewissen schwarzen Augen so reizend stand, fiel nicht zu seinem Troste aus. Erst da er mit einem zweiten Spiegelchen sein Profil studirt und mit dem der rothen Büste verglichen hatte, beruhigte er sich ein wenig und vollendete dann mit mehr Sorgfalt als gewöhnlich seine Toilette. Dann stand er in der Morgenfrühe wohl eine Stunde lang auf dem Balkon, und seine Stimmung war etwa der zu vergleichen, die ein altes Faß, wenn es Empfindung hätte, überkommen müßte, wenn man es mit neuem Weine füllt, und dieser finge nun an zu gähren und das wackere Holz fühlte das Zischen und Sausen der tausend Perlen, die sich an seine innere Wand ansetzten, – falls ein so niedriges Gleichniß auf einen Cäsarenkel überhaupt angewendet werden dürfte.

In dieser wunderlichen Stimmung wurde er durch ein Klopfen an seiner Thür gestört und sah mit nicht geringem Erstaunen einen Besucher eintreten, in welchem er nur langsam den Gatten der Frau Virginia wiedererkannte, da der äußere Habitus des Cavaliere bis auf die lebhafte Röthe seines Gesichts völlig verwandelt war. Seine derbe Gestalt steckte in abgetragenen, doch sauber gebürsteten Kleidern, und aller Glanz, der seinem übrigen Menschen gebrach, schien auf seinen Cylinderhut und die frisch geputzten Stiefel versammelt zu sein; wie denn überhaupt der Italiener gleich dem Franzosen lieber einen schäbigen Rock, als einen schlechten Hut und mangelhaftes Schuhwerk sich gefallen läßt. Aber auch sein innerer Mensch hatte sich über Nacht geschniegelt und polirt. Mit der wohlerzogensten Miene grüßte er den sichtbar Betroffenen und begann sogleich eine Entschuldigung seines auffallenden Betragens von gestern Abend. Er sei im Café in einen politischen Streit verwickelt worden, und da alle Tagesfragen bei ihm sofort eine tiefe Gemüthserregung verursachten, habe er sich in einen moralischen Rausch hineingesteigert, dessen äußere Zeichen nur zu leicht den Schein einer physischen Unzurechnungsfähigkeit annähmen. Den älteren Hausfreunden sei dergleichen nichts Neues. Unlieb wäre es ihm nur, wenn Signor Muzio von seinem Charakter dadurch eine falsche Vorstellung gewänne. Er verabscheue starke Getränke, und nur mit dem größten Widerstreben befolge er die ärztliche Vorschrift, in bestimmten Dosen und zu gewissen Zeiten sein Magenleiden durch jene stärkende Mischung zu bekämpfen, die unter dem Namen China-Wermuth-Selz bei den Liquoristen verkauft werde. Sein eigener hoffnungsloser Zustand sei ihm aber weniger betrübend, als das Leiden seiner edlen Frau, und oft werde er zornig, wenn er sehen müsse, wie ihre sensitive Natur nur immer tiefer unterwühlt werde durch die spiritistischen Sitzungen, die ihr dann den Schlaf der halben Nacht kosteten. Und doch, schon um der Freunde willen, die in seinem Hause ihre glücklichsten Stunden verlebten, könne er sich nicht entschließen, diese Wundergabe zu unterdrücken, wenn auch sein eigenes häusliches Glück und sein Wohlstand, der ohnehin geschwunden, immer empfindlicher darunter litten. Muzio versicherte ihn seiner vollen Hochachtung, trotz der gestrigen Scene, und der überschwänglichsten Dankbarkeit gegen die seltene Frau, die sich selbst nicht schonte, um ihre Freunde glücklich zu machen. Sie sprachen dann noch eine Weile von gleichgültigen Dingen, bis der edle Herr Marcello in die Tasche griff, um nach der Uhr zu sehen, und sich sehr betroffen zeigte, daß er sie zu Hause gelassen. Auch seine Börse habe er in der Eile nicht zu sich gesteckt. Nun müsse er freilich seinen verehrten neuen Freund bitten, ihm – nur bis auf den Abend natürlich – einen Napoleon zu leihen, da er gewisse Einkäufe zu machen habe und nicht erst wieder den weiten Weg nach der Rotonda zurücklegen möchte.

Muzio, so sehr er seit gestern durch den Verkehr mit der Geisterwelt im Glauben erstarkt war, konnte sich eines schweren Zweifels an der Richtigkeit dieser Aussage nicht erwehren. Als der galantuomo aber, der er war, und da er überdies sich moralisch verpflichtet fühlte, den bedrängten Hausvater dafür zu entschädigen, daß die Hausgeister sein Familienglück und seine Finanzen zerrütteten, gab er ihm die erbetenen zwanzig Francs und begleitete ihn mit ausgesuchter Höflichkeit bis an die Treppe hinaus, heimlich froh, noch so wohlfeil davongekommen zu sein. Denn das Zehnfache hätte er dem Manne nicht abschlagen können, in dessen Hause ihm so unschätzbare Aufschlüsse zu Theil geworden.

Es fiel ihm auf, als er in sein Zimmer zurückging, daß weder von Menica, noch von dem auswärtigen Ehepaar die geringste Spur zu finden war. Das Bett stand zwar noch im Salon, aber der Koffer war verschwunden. Die Einquartierung schien es doch übel genommen zu haben, daß der Hausherr sich für alle Unbequemlichkeit, die sie verursachte, nicht dankbarer bewies, und dieser heimliche Abzug sollte ihn dafür strafen. In gleicher Weise hatte auch ihre Verbündete seinen Mangel an gentilezza ihm zu Gemüthe führen wollen und den Herd kalt gelassen, an welchem sonst sein Morgenkaffee bereitet wurde.

Muzio lächelte, daß er durch sein stilles Dulden diesen Sieg davon getragen, und ließ sich die vermeintliche Strafe dankbar gefallen. Er setzte den besseren Hut auf, nahm ein silberbeschlagenes Stöckchen in die Hand und verließ das Haus mit der Miene eines fröhlichen jungen Tagediebes, der sich werth hält, daß ihn die Sonne des spanischen Platzes und der Via Condotti bescheine.

Als er dann aber im Café di Roma sein Frühstück und einige Zeitungen zu sich genommen hatte und nun aufbrach, wohin sein Herz ihn zog, verlor er, je mehr er sich der Via Margutta näherte, immer bedenklicher jenes muntere Selbstgefühl und stieg endlich mit ziemlich kleinmüthigem Zaudern die dunkle Treppe zu seinem alten Freunde hinauf.

Das Glück aber, das nicht immer bloß die Muthigen begünstigt, hatte es gut mit ihm vor. Die Caterinuccia öffnete ihm selbst die Thür und bat ihn freundlich, einzutreten, obwohl der babbo einen Gang in die Stadt gemacht habe. Er müsse jeden Augenblick zurückkehren.

Nun folgte er mit einem angenehmen Herzklopfen, das ihn um zehn Jahre verjüngte, dem schönen Kinde in das Atelier, indem er sein lebhaftes Bedauern äußerte, sie etwa in häuslichen Geschäften gestört zu haben, in denen sie ja, nach der Aussage ihres Vaters, eine Meisterin sei.

Possen! lachte das muthwillige Mädchen. Der babbo meint, weil mir der hundertjährige Staub hier in seinem Studio fatal ist und ich in meinem Stübchen ein wenig besser aufräume, ich sei nur auf Waschen und Putzen versessen. Aber sagt, Signor Muzio, ist's nicht zum Erbarmen, wie er hier haus't? Und nie darf gefegt oder auch nur gesprengt werden, weil er immer fürchtet, es möchte seinen Bildern schaden. Um die wär's auch wahrlich Schade! Das heißt, um die früheren wohl, die schönen, auf denen es vernünftig und menschlich zuging. Aber seit er nichts als Spukgeschichten malt –

Sie hielt plötzlich inne und blitzte ihn aus ihren halbzugedrückten Augen von der Seite an.

Ha! sagte sie, da hätte ich beinah eine große Dummheit gemacht. Ihr seid ja gestern mit in der Gespensterhöhle gewesen. Was habt denn Ihr dort zu suchen? Mein Vater freilich, poveretto! – seit er die Mutter verloren, ist er nicht wieder froh geworden. Andere gewöhnen sich dann das Trinken an, er hat seine alte Liebe wiedergefunden, und die ist ihm auch gleich zu Kopf gestiegen. Aber Ihr, Signor Muzio, dem Nichts fehlt, – nein sagt, glaubt Ihr denn wirklich an all die langen Reden, die sie den Tisch halten lassen, und daß die seligen Geister Zeit übrig haben, auf alles dumme Zeug, was so eine dicke Gräfin gern wissen möchte, eine Antwort zu geben?

Sie sah allerliebst aus, wie ihr bräunliches Gesichtchen im Eifer des Sprechens sich röthete und dabei die krausen schwarzen Härchen über der niederen Stirn zitterten vor innerer Erregung. Muzio gab nicht sonderlich Acht auf ihre Worte; der Ton der Stimme und der frische Duft, den ihre ganze junge Person athmete, umfing ihn aufs Lieblichste, wie wenn man im Frühling an einem blühenden Busch, in welchem ein Singvogel nistet, stehen bleibt und alle Sinne erquickt.

Er erwiederte ein paar ziemlich nichtssagende Worte über den Respect, den man den Geheimnissen des Jenseits denn doch schulde, und die Wißbegier, die zu allen Entdeckungen unentbehrlich sei.

Sie hörte ihn mit einem trotzigen Zucken ihrer schönen vollen Unterlippe an. Wenn ich dieser Signora Virginia nur einmal auf die Schliche kommen könnte! murrte sie heftig. Geheimnisse! Ja wohl, die mag sie genug haben. Aber der arme Tisch wird das Wenigste davon wissen. O Herr Muzio, Ihr haltet mich wahrscheinlich für eine schlechte Tochter, daß ich meinem guten babbo das bischen Possenspiel nicht gönne. Aber Ihr wißt nicht, was Alles noch darum und daran hängt, wie sie ihn mißbraucht, was sie ihm Alles einredet, wozu man keinen Geist braucht, um den Unsinn mit Händen zu greifen. Und statt sich Freude und Trost bei seiner Malerei zu holen, was ihm Ruhm und Geld bringen würde, malt er sich nur immer tiefer in diese Tollheiten hinein, und die Leute, die ihm sonst wohlwollten, lachen ihn aus. Da seht, womit er heute seinen Morgen verdorben hat.

