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(1869)
Vor Jahren, in einer Schweizer Pension, wo ich einige Wochen des heißesten Sommers zubrachte, fiel mir unter den gleichgültigen Gesichtern, die sich um die Mittagstafel reihten, gleich am ersten Tage eine kleine alte Dame auf, deren schwarze Augen wenig nach rechts und links schweiften, sondern, wenn sie nicht auf ihren Teller gerichtet waren, unverwandt die graue Bergwand draußen zu betrachten schienen. Diese Augen waren das einzig Schöne in dem unscheinbaren, welken Gesicht und milderten mit ihrer sanften Ruhe den Ausdruck von herber Verschlossenheit, der die scharfgeschnittenen schmalen Lippen und die ungewöhnlich hohe Stirn unter den spärlichen grauen Haaren nicht eben anziehender machte. Zu ihrer Rechten saß ein tauber alter Holländer, zu ihrer Linken ein nicht mehr junges Fräulein, das ihre Gesellschafterin zu sein schien. Nur an diese richtete sie hin und wieder ein halblautes Wort, mehr, wie es schien, um ihr gegenüber vor den Andern nicht unfreundlich zu erscheinen, als aus innerem Bedürfniß; denn es kam nie zu einem längeren Gespräch. Sie hatte ein Schüsselchen neben ihrem Gedeck, in welchem kleine Eisstückchen schwammen. Von Zeit zu Zeit, selbst während des Essens, griff sie mit drei Fingern ihrer kleinen, noch jugendlich zarten Hand hinein, fischte eines der glatten Krystallkügelchen heraus und führte es zum Munde, wie ein Kind bei Tische zwischendurch Bonbons nascht.
Ich erfuhr von meiner Nachbarin, daß die alte Dame schon seit dem Beginn des Sommers sich hier aufhalte, sehr krank sei, einen Arzt aber nicht consultirt habe und mit Niemand verkehre. Sie zeige sich nur bei der Mittagstafel; Abends im Salon habe sie sich noch niemals der Gesellschaft genähert. Diese sei auch nicht eben gut auf sie zu sprechen, weil das Pianino, auf dem man ehemals Tänze gespielt und den Gesang stimmbegabter Dilettanten begleitet habe, sofort in das Zimmer der alten Dame hinauftransportirt und durch kein anderes Instrument ersetzt worden sei. Da sie dies zur Bedingung gemacht und die doppelte Miethe für den ganzen Sommer vorausbezahlt habe, sei der Wirth schwach genug gewesen, sich dieser hochmüthigen Tyrannei zu fügen. Nun höre man sie freilich manchen Abend bis tief in die Nacht hinein spielen, es seien aber immer entsetzlich ernsthafte Sachen, durch die der gesellige Zweck der Musik nicht erreicht werde. Sie sei eine Deutsche, aus einem der kleinen, jetzt mediatisirten Fürstenthümer, und heiße Frau von F. Ihre Gesellschafterin möge nicht zu beneiden sein. Wenigstens gehe das arme Wesen so einsilbig und wie eingeschüchtert herum, daß man wohl sehe, sie folge einem strengen Befehl ihrer Dame, sich gleichfalls von jeder Berührung mit den übrigen Hausgenossen fern zu halten.
Wenn es die Absicht meiner Tischnachbarin, einer ältlichen, aber noch sehr lebensfrohen Banquierswittwe, war, auch mich gleich am ersten Tage gegen die kleine Dame einzunehmen, so gelang ihr dies freilich nicht. Auch nach Tische auf einem einsamen Spaziergang begleitete mich das verwitterte kleine Gesicht und der stille Blick der schwarzen Augen. Ich mußte lachen, als ich mich selbst darauf ertappte. Man hatte mich früher, in viel jüngeren Jahren, oft mit meiner Vorliebe für kluge alte Frauen geneckt. Ich hatte mich dann damit gerechtfertigt, daß für die Wissenschaft vom menschlichen Herzen, die ich zu meinem Brodstudium erwählt, mehr von alten Mütterchen als von jungen Fräuleins zu lernen sei, theils weil die Alten selbst mehr davon wüßten, als die Jungen, theils, weil man nicht Gefahr laufe, mit dem Lehrgeld übertheuert zu werden. Zumal die ganz alten Frauen, die gleichsam geschlechtslos geworden sind, verlieren oft gänzlich jene anerzogene frauenzimmerliche Scheu, die Dinge dieser Welt beim Namen zu nennen, die so Vielen hinderlich ist, das Leben überhaupt in seiner Wahrheit zu erkennen. Wenn sie Gemüth genug besaßen, Erfahrungen zu machen, und nur ein wenig Geist, diese Erfahrungen zu formuliren, ist ihr Umgang einem Psychologen und Novellisten ersprießlicher, als die schönsten leidenschaftlichen Abenteuer, bei denen er doch immer mehr sein eigenes Herz kennen lernt, als das der Frauen. Denn eine Frau, die noch nicht auf Erfolge verzichtet hat, entschleiert auch dem geliebtesten Manne ihr Inneres niemals ganz. Die Alten wissen, daß das Aussprechen der Wahrheit der letzte Reiz ist, den sie der Jugend gegenüber behalten.
Am Abend nun, als ich auf der Terrasse vorm Hause meine Cigarre rauchend hin und her wandelte, obwohl im Salon mehrere junge Herren und Damen aus der französischen Schweiz die geistreichsten Gesellschaftsspiele spielten, hörte ich auf einmal aus dem Balkonzimmer über mir Töne herunterklingen, die mich hoch aufhorchen machten. Hätte ich nicht gewußt, daß Niemand in diesem Hause die Tasten berühren durfte, als Frau von F., so hätte ich sicher auf einen andern Spieler gerathen, als auf die kleine, zarte Matronenhand, die sich über Tisch mit den Eisstückchen zu schaffen gemacht hatte. Bei aller Weichheit und Wärme des Tons war so viel feste Kraft in ihrem Anschlag, – man war versucht, an einen Orgelvirtuosen zu denken, der hier mit einem viel schwächeren Instrument vorlieb nehmen müsse, aber ein zu guter Musiker sei, um nicht trotzdem den Geist der Composition aus der Tiefe heraufzuschöpfen. Zufällig war, was sie zuerst spielte, ein halbverschollenes Magnificat von Durante, an das sich mir Erinnerungen aus der Knabenzeit knüpften. Dann ging sie zu anderen Stücken über, in denen ich den alten Johann Sebastian erkannte. Moderne Saloncompositionen, nach denen sich allenfalls hätte tanzen lassen, schienen nicht bei ihr in Gunst zu stehen.
Ich begriff nun freilich die gereizte Stimmung, in der sich die Hausgenossenschaft der Spielerin gegenüber befand. Zwar ließ sich das junge Volk durch die ernsten Passagen nicht in seinem Lachen und Schäkern stören. Meine Tischnachbarin aber, die den Pfänderspielen entwachsen, aber, wie sie sagte, für gute, nur nicht gar zu gelehrte Musik sehr empfänglich war, trat mit einem Seufzer schmerzlicher Entrüstung zu mir hinaus und deutete stumm nach oben, wie um mich zum Zeugen anzurufen, daß der geduldigen Menschheit wirklich zuweilen das Unerträgliche zugemuthet werde.
Ich zuckte ziemlich zweideutig die Achseln und entfernte mich vom Hause, gerade nur so weit, um die gedämpft herüberklingende erhabene Nachtmusik ohne Einmischung einer Menschenstimme genießen zu können.
So viel wußte ich nun, daß ich die Gegenpartei im Hause nicht verstärken würde. Ich fühlte sogar ein lebhaftes Verlangen, offen mit ihr zu brechen und mich zum Parteigänger der einsamen alten Dame aufzuwerfen. Da ich mir aber von ihr selbst wenig Dank versprechen durfte, wenn ich die Schranken, die sie geflissentlich um sich gezogen, durchbrach, mußte ich mich wohl mit einer stillen Verehrung aus der Ferne bescheiden und mir an dem genügen lassen, was durch die offene Thür ihres Zimmers als klingendes Almosen meiner Bedürftigkeit zu Gute kam.
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Doch schon am folgenden Nachmittage, als ich von langen Kletterwegen mit einem großen Alpenrosenstrauß beladen heimkehrte, begegnete ich auf dem ebenen Fußpfade neben dem Wildwasser dem Gegenstande meiner heimlichen Neigung. Auch ihre Gestalt war unansehnlich, ihr Gang mühsam. Sie stützte sich auf den Arm ihrer Begleiterin, und ich sah schon von fern, daß sie nach allen dreißig Schritten still stehen mußte, um wieder Kraft zu sammeln. Dabei war ihr Gesicht von jedem Schmerzensausdruck frei, und die Augen leuchteten unter dem schlichten schwarzen Strohhut noch wärmer und tiefer, als sonst.
Ich zog den Hut und wollte mit einer stummen Verbeugung vorübergehen. Ihr Fräulein aber flüsterte ihr ein Wort ins Ohr. Da blieb sie plötzlich stehen und rief mich beim Namen.
Ich weiß nicht, ob ich Sie hier noch einen Augenblick festhalten darf, sagte sie mit einer milden, sehr wohlklingenden Stimme. Sie kommen wohl von weiter Wanderung und sind ermüdet. Aber ich will wenigstens die Gelegenheit im Fluge ergreifen, unsere Bekanntschaft einzuleiten. Ich habe Ihre liebe Mutter gekannt, vor langen Jahren; ich war jünger als sie, aber um so unvergeßlicher ist mir das Wohlwollen, mit dem sie mir begegnete. Sie begreifen, daß ich darum mit doppeltem Interesse Ihren eignen Lebensweg aus der Ferne verfolgt habe und nun eine aufrichtige Freude empfinde, Sie persönlich kennen zu lernen.
Ich ergriff ihre Hand und drückte sie herzlich. Die guten Worte, die sie mir gesagt, vergalt ich sofort mit dem Geständniß der geheimnißvollen Sympathie, mit der mich ihre Erscheinung seit gestern erfüllt hatte, und dem Dank für ihr Spiel in jener stillen Nachtstunde.
Wenn Sie Musik lieben, fuhr sie fort, indem sie sich wieder zum Gehen anschickte und mich an ihre linke Seite nahm, werden Sie es nicht ganz und gar bereuen, einer so alten Frau manchmal eine halbe Stunde zu schenken. Ihre kluge Mutter sagte einmal: Man kommt so stückweise um sich. Sie hatte nur allzu Recht. Manches Stück von mir hat mich schon im Stich gelassen. Meine Augen weigern mir den Dienst; – ohne die jungen Augen hier (sie wandte sich freundlich zu ihrer Begleiterin) müßte ich ganz auf Bücher verzichten und mit der Trösteinsamkeit des Strickstrumpfs oder der Patiencekarten vorlieb nehmen. Meine Füße sind auch unbotmäßig geworden, der andern edlen und unedlen Organe zu geschweigen, die vor mir abzusterben Miene machen. Das letzte Stück von mir, das noch etwas taugt, ist meine Musik. Leider muß ich mich dabei ganz auf mein Gedächtniß verlassen, das zum Glück treuer ist, als manche andere alte Freunde.
Sie hatte im Sprechen, gleichviel was sie sagte, eine Anmuth, die auch ihre Züge gleichsam von innen heraus durchleuchtete und ihnen alles Scharfe und Strenge nahm. Dabei sah ich dennoch, daß es ihr nicht leicht wurde, im Gehen zu plaudern; sie schien Schmerzen auf der Brust zu fühlen, und die Ruhepausen wurden häufiger.
Ich sagte ihr, daß ich fürchtete, das Gespräch im Gehen greife sie an, und bat um die Erlaubniß, sie Abends in ihrem Zimmer noch auf eine Viertelstunde sehen zu dürfen.
Sie schüttelte mit einem wehmüthigen Lächeln den kleinen grauen Kopf.
Freilich greift es mich an, lieber Freund, versetzte sie langsam. Das Leben ist überhaupt ein angreifendes Vergnügen in meinen Jahren, und Alles, was Unsereins noch Gutes genießt, genießt er immer gleichsam hinter dem Rücken seiner großen und kleinen Leiden. Wenn ich mich so still verhalten wollte, wie ein indischer Büßer, würde ich vielleicht hie und da eine ganz schmerzensfreie Stunde haben. Die könnte ich dann aber nur aus der Reihe der wirklich gelebten ausstreichen. Nein, Sie müssen mir versprechen, von meinem Befinden stets so wenig Notiz zu nehmen, wie ich selbst. Entsinnen Sie sich jener Stelle – ich glaube, sie findet sich bei Le Maître – wo der Körper immer l'autre genannt wird, der Andere, den jeder geistige Mensch mit sich herumschleppt und für dessen Bosheiten und unbequeme Unzertrennlichkeit er sich nur dadurch schadlos halten kann, daß er ihn so viel als möglich ignorirt? Ich finde das eigentlich undankbar. Der bewußte »Andere« ist uns in jüngeren Jahren gar kein so unliebsamer Gefährte gewesen. Wie viele von unsern besten Freuden verdanken wir seiner munteren Genußfähigkeit! Wenn er dann vor uns decrepit wird, müssen wir seine lästige Gesellschaft geduldig ertragen, wie von zwei Eheleuten der jüngere und frischere Theil nach der goldenen Hochzeit die Launen und Nücken seiner anderen Hälfte. Nur soll man nicht viel Wesens davon machen. Sie werden mich also nie nach meinen Zuständen fragen, nicht wahr? Die fünf Minuten, die uns dies Thema kostete, wären verschwendet. Aber nun lassen Sie mich noch ein Streckchen allein weiterschleichen und halten Ihr Wort, heut Abend zu kommen.
Sie reichte mir wieder ihre Hand, die ich ehrerbietig an meine Lippen drückte. Es war mir, als hätte ich irgend ein liebevolles Vermächtniß meiner Mutter entdeckt und ein Recht darauf, mich seiner zu bemächtigen. Auch ihre Begleiterin gefiel mir sehr; ein stilles, ausdrucksvolles Gesicht, das nur leider das Lächeln ganz verlernt zu haben schien. Es war, wie ich später erfuhr, ein Fräulein aus einer verarmten vornehmen Familie, das durch einen grausamen Verrath in der Liebe um den Verstand gekommen war und vielleicht nie völlig geheilt worden wäre, hätte Frau von F. sie nicht in ihr Haus genommen. Nur die Lachmuskeln ihres feinen, anziehenden Gesichtes blieben gelähmt.
Ich konnte die Abendstunde, wo ich meine alte Freundin wiedersehen sollte, kaum erwarten. Man hatte von der Pension aus unser Begegnen beobachtet, und ich mußte allerlei Neckereien über mich ergehen lassen. Mit den jungen Damen hatte ich es ohnehin verschüttet. Den älteren, die mir zu meiner Eroberung Glück wünschten, sagte ich einen Theil der Wahrheit: ich hätte in der absonderlichen Einsiedlerin eine Jugendfreundin meiner Mutter entdeckt, der ich gewisse Rücksichten schuldig sei. So ließ man mich gewähren und rächte sich für meine Vernachlässigung nur durch geflissentliches Ausschließen von allen gemeinsamen Unternehmungen, Alpenpartieen, Loterieen und Picknicks, die beständig viel zu schwatzen und zu lachen gaben. Ich ertrug dies harte Schicksal mit großer Fassung.
Wie ich aber am ersten Abend den versprochenen Besuch machen wollte, klopfte mir seltsamer Weise das Herz, wie einem Liebenden, der zu seinem ersten Stelldichein schleicht. Ich trat in den geräumigen Salon des oberen Stockwerks, den Frau von F. bewohnte. Die Berge drüben warfen noch einen letzten Abendschimmer durch die offene Balkonthür und die beiden Fenster, und der Alpenrosenstrauß, den ich in der Hand trug, glühte im schönsten Purpurschein. Mein Anpochen war überhört worden, ich stand schon mitten im Zimmer, als meine alte Freundin aus der Nebenthür hereintrat. Da sie sehr kurzsichtig war, erkannte sie mich nicht sogleich. Dann aber war es reizend zu sehen, wie ihr gewöhnlicher strenger Ausdruck einer seelenvollen Freundlichkeit wich, als sie mich begrüßte. Man sah förmlich das warme Herz in den erloschenen Zügen aufleuchten. Ich hatte meine Blumen, so gut ich's konnte, zu einem präsentablen Strauß geordnet und reichte ihn ihr, indem ich mich entschuldigte, daß ich mich wohl zu früh eingestellt hätte. Aber da man doch einmal im Hause hinter diese meine Herzensangelegenheit gekommen sei, wolle ich nicht besser sein, als mein Ruf.
Sie ging heiter auf diesen Ton ein, dankte mir für die Blumen und bat mich, auf dem Sopha niederzusitzen. Sie selbst nahm auf einem vielfach mit kleinen Kissen ausgestopften Rohrsessel Platz, wo sie sich in einer wunderlich kauernden Stellung wie ein altes Schmuckstück in einem Etui oder Futteral befand. Ihr gebrechlicher Körper schien einer Menge kleiner Stützen zu bedürfen, um ihren Geist möglichst im Gleichgewicht zu lassen.
So plauderten wir wohl eine Stunde lang. Zunächst erzählte sie mir Alles, was sie von meiner Mutter noch in der Erinnerung hatte. Der Gegensatz der alten und neuen Zeit, der damaligen und heutigen Erziehung kam dabei zur Sprache, ohne daß sie die üblichen Vorurtheile gealterter Menschen getheilt hätte. Sie war auch der Meinung, daß eine wirklich originelle Natur, wie ihre Jugendfreundin gewesen, auch heute noch trotz der umsichgreifenden banalen Bildung sich frei auswachsen und ihre Frische bewahren könne. Mir selbst, sagte sie, hat leider gerade das gefehlt, was Ihre Mutter so liebenswürdig machte, der unversieglich quellende Humor. Ich goûtirte ihn aber um so mehr, als ich selbst unter der Ernsthaftigkeit und Schwerflüssigkeit meines geistigen Temperamentes zu leiden hatte. Wenn ich es einmal zu einem Witz aus eigenen Mitteln brachte, war es immer in meinen traurigsten Stunden, wo ich die scharfen Gegensätze des Lebens sich so hart an einander reiben sah, daß endlich ein Funken heraussprang. Ich beneidete Julie, die doch auch nicht immer leicht durchs Leben ging, um die Fähigkeit, allem Feindseligen so lange mit ihrer inneren Heiterkeit zu Leibe zu gehen, bis sie es durch Lachen entwaffnet hatte. Was hat sie nicht, selbst schon in den Jahren jugendlicher Eitelkeit, über den Verlust ihres einen Auges durch die Blattern gescherzt, als ihre Nächsten trostlos darüber waren! Was sie an mir liebte, weiß ich nicht. Ich war damals sehr unliebenswürdig und mißfiel mir selbst aufs Aeußerste. Vielleicht war es eben nur der unerbittliche Hang nach innerer Wahrhaftigkeit, den ich mit ihr gemein hatte und sogar leidenschaftlich gegen mich selbst kehrte, indem ich mir keinen meiner Fehler beschönigte.
So sprach sie weiter, doch keineswegs immer allein. Sie besaß in ganz ungewöhnlichem Grade das Talent aller Virtuosinnen der Geselligkeit, klug zu hören und Andere beredt zu machen. Es war dabei völlig finster um uns her geworden, ohne daß Einer von uns es bemerkt hätte.
Ihr Fräulein trug endlich die Lampe herein und stellte sie auf den Tisch zwischen uns, nach der Seite der alten Dame durch einen grünseidenen Schirm verdunkelt. Ich sah, wie die stille Gestalt sich zu der Kranken neigte und ihr ein Wort ins Ohr flüsterte.
Da sehen Sie, lieber Freund, wie streng ich überwacht werde, sagte Frau von F. Meine Camilla findet, daß ich viel zu anhaltend spreche, und freilich hat sie Recht. Der »Andere«, der dumme Kerl, will es nicht leiden, daß ich thue, als ob er nicht vorhanden wäre, und läßt es mich dann in der Nacht büßen. Aber Sie sollen darum noch nicht gehen. Wollen Sie uns etwas vorlesen? Meine junge Freundin tritt Ihnen ihr Amt um so lieber ab, da sie seit gestern ein wenig heiser ist.
Ich erbot mich mit Freuden dazu. Auf dem Tische lagen einige Bücher, ich sah sie durch und fand zu meiner Ueberraschung, daß es sämmtlich Schriften eines meiner eigenen Lieblinge waren, Alles, was ich selbst von Stendhal kannte, und noch Einiges, was mir entgangen war. Ich sagte ihr, wie es mich freue, auch in dieser Neigung mit ihr zusammenzutreffen.
Diesmal allerdings, erwiederte sie. Im Uebrigen aber dürfen Sie, wenn Sie sämmtliche Werke eines Autors bei mir finden, nicht gleich daraus schließen, daß ich eine Vorliebe für ihn hätte. Ich lese nur überhaupt nicht mehr Einzelnes von Einzelnen; das, was ich in den Büchern suche, ist der Mensch, der dahinter steht und der oft erst zum Vorschein kommt, wenn ich mich seiner œuvres complètes bemächtigt habe, während Einzelnes von ihm mir vielleicht nichtssagend erscheint, am wenigsten mir von ihm selbst etwas sagt. Mit Stendhal ist es anders. Hinter den Menschen bin ich noch immer nicht ganz gekommen; er hatte ja auch die Manie, sich selbst zu verstecken. Was er aber giebt, ist immer schon durch den Stoff so anziehend, daß ich nie genug von ihm haben kann. Wie hat er Welt und Menschen gekannt, wie schlagend weiß er immer das Wesentliche mit dem reinsten Ausdruck zu bezeichnen. Und dann liebe ich die Geschichten und Chronikabenteuer, die er in Italien gesammelt hat, die starken rücksichtslosen Leidenschaften ohne jede Selbsttäuschung, mit einer – kalten oder heißen – Unbedenklichkeit bis aufs Messer, den ganzen heftigen Lebenspuls, der durch die Gesellschaft der Renaissance, zumal im Süden, ging, und den wir mit unsern prüden Armseligkeiten leider so gezähmt haben, daß ich die heutigen Herren Novellisten aufrichtig bedaure. Aber da komm' ich wieder ins Schwatzen hinein. Nehmen Sie rasch ein Buch, das erste beste, ich kenne sie ohnehin alle und mag sie immer wieder hören. Lesen Sie, was Ihnen selbst gefallen hat. Gefallen heißt ja nur den Wunsch erwecken, das Bekannte immer wiederzusehen.
Ich griff aufs Gerathewohl hinein und las eine der merkwürdigen Geschichten aus den Chroniques et nouvelles, die Aebtissin von Castro, glaub' ich. Fräulein Camilla hatte sich mit einer Handarbeit zu uns gesetzt, unten im Hause war zum Glück Alles still, da ein athemloses Hazardspiel selbst die jüngeren Damen beschäftigte. Man hörte nur, wenn ich eine Pause machte, einen großen Nachtfalter, der sich gegen die helle Lampenglocke leidenschaftlich abflatterte und immer wieder hereinkam, so oft das Fräulein ihn haschte und behutsam auf den Balkon hinaustrug. Die ganze wundersame Stimmung der traurigen Geschichte überkam mich wieder, und ich mußte tief aufathmen, als ich zu Ende war und das Buch zuklappte.
Wir saßen etwa fünf Minuten ohne ein Wort zu sprechen. Dann stand die kleine Frau plötzlich auf, ging geräuschlos nach dem Pianino und schlug ein paar mächtige Accorde an. Sie zauderte darauf eine ganze Weile, als ob sie unschlüssig sei, was sie spielen solle. Nach und nach wuchsen die einzelnen Töne, die sie wie suchend antippte, zu einer schönen, gewaltigen Fuge an; es war aber nicht Bach'scher Stil, soweit ich urtheilen konnte. Das Fräulein hatte die Stickerei vom Schooß gleiten lassen und ruhte im Sessel, den Kopf tief auf die Brust gedrückt, die sich heftig hob und senkte. Mir selbst wurde immer geisterschwüler, ich stand leise aus meiner Sophaecke auf und schritt geräuschlos über den Teppich nach der Balkonthür. Da genoß ich die herrlichen Töne, während die Mondstrahlen meine Stirn kühlten. Als die letzten Accorde verklangen, war mein Herz viel zu voll, um in Worten überzufließen. Ich neigte mich zu meiner alten Gönnerin hinab, ergriff ihre beiden welken Händchen und drückte einen ehrfürchtigen Kuß darauf. Dann verließ ich, ohne das in sich versunkene Fräulein grüßen zu können, wie ein von schwerem Weine Taumelnder das Zimmer.
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Diesem ersten Abend folgte eine Reihe anderer, die mir gleich unvergeßlich sein werden. Wenn ich – regelmäßig um halb elf – gute Nacht gesagt hatte und dann noch auf einem einsamen Gang unter dem reinen Sternenhimmel alles Gehörte, Worte und Töne, in mir nachklingen fühlte, fragte ich mich oft, was mich tiefer gefaßt hatte, der helle, scharfe und doch auch des anmuthigsten Spieles fähige Geist dieser merkwürdigen Frau, oder ihr echt menschlicher Antheil an allem Menschenschicksal, ihre weiblich zarte Empfindung, Duldung und Opferbereitschaft, von der ich schon in diesen kurzen Tagen mancherlei Proben den Dürftigen des kleinen Orts gegenüber erlebt hatte. Ich sagte mir, das es ein beneidenswerthes Glück sein müsse, dieser Frau nahe zu bleiben. Um so weniger begriff ich, daß sie so einsam lebte. Denn auch in ihrer Heimath verkehrte sie, wie sie mir einmal gesagt, nur mit einem kleinen Häuflein alter Freunde. Im Uebrigen vermied sie es, von ihren Verhältnissen und Lebensschicksalen zu erzählen. Ich wußte nur, daß sie in sehr früher Jugend mit einem älteren Manne verheirathet und schon nach einem Jahre Wittwe geworden war. Ein Töchterchen, das sie geboren, hatte sie nach drei Jahren begraben müssen. Wie kam es, daß dieses seltene Wesen, reich, unabhängig, so wahrhaft liebenswürdig, nie wieder in die Versuchung gekommen war, eine neue Ehe zu schließen? Daß man sie vielfach umworben haben mußte, schien mir außer Zweifel. Sie mochte den Rechten nicht gefunden haben, und freilich hatte sie vor Vielen ein Recht, wählerisch zu sein. Ob sie jemals hübsch gewesen war? Bei ihrer Gebrechlichkeit und den hohen Jahren – siebenundsechzig! – war es schwer, hierüber eine sichere Vermuthung zu fassen. Mir – so sagte ich bei mir selbst – hätten diese schwarzen Augen, deren kluger Blick durch einen gewissen Ausdruck von Hülflosigkeit, wie er Kurzsichtigen eigen ist, nur noch anziehender wurde, – mir hätten sie wohl gefährlich werden können.
Wie sehr ich mich schon an sie gewöhnt hatte, fühlte ich schwer genug, als ich am letzten Abend meines Aufenthalts zur gewohnten Zeit wieder bei ihr eintrat. Es fügte sich, daß wir diese Abschiedsstunden unter vier Augen zubringen sollten. Fräulein Camilla zog sich, nachdem sie mich noch begrüßt hatte, in ihr Zimmer zurück, da eine heftige Migräne sie fast besinnungslos machte. Ich nahm zum letzten Mal von meiner geliebten Sophaecke Besitz, und in der kummervollen Erregung darüber, daß morgen dieser Platz leer sein würde, brachte ich eine ganze Weile kein Wort von den Lippen.
Auch meine alte Freundin saß still und in sich gekehrt in ihrem Sessel. Ich hätte gern gefragt, ob sie heut besonders zu leiden habe; aber eine solche Frage war ein für alle Mal verpönt.
Endlich stand sie auf, ging an das Instrument und fing an zu spielen, jenes schlichte alte Magnificat, das ihr zuerst mein Herz gewonnen hatte. Sie spielte es womöglich noch meisterhafter, als das erste Mal, ich hatte ihr erzählt, warum dieses Stück mich so eigen angemuthet; daß sie es heut wiederholte, war, wie wenn man einem Scheidenden einen Strauß von den Blumen, die er am meisten liebt, mit auf den Weg giebt. Und doch war mein Sinn heute weniger bei den Tönen als bei der Spielerin.
Als sie geendet hatte, brach es wie unwillkürlich aus mir hervor: Wie sind Sie doch so glücklich, meine verehrte Freundin!
Sie schwieg eine Weile, als hätte ich ein Fremdwort gebraucht, dessen Bedeutung ihr nicht sogleich klar würde.
Glücklich? sagte sie dann. Ich? Aber was verstehen Sie unter Glück?
