Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nicodemus Pembertons Gichtanfall hatte sich glücklicherweise rasch gebessert, so daß Darling ihn verlassen konnte. Lianens Hoffnung aber, daß sie doch noch würde mitfahren können, erfüllte sich nicht, denn Herr von Hindermeyers Depesche meldete seine Ankunft gerade für den Tag, an dem die Ausflügler abreisen sollten. Sie ließ es Axel, den sie inzwischen nicht wiedergesehen hatte, gleich wissen, und sie hoffte nun, ja sie nahm eigentlich bestimmt an, daß er im letzten Augenblick irgendeinen Grund vorschützen werde, um auch zu bleiben.
Da, nachdem die Reisenden schon fort sein mußten, ward ihr durch den alten Iwan ein Brief von Axel gebracht. Ein Brief, den, wie sie wehmütig konstatierte, allerdings ein jeder hätte lesen können. Er schrieb, wie sehr er der Cousine Verhinderung bedaure, und versprach, ihr die schönsten Chrysanthemumexemplare mitzubringen. – Sie war wie versteinert. Das war alles? Nicht mal um Abschied zu nehmen, war er gekommen? Die Arme hingen ihr schlaff herab. Sie fühlte sich wie zerschlagen.
Inzwischen füllte Linteloe das Haus mit polternd und geschäftig betriebenen Vorbereitungen für den Gast. Er überraschte die Haushälterin, indem er persönlich das Logierzimmer revidierte. Mit Friedrich und dem Koch führte er längere Beratungen noch als sonst über Menüs und Weine. – Die Delikatessen, die das Land bot, waren vorhanden, Kaviar, Lachs, Gänselebern – und auch nach den Produkten der Nachbarmonarchie hatte man rechtzeitig telegraphiert. – Er muß sehen, daß wir es wohl verstehen würden, auch auf einem großen Posten würdig zu repräsentieren, dachte Linteloe, und überhaupt kaptiviert man der Menschen gute Meinung ja am sichersten durch den Gaumen.
Am Nachmittag ging Linteloe endlich etwas aus. Da konnte es Liane nicht länger ertragen. Sie flog durch den Garten zu Axels Häuschen. Sie empfand ja ein so brennendes Verlangen, wenigstens in seinem Zimmer zu sein. Als würde sie ihm dadurch ein bißchen näher gerückt. Sie mußte hin!
Iwan öffnete. Sie sagte, auf seinen erstaunten Blick antwortend, daß sie käme, sich ein Buch zu holen. Nachdem er sie eingelassen hatte und gegangen war, blieb sie zuerst wie gebannt stehen. Starrte mit zuckenden Lippen umher in dem wohlbekannten Räume, dem Glückszimmer! Zum erstenmal war sie hier allein. Und fühlte sich doch umgeben von all dem, was entschwundene Stunden hier zurückgelassen hatten. Sie sog des Zimmers Duft ein, den sie unter Tausenden wiedererkannt hätte. Sie strich mit zitternden, zärtlichen Händen über die vertrauten Dinge auf dem Schreibtisch, und es war, als hafte etwas von ihm daran. Sie lauschte der Stille und hörte ein Flüstern. All die lieben Worte, die er ihr hier je gesagt, tönten wieder. Sie erinnerte sich. Oh, wie sie sich erinnerte! – Glanzumwobenes Zauberland stieg wieder vor ihr auf. Das war doch hier gewesen? – Aber – wie war denn das andere gekommen? – Das, wodurch es möglich geworden, daß sie hier allein stand? – Etwas hatte sich zwischen ihn und sie geschoben – sie wußte nicht mehr wann –, und es war angewachsen, bis es heute einer hohen, bösen Mauer glich. Es schien jetzt ja so oft, wenn sie zusammen waren, als könnten sie sich gar nicht mehr verstehen; aber dann, sobald sie voneinandergegangen, fiel ihr plötzlich ein, wie sie vielleicht hätte sein und sprechen sollen, welche Worte, welcher Stimmklang wohl alles geklärt hätten. Und daraus schöpfte sie jetzt in dieser wehen Stunde doch wieder Mut: ja, es mußte irgendein Versehen von ihr selbst sein! Viel lieber wollte sie daran glauben als an irgendeine Schuld, eine Gleichgültigkeit von ihm. Unwillkürlich wehrte sie sich gegen diesen Gedanken mit aller Leidenschaft. Denn er war doch der selbsterkorene, selbstgeschaffene Gott, den nicht mehr anbeten zu können Ende von allem, vom Leben selbst, bedeutet hätte. Sie verteidigte ihn jetzt vor sich selbst. Seine Reise war nötig gewesen... er hatte nicht anders gekonnt... sie sah es ganz ein. – – Und sie sank auf die Kniee, umschlang die Lehne des Sessels, auf dem er zu sitzen pflegte, lehnte den Kopf daran und flüsterte, als sei es ein lebendes Wesen, zu dem sie spräche: »Nicht wahr, du hast mich doch lieb? O sag es mir, sag es mir, du hast mich für immer lieb!« –
Gegen Abend traf Geheimrat von Hindermeyer ein. Es war ein kleiner rundlicher Mann mit spitzem Bäuchlein, der jetzt auf Urlaub jegliche Amtlichkeit abgestreift hatte und von dem die Behaglichkeit derer ausströmte, die dankbar jedes Gute mitnehmen, das sich längs der Lebensstraße bietet. Seine Zähne bestanden aus eitel Gold, und er zeigte sie beim Essen und Sprechen sehr, als sei er stolz auf diesen Besitz. Das gab ihm das Aussehen eines seltsamen Götzen des Reichtums, der Schätze im Munde trägt. Den von Linteloe fürsorglich bestellten Speisen sprach er mit Kennerschaft zu. »Die Kochkunst ist vielleicht doch die höchste Kunst,« sagte er, indem er die Trüffeln sorgfältig mit den goldenen Zähnen kaute, »und gottlob herrscht in ihr noch keine Sezession, sondern altbewährte Rezepte.« –
Aber mehr noch als der Koch fand Liane bei ihm vollsten Beifall. Der kleine rundliche Mann verliebte sich sofort in ihre schlanke nordische Schönheit, und er zeigte sein Wohlgefallen ganz ebenso harmlos fröhlich und unbefangen wie seine Wertschätzung der Gänselebern. Stramm fiel es sofort auf, aber sogar Linteloe, der sonst Erfolge Lianens nie sah, mußte es bemerken. Da schmunzelte er belustigt und pfiffig: das war wirklich ein glücklicher Zufall! Und dabei wäre sie, wenn er es nicht noch verhindert hätte, um ein Haar grad heute weggefahren – wo sie vielleicht mal seiner Karriere nützen konnte! –
Am nächsten Morgen fanden sich Liane und der Gast als erste im Frühstückszimmer ein. »Nun, haben Sie gut geschlafen?« frug sie. Und er antwortete: »Ich weiß gar nicht, wie ich geschlafen habe, aber geträumt habe ich die ganze Nacht von Ihnen, schönste Frau.« Und ihr belustigtes Erstaunen gewahrend: »Sie sind mir doch nicht bös, daß ich Sie so nenne? man kann Sie ja gar nicht anders nennen – schönste Frau.«
Nun trat Linteloe ein. »Ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich mich etwas verspätet habe,« sagte er, »aber unser Dolmetscher hat mir soeben interessante Neuigkeiten gebracht: Der Fürst und Lazarewitsch sind in der Stadt. Der Fürst ist gestern abend aus Andronikowice angekommen, der Minister mit dem Nachtzug direkt von Gnadenhausen. Übrigens soll auch der japanische Geschäftsträger Oki Abunai wieder hier sein – er war nämlich auch im Schwefelbad, wo der Fürst den Sommer verbracht hat,« setzte er erklärend hinzu. »Und dann hat der Dolmetscher noch erfahren, daß Holst, Känzli und Pemberton gleich heute zusammen zu Lazarewitsch gehen wollen – es ist nämlich sein diplomatischer Empfangstag. Sie haben alle drei den Auftrag, aufs schärfste darauf zu dringen, daß die Konkurrenzausstellung für die Holzhäuser nun endlich zustande komme. – Durch meine Berichte sind Sie über die Angelegenheit natürlich orientiert?« wandte er sich an den Geheimrat.
»Natürlich, natürlich,« antwortete dieser zerstreut und fuhr fort, ganz fasziniert zuzuschauen, wie Liane mit zierlichen Bewegungen eine Birne schälte. – Glücksmensch, dachte er, der sieht so was Reizendes nun alle Morgen! Ich vergäße darüber jede Konkurrenzausstellung der Welt! Dies ist ja aber auch hors concours Einzig! – Er ahnte natürlich nicht, daß dies gemeinsame Frühstück nur ihm zu Ehren von Linteloe inszeniert worden war.
»Da nun aber der Fürst und Lazarewitsch wieder hier sind, – würde es Sie nicht vielleicht interessieren, die beiden kennen zu lernen?« frug der Hausherr. »Das ließe sich sofort arrangieren.«
Der Geheimrat ließ vor Schreck alle güldenen Zähne sehen, »Gott bewahr' mich!« rief er. »Ich bin doch hier zu meinem Vergnügen!« Und er folgte schon wieder dem Spiel der langen schmalen Finger. »Aber Sie selbst«, sagte er dann, »werden wohl zu tun haben, wenn in die hiesige politische Windstille jetzt wirklich ein Stürmchen angebraust kommt; da möcht' ich nicht stören. Vielleicht gestatten Sie, daß mir die Frau Gemahlin ein bißchen was von der Stadt zeigt – und heut nachmittag muß ich ja leider wieder fort.«
»Aber warum denn so rasch!« protestierte Linteloe eifrig, und auch Liane fand es nötig, ein paar Worte des Bedauerns zu äußern.
»Machen Sie's mir nicht noch schwerer,« wandte sich der Geheimrat seufzend zu ihr. »Es ist nämlich grausam, denn ich muß wirklich zurück – ganz im Vertrauen – wegen der Aderholtschen Nachfolge. Tokio darf nicht lange unbesetzt bleiben, und eine falsche Ernennung ist so rasch gemacht, wenn man nicht sehr aufpaßt. – Ja, ja, Malheure verhindern – das ist ein großer Teil der Tätigkeit von uns armen, viel verkannten Geheimräten.«
»In der Tat sehr wichtig, äußerst wichtig,« murmelte Linteloe beifällig. »Da Sie nun aber unerbittlich sind, will ich sofort anspannen lassen, und meine Frau soll Ihnen die wenigen Sehenswürdigkeiten dieses tristen Städtchens zeigen.« – Dabei überlegte er: soll ich sie instruieren, daß sie ihn auf der Fahrt direkt drum bittet? Aber sie ist so unberechenbar, tut's dann womöglich grab nicht, oder macht's ungeschickt. Nein, besser, ich sag' ihr gar nichts.
Dann fuhren die beiden in den kühlen grauen Herbsttag hinaus. Durch die breite Silberpappelallee am Fluß entlang zu einem Wäldchen, wo ein früherer Fürst überfallen und niedergemetzelt worden war. An einem Garten vorbei, wo einst ein Palais gestanden, das wegen zu grausiger Erinnerungen abgerissen worden. Zu einer schäbigen Kapelle, wo man in schlimmer Nacht ein gemordetes Herrscherpaar eilig verscharrt hatte. »Lügübre Sehenswürdigkeiten,« meinte der Geheimrat. »Aber ich schