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Die talentvolle Mutter.

(1879)

Daß begabte Kinder, die sich mit Glück in irgend einer Kunst hervorthun, ihren Eltern Freude machen, ist eine Thatsache, die Niemand bestreitet. Nicht minder pflegen gute Kinder sich des Ruhmes wohlgerathener Eltern zu erfreuen, falls nicht ein mißgünstiger Ehrgeiz sie treibt, auf gleichen Pfaden es weiter und höher bringen zu wollen. Daß es aber auch für die neidloseste Seele hin und wieder sein Unbequemes hat, in dem Schatten zu wandeln, den ein nahestehendes Licht kraft seines Naturrechtes zu werfen pflegt, konnten alle Diejenigen erleben, die vor etlichen Wintern in Rom die Bekanntschaft einer liebenswürdigen Frau und ihrer schönen jungen Tochter machten.

In den letzten Octoberwochen, die der römischen Landschaft ihren unvergleichlichsten Zauber verleihen und jenen feierlich milden Goldton über die Campagna breiten, der auf keiner Palette sich nachmischen läßt, konnte man täglich an den berühmtesten Aussichtspunkten, in den Gärten der Villen, auf den öden Straßen vor den Thoren und wo irgend eine Beute für das Skizzenbuch zu erjagen war, einem anmuthigen Paare begegnen: einer kleinen blonden Dame von beweglicher, obwohl bereits etwas zur Fülle neigender Gestalt und sehr hübschem Gesicht, dessen rosige Farben und naive Wangengrübchen noch kein Alter von sechsunddreißig Jahren verriethen, und einem kaum achtzehnjährigen, braunlockigen und dunkeläugigen Mädchen, das die Mutter um einen ganzen Kopf überragte. Auch sonst war zwischen dem Kinde mit den ernsten Zügen, das sich ein wenig träge und träumerisch bewegte, und der beständig erregten, hin und her huschenden und heiter um sich blickenden Frau Mama nicht die leiseste Aehnlichkeit zu entdecken, wie sie denn auch an Temperament und Sinnesart nicht verschiedener hätten sein können. Dennoch schienen sie nicht nur aus Noth, als zwei Fremdlinginnen, die auf einander angewiesen sind, unzertrennlich zu sein, sondern sich von Herzen zu lieben und einander nicht entbehren zu können; nur daß freilich die lebhaftere Mutter die Kosten der Unterhaltung oft allein zu tragen hatte, während ihr Kind seine nachdenklichen jungen Augen stumm in die Ferne schweifen ließ, oder in sich gekehrt zur Erde blickte. Seltsam war es auch, daß man das Mädchen nie lachen oder doch nur mit dem Rande der Lippen lächeln sah, während die Mutter bei dem geringsten Anlaß sich beeilte, ihre hübschen weißen Zähne blitzen und die Grübchen daneben spielen zu lassen, ohne jegliche Koketterie, nur dem natürlichen Hange ihres munteren Gemüthes folgend.

Sie hatte freilich allen Grund, das Leben für ein lustiges Spiel zu halten, zu dem man von Herzen eine gute Miene machen könne. Zwar war sie schon seit sechs Jahren Wittwe, eines Mannes, den sie aufrichtig geliebt. Zum Trost für seinen Verlust aber hatte ihr die Freiheit ihres neuen Standes erlaubt, allerlei schöne Künste, die sie als Mädchen betrieben und als Hausfrau eines Forstmannes hatte vernachlässigen müssen, nun mit um so größerem Eifer wieder aufzunehmen. Aus ihrem stillen Hause im Schwarzwald war sie in die badische Residenz übergesiedelt und hatte sich dort in den künstlerischen Kreisen bald eine Menge Freunde und Verehrer gewonnen, die ihr gern behülflich waren, ihre Talente zum Zeichnen, Malen und Singen gründlicher auszubilden. Das einzige Töchterchen, des Vaters Ebenbild, kam dabei nicht zu kurz, war aber für die Bemühungen der zärtlichen Mutter, auch ihm den Sinn für die Welt der Kunst aufzuschließen, seltsam unempfänglich, obwohl es nicht nur auf seine Schularbeiten großen Fleiß verwendete, sondern daneben gern von den Talenten der Mutter profitirt hätte. Es blieb jedoch bei einem sehr mäßigen Klavierspiel und schüchternen Anläufen zum Blumenmalen, welche die Lehrerin zur Verzweiflung brachten. Denn gerade so rasch und sicher sie selbst in allen Stücken sich zeigte, so bedächtig und peinlich ging die Tochter bei ihren Versuchen zu Werke. Sie entschuldigte sich dann, sie sehe die Vorbilder so viel schöner und lebendiger, als sie es je selbst zu machen sich getraute, und wer ihr Wesen beobachtete, während sie Musik hörte, eine Galerie durchwandelte oder im Theater saß, hatte sie auch wahrlich nicht im Verdacht, daß ihre Seele von allen Musen verlassen sei, obschon ihr die muntere Betriebsamkeit und Genügsamkeit fehlte, die den meisten Dilettanten über so viel Schwierigkeiten hinweghilft, da Gott ihnen verzeiht, weil sie nicht wissen, was sie thun.

Frau Meta aber, die in ihren verschiedenen Kunstübungen das wahre Glück ihres Lebens fand, gab es nicht so leicht auf, auch ihre Tochter in diese Freuden einzuweihen. Sobald die Schulzeit ihrer Martina vorüber war, beschloß sie, nach Italien zu gehen, um einige Jahre in diesem gelobten Lande ihrer Sehnsucht die letzte Hand an die Erziehung der Tochter zu legen. Sie war wohlhabend und auch sonst völlig unabhängig, und nachdem sie die heißen Monate theils an den lombardischen Seeen, theils in Sorrent und anderen Sommerfrischen nahe bei Neapel zugebracht, hatte sie ihr Winterquartier endlich in Rom aufgeschlagen und begonnen, Kunst und Natur auch hier zu genießen und auszubeuten, und ihre Mappen und Skizzenbücher mit Studien nach Menschen und Dingen der verschiedensten Art zu füllen.

So sah man denn täglich, oft schon in der ersten Morgenfrühe, Mutter und Tochter die Gassen Rom's durchwandern, in einem Aufzuge, der zum Lachen herausgefordert hätte, wenn die Anmuth der beiden Gestalten sie nicht davor bewahrt hätte, in Eine Klasse mit den Caricaturen englischer Aquarellistinnen geworfen zu werden, die in den unerhörtesten Costümen die Pfade zu den berühmten Veduten in der Umgegend Rom's unsicher machen. Die Mutter trug an einem Riemen ein zusammenlegbares Feldstühlchen nebst Malschirm aus weißer Leinwand und eine große Mappe unterm Arm; die Tochter den Malkasten, ein Plaid und ihren eigenen Feldstuhl, ungerechnet ein Buch und ein frugales Frühstück in einer Blechkapsel. In dieser Ausrüstung legten sie, ohne die staunenden Blicke der Vorübergehenden zu beachten, tapfer die weitesten Wege zurück, bis sie sich an dem erwählten Punkte befanden und dort so bequem als möglich niederließen. Frau Meta begann sofort unter ihrem Leinwanddach die Wasserleitung, das Thor, die Pinie oder die alten Tempeltrümmer, um die sich's gerade handelte, nachzubilden, worin sie mit der Zeit eine auffallende Geschicklichkeit erworben hatte, sei es, daß sie nur einen Umriß mit dem Stift auf ein großes Blatt warf, oder irgend einen Farbeneffect mit reinlicher Sorgfalt festzuhalten suchte. Es war, wenn man genauer zusah, ein ziemlich mechanisches Verfahren nach leichtem und wohlfeilem Recept; was aber zu Stande kam, nahm sich immerhin sauber und gefällig aus, zumal es durchaus keinen Anspruch machte, irgend eine tiefere künstlerische Aufgabe zu lösen.

Während dieser eifrigen Thätigkeit hatte das Martinchen alle Zeit, seinen Farben- und Formensinn, wenn solche überhaupt vorhanden waren, im Schatten der kunstreichen Frau Mama auszubilden, da diese es nicht an belehrenden Winken fehlen zu lassen pflegte. Freilich verstummte mit der Zeit die Unterweisung, je mehr der Arbeitseifer zunahm. Die Tochter saß dann schweigsam, wie es ihre Art war, auf ihrem Stühlchen und versuchte Anfangs, das mitgebrachte Buch – meist eine italienische Grammatik – zu studiren. Da sie aber hieran bald ermüdete, auch die große Stille und die reine Sonnenglut um sie her sie zu allerhand Träumereien einlud, ergab sie sich dem reinsten Müßiggang, der freilich durch geheime Schwermuth eine eigene Würze erhielt. Ueber diese verbrannten, kahlen Campagnastrecken hinweg sah ihr Auge in weiter Ferne gegen Norden das grüne Waldthal, wo ihres Vaters Haus gestanden und alle Spielplätze ihrer Jugend lagen. Dann trat auch wol eine menschliche Staffage aus den Schatten des Tannenwaldes, die ihr weit interessanter dünkte, als der braune Hirt auf seinem kleinen, struppigen Pferdchen, oder die Ciociare, die ihren Korb am Arm, ein melancholisches Ritornell mit scharfer Stimme vor sich hin schreiend, auf der uralten Straße vorüberzog. Hiervon sagte sie aber Niemand ein Wort, am wenigsten ihrer Mutter, die sie in dem Glauben ließ, als ob sie auf dem besten Wege wäre, über dieser »stilvollen« Natur all ihre romantischen Schwarzwald-Erinnerungen zu vergessen.

Wenn aber die helle Tageszeit auf diese Weise verstrichen war, machten die mannichfachen Talente der kleinen Frau durchaus noch nicht Feierabend. Ein paar Stunden nach Tische wurden einem eifrigen Briefwechsel gewidmet, da sie eine besondere Gabe hatte, ihre kleinen und großen Erlebnisse, Reiseeindrücke und Beobachtungen an Land und Leuten in einem ungezwungenen und ergötzlichen Stil aufzuzeichnen und dieses ihren Freunden in der Heimath gewidmete Tagebuch mit hübschen charakteristischen oder witzigen Randzeichnungen zu illustriren, manchmal sogar artige Knittelverse einflechtend, die im Bänkelsängerstil drollige Reiseabenteuer verewigten. War diese tägliche Pflicht erfüllt, so fand sich in ihrem großen Salon, den sie durch wilde Blumensträuße, Lorbeer- und Schilf-Decorationen und ein munteres Feuer im Kamin höchst wohnlich zu machen verstand, eine bunte Gesellschaft zusammen, fast lauter neue Bekanntschaften, die durch die liebenswürdige Frau gefesselt worden waren und nach der zwanglosen römischen Sitte Nichts weiter bei ihr suchten, als Gelegenheit zum Plaudern, ohne auf andere Erfrischung als ein Glas Wein oder eine Orange Anspruch zu machen. Da schwirrten zuerst drei bis vier Sprachen durcheinander, in denen allen Frau Meta sich mühelos bewegte, während das Martinchen trotz des trefflichsten Schulunterrichtes nicht dahin zu bringen war, in irgend einer anderen Zunge sich zu äußern, als in ihrer Muttersprache. Doch war sie dabei unverlegen, und auch die Gäste, die kein Deutsch verstanden, sahen ihr gern in die sinnigen, geheimnißvollen Augen. Dann aber mußte sie sich ans Klavier setzen und den Gesang ihrer Mutter begleiten, was diese freilich nicht lange ertrug, da sie im Tempo nie recht zusammengingen. Nach den ersten Liedern schob Frau Meta ihr Kind vom Sitze weg und begleitete sich nun selbst; das stand ihr allerliebst, da ihre kleinen Hände mit den Ringen dabei im Kerzenlicht schimmerten und ihre lebhaften Bewegungen sie noch weit jugendlicher erscheinen ließen, als sonst. Sie hatte ein reiches Programm von Volksliedern aller Nationen, und da sie ohne falsche Manier, wenn auch ohne tiefere Kunst, ihre helle Sopranstimme erklingen ließ, erregte sie jedesmal einen aufrichtigen Enthusiasmus, so daß es oft Mitternacht wurde, ehe die Gesellschaft sich zum Aufbruch entschließen konnte.

Die Tochter war ein paarmal fast dabei betroffen worden, wie sie in der dunkeln Ecke neben dem Kamin sich einem Traumzustande überließ, der dem Schlaf sehr ähnlich sah. Sie kannte freilich all diese Lieder seit Jahren, ihre eigenen Gedanken gingen ganz andere Wege, und der Tag war lang und durch vielen Kunstgenuß beschwerlich gewesen. Zum Glück aber wurde sie durch das begeisterte Händeklatschen immer noch bei Zeiten geweckt und konnte mit ihrer gewohnten stillen Freundlichkeit den scheidenden Besuchern das Geleit geben. Dann entspann sich wohl unten auf der Straße ein lebhaftes Gespräch darüber, wie wunderlich es sei, daß von den vielen Talenten der Mutter keines sich auf die Tochter vererbt habe, am wenigsten das, worin Frau Meta es zur Virtuosität gebracht, das Talent der Geselligkeit. Kluge Frauen schüttelten den Kopf und bedauerten das Mädchen, das auf diese Art völlig verdunkelt und um alle Bewerber gebracht werde, auf die sie um ihrer schönen Augen willen sonst wol rechnen dürfte.