Ich blieb um eine Antwort nicht verlegen. Vielmehr war es mir willkommen, meine persönliche Stimmung hinter einem Gespräch über allgemeine Probleme zu verbergen. Schon längst hatte ich mir meine eigene Theorie vom Glück gebildet, wonach die Wurzel jeder Glücksempfindung im Gefühl und Genuß der eignen Persönlichkeit zu suchen ist. Je mehr individuelle Kraft, je reicher entwickelt das Selbstbewußtsein, desto glücks- und unglücksfähiger die einzelne Creatur, von den niedrigsten bis zu den höchsten Stufen hinauf, vom sinnlichsten, dumpfsten, geist- und seelenärmsten Lebewesen bis zu der höchsten und feinsten Organisation des Genies oder der schönen Seele. Diese Theorie trug ich nun vor, und nachdem ich eine gute Weile möglichst objectiv docirt hatte, schloß ich mit einer desto subjectiveren Anwendung auf mich und sie. Darum war ich ja so glücklich bei Ihnen, theure Frau, sagte ich, weil Sie das Geheimniß besitzen, Jeden, der mit Ihnen verkehrt, auf seine eigene Höhe zu bringen. Sie locken alles Beste, Innerste und Persönlichste aus einem heraus und steigern alle geistigen Kräfte, die man besitzt und deren man oft selber nicht froh wird. Das gelingt nur einer Natur, die immer auf der Höhe ihrer eignen Kraft ist, und freilich darf diese Höhe nicht eine von den mittleren sein, die noch keinen freien Ausblick gewähren. Jede von sich erfüllte Persönlichkeit ist glücklich. Sie braucht nicht erst nach dem Recht ihrer Existenz zu fragen, noch nach den Mitteln, ihr Dasein zu fristen. Schon das bloße Existiren ist für sie von Werth, und das Gefühl, ihre Daseinsfülle Andern mitzutheilen, macht sie froh und sorglos über ihr Schicksal. Alle unerfüllten Wünsche, die uns unglücklich machen, sind ja nur Zugeständnisse, daß wir im Genuß unseres Selbst durch irgend etwas, das uns mangelt, beeinträchtigt sind. Einem Verliebten, dem seine Liebste fehlt, ist ein Stück seiner eignen Person abhanden gekommen. Ein Ehrgeiziger, der nicht Carrière macht, muß die Anerkennung seines Selbstgefühls vermissen, die ihm erst erlaubt, sich selber zu genügen. Sie aber – was könnten Sie entbehren, außer der physischen Kraft, um Alles, was Ihre Freunde an Ihnen lieben und bewundern, in jedem Augenblick aus erster Hand zu genießen? Und nun haben Sie noch obenein für alle dunklen Anwandlungen von Schwermuth, die selbst den Glücklichsten beschleichen, dies unfehlbarste von allen Beschwichtigungsmitteln, Ihre Musik, eine Sprache mehr und eine höhere Sprache, in der Sie Alles können ausklingen lassen, was sich mit Worten nicht bezwingen läßt!
Sie mögen in Vielem Recht haben, erwiederte sie, leise das Haupt wiegend, während sie sich auf dem Sessel vor dem Instrument halb nach mir umwandte, doch ohne mich anzusehen. Ja wohl, seine persönlichsten, intimsten Gaben und Kräfte frei spielen zu lassen, darin mag denn wohl im Großen und Ganzen das Glück bestehen. Von dem Vogel, der draußen seine Flugkraft ungehindert entfaltet, bis zu dem Menschen, der frei seine eigenen Bahnen wandelt, wäre es dann nur eine unendliche Stufenleiter mehr oder minder zum Glück begabter und ihre Bestimmung erreichender Wesen. Aber gerade »je mehr man hat, je mehr auch brauchte man«, und wenn ich mein langes Leben zurückdenke –, ein wirkliches, volles Glück, das mich ganz und gar, wie Sie es ausdrücken, auf die Höhe meiner selbst gehoben hätte, ist mir nie zu Theil geworden.
Sie stand leise auf, trat einen Augenblick auf den Balkon hinaus und kehrte dann zu ihrem Armsessel hinter der grünbeschirmten Lampe zurück.
Ihnen darf ich es wohl sagen, fing sie nun wieder an; Sie werden es nicht mißverstehen, zumal es Ihre Theorie nur bestätigt. Alles, was dem Menschen hilft, zum Gefühl und Genuß seiner Person zu kommen, ist Stückwerk, denn es fördert ihn entweder nur in seinem geistigen Wesen, oder es verhilft ihm zur Steigerung sinnlicher Kräfte, indem es physische Triebe stillt. Ich kenne nur zweierlei, was Beides zugleich anregt und durch die gleichmäßige Erhöhung und Erquickung der Sinnen- und Geisteskräfte das Individuum wahrhaft selig macht: künstlerisches Schaffen und glückliche Liebe.
Nun sehen Sie, lieber Freund, dieses Beides ist mir Zeit meines Lebens versagt geblieben, und darum haben Sie kein Recht, mich glücklich zu preisen.
Nein, fuhr sie fort, als ich etwas einzuwenden Miene machte, ich weiß, was Sie sagen wollen. Von dem zweiten Punkt wissen Sie freilich nichts, aber mein bischen Musiciren möchten Sie gern für voll annehmen. Ich aber fühle am Besten, was daran fehlt; ich bin immer nur eine Nachschafferin gewesen. Und da es meiner Natur an der eigentlich selbständigen Künstlerschaft fehlt, hat es mich auch nicht unglücklich machen können, daß ich in dieser Sphäre nur zu einem bescheidenen, bald mehr sinnlichen, bald mehr geistigen Genuß gelangen konnte. Anders ist es – mit dem Anderen; da lagen Kräfte in mir, die sich niemals frei ausleben durften; da habe ich mich nie auf der Höhe meiner selbst gefühlt; Liebesglück, wie ich es meine, habe ich nie genossen.
Es giebt Viele, die es nie genießen, viel mehr als man denkt, von Hunderten vielleicht nicht zehn, nicht fünf. Man kann nur keine statistischen Tabellen darüber machen. Denn es ist auch zu viel verlangt, daß der bewußte »Andere«, der mit unserm lieben Ich so häufig über den Fuß gespannt ist, in unserm Verhältniß zu einer dritten Person und vollends in diesem allerpersönlichsten sich ganz artig betrage, nicht zu herrisch und nicht zu zahm, nicht zu eigensinnig und nicht zu gleichgültig. Wie selten trifft Alles zusammen, so daß unser geistiges Wesen gerade so angezogen wird, wie unser sinnliches! Und erst wenn kein Bruch zwischen beiden bleibt, kann von einem reinen Glücksgefühl die Rede sein; dann freilich von einem so überschwänglichen, daß uns Götter darum beneiden könnten.
Sie schwieg eine Weile. Ich betrachtete in der seltsamsten Spannung das kleine verblühte Matronengesichtchen, das wie von einem lang unter Asche verschütteten, jetzt plötzlich aufflackernden inneren Feuer geröthet schien. Die bleiche hohe Stirn hatte sich gefurcht, die Augen sahen mit einem Ausdruck von wilder Traurigkeit gegen den grünen Schirm, ich fühlte, obwohl ich ihr fern saß, daß ihr Sessel unter der verhaltenen Aufregung ihres ganzen Wesens erzitterte.
Ich weiß nicht, warum ich Ihnen nicht davon sprechen sollte, fuhr sie dann fort. Was wir in der Welt erfahren, zeigt ja nur, wie sie nun einmal ist, ohne unser Zuthun, und selbst wenn es durch unsere besonderen Eigenschaften erst hervorgerufen wäre, was können wir für unsere Eigenschaften? Jener »Andere« ist uns im besten Fall wie ein Zwillingsbruder. Sollen wir unseres Bruders Hüter sein? Oder uns seiner schämen?
Ich habe nie begriffen, warum man es für unschicklich oder gar sündhaft ausgiebt, von dem Einfluß unsrer Sinnlichkeit auf unser Leben, unser Wohl und Weh zu reden. Daß es Verirrungen in diesem Bereiche giebt, sollte doch nicht jede Annäherung abschrecken. Giebt es doch auch geistige Ausschweifungen, Krankheiten und Entartungen. Aber freilich, dieses ganze Gebiet ist noch so dunkel, so wenig erforscht; man hat immer Furcht vor den Unbekannten.
Und was in der That seltsam ist, obwohl es nicht von Allen zugestanden werden wird: es giebt viele der geistreichsten und bedeutendsten Menschen, denen das eigentliche Wesen der Sinnlichkeit nie auch nur von ferne klar wird, ja, die nicht einmal ein besonderes Interesse dafür haben und aus dieser Welt gehen, ohne jenen Zwillingsbruder, mit dem sie so und so viele Jahre unter Einem Dache gelebt, anders als nur dem Namen nach zu kennen. Glauben Sie mir, lieber Freund, gerade in meinem so viel verleumdeten Geschlecht sind diese Fälle weit häufiger, als Sie sich träumen lassen.
Ich selbst – wenn ich mich zurückbesinne, wie ich die ersten dreißig Jahre meines Lebens verbracht habe, – Sie müssen nämlich wissen, ich war schon zu siebzehn Jahren eine junge Frau geworden, die Frau eines Mannes, der mir bis zur Hochzeit so gleichgültig gewesen war, wie der Erste Beste, dem ich auf der Straße begegnete, und nach der Hochzeit so hassenswürdig, wie ich nie geglaubt hatte, daß ein guter, braver, gescheidter Mensch, der die allgemeine Achtung verdiente, mir je erscheinen könnte.
Warum er mich geheirathet hatte, wußte ich nicht. Er liebte mich nicht, und ich war auch wahrlich nicht liebenswürdig: nicht hübsch, nicht heiter, nicht jugendlich hingebend und entgegenkommend, vielmehr mit einer Menge Unarten und Sonderbarkeiten behaftet, die mich mir selbst verleideten. Früh hatte ich angefangen zu grübeln, zu beobachten, mich in mein eigenes Herz zurückzuziehen, da ich eine große, fast spukhafte Furcht vor dem Leben hatte und dachte, hier in meinem Innersten wäre so etwas wie eine feste Burg, in der ich mich gegen jeden Ueberfall eines feindlichen Schicksals verschanzen könnte. Die Wälle und Mauern dieser Burg waren leider so dünn, daß jeder Nadelstich, geschweige ein Pfeilschuß sie durchdrang. Ich sah früh ein, daß ich nicht die Gaben hatte, die beliebt machen. Schon daß ich nicht zu heucheln verstand und es nie lernen konnte, war Grund genug, mir die Menschen, selbst meine Nächsten, zu entfremden. Und dann, wie gesagt, fehlte mir aller sinnliche Reiz, dem die Menschen so Vieles nachsehen, nicht bloß Unarten, sondern Herzensleere, Tücke und erwiesene Falschheit. Verstehen Sie mich recht, lieber Freund: ich war nicht etwa häßlich im gewöhnlichen Sinne, es fehlte mir etwas Anderes, als regelmäßige Züge und blühende Jugendfrische, ich hatte keine Spur von eigentlichem frauenzimmerlichem Reiz, von der Anziehungskraft meines Geschlechts.
Weßhalb ich also einen Bewerber fand, war mir ein Räthsel. Meine Familie gehörte zu den vornehmsten unseres Ländchens, mein Vater hatte große Güter. Aber mein Mann war von noch besserem Adel und noch größerem Reichthum. Er hatte das Leben bereits genossen, in verschiedenen diplomatischen Stellungen unter den verschiedensten Himmelsstrichen. Als er endlich sich in der Heimath niederließ, kam ihm Alles mit offenen Armen entgegen. Da war keine Mutter, die ihm nicht ihre Tochter gegönnt, kein adliges Mädchen, das ihn nicht gern genommen hätte. Aus dem einzigen Hause, wo ihm weder die Eltern noch die Tochter einen Schritt entgegen thaten, holte er sich seine Frau; vielleicht nur darum; denn bei Allem, was ihn mir verhaßt machte, war doch ein vornehmer Zug in ihm, der ihn von Allem fern hielt, was sich wegwarf.
Warum ich einwilligte, seine Frau zu werden? Denn die Eltern zwangen mich durchaus nicht. Vielleicht nur, weil ich schon als ganz junges Kind eingesehen hatte, daß es umsonst sein würde, auf Jemand zu warten, der sich in mich verliebte und mich aus Liebe heirathen wollte. Ich hatte davon gelesen und gehört, und meine geistige Neugier drehte sich oft um diesen Punkt, wie ein Kind um einen verschlossenen Schrank herumstreicht, in welchem die Mutter seine Geburtstagsbescherung aufgehoben hat. Meine geistige Neugier, sagte ich; eine sinnliche kannte ich nicht. Diese ganze Welt war wie nicht für mich vorhanden; der bewußte »Andere« schlief in mir so fest, daß selbst der Gedanke an Brautstand und Ehe ihn nicht zu erwecken vermochte. Als ich dann erfuhr, es solle damit Ernst werden, that es mir nur wohl, daß überhaupt ein Mann mich begehrenswerth gefunden hatte was mir immer als etwas Unmögliches erschienen war. Und dann hoffte ich auch vielleicht, ich würde nun erfahren, was es mit der vielbelobten Liebe für eine Bewandtniß habe; denn daß sie oft erst in der Ehe sich einstellt, ist ja ein Gemeinplatz, den tausendfältige Erfahrung bestätigt hat.
In der meinigen freilich nicht; und die Schuld lag zum größten Theile an mir. Mir fehlte nicht weniger als Alles, was dazu helfen kann, den Abgrund zwischen zwei Existenzen nach und nach auszufüllen, wenn nicht Leidenschaft gleich von vorn herein mit Flügeln darüber hinweg trägt. Das sinnliche Mysterium, dem sie so überschwänglichen Zauber verleiht, wird, wo sie fehlt, zur bittersten Demüthigung eines stolzen, selbstwilligen Gemüths, und je unvorbereiteter ein armes Weib, das noch Kind geblieben, diesen Raub an sich selbst erleiden muß, desto tiefer dringt das Gefühl von erbittertem Haß, das sich dann ihres Lebens bemächtigt.
Wie lange ich in diesem mitleidswürdigen Zustand geblieben wäre, und ob nicht mit der Zeit jener Gemeinplatz sich auch an mir bewährt und ich meinen Gatten liebgewonnen hätte, weiß ich nicht. Es wurde mir nicht die Zeit gelassen, das Eis in mir zu schmelzen. Ich hatte kaum meinem Kinde das Leben gegeben, so starb sein Vater. Ich bat ihm an seinem Todtenbette ab, daß er mich nicht hatte glücklich machen können. Und doch war mir's, wie wenn ich aus einem lebenslangen Gefängniß entlassen wäre, als ich mit meinem Kinde allein auf das Gut meiner Eltern zurückkehrte.
Ich lebte dort mehrere Jahre, nur für dieses liebe, arme Geschöpf, in einer großen Geistesstille und Herzenseinsamkeit. Diese Zeit ist mir jetzt in der Erinnerung wie mit einem rosenfarbenen Nebel verhüllt. Nichts Bestimmtes taucht daraus hervor, ich sehe nur undeutlich das rührende kleine Gesicht, das dem meinigen schon so frühe glich, viel zu sehr, um ihm viel Gutes vom Leben zu weissagen. Aber ich war doch zufrieden, daß wir nun unser Zwei waren; ich nahm zuweilen das kleine Händchen in meine Hand, die ich darum zu einer Faust zusammenschloß, als ob ich auch sie schon zum Kampf gegen das Unglück waffnen wollte. Und doch wußte ich gar nicht einmal, wovor ich mich denn fürchtete, schon in die Seele des unschuldigen Würmchens hinein. Ich weiß es jetzt: ich fürchtete uns vor dem Erwachen unserer Sehnsucht nach vollem Glück.
Ihm sollte es erspart werden, irgend eine Enttäuschung vom Leben zu erfahren. Eine Kinderkrankheit nahm es mir rasch vom Herzen weg. Ich beweinte es lange und heftig. Dann sah ich mich eines Tages in der Welt um und beschloß, gute Miene zu ihrem bösen Spiel zu machen.
Ich war freilich über all diesen Erlebnissen schon dreiundzwanzig Jahre alt geworden, und irgend etwas wesentlich Neues glaubte ich in diesem hohen Alter nicht mehr erleben zu können. Wenn man einen Mann, ein Kind und dann auch Vater und Mutter begraben hat, fühlt man sich gleichsam schon ins erste Glied vorgerückt, wo die schwarze Kugel aus dem Rohr des dunklen Schützen uns jeden Augenblick treffen kann. Aber wenn auch mein Herz sich greisenhaft vorkam, meine geistigen Triebe regten sich noch in ungestillter Jugendkraft. So nahm ich mir eine alte Dame zur Gesellschaft, mit der ich einige Sommer lang, und hie und da auch einen Winter hindurch, große Reisen machte. Endlich wurde ich des Wechsels müde und beschloß in meiner Vaterstadt mich so nützlich und angenehm als möglich zu machen. Ich öffnete mein Haus Allen, die an mir selbst oder der Gesellschaft, die mich aufsuchte, irgend ein Gefallen fanden; ich nahm an allen gemeinnützigen Veranstaltungen und wohlthätigen Vereinen Theil, spielte in allen Concerten zu milden Zwecken, war der Gewissensrath verliebter junger Mädchen und unglücklicher junger Frauen und konnte alle diese Pflichten um so musterhafter erfüllen, weil ich für mich selbst gar nichts mehr hoffte, wünschte oder erwartete. Auch schien ein Jeder diese Entsagung von meiner Seite für etwas ganz Selbstverständliches zu halten. Ich stand im Rufe großer Gutmüthigkeit und galt nebenbei für das, was man eine geistreiche Frau nennt, – wozu nicht Viel gehört in einer Gesellschaft, die im Uebrigen einen kleinstädtischen Zuschnitt hat und wie ein abgeschlossener See nur selten von einem Windstoß aus der weiten Hochebene jenseits seiner Ufer gekräuselt wird. Da ich von meinem Vermögen den besten Gebrauch machte, verzieh man mir auch meine unabhängige äußere Lage. Mein bester Schatz, meine innere Unabhängigkeit, blieb so unscheinbar im Verborgenen, daß er Niemand zum Neide reizte.
Und so hatte ich nur Freunde und lebte schon mit dreißig Jahren fast wie eine alte Frau, die selbst die ergreifendsten Schicksale um sie her doch schon mit dem abgekühlten Interesse einer bloßen Zuschauerin betrachtet, da sie eine neue Generation betreffen, die aus andern Stoffen gebildet ist. Oder daß ich ein richtigeres Bild brauche – denn ich bin ja jetzt alt und noch immer nur allzu theilnehmend bei fremdem Leid –: mir war zu Muth wie einem Reisenden, der schon am Abend vor der Abreise seine Hôtelrechnung berichtigt hat, sogar schon das Frühstück vom andern Tag und die Trinkgelder an Kellner und Zimmermädchen, und nun noch einmal eine Nacht und einige Morgenstunden in dem fremden Hause behaglich zubringt, von der ganzen Dienerschaft mit besonderem Respekt und dankbarem Eifer behandelt und das Haus jetzt um so comfortabler findet, da er darin Niemand mehr etwas schuldig ist.
So reisefertig kam ich mir auch wirklich vor. Obwohl meine Lage mir völlig zusagte, hatte ich jeden Augenblick ohne Kummer mich aus ihr hinwegbegeben. Ich sollte aber doch noch etwas Neues erleben, was meinen dumpfen Glauben, ich sei auf dieser Erde so glücklich geworden, wie meine Natur es überhaupt mir erlaube, sehr unsanft erschütterte.
Hier muß ich einschalten, daß ich noch zwei oder drei Mal in den Fall gekommen war, einen Korb auszutheilen. Es wurde mir nur das eine Mal leicht, wo es galt, eine ziemlich durchsichtige Speculation auf mein Vermögen zu beschämen und heimzuschicken. Die beiden anderen Bewerber waren treffliche ernste und liebenswürdige Männer in reiferen Jahren, die in meinem geselligen Hause so lange gastfreundlich aus- und eingegangen waren, daß sie auf den Gedanken kamen, ob es nicht bequemer sein würde, wenn sie sich ein für alle Mal darin häuslich niederließen, statt jeden Abend bei Wind und Wetter Abschied von der Hausfrau nehmen und ihr kaltes Junggesellenquartier wieder aufsuchen zu müssen. Sie verehrten mich Beide über die Maßen, sie waren durch meine Erklärung, daß ich ihre sichere Freundschaft viel zu hoch schätzte, um sie gegen ihre unsichere Liebe einzutauschen, tief niedergeschlagen; aber da sich Keiner darum das Vergnügen versagen wollte, auch ferner meine Theestunde zu theilen, blieb Alles beim Alten, und ich wurde durch das friedliche Austoben der beiden Ungewitter in meiner Meinung bestärkt, daß ich etwas wie einen unsichtbaren Blitzableiter über meinem Haupte trüge, an welchem sich Alles, was sonst an elektrischer Leidenschaft ins Innere schlage, unschädlich entlade.
Ich hielt mich gegen jede Schwäche meines Geschlechts hinlänglich gepanzert. Von dem, was man Sinnenzauber nennt, hatte ich freilich genug an Anderen erlebt, um nicht die Existenz und Macht dieser geheimnißvollen Naturgewalt gläubig zuzugestehen. Doch hatte ich eine klarere Vorstellung von dem Unheil, das sie anrichten könne, als von ihrer Fähigkeit zu beglücken, und für mein eigen Theil fürchtete ich um so weniger, auch das Erste zu erleben, da ich schon durch meinen Frauenstolz vor den Qualen einer unglücklichen Liebe geschützt zu sein glaubte.
Da wurde eines Tages durch einen meiner abgedankten Freier ein junger Offizier bei mir eingeführt, der erst seit Kurzem von einer anderen Garnison in unsere Residenz versetzt worden war. Er war weitläufig verwandt mit meinem alten Hausfreunde, der mir oft von ihm erzählt, ja im Scherz mir gedroht hatte, an diesem jungen Eroberer werde, wenn er sich einmal blicken lasse, meine wohlverschanzte Unnahbarkeit zu Schanden werden.
Nun kam dieser Gefährliche, ich empfing ihn aufs Freundlichste, wie einen schon Dazugehörenden, als er aber nach einer angenehm verplauderten Stunde sich wieder empfahl, konnte ich nicht umhin, dem alten Freunde zuzuflüstern, daß Wall und Mauern trotz alledem noch fest stünden.
Freilich mußte ich mir auch gestehen, daß ich kaum in südlichen Ländern einem so bildschönen jungen Menschen begegnet war, und dessen Gesicht so wenig den Ausdruck hatte, daß er selbst davon durchdrungen sei. Ich hatte während des Gesprächs beständig meine Freude an diesen festen, klaren, fast weiblich feinen Zügen gehabt, die doch wieder recht kühn und mannhaft erschienen, als er von seinen Erlebnissen bei der Fremdenlegion in Algier erzählte, wohin ihn jugendliche Abenteuerlust und der Wunsch, sein theoretisch gelerntes Handwerk doch auch einmal auszuüben, gleich nach dem Offiziers-Examen gelockt hatten. Die Sonne Afrika's hatte seine Haut nicht gebräunt, nur ein paar leichte graue Fäden in dem glänzenden schwarzen Haar verriethen, daß er sich seine Sporen nicht bloß im Salon und Boudoir schöner Damen verdient hatte. Er sprach ohne alle Prahlerei von seiner Kabylenzeit, und dabei brach ihm ein ernster, träumerischer Glanz aus den schönen Augen, die meist wie abwesend vor sich hin sahen und keinesfalls einen raschen Geist verriethen. Aber wenn er lachte, wozu ich ihn, seit ich es gemerkt hatte, möglichst oft zu bewegen suchte, erhielt das Gesicht einen reizenden Ausdruck von kindlicher Heiterkeit, der ihn weit jünger erscheinen ließ, als er war. Es kam zufällig zur Sprache, daß er um ganze neun Tage älter war, als ich. Man hätte ihn, wenn er durch irgend etwas belustigt wurde, nicht über zwanzig geschätzt.
Dabei hatte er die herrlichste Antinousgestalt, schöne kleine Hände und die besten, ritterlichsten Manieren.
Ich blieb, als die Herren gegangen waren, trotz des Pochens auf meine Unanfechtbarkeit in einer wunderlichen Erregung zurück, deren Natur mir so neu und fremd war, daß ich nothwendig darüber nachdenken mußte, was nicht dazu half, sie zu verscheuchen. Charlot – so hatte ihn seine Mutter, eine wegen ihrer Schönheit berühmte Arleserin, genannt – unterschied sich in seiner Bildung und geistigen Anlage wahrlich nicht von vielen seiner Kameraden, die bei mir ein- und ausgegangen waren, und selbst in der äußeren Erscheinung mochte ihm Dieser oder Jener fast gleichgekommen sein. Wie oft hatte ich im Stillen die Achseln gezuckt, wenn mich jüngere Freundinnen in das große Geheimniß eingeweiht, daß sie ihr Herz an einen hübschen Offizier verloren hatten, von dem sie nichts Besseres wußten, als daß er ein perfecter Cavalier sei und wundervoll tanze. Was wußte ich nun mehr von diesem neuen Gesicht? Wie kam es, daß ich es dennoch nicht aus den Gedanken brachte? Ja, um Ihnen gleich den ganzen Abgrund meiner Schwäche aufzudecken: er hatte an der linken Wange eine kleine flache Narbe, die er einem Streifschuß verdankte, und die seinem blühenden Teint so zum Schmuck gereichte, wie etwa ein Schönpflästerchen einer Rococodame. Dieses Fleckchen sah ich, wo ich ging und stand, mit offenen und geschlossenen Augen vor mir und ertappte mich zu meiner glühenden Bestürzung auf dem leidenschaftlichen Wunsch, nur ein einziges Mal meinen Mund darauf drücken zu dürfen.
Den ganzen Tag ging ich wie ausgetauscht herum, in einer mir unerhörten süßen Beklommenheit, in der ich nicht immer wußte, was ich that oder sprach, doch ohne mir gleich darüber Rechenschaft zu geben, wie man diesen Zustand nennen müsse. Ich war nie so lustig, so übermüthig gewesen; meine Habitués fragten mich erstaunt, ob ich irgend einen großen Triumph gefeiert, etwa ein Pseudonymes Lustspiel irgendwo mit Glanz zur Aufführung gebracht hätte – denn sie trauten mir Alles zu –, ob ich das große Loos gewonnen oder ein Menschenleben gerettet hätte. Ich war innerlich fast gekränkt darüber, daß Niemand der Wahrheit auf die Spur kam. Man hielt mich also dessen, was Frauen am meisten in high spirits zu bringen pflegt, überhaupt nicht für fähig. Da fing ich an, wieder ernsthaft zu werden, mich selbst mit den Augen meiner guten Freunde zu betrachten und mich eine wahnsinnige Thörin zu schelten, daß ich – »auf meine alten Tage« – einer so kindischen« Verliebtheit mich hingeben könne. Ich bemühte mich, Charlot für das anzusehen, was er war, für einen sehr hübschen, braven, unbedeutenden jungen Mann, mit dem ich mich, wenn ich wirklich seine Eroberung zu machen im Stande wäre, schon am dritten Tage tödtlich langweilen würde.
Nun beschloß ich, mich streng zu überwachen und mir nur so viel Wohlgefallen an ihm zu gestatten, wie eine Mutter an einem erwachsenen Sohn, dessen geistige Entwicklung noch mancher Nachhülfe bedarf.
Mit diesem weisen Entschluß ging ich zu Bette. Als ich wieder aufwachte, war das Erste, was meinen träumerischen Sinnen vorschwebte, die kleine Narbe und jenes seltsame Gelüsten, sie mit meinen Lippen zu berühren.
Nun wurde ich ernstlich beunruhigt über meinen Zustand und hielt mich nur an der Hoffnung fest, daß die Krankheit keine neue Nahrung finden würde, da vorauszusetzen war, daß ein so glänzender junger Cavalier ganz andere Kreise meinem stillen Salon vorziehen werde. Es gab viel schöne Mädchen in unserer aristokratischen Welt, und ich überlegte schon, was für eine Miene ich dazu machen sollte, wenn Diese oder Jene eines Tages zu mir stürzen und mir ihre Beichte ins Ohr stammeln würde, Charlot von C*** habe ihr sein Herz zu Füßen gelegt.
Aber zu meinem freudigsten Schrecken machte der gefährliche Neuling schon am nächsten Abend von meiner Aufforderung, sich bald wieder sehen zu lassen, Gebrauch, und damit war auf Einen Schlag der ganze Vertheidigungsplan, den ich mir ausgedacht, über den Haufen geworfen. Wenn ich sonst die Verpflichtung fühlte, es meinen Besuchern möglichst angenehm bei mir zu machen, verdoppelte ich nun meinen Eifer, und es glückte mir, so munter, witzig und behaglich zu sein, daß ich mir selber gefiel und dem neuen Freunde, dessen bewunderndes Lachen mich den ganzen Abend angespornt hatte, mit dem Bewußtsein die Hand zum Abschied reichte, bei all den Schöneren und Jüngeren, die er aufsuchen möchte, werde er sich schwerlich besser unterhalten, als bei dieser kleinen unscheinbaren Frau, die nie schön und jung gewesen war.
Er schien auch ganz derselben Meinung zu sein. Wenigstens verging kein Tag, wo er nicht kam, und wenn andere Verpflichtungen ihn für den Abend fesselten, sprach er doch auf eine Nachmittagsstunde bei mir vor und entschuldigte sich förmlich, daß er mir untreu werden müsse. Bei diesen Besuchen, oft unter vier Augen, gelang es mir besser als unter vielen Menschen, mein Gefühl zu beherrschen. Waren Andere zugegen, so merkte ich, wie viel Ueberwindung es mich kostete, ein anderes Gesicht neben dem seinigen anzusehen. Saß er mir allein gegenüber, so fiel diese unnatürliche Spannung weg. Ich konnte und durfte nur für ihn da sein, ihn unterhalten, schelten, amüsiren, wie wenn außer ihm Nichts auf der Welt wäre, was mich anginge. Er saß dann auf einem niedrigen Tabouret mir gegenüber, daß ich mich leicht in meiner künstlich durchgeführten Mutterrolle erhalten konnte. Und wirklich kam ich oft in die Illusion hinein, als sei der Geist in dieser schönen Hülle noch einer unendlichen Entfaltung fähig, falls er nur in die rechten Hände komme. Ich war nicht mehr ungeduldig, wenn er ein Wort, das ich hinwarf, nicht gleich verstand. Es machte mir vielmehr eine besondere Freude, das Verständniß dann nach und nach in ihm aufdämmern zu sehen, bis er die Pointe gefaßt hatte und mich nun mit seinem reizenden Kinderlachen für meinen klugen Einfall belohnte. Ueberhaupt ist uns Frauen ja nichts gefährlicher, als die Mischung von männlicher Kraft, geistiger oder physischer, mit einer gewissen naiven Unbeholfenheit, die uns unsere Ueberlegenheit sichert. In Charlot aber steckte ein so vollkommenes Kind, wie ich es sonst noch nie gesehen hatte. Auch das theilte er mit allen verwöhnten Kindern, daß er, ohne eine Spur von Eitelkeit, dennoch der Meinung war, Alles, was ihm reizend ins Auge fiel, gehöre von Rechtswegen ihm. Wurde eine Schale mit schönen Früchten aufgetragen, so griff er unbedenklich nach der schönsten; sprach man von den arabischen Pferden, die der Fürst hatte kommen lassen, so ruhte er nicht, bis er es durchgesetzt hatte, daß sein fürstlicher Gönner ihm das feurigste und edelste von allen überließ; und wenn irgend eine glänzende Frau in der Gesellschaft aufgetaucht wäre, hätte er es nur in der Ordnung gefunden, von ihr vor allen Andern begünstigt zu werden, das Alles – so seltsam es Ihnen klingen mag – ohne einen Hauch von Geckenhaftigkeit, nur wie Jemand sich auf ein Naturrecht stützt, für das er nichts kann und, das ihm nie bestritten worden ist.
So fand er auch sicher nichts Besonderes dabei, daß ich ihm ein so lebhaftes Wohlwollen bezeigte. Er gestand mir, daß er nur widerstrebend seinem Verwandten in mein Haus gefolgt sei; er habe vor den geistreichen Frauen stets eine heilige Scheu gehabt. Nun wisse er nicht, ob ich eine Ausnahme mache, aber bei allem Respect fühle er doch nicht die geringste Beklommenheit mir gegenüber, ja es sei ihm in seinem ganzen Leben nirgend so wohl gewesen, als wenn er mich sprechen höre. Tausend Gedanken, die dunkel in ihm versteckt gelegen, würden, wie durch rasche Blitze ein Bivouaclager mit weißen Zelten und all den malerischen Gruppen um die erloschenen Herdfeuer, durch meine Worte auf einmal beleuchtet, und es komme ihm vor in meiner Gesellschaft, als würden Kräfte in ihm wach, von deren Vorhandensein er sich bisher nichts habe träumen lassen.
Er hatte sich bald auf den Fuß einer verwandtschaftlichen Vertraulichkeit zu mir gestellt; denn weil ihm sein älterer Vetter vertraut hatte, daß er mich gerne geheirathet hätte, behauptete er, mich Cousine nennen zu dürfen. Wenn er kam und ging, nahm er meine Hand gewöhnlich in seine beiden und schalt jedesmal, daß ich seinen Druck nur kühl erwiederte. Auch ich war in gewissem Sinne etwas Apartes, seine Neigung Reizendes, das er sich unbedenklich aneignete und freilich mit wärmerem Tone dankte, als eine schöne Pfirsich, in die er mit seinen weißen Zähnen einbiß. Aber in all meiner unseligsten Versunkenheit in diese Leidenschaft behielt ich so viel Vernunft, daß ich seine Annäherung nie überschätzte und sein Traulichthun eher für einen Beweis nahm, wie ahnungslos er mir gegenüber stand.
Das sollte freilich nicht immer so bleiben.
Fast drei Monate war er täglich gekommen, dazu hatte ich ihm dann und wann geschrieben, kurze, ganz nichtssagende Zettel, in denen ich meine Worte noch sorgfältiger überwachte, als wenn er mir Aug' in Auge gegenüber saß. Da wurde mir eines Tages das Gerücht zugetragen, er habe sich mit der Tochter unseres Staatsministers verlobt, einer prachtvollen Ballfigur, im Uebrigen so leer und unbedeutend und überdies, wie ich aus manchen Zügen wußte, nicht einmal gutherzig, daß ich bei der ersten Nachricht in ein ungläubiges Lachen ausbrach.
Aber ich lachte nicht mehr, sobald ich mit mir allein war. Ich hielt es freilich noch immer für ein Residenzgeschwätz; er selbst hatte sich über dies Mädchen in sehr wenig zärtlichen Ausdrücken gegen mich geäußert; es war höchst unwahrscheinlich, daß er seine Meinung so rasch geändert haben sollte. Aber war es darum unmöglich? Und schon der Gedanke an eine solche Möglichkeit, der seltsamerweise bisher sich nie an mich herangewagt hatte, trieb mir alles Blut zum Herzen, daß ich Mühe hatte, einer Ohnmacht zu wehren. Statt dessen erleichterte sich mein gemartertes Herz durch einen Strom von Thränen.
Doch faßte ich mich wieder. Ich beschloß am Abend, wenn er komme, ihn geradezu zu fragen. Er war die Offenheit selbst gegen mich. Und hätte er etwas verbergen wollen, – ich kannte jede Linie seines Gesichts, ich hätte auch zwischen den Zeilen dieser seiner »schöngereimten« Lippen Alles gelesen, was sie ungesagt lassen wollten.
Nun kam der Abend – und er kam nicht. Zum ersten Mal seit so vielen Wochen, oder doch zum ersten Mal ohne eine mündliche oder schriftliche Erklärung, warum er verhindert sei. Mein Salon füllte sich mit den gewöhnlichen Gesichtern, ich saß auf meinem gewohnten Platz, bewegte die Lippen zu den gewohnten anmuthigen Phrasen und dem verbindlichen Hausfrauenlächeln, – und doch war mein Ohr und jeder innere Sinn nur auf die Laute gerichtet, die draußen im Vorzimmer sich vernehmen ließen, ob nicht endlich der rasche Erobererschritt erklingen wollte, der mir jeden Abend mein einziges Glück verkündete.
Als die Mitternacht herangekommen war und ihn mir nicht gebracht hatte, fühlte ich, wie wenn plötzlich eine eiskalte Hand nach meinem Herzen griffe und alle Lebensströme, die von ihm ausgingen, erstarren machte. Ich hatte es zwanzigmal auf den Lippen gehabt, zu fragen, was man denn zu der Verlobung unseres jungen Freundes sage. Jedesmal war mir wieder der Muth gesunken, vor so viel fremden Augen mir mein Todesurtheil dictiren zu lassen. Zufällig hatte Niemand von ihm angefangen, und doch mußten ihn Alle vermissen, wenn auch nur wie ein schönes Bild, das sonst regelmäßig das Zimmer schmückte und heute plötzlich von der Wand verschwunden war. Auf einmal blitzte der Gedanke in mir auf: sie wissen es Alle und schweigen davon, um mich zu schonen. Denn wenn sie nicht blind sind, müssen sie ja längst gesehen haben, wie schön er ist, und wie schwach mein Herz.
Als ich dies dachte, war eben der Letzte gegangen. Ich hatte ihm an der Schwelle gute Nacht gesagt, ich wollte umkehren, auf dem Sopha noch eine Stunde hinbringen, – wer weiß, was ihn abgehalten, oder wenn es wahr wäre, ob er nicht gewartet, bis er mich allein sprechen konnte, um mir, seiner besten, »mütterlichen« Freundin, sein Herz auszuschütten, vielleicht jetzt schon seine Reue zu klagen über einen so tollen Streich. Aber der Tag hatte mich zu sehr erschöpft; ich verlor plötzlich die Besinnung und brach lautlos zusammen.
Erst viele Tage später erfuhr ich, daß meine Leute mich so gefunden, zu Bett gebracht und eiligst meinen Arzt geholt hatten. Ich hatte in einer wohlthätigen Bewußtlosigkeit gelegen; eine Gehirnentzündung, durch die verhaltene leidenschaftliche Erregung der letzten Wochen vorbereitet, war ausgebrochen, ein paar Tage und Nächte schwebte ich zwischen Tod und Leben, dann riß meine damals noch starke Natur mich heraus, und ich fing an, mich selbst wieder zu empfinden. In der Fieberglut schien Alles aufgezehrt, was mich zuletzt um mich selbst gebracht hatte. Ich weiß noch heute, wie behaglich es mir war, durch das offene Fenster meines Krankenzimmers in meinen Garten hinauszublicken und die noch traumumsponnenen Gedanken da oben auf den Baumwipfeln zu schaukeln. Licht und Luft drang so süß über mich herein, und zugleich noch viel zu gewaltsam für meine kaum wieder aufathmenden Kräfte, wie man sich von dem Hereinbrechen einer Leidenschaft wehrlos überschauert fühlt, die einem vor Wonne den Athem zu rauben droht.
Denn vom ersten Aufflackern des Bewußtseins war mir auch meine Liebe wieder gegenwärtig gewesen, das schöne Gesicht, der feurig kindliche Blick, die sonore Stimme meines holden Freundes, – nichts von dem Verdacht, der mich fast das Leben gekostet, ich könnte ihn verloren haben. Auch hörte ich in der langen Liste der theilnehmenden Bekannten, die sich nach mir erkundigten, täglich seinen Namen; zu Anfang war er sogar zweimal gekommen. Sie begreifen, wie mir das genesen half.
Ich war eine sehr ungeberdige Kranke; täglich bestürmte ich meinen alten Arzt, mich aus der strengen Quarantäne zu entlassen, ich drohte ihm, an der Arznei zu sterben, durch die er mich vollends wiederherstellen wollte, an der Langenweile. Er lächelte und blieb unerbittlich. Als endlich jede Gefahr vorüber war, schärfte er mir dringend ein, nun vor Allem Menschendiät zu halten, nie mehr als einen Besuch jeden Vor- und Nachmittag anzunehmen und damit noch eine Woche mich zu begnügen. Er hielt mich für eine sehr gesellige Natur. Lieber Himmel! ich hätte gern Jahr und Tag mich gegen Gott und die Welt verläugnen lassen, wenn nur ein Einziger mir Gesellschaft geleistet hätte.
Als ich zuerst wieder aufstand und Toilette machte, war meine größte Furcht, die Krankheit möchte mich so verwandelt haben, daß dieser Einzige einen Abscheu vor mir empfinden müßte. Zu meiner höchsten Freude sah ich, daß mein unhübsches Gesicht durch die zarte Farbe der Genesung eher verschönert worden war, die Augen größer und glänzender erschienen, das Lächeln meinen blassen Lippen einen jugendlichen Ausdruck gab. Ich saß noch vor dem Spiegel, da wurde er gemeldet. Ich ließ mir nicht Zeit das Krankenhäubchen abzunehmen, ich stand mit wankenden Knieen auf und eilte nach der Thür. Eben trat er drüben auf die Schwelle, noch viel schöner, als er mir vor der Erinnerung gestanden! Und welch ein Aufleuchten glückseligster Freude auf seinem Gesicht, wie er nun statt meiner treuen Zofe mich selbst erblickte! Er schrie förmlich wie ein Kind, das den Weihnachtsbaum erblickt, die Mütze entfiel ihm, er that ein paar hastige Sprünge mir entgegen, da er mich wanken sah, und fing mich gerade noch zur rechten Zeit auf, als mich wieder die Besinnung verließ und ich umzusinken drohte.
Aber ich kam im Augenblick wieder zu mir, ich hörte, wie er meinen Namen rief, meinen Vornamen Sophie, zum ersten Mal von seinen Lippen. Er hatte mich in einen Fauteuil niedergelassen, ein Fläschchen mit Eau de Cologne, das auf dem Tische stand, half ihm, mich zu ermuntern; als ich die Augen aufschlug, knieete er neben mir und bedeckte meine Hände, mein Haar, die Bänder meines Häubchens mit Küssen. Es war zu viel für eine eben von den Todten Auferstandene, all dies süße Leben, das mich mit seinen Armen umschlang. Ich neigte mein Gesicht zu ihm hin und verging von Neuem an seinen Lippen.
Was habe ich um dich ausgestanden! war das erste Wort, das er ausrief, als uns ein wenig die Besinnung zurückkehrte. Er sprang auf, ging wie ein Träumender durchs Zimmer, brach eine Rose von meinem Blumentisch, zerpflückte sie und kehrte wieder zu mir zurück. Sophie! sagte er, war es denn ein Leben ohne dich? Nein! Und doch war es vielleicht von meinem Schutzgeist so verhängt, daß ich erst recht empfinden sollte, was du mir bist. Ich hätte am Ende Alles so fortgehen lassen, ohne mir etwas dabei zu denken, bis dich eines Tages ein Anderer mir für immer genommen hätte. Du weißt, wie gedankenlos ich bin, du hast eben alle guten Gedanken für mich. Hast du denn auch den gehabt? Und wenn du ihn hattest, warum hast du ihn mir so sorgfältig verheimlicht? Aber freilich, an mir war es – und doch, wenn es mir auch eingefallen wäre, wie hätte ich das Herz gehabt? Was hast du an mir? Einen Spiegel, in dem du deinen ganzen Werth sehen kannst. Aber wenn du nicht hineinblickst, wenn er deine klugen Augen nicht widerstrahlen kann, was ist an dem blanken Glasscherben?
So sprudelte er über von unsinnigen, lieben, entzückenden Liebesworten. Er war plötzlich der Beredte geworden, ich die um Worte Verlegene. Sie können denken, daß ich ihn reden ließ, ich hatte genug zu thun, ihn anzusehen und mir zu sagen: es ist wirklich so, wirkliche Wahrheit, – er ist's, der alle diese thörichten holden Worte sagt, und dir gelten sie, dir! – der nie ein Mensch solche Dinge gesagt hat, und der sie auch aus jedem andern Munde nur fremd und unverständlich geklungen hätten.
Ich faßte mich endlich. Sie sind außer sich, Charlot, sagt' ich. Gott weiß, wie mich das glücklich macht, daß Sie so viel Freundschaft für mich fühlen, um aus Freude über meine Genesung den Verstand zu verlieren, wenn auch nur auf fünf Minuten. Aber Andere werden anders darüber denken. Fräulein Lolo – (so hieß jenes Ministerkind, das all das Unheil angestiftet) –
Er ließ mich nicht ausreden. Er gerieth in hellen Zorn, daß ich diesem albernen Geschwätz auch nur einen Augenblick Glauben hatte schenken können, er lockte mir das ganze Bekenntniß meiner eifersüchtigen Thorheit ab, erklärte sein Ausbleiben, das ihn selbst genug gefoltert habe, mit einem plötzlichen dienstlichen Auftrag, der ihn über Erwarten lange fesseln sollte, so daß es auch für eine schriftliche Entschuldigung bei mir zu spät geworden sei, und warf sich endlich mit so ungestümer Zärtlichkeit wieder mir zu Füßen hin, daß meine letzte Besonnenheit schwand und ich ihm auf Alles, was er von mir erbat, immer nur Ja und Amen auf die Lippen drücken konnte.
Er sah, wie wenig ich noch im Stande war, diesen Freudensturm länger auszuhalten. Aber er stand nicht eher auf, als bis wir übereingekommen waren, nur meine völlige Genesung abzuwarten, um uns dann für das Leben zu verbinden. Ich machte nur die eine Bedingung, daß über unserem Verlöbniß das unverbrüchlichste Geheimniß walten müsse. In tiefster Stille wollten wir unsern Bund schließen; erst von seinem Gute aus, wohin er sich längst gesehnt hatte, da ihm das Soldatenspiel im Frieden verhaßt war, sollte die Gesellschaft der Residenz durch die große Neuigkeit überrascht werden.
Er willigte in Alles, er hatte unbedingten Respect vor meiner überlegenen Klugheit, ja es war ihm unser heimliches Einverständniß ein Reiz mehr, da er noch nicht alle Abenteuerlust ausgetobt hatte. Was werden sie für Augen machen, sagte er lachend, wenn der kleine unbedeutende Charlot die geistreichste Frau der ganzen Stadt all ihren Bewunderern vor der Nase weg entführt! Man wird finden, daß ich doch klüger sein müsse, als ich aussehe, da du mich all deinen Diplomaten, Künstlern und Schöngeistern vorziehen konntest!
Nein, sagte ich, man wird die Achseln zucken und dich beklagen. Dieser reizende Mensch! Hat er sich von dieser verblühten Frau, die nie schön gewesen, beschwatzen lassen! Nun, die Augen werden ihm noch aufgehen, und dann – wehe ihm und ihr!
Sophie! sagte er ganz ernsthaft, wenn du mich lieb hast, sage so etwas nicht wieder. Du setzest mich zu sehr herab, wenn du mir zutraust, ich ließe mich durch ein bischen beauté du diable verblenden. Bin ich nicht bei manchem Cotillon Fräulein Lolo's Tänzer gewesen und hätte nur den Finger auszustrecken gebraucht, um sie für einen viel langwierigeren Tanz zu engagiren, und saß doch und ärgerte mich, daß ich meinen Abend verlor, da ich ihn nicht bei dir zubringen konnte? Es giebt tausend Lolo's und nur eine Sophie.
Dabei hob er mich in seinen Armen auf, wie eine Feder, drückte mich an sein Herz und erstickte all meine heimlich warnenden Zweifel mit seinen Küssen.
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Sie schwieg eine Weile. Die lange Erzählung hatte sie sichtbar erschöpft, die Erinnerung an ihre Herzensstürme war noch so frisch in ihr, daß sie von Neuem Alles erlitt und genoß, was nun so fern hinter ihr lag. Sie griff nach einem Fläschchen auf dem Tische, goß ein paar Tropfen in ihr Glas, das immer voll Wasser mit kleinen Eisstückchen vor ihr stand, und trank es langsam aus.
Halten Sie es mir zu Gute, lieber Freund, fing sie endlich wieder an, wenn ich so weitschweifig von Dingen spreche, die ziemlich alltäglich sind. Sie wissen ja darum Bescheid, wie sich ein armes Weib geberdet, wenn das Herz mit dem Kopfe durchgeht.
»Der arme Kopf giebt immer nach,
Weil er der Klügere ist von Beiden.«
Aber Sie würden doch in Verlegenheit sein, – nicht, dieser Liebesgeschichte das Ende vorauszusagen, das sie mit Notwendigkeit nehmen mußte, sondern wie sich wenigstens die Eine der betheiligten Personen dabei betrug. Und darum wird Ihnen die Geduld, mit der Sie einer schwatzhaften alten Frau zuhören, am Ende nicht ganz verschwendet erscheinen.
Nur von dem Glück der nächsten Wochen sage ich Ihnen Nichts. Jede Genesung ist ja schon eine Art Brautstand. Man hat sich dem Leben neu verlobt, man läßt sich von ihm schmeicheln und liebkosen, ohne daß man mit seinen Rechten und Pflichten ihm gegenüber schon wieder vollen Ernst zu machen brauchte. Die Hälfte ist noch Erwartung des Süßesten und Schwersten, was erst der volle Besitz bringen soll. Und nun in dieser Zeit seliger Dämmerung aller physischen Kräfte ein zweites noch halb verschleiertes Glück, die verstohlene Gewißheit, einen Geliebten zu besitzen, den das Herz sich selbst erwählt hat, nach dem mein ganzes Sein sich mit tausend sehnsüchtigen Trieben hindrängte. Sie wissen, ich war dreißig Jahre alt geworden, ohne von dem Wein der Leidenschaft gekostet zu haben. Sie werden verstehen, warum ich nun gegen ihren Rausch nicht besser geschützt war.
Und daß ich diesen Taumel vor allen nüchternen Augen sorgfältig verbergen mußte, steigerte nur seine Gewalt über mich. Die Hausfreunde stellten sich getreulich wieder ein, der abendliche Kreis schien sich seit meiner Genesung nur fester und wärmer geschlossen zu haben. Und ich, theils weil ich geliebt war und glückliche Liebe liebenswürdig macht, theils weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, da ich alle diese guten Menschen um des Einen willen im Stich lassen wollte, suchte es Jedem noch mehr als sonst bei mir behaglich zu machen. Auch bedurfte ich in meinen eigenen Augen, die sich jetzt öfter als sonst im Spiegel betrachteten und oft sehr niedergeschlagen wurden, wenn das Bild darin ihnen gar zu reizlos erschien, gleichsam einer täglichen Bestätigung, daß es doch nicht ganz und gar eine Verblendung sei, mich dieses reizenden Menschen werth zu halten. Er war täglich Zeuge, wie ich der unentbehrliche belebende Mittelpunkt dieses großen Kreises war, und wenn ich die Andern unterhielt und Aller Augen an meinen Lippen hingen, winkte ihm ein rascher Blick unser zärtliches Einverständniß zu, und ich sah mit heimlichem Entzücken, daß es seinem Stolze schmeichelte, der Erwählte dieser kleinen ringsumworbenen Herrscherin der Geister zu sein.
Da bekam ich eines Tages einen Brief von einer Frau, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ein Bruder meines verstorbenen Mannes hatte eine Heirath unter seinem Stande gemacht und sich deßhalb von der Familie und der ganzen Residenzgesellschaft zurückgezogen, um einen kleinen Posten in der Forstverwaltung in einem Grenzstädtchen des Fürstenthums einzunehmen. Sein Vermögen hatte er auf weiten Reisen verthan und nichts davon heimgebracht, als eben diese schöne junge Frau, deren Ruf nicht der beste war. Ihre Bekanntschaft sollte er in einem Amsterdamer Spielhause gemacht haben. Ich selbst hatte nur einmal flüchtig die beiden uns ganz Entfremdeten gesehen, da ich bald nach dem Tode meines Kindes das kleine Nest, wo sie haus'ten, berührte. Der Schwager war mir freundlich, aber doch in gemessener Haltung begegnet; sein Stolz verbot ihm, der reichen Wittwe seines unversöhnt gestorbenen Bruders schönzuthun. Nun schrieb die Schwägerin, mir den Tod ihres Mannes anzuzeigen und zugleich ihre hülflose Lage zu schildern. Sie beschwor mich, etwas für ihre einzige Tochter zu thun, die eben siebzehn Jahr alt geworden, nur die nothdürftigste Erziehung genossen habe und ganz ohne Aussicht sei, in ihrer armseligen Abgeschiedenheit jemals einen Bewerber zu finden. Es sei ein gutes, gehorsames, zu jedem häuslichen Geschäft anstelliges Kind. Da ich, wie sie gehört habe, ein großes Haus mache und vor Kurzem eine schwere Krankheit überstanden habe, werde mir vielleicht eine Hülfe im Haushalt willkommen sein. Ihr aber sei es wie eine Lebensrettung, das Kind in meiner Nähe zu wissen, da sie bei jenem flüchtigen Begegnen die tiefste Verehrung und das unbegrenzteste Vertrauen zu mir gefaßt habe.
Ich las den Brief, während Charlot – es war an einem Vormittag – auf dem Tabouret zu meinen Füßen saß und bemüht war, eine kleine Locke meines Haares in ein Medaillon zu thun, das ich ihm so eben geschenkt hatte. In seiner gewohnten kindisch übermüthigen Weise malte er sich nun aus, wie wir unsern jungen Hausstand gleich mit einer erwachsenen Pflegetochter beginnen und am Ende Großeltern werden würden, eh wir noch Eltern geworden wären. Daneben leuchtete seine ganze Gutmüthigkeit aus dem Antheil hervor, den er an dem Schicksal der Wittwe nahm. Ich selbst fühlte eine heimliche Abneigung, auf den Plan einzugehen. Ich hatte das Mädchen damals nicht gerade anziehend gefunden, blöde und unzutraulich, ein schläfriges Gesichtchen, ein plumpes Gestältchen, Nichts an ihm mir verwandt und vertraut, als der Name, der auch der meine war. Ich sagte ihm das.
Du sollst sie zu deinem Ebenbilde erziehen, scherzte er, dein Meisterstück an ihr machen.
Und wenn inzwischen aus der plumpen Knospe eine reizende Blume sich entfaltet hätte, wie man ja auch Beispiele hat? So nähme ich mir am Ende meine Ottilie ins Haus.
Er verstand mich nicht gleich. Er hatte die Wahlverwandtschaften im Cadettenhause gelesen und seitdem gründlich vergessen. Als ich ihm erklärt hatte, was ich meinte, bestand er erst recht auf seinem Sinn. Du weißt, sagte er, was ich für bornirte Augen habe – (so hatte ich sie einmal genannt); sie sehen keine Göttinnen neben dir.
Ich küßte ihn zum Dank für sein zärtliches Wort auf eben diese Augen, und da ich Alles eifrig unterstützte, was die Güte und Noblesse seiner Natur in ein helles Licht stellen konnte, schrieb ich noch in derselben Stunde an die Schwägerin, sie möge mir das Kind nur schicken, es solle gut bei mir aufgehoben sein.
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Schon am folgenden Tage kam dieses »Kind«. Mein erster Blick überzeugte mich, daß es eine große Thorheit gewesen war, mich unbesehens zu so bedenklichen Mutterpflichten zu entschließen.
Ich erschrak, wie mir das große, schlank und voll aufgeblühte Mädchen entgegentrat, noch immer schüchtern, aber nicht mehr unbeholfen, wie vor zehn Jahren, die großen, entschieden veilchenblauen Augen zwar noch von einer gewissen Traumhaftigkeit verschleiert, aber nur um so reizender in ihrem feuchten Glanz. Ihre Haut war so weiß und roth, wie bei den Gesichtern, die Rubens zu malen liebte, wie denn auch ihre Züge von fern an jene schöne Helene Forman erinnerten, die auch nicht durch Geist geglänzt zu haben scheint und den klugen Mann doch sehr zu beglücken wußte. Und nun denken Sie sich all diesen siebzehnjährigen blonden Reiz durch den schwarzen Rahmen der Trauerkleidung gehoben, und Sie werden begreifen, daß selbst eine schönere und ihrer Macht gewissere Braut über diesen häuslichen Zuwachs nicht eben hocherfreut sein konnte.
Es ging aber besser, als ich gefürchtet hatte. Zwar erlebte ich Abends, als meine Intimen sich zum Thee einfanden, bei Jedem, der ihrer ansichtig wurde, das nämliche verblüffte Erstaunen über diese meine neue Hausgenossin. Aber der erste Ausdruck verflog bei Allen schon nach kurzer Zeit. Das schöne Wesen war in der That sehr uninteressant; ihre guten Eigenschaften, ihre Sanftmuth und Selbstlosigkeit, ihre kleinen praktischen Geschicklichkeiten, gepaart mit einem recht klaren Verstande, kamen im geselligen Verkehr am wenigsten zur Geltung. Statt dessen fiel ihre Theilnahmlosigkeit und Stummheit nur zu bald fast peinlich auf. Sie hatte so gut wie Nichts gelesen, noch weniger erlebt, und an Mutterwitz, ja nur an der gewöhnlichsten Neugier fehlte es ihr ganz. Das Einzige, was sie trefflich verstand, war, ihre schöne Person mit unscheinbaren Mitteln ins beste Licht zu stellen, ohne daß man sie geradezu einer strafbaren Koketterie hätte zeihen können, da Alles an ihr passiv, gedämpft, halb mechanisch war und es ihr gleichgültig schien, wem sie gerade schön vorkam. Wenn sie es erreicht hatte, durch ihren Anblick jenen ersten überraschenden Eindruck zu machen, schien ihre kleine Eitelkeit vollkommen befriedigt, und sie strengte sich durchaus nicht an, eine nachhaltige Eroberung zu machen.
Charlot, auf den es mir natürlich allein ankam, benahm sich musterhaft. Auch er freilich erlag dem allgemeinen Schicksal der Verblüffung durch diese blonde Schönheit. Aber schon in der ersten Minute fand er einen ganz unverfänglichen scherzenden Ton, wie zu einem artigen Kinde, das aufgemuntert sein will, und die Blicke des Einverständnisses, die er mir heimlich zuwarf, sein zugerauntes Wort: Diese Ottilie wird uns wenig Noth machen, die verheirathen wir schon im ersten Jahre! – beruhigte mich vollends. Ich verlor jeden Schatten von Verstimmung oder gar Abneigung aus meinem Gemüth und betrug mich gegen die Pflegetochter so herzlich, daß auch sie bald jede Spur von Fremdheit ablegte und mit einer Art schwärmerischer Ergebenheit sich an mich anschloß.
Auch wurde mir ihre Anwesenheit im Hause in der That nützlicher, ja nothwendiger, als ich selbst vorausgesehen. Die Vorbereitungen zu unserer Verbindung, nur durch dienstliche Weitläufigkeiten noch monatelang verzögert, nahmen mich sehr in Anspruch. Ich hatte eine heimliche Lust daran, meinem schönen jungen Manne wenigstens eine schöne neue Aussteuer ins Haus zu bringen. Seit jener ersten Einrichtung vor dreizehn Jahren war Manches verbraucht oder lückenhaft geworden, was die Mutter mir in die Ehe mitgegeben. In aller Stille sollte es nun ersetzt und viel glänzender neu beschafft werden. So war eine weibliche Hand und ein praktisches Auge sehr erwünscht, und die blonde Sophie hatte alle Hände voll zu thun, die Anfangsbuchstaben meines Namens in die neue Tisch- und Leibwäsche zu zeichnen. Sie fragte nie – eine ihrer guten und doch wieder bedenklichen Eigenschaften. Ich hütete mich auch wohl, sie in unser Geheimniß einzuweihen, das selbst den Leuten im Hause sorgfältig verborgen blieb. Nur wie zur Aufmunterung versprach ich ihr, wenn ich damit fertig wäre, meinen alten Leinenschrank neu auszustatten, wollten wir gleich daran gehen, auch für ihre künftige Mitgift zu sorgen. Die Initialen S. v. F. habe sie ja nun hinlänglich geübt.
Sie senkte die Augen und wurde dunkelroth. Auf mein Befragen, ob sie etwa gar schon eine heimliche Neigung gefaßt habe, schüttelte sie heftig den Kopf.
Darüber kam der große Tag, der mir endlich mein ersehntes Glück in die Arme führen sollte, näher und näher. Charlot war glücklich vom Militär verabschiedet worden, mit Hauptmannsrang. Man wunderte sich zwar über seine plötzlich erwachte Passion für die Landwirthschaft, aber da er elternlos und unabhängig war, konnte Niemand seinen Willen kreuzen. Wir hatten dafür gesorgt, daß das unumgängliche Aufgebot auf ein einziges Mal beschränkt wurde, – man konnte auch andere amtliche Formen bei uns leicht durch ein Geschenk an die Armenkasse umgehen, – und zwar waren unsere beiden Namen nur in den zu unsern Gütern gehörenden Dorfkirchen von der Kanzel herab verkündet worden. Da diese Dörfer ziemlich weitab von der Residenz lagen und damals noch kein regelmäßiger Verkehr zwischen Stadt und Land eröffnet war, durften wir hoffen, unsere Verbindung wirklich geheim zu halten bis nach der Abreise. Ein würdiger Geistlicher, der sich auch zuweilen an meinem Theetisch einfand, sollte in demselben Salon, wo wir uns zuerst unsere Liebe gestanden, die Trauung vollziehen, Niemand als mein Arzt und die blonde Nichte als Zeugen gegenwärtig sein. Drei große Koffer mit der neuen Ausstattung standen seit einer Woche gepackt. Die Dienstboten wußten nur, daß ich in nächster Zeit auf eins meiner Güter reisen und dort die Hauseinrichtung revidiren wolle. Und so schrieb ich am Tage vor der Hochzeit ein freundliches Billet an den Pfarrer mit der Bitte, morgen zu einer bestimmten Stunde sich bei mir einfinden zu wollen, um eine Trauung vorzunehmen. Ich war vorsichtig genug, selbst ihm gegenüber das Geheimniß noch zu hüten. Das Hochzeitspaar werde sich ihm erst morgen vorstellen, schrieb ich, aber alle Papiere seien in bester Ordnung, auch die Zeugnisse über das Aufgebot, und ich hoffte von seiner altbewährten Freundschaft, daß er über die Sache einstweilen schweigen, ja nicht einmal weiter darüber nachdenken werde.
Eine ansehnliche Summe für die Armen der Stadt war beigefügt, die Gebühren im Voraus weit über die übliche Taxe berichtigt.
Umgehend kam ein artiges Billet, das den Empfang bescheinigte und all meinen Wünschen nachzukommen versprach.
Damit war das Letzte geschehen, was noch vorzukehren blieb. In der ungeduldigen Stimmung, die sich nun meiner bemächtigte, litt es mich nicht zu Hause. Ich wußte nichts mit mir anzufangen, Alles um mich her hatte seinen Werth für mich verloren, was sollte ich lesen, was arbeiten, an wen schreiben? Und Charlot erwartete ich erst in einer Stunde. Ich bat mein blondes Nichtchen, mir Hut und Sonnenschirm zu bringen, und verließ das Haus, um das rastlose Herz noch ein wenig spazieren zu führen, da es mich an keiner Stätte dulden wollte.
Es war ein heißer Nachmittag, mitten im Juli, die Straßen wie ausgestorben. Ich wurde bald meines ziellosen Umherschlenderns müde. Am Residenzplatz nahm ich mir einen Wagen, um ein wenig ins Grüne hinauszufahren. Der Kutscher wollte das Dach herunterschlagen, des schönen Wetters wegen. Ich wehrte ihm ab. So ungesehen in die dunkle Wagenecke gedrückt an all den Häusern vorbeizufahren, in denen Menschen wohnten, die von meinem Glücke nichts ahnten, hatte einen märchenhaften Reiz. Als wir dann vors Thor kamen, wiegte mich die Stille und das sanfte Schaukeln des Wagens in einen leichten Schlaf, der ganz von seligen Bildern ausgefüllt war. Ich glaube, diese Träume und das Erwachen, bei dem mein erster Gedanke war, die Wirklichkeit werde noch tausendmal süßer sein, sind das Beste, was ich überhaupt im Leben genossen habe.
Ich gab dem Kutscher einen Thaler Trinkgeld und stieg in der Stadt vor einem Laden aus, wo ich noch kleine Einkäufe machen wollte. Bis zu meiner Wohnung hatte ich nur noch fünf Minuten zu gehen. Als ich um die letzte Ecke bog, sah ich hundert Schritte vor mir meinen Geliebten, der pünktlich zu der bestimmten Stunde zu mir ging. Ich hätte ihn mit einem Ruf noch erreichen können, es wäre kaum aufgefallen, da nur wenige Menschen auf der Straße gingen. Ich schwieg aber und beobachtete ihn lieber, wie er so hoch und schlank mit elastischem Schritt dahinwandelte; mein ganzes Herz flog ihm nach. Als er in der Thür meines Hauses verschwand, schien mir die Straße plötzlich wie bei einer Sonnenfinsterniß verdunkelt; ich mußte einen Augenblick stillstehen und bei mir selbst lächeln über meine närrische Verliebtheit. Dann setzte ich ein wenig langsamer meinen Weg fort. Der Schatz war ja sicher aufgehoben; eine Freude erwarten, ist auch eine Freude, und wie freute ich mich, ihn in meinem kühlen, dämmrigen Zimmer zu finden, mich, wenn er nach seiner Gewohnheit in dem kleinen Mexikanischen Lederstuhl läge und in einem meiner Bücher blätterte, hinter ihn zu schleichen, ihm die Hände vor die Augen zu drücken und zu fragen, wer da sei.
Es war mir darum lieb, daß ich unbemerkt ins Haus kam und auf der Treppe Niemand begegnete. Auch oben brauchte ich nicht zu klingeln, da ich den Schlüssel bei mir trug. Ich öffnete behutsam wie ein Dieb die Thür und drückte sie sacht wieder ins Schloß. Dann huschte ich auf den Zehen den breiten Corridor entlang, der durch eine Glasthür am andern Ende sein Licht empfing. Dahinter lag ein großes, luftiges Entrée, das kühlste Zimmer in der ganzen Wohnung, wo wir zu essen pflegten, wenn keine Gäste da waren. Als ich die Glasthür erreicht und schon die Hand nach der Klinke ausgestreckt hatte, fuhr ich plötzlich einen Schritt zurück. Was ich sah, war nichts Furchtbares, und doch machte mir's das Blut stocken, wie ein Spukbild am hellen Tage.
Auf dem Sopha, dem offenen Fenster gegenüber, dessen Vorhang leicht im Winde hin und her wehte, lag meine Pflegetochter. Die Einsamkeit und die schwüle Stunde hatten sie verführt, hier ihre Siesta zu halten. Sie war fest eingeschlafen. Der Kopf lag auf der Sophalehne weit hintenübergesunken, in das weiche blonde Haar wie in ein seidenes Kissen eingedrückt. Ein Lichtstreifen zeichnete Stirn und Nase und die halbgeöffneten, sanftgeschwellten Lippen und glitt über das volle weiße Kinn nach dem Halse hinab, von dem das Tüchlein losgeknüpft war. Sie trug ein luftiges Sommerkleid, das die Schultern ein wenig frei ließ, und unter den hellen Falten sah man die reizende Jugendfülle ihrer Brust ruhig athmen, während die Hände mit den runden, rosigen Fingern weit auseinandergespreizt auf dem dunklen Lederpolster des Sopha's lagen.
Und vor ihr stand Charlot. Er hatte der Glasthür halb den Rücken zugekehrt, ich sah nur sein verlorenes Profil, aber von seinem Auge noch genug, um vor dem Funken zu erschrecken, der unter der schwarzen Wimper hervorblitzte. Er betrachtete das schöne Bild, ohne sich zu rühren, unverwandt, wie von einem Zauber gefesselt. Die Schläferin machte eine leise Bewegung, und ihre Hände zuckten. Aber sie schlief weiter, die Zähne glänzten hinter den rothen Lippen, die sich im Lächeln noch ein wenig mehr öffneten. Da plötzlich beugte er sich zu diesen verführerischen Lippen hinab und streifte sie flüchtig mit den seinen.
Ich war gegen die Wand des Corridors zurückgetaumelt, da stand ich – athemlos – sinnlos – als hätte mich ein Stoß mit einem schweren, stumpfen Hammer gegen das Herz getroffen. Aber meine Augen durchbohrten nach wie vor das dünne Glas, das mich von meinem Schicksal trennte. Ich sah, wie die Schläferin, ohne ihre Lage zu verändern, langsam die schweren Wimpern aufschlug, einen kurzen Moment das Gesicht, das dem ihren so nahe war, anstaunte und dann, wie wenn ein entzückender Traum sie umspielte, die Augen wieder schloß, einen tiefen Seufzer that und lächelnd fortschlief. Doch er – nachdem er wieder eine Weile ihre Züge betrachtet hatte, näherte er von Neuem sein Gesicht dem ihren, sein Mund suchte abermals ihre schwellenden Lippen – und fand sie – und schien nicht mehr von ihnen lassen zu wollen.
Auf einmal durchlief ein Zittern die Glieder des Mädchens, die so willen- und bewußtlos hingestreckt lagen. Ich sah, wie die Hände noch halb im Traum sich erhoben, die fremde Brust fortzustoßen, die sich ihr unwiderstehlich genähert hatte, der Kopf strebte in die Höhe, noch eine letzte rasche Bewegung, und das unselige Geschöpf stand hoch aufgerichtet, mit dunkelglühenden Wangen und verstört zu Boden gesenkten Blicken aufrecht vor dem Eindringling. Im nächsten Moment stürzten ihr große Tropfen aus den Augen, sie schüttelte so heftig den Kopf, daß die losen Haare vollends aufgingen und über ihre Schultern niederrollten, dann warf sie einen flehenden Blick auf den verwirrt Dastehenden, der ihre Hände zu ergreifen und irgend etwas an sie hinzureden versuchte, brach in ein lautes Schluchzen aus und stürzte durch die Thür zur Linken hinaus in ihr Zimmer, den Riegel so laut vorschiebend, daß ich es durch die Glasthür hindurch hören konnte.
Ich sah noch, wie er ein paar Schritte ihr nach that und dann mitten im Zimmer stehen blieb. Da riß mich die Angst, er möchte sich umsehen und meinen Schatten hinter der Glasthür erkennen, besinnungslos hinweg.
Kein Mensch sah meine Flucht; eh ich wußte, was ich that und wohin ich wollte, fand ich mich wieder unten auf der Straße. Wie wenn ich Zeugin eines Mordes gewesen wäre, von einem Menschen verübt, den ich mehr als mich selbst geliebt hatte – und selbst sein erbarmungsloser Richter sein sollte – und lieber aus der Welt hinausfliehen wollte, in der so grausame Blutthaten und Blutgerichte möglich waren, – so fassungslos eilte ich die Straße hinunter. Ich meinte, jeder Vorübergehende läse mir's an der Stirne, daß mein Herz eben in den Staub getreten worden war, und von Wem! Ich fühlte meine Hände und Füße wie erstorben, durch einen Schlagfluß gelähmt, und mußte doch vorwärts. Da sah ich einen leeren Wagen heranrollen – denselben, in welchem ich vorher meine selige Brautfahrt gemacht hatte. Mir graute vor diesem höhnischen Zufall. Aber schon hielt der Kutscher neben mir, da ich ihm gewinkt hatte, schon hob er mich hinein und machte den Schlag wieder zu. Ich hatte nur so viel Besinnung, ein ziemlich entferntes Jagdschlößchen zu nennen, das um diese Zeit völlig einsam zu sein pflegte. Als die Pferde anzogen, sank ich in den Fond zurück und brach in einen Weinkrampf aus, der zum Glück durch das Rasseln der Räder übertönt wurde.
Ich schildere Ihnen nicht meinen Zustand. Wozu wären Sie Poet und Psychologe, wenn Sie nicht um all die vernichtenden Schmerzen Bescheid wüßten, die in jener Stunde an meinem Leben rissen. Auch darf ich nicht so deutlich daran zurückdenken. Noch heut steigt in der Seele der ganz alten Frau ein bittres Nachweh auf, sobald ich an gewisse Qualen denke, von denen ich damals glaubte, sie könnten mich unmöglich alt werden lassen.
Als ich endlich vor dem Jagdschlößchen hielt, war ich so zerbrochen durch den wüthenden inneren Kampf, daß ich kaum die Kraft hatte, auszusteigen. Zurück aber konnte ich noch nicht. Ich raffte mich also auf, ließ mir das Gitter zum Park aufschließen und tauchte in die grüne Einsamkeit jener hohen Wipfel ein, die mir zum ersten Mal wieder ein Gefühl gaben, als ob noch eine Zuflucht vor dem Elend des Lebens zu finden sei.
Und meine Natur war zu sehr des Haltes und festen Grundes gewohnt, um sich nicht endlich aus der erbärmlichen Versunkenheit wieder aufzurichten. Auf einmal durchzuckte mich der Gedanke: Warum wüthest du so? Was ist denn so Unerhörtes, Gräuelvolles, Unverzeihliches, Unsühnbares geschehen? Hast du ihn nicht gekannt? nicht gewußt, daß er ewig das Kind bleiben würde, das nach jeder schönen, lockenden Frucht die Hand ausstrecken muß, gleichviel in wessen Garten es sie findet? Weil auch du ihn gereizt und seinen Begehrungstrieb geweckt hast, soll ihn darum in alle Zukunft nach Nichts mehr gelüsten, was süß und erfrischend zu sein verspricht? – Nein! rief es dagegen in meinem Herzen, nein und ewig nein! Es ist dennoch ein Verrath an dem, was Menschen das Heiligste sein soll: an Pflicht und Treue! Wenn es ein Naturrecht wäre, das über Alles ginge, würde er sich desselben vor den Augen Derer schämen, der er sein ganzes Inneres aufzuschließen gewohnt war? Und wer weiß, ob das, was heute geschah, das erste Vergehen gegen seine gelobte Treue war, ob es das letzte bleiben wird, wenn ich schwach genug wäre – – Jawohl, schwach genug! An diesem Worte blieb ich haften. Hatte ich denn ein Recht, ihn der Schwäche anzuklagen, weil er dem sinnlichen Reiz dieses schönen Gesichts, dem Zauber dieses lächelnden, halbgeöffneten Mundes nicht hatte widerstehen können? Ich selbst – war ich denn viel besser? Was hatte mir denn das Herz umstrickt, daß ich es ganz an ihn verloren hatte, als nur sein Jugendreiz, seine blühende Frische, seine Narcissusgestalt? Wer hatte sich hier zu schämen? Die reife, kluge Frau, die sich in einen schönen, an Geist und Charakter ihr wahrlich nicht ebenbürtigen Mann vergafft hatte, oder dieser junge Liebling aller Frauen, der leichtsinnig-gutherzig genug gewesen war, der Reizlosen Treue zu schwören und dies unnatürliche Band einen Augenblick gelockert hatte, verführt von einem übermächtigen Triebe seiner Natur, die ihn auf Genuß alles Schönen angewiesen?