Sie lief nach einer großen Mappe, die an einen Sessel gelehnt stand, und zog ein Blatt daraus hervor, auf welchem der Alte mit flüchtigen Strichen eine neue Vision entworfen hatte.

Seht, rief das Mädchen und stupste mit ihrem kleinen geballten Fäustchen gegen das Blatt, da steht Ihr selbst und macht ein viel einfältigeres Gesicht als im Leben, und es ist auch kein Wunder, denn da um die Ecke des Triumphbogens schwebt Eure Ahnfrau, die, wie der babbo sagt, Camilla geheißen, auf Euch zu und will Euch irgend eine Commission geben, vielleicht gar einen vergrabenen Schatz zu heben. Und hinten überm Coliseo geht der Mond auf. Könnt Ihr selbst an einer solchen Verherrlichung Gefallen finden?

Muzio antwortete nicht sogleich. Er fühlte, daß diese junge Realistin nicht so Unrecht habe mit ihrem frischen, gesunden Tageszauber, der alle mondbeglänzten Schatten beschämte; zugleich schmeichelte es ihm, daß er nun selbst ein Gegenstand der Kunst geworden war, und er betrachtete aufmerksam seine schlanke Person in der Skizze.

Findet Ihr das Bild nicht getroffen? fragte er endlich.

Nur so so. Ihr seid nicht so mager und hohläugig, wie Ihr da vor mir steht, und freilich bin ich auch kein Gespenst, vor dem Ihr zu erschrecken braucht. Nein, rief sie zwischen Zorn und Lachen, indem sie das Blatt wieder in die Mappe warf, wir wollen nicht mehr davon reden, ich werde immer ganz furios, wenn ich nur daran denke, und wenn Ihr Euch nicht schon mit Leib und Seele dem Gespensterteufel verkauft habt, thut mir die Liebe und laßt Euch warnen. Es wäre mir leid, wenn Ihr auch so weit kommen solltet, wie mein armer babbo.

Ein weiblicher Besuch rief sie ab, sie entschuldigte sich und lief hurtig hinaus. Ihre Gestalt und ihre Bewegungen hatten etwas Schmiegsames, Hurtiges und Huschendes, daß man sich nicht vorstellen konnte, es werde gelingen, sie zu halten, wenn sie selbst sich nicht fesseln ließe, so blitzschnell war sie von einem Ort zum andern. Muzio aber, obwohl er sich selbst nicht für den behendesten Mädchenfänger hielt, fühlte sich doch durch dies kurze Geplauder wundersam beruhigt und von seinem Herzklopfen befreit. Hatte sie nicht so viel Theil daran genommen, daß er sich in das Geisterlabyrinth zu tief einlassen könnte, und fand sie ihn nicht im Leben schöner, als auf der Zeichnung ihres Vaters? Er wandelte in der behaglichsten Stimmung zwischen den Staffeleien und der Sesselreihe hin und her und horchte dazwischen hinaus, wo das helle Stimmchen im Duett mit einer Freundin, die einen echt römischen Contra-Alt sprach, bezaubernd zu ihm herüberklang. Gar zu gern hätte er sein heutiges Glück noch ein wenig ausgenutzt. Die beiden Freundinnen aber vertieften sich in ein unabfehliches Geplauder, und da der alte Herr gleichfalls die Rückkehr vergessen zu haben schien, hielt es der Wartende endlich für schicklich, sich davonzuschleichen. Nur die Magd begegnete ihm draußen im Flur. Er trug ihr auf, ihrem Herrn zu sagen, daß er heute Abend wiederkommen und Signor Romolo abholen werde. Und einen Gruß an die Signorina.

Er hörte sie gerade lachen. Es klang ihm süßer, als Nachtigallenschlag in der schönsten Frühlingsnacht.

——————

In all seinen vierzig Lebensjahren zusammengenommen glaubte der treffliche Muzio nicht so viel erlebt zu haben, wie in diesen zwei Tagen, und kaum wußte er, wie er der Fülle der auf ihn eindringenden neuen Eindrücke Stand halten sollte. Denn freilich war es nichts Kleines, in zwei neuen Welten, die ihm zugleich aufgegangen waren, sich zurecht zu finden, des Aufruhrs in seinem Herzen und der Umwälzungen in seinem Kopfe gleichmäßig Herr zu werden. Vorläufig, da es ihm, wie allen schwachen Sterblichen, ein süßes Gefühl war, daß ihm Gewalt angethan wurde, ergab er sich ohne jede Gegenwehr oder Einrede in sein Schicksal, und während sein Kopf über die ungeahnten Tiefen der neuen Erkenntniß mehr träumte als nachdachte, ließ sein Herz es sich gefallen, wehrlos unter dem Zauber dieser späten plötzlichen Verliebtheit zu stehen, wobei er sich wohler befand, als bei der früheren kühlen hagestolzen Selbstherrlichkeit.

Es ist nun freilich so unmöglich, als es überflüssig wäre, unsern Römer Schritt für Schritt und Tag für Tag auf den Wegen, die er in seiner neuen Epoche wandelte, zu begleiten. Wer ihm bis hieher gefolgt ist, wird von selbst auf die Vermuthung kommen, daß er ebenso regelmäßig, wie er früher feinen Corsogang machte und um die Dämmerung nach dem Café schlenderte, jetzt am Vormittag in die Via Margutta und Abends nach dem Hause der Pythia ging, dort für sein Herz und hier für seinen Geist Nahrung und Erquickung zu suchen. Auch fügte es der Zufall, daß nichts geschah, was hier oder dort ihn hätte irre machen können. Und da er mit der Schlangenklugheit, deren selbst ein »Engel« nicht zu entbehren pflegt, sich seiner Menica gegenüber schweigsam verhielt, und wenn sein Herz allzu voll war von Geisterstimmen oder irdischeren Entzückungen, es lieber gegen die rothe Büste ausströmte, als gegen seine gestrenge Pflegerin, so fand diese sich bald in die veränderte Tagesordnung ihres Herrn, zumal sie ihren giovanotto für viel zu verständig hielt, um sich in ein so blutjunges Ding, wie die Caterina des Herrn Romolo sein mußte, zu vergaffen. Noch ungefährlicher däuchte ihr der Verkehr im Hause Venusti. Und freilich ahnte sie nicht, was der Gatte dieser Dame mit seinen häufig wiederkehrenden Besuchen bei Signor Muzio bezweckte. Denn es blieb nicht bei den Vergeßlichkeiten, die durch kleine Anleihen im Vorbeigehen gedeckt werden konnten. Virginia hatte ein weiches, jeder Noth ihrer Nebenmenschen nur allzu offenes Herz. Bald hatte sie für die Schuld einer Freundin Bürgschaft geleistet, weit über ihre Kräfte, bald war eine entfernte Nichte auszusteuern, die einen armen, aber ehrlichen jungen Mann heirathen sollte, und da sie selbst eher das Kleid vom Leibe hergegeben, als einem der Hausfreunde ihre Verlegenheit gestanden hätte, mußte der Gatte, so sehr ihm dergleichen Bittgänge wider die Ehre liefen und sein Magenleiden steigerten, sich wohl oder übel entschließen, Signor Muzio ins Geheimniß zu ziehen. Es handelte sich selten um mehr als ein paar hundert Francs, aber es kam doch mit der Zeit eine recht hübsche runde Summe zusammen, und wenn auch die sichersten Schuldscheine darüber ausgestellt waren, wie mochte ein Freund, der Hausbesitzer war und obenein ein »Engel« und ein »Galantuomo«, jemals daran denken, seine Rechte geltend zu machen? Durfte doch die Pythia nicht einmal wissen, daß die Hülfe von ihm gekommen war. Sie war viel zu zartfühlend und wollte ihren Freunden nur selbst Opfer bringen, statt je eines von ihnen anzunehmen.

Nun aber sei es zur Ehre des wackeren Cäsarenenkels gesagt, daß ihm dieser Mißbrauch seiner arglosen Freundschaft einzig und allein des Vermittlers wegen unangenehm war. Er hatte seit jenem ersten Abend einen Widerwillen gegen Herrn Marcello nicht überwinden können, und das Doppelte hinzugeben, wäre ihm nicht zu viel erschienen, wenn es nicht in die zitternde Hand dieses nach Wermuth duftenden verkommenen Gesellen geglitten wäre. Auch zweifelte er stark, ob die Dulderin in der That von diesen Freundschaftsopfern irgend einen Vortheil habe. Aber er wagte sein Verhältniß zu ihrem Hause nicht zu gefährden und ließ die Sache gehen, wie sie wollte.

So hätte er auch das andere Verhältniß, das ihn heimlich beglückte, am liebsten unberührt gelassen, aus Furcht, etwas daran zu verderben, selbst um den Preis, daß es nie auf einen wärmeren Ton gestimmt werden sollte. Er sah die Caterina täglich mit wachsendem Wohlgefallen, und da es sich öfters fügte, daß der Alte nicht zu Hause war, fehlte es nicht an Gelegenheiten, sich ihr zärtlicher zu bezeigen und endlich auch einmal das entscheidende Wort zu sprechen. So freundlich aber auch das Hexchen ihm begegnete, so viel aufmunterndes Vertrauen es dem Freunde ihres babbo bewies, eine gewisse Mischung von Schalkhaftigkeit und Respect, die ihr Betragen gegen ihn bezeichnete, hielt ihn immer in gewissen Grenzen; ja gerade, daß sie nicht das Geringste von ihm zu erwarten schien über die Gefühle eines »Onkels« hinaus, schlug all seine Unternehmungsgelüste nieder. Dazu war der Winter ungewöhnlich rauh, und das Frühjahr, das so manchem schüchternen Gefühl aus der Knospe hilft, ließ immer noch auf sich warten.

Eines Morgens aber, gegen Ende des Februar, erwachte Muzio in seinem Junggesellenbett mit ganz eigenen Empfindungen. Er hatte Abends vorher ein längeres Geistergespräch mit der schönen Helena von Troja geführt, dann noch in einem Café ein beschauliches Glas Grog getrunken, und während er ein großes Stück Zucker langsam in der heißen Mischung schmelzen sah, den hochlyrischen Vergleich angestellt: so müsse sich's ungefähr ausnehmen, wenn er beobachten könne, wie Caterina's junges Herz in heißer Liebe zu ihm sich auflös'te. Diese Betrachtung und der Genuß des süßen symbolischen Trankes hatte ihm dann zu den hoffnungsvollsten Träumen verholfen, und wie er am Morgen aufsprang und in leichtester Bekleidung über den Balkon hinweg in sein Gärtchen hinunterblickte, war da ein Wunder geschehen, recht dazu angethan, ihn in seiner blühenden und glühenden Stimmung zu bestärken. Der größte seiner Kamellienbäume stand über und über in Blüten, rothen und weißen, da die Kraft der Sonne ihn schon ein paar Stunden lang überwältigt hatte, und die bunte Pracht hatte im Nu das enge, verwahrlos'te Revier in ein kleines Paradies verwandelt, in welchem auch der Springbrunnen Strahlen vom reinsten Silber emporzusprühen schien.

Muzio gönnte sich kaum die Zeit, seinen Anzug nothdürftig zu vollenden. Dann eilte er in den Garten hinunter, schnitt die schönsten Blüten ab und band sie zu einem üppigen Strauß zusammen, den er sofort durch seine Menica an Fräulein Caterina schickte. Er stand darauf eine Weile vor der Büste seines Ahnherrn, mit dem Gefühl, nun auch seinen Rubicon überschritten zu haben, und nachdem er die Haare seines Hauptes und seines Hutes sorgfältiger als je gebürstet und seinen neuesten Rock angezogen hatte, machte er sich auf den Weg, seiner Blumenbotschaft in Person zu folgen.

Er war so in seine cäsarischen Gedanken vertieft, daß er auf der Straße an der zurückkehrenden Menica vorbeischritt, ohne sie zu erkennen. Und freilich war das alte Gesicht durch allerlei heftige Leidenschaften dermaßen verwandelt und das Kopftuch so tief über die finsteren Augen gezogen, daß sie im Spiegel sich selbst kaum wiedererkannt hätte. Die Caterinuccia hatte ihr eigenhändig den Strauß abgenommen und nichts weiter als einen schönen Dank dazu gesagt. Aber zum ersten Mal hatte die Alte heut das reizende junge Gesicht in der Nähe betrachtet, und das Kind, von dem ihr Herr öfters gesprochen, immer im gleichgültigsten Ton, war ihr als ein sehr gefährlicher Umgang für ihren giovanotto erschienen. Sie brachte es nicht übers Herz, in der ersten Aufregung ihrem Herrn entgegenzutreten und ihm den Dank auszurichten. Hastig trat sie unter ein offenes Thor und ließ ihn an sich vorübergehen, wobei sie beide Fäuste ballte und unholde Worte murmelte.

Er aber setzte im Sturmschritt seinen Weg fort und klopfte bald mit ungewohnter Lebhaftigkeit oben an die Thür seines alten Freundes. Die Magd führte ihn in das Atelier, da fand er den kleinen Maler, der, wie es ihm oft geschah, auf dem Sopha die Nacht zugebracht hatte, einigermaßen verwundert über den frühen Besuch. Aber einmal im Zuge mit seiner verwegenen Stimmung, brachte Muzio ohne Umschweif vor, was ihm auf dem Herzen lag. Er könne sich der Pflicht, sein erlauchtes Geschlecht fortzupflanzen, nicht länger entziehen; der Ruf der Geister werde immer gebieterischer, die Anspielungen immer deutlicher, wie Signor Romolo unzweifelhaft auch bemerkt haben werde, und so habe er sich entschlossen, sein einsames Leben zu enden und ein Weib zu nehmen, falls sein würdiger Freund ihm nicht selbst davon abrathe.

Der Alte, der noch nicht völlig ausgeschlafen hatte, hörte mit zerstreutem Kopfnicken zu, und erst als Muzio den Namen feiner Tochter nannte, blickte er wie plötzlich ernüchtert in die Höhe. Er fragte, ob Muzio schon mit dem Mädchen gesprochen habe, und als dieser erröthend seine Schüchternheit vorschützte, seine Jahre, sein geringes Vertrauen auf sein Glück bei den Weibern, schnellte der Alte wie eine Feder vom Sopha auf, drückte ihm ohne ein Wort zu sagen die Hand und rannte aus dem Zimmer.

Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich wieder etwas regte. Muzio hatte mit nicht sonderlicher Cäsarenzuversicht vor den Staffeleien gestanden und in die Wohnung hinausgehorcht, aus der nicht der kleinste Laut zu ihm herüberdrang. Da wurde die Thür endlich sacht wieder aufgemacht, aber statt des Alten trat sie selbst, die Caterina, zu ihrem Freier ein.

Sie trug, was er als ein sehr tröstliches Zeichen begrüßte, seinen Kamellienstrauß in der Hand, und ihr schönes Gesichtchen glänzte ihm blühender als all die Blumen entgegen. Auch war aus ihren Mienen nicht zu erkennen, wie sie zu seinem Antrag gesinnt war, und die leicht zugedrückten schwarzen Augen funkelten weder schalkhafter noch stolzer als sonst.

Lieber Signor Muzio, sagte sie, Ihr habt mir da einen so schönen Strauß geschickt, und ich danke Euch dafür, und will ihn gleich in Wasser stellen. Was der babbo mir sonst von Euch gesagt hat – und hier lachte sie ein wenig, wurde aber gleich wieder ernsthaft – ei, Ihr meint es wahrlich viel zu gut mit mir. Wißt Ihr was? Wir wollen vorläufig nicht mehr davon reden. Ihr kennt mich noch viel zu wenig und könnt gar nicht wissen, ob Ihr nicht mit einem leichtsinnigen jungen Ding, wie ich es bin, sehr unglücklich werden würdet. Also wollen wir's abwarten, ob Ihr noch einen ganzen Monat lang bei Eurem Sinne bleibt. Sind die vier Wochen vergangen und Ihr getraut Euch dann noch, mich zur Frau haben zu wollen, so mag geschehen, was die Madonna will. Bis dahin aber wär' es hübsch von Euch, wenn ihr nach wie vor Eure kleine Caterinuccia als ein gutes Kind behandeln wolltet, das Euch herzlich achtet und ehrt und Euch lieber glücklich machen, als betrüben oder kränken möchte. Gebt mir Eure Hand darauf, und nun soll vier Wochen lang Alles zwischen uns beim Alten bleiben, nicht wahr?

Selbst ein gewiegterer Mädchenkenner, als unser liebender Römer wäre sicherlich in Verlegenheit gewesen, wie er diesen Bescheid zu deuten, welche verschwiegenen Hintergedanken günstiger oder unliebsamer Art er hinter den scheinbar so zutraulichen Worten zu suchen gehabt hätte. Muzio nun vollends blieb in stummer Rathlosigkeit der Sprecherin gegenüber stehen, und da er zugleich stark erröthet war, glich er in diesem Augenblick mehr als je in seinem Leben der rothen Ahnenbüste, worüber das schöne Mädchen endlich in ein helles Lachen ausbrach. Das lös'te den Bann seiner Versteinerung. Er ergriff die dargebotene kleine Hand, drückte sie herzhaft und stammelte einen ziemlich feurigen Dank für die Hoffnung, die sie ihm jenseits der Bedenkzeit eröffnet habe, und da es ja nur bei ihm stehe, sie nach vier Wochen noch weit liebenswürdiger zu finden, als heute, so sehe er sich für seinen Theil schon jetzt als ihren Verlobten an und erlaube sich –

Mit diesen Worten zog er einen alten Familienring aus der Tasche, den er für den glücklichen Fall gleich mitgebracht hatte, und wollte ihn der Caterinuccia an den Goldfinger der Hand stecken, in welcher sie den Strauß trug. Sie aber lachte: so sei es nicht gemeint, und lief eilig hinaus, ihm statt ihrer reizenden Person den alten Papa schickend, der achselzuckend erklärte, aus dem einfältigen Geschöpf sei nicht klug zu werden; er habe ihr seinen festen Willen erklärt, daß sie Frau de' Cesari werden solle, und obwohl sie durchaus nicht Nein gesagt, sei ihr auch kein Ja abzugewinnen gewesen und nur zu hoffen, daß der Kindskopf endlich doch noch Vernunft annehmen werde, wozu er auch den überirdischen Einfluß ihrer seligen Mutter in Anspruch nehmen wolle.

Muzio, der inzwischen ganz zuversichtlich geworden war, bat, das liebe Kind nur ja nicht zu quälen, sondern der Zeit Zeit zu lassen; dann nahm er mit einem herzlicheren Händedruck, als sonst, von seinem zukünftigen Schwiegervater Abschied.

Er verbrachte diesen und die nächsten Tage in einer sehr gehobenen Stimmung, überlegte dazwischen als ein praktischer Mann, der er war, welche Veränderungen vorgehen würden, wenn er die junge Frau in sein Haus einführte, und da er eine dunkle Vorstellung davon hatte, daß die bisherige Herrin ihr Regiment mit einer überlegnen Gebieterin keinenfalls werde theilen wollen, eine Trennung von der guten Menica demnach unvermeidlich sei, überschlich ihn schon jetzt ein weiches Gefühl der alten Pflegerin gegenüber, so daß er durch allerlei kleine Aufmerksamkeiten ihr den Schmerz, den er ihr nicht ersparen konnte, zu vergüten anfing. Sie aber, die ihren giovanotto kannte, als wenn sie ihn selbst unterm Herzen getragen hätte, wurde durch dies schonende und zärtliche Betragen erst recht bestärkt in der Ahnung, was für eine Wunde ihr geschlagen werden sollte, und da sie überdies von jetzt an fast täglich Kamelliensträuße zu der jungen Thronfolgerin zu tragen hatte und dabei die Größe der Gefahr immer deutlicher erkannte, war es ihr nicht zu verdenken, daß sie Tag und Nacht auf nichts Anderes sann, als wie das Unheil etwa noch abzuwenden wäre.

Muzio in seiner Engelsunschuld und Bräutigamswonne ahnte nicht von fern, daß unter seinen Füßen ein Abgrund sich aufthat, an dessen Rande er mit nachtwandlerischer Harmlosigkeit dahinschritt. Er glaubte es besonders fein und vorsichtig anzustellen, indem er nicht bloß in die Via Margutta seine Blumen schickte, sondern hin und wieder auch an Frau Virginia, von der er überhaupt gegen Menica als von einer höchst verehrungswürdigen Freundin zu sprechen pflegte. Dies sollte ihm nun gerade zum schlimmsten Nachtheil ausschlagen, wie sich denn bekanntlich ein Biedermann nie schlimmer im Lichte zu stehen pflegt, als wenn er diplomatische Künste spielen lassen will, ob er auch seinen Stammbaum auf einen der größten Staatsmänner aller Zeiten zurückzuführen vermöchte.

Indessen war der Winter verstrichen, und die Fastenzeit, in welche jene vier Bedenkwochen fielen, ging auf die Neige, ohne daß in dem Betragen der vermeintlichen jungen Braut sich irgend etwas geändert hätte. Sie empfing ihren Zukünftigen täglich mit dem gleichen heitern Gesicht, nahm allerlei kleine Geschenke, die er ihr machte, ganz vergnügt und dankbar an, während sie sich gegen werthvollere entschieden wehrte, und that auch nicht das Geringste, irgend welche verborgene üble Eigenschaften hervorzukehren, um den arglosen Bewerber abzuschrecken. Nur als am letzten Nachmittage vor Ablauf der Frist Muzio, da er seiner Sache sicher zu sein glaubte, seinen Arm bescheidentlich um ihren schlanken Leib zu legen wagte und ihr zuflüsterte: Morgen, Caterinuccia mia, wird ein Mensch, den ich kenne, zugleich im Paradiese sein und noch in Fleisch und Bein! – hatte sie sich ihm ruhig entwunden und mit einem kurzen, nicht eben aufmunternden Lachen erwiedert: Wißt Ihr so gewiß, Signor Muzio, daß Ihr dieser Sterbliche sein werdet? – Dies aber hatte ihn durchaus nicht in seiner siegesfrohen Zuversicht irre gemacht. Vielmehr, als er Abends mit dem alten Herrn Romolo in die gewohnte Geistergesellschaft eintrat, benahm er sich so auffallend, daß der Hauptmann Achille Cornacchia ihn fragte, ob er von einem Champagnerschmause käme, und die Gräfin Ildegonda, der er sonst ziemlich kühl begegnete, ihm mit dem Fächer auf die Wange klopfte, da er ihr die galantesten Sachen über ihre verführerische Toilette ins Ohr flüsterte.

Die Gesellschaft war die alte geblieben, bis auf Don Eusebio, der sich seit einigen Wochen nur selten blicken ließ, oder doch nur gegen den Schluß der Sitzungen kam, um noch eine Viertelstunde zu plaudern, ehe er der Gräfin den Arm bot, sie in ihre Wohnung hinunter zu geleiten. Statt seiner führte nun ein sehr päbstlich gesinnter rothhaariger Irländer, der von Eusebio empfohlen war, das Protokoll, in zweifelhaftem Italienisch, aber zu nicht minderer Erbauung der Uebrigen. Nur der Kapitän hatte in seinem Eifer sichtbar nachgelassen, gähnte häufiger und that zuweilen unpassende Fragen, die den Verdacht erweckten, er sei nicht mehr mit der alten Andacht bei der Sache, sondern nehme sich heraus, der Geisterwelt gegenüber eine unehrerbietige Kritik zu üben. Ein scharfes Wort der Hausfrau brachte ihn freilich in seine Schranken zurück; aber die Aergernisse mehrten sich dergestalt, daß dieser Profane hier schwerlich lange mehr geduldet werden konnte.

Auch heute erlaubte er sich ein unziemliches Lachen, als der alte Romolo, an dem die Reihe war, seinen Wunsch äußerte, den heiligen Lucas zu citiren. Von Frau Virginia zurechtgewiesen, entschuldigte er sich freilich, es sei ihm durch den Kopf gefahren, ob am Ende auch der Ochs des Evangelisten sich dabei vernehmen lassen würde.

Der alte Maler sah ihn mitleidig an, erwiederte aber in seinem gewöhnlichen milden Ton, es handle sich bei ihm durchaus nicht um theologische Controversen, er wünsche an den Heiligen nur ein paar Fragen zu richten, die sich auf die Malkunst bezögen. Worauf der Kapitän um Verzeihung bat und die magnetische Kette geschlossen wurde.

Doch schien das wundersame Werk heute nicht wie sonst gelingen zu wollen. Es war schwül im Zimmer, weil man trotz des Scirocco-Abends die Fenster, solange die Geister zugegen waren, geschlossen halten mußte. Die Kerze in der Alabasterampel knisterte hörbar und flackerte unruhig auf und ab. Die Hausfrau schien zerstreut oder von ihren Leiden mehr als gewöhnlich in Anspruch genommen. So dauerte es eine volle halbe Stunde, ehe das erste Klopfen erklang. Und selbst als der Rapport mit der Ueberwelt hergestellt und die Gegenwart des gerufenen Maler-Evangelisten unzweideutig bezeugt war, ließen seine wunderlichen Antworten dem Zweifel Raum, ob der Geist selbst die Sache ernst nehme, oder sich ein Spiel mit seinen Beschwörern erlaube. Auf des alten Romolo Frage, ob San Luca die Madonna nach dem Leben oder nach einer Traumerscheinung gemalt habe, kam noch die vernünftige Antwort, sie sei ihm in einer alten Krypta erschienen. Dagegen schüttelte der Maler den Kopf, als er den Bescheid erhielt, das Bild sei auf Leinwand gemalt worden, und auf die Frage nach der Technik, der Heilige habe Oelfarbe gebraucht.

Meine verehrte Freundin, flüsterte der Alte über den Tisch hinüber der Herrin des Hauses zu, hier muß ein Irrthum in unserem Verständniß der Zeichen obwalten, oder wir werden von einem falschen Geist gefoppt. Weder Leinwand noch Oelfarben waren in der ältesten christlichen Zeit in Gebrauch, vielmehr malte man auf Holz, Stein und frischen Kalk und mit Wachs-, Honig- oder Wasserfarben.

Wißt Ihr das so gewiß? erwiederte die Pythia, deren Gesicht einen Augenblick von dunkler Röthe überflogen worden war. Wenn nun der Heilige durch Inspiration schon lange vor allen profanen Malern diese Mittel entdeckt und die Madonna als eine überirdische Gestalt mit nicht gemeinen Künsten nachgebildet hätte? Hat sich der heiligen Veronica das Bild des Erlösers nicht auch auf ein Linnen abgedruckt? Und wenn etwa kein anderes Bindemittel in jener Krypta zur Hand war, als das Oel einer ewigen Lampe –

Der Alte war eben im Begriff, seinen Fehler einzugestehen und um die Fortsetzung des unterbrochenen Geistergesprächs zu bitten, als die Thür sich halb öffnete und das blasse Hungergesichtchen jenes armen Mädchens in der Spalte erschien, das Frau Virginia aus Barmherzigkeit bei sich aufgenommen hatte und zu allen niedrigen Dienstleistungen verwandte.

Signora, flüsterte das Kind, nur auf einen Augenblick!

Die Hausfrau hatte zornig umgeblickt. Sie duldete keine Störung dieser geweihten Stunden. Aber ein Zeichen, das die Kleine ihr machte, schien sie umzustimmen.

Entschuldigen Sie! sagte sie, indem sie rasch aufstand. Eine höhere Pflicht ruft mich ab. Ich werde sogleich wieder hier sein.

Sie verließ das Zimmer, und da es das erste Mal war, daß sie durch etwas Anderes als einen ihrer nervösen Zufälle genöthigt wurde, die magische Kette jählings zu zerreißen, blieben die Anderen in einiger Aufregung und lebhafter Neugier zurück. Es war aber, obwohl der Kapitän sich erlaubte, aufzustehen und an der Thür zu lauschen, nicht das Geringste zu vernehmen. Die Gräfin neigte sich zu ihrem Nachbar Muzio und zischelte ihm ins Ohr: Sie werden die Bestie, den Cavaliere, vom Schlage gerührt auf der Gasse gefunden haben; meno male! (kein Schade drum!) – Der Irländer beschäftigte sich damit, die Gelenke seiner langen, mit großen Sommersprossen bedeckten Hände knacken zu lassen. Signor Romolo starrte auf den Tisch und sann auf neue Fragen an seinen heiligen Kunstgenossen. Nur Muzio blieb gleicher Laune, die nicht wenig rosenfarben war. Morgen um diese Zeit, dachte er, und wenn ein ganzer Geisterhimmel sich vor mir aufthun wollte, ich hätte nur Aug' und Ohr für ein einziges irdisches Geschöpf. O Caterinuccia, wie anders durchrieselt mich überirdisches Feuer, wenn ich deine Fingerspitze berühre, als hier in der magischen Kette! – Dann bemühte er sich, diesen Gedanken zu unterdrücken, aus Furcht, die Geister möchten in seinem Herzen lesen und ihn der Gesellschaft als einen Unwürdigen denunziren.

Da trat zum Glück die Pythia wieder ein. Man konnte auf ihrem Gesicht den Ausdruck einer hohen Befriedigung lesen, obwohl sie sich alle Mühe gab, völlig gleichgültig zu erscheinen. Die Nachricht vom Tode eines entfernten Verwandten sei ihr eben zugekommen, warf sie nachlässig hin. Es sei nicht der Mühe werth gewesen, die Sitzung zu unterbrechen. Sie bitte dringend, fortzufahren.

Der Kapitän, indem er ihr zu ihrer Erbschaft gratulirte, wagte eine schüchterne Einwendung; aber schon hatte Frau Virginia ihren Platz wieder eingenommen, die Kette von Neuem geschlossen und mit einem Wink der Augen den Alten aufgefordert, sein Fragespiel wieder zu beginnen.

Romolo gehorchte; doch war auch er nicht mehr so ganz bei der Sache. Ein geheimer Zweifel schien ihm durch den Sinn zu gehen, und all seine Fragen zielten offenbar darauf ab, den Geist in die Enge zu treiben und festzustellen, ob ihm auch völlig zu trauen sei. Eine Zeit lang nahm Sanct Lucas diesen ehrenrührigen Argwohn mit einer wahren Heiligengeduld hin. Auf einmal aber, als er darüber Rede stehen sollte, ob er den Heiligenschein der Madonna auch wirklich gesehen oder nur aus der Phantasie hinzugefügt habe, schien ihm die Geduld zu reißen. Er verweigerte zuerst eine Zeit lang die Antwort. Dann ließ er sich in kurzen, zornigen Sätzen dahin vernehmen, daß er nur Gläubigen eine Mittheilung schuldig sei. Man scheine ihn hier nicht genug zu respectiren. Wenn man aber gegen seine Offenbarungen aus längstvergangener Zeit Mißtrauen hege, werde er verstummen und nur noch, zugleich zur Beschämung des Zweiflers und zur Strafe seiner Sünden, eine Enthüllung machen, deren Wahrheit sich nur allzu bald bestätigen würde. Der alte Maler möge sein Seelenheil von nun an besser in Acht nehmen, als er es mit seinem irdischen gethan. Denn eben in diesem Augenblick sei seine einzige Tochter aus dem väterlichen Hause entflohen und mit einem listigen Verführer, der ihr schon lange nachgestellt, in die weite Welt gegangen.

Wenn der Evangelisten-Geist, der diese unfrohe Botschaft durch das todte Holz ertönen ließ, in Person am Tische erschienen wäre und sein gehörntes Wappenthier mitgebracht hätte, der Eindruck seines leiblichen Hereinragens in die irdische Welt hätte kaum erschütternder sein können, als die Wirkung dieser simplen Notiz, die der protokollirende Irländer im ruhigsten Tone aus seiner Schreibtafel ablas.

Nicht blos der Alte, an den sie zunächst gerichtet war, auch der Kapitän sprang von seinem Sitze auf, und Muzio blieb nur darum sitzen, weil der Schreck ihn einen Augenblick des Gebrauchs seiner Glieder beraubt hatte.

Maledizione! rief der Kapitän mit dröhnendem Lachen, indem er seinen Bart zaus'te, das ist das erste Mal, daß Einer von drüben polizeiliche Talente entwickelt. Meine verehrten Freunde, wollen wir ihn nicht fragen, ob er nicht auch weiß, wer mir gestern die fünf Lire aus der Tasche gestohlen hat?

Der alte Maler kämpfte sichtbar mit der Aufregung, die ihm das Wort in der Kehle erstickte.

Lüge! Lüge! keuchte er endlich hervor. Meine Tochter – meine Caterinuccia – Herr – (und er trat dicht an den Protokollführer heran) Sie müssen falsch gehört oder sonst eine Dummheit begangen haben. Ich verlange, daß wir den Geist noch einmal befragen – ich selbst will –

Da fühlte er die Hand der Pythia auf seinem Arm.

Mein armer alter Freund, sagte die blasse Frau mit dem gleichmüthigsten Tone von der Welt, vergessen Sie nicht, daß die Geister sich nichts abzwingen lassen, was sie nicht gutwillig hergeben. Sie haben San Luca ohnehin durch Ihre Zweifel gegen sich aufgebracht, er hätte sonst wohl eine mildere Form gewählt, dieses Familien-Unglück zu Ihrer Kenntniß zu bringen. Nun bleibt Ihnen nichts übrig, als sofort nach Hause zu gehen und sich zu überzeugen, wie es dort steht. Auch wenn ich wollte, – die Scene hat mich so heftig angegriffen, daß ich unfähig wäre, an der Sitzung ferner Theil zu nehmen. Unglücklicher Freund! schloß sie, indem sie seine Rechte zwischen ihre mageren, feuchten Hände nahm, – ich beklage Sie. Aber Sie wissen, ich habe nicht viel Besseres vorausgesehen. Wären Sie mir gefolgt –

Er wandte sich ab, ergriff feinen Hut, der auf dem Kaminsims lag und stürmte, ohne irgend Jemand zu begrüßen, hinaus.

Auf dem Pantheonplatz fühlte er sich plötzlich sanft am Rockzipfel festgehalten. Sein verunglückter Schwiegersohn hatte ihn eingeholt. Als er aber die finstere Miene des Alten sah, wagte er kein Wort zu sprechen, zumal er allen Athem brauchte, um mit ihm Schritt zu halten.

So eilten die Beiden im Sturmschritt den Corso entlang, rechts und links die wogende Menge ungestüm durchbrechend und der Flüche und Scheltworte nicht achtend, die ihnen nachschallten. Erst als sie in die menschenleere Via Margutta einbogen, blieb der Alte einen Augenblick stehen und sagte: Narren, die wir sind, zu rennen wie die Barberi im Carneval! Wenn es ein Lügengeist war, läuft sie uns ja nicht fort. Und sprach er die Wahrheit – auf diesem Wege holen wir sie ja doch nicht mehr ein. Geht nach Haus, Signor Muzio. Ich lasse Euch morgen wissen, wie ich es gefunden habe.

Ihr seid toll, Signor Romolo! rief der Andere mit allem Feuer, dessen er als Cäsarenenkel und Liebhaber überhaupt fähig war. Bis morgen warten? Habt Ihr vergessen, daß es sich morgen entscheiden sollte –? Ha, mir ahnt, sie hat schon damals gewußt, daß die vier Wochen nicht zu Ende gehen würden, ehe sie etwas thäte, was wie ein kaltes Sturzbad auf meine Flammen wirken würde. Aber so wahr ich einen großen Namen trage –

Der Alte ließ ihm nicht Zeit, sein Gelübde zu vollenden, dessen Inhalt ihm selbst wohl schwerlich in völliger Klarheit vorschwebte. Er hatte den Klopfer an seiner Hausthür geschwungen, aus dem Fenster oben erscholl das Chi è? der Magd, die alsbald die Schnur zog, und hinauf die dunkle Treppe polterten die beiden Männer.

Ist die Caterina zu Haus? herrschte der Alte der mit dem Lämpchen herableuchtenden Magd entgegen. Diese war ein ziemlich stumpfsinniges Geschöpf, eine Bauerndirne aus dem Sabinergebirge, deren Kopfform dem alten Maler einmal aufgefallen war, so daß sie ihm zum Modell dienen mußte. Sie war dann zur Aushülfe im Hause geblieben, da die Köchin gerade erkrankt war, und man hatte sie auch hernach nicht fortgeschickt, obwohl wenig mit ihr anzufangen war, da sie nur that, was man ausdrücklich von ihr begehrte, ohne je einen eigenen Gedanken zu haben.

Auch diesmal zuckte sie nur die Achseln. Sie habe in der Küche gesessen und geschlafen.

Der Alte riß ihr die Messingleuchte aus der Hand, stieß die Thür von Caterina's Stübchen auf, durchspürte das daranstoßende Wohnzimmer und trat dann, immer die Lampe weit vor sich hin haltend, in das Atelier, in welches Muzio sich durch den dunklen Flur hineingetastet hatte.

Wie er aber jetzt seinem jüngeren Freunde und Schicksalsgefährten ins Gesicht sah, erstaunte dieser über den völlig gefaßten, fast zufriedenen Ausdruck des verwitterten alten Gesichts.

Sie ist fort! sagte der Vater so gelassen, wie wenn es sich um nichts Wichtigeres handelte, als um einen verlorenen Malpinsel oder sonst ein werthloses Hausgeräth. Nun, der Wille des Himmels hat geschehen müssen. Aber wenn die Menschen uns betrügen und im Stiche lassen – o mein Freund, ist es nicht mehr als ein vergänglicher Ersatz, diese erneute Gewißheit, daß die Geister uns nicht belügen? Wie schäme ich mich nun meiner heutigen Zweifelsucht! Und wie klein und armselig komme ich mir vor in meiner Erschütterung durch diesen ganz nichtigen Vorfall, da mir zu gleicher Zeit eine so überschwängliche Gnade zu Theil geworden ist: die Bestätigung alles dessen, was mir bisher aus dem Jenseits offenbart worden, durch ein Zeugniß, vor dessen Kraft der eingefleischteste Skeptiker sich beugen muß!

Er stellte die Lampe auf das Tischchen vor dem kleinen Sopha und begann seiner Gewohnheit nach in der engen Gasse zwischen den Stühlen und den drei Staffeleien auf und ab zu schreiten.

Muzio, der nicht wußte, was er zu dieser höchst unpersönlichen und übersinnlichen Auffassung des Ereignisses sagen sollte und den der jähe Umschlag der Stimmung bei dem sonderbaren Alten unheimlich anfröstelte, war nach dem Tischchen gegangen, als ob es ihn zu dem trüben rothen Flämmchen als dem einzigen warmen Punkt in diesem unwirthlichen Hause hinzöge. Da sah er einen Brief aus einem alten Exemplar des Vasari hervorschauen, öffnete das Buch und las die Aufschrift: »An meinen Vater.«

Ein Brief der Caterina! sagte er kleinlaut. Wollt Ihr ihn nicht lesen, Signor Romolo?

Nein! entgegnete der Alte heftig. Ich mag nichts mehr von dem falschen Geschöpf wissen. Sie ist todt für mich – alle Lebendigen sind todt für mich – nur meine Todten leben mir – meine Emilia – und all die edlen, großen, wahrhaftigen Geister und Genien, die mich umschweben. Wenn es Euch interessirt, was sie etwa für Ausflüchte gebraucht, ihr heimtückisches Betragen zu beschönigen, so les't immerhin!