Und wirklich war Frau Meta, während Martinchen nur im Vorbeigehen den jungen Herren als eine reizende Erscheinung einleuchtete, zweimal im Laufe dieses Winters in der Lage, einen Korb auszutheilen. Beide Male bewarben sich sehr ansehnliche Männer in den günstigsten Verhältnissen und den besten Jahren um die unwiderstehliche kleine Frau, die aber nicht einen Augenblick in ihren Entschlüssen wankend gemacht wurde. Sie habe nur noch zwei Aufgaben in ihrem Leben, erklärte sie mit heiterer Festigkeit: die Erziehung ihrer Tochter zu vollenden und ihre eigene künstlerische Ausbildung so weit zu fördern, daß sie wenigstens einen kleinen Schritt aus dem Dilettantismus herauszuthun vermöchte. In beiden Pflichten würde eine neue Ehe sie nur hindern, und so ließ sie sich von ihren Anbetern schwören, sich in Zukunft mit ihrer Freundschaft zu begnügen und solche anachronistische Thorheiten, wie sie mit leichtem Erröthen hinzufügte, ein für allemal sich aus dem Sinn zu schlagen.

Auch dies wurde natürlich in der römischen Fremdencolonie, die in der ewigen Stadt auf einem ziemlich kleinstädtischen Klatschfuß untereinander steht, alsbald bekannt und viel besprochen, trug aber im Allgemeinen nur dazu bei, den Anhang der kleinen Frau zu mehren. Es fehlte freilich auch nicht an Neidern und Widersachern, und eine der bösesten Zungen hatte der Unermüdlichen, von der der Spötter behauptete, daß sie im Schweiße ihres Angesichts die sieben freien Künste betreibe, den nur für Romfahrer verständlichen Spitznamen Meta sudans aufgebracht. Kaum hörte die Betroffene davon, so hatte sie Humor genug, in einer Zeichnung, die rasch in Umlauf kam, ihr eigenes Bild mit der vollständigen Malerausrüstung als Standbild auf jenen alten Steinkegel am Ende des Forums zu stellen, der diesen Namen trägt, so daß die Lacher auf ihre Seite kamen. Sie fuhr übrigens in all ihren Liebhabereien unbekümmert fort, nur daß sie, da die rauhen Monate kamen, auf die Studien unter freiem Himmel verzichtete und dafür in Kirchen und Galerieen ihr fliegendes Atelier aufschlug, hier eines ihrer Lieblingsbilder copirend, dort ein Chorgestühl oder ein Stück eines Kreuzgangs in ihr Buch eintragend; während die Tochter in alter Weise Adjutantendienst versah und sich dabei ein gut Stück in die Promessi sposi hineinlas.

Auf diese Weise verging der Winter so nützlich wie angenehm, obwohl es mit den beiden Lebensaufgaben der kleinen Frau, wenn man ehrlich sein wollte, nicht recht vorwärts ging. Martinchen blieb so ziemlich wie sie war, bis auf einige Notizen über römische Kaiser, Bilder und Statuen, die nur einen zweifelhaften Zuwachs an Bildung ausmachten, und die Aquarellen ihrer Mutter sahen zu Anfang des neuen Frühlings nicht viel anders aus, als im Beginn des Herbstes. Sie hatte sich aber, um ihrem Spitznamen die Spitze abzubrechen, zu einer anderen Methode bei ihren Excursionen bequemt. Jeden Nachmittag hielt ein Wägelchen vor ihrem Hause, von einem Knaben gelenkt, der ihr einmal wegen des krausen Lockenwaldes über seiner schönen niedrigen Stirne aufgefallen war, so daß sie der Versuchung, ihn zu zeichnen, nicht widerstehen konnte. Seitdem, da sein Vater ein Droschkenbesitzer war, hatte Benedetto täglich die beiden Damen abzuholen und zu den meist ziemlich entlegenen Punkten vor den Thoren der Stadt zu fahren, die jetzt an die Reihe kamen, nachdem alles Interessanteste im näheren Umkreise bereits verewigt worden war. Malgeräth, Decken und Mäntel wurden sorgfältig auf dem Boden des Wagens verpackt, und fort saus'te das leichte Gefährt mit dem Schecken, wobei es beständig zwischen dem kleinen Kutscher und der lebhaften Frau Meta ein Fragen und Antworten herüber und hinüber gab, während das Martinchen nachdenklich in ihren Mantel gewickelt ins Weite starrte.

Blieb es aber bei näheren Zielen, so erschien Benedetto zur gewohnten Stunde ohne sein Gefährt, um sich mit Feldstühlen, Schirm und Malkasten zu beladen, da sonst die Sciroccoluft oder die Sonne des frühen April wol dazu angethan waren, den Namen Meta sudans zu rechtfertigen. Mißwollende behaupteten, es sei eine neue Koketterie der Frau Meta, sich den schmucken Knaben zuzugesellen, da sein dunkles Broncegesicht mit dem blauschwarzen Lockenhaar eine treffliche Folie für ihren blonden Madonnenteint abgebe. Auch dies wurde ihr natürlich hinterbracht, konnte sie aber nicht irre machen in ihrem Wohlgefallen an der neuen Einrichtung.

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Nun geschah es an einem Sonntag-Nachmittag, daß sie sich aufmachte, ein Stück des uralten Gemäuers an der Rückseite des Palatin zu skizziren, wo man durch gewaltige Bogenöffnungen aus rothem Ziegelstein die zartumrissene Silhouette des aventinischen Hügels mit seinen Glockenthürmen und Klosterdächern erblickt, in duftigem Helldunkel abgeschattet gegen den silbernen Frühlingshimmel. Sie war später als sonst aufgebrochen, um die minder günstige Mittagsbeleuchtung erst vorüber zu lassen, und saß nun an der erwählten Stelle, den Rücken gegen die mächtige Substructionsmauer des alten Kaiserpalastes gelehnt, vor sich die phantastische Arcadenreihe, die man noch ziemlich wohlerhalten unter jahrtausendaltem Schutt ausgegraben hat. Der Knabe hatte sich neben ihrem Feldstühlchen ins Gras gestreckt und war, nachdem das Geplauder ins Stocken gerathen, friedlich eingeschlafen, ungestört durch die ab- und zuströmenden Menschen, die den freien Sonntagseintritt sich zu Nutze machten. Auch die Künstlerin war längst abgehärtet gegen neugierige Gaffer und vorbeischwirrende Glossen, die überdies meist schmeichelhaft klangen. Denn in der That war sie in ihrem grauen Anzuge und dem Strohhütchen, das mit einem buntfarbigen römischen Bande aufgesteckt war, – dazu die runden Wangen, die vom Kunstfeuer glühten, und die kleine weiße Hand, die den Pinsel führte, – eine anziehende Staffage dieser erhabenen Vorweltscenerie.

Martinchen's Sitz neben dem ihren war leer. Das Mädchen hatte sich durch die Blicke der Vorübergehenden, die auch sie anstarrten, endlich doch belästigt gefühlt und auf eigene Hand begonnen, die labyrinthischen Pfade, die Treppen und dunklen Gänge auf und ab zu durchwandeln. Dabei war sie ziemlich weit abgekommen von dem Aussichtspunkt der Mutter, bis in die Gegend des alten Stadiums, dessen ovaler Grund, reinlich freigelegt, noch deutliche Spuren seiner einstigen Bestimmung aufweist, Stufen im Umkreise, Pfeiler und Säulentrünke, in malerischer Verwüstung über die weite Fläche hingesä't. Zufällig war dieser Raum ganz öde. Nur die Vögel bevölkerten ihn mit lautem Geschrei, und zwischen den Quadern und Mauerritzen sproßten starkduftende Frühlingskräuter hervor, die das einsame Mädchen alsbald zu pflücken und in einen großen Strauß zu sammeln begann.

Wie sie so langsam hinschritt, das Näschen in einen Thymianbüschel getaucht, der allen Waldgeruch ihrer Heimath ihr nahe brachte, wurde es immer schwermüthiger und doch stiller und wärmer in ihrem jungen Herzen, so wohl und wehe zugleich, wie Heimweh oder eine heimliche Liebe zu thun pflegt. Und da ihr dabei ein wenig graute in ihrer Weltverlassenheit unter den wunderlichen Trümmern, stimmte sie endlich, um sich Muth zu machen, leise ein altes Volksliedchen an, das sie auf ihren badischen Tannenhügeln oft gesungen hatte:

Heut hab' ich die Wach' allhier,
Liebchen, vor deiner verschlossenen Thür.
Alle Flüsse haben ihren Lauf,
Und Niemand ist, der mit mir bleibt auf.

Hohe, hohe Berge und tiefes Thal
Bin ich zu dir gegangen viel tausend Mal.
Froh wollt' ich sein, wenn es dir wohl ergeht,
Obwohl mein jung frisch Leben in Trauern steht.

Ihre Stimme war nicht stark, aber tief und rein, und ein musikalisches Ohr, das sie belauscht hätte, wäre vielleicht mehr von ihrem schlichten, wie ein Quell aus der verborgensten Seele vorbrechenden Gesang erbaut worden, als von all den silbernen Cascaden, welche ihre Mutter Abends am Clavier sprühen und rauschen ließ. Hier aber blieb Alles stumm, nur die Vögel hielten einen Augenblick den Athem an. Darüber wurde es ihr noch beklommener, und sie sang nun mit gedämpfterem Ton die dritte Strophe:

Harfenklang und Saitenspiel
Hab' ich lassen klingen so oft und so viel.
Geht es dir wohl, so denk an mich,
Geht es dir übel, so kränkt es mich.

Kaum aber war das letzte Wort verklungen, so wurde in dieser schauerlichen Einöde ein Echo wach, das anfangs in sehr leisen Tönen, zuletzt aber mit voller Kraft die folgenden Verse entgegen sang:

Sonn' und Mond und das ganze Firmament
Die sollen mit mir trauern bis an das End'.
Ach, warum lässest du mich allein!
Wie hast du nur können so grausam sein!

Ein Schrecken, wie wenn mitten im Sonnenlicht ein Gespenst vor sie hinträte, hatte das einsame Kind überfallen. Sie war todtenbleich geworden, der Strauß entfiel ihrer Hand, ohne daß sie es merkte, mit weitaufgerissenen Augen starrte sie nach der Gegend der Rennbahn, von wo die Stimme kam. Hinter ihr war es; das Echo war ihr nachgegangen. Dort – hinter jenem Mauervorsprung – von daher kam's – und es war keine Sinnestäuschung – voll und sanft klang die liebliche alte Melodie, und die Stimme, die sie sang – nein, nicht wie so oft nur in ihrem Innern hörte sie sie jetzt – sie kam aus einer leibhaftigen Brust – und jetzt, jetzt trat der Sänger aus dem Schatten des alten Getrümmers hervor in Lebensgröße – ein Schrei erklang, im nächsten Augenblick in der Umarmung eines schlanken jungen Mannes erstickt, der wahrlich keinem Spukbilde glich.

Sei ruhig, Kind! Sei still! flüsterte er der Halbohnmächtigen zu. Komm! Dort auf den alten Steinblock! Wie du zitterst, armer Singvogel! Hab' ich dich so arg erschreckt? Verzeih! Wie sollt' ich's anders anstellen? Schon drei Tage bin ich dir nachgeschlichen, umsonst hab' ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich dich heimlich und unter vier Augen treffen könnte – ihr seid so unzertrennlich – aber nun sprich ein Wort! Sag, daß du mir nicht böse bist – nein, sage Nichts – laß mir nur ganz still deine Lippen – o Kind! was hab' ich ausgestanden – wie hab' ich diesen Augenblick herbeigesehnt – nun wird's bald ein volles Jahr!! – – –

Olaf! flüsterte sie – du? Ist es denn möglich!

Sie machte sich hastig aus seiner stürmischen Umarmung los und sah mit ängstlichen Augen umher. Nur ein paar Engländer kletterten dort auf dem oberen Rande der Schuttmassen hin und her, schienen sich aber nicht in die Tiefe zu wagen.

Komm! sagte er lächelnd, die Frau Mutter ist zwar durch ihre schöpferische Stimmung unschädlich gemacht, und diese fremden Gesichter gehen uns nichts an; dennoch aber scheint es gerathener, in die kühle Grotte dort zu treten. Wer weiß, ob Seine Majestät Kaiser Augustus vor achtzehnhundert Jahren nicht auch dorthin sich zurückzog, um, wenn er sich müde geschaut, einige Erfrischungen zu nehmen. Und ich gestehe, mein armes Herz schmachtet sehr nach allerlei Süßem. Wie lang hat es fasten müssen!

Er hatte das noch immer von seinem freudigen Schrecken zitternde Mädchen in eins der tiefen Seitengemächer gezogen, die wie schwarze Höhlen aus dem Trümmerberg herausstarren, und wollte nun vor allen Dingen, ehe es zu weiteren Eröffnungen kam, ihren Kopf zwischen beide Hände nehmen und das geliebte Gesicht mit Küssen bedecken. Aber sie wehrte ihm mit aller Entschiedenheit.

O nicht doch! bat sie. Nicht jetzt – nicht hier! Wenn du wüßtest, wie mein Herz klopft – es ist Unrecht, Olaf! Du hast es feierlich gelobt – und doch –

Was hab' ich gelobt? rief er zwischen Zorn und Lachen. Zwei Jahre lang nicht an dich zu schreiben. Nun, ist ein Kuß ein Brief? Roth auf Roth und Schwarz auf Weiß – ist das nicht ein Unterschied wie Tag und Nacht? Und du willst mich wie einen Eidbrüchigen mit der schwersten Strafe belegen, die du überhaupt nur verhängen kannst? Es müßte denn sein, daß dieses Jahr für dich lang genug war, um zu vergessen –

Oh! – kam es von ihren Lippen, und mit einem Ungestüm, als wäre plötzlich ein unsichtbares Band gesprengt, das sie anfangs zurückgehalten, warf sie sich in seine Arme.

Als sie dann wieder Worte fanden: Ich hab' es nicht ausgehalten, sagte er. Und auch die himmlischen Mächte, die zuweilen eine menschenfreundliche Anwandlung haben, schienen die Geduld zu verlieren. Deine kluge Frau Mutter dachte es mit ihrem Verbot, Briefe zu wechseln, fein anzustellen. Sie meinte, ein junger Ingenieur, der erst seine Carrière machen muß, habe weder Zeit noch Geld übrig, seinem Schatz, den man ihm nicht gönnen will und vor der Nase weg auf Reisen schleppt, im Zickzack nachzulaufen. Und zwei Jahre sind lang, da kann eine Jugendliebschaft schon verrauchen, wenn nicht neues Oel in das Flämmchen geträufelt wird. Und wie schön klang der Vorwand: ihr einziges Kind, ihr Herzblatt, solle sich nicht zu frühe binden! Sie selbst– nein, sieh mich nicht so mißbilligend an! Ich will ihr gar nichts Uebles nachsagen; du weißt, daß ich sie aufrichtig verehre; sie ist eine so grundliebenswürdige, reizende Frau, und daß sie leider so viele Talente hat – was kann sie dafür? Auch ist es allerdings ein Unglück für sie gewesen, daß sie zu früh die Frau eines Mannes wurde, der für ihre Kunstbegabung so wenig Sinn hatte, wie dein theurer Papa. Hätte sie noch eine Weile als junges Mädchen gemalt, gesungen und Verse gemacht, so wäre sie in einigen Jahren dahinter gekommen, daß dieses zierliche und vergnügliche Pfuschwerk durchaus nicht im Stande sei, ihr Herz wahrhaft zu beglücken, und dieses Herz hätte sich ohne alles Bedauern und sehnsüchtige Vorspiegelungen einfach ihrem einfachen Lebensglück hingegeben. Nun ist die zurückgetretene kindliche Kunstbegeisterung wieder durchgebrochen, und sie glaubt, eine zweite Jugend zu erleben, wenn sie jetzt ihre unterdrückten Talente ausübt, – die leider die Kinderschuhe nie vertreten werden.

Sie drückte ihm rasch die Hand auf den Mund. Du bist schlimm, sagte sie, und weißt doch, daß ich dergleichen unartige Worte nicht leiden kann, nicht bloß, weil es sich nicht geziemt für eine Tochter, es mitanzuhören, wenn man über ihre Mutter lose Reden führt, sondern weil es mich wirklich kränkt und obenein unwahr ist. Gerade hier in Italien hat Mama noch große Fortschritte gemacht, Alle stimmen darin überein, und wäre das auch nicht der Fall, ich will das nicht verspotten lassen, was diese liebevolle Mutter so wahrhaft glücklich macht.

Mißgönne ich es ihr denn? rief er mit lebhafterem Ton, und seine Stirn verfinsterte sich ein wenig. Aber wenn sie glücklich wird, muß sie unser Glück darum stören, und kann sie ihre Tochter, die Gott sei Dank keine Talente hat, nicht auf ihre eigene Façon selig werden lassen? Zudem, wenn sie sagt, deine Natur sei noch nicht zur Besinnung gekommen, deine Gaben hätten noch nicht Zeit gehabt, sich zu entfalten, und wenn auch in dir ein höherer Sinn sich entwickelte, werde dir's nachträglich auch vielleicht zu enge werden in einer bescheidenen Häuslichkeit, neben einem so prosaischen Manne, wie meine Wenigkeit, – so ist das, mit allem Respect vor dieser trefflichen Frau, nur ein windiger Vorwand gewesen. Der eigentliche Grund – jetzt magst du es nur wissen – war ihr gekränkter Künstlerstolz. Eine nicht hinlänglich ehrerbietige Aeußerung, die ich über ihre Landschaftsstudien auf der letzten Ausstellung gethan, hat es bei ihr verschüttet. Du weißt, wie eifrig dergleichen harmlose Worte entstellt und weitergetragen werden. Da erst sah sie in mir das von allem Kunstsinn und jeglicher Idealität verlassene prosaische Ungeheuer, das ihr Kind nothwendig zu seiner eigenen platten Alltäglichkeit herabziehen würde, und da entführte sie dich noch bei Zeiten der drohenden Lebensgefahr und hoffte, das Antlitz des verhaßten Menschen, der über ihr Heiligstes die Achseln gezuckt hatte, nie wiederzusehen. Aber ein Gott erbarmt sich des unschuldig Verfolgten, er hat mir eine Professur am Polytechnikum zu D. erwirkt und damit die Muße, in diesen Ferien meinem Lebensglück nachzulaufen. Kind, Schatz, Tinele, Frau Professorin in spe – diese frohe Botschaft verdiente einen Kuß, und da das Küssen das einzige Talent ist, auf dessen Ausbildung ich bei dir hohen Werth lege –

Sie ließ ihn den Satz nicht zu Ende bringen, machte sich aber gleich wieder von ihm los. Das ist herrlich! rief sie, und doch – ich fürchte, es hilft uns noch Alles nichts. So lieb und gut die Mama ist, und so gern sie mir das Blaue vom Himmel herunterholte, – in diesem Punkt ist ihr nicht beizukommen, und was ihr einmal recht und gut erscheint, darin bleibt sie unerschütterlich. Es muß sehr boshaft gewesen sein, was man ihr auf deine Rechnung hinterbracht hat, denn sie ist sonst durchaus nicht empfindlich; gegen dich aber ist sie so tief verstimmt, daß sie deinen Namen nicht einmal nennen hören mag. Und daß du nun, ehe die zwei Jahre herum sind, in Person uns nachgereis't kommst und es erzwingen willst, was sie dir so ernstlich verweigert hat, – ach, Olaf, ich fürchte, wenn sie eine Ahnung von deinem Hiersein bekommt, ist es vollends aus und viel schwerer wieder in Ordnung zu bringen, als wenn du dich geduldig ihrem Willen gefügt hättest!

Er lachte mit dem Tone übermüthiger Siegesgewißheit.

Sei unbesorgt, Liebste, sagte er, indem er seine Hände in ihre weichen braunen Locken vergrub. Ich habe es mir feierlich zugeschworen, ich setze es durch. Ohne dich reise ich nicht wieder nach Hause. Ohne meine kleine Professorin trete ich meine Professur nicht an. Und wenn die Mama hartnäckig ist, – ich habe einen förmlichen Stiernacken; wenn sie unerschütterlich bleibt, – ich veranstalte ein kleines Erdbeben, um sie zum Wanken zu bringen. Bleib nur du mir treu und laß mich nicht daran irre werden, daß auch du es mir dankst, wenn ich unsere Strafzeit um die Hälfte abkürze.

Olaf, erwiderte sie sehr ernst, du weißt, daß ich Nichts billigen werde, was meine liebe Mutter betrübt. Ich habe dich sehr lieb; wie sehr, – erst jetzt in dieser Trennung ist es mir ganz klar geworden! Aber wenn du etwas unternehmen wolltest, was die Mama kränken müßte –

Behüte! rief er lachend. Traust du mir so wenig Zartgefühl oder Erfindungsgabe zu, daß ich dir etwa eine plumpe Entführung oder sonst einen Staatsstreich zumuthen würde? Nein, es soll Alles mit rechten Dingen zugehen. So behutsam bin ich geworden, seit jener eine unbewachte Augenblick mir so schweren Schaden gebracht hat, daß ich, wie gesagt, schon drei Tage um euch herumgeschlichen bin, ohne die Tarnkappe zu lüften, bis ich dieses reizende abbocamento vom Zaun brechen konnte. Denn ich wollte durchaus mein Wort halten und nicht an dich schreiben. Aber laß mich nur machen, es schwirren mir die wundersamsten Anschläge durch den Kopf; und da ich noch ganze vierzehn Tage Zeit habe – und einen trefflichen Verbündeten –

Wen?

Ja, du kleine Neugier, das wäre nun eigentlich mein Geheimniß. Aber wenn du artig sein und versprechen willst, dir gegen die Mutter nicht das Geringste, weder mit Worten noch Mienen, merken zu lassen und wenigstens völlig neutral zu bleiben: mein Bundesgenosse ist der Zukünftige deiner Frau Mutter!

Meiner Mutter? Du scherzest, Olaf. Meine Mutter will nicht wieder heirathen.

Will! Aber wenn sie nun soll? wenn wir es dahinbringen, daß sie mit Vergnügen will? Und daß sie am Ehesten darein willigen würde, sich von dir zu trennen, wenn sie selbst wieder einen Herzensbund schlösse, liegt doch auf der Hand. Ich leugne nicht, Martinuccia, die Aufgabe ist schwer. Noch schweben mir nur dunkel die Mittel und Wege vor, die sie uns lösen helfen werden. Aber da wir Beide zum Aeußersten entschlossen sind –

Wirst du mir nun endlich den Namen nennen?

Erst noch die Vorgeschichte, wie ich an ihn gerathen bin. In Perugia war es. Ich war Tag und Nacht durchgereis't, da es mir tausend Jahre schien, bis ich gewisse braune Augen wiedersähe. Dennoch mußt' ich, einem Freunde zu Liebe, der für eine kunstwissenschaftliche Arbeit ein paar Notizen brauchte, in Perugia Halt machen, worüber ich natürlich sehr wüthend war. Wie ich nun, nachdem ich meinen Auftrag erledigt, müßig bis zum Abgang des nächsten Zuges durch das merkwürdige alte Nest schlendere, – ich kannte es schon von meiner ersten italienischen Wanderung als junger Student, und es war mir diesmal sehr gleichgültig, die schmachtenden Augen auf Pietro Perugino's heiligen Conversationen wiederzusehen, – fällt mein Blick zufällig auf einen Antiquitätenladen, in dessen Thür ein großer, eleganter Herr in mittleren Jahren steht, einen alten Henkelkrug in Händen, den ihm der Händler eben als echt etruskisch aufschwatzen will, während ein leidlich geübtes Auge schon auf zehn Schritt die Fälschung erkennen konnte. Der Herr war ein Landsmann, wie sein Italienisch verrieth, und obwohl ich sonst jedem Narren seine Kappe gönne, trieb mich diesmal eine innere Stimme, hinzuzutreten und mit einem Wink den arglosen Liebhaber zu warnen. Zum Glück konnte ich ihm desto zuversichtlicher zu einem andern Kaufe rathen, so daß weder er noch der Antiquarius verstimmt wurden, und da mein neuer Bekannter ebenfalls mit dem nächsten Zuge nach Rom weiter reis'te, machte sich's von selbst, daß wir, einander gegenüber sitzend, uns aufs Beste befreundeten. Ich erfuhr, daß ich es mit einem reichen Hamburger zu thun hatte, der seine Senatorstelle aufgegeben, um in Italien seiner Passion für Alterthümer zu leben –

Herr Mathias! rief Martinchen.

Richtig! Derselbige Herr Mathias, der in diesem Winter deiner Mama Herz und Hand angetragen und einen freundschaftlichen Korb erhalten hat. Wie sehr ich diesem trefflichen Manne das Herz abgewann, kannst du daraus erkennen, daß er schon nach der ersten Stunde mich auch in diese Passionsgeschichte einweihte, worauf ich keinen Anstand nahm, ihm zu beichten, in welchen Geschäften ich die Reise nach Rom angetreten hatte. Und da er sich nichts Lieberes wünschen konnte, als einen in der Antiquitätenkunde so erprobten Schwiegersohn, wie mich, ich aber mir den verrücktesten Schatzgräber als Schwiegerpapa gefallen lassen würde, wenn er mir nur dazu verhülfe, meinen eigenen Schatz zu heben, so that ich das Meinige, das Feuer zu schüren, die hohe Verehrung, die er nicht nur für die Person, sondern auch für die Talente deiner Frau Mutter an den Tag legte, durch schwärmerisches Lob zu bekräftigen und endlich ein Schutz- und Trutzbündniß mit ihm zu schließen. Unter uns gesagt, Liebste: der Mann hat einen kleinen Sparren. Er verdiente fast, ein Engländer zu sein, so eigensinnig und einseitig sind seine Liebhabereien. Nichts ist ihm von aller Kunst interessant, als was bis vor Christi Geburt hinaufreicht, während er mit völlig blinder Begeisterung all die Sächelchen deiner lieben Mama für vollendete Meisterwerke hält. Und da er außerdem ein Gentleman, von ganz respectablem Vermögen und ein frischer und rüstiger Vierziger ist, – sage selbst, ob man nicht annehmen soll, dieser Bund sei im Himmel geschlossen, und man müsse das Seinige thun, ihn auch auf Erden zu Stande zu bringen?

Das schöne Mädchen sah still und fast ängstlich vor sich hin. Du wirst begreifen, Olaf, sagte sie nach einer Weile, daß ich über so ernste Dinge nicht in deinem leichtsinnigen Tone sprechen mag. Herr Mathias ist gewiß ein sehr respektabler Mann, und daß er meiner Mutter mit rührender Treue ergeben ist, habe ich wohl sehen können, nachdem sie ihn abgewiesen. Und doch – aber nein – laß uns hierüber Nichts mehr sprechen. Nur warnen möchte ich dich, wenn du auf diese Hülfe im Ernst etwas baust –

Auf diese Hülfe und den Beistand aller vierzehn Nothhelfer und der elftausend heiligen Jungfrauen, bei denen meine Liebste hoffentlich um all ihrer Tugenden willen sehr gut angeschrieben ist! Nein, Herz, lege deine tragische Miene ab und sei fröhlich, wie ich es bin, und hilf mir hoffen! Ich verlange nichts von dir, als daß du mich gewähren lässest, nicht meine heimlichen Anschläge kreuzest, was werden soll und will, ruhig abwartest. Noch habe ich keinen ganz bestimmten Plan; bin ich doch erst seit zwei Tagen in deiner Nähe und habe das Terrain kaum noch recognosciren können. Sage, was würdest du zum Exempel für Augen machen, wenn ich eines schönen Tages –

Still! machte das Mädchen und trat einen Schritt vor gegen den Ausgang der Mauerhöhle. Man hörte jetzt draußen die Stimme der Frau Meta, die in melodischer Cadenz den Namen ihrer Tochter in die Tiefe des Stadiums hinabrief.

Ich muß fort! flüsterte Martina. Die Mutter sucht mich; wenn ich nicht antworte, wird sie hinuntersteigen – sie weiß, daß ich nach dieser Richtung mich entfernt habe – halte mich nicht, Olaf –

Martina! Kind! Wo bist du? hörte man wieder rufen.

Hier, Mutter! Ich komme, ich komme! antwortete das Mädchen, noch ohne sich zu zeigen. Dann rasch zu ihrem Liebsten zurückgewendet: Nur noch, wo du zu finden bist, falls ich dir irgend eine Botschaft zu schicken hätte –

Mich findest du schwerlich, lachte er. Ich hause in einem alten Hüttchen draußen vor dem Thor, an der Via Appia, wo mein Bundesgenosse eine verwahrlos'te Vigne gekauft hat, bloß um Nachgrabungen auf eigenem Grund und Boden anzustellen. Dort hat er auch all seine Schätze aufgespeichert. Aber du siehst mich schon wieder, und jetzt –

Er zog sie noch einmal rasch in seine Arme und küßte sie lebhaft auf die widerstrebenden Lippen. Dann mußte er sie freigeben; sie schoß wie ein Pfeil in die Rennbahn hinaus, über deren untere Umfassungsmauern jetzt schon die abendlichen Schatten sich gelagert hatten.

Olaf, in seiner Höhle verborgen, sah, wie sie im Vorbeifliegen doch noch Geistesgegenwart genug hatte, den Strauß vom Boden aufzuheben, dann trat sie ins Helle hinaus, rief und winkte der Mutter zu, die oben auf den Trümmern stand, den Knaben neben sich, über und über bepackt mit allen Malgeräthen, Feldstühlchen und Plaids, während die kleine Frau in heftiger Unruhe hin und her trippelte und in einen hellen Freudenruf ausbrach, als sie ihr verlorenes Kind aus der unheimlichen Trümmerwelt unversehrt wieder auftauchen sah.

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Am Abend dieses denkwürdigen Tages, in einer musikalischen Gesellschaft beim **schen Gesandten, wo Frau Meta große Triumphe feierte, fand man ihre junge Tochter so auffallend blaß, schweigsam und zerstreut, und sie gab auf freundliche Anreden so unzusammenhängende Antworten, daß ein paar theilnehmende Seelen die Mutter angingen, dem Kinde, das offenbar am römischen Klima leide, eine Luftveränderung zu verschaffen. Die Fieberzeit rücke heran, und es sei rathsam, so rasch als möglich vorzubeugen.

Hiervon aber wollte Martinchen, als die Mutter auf dem Heimweg sie ins Verhör nahm, durchaus Nichts wissen, behauptete vielmehr, es sei ihr nie wohler gewesen, und wenn sie sich stiller als sonst verhalten, sei es nur geschehen, weil die Musik noch mehr als sonst sie in sich gekehrt gemacht habe. Die Mutter beruhigte sich mit diesem Bescheide um so mehr, als ihr zur Erklärung der auffallenden Beklommenheit und Verstörung des Mädchens eine eigene, sehr einleuchtende Vermuthung diente, von der sie den wohlmeinenden Berathern freilich Nichts sagen durfte. Ein französischer Maler hatte sich seit Kurzem lebhaft um ihre Tochter bemüht, ein schöner, geistreicher junger Mann, der Frau Meta schon durch den Schnitt feines Profils in jüngeren Jahren gefährlich geworden wäre. Sie wußte nun wohl, daß ihr Kind viel zu wenig Kunstsinn besaß, um durch eine stilvolle Nase ihrer alten Liebe sofort abtrünnig gemacht zu werden. Aber völlig eindruckslos konnte diese neue Erscheinung doch nicht wohl geblieben sein, und die Unruhe, die durch den Widerstreit der Pflichten und Stimmungen in der jungen Seele entstanden, war freilich auch eine Art römisches Fieber, schwerlich aber durch einen Ausflug ins Gebirge zu heilen. Frau Meta sah es überdies nicht ungern, wenn ihre Tochter sich mit verschwiegenen Herzensnöthen herumschlug. Da sie dem heimischen Bewerber nicht gewogen war, so wäre es, wenn hier ein Fremder demselben den Rang abgelaufen hätte, ganz nach ihrem Sinne gegangen.

Wie wenig aber kannte sie das Gemüth ihres eigenen Kindes! Während Martina dem eleganten jungen Franzosen ihre einsilbigen Antworten gab, klang ihr beständig Olafs helle und fröhliche Stimme im Ohr, und sie stellte Vergleiche an zwischen dem luftgerötheten, treuherzig-verwegenen Gesicht ihres Geliebten, der wahrlich nicht zu den »schönen Männern« gehörte, und dem bleichen, aus feurigen schwarzen Augen sie anschmachtenden Adoniskopf ihres neuen Verehrers. Nicht ein Hauch von Ungewißheit drückte auf ihre reine Empfindung. Sie war nur noch erfüllt von dem Nachklang des Gesprächs in der Rennbahn, und eine tiefe Angst, der stürmische Liebste möchte durch einen Gewaltstreich Alles verderben, beherrschte ihre Gedanken. Dazwischen brach dann wieder die helle Wonne über seine waghalsige Liebe, sein fröhliches Vertrauen auf den Sieg ihres Glückssternes durch, und während sie Nachts kein Auge zuthun konnte, sondern Stund' um Stunde vorbeischleichen hörte, war ihr doch zu Muth, als gäb' es kein glücklicheres Geschöpf auf der weiten Welt, und wenn Olaf jetzt auf feurigem Renner vor ihr Haus getrabt wäre und sich in den Bügeln erhebend an das Fenster ihres Balkons geklopft hätte, wer weiß, ob sie trotz aller kindlichen Pietät der Versuchung widerstanden hätte, sich von der Seite der schlafenden Mutter wegzuschleichen und hinter ihrem reisigen Geliebten auf der Croupe sitzend in die weite Welt hinauszutraben.

Als dann der helle Tag sie weckte, kam ihr das freilich wie ein gottloser Traum vor, und einen Augenblick fühlte sie, gleichsam zur Buße für diese Gedankensünde, die Versuchung, der Mutter Alles zu gestehen. Es schien ihr, als ob kein Herz ungerührt bleiben könne bei einem so deutlichen Beweise der zärtlichsten Liebe und Treue, wie Olaf ihn durch sein verstohlenes Nachreisen gegeben hatte. Sie besann sich aber noch zur rechten Zeit, daß sie zu schweigen gelobt hatte, und ergab sich seufzend in die Nothwendigkeit, unthätig abzuwarten, was der tolle Mensch nun ersinnen würde, um sein Ziel zu erreichen. Doch konnte sie nicht umhin, als die Mutter sie zu Rathe zog, wohin sie ihre Nachmittagsfahrt lenken sollten, unter den noch auf der Liste stehenden malbaren Punkten denjenigen vorzuschlagen, der sie ihrem Freunde vielleicht wieder nahe brächte. Nicht die Porta furba noch Ponte Nomentano mit dem heiligen Berg, zu welchem die Schneehäupter der fernen Latiner Gebirge so herrlich herüberleuchteten, auch nicht die Cypressenhöhe gegen Ponte Salaro zu oder die Piniengruppen in der Villa Mellini – nur ein kleiner Theil des Studienprogramms, das die unermüdliche Künstlerin sich noch vorgezeichnet hatte, – sondern das Wäldchen beim Thal der Egeria fand sie für den heutigen Ausflug am geeignetsten. Der Himmel sei völlig klar, die Beleuchtung des Gebirges und der Aquäducte werde gegen Abend wundervoll sein, und da es der Mutter gerade auf die Abendröthe ankomme, müsse man den heiteren Tag benutzen, ehe etwa eine Regenzeit das Lieblingsproject vereitele.

Nun muß dem Rom-unkundigen Leser gesagt werden, daß man zu jenem Hain der Egeria auf der berühmten Via Appia, der alten Gräberstraße, gelangt, in deren Nähe, wie Olaf seiner Liebsten mitgetheilt, der verfallene Weinberg lag, wo jener Herr Mathias, sein Bundesgenosse, Nachgrabungen angestellt hatte. So weit also ihm entgegenzukommen, hielt das pflichtgetreue Kind durchaus nicht für unerlaubt. Freilich war es nicht gerade wahrscheinlich, daß die beiden Freunde den herrlichen Tag in jener Abgeschiedenheit zubringen würden, zumal Olaf nicht ahnen konnte, daß die benachbarte Nymphe bei der Frau Schwiegermama in so hoher Gunst stehe. Da sie aber im Uebrigen völlig außer Stande war, irgend einen Rapport mit ihrem Geliebten zu unterhalten, wollte sie das schwache Fädchen wenigstens ergreifen, das sie im günstigsten Fall in seine Nähe führen konnte.

Als daher am Nachmittage der Knabe Benedetto mit seinem Wägelchen vorfuhr, wurde ihm als Ziel der heutigen Fahrt das Thal der Egeria bezeichnet, und fort ging es in jenem rasenden Tempo, das der kleine Wagenlenker ebenso wie sein frisches junges Thier bevorzugte. Sie hatten die ganze Länge der Stadt zu durchmessen, bis sie an die Porta San Sebastiano kamen, wo die Gräberstraße beginnt. Kaum aber waren sie aus dem Thor, so begann Frau Meta sofort nach rechts und links sich der schönen malerischen Motive zu erfreuen, während Martinchen weniger als je für künstlerische Gesichtspunkte empfänglich war, obwohl sie ihre scharfen Augen noch ruheloser herumwandern ließ, als die Mutter. Hinter jedem dieser Mäuerchen, Zäune und Hecken konnte sich die Vigne des Herrn Mathias befinden, jedes dieser Häuschen, die vereinzelt zwischen den verfallenen Denkmälern standen, die Wohnung ihres Freundes sein. Es zeigte sich aber in dieser menschenöden Gegend nicht die geringste Spur einer bewohnten Ansiedelung, und mehr und mehr bestärkte sich die Späherin in dem Glauben, daß Olaf irgend ein anderes Revier habe bezeichnen wollen. Als dann der Feldweg hinter dem kleinen runden Kirchlein, das den Namen Domine quo vadis führt, die Via Appia verlassend, links ablenkte, versank ihr vollends der letzte Hoffnungsschimmer in eine schwermüthige Dämmerung, und sie war froh, daß die Stöße des Wägleins auf dem holprigen Wege jedes Gespräch unmöglich machten, da sie nicht sicher war, wenn sie den Mund hätte öffnen müssen, nicht in lautes Weinen auszubrechen.

Der Weg aber besserte sich bald, und sie rollten nun noch etwa zehn Minuten lustig dahin, an allerlei öden Gärten und Gehöften vorbei, wo hie und da kleine Häuser schläfrig mit geschlossenen Läden oder leeren Fensteröffnungen in die Campagna hinausblickten. Hier vollends schien jeder Menschenverkehr erstorben, und schier unheimlich ragte drüben, mitten in der unfruchtbaren stummen Weite, das dunkle Wäldchen immergrüner Eichen auf dem Hügel in die wolkenlose Luft, die durch keines Vogels Flügelschlag belebt wurde.

Noch fünfzig Schritte von dem alten Bacchustempel entfernt, der seit undenklicher Zeit dem heil. Urbanus geweiht ist, verläuft die Fahrstraße in den Wiesengrund der Campagna, so daß man zu den Heiligthümern der Nymphe, ihrer Grotte und ihrem Eichenhain, nur zu Fuß gelangen kann. Das Wägelchen hielt im Schatten eines hohen Lorbeergebüsches, das hinter einem verfallenen Gartenzaun sich weit auf die Straße herüberneigte. Die Damen stiegen aus und beluden sich, da der Knabe sein Pferd nicht allein lassen wollte, mit ihrem mannichfachen Rüstzeug. Dann wanderten sie schweigend, da die feierliche Schönheit des Ortes selbst die gesprächige Mutter andächtig stimmte, die letzte Strecke des Weges bis zu dem röthlichen Tempelgebäude hinan und standen droben ein Weilchen still, in die wundervolle Fernsicht versunken. Man sah die ganze schöngegliederte Kette der Sabiner und Albaner Berge in zartem Veilchenblau unter dem krystallenen Himmel hingestreckt, manchen der Gipfel noch mit leuchtendem Schnee bedeckt, die weite Ebene davor im lachendsten Grün, durch welches die langen Arcadenreihen der Wasserleitungen, deren Glühen in der Abendsonne das malerische Gelüst der Frau Meta gereizt hatte, jetzt noch grau wie »wandelnde Gerippe« dahinschlichen. Eine ziemlich tiefe Thalsenkung schmiegt sich vorn an die Höhe, die das Tempelchen trägt, mit hohem Gras durchwuchert, Dank dem feuchten Hauch, den die verborgenen Quellen ausströmen. Zur Linken gelangt man in das Grottenheiligthum, das heut verwildert und verwahrlos't steht. Die Quelle sprudelt träge über das zertrümmerte, mit Venushaar reichlich übersponnene Becken und versickert in grünlichen Lachen an dem modrigen Grunde. Hierhin strebten die beiden Wandlerinnen heute nicht. Es war fünf Uhr geworden. Was bis Sonnenuntergang noch an Kunstbeute gewonnen werden sollte, mußte ohne Zögern in Angriff genommen werden. So stellte das Martinchen die beiden Feldstühle auf dem Grunde des Thals an einen schattigen Platz, den die Mutter ihr anwies, und legte Malkasten, Palette und Skizzenbuch auf den einen Sitz, den sie selbst nicht einzunehmen dachte. Sie war viel zu rastlos vor heimlichen Gedanken, um ihren Manzoni, den sie freilich mitgebracht hatte, zu öffnen. Auch schien ihr heute die Geduld, mit welcher die sanfte Lucia die Erfüllung ihrer Herzenswünsche erwartet, fast empörend, da sie selbst, obwohl kein heißes italienisches Blut in ihren Adern floß, seit dem Wiedersehen mit ihrem Liebsten es gleich ihm für unmöglich hielt, noch ein langes Jahr sich in die Trennung zu fügen. So schritt sie blumenpflückend hin und her an dem grünen Abhang und wandte der Landschaft, deren Farben und Linien sie früher hinlänglich bewundert hatte, eigensinnig den Rücken.