Ich blieb wohl eine Stunde auf einer Bank am Weiher dort mit mir allein, und eine Welt von Gedanken, anklagenden und entschuldigenden, zog an mir vorüber. Als ich dann aufstand, war es schon dämmerig unter den hohen Linden und Kastanien, aber in mir ganz klar. Ich wußte genau, was ich zu thun hatte. So wenig tröstlich mich mein Entschluß ansah, so war schon das eine Wohlthat, daß ich über alles Schwanken und Zweifeln hinausgehoben war.
Als ich meine Wohnung wieder betrat, kam mir die unselige Urheberin all dieses Leides entgegen, – die ich nicht mehr haßte; denn ich hatte es mir zu klar gesagt: Diese oder eine Andere – erspart wäre mir's nicht geblieben, und besser noch jetzt, als zu spät. Sie bestellte mir einen Gruß von ihm, er habe zwei Stunden auf mich gewartet, werde nun zur Theestunde wiederkommen. Mein Ausbleiben habe sie Alle geängstigt.
Ich ließ mir nicht merken, in welcher Stimmung ich dem schönen Gesicht gegenübertrat. Ich hätte Kopfweh gehabt, sagt' ich, und deßhalb eine weite Fahrt gemacht, es sei leider nur ärger geworden, ich wolle gleich schlafen gehen, heute Abend könne Niemand mehr vorgelassen werden.
Das arme Ding wurde sichtlich erschreckt durch mein Unwohlsein, suchte mir auf alle Weise mit zuthulicher Sorge Linderung zu schaffen und verließ erst auf ein ausdrückliches Machtwort von mir mein Schlafzimmer. Ich glaubte zu sehen, daß sie etwas wieder gut zu machen wünschte; sie dauerte mich dabei. Wußte ich doch nicht einmal, ob sie das, was geschehen, als ein Unrecht gegen mich, oder nur als etwas Ungehöriges ansah, da ein junges Mädchen einem fremden jungen Manne so viel nicht einräumen dürfe. Eine Ahnung meines Verhältnisses zu Charlot mochte sie doch wohl hie und da beschlichen haben. Aber auch dann, – was hatte sie gethan, ihn von mir abzulocken? War es ihre Schuld, daß ihr stummer, aus dem Traum lächelnder rother Mund ihm reizender schien, als die beredten, aber blassen Lippen seiner heimlich Verlobten?
Diese Nacht schlief ich nicht eine Stunde. Ich wartete immer, ob nicht wieder ein Fieber sich mein erbarmen würde. Aber der böse »Andere«, der doch an Allem Schuld war, ließ mich diesmal im Stich. Die fröhlichste junge Braut hätte sich keine bessere Gesundheit wünschen können.
Und doch, wie ich mich am andern Morgen im Spiegel sah, kam ich mir um zehn Jahre gealtert vor. Wo hatte ich nur meine Augen! sagt' ich bitter vor mich hin. Und er, wo hatte er die seinen? Sie sind ihm freilich aufgegangen, und mir nur allzu spät.
Und doch war ich noch lange nicht fertig mit mir. Als ich ihn – eine Stunde vor der verabredeten Zeit – die Treppe heraufstürmen hörte, – o lieber Freund, es wird einem schwer, von Jugend und Glück den letzten, unwiderruflichen Abschied zu nehmen!
Wie er eintrat, in Hochzeitstoilette, – der schwarze Anzug kleidete ihn noch weit vortheilhafter, als die Uniform, – ich saß auf einem Stuhl am Tische – er wollte auf mich zustürzen und mich umarmen, aber an meinem ersten Blick und der abwehrenden Hand erkannte er, daß etwas Ernsthaftes zwischen uns getreten war. Er erblaßte, und ich sah, wie der Gedanke ihn erschreckte, ich sei über Nacht kränker geworden. Er stammelte zärtliche Fragen und wollte mit Gewalt sich meiner Hand bemächtigen. Ich deutete auf den Stuhl mir gegenüber und fand endlich Kraft, ruhig zu ihm zu sprechen. Alles sagte ich ihm, was ich gesehen, was mir dann durch Kopf und Herz gegangen war, daß ich ihm gezürnt – und endlich verziehen hatte.
Er hatte stumm vor mir gesessen, die Augen in tiefster Beschämung gesenkt. Nicht mit einem Wort versuchte er sich zu vertheidigen. Mein Herz brannte von Mitleid und Kummer, daß wir so einander gegenübersitzen mußten; und auch die erstickte Liebe flammte wieder auf. Ich hatte ihn nie schöner gesehen.
Wie ich nun aber fertig war und er eine Geberde machte, als ob er nun reden wolle, fuhr ich eilig fort, eh' ich seine Stimme hörte, die mich vielleicht zu entwaffnen vermocht hätte.
Du wirst einsehen, sagt' ich, daß es nun aus sein muß zwischen uns. Mein Vertrauen ist unheilbar verwundet. Gerade weil ich Alles verstehe und darum verzeihe, weil ich dich kenne und weiß, daß du diese Dinge nie so schwer nehmen wirst, wie ich, gerade darum habe ich keine Hoffnung, daß deine Sinne dich nicht auch in Zukunft mir abtrünnig machen würden, wenn ich dein Herz auch noch so sehr auszufüllen vermöchte. Ich aber ertrüge das nicht; mich empört jeder Gedanke an Theilung. Und doch war es ein Wahnsinn, zu glauben, du könntest mir ganz angehören. Den muß ich nun büßen. Und ich bin Gottlob alt und stolz genug, diese Buße nicht mit dem Leben zu bezahlen. Nur das will und kann ich nicht ertragen, daß unser Bruch stadtkundig wird und man mit Achselzucken und Hohnlachen von der Verblendung spricht, in der ich trotz all meiner Klugheit so lange hingelebt. Wir sind zudem kirchlich aufgeboten, in einer Stunde erwarte ich den Pfarrer, der weiß, daß er hier eine Trauung abhalten soll. In den Papieren, die ich drinnen aufbewahre, ist das Aufgebot einer Sophie von F. mit einem Charlot von C. bescheinigt. Nun, zum Glück braucht daran nichts geändert zu werden, der Pfarrschein giebt kein Signalement. Wenn heut statt der braunen eine blonde Sophie von F. getraut wird, hat Niemand Einspruch zu thun.
Ich schwieg, ich erwartete, er werde außer sich gerathen, mir zu Füßen fallen, mich beschwören, diesen gewaltsamen Entschluß zu widerrufen, ihn für die Verirrung eines schwülen Augenblicks nicht so schwer büßen zu lassen. Wenn er es gethan hätte, wer weiß, ob mein thörichtes Herz standhaft geblieben, meine armen Sinne nicht wieder dem Zauber erlegen wären.
Aber Nichts von alle dem geschah! Er schlug nur die Augen auf, wie um zu fragen, ob das wirklich mein Ernst sei. Sophie! stotterte er – dann seufzte er – ich wußte nicht, ob aus Bedauern über uns Beide, daß es dahin zwischen uns kommen konnte – oder aus heimlicher Erleichterung von einer lange verborgenen Last. Dann sah er wieder zu Boden.
Mein Blut wallte auf, jetzt in voller Empörung. Ein Knabe schien er mir, der froh ist, mit einer leichten Buße für einen muthwilligen Streich davonzukommen, einer Strafe, die ihn heimlich freut, weil er dadurch um die Schulstunden kommt. Und diesem Knaben hatte ich mein Leben, mich selbst mit Leib und Seele hingeben wollen, der hatte mein Herr sein sollen!
Ich fühlte etwas in mir erstarren, was bisher noch weich gewesen war. Ich stand rasch auf.
Wir haben keine Zeit zu verlieren, sagte ich hart und hastig. Du wirst zu ihr gehen und ihr sagen, daß sie in einer Stunde deine Frau werden soll. Ich weiß nicht, wie weit es auch von ihrer Seite schon gekommen ist. Jedenfalls wirst du keine Mühe haben, sie diesem etwas übereilten Glück geneigt zu machen. Die nachträgliche Einwilligung ihrer Mutter zu erwirken, übernehme ich. Da sie Trauer hat und wir keine Gäste geladen haben, genügt ihr schwarzseidenes Kleid, und den Myrtenkranz liefert mein Glashaus. Für ihre Ausstattung hat sie selbst schon mitgesorgt, das Fehlende magst du ihr nachliefern. Ihr reis't natürlich gleich nach der Einsegnung ab, zur Mutter, auf dein Gut oder wohin ihr wollt. Ich hoffe, du wirst so glücklich werden, wie du es um mich nicht verdient hast, glücklicher jedenfalls, als ich dich hätte machen können. Und nun kein Wort mehr! Du siehst, ich bin vollkommen ruhig; du magst es auch sein. Wir wollen uns nicht ohne Noth aufregen.
Ich schritt nach der Thür meines Zimmers; noch jetzt – wer weiß! – wäre es nicht zu spät gewesen; einem heftigen Sturm von Reue und zärtlicher Beschwörung hätte ich nicht widerstanden, fürcht' ich fast; denn trotz der Eiseskälte, die mich überschauert hatte, war ich leider ein Weib geblieben. Wie ich ihn aber aufspringen, fassungslos ein paar Schritte machen, unzusammenhängende Sätze stammeln sah – Sophie! rief er, du kannst – du wirst nicht – es ist ja unmöglich! – glaube mir, sie und ich – o ich war deiner Liebe nie werth! ich werde niemals –
Ein bitterer Ekel stieg in mir auf. Ich wandte ihm stumm den Rücken, ging in mein Zimmer und schloß die Thüre hinter mir zu.
Eine Viertelstunde nachher klopfte es leise; die Stimme des Mädchens, von Thränen halb erstickt, bat um Einlaß. Als ich aber öffnete, sah ich, das es Freudenthränen waren.
Sie fiel mir zu Füßen, sie bedeckte meine Hände mit Küssen, sie gestand mir unter Jubel und Schluchzen, daß sie nie ein so großes Glück geträumt, daß sie mich wie ein himmlisches Wesen, dem sie ihr ganzes irdisches Heil verdanke, zeitlebens anbeten werde. Sie habe die Liebe zu Charlot gut genug zu verbergen geglaubt, nun hätte ich sie ihr doch aus den Augen gelesen, und statt zu zürnen, gäbe ich ihr nun den Inbegriff all ihrer Wünsche, und so schnell und ganz, daß ihr die Seligkeit fast die Brust zersprenge.
Kein Wort, daß Charlot je einer Andern hatte gehören sollen! Er hatte seine Sache gut gemacht, und freilich war es ihm wohl nicht eben schwer geworden, das verliebte junge Herz von Allem zu überreden, was er nur wollte.
Dieser leidenschaftlichen Scene, bei der eine Flamme aus der stillen Natur aufschlug, die man ihr nicht zugetraut, machte zum Glück der Eintritt des Pfarrers ein Ende. Ich blieb mit ihm allein und trug ihm die Sache vor, wie ich sie mir zurechtgelegt hatte. Daß ich lügen mußte, empfand ich kaum als eine Demüthigung. Was war mir Lüge und Wahrheit, da ich so lange betrogen worden war, von mir selbst und Dem, von dem ich mein einziges wahres Glück gehofft hatte! Ich zeigte die Papiere vor, erzählte, daß die Trauer des Mädchens um ihren Vater diese heimliche Verbindung nothwendig mache, die Mutter sei durch Krankheit zu Hause festgehalten, das junge Paar werde zu ihr eilen, um ihren Segen zu erhalten, den sie im Voraus ihnen durch mich ertheilt habe, Alles spreche dafür, sagt' ich, – mit der stillen Ueberzeugung, damit wohl keine Lüge zu sagen – daß diese Ehe im Himmel geschlossen sei.
Ich genoß zu viel Achtung und Freundschaft von Seiten des würdigen Mannes, als daß er meine Worte irgend bezweifelt hätte. Der einzige mißliche Punkt, daß in dem Aufgebot mein Mädchennamen mit angeführt war, erklärte sich leicht aus einem Versehen der Dorfpfarrer, die von der Existenz einer noch unvermählten Sophie von F. keine Ahnung haben konnten. Ein Federstrich brachte das ins Reine. Dann trat mein alter Hausarzt ein und ließ sich zu seiner großen Ueberraschung – er war vielleicht der Einzige, dem mein Verhältniß zu Charlot nicht völlig geheuer erschienen war – die Mittheilung machen, daß man ihn hier als Trauzeugen geladen habe.
Der andere Zeuge war ich selbst. – –
Und so ging auch diese Stunde vorüber. Die Braut strahlte von Glück und Schönheit unter dem Kranz, den ich selbst geflochten hatte, der Bräutigam erschien ein wenig bleich und ungewöhnlich ernst, Niemand aber nahm Anstoß daran. Wie diese schönen Gestalten neben einander standen und ihren Bund fürs Leben besiegelten – Genug! Ich sehe sie noch heute vor mir – damals heftete ich meine Augen starr gegen die Wipfel des Gartens, auf denen sich in der Genesungszeit mein Herz so leicht geschaukelt hatte, und dachte – dachte – Unaussprechliches, Undenkbares. – –
Sie reis'ten noch in der nämlichen Stunde ab, sie wollten zu Sophiens Mutter, dann in die schöne weite Welt hinaus. Glückliche Menschen! Auch ich reis'te ab, eine Stunde nach ihnen. Die Zeit, die dann folgte, ist mir so völlig aus dem Gedächtniß entschwunden, daß ich wirklich nicht einmal die Namen der Städte zu nennen wüßte, durch die ich mich hintragen ließ, wie eine lebende Leiche, innerlich ohne Kraft mich zu regen und meine Sinne und Gedanken mir selbst zum Bewußtsein zu bringen.
Sie wissen, lieber Freund, wie Viel man überlebt, selbst seinen eigenen Tod. Und so habe ich nicht nur fortgelebt, sondern bin alt geworden, habe Jahr um Jahr einen Brief der jungen Frau erhalten, deren Glück ich gestiftet hatte, und ihn regelmäßig erwiedert und zuletzt gefunden, daß es so gut gewesen, wie es nun einmal sein sollte. Müssen denn Alle, die über diese wunderliche Erde wandeln, an sich selbst erfahren, was ein volles Glück ist? Leben heißt vorliebnehmen. Nur wenn man darüber zu grübeln anfängt, oder sich von Anderen glücklich preisen hört, soll man die Dinge beim Namen nennen;
. . . . . . . . . . . . . .denn erkannte Wahrheit,
Wenn sie auch trostlos ist, hat ihren Reiz.
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