Muzio erbrach hastig den Brief. Er war vier Seiten lang, in einer kleinen, nicht sehr geübten, aber festen Handschrift geschrieben, und begann ganz förmlich mit der höflichen Anrede: Gentilissimo Signor Padre! Bald aber wurde der Stil wärmer und der caro babbo verdrängte den »Herrn Vater.« Man konnte sehen, daß sie sich vorgenommen hatte, im ruhigsten Ton die Gründe ihres unkindlichen Schrittes dem alten Herrn gleichsam von Macht zu Macht vorzutragen, bis dann doch das weiche Herz durchgebrochen und ihr Stil mit all den seit Jahren verhaltenen Thränen getränkt worden war. Sie habe umsonst versucht, schrieb sie, ihren Herrn Vater zu überzeugen, daß sie ohne ihren geliebten Vittorio nicht glücklich werden könne. Daß er ihr einen Gatten, wie den Carluccio der Frau Virginia, habe aufdrängen wollen, habe ihr gezeigt, wie wenig ihm die Ehre und der Frieden seines einzigen Kindes am Herzen liege. Mit einem solchen Gecken und Taugenichts würde kein Vater, den nicht die Freundschaft zu der Mutter desselben verblende, seine Tochter vermählen wollen. Wie er ihr dann später die Wahl gestellt, dem Signor Muzio ihre Hand zu reichen oder verstoßen zu werden, habe sie erkannt, daß sie Nichts mehr von seiner Güte zu hoffen habe. Zwar sei Signor Muzio ein Ehrenmann und jedenfalls zehnmal erwünschter zum Gatten, als der alberne Tenor. Aber der Herr Vater wisse ja, daß sie ihre Treue bereits verpfändet habe und lieber zeitlebens eine Jungfer bleiben und ihm in seinen alten Tagen beistehen wolle, als je einen Andern als ihren Vittorio zum Manne nehmen. Weil sie aber zu ihrem Kummer eingesehen, daß ihm Geisterspuk und die fremdeste Gesellschaft lieber sei, als seine gute Tochter, die ihn nie gekränkt, so fürchte sie auch nicht, ihn zu sehr zu betrüben, wenn sie sein Haus verlasse, um es nie wieder zu betreten, es sei denn, daß er ihr seine Verzeihung gewähren und statt Eines Kindes auch noch den Sohn an sein Herz nehmen wolle. Sie zu verfolgen oder durch die Polizei suchen zu lassen, solle er nur nicht unternehmen; es sei dafür gesorgt, daß Niemand sie ausfindig machen würde, ehe sie vom Priester verbunden, der gewagte Schritt also nicht rückgängig zu machen wäre. Und somit sage sie ihrem theuren babbo mit tausend Thränen Lebewohl und gute Nacht, küsse ihm die Hand für alle Lieb' und Güte, die er ihr in früherer Zeit erwiesen, und hoffe zu Gott und der Madonna, daß sie noch einmal Gelegenheit finden werde, sein Herz zu erweichen und ihm trotz alledem als eine treue Tochter zur Seite zu stehen.

In der Seele des getäuschten Liebhabers ging es, während er diese unumwundenen Geständnisse las, wunderlich auf und ab. Er konnte eine gewisse Empfindlichkeit darüber nicht unterdrücken, daß dieses listenreiche junge Geschöpf ihn vier Wochen lang gleichsam als Strohmann vorgeschoben hatte, um hinter seinem Rücken am eigenen Lebensglück um so sicherer zu arbeiten und auch den Argwohn des Vaters einzuwiegen. Andererseits that es ihm wohl, daß sie mit Hochachtung von ihm sprach und ihn jenem klangreichen Adonis bei Weitem vorzog. Aber während er sich sagte, daß er froh fein müsse, nicht etwa gar nach der herrschenden römischen Sitte ihr gerade gut genug zum Ehemann gewesen zu sein, ohne daß sie darum ihrem Liebsten entsagt haben würde, erschien ihm zugleich der Ton und Geist dieses denkwürdigen Aktenstücks so respektabel und liebenswürdig, daß er mit einem schweren Seufzer daran dachte, wie glücklich ein gewisser Vittorio sein müsse, dem dieser Schatz von einem jungen Weibe sich in die Arme geflüchtet und für immer zu eigen gegeben hatte.

Ganz tiefsinnig faltete er das Blatt wieder zusammen, trat dann auf den Alten zu und sagte, unter so bewandten Umständen verzichte er natürlich auf jeden Versuch, Rechte geltend zu machen, die er eigentlich nie besessen, und da der eigene Vater es nicht für zweckmäßig oder wünschenswerth zu halten scheine, die Spuren der Entflohenen aufzusuchen, sei auch er jeder Freundespflicht, ihm darin beizustehen, überhoben und halte es bei der späten Nachtstunde für angemessen, di levargli l'incomodo, wie der höfliche römische Ausdruck lautet, wenn man Jemand nicht länger mit seiner Gesellschaft zur Last fallen will.

Er wartete auch nicht ab, was der Alte etwa noch erwiedern würde. In der That war er nicht wenig verstimmt gegen ihn, da ihm die Art, wie er seine Werbung bei der Tochter angebracht und mit einer Drohung unterstützt hatte, sehr gegen die Ehre ging. Ein de' Cesari, der einem Mädchen sich antrug, durfte sich für gut genug halten, um gemeiner Zwangsmittel entrathen zu können. Auch verdachte er es dem Alten schwer, daß er sich den Sohn der Frau Pythia als Eidam hatte gefallen lassen wollen, und vollends warf die Herzenskühle, mit der er jetzt das Geschehene hinnahm, einen tiefen Schatten auf seinen Charakter. Er selbst – Muzio – war freilich auch für einen so jählings aus allen Himmeln gestürzten Freier minder leidenschaftlich erregt, als in solchem Falle schicklich gewesen wäre. Er aber konnte sich sagen, daß er diese Fassung einem Siege über sich selbst verdanke, und daß es seinem Herzen Ehre mache, das Glück des geliebten Wesens seinem eigenen vorzuziehen.

Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief er rascher, als er selbst gefürchtet hatte, ein und erwachte am andern Morgen wie ein Mensch, der schon zu einer gefährlichen Unternehmung bereit und entschlossen gewesen war und im letzten Augenblick erfährt, daß er seinen Muth und Eifer sparen und in der alten Gemüthlichkeit fortleben könne. Zuerst freilich, wie er die Augen blinzelnd der Tageshelle öffnete, getraute er sich nicht recht, die rothe Ahnenbüste anzusehen. Er schien zu fürchten, daß er einem Zug von Hohn und Mitleiden darin begegnen werde, da sein Versuch, das Geschlecht nicht aussterben zu lassen, so kläglich gescheitert war. Wie er es aber endlich doch übers Herz brachte, beruhigte er sich alsbald, da das Gesicht eher freundlich theilnehmend, als überlegen spottend ihm entgegenblickte. Nur als er auf den Balkon hinaustrat und die nun völlig ihrer Blüten beraubten Kamellienbäume betrachtete, konnte er sich eines ziemlich erbärmlichen Gefühls nicht erwehren, da all diese blühenden Huldigungen so sehr an die Unrechte gekommen waren.

Diese Stimmung wurde denn auch so mächtig in ihm, daß es ihm unmöglich schien, unter Menschen zu gehen, so schön und festlich die Sonne des Ostersamstags über das alte Rom herabschien. Er verbrachte vielmehr den ganzen Tag in freiwilliger Gefangenschaft hinter dem Gitter seines Balkons, schützte, der alten Menica gegenüber, die ihn mit seltsamen Blicken heimlichen Triumphes musterte, ein leichtes Unwohlsein vor und vertiefte sich in seinen Livius, von dem er aber nie weniger Genuß hatte, als heute, da er sich selbst als der thatenloseste Sprosse so erlauchter Vorfahren dünkte, der je auf römischer Erde gewandelt war. Abends, als die Geisterstunde herannahte, war es ihm gänzlich unmöglich, sich auch nur in Gedanken in den Kreis der bekannten Gesichter hineinzuversetzen. Ob die Pythia oder einer der Hausfreunde eine Ahnung davon habe, wie nah die Enthüllung des heiligen Lucas auch ihn betroffen, war ihm dabei ziemlich gleichgültig. Vielmehr schien auf einmal der Zauberschleier zerrissen, der alle diese Gesichter für sein Auge umwoben hatte, und er selbst staunte darüber in seinem Herzen, wie es nur geschehen sei, daß eine so schlagende Bekräftigung aller vorhergegangenen Wunder und Zeichen ihm gleichwohl plötzlich diese ganze überirdische Welt verleidet haben könne, da sie auf seinen alten Freund gerade umgekehrt gewirkt, ihn sogar gegen seinen häuslichen Verlust verhärtet hatte. Er aber hätte es jetzt um Nichts in der Welt wieder über sich vermocht, an jenem Tische niederzusitzen und die magische Kette schließen zu helfen. Wenn er daran dachte, wie oft und lange er den derben kleinen Finger des rohen Gesellen, des Kapitäns, und den rosigen Kinderfinger der dicken Gräfin festgehalten hatte, zuckte es ihm in den Händen, als habe er Pestkranke berührt und die Ansteckung werde sich mit Nächstem fühlbar machen. Ein Gefühl wie körperliche Uebelkeit bemächtigte sich seiner, und ihm war nur dann erträglich wohl, wenn er lang ausgestreckt in den Kleidern auf dem Bette liegen und die Dachziegel drüben in der Sonne betrachten konnte, auf denen eine große weiße Katze sich der gleichen einsamen Beschaulichkeit ergab.

Am folgenden Morgen – dem Ostersonntage – trieb er es nicht besser. Er hatte seiner Menica strengen Befehl gegeben, jeden Besuch abzuweisen. Denn er konnte mit Sicherheit erwarten, daß der edle Cavaliere sich nach dem Grunde seines Ausbleibens erkundigen und die Gelegenheit zu einer neuen Brandschatzung ergreifen würde. In der That erscholl um die zehnte Stunde draußen auf dem Flur die Stimme des Gefürchteten, diesmal in Begleitung von Carluccio's berühmtem Tenor. Menica aber hielt Beiden Stand, und nach kurzem Hin- und Herreden ward es wieder so feiertäglich still im Hause, daß das Kätzchen drüben von Zeit zu Zeit die Seufzer des einsamen Hausherrn über den Garten hinweg vernahm und durch ein tiefsinniges Schnurren beantwortete.

Menica aber, obwohl sie kein Wort sagte, schien gleichfalls im Geheimniß zu sein und den Seelenzustand ihres Herrn viel zu gut zu begreifen, um durch irgend einen Trostversuch die Wunde noch zu reizen. Sie ging auf den Zehen um ihn herum, kochte ihm die ausgesuchtesten Gerichte, die sie nur ersinnen konnte, und enthielt sich übrigens, was sie sonst mit großem Eifer that, irgend welche Hausmittel in Vorschlag zu bringen, zumal Signor Muzio jeder näheren Specificirung seines Unwohlseins beharrlich auswich.