Desto glücklicher befand sich ihre kunstreiche Mutter. Sie saß so bequem wie in ihrem häuslichen Atelier und hatte das erwünschteste Modell vor Augen, das, wie ihr schien, ohne sonderliche Schwierigkeiten sich nachbilden ließ. In der Mitte des Blattes sollte das Eichenwäldchen sich erheben, links die Campagna mit einem reizenden Stück des Gebirges, dazwischen der Aquäduct und dann die schönen Wellenlinien des Vorgrundes. Es waren die einfachsten Farbentöne im reingestimmtesten Contrast, und da das Glück des Dilettanten darin besteht, nicht zu ahnen, daß das Einfachste, was die Natur bietet, das Schwierigste bleibt, weil die Mittel, durch die sie gerade damit den Eindruck der Macht und Fülle erzielt, der nachstümpernden Hand versagt sind, so gedachte Frau Meta heute im Umsehen ein kleines Meisterstück zu liefern, zumal sie sich sehr wohl der großen Wirkung entsann, die ähnliche Motive in den Skizzen wahrhaft bedeutender Künstler auf sie gemacht hatten.

Sie begann also hurtig die Umrisse ihres Bildes zu entwerfen, womit sie geschickt genug zu Stande kam. Auch störte sie Nichts, weder die Schwüle der Frühlingsluft, die in dieser Windstille sich fühlbar machte, noch das scharfe Schrillen der zahllosen Grillchen rings um sie her, noch das großäugige Herüberstarren einiger Campagnabauern, die aus einer der Schenken vor dem Thore in ihre Hütten zurück wollten und vom geraden Wege abgekommen waren. Furcht hatte sie bisher nie gefühlt, war sie doch nicht allein und im Nothfall der Knabe zu errufen. Und hatte man auch seit einigen Wochen allerlei Bedenkliches über die Unsicherheit der einsameren Bezirke vor der Stadt in den Zeitungen gelesen, niemals waren Damen angehalten und beraubt worden, und in den meisten Fällen schien Eifersucht die Triebfeder der Vergewaltigung gewesen zu sein.

Dennoch, da sie nun zum Coloriren übergehen wollte und bemerkte, daß aus ihrem Malkasten einige der wichtigsten Farben fehlten, rief sie dem Martinchen und trug ihm auf, ihr die Blechkapseln mit Neutraltinte und Cadmium zu holen, die beim Schütteln des Wagens auf dem Feldwege aus dem Kasten gefallen sein mußten.

Die Tochter sputete sich sofort, den Wiesenabhang wieder hinaufzuklimmen, und eilte dann nach dem Wägelchen zurück, das ruhig auf dem alten Flecke stand. Als sie zu ihm gelangte, mußte sie den Knaben aufstören, der das Schirmleder aufgeschlagen und sich gemächlich auf dem Boden der Kutsche zum Schlafen hingestreckt hatte, ohne zu merken, daß er sich auf die kleinen Farbenkapseln bettete. Er begriff aber sofort, um was es sich handelte, und nachdem er das Vermißte gefunden hatte, erbot er sich, statt des Fräuleins zu der Frau Mutter zu laufen, da er immer begierig war, zu sehen, was sie malte.

Martinchen hatte Nichts einzuwenden. Je einsamer sie sich befand, desto wohler war ihr. Sie entließ daher den Knaben, indem sie versprach, auf das Pferd zu achten, und da der dunkle Fond ihr einen kühlen und weichen Sitz bot, stieg sie ein und drückte sich behaglich in die Ecke zurück, die Rückkehr des kleinen Kutschers zu erwarten.

Nun weidete sie sich eine Zeitlang an dem tiefgefärbten Bilde, das die schwarze Leiste des Schirmleders einrahmte: links das Tempelchen mit seinem Buschwerk, die dunklen Wipfel des Hains in der Mitte, zur Rechten die unabfehliche grüne Fläche, die scheinbar regellos und doch in schön bewegtem Wechsel von Hebungen und Senkungen wie ein antiker Gesang in freien Rhythmen sich vor ihr ausbreitete. Bald aber kehrten ihre Gedanken in ihr Inneres zurück, und über dem sehnsüchtigen Grübeln, wo ihr Freund jetzt wohl verweile und wie sie ihm am Sichersten wieder begegnen möchte, versank sie zuerst in eine helldunkle Träumerei, dann in einen dumpfen Halbschlummer, bis die große Stille ringsum und der Duft der blühenden Hecken die jungen Augen, die in der letzten Nacht sich nur wenig geschlossen hatten, in einen tiefen, traumlosen Schlaf einlullten.

Der Scheck hatte inzwischen die Halme und Kräuter, die am Zaune im Schatten wuchsen, gründlich abgerupft, erhob jetzt den Kopf und sah drüben auf der Wiese noch weit frischere, vom Staub verschonte Weide. Langsam machte er sich auf und zog den leichten Wagen über die Breite des Weges nach, um drüben weiter zu grasen. Es gab einen Ruck, als er die Böschung der Straße überstieg; die Schläferin fuhr wirklich einen Augenblick in die Höhe. Als aber auf dem weichen Rasen das Gefährt wieder langsam und gelinde sich fortbewegte, sank sie beruhigt von Neuem zurück, um nun definitiv einzuschlafen.

Diese ganze, an sich gewiß unscheinbare Begebenheit sollte die wichtigsten Folgen haben.

Wo nämlich der verfallene Zaun, an welchem Benedetto angehalten, zu Ende ging, etwa dreißig Schritt auf dem Feldwege zurück gegen die appische Straße zu, begann eine nicht minder vernachlässigte steinerne Mauer, die einige Ellen weit an einem öden Weinbergsacker hinlief, bis zu einem kleinen einstöckigen Hause mit niedrigem Ziegeldach und verstaubten Läden an den vier Fensterchen, die auf die Straße sahen. Eine verschlossene Thür jedoch in der Mitte der Mauer war aus ganz neuen, festen Brettern gezimmert, sonst ließ kein Zeichen erkennen, daß dies einsame Häuschen bewohnt sei. Auch war vorhin, als der kleine Wagen mit den Damen herangerasselt kam, keiner der Läden geöffnet worden, da doch sonst in solcher Einöde Alles an die Fenster stürzt, was Augen hat, um Vorüberfahrende zu betrachten.

Und doch hätte, wer schärfer zugesehen, bemerken können, daß die Spalte zwischen Holz und Mauer an einem der oberen Fenster sich um eines Fingers Breite vergrößerte und aus dem dunklen Raum ein Auge hinausspähte. Dasselbe Spiel hatte sich wiederholt, als Martinchen zum Wagen zurückgelaufen kam und dann die Stelle des Knaben im Innern einnahm. Der Spalt war sogar noch ein wenig breiter geworden und endlich der Laden behutsam aber vollständig aufgegangen. Ein bärtiger Männerkopf hatte sich hinausgebeugt, wie um zu spüren, ob die Luft rein sei. Auch ein leises Husten war erschollen, dann aber, da es keinen Widerhall fand, wieder verstummt. Ein anderer, etwas älterer Kopf, bartlos mit schwarzem Haupthaar, hatte sich neben den ersten gedrängt und eine flüsternde Berathung sich zwischen den Beiden entsponnen. Wie nun aber der grasende Schecke es für gut fand, sich auf die Höhe des gegenüberliegenden Feldes zu schwingen, verschwanden plötzlich droben in dem Fensterrahmen die spähenden Gesichter. Gleich darauf öffnete sich die Thür in der Mauer, und die schlanke Gestalt des uns wohlbekannten Ingenieurs und Professors trat rasch auf die einsame Straße hinaus.

Einen Augenblick stand er und sah scharf nach dem Bacchustempel hinauf, von wo allein eine Gefahr drohen konnte. Dann, mit einem höchst vergnüglichen Ausdruck triumphirenden Humors ins Innere zurückblickend und dem Freunde zuwinkend, daß er ihn allein lassen möge, glitt er rasch über die Straße den kleinen Abhang hinauf hinter das langsam dahinziehende Wägelchen, aus dessen Innerem kein Laut sich vernehmen ließ. Nun wagte er sich, vorsichtig geduckt, zu dem Kutschersitz vor und schmiegte sich sacht unter den Bock. Sobald er aber rittlings auf der Deichsel Platz genommen hatte, ergriff er die schlaff nachschleppenden Zügel, that einen sanften Ruck und schnalzte so leise als möglich mit der Zunge.

Der gute Schecke, unliebsam in seinem Weidegange gestört, schüttelte ein paar Mal die Ohren, als ob er Einspruch erhöbe gegen die Zumuthung, sich in Bewegung zu setzen. Aber der Zügelruck wurde nachdrücklicher wiederholt, ein sanfter Streich mit der Geißel, deren der unsichtbare Lenker sich gleichfalls bemächtigt hatte, zeigte dem widerwilligen Thiere, daß es bei aller Freundlichkeit denn doch ernst gemeint sei, und so blieb Nichts übrig, als die Beine zu einem gelinden Trabe zu lüften, der auf dem weichen Boden auch ganz unbeschwerlich von Statten ging.

Die Schläferin im Wagen regte sich nicht. Das weiche Schaukeln half nur dazu, sie noch tiefer einzuwiegen. So entfernte sich das Gefährt in immer rascherem Dahinrollen mehr und mehr von seinem ursprünglichen Rastort, und bald war die Zinne des Bacchustempels und der Wipfel des Wäldchens völlig dem von Zeit zu Zeit zurückschauenden Wagenlenker entschwunden.

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Indessen hatte der Knabe Benedetto längst die beiden vermißten Farben an die eifrige Künstlerin abgeliefert und ihr berichtet, daß das Fräulein sich mit ihrem Buch in den Wagen gesetzt habe. Er selbst kauerte sich neben Frau Meta's Feldstühlchen auf den Boden, reckte den Hals und schob seinen Lockenkopf dicht neben den linken Arm der Malerin, wobei seine großen schwarzen Trasteveriner Augen von Zeit zu Zeit funkelten, wenn der Pinsel gerade irgend eine kecke Farbe von sich gab. Er war ein dankbares und geduldiges Publicum, und der Ausdruck andächtigen Staunens in seinem braunen Gesicht hätte auch einem größeren Meister schmeicheln können.

Plötzlich aber fragte er: Scusi, Signora, warum malt Ihr das Alles?

Die Künstlerin sah ihn betroffen an.

Warum ich das male? Weil es schön ist; weil es mir gefällt.

Aber es ist ja schon da; und Ihr könnt es doch nimmermehr so groß und schön machen, wie es schon da ist.

Er ahnte nicht, der harmlose Kritiker, welch einen tödtlichen Schlag er mit diesen Worten gegen den modernen Realismus führte. Frau Meta aber fühlte sich durchaus nicht getroffen.

Du hast Recht, mein Junge, sagte sie lächelnd. Aber was ich da mache, soll auch nur helfen, mich an die Natur zurückzuerinnern. Und dann macht es mir Freude, mich zu üben. Möchtest du es wohl auch lernen?

Der Knabe antwortete mit einer stummen Geberde, die es in Zweifel ließ, ob er aus Respect oder Geringschätzung sich lieber die Mühe sparen wolle.

Wenn ich malen könnte, sagte er nach einer langen Pause, ich würde Nichts machen, was schon da ist, sondern nur, was ich mir denke, Ritter und Engel, Drachen und Löwen, und Alles sehr groß und mit den schönsten Farben. Und dann säßen schöne Frauen unter hohen Bäumen, und äßen Orangen, und auf weißen Pferden kämen nackte kleine Kinder geritten und Springbrunnen wären da, wie auf dem Platz vor Sanct Peter, und oben in den Wolken flöge ein Adler – oder ein Schwan – oder ein paar Tauben –

Sind denn Tauben, Adler und Springbrunnen, Frauen und Kinder und was du sonst noch malen willst, nicht auch schon da?

Ja, aber nicht auf Einem Fleck und so wie im Paradiese, Alles blank und schön. Aber ich werde das Alles immer nur inwendig sehen und niemals ein Bild davon machen, weil ich arm bin und nicht die Kunst lernen kann.

Er schwieg und betrachtete aufmerksam, wie flink das Pinselchen auf dem grünen Wiesengrund hin und her fuhr, ein paar Drucker hineinbrachte, und dann die rothen Bogenzeilen mit kleinen Schattenpünktchen versah, und dann wieder in den Eichenwipfeln herumtupfte. Er schien die Kunstfertigkeit mehr und mehr zu bewundern und doch das Ergebniß derselben mehr und mehr geringzuschätzen.

Auf einmal sprang er auf, die Geduld mochte ihm plötzlich gerissen sein, oder eine Sehnsucht ihn anwandeln, seinen Schecken zu streicheln. So lief er den Abhang hinauf, umstrich erst noch den Bacchustempel, um sich dort aus dem Gebüsch eine schwanke Gerte zu schneiden, und kehrte dann auf den Feldweg zurück.

Aber da war kein Pferd und Wagen, noch auch eine Spur von dem Fräulein zu sehen, das beides zu hüten versprochen hatte.

Im ersten Schrecken verzog sich sein Gesicht zum Weinen. Aber gleich darauf blitzten ihm die Augen von einem hellen Strahl der Hoffnung. Er hatte die Wagenspur entdeckt, die über die Böschung auf das grüne Feld hinaufführte. Sofort lief er dem Geleise nach, bald die Streifen im Grase prüfend, bald ins Weite spähend, ob er die Entflohenen nicht entdecken könnte.

Nirgend, so weit sein Auge reichte, ein Schatten am hellen Horizont, der an seinen geliebten Schecken erinnerte. Er lief und lief, weiter und weiter, in wachsender Bangigkeit – der Schweiß strömte ihm von der Stirn – er schrie, heulte, rief den Namen seines Pferdchens mit immer rauherer Stimme, bis er, an eine Stelle gelangt, wo eine breite Fahrstraße quer durch die Campagna laufend die Wagenspur durchschnitt und auslöschte, von dem Gedanken übermannt, daß nun die Richtung verloren und alles Nachjagen hoffnungslos sei, mitten auf der einsamen Flur sich platt auf den Rasen warf und in helle Thränen ausbrach.

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Seine Gönnerin hatte indessen ruhig fortgemalt und darüber Alles um sich her vergessen. Es ging ihr heut so besonders gut von der Hand, allerlei kleine Vortheile, die ihr gestern ein aquarellirender Engländer gezeigt, bewährten sich so trefflich, und da sie nicht wieder hieher zurückzukommen gedachte, mußte, was geschehen sollte, heut zu Stande kommen, oder niemals. So vollendete sie ihr Bildchen in größter Andacht, und erst als die Sonne hinunter war und der letzte Schimmer von den Aquäducten hinweggeblichen, besann sie sich, daß es Zeit wäre, an den Heimweg zu denken.

Doch immer noch gab es hier ein Fleckchen zu vermalen, dort einen Schatten zu verstärken, da in dem Zwielicht, wo die Mitteltöne aufgehoben wurden, die Gesammtwirkung der Scenerie noch schlagender hervortrat. Erst als sie selbst ihr Saftgrün von ihrem Berliner Blau nicht mehr zu unterscheiden vermochte, stand sie seufzend auf, klappte das Malbüchlein zu, packte Farben und Pinsel zusammen und stieg, mit all ihren Siebensachen beladen, den Abhang rüstig hinauf.

Sie hatte bei so vielen Talenten von der Gabe, sich an fremden Orten zurechtzufinden, nur ein sehr geringes Pflichttheil erhalten. Im ersten Augenblick also fiel es ihr noch nicht auf, daß sie den Wagen nicht gleich entdecken konnte. Sie rief den Namen ihrer Tochter, dann den des Knaben. Da Niemand antwortete, schlug sie erst den falschen Weg hinter dem Tempelgebäude ein, kam aber bald davon zurück, da er in eine sumpfige Niederung verlief. Nun schritt sie hastiger den richtigen Weg hinunter, immer Martinchen! und Benedetto! rufend. Alles todtenstill. So beherzt sie war, kam es ihr denn doch nicht geheuer vor. Wohin war auf einmal ihr ganzes Gefolge entrückt? Nirgend ließ sich ein Gehöft erblicken, zu welchem etwa der Knabe sein Thier zum Tränken oder Füttern hätte führen können. Die Gegend ringsum lag so still im Abendlicht, die überall hervorsprossenden jungen Zweige rührte kein Lufthauch, nur in weitester Ferne bellte ein Hund, während die Grillen hier oben verstummt waren. Frau Meta war wohl hundert Schritte über ihren ursprünglichen Halteplatz hinausgegangen, das Herz schlug ihr immer schwerer und bänger, sie rief nicht mehr, sie kletterte auf jede Erhöhung, jedes Mäuerchen, um einen weiteren Umblick zu haben, – Alles umsonst.

Endlich entschloß sie sich, nach dem Tempel zurückzugehen. Sie hatte gehört, daß man ins Innere gelangen könne, wenn gerade der Wächter anwesend sei. Nun hatte sie am Nachmittag Nichts von ihm wahrgenommen; vielleicht aber lag er drinnen und schlief und würde auf ihr Klopfen herauskommen und ihr beistehen in ihrer Noth und Verlassenheit.

Wie sie aber eben sich gewendet hatte, that sich in der alten Weinbergsmauer die Pforte auf, und heraus trat ein guter Bekannter, der in diesem Augenblick ihr wie ein himmlischer Engel erschien.'Auch war die äußere Gestalt dieses Freundes sehr zu seinem Vortheil verändert. Denn während der Herr Senator ihr bisher in Gesellschaften oder auf Ausflügen immer nur ein wenig philiströs, in tadelloser schwarzer Toilette mit blendend weißer Wäsche und spiegelblankem Hut begegnet war, trug er hier draußen ein leichtes, helles Sommercostüm und ein Strohhütchen mit blauem Bande, das sein wohlgebildetes Gesicht und seine stattliche Figur weit jugendlicher erscheinen ließ.

War nun Frau Meta aufs Froheste überrascht, in dieser Bedrängniß ihren ritterlichen Anbeter, Herrn Mathias, zu treffen, so konnte dieser vollends vor Erstaunen sich nicht beruhigen, daß er der verehrten Künstlerin zu dieser Stunde an diesem Ort und ohne jede Begleitung begegnete. Auch als sie ihm in wenig Worten berichtet hatte, wie Alles zusammenhing, schüttelte er immer noch höchst befremdet den Kopf. Er habe droben in seinem Museum gesessen, aber weder einen Wagen heranrollen, noch wieder sich entfernen hören. Mit der Miene der größten Theilnahme ließ er sich die Stelle zeigen, wo sie unter dem Lorbeerbusche gehalten hatten, beruhigte dann aber die aufgeregte Freundin, indem er ihr die Wagenspur zeigte, die gerade von diesem Fleck aus in die Campagna hinauslief. Es sei ganz außer Zweifel, daß dem Fräulein Tochter das Stillsitzen im Wagen langweilig geworden sei, daß sie daher dem Knaben befohlen habe, während die Mutter anderweitig beschäftigt war, eine kleine Spazierfahrt zu machen, wo denn Nichts begreiflicher sei, als daß sie sich von einem schönen Blick zum andern weiter als billig hätten hinauslocken lassen. Daß sie aber sicher zurückkehren würden, verstehe sich bei Fräulein Martinchen's besonnenem Charakter und der Ortskunde, die der »Knabe Lenker« besitze, von selbst.

Auf diesen trostreichen Zuspruch fühlte die kleine Frau in der That all ihre Besorgnisse schwinden, und da Herr Mathias sogleich ein sehr interessantes Gespräch vom Zaune brach, einen Vergleich zwischen der Formirung und Färbung der Campagna und den nordischen Marschgegenden, genoß sie von Herzen die herrliche Rundschau in der sanftabklingenden Beleuchtung des Abendhimmels. Sie hatte natürlich ihr Blatt von dem Nymphenhain zeigen müssen, und das Lob, das Herr Mathias eben so begeistert wie sachkundig äußerte, that ihr nicht wenig wohl. Wie hätte sie es dem Freunde abschlagen können, einen Augenblick bei ihm einzutreten, sein Besitzthum und seine Sammlung zu mustern und das Local der neuen Ausgrabungen sich anzusehen. Sie konnten ja auch drinnen das zurückkehrende Wägelchen nicht überhören, und wenn die Tochter einen Augenblick sich ängstigte, was aus der Mutter geworden sein mochte, hatte sie es wohl verdient durch ihr eigenmächtiges Herumstreifen.

Also betraten sie das verödete Grundstück, auf welchem nur noch wenige Spuren früherer Pflanzungen sichtbar waren. Hier aber wollte der frühere Besitzer einen schönen, wohlerhaltenen Topf mit reichem Figurenschmuck gefunden haben, den er dem Senator zum Kauf angeboten. Wo solch ein Schatz vergraben war, mußte sich Mehr finden, und so hatte Herr Mathias rasch zugegriffen, als der Eigenthümer, der das Grundstück zu bebauen zu arm oder zu träge gewesen, den Wunsch, es zu verkaufen, hinwarf. Seit drei Monaten jedoch waren alle Nachgrabungen des neuen Besitzers fruchtlos geblieben. Aber selbst wenn dies dürre Stück Land keinen weiteren Ertrag lieferte, würde sich die Kaufsumme, wie Mathias sagte, reichlich rentiren durch die hohen Genüsse, die das Wohnen hier am Saum der Campagna in der Nachbarschaft des Nymphäums dem Freunde des Alterthums und der Natur gewähre. Zumal, fügte er mit einem stillen Seufzer hinzu, seit er der schönsten und letzten Glückshoffnung, die er gehegt, habe entsagen müssen, sei diese Einsiedelei ihm wie ein Hafen, in welchem er sein havarirtes Lebensschifschen sicher hätte bergen können.

Die liebenswürdige Frau, die bis dahin den lebhaftesten Antheil an jeder Scholle dieser alten Vigne und an jedem Scherben, den sie enthalten mochte, an den Tag gelegt hatte, wandte sich bei diesen anzüglichen Worten sichtbar unwillig von ihrem Verehrer ab und verlangte wieder an das Thor zurück, um nun hoffentlich dort den Wagen zu finden. Aber immer noch ließ sich der Knall von Benedetto's Peitsche oder das Wiehern des Schecken nicht vernehmen. Nur der Bediente des Herrn Mathias, der, um Einkäufe zu machen, am Nachmittag in die Stadt gegangen war, kam ihnen entgegen und öffnete beflissen die Thür, die in die unteren Räume führte. In ihrer Bestürzung und Rathlosigkeit, was sie denken und beginnen solle, folgte Frau Meta der Einladung ihres Freundes, sein Häuschen zu betreten, zumal von den oberen Fenstern ein bequemerer Ausblick über die ganze Ebene zu gewinnen und die Zurückkehrenden schon in weitester Ferne zu erblicken seien.

Es war schon so dunkel geworden, daß der Diener eine Messinglampe anzündete, mit der er vorausleuchten wollte. Herr Mathias aber nahm sie ihm aus der Hand und führte seinen Besuch selbst durch die zwei untern Gemächer, von denen das eine früher zur Küche gedient hatte, während jetzt der Diener, der hier sein Lager hatte, nur das Frühstück auf dem kleinen Herde bereitete. Den größeren Raum nebenan hatte Herr Mathias für sich selbst zum Schlafzimmer eingerichtet und die beiden oberen Gemächer ausschließlich seinen Sammlungen gewidmet.

Er führte dann Frau Meta die schmale steinerne Treppe hinauf und leuchtete ihr in das kleine Antiquarium voran, wo sie, sowenig ihr Herz bei der Sache war, die mannichfaltigsten Terracotten, Broncegeräthe, Fragmente von Marmorfiguren, Aschenkästen und Münzen bewundern mußte. Sie hörte freilich kaum, was ihr Führer sagte; ihr Ohr horchte darüber hinweg in die weite Landschaft hinaus, deren leiseste Töne durch die offenen Fenster zu ihr hereindrangen. Nur als Herr Mathias jetzt in die zweite Kammer voranging, wurden ihre Gedanken denn doch in die nächste Nähe zurückgelenkt. Denn dieses kleinere Gemach bewahrte in einigen Schränken allerlei besonders zierliche und kostbare Sächelchen, Ringe und Spangen, Halskettchen und Armreife, das Meiste von Gold und Vieles mit edlen Steinen verziert und so wohl erhalten, daß eine schöne Frau in Fleisch und Bein sich nur geradezu damit schmücken konnte. Und doch war dies Alles noch nicht der eigentliche Magnet, der Frau Meta's Aufmerksamkeit anzog. Ein kleines Kanapee mit rothem Leder überzogen stand an der Hauptwand, darüber hingen in schöngeschnitzten dunklen Holzrahmen drei Aquarellen, römische Ruinen-Prospecte und Landschäftchen darstellend, die Herr Mathias in diesem seinem Allerheiligsten aufgehängt hatte, obwohl sie vom allerneuesten Datum waren. Sie waren freilich von keiner geringeren Hand gefertigt, als von der unserer fleißigen Künstlerin, die sie in einen Wohlthätigkeitsbazar gestiftet hatte und jetzt über und über erröthete, in dem unbekannten Käufer, der das Doppelte des verlangten Preises dafür gezahlt hatte, ihren alten Verehrer und abgewiesenen Freier zu entdecken.

Sie hütete sich aber wohl, nur im Geringsten ihre Gemüthsbewegung beim Wiedersehen ihrer eigenen Kinder zu verrathen, ging vielmehr rasch an ihnen vorbei und heuchelte die größte Bewunderung gegenüber den goldnen Findlingen hinter den Glasscheiben. Der glückliche Besitzer, der einstweilen an ihrem Erröthen über seine verstohlene Huldigung sich genügen ließ, stellte das Lämpchen auf den Fenstersims, schloß die Schränke auf und holte eins nach dem andern von seinen kostbarsten Stücken heraus, nicht wenig stolz und glücklich, daß die geliebte Frau seine Passion zu theilen und an jedem Spänglein, Nadelknopf, ja den winzigsten Bruchstücken, wenn die Arbeit fein war, das lebhafteste Interesse zu nehmen schien. Besonders fand ein Paar winziger Ohrringe, kleine Henkelkrüge von Gold vorstellend, ihren Beifall. Sie wog die Dingelchen in der Hand und bemerkte, wie leicht sie zu tragen sein müßten.

Wenn Sie sich nicht stets gegen jedes noch so unbedeutende Geschenk von mir gewehrt hätten, theure Freundin, warf er nachlässig hin, würde ich wie die Spanier sagen: A la disposicion de Usted. Nun müssen Sie mir wenigstens den Gefallen thun, sie nur einen Augenblick anzulegen; ich möchte gar zu gern sehen, wie dieser zweitausendjährige Putz einem lebendigen kleinen Frauenohr steht.

Das kann ich Ihnen nicht wohl abschlagen, versetzte Frau Meta und vertauschte sofort ihre weit schwereren Mosaik-Ohrringe mit den kleinen etruskischen. Herr Mathias betheuerte, man könne nichts Reizenderes sehen, sie selbst müsse sich in diesem Schmuck bewundern; er wolle nur einen Spiegel heraufholen, da seine antiken Silberspiegel dazu nicht ausreichten.

So eilte er hinaus. Kaum aber sah die Künstlerin sich allein, als sie dem Zuge ihres Herzens nicht widerstehen konnte und hastig vor das kleine Sopha trat, ihre drei Aquarelle zu betrachten. Sie empfand eine große Genugthuung, daß sie ihr auch in dieser Umgebung noch gefielen und von der reichen Einrahmung durchaus nicht gedrückt wurden. Wie sinnig und geschmackvoll hatte der Käufer sie aber auch hier angebracht, wie viel weißes Papier um die kleinen Blätter gelassen! Er war wirklich ein seltner Freund, und daß er aus dieser geheimen Liebesthat auch jetzt ihr gegenüber sich kein Verdienst machte, – wie zartfühlend war es! Sie warf einen raschen Blick in ihr Malbuch und überlegte, daß sie es ihm wohl schuldig sei, das Blatt, das sie heute gemalt, für ihn zu copiren und es ihm zum Andenken zu hinterlassen. Aber schon hörte sie, wie er die Treppe wieder heraufkam, und trat rasch zu den Goldsachen zurück.

Nun brachte er ihr den Spiegel, und sie konnte nicht umhin, sich sehr hübsch darin zu finden. Da sie einmal im Zuge war, mußte sie auch eines der Halskettchen probiren und einen kunstreich ciselirten Kamm in ihr weiches blondes Haar stecken.

Nun könnt' ich mich nur gleich als eine alte Etruskerin begraben lassen! scherzte sie.

Dann gehört auch noch ein Ring an den Finger! fiel er lachend ein, nahm den zierlichsten aus dem Kästchen und steckte ihn, obwohl sie sich in einiger Verwirrung dagegen sträubte, an den Goldfinger ihrer rechten Hand, die noch unberingt war, während die linke den Wittwenring neben einem kleinen Brillantreif trug.

Wie angegossen! rief er und hielt ihre Hand fest. O meine Freundin, Sie sind grausam. Wissen Sie, daß Sie mir all meine Schätze verleiden und entwerthen? Seit ich gesehen habe, daß erst das Leben ihnen den wahren Reiz verleiht, werden sie mir todt und unheimlich vorkommen, wenn ich sie nun wieder in ihrem Schrank, wie in einer Grabestruhe, liegen sehe. Hier in diesen vier Wänden hab' ich meine besten Stunden, so viele mir noch vergönnt waren, zugebracht. Und jetzt, wenn Sie wieder gegangen sein werden und ich in meiner Einsamkeit Ihre Gestalt nur wie ein Traumbild mir vorzaubern kann –

Herr Mathias, unterbrach sie ihn lebhaft, indem sie mit der einen Hand, die frei war, die Kette von ihrem Halse zu lösen suchte – das ist unrecht von Ihnen. Sie haben mir versprochen –

Was über meine Kräfte ging – was ich nie hätte versprechen sollen! Ja, ich bildete mir selbst ein, es sei möglich, nur Freundschaft für Sie zu fühlen. Ich wollte mich dazu stärken, indem ich Sie seltener aufsuchte; sogar eine Reise nach Umbrien unternahm ich, um mich im Entbehren zu üben und vergessen zu lernen –

Vor Allem, um neue Schätze zu sammeln! warf sie erröthend, aber nicht unfreundlich ein.

Gewiß! versetzte er trübsinnig lächelnd. Ich dachte mich für das versagte Kleinod zu entschädigen, indem ich andere kostbare Besitztümer um mich herum anhäufte, eine unglückliche Leidenschaft durch eine andere, minder lebensgefährliche Passion bekämpfe. Ich mußte einsehen, daß Alles vergebens sei. Alle meine schönsten und seltensten Fünde, die mich früher beglückt haben und mir noch werth und theuer sein würden, wenn ich sie meiner geliebten Freundin zu Füßen legen könnte, – jetzt betrachte ich sie mit ganz stumpfem Sinn und treibe die alte Liebhaberei nur noch aus Gewohnheit weiter. Sie haben Viel auf dem Gewissen durch Ihre unerbittliche Herzenskühle, meine theure Freundin, – nein, durch ihr bloßes Dasein; denn was können Sie dafür, daß sie Nichts für mich fühlen? Wenn ich so liebenswürdig wäre, wie Sie, könnte man Ihnen einen Vorwurf machen und es unnatürlich finden, daß Sie eine so treue Neigung nicht erwidern. So aber –

Er stockte; er schien ihr absichtlich Zeit lassen zu wollen, irgend ein Wörtchen zu sagen, das ihn berechtigte, sie weiter zu bestürmen. Und wirklich war sie unvorsichtig genug dazu.

Werthester Freund, sagte sie ernst und mit gedämpfter Stimme, wenn Sie doch Vernunft annehmen wollten und meine Gründe ehren, die ich Ihnen ja gesagt habe. Ich bin –

Vernunft? rief er dringender, ihre Hand immer fest in der seinen haltend. Nun wahrhaftig, Ihre Gründe waren bei Ihrer Weigerung das Unvernünftigste. Ihrer Kunst fürchteten Sie durch eine neue Verbindung abtrünnig gemacht zu werden. Als ob es nicht meine theuerste Herzensangelegenheit sein würde, Ihr Talent zu hegen und zu pflegen! Wenn es Sie gelüstete, Studien im Inneren von Afrika oder an den Küsten des Polarmeers zu machen, mit tausend Freuden würde ich Ihnen Schirm und Feldstuhl, Mappe und Malkasten nachschleppen und zufrieden sein, wenn Sie von der Arbeit weg nur dann und wann mir einen freundlichen Blick zuschickten. Und was die Pflicht betrifft, die Erziehung Ihrer lieben Tochter zu vollenden, –

Er hatte mit heimlichem Entzücken bemerkt, daß seine Worte Eindruck machten, ihre niedergeschlagenen Augen zitterten leise, die Hand, die er drückte, war feucht und kalt geworden, und offenbar klopfte ihr das Herz aufgeregt unter der lebhaft athmenden Brust. Das unbedachte Wort aber von ihrer Tochter verdarb Alles.

Mein Kind! meine Martina! rief sie, plötzlich sich von ihm losmachend. Ich schlechte, pflichtvergessene Mutter! Ich höre Ihr unsinniges Gespräch mit an, wie wenn nicht die schwerste Sorge mir auf dem Herzen läge! O Gott – es ist rabenschwarze Nacht geworden, und mein Kind – da – nehmen Sie Ihre Kostbarkeiten zurück, und wenn Sie nur ein bischen Freundschaft für mich haben –

Sie riß die Kette vom Halse, legte hastig Kamm und Ohrringe ab und war kaum damit fertig geworden, als vom freien Felde draußen ein jämmerliches Schreien und Heulen erschallte, gleich darauf der deutlich vernehmbare Angstruf des Knaben: Signora! o Signora! Hülfe! per l'amor di dio! Hülfe! Signora!

Sie war ans Fenster gestürzt. Benedetto! schrie sie in die Nacht hinaus. O Signora! kam die Antwort zurück. Sie sind fort, das Pferd und der Wagen und die Signorina – fort! verschwunden! Alles verloren! Mein Vater bringt mich um! Gesummaria, und alle Heiligen! ich muß sterben!

Er warf sich auf den Erdboden und drückte das schluchzende Gesicht gegen den Rasen, taub für Alles, was die entsetzte Frau ihm vom Fenster aus zurief.

Da wandte sie sich rasch zu ihrem Freunde um.

Kommen Sie, hauchte sie mit erstickter Stimme. Helfen Sie mir Himmel und Erde in Bewegung setzen, um mein Kind wiederzufinden. Ihr Bedienter muß die Nachbarn aufbieten, wir durchstreifen die Campagna, es ist unmöglich – o es ist furchtbar –! Und ich – während sie geraubt wurde, während sie nach mir schrie und jammerte, – ich konnte –

Meine theuerste Freundin, beruhigte er sie, ängstigen Sie sich doch nicht ohne Noth. Bedenken Sie – eine Brigantenbande, wie sie in Sicilien auf Entführungen ausgehen, des Lösegeldes wegen, giebt es ja nicht in dieser friedlichen Gegend. Das Schlimmste wäre, daß Fräulein Martina – da der Knabe ja nicht dabei war – auf eigene Hand eine Spazierfahrt gewagt und das übermüthige Thier nicht hätte zügeln können. So mag es weiter, als ihr lieb war, mit ihr in die Campagna hinausgaloppirt sein. Aber endlich wird es seine Lust gebüßt und sich wieder zum Schritt bequemt haben. Und wenn wir noch zehn Minuten diese allerdings peinliche Ungewißheit ertragen haben –

Er hatte das Alles an sie hingeredet, während sie schon mit wankenden Knieen durch die Zimmer eilte und die Treppe erreichte. Auf der Mitte derselben that sie einen falschen Schritt und mußte sich an ihm halten, um nicht zu fallen. Dabei sah sie ihm einen Augenblick in das Gesicht, auf welchem, obwohl er im Herzen ganz ruhig war, dennoch das redlichste Mitgefühl mit der Qual ihrer armen Mutterseele und die Sorge, ob ihr nicht zu Viel zugemuthet worden sei, zu lesen war.

Bringen Sie mir mein Kind wohlbehalten wieder zurück, flüsterte sie, und ich will Alles thun, um was Sie mich gebeten haben!

Dann riß sie sich von ihm los, flog die Treppe vollends hinab und eilte wie besinnungslos aus dem Hause nach der Wiese hinaus, wo Benedetto noch immer in seinem verzweifelten Jammer auf der Erde lag und durch kein Rütteln und Fragen zu irgend einem vernünftigen Bericht über das, was er etwa erlebt hatte, zu bewegen war.

——————

Während diese stürmische Scene die antiquarische Idylle im Häuschen des Senators unterbrach, rollte, nur etwa noch ein halb Tausend Schritte entfernt, das Wägelchen mit dem Schecken in scharfem Trabe über den festen Grund der Campagna hin gerade auf den Bacchustempel zu, dessen oberster Rand so eben fern über der dunklen Linie des erhöhten Erdbodens auftauchte. Es wurde kein Wort gesprochen, weder vom Bock herab, noch aus dem dunklen Innern des Wagens. Nur von Zeit zu Zeit klang von da her ein Ton wie das nachzuckende Schluchzen, wenn Jemand lange und heftig geweint hat. Dann ließ regelmäßig der Wagenlenker jenen seltsamen Naturlaut erschallen, mit dem die italienischen Kutscher ihre Pferde antreiben, und die lange Schnur der Geißel streifte den Hals des flinken Thieres. Ringsum herrschte die erhabene Stille einer römischen Campagna-Nacht, und das tiefe, weite Firmament glänzte von Sternen, die manchmal wie wehende Flämmchen aufloderten und dann wieder still fortbrannten.

Auf einmal drehte sich der Wagenlenker halb nach der stummen Gestalt um und sagte:

Nur noch fünf Minuten! Es wäre doch gut, Liebste, wenn du dich jetzt ein wenig zusammennähmest und deine Augen trocknetest. Liefre ich dich in diesem Zustande der Mama wieder ab, so erschrickt sie tödtlich und glaubt Wunder, was dir zugestoßen sei. Und ich zweifle, daß es der gestrengen Mutter ganz so haarsträubend wie ihrer gewissenhaften Tochter erscheinen wird, wenn sie später einmal erfährt, wer der Räuber ihres Kindes gewesen ist. Nicht daß ich es dir übelnähme! Lieber ein wenig zu viel Gewissen, als zu wenig. Aber du solltest doch die ganze Sündenlast getrost mir zuschieben und nicht zu schlecht von mir denken, wenn sie mich nicht zu Boden drückt. Es ist ja möglich, daß die gute Mama eine kleine Angst ausgestanden hat, obwohl für einen Tröster gesorgt ist. Aber sie kommt ja immer noch gnädig dabei weg, und dann bedenke: bei keiner Operation geht es ganz ohne gewaltsamen Eingriff in den zarten Organismus ab. Eine Tochter von einer Mutter loszureißen, kostet immer einiges Herzblut und eine Menge Thränen. Wenn aber Beiden endlich damit geholfen ist –

Sprich Nichts mehr! kam es schwach aus der Wagenecke zurück. Ich weiß Alles, was du mir sagen kannst, Olaf. Auch hab' ich es dir schon verziehen; das kann mich aber nicht darüber beruhigen, daß die Mama inzwischen vor Angst fast gestorben sein wird, und daß ich nicht gleich, sobald ich zur Besinnung kam, entschieden darauf bestand, daß wir umkehrten. Ach, Olaf, war das deine ganze Erfindungskunst? Hätte es kein gelinderes Mittel gegeben?

Eh! Eh! machte der junge Mann und schnalzte mit der Zunge; dann sprach er wieder in den Wagen hinein:

Was redest du da von Erfindungsgabe? Dies Alles war der reine Himmelswink; der Weg der Vorsehung ging diesmal nach dem Thal der Egeria hinaus und dann rechts ab in die Campagna. Hab' ich dir nicht gesagt, daß ich in meiner Rathlosigkeit halb und halb entschlossen war, bei eurem nächsten abenteuerlichen giro durch die Einöde euch durch ein paar von mir besoldete ehrliche Banditen überfallen zu lassen, um dann mit Hülfe meines Alterthümlers eine feierliche Rettungskomödie aufzuführen und so die Mama zu unsern Gunsten zu stimmen? Natürlich war das nur für den äußersten Fall, daß gar kein sanfterer Weg zum Ziele führte, denn es hätte euch noch ganz anders geängstigt, als die heutige Kriegslist. Wie ich euch aber heut Nachmittag daherrollen sah –: wenn das nicht der Finger Gottes ist! sagt' ich zu meinem Mitverschworenen. Und hast du nicht selbst gestanden, Schatz, daß dein eigener schlanker Finger das gute Beste dabei gethan, da er auf dem Studienprogramme gerade die Egeria unterstrich? Wenn du also ein wenig gerecht und nur eine halb so zärtliche Braut sein willst, wie du eine zärtliche Tochter bist –

Er konnte den Satz nicht vollenden. Denn plötzlich hörten sie noch aus ziemlicher Entfernung einen lauten Zuruf: Eccoli! Da kommen sie. Gott sei Dank! – und dann von einer helleren Stimme: Martinchen! Kind! bist du's denn wirklich?

Olaf hatte sich rasch wieder umgedreht und erkannte nun drei mit Fackelbränden bewehrte dunkle Gestalten, die Mutter, Herrn Mathias und den Bedienten, die in hastigem Lauf ihnen entgegen eilten.

Noch fünf Secunden, und die Tochter lag in den Armen der Mutter, beide von der freudigen Erschütterung so ergriffen, daß sie vor Weinen und Schluchzen lange nicht zu reden vermochten.

Olaf war vom Bock gesprungen, hatte die Zügel dem sprachlos ihn anstarrenden Knaben hingeworfen und dann mit seinem Verbündeten einen vielsagenden Blick gewechselt. Der treffliche Senator war aber durch das Glück dieser Stunde so weich gestimmt, daß er es nicht bei einem Händedruck bewenden lassen konnte, sondern seinen jungen Freund lebhaft umarmte und ihm dabei ein Wort ins Ohr flüsterte.

Gratulire! gab Olaf eben so leise zurück. Nun kommt die Reihe an mich. Lassen Sie mich nicht im Stich, wenn es gefährlich werden sollte.

Dann näherte er sich mit ganz unbefangener Miene den beiden Damen, die sich noch immer in den Armen hielten und wieder und wieder ans Herz drückten, recht als ob sie beide sich scheuten, einander offen in die Augen zu sehen, und sagte im heitersten Ton:

Gnädigste Frau, Sie werden sich wundern, mich hier in dieser nächtlichen Einöde so ganz unerwartet anzutreffen. Zumal für einen seit Kurzem wohlbestallten polytechnischen Professor, als welchen ich mich Ihnen vorzustellen die Ehre habe, scheint es seltsam, in der römischen Campagna herumzustreifen und herrenlos gewordene Droschkenpferde wieder zu ihrer Pflicht zurückzulenken. Die Sache aber ist dennoch höchst einfach. Dieser mein Freund hier, Herr Senator Mathias, hat mich engagirt, als technischer Beirath die Ausgrabungen auf seinem Grund und Boden zu leiten –

Die Herren kennen sich? rief Frau Meta mit einem Blick auf ihren Freund, in welchem eine Welt aufdämmernden Verständnisses lag. Olaf aber kam dem verlegen nach Worten suchenden Mitverschworenen zuvor.

Eine Reisebekanntschaft! sagte er unbefangen. Ich traf Herrn Mathias auf einer Studienreise durch Umbrien und konnte seinem freundlichen Drängen nicht widerstehen, ihn nach Rom zu begleiten, um mein Gutachten über seine Unternehmungen abzugeben. Heute – da Festtag ist – haben wir gefeiert, ich wollte meine freie Zeit zu einem Spaziergang in die Campagna benutzen, und wer schildert meine Ueberraschung, als ich plötzlich ein Pferd mit einem Wägelchen dahintraben sehe, in welchem eine junge Dame in tiefem Schlafe liegt. Es hatte sich ein verdächtig aussehender Mensch unter den Bock geschwungen und peitschte das arme Thier aus Leibeskräften. Offenbar war es auf eine Entführung abgesehen. O verehrte Frau, es ist nicht ohne Gefahr, schöne junge Damen in dieser bezaubernden Wüste sich selbst zu überlassen. Wenn Sie gesehen hätten, wie der Räuber sich seines gelungenen Anschlages freute, wie er Miene machte, nicht eher stillzuhalten, als bis er seinen schlafenden Raub in Sicherheit gebracht hätte! Aber auf einmal wurde es laut im Wagen. Und wie ich nun das angstvolle Klagen und Hülferufen hörte – die Stimme war mir ja nicht ganz unbekannt – wahrhaftig, gnädige Frau, ich hätte den Spitzbuben dem strengsten Gericht, ja Ihrem eigenen ausliefern mögen für seine frevelhafte That. Aber Ihre Tochter bat selbst für ihn, und so ließ ich Gnade für Recht ergehn, hielt das rasende Gefährt mit einem kräftigen Zügelruck an und lenkte es auf den Weg nach Hause zurück. Und da sind wir nun, beste Frau Mama, bis auf den Schrecken ganz wohlbehalten, und ich hoffe, diese Räubergeschichte wird später einmal nur als ein drolliges Abenteuer in Ihrer Erinnerung fortleben. Erlauben Sie mir, zur Belohnung für meine rettende That Ihre Hand zu küssen.

Er ergriff, ohne die Antwort abzuwarten, Frau Meta's Hand und zog sie respectvoll an die Lippen. Martinchen hatte sich abgewendet, ihre Thränen zu trocknen, Herr Mathias machte sich mit dem Schecken zu schaffen, Keines sprach ein Wort. Als aber Benedetto sich wieder auf den Bock gesetzt und Peitsche und Zügel ergriffen hatte, sagte die Mutter, die nicht die geringste Neugier zeigte, Näheres über die abenteuerliche Entführungsgeschichte zu hören, in ziemlich scharfem Ton: Wir wollen so rasch als möglich heimfahren, Kind. Ich bedaure, dem Herrn Professor keinen Platz im Wagen anbieten zu können. Auch haben Sie wohl noch hier draußen zu thun. Auf Wiedersehn also!

Olaf hob die Damen in den Wagen, wobei er Martinchen's Hand suchte, um sie verstohlen zu drücken.

Meine Ferien gehen in acht Tagen zu Ende, dann muß ich meine Professur antreten, sagte er ruhig. Ich werde, da ich allerdings hier draußen nöthig bin, den Damen nicht lästig fallen, nur morgen Vormittag möchte ich mir erlauben, nach Ihrem Befinden zu fragen. Hoffentlich schlafen Sie auf die kleine Gemüthsbewegung vortrefflich.

Er lüftete den Hut, trat dann noch an den Bock heran und gab dem Knaben die Hand.

Fahr zu, Bursch, rief er lustig, und liefere die Damen so sicher ab, wie ich es gethan habe! Felice notte!

Das Pferdchen setzte sich in Trab, und bald hatte es den Feldweg zurückgelegt und in die appische Straße eingelenkt. Da bog sich der Knabe einen Augenblick zurück, zwinkerte mit den Augen den Damen zu und sagte: Ein braver Herr, der Herr Fremde! Seht! das hat er mir geschenkt! – und er öffnete seine kleine, braune Faust, in der er ein blankes Goldstück hielt.

——————

In großer Einsilbigkeit hatten die Beiden, die sich mit so vielen Thränen ihrer Wiedervereinigung gefreut, die lange Fahrt durch die Stadt zurückgelegt. Zu Hause fanden sie ihr sonst so trauliches Wohnzimmer dunkel und unwirthlich. Mehrere von den abendlichen Besuchern waren da gewesen und wieder gegangen, da die Damen ausblieben. Eine kleine cena stand auf dem Tisch, die Keines anrührte. Nur von dem Wein und Brod genoß Martinchen ein Weniges, während die Mutter auch das verschmähte und, über heftiges Kopfweh klagend, sofort zu Bette ging.

Als die Tochter ihr dann nachfolgte, fand sie die Mutter schon in festem Schlaf, sputete sich daher, ihre Kleider abzulegen und so geräuschlos, als sie konnte, nachdem sie das Licht gelöscht, in das Bett zu schlüpfen, das, nur durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, neben dem ihrer Mutter stand. Sie lag aber noch keine zehn Minuten, so hörte sie, wie die Mutter sich aufrichtete und mit einem Seufzer sagte: Wenn er morgen kommt, magst du ihn allein empfangen, Kind, und ihm sagen, was dir gut dünkt. Ich gestehe, daß ich es ihm noch nicht so bald verzeihen kann, wie er trotz seines feierlichen Versprechens nun doch ein Jahr früher, als ich gewünscht hatte, eine neue Annäherung erzwungen hat. Indessen, ich sehe wohl, daß da Nichts zu machen ist; meine wohlgemeintesten Anordnungen werden über den Haufen geworfen, Jugend hat keine Tugend, und so thut denn in Gottes Namen, was ihr nicht lassen könnt. Wenn es nicht zu deinem Glück ausschlägt, – ich wasche meine Hände.

Auf diese in der Form strengen, in der Sache desto sanfteren mütterlichen Worte blieb es eine Weile ganz still. Plötzlich aber fühlte Frau Meta ihre Lagerstätte erbeben. Martinchen war aus ihrem Bett gesprungen, hatte sich auf das ihrer Mutter gesetzt und, mit beiden Armen sie umfangend und ihr Gesicht an das ihre drückend, Mund und Wangen mit den zärtlichsten Küssen bedeckt.

O Mutterle! rief sie – nur in den feierlichsten Stunden kam ihr die heimathliche Form über die Lippen – du bist die beste, goldigste Mutter in der ganzen Welt! Nein, ich kann es nicht annehmen; ich weiß, daß es dir weh thut, dir schwer wird, daß du darauf gerechnet hast, noch ein Jahrlang würden wir so beisammen bleiben und du könntest deiner Kunst leben und auch mir noch allerlei gute Dinge in meinen harten Kopf bringen. Und nun willst du auf das Alles verzichten. O Mutterle, deine himmlische Güte – wenn du wüßtest, wie schwer sie mir aufs Herz fällt, weil ich sie weniger als je verdient habe! Nun aber sollst du erst Alles wissen, und wenn du ihm auch dann nicht böse bist und dann noch einwilligst –

Kind, unterbrach die Mutter dieses stürmische Bekenntnis, sage mir Nichts weiter. Ich will Nichts wissen, nicht mehr, als ich mir schon selbst zusammenreimen kann. Meinst du, ich hätte ein Wort von der ganzen Räubergeschichte geglaubt, oder von dem Engagement wegen der Ausgrabungen? Zwar von Herrn Mathias hätte ich es nimmermehr gedacht, daß er zu solch hinterlistigen Schelmenstücken die Hand bieten könnte; der ist viel zu offen und redlich dazu und über die Jugendthorheiten hinaus; und doch –

Sie verstummte. Auch Martinchen schwieg. Sie wußte nicht, ob es nöthig sei, die Mutter wider ihren Willen von Allem, was sich zugetragen, zu unterrichten. Hatte sie doch ihr Gewissen schon ziemlich entlastet. Also ergriff sie den Mittelweg, die Hand der Gütigen zu fassen und mit Küssen zu bedecken. Obwohl aber kein Licht brannte und nur ein schwacher Schein von der Straßenlaterne hereindrang, fiel ihr doch auf einmal der seltsame breite Goldreif auf, den sie sonst nie an dieser Hand wahrgenommen hatte.

Mutter! sagte sie, plötzlich in einen ruhigeren Ton verfallend, was ist das für ein Ring, den du da trägst? Den kenne ich ja noch gar nicht.

Die Mutter entzog ihr die Hand und kehrte das Gesicht nach der anderen Seite. Laß uns jetzt schlafen! sagte sie. Ich erzähle dir morgen, wie ich dazu gekommen bin. Heut bin ich zu müde. Gute Nacht, Kind!

Martinchen küßte sie noch einmal und schlüpfte dann gehorsam in ihr Bett zurück, im Stillen verwundert über dies seltsame Geheimniß. Sie hatte aber noch kaum sich wieder zurecht gelegt, da hörte sie die Mutter abermals sich aufrichten.

Es ist am Ende doch besser, sagte sie leise und zögernd, du erfährst es gleich heute. Ja ja, Jugend hat keine Tugend, aber Alter schützt vor Thorheit nicht: – ich habe mich heute Abend mit Herrn Mathias verlobt!

Mit einem hellen Freudenschrei sprang die Tochter zum zweiten Mal aus dem Bett, stürzte zur Mutter hin und kniete, ihre Hand haschend und stürmisch an die Lippen drückend, neben ihr nieder. Mutterle! rief sie, nun ist Alles gut, nun darf ich mir mein eignes Glück gönnen, und du mußt meinem Olaf vergeben, daß er dich so viel Thränen gekostet hat. Kann man einem Räuber böse sein, der einem das geraubte Gut wiederbringt und einem noch einen Schatz dazubeschert?

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