Darüber war auch der Ostermontag vergangen, und der Dienstag brach an, ohne irgend eine Veränderung in diesem trübseligen Zustande herbeizuführen. Menica hatte sich eine Stunde lang entfernen müssen, um ihre Markteinkäufe zu machen, und so saß der Leidende in seinem Hinterstübchen allein, am offenen Balkon, doch weit genug ins Zimmer zurückgerückt, um des Anblicks der Kamellienbäume überhoben zu sein, als draußen ein rasches Klopfen an seiner Thür erklang und, da er sich eine Weile nicht rührte, lebhafter wiederholt wurde. Es blieb ihm nichts übrig, als aufzustehen und die unwillkommene Störung abzuweisen. Als aber auf seine Frage, wer draußen sei, eine nur zu wohlbekannte junge Stimme ein schüchternes: Ich bin es! ertönen ließ, stand er eine ganze Weile regungslos hinter der Thür und überlegte, ob er sich über den Balkon hinunterschwingen oder auf irgend eine andere Weise vor diesem entsetzlichen Besuch verleugnen könne.

Zuletzt blieb ihm doch nichts übrig, als den Riegel zurückzuziehen, wobei er so verschämt und beklommen zu Boden sah, als ob er selbst der Sünder wäre und nach einer munteren Entführung einer Geliebten seiner sitzengelassenen Braut ins Gesicht sehen sollte. Er konnte daher nicht sogleich beobachten, welche Miene seine Besucherin zu dem bösen Spiel, das sie hier angestellt, zu machen für gut fand. Es flimmerte ihm vor den Augen, da sie rasch an ihm vorüberging und erst vor dem offenen Balkonfenster in dem Schlafzimmerchen still stand. Ihr erlaubt wohl, daß ich mich setze, Sor Muzio! sagte sie, ein wenig schwer athmend. Ich bin so gelaufen – und es ist so heiß –

Er bot ihr den einzigen mit Stroh beflochtenen Stuhl an, und während sie sich darauf niederließ, den Rücken gegen das Freie gekehrt, daß ihr Gesicht im Halbdunkel blieb, setzte er sich selbst sehr weit von ihr ab auf die eiserne Bettstatt und fragte in einem künstlich geschäftsmäßigen Ton, womit er dem Fräulein Caterina dienen könne.

Frau Caterina, erwiederte sie eilig, und es war sein Glück, daß er sie nicht dabei ansah; denn niemals war sie hübscher gewesen, als wie ihr jetzt das stolze Erröthen über ihre junge Frauenwürde das Gesicht förmlich leuchten machte. Ja, Signor Muzio, fuhr sie fort, es ist so gekommen, wie es Gottes Wille war und ich es Euch vorausgesagt habe. Ich habe leider etwas thun müssen, was Euch betrübt, aber Ihr könnt wenigstens nicht sagen, daß ich Euch falsche Hoffnungen vorgespiegelt hätte. Seht, wir mußten noch ganze vier Wochen warten, bis mein Vittorio seine feste Anstellung bekam, denn mit seinem früheren Gehalt hätten wir nur wie zwei Bettler zusammen hausen können. Und weil gerade die Ostervacanz dazukam, beschlossen wir, diese Tage zu unserer stillen Hochzeit zu verwenden, wozu wir leider Niemand von der Familie einladen konnten; – seine ist in Turin, und mein armer Babbo – Aber sagt, Signor Muzio, unterbrach sie sich, wollt Ihr mich nicht ein einziges Mal ansehen? Wie soll ich den Muth finden, Euch so Vieles zu sagen, was mir auf dem Herzen liegt, wenn ich glauben muß, Ihr haßt mich, Ihr wünscht mich tausend Meilen von Euch weg und haltet mich für die schlechteste Person, die der Erdboden trägt? Kommt, seid gut; seid so billig und gerecht und freundlich, wie ich Euch ja immer gekannt habe, und sagt, ob ich anders hätte handeln können, ohne mein ganzes Lebensglück zu verscherzen. Ihr müßt mir wieder eine Hand geben, Sor Muzio, denn ich hätte mich wahrlich nicht zu Euch getraut, wenn ich Euch nicht für den besten Menschen unter der Sonne hielte, sogar noch ein bischen besser, als meinen Vittorio, der manchmal recht schlimm werden kann in der Hitze und Furie, während Ihr – o Ihr könnt keinem Kinde weh thun, und ich weiß, wenn ich Euch früher hätte ins Vertrauen ziehen können – das aber hatte mein Vittorio mir verboten – Ihr wäret der Erste gewesen, zu meinem guten Vater zu gehen und für uns zu bitten, daß er unserem Glück nicht länger seinen Segen versagen möchte.

Sie war aufgestanden und mit ganz lautlosen Schritten zu ihm hingeschlichen. Plötzlich lag sie auf dem Steinboden vor ihm und hatte eine seiner Hände gefaßt, die sie fest in ihren warmen kleinen Patschchen drückte, wobei sie ihm mit einer unwiderstehlichen Mischung von Schalkhaftigkeit und Angst unter die gesenkten Augen zu blicken suchte. Eine stärkere Eisrinde, als um sein ehrliches Herz sich gelagert, wäre unter diesen muthwilligen Feuerblicken geschmolzen.

Steht auf! rief er und bemühte sich, sie wieder auf ihre kleinen Füße zu stellen. Ihr seid eine arge Hexe, Ihr überfallt mich hier – in der That – ich hätte nie gedacht –

Sie war rasch wieder aufgesprungen, hielt aber noch immer seine Hand fest und ließ jetzt erst die Augen in dem Zimmerchen herumgehen. Ah! rief sie auf einmal in völlig heiterem Ton, als ob sie den alltäglichsten Besuch von der Welt machte, wie hübsch wohnt Ihr hier, Signor Muzio, und da unten das Gärtchen – und die rothe Büste da – nicht wahr, das ist Euer Ahnherr? Ihr gleicht ihm wahrlich, seht, schon darum wäre ich nimmermehr die rechte Frau für Euch gewesen. Viel zu großen Respect hätt' ich immer vor Euch gehabt und vor dem großen Namen, dem ich schwerlich hätte Ehre machen können. Mein Vittorio ist aus einem ganz unberühmten Hause, der muß schon vorlieb nehmen. Aber Ihr – höchstens, daß ich mich entschließen kann, Euch Onkel zu nennen – obwohl Ihr fast noch zu jung dazu seid – aber alt genug seid Ihr, uns zu rathen und zu helfen, wie wir den Papa versöhnen und, wenn es möglich ist, ihn aus den Netzen dieser Venusti erretten mögen. O diese Frau! Nur den zehnten Theil all ihrer Ränke sollte der Vater wissen, und so verblendet er ist –

Liebe Caterina, erwiederte Muzio sanft, ich weiß nicht, was Ihr gegen Frau Virginia habt. Ihre Familie und die ganze übrige Gesellschaft geb' ich Euch preis, sie selbst aber – wenn sie nicht wirklich mit der Geisterwelt in Rapport stünde, würde sie dann Eure – Eure Entführung uns offenbart haben durch den Mund des heiligen Lucas, den Euer Vater citirt hatte?

Sie hatte sich wieder auf ihren Stuhl zurückgezogen, ganz wie eine ehrbare junge Dame, die einem älteren Herrn eine Visite macht. Jetzt aber sprang sie wie ein leichtfüßiges junges Ding in die Höhe.

Der heilige Lucas? rief sie. Der soll dem babbo verrathen haben –? – Wißt Ihr aber auch, Sor Muzio, wer es dem heiligen Lucas gesteckt hat? Eure alte Menica! flüsterte sie ihm kaum hörbar ins Ohr, indem sie sich nach allen Seiten umsah, ob das gefürchtete Gesicht nicht aus irgend einer geheimen Thür hervorlauschte.

Er fuhr zurück und schüttelte ungläubig den Kopf.

Ihr könnt es mir schon glauben, fuhr die junge Frau eifrig fort. Und ist es ihr denn auch zu verdenken, daß sie mir nicht wohlwollte, seit sie gemerkt, ihr Herr habe ein Auge auf mich geworfen? Auf keinen Fall sollte ich als Herrin in Euer Haus kommen, das war ihre einzige Sorge, und darum verbündete sie sich mit der Anderen, der eben so viel daran gelegen war, daß Ihr keine Frau bekämt. Denn meint Ihr, ich wüßte nicht, daß die Venustis Euch gerade so ausgebeutelt haben, wie meinen guten babbo, der nun richtig so weit gebracht ist, daß er Nichts mehr sein eigen nennt, als das alte Häuschen, worin er wohnt? Und seht, wenn Ihr Euch verheirathet hättet, so würde die junge Frau schwerlich ein gutes Gesicht dazu gemacht haben, daß der Herr Cavaliere alle Augenblick sich einstellte mit leerer Tasche und mit gefüllter wieder fortging. Eine Tochter hat keine Gewalt über ihren Vater, eine Frau aber kann und soll das Vermögen zusammenhalten. Seht, Signor Muzio, ich bin nicht geldgierig, ich habe meinen armen Teufel von Vittorio geheirathet, obwohl ich einen reichen Hausbesitzer hätte haben können. Aber das Herz hat mir geblutet all die Jahre, wenn ich mitansehen mußte, wie das listige Weib die Güte meines armen alten Papa's mißbrauchte, damit ihr Affe von Söhnchen und die Bestie von Mann sich gute Tage machen konnten. Ihr aber seid auch viel zu gut und traut Niemand etwas Böses zu. Ihr habt nicht gesehen, wie die Menica unser Haus umschlichen hat, wie sie dann Alles, was sie erspähen oder erkundschaften konnte, zu der Geisterdame hintrug. Denn daß ich meinem Geliebten treu blieb, war Wasser auf ihre Mühle, und daß ich mich endlich entführen lassen mußte, hätte sie nicht besser wünschen können. So war es ein für alle Mal aus zwischen mir und Euch, und hoffentlich enterbte mich mein Papa, wobei sie nur gewinnen konnte. An jenem Abend aber – vor drei Tagen – mein Vittorio wartete auf mich unten in der Gasse, ich kam mit einem kleinen Bündel die Treppe hinunter und warf mich in seine Arme – wen sahen wir, als wir aus unserer ersten Verwirrung aufblickten? Eure alte Menica, die den Spion gemacht hatte. Nun, uns konnte sie nicht mehr schaden. Aber gewiß ist sie spornstreichs zu Frau Virginia gelaufen, und der war es sehr bequem, den heiligen Lucas wahrsagen zu lassen. Das gab ihr neuen Credit, und was geschehen war, ließ sich nun doch nicht mehr ändern. O, Signor Muzio, diese Frau! – wie hat sie mir schön gethan, so lange sie noch hoffte, ich sollte ihren Carluccio heirathen! Denn damals hielt sie uns noch für sehr reich. Als ich aber nicht wollte, hat sie nichts unterlassen, meinen theuren babbo gegen mich aufzubringen, bis er mir feindseliger begegnete, als einer Wildfremden. Und doch – ich kann es nicht mitansehen, daß er nun so einsam in Haß auf mich und in den Banden dieses – Weibsbildes seine alten Tage hinlebt. Lieber, bester Signor Muzio, Ihr müßt zu ihm gehen, Ihr müßt ihm Alles sagen, was ich Euch gesagt habe. Seht, wenn Ihr meinen Vittorio kenntet – er fand es erst nicht schicklich, daß ich zu Euch ging, – aber weil ich keinen anderen Weg wußte, den Vater zu versöhnen, hat er endlich gesagt: Geh mit Gott, Caterinuccia. Wenn der Herr Muzio jener große galantuomo ist, wie du ihn schilderst, wird er's uns eher gut als übel aufnehmen, daß wir uns gerade an ihn wenden, und wird Alles thun, was in seiner Macht steht. Und seht, so hab' ich mir ein Herz gefaßt, als wäret Ihr wirklich unser lieber leiblicher Onkel – obwohl Ihr noch so jung seid – und jetzt –

In diesem Augenblicke hörten sie die Thüre gehen und erschraken Beide, da sie den Schritt der Menica und ihr seltsames Murren und Raunen vernahmen, womit sie sich schon von Weitem anzukündigen pflegte. Laßt Euch ums Himmelswillen nicht merken, daß wir um ihre Schliche wissen! flüsterte die junge Frau. Und jetzt will ich gehen. Auch ich muß ihr ein freundliches Gesicht zeigen. Der arme Tropf! Sie hätte es auch schlimm bei mir gehabt!

Sie sagte das mit dem reizendsten spitzbübischen Lächeln, dem guten Muzio mit Augen und Händen zuwinkend wie ihrem getreuen Verbündeten. Draußen hielt sie sich noch ein paar Augenblicke bei der Alten in der Küche auf, die vor Schrecken über diese Erscheinung nicht das geringste Wort vorzubringen wußte, lobte ihre Tiegel und Pfannen und das Kupfergeschirr, guckte in den Korb, worin sie die Einkäufe heimgebracht hatte, und huschte endlich davon, nachdem sie ihr noch auf die Seele gebunden, dem theuren Signor Muzio etwas Gutes und Leichtes zu kochen, da er Gemüthsbewegungen gehabt habe, die immer die Gesundheit angriffen.

Gemüthsbewegungen hatte er nun freilich gehabt, der treffliche Galantuomo, aber sie hatten, statt ihm zu schaden, sein Blut wohlthätig erfrischt und die dumpfe Schwere von ihm genommen, unter der er die letzten Tage einsam hingebrütet hatte. Er war die Milde und Sanftmuth selbst, obwohl er gegen seine alte Menica nicht wenig auf dem Herzen hatte, machte Vormittags einen kleinen Corso-Gang, aß dann wieder mit altem Appetit und schickte sich bald nach der Siesta zu dem schweren Gang in die Via Margutta an, nachdem er den alten Freund seit vier Tagen nicht mehr gesehen hatte.

Als er dann gegen die Dämmerung jenem Häuschen an der Ripetta zusteuerte, in welchem das junge Paar sich sein Nest gebaut hatte, war seine Miene zwar nicht mehr so freudig, wie am Vormittag, aber er schritt doch fest und rüstig aus und klopfte mit unverzagtem Finger an die Thür im dritten Stock, hinter welcher der junge Herr Kriegssecretär schon in seiner ledigen Zeit gewohnt hatte.

Die Neuvermählte öffnete ihm selbst. Sie begrüßte ihn mit einem lauten Ausruf der Freude und führte ihn rasch in das einzige Zimmer, das sie außer einem Schlafkämmerchen besaßen. Der junge Ehemann war eben vom Bureau nach Hause gekommen, der Tisch zum Pranzo stand gedeckt, es sah Alles hübsch und einladend aus, am hübschesten die Gesichter der jungen Hausfrau und ihres Gatten, der sich Anfangs bemühte, seinem ehemaligen Rivalen mit einer förmlichen Miene zu begegnen, der Harmlosigkeit des neuen Bekannten aber nicht lange widerstehen konnte.

Nun mußte Muzio Hut und Stock ablegen und sogleich an dem Tische Platz nehmen, da die Maccaroni eben fertig seien und nicht stehen dürften. Er konnte dem Drängen der beiden Glücklichen nicht widerstehen, und als der erste Blick in die offene, kluge und charaktervolle Physiognomie des jungen Piemontesen ihn sofort für seinen glücklichen Nebenbuhler eingenommen hatte, schwand bald der letzte Rest von Zwang und Steifheit, und diese drei Menschen aßen und tranken so vergnüglich mit einander, als hätte es nie anders sein können. Ja, Frau Caterina behauptete, dies sei eigentlich erst ihr Hochzeitsmahl und sie müßten eine Flasche mehr trinken auf das Wohl der Neuvermählten und des Herrn Oheim.

Durch diese glückliche Stimmung wurde es Muzio auch erleichtert, von dem Mißerfolg seiner Sendung bei dem alten Herrn Bericht zu erstatten. Er selbst war der besten Hoffnung, es könne so nicht bleiben, und wenn der babbo gleich ihm sich erst überzeugte, welch eine Musterwirthschaft das junge Paar führe, werde er allem Geisterspuk lieber den Rücken wenden, als sich diese menschlichsten aller Freuden eigensinnig versagen.

Dann, wie er nach dem Essen Abschied nahm, kam er noch auf der Schwelle in sichtbarer Verlegenheit mit einem Vorschlag heraus, den er über Tische ersonnen hatte. Diese Junggesellenwohnung sei doch gar zu enge, zumal für die Zukunft nicht ausreichend, wenn sie etwa ein Mädchen zu nehmen genöthigt würden, – hierbei erröthete er selbst sehr jungfräulich. Da nun in seinem Hause ein kleines Quartier frei geworden, vier artige Zimmer im Mezzanin – ein Engländer, der sie gemiethet und den Zins für ein halbes Jahr vorausbezahlt, sei plötzlich gestorben, – so stelle er seinem jungen Freunde anheim, dort einzuziehen. Ein alter Oheim werde ihm hoffentlich keinen Grund zur Eifersucht geben.

Hier nun erröthete Frau Caterina sehr, fiel ihrem Vittorio, der nicht gleich zu antworten wußte, um den Hals, raunte ihm ein Wörtchen zu und wandte sich dann mit der lieblichsten Herzlichkeit an ihren älteren Freund, ihm betheuernd, sie könne es ihrem jungen Gatten trotz alledem nicht verdenken, wenn er Anstand nähme, unter Einem Dache mit.einem so liebevollen und liebenswürdigen Oheim zu wohnen, überlasse ihm daher die Entscheidung. Nun aber lachte der junge Ehemann seinerseits und erklärte, obwohl er die Gefahr durchaus nicht unterschätze, fühle er doch den Werth einer so uneigennützigen Freundschaft zu tief, um diesem neuen Freunde nicht gern so nah als möglich zu wohnen, und sie würden daher über einen Monat, wenn ihre eigene Miethe abgelaufen, mit Freuden die angebotene Hausgenossenschaft annehmen.

Dies geschah denn auch wirklich, und obwohl schon vier bis fünf Jahre seitdem vergangen sind, hat noch kein Theil Grund gehabt, den raschen Entschluß zu bereuen. Ja, es ist den geheimen Zauberkünsten der jungen Frau sogar gelungen, auch die alte Menica sich geneigt zu machen, so daß diese beiden Familien fast wie eine einzige sich mit einander vertragen, zumal seit einige junge Schwarzköpfe die Treppen und Gänge des Hauses und des Gärtchens dahinter unsicher machen, an denen die Menica ihre großmütterliche Freude hat. Der eigentliche Großvater hat erst bei der Taufe des Zweiten – der seinen Namen erhielt, der Aeltere wurde Muzio genannt – den langgenährten Groll aufgegeben und die Schwelle seiner Tochter betreten. Freilich war eine Woche vorher seine Freundin, die bleiche Pythia, von der Polizei abgeholt und wegen allerlei übler Geschichten, Wechselfälschungen und Betrugshändel in sichern Gewahrsam gebracht worden, wohin der Trost der Ueberwelt ihr hoffentlich gefolgt ist. Signor Romolo vermied seitdem von ihr zu sprechen. Die Gesellschaft, die sich um sie versammelt hatte, war plötzlich zerstoben. Nun der Kapitän Achille Cornacchia besuchte noch dann und wann seinen alten Freund, der endlich sein Haus verkaufte und zu seinen Kindern zog, und wenn er eine finstere Stirn machte, so oft der Kriegsmann sich in ehrenrührigen Reden gegen ihre frühere Freundin erging, verzog sich der alte Mund doch immer wieder zu einem zufriedenen Lächeln, wenn der Kapitän seinen stehenden Scherz auftischte: die beiden kleinen Krausköpfe seien zwar nur Romolosenkel von der Mutterseite, aber das piemontesische Barbarenblut, das sich, dem echten römischen gemischt, verspreche denn doch ein gesunderes und rüstigeres Geschlecht und eine bessere Zukunft, als man im Uebrigen im Gebiete der Politik von diesen verwünschten Piemontesen zu gewärtigen habe.

——————


 << zurück weiter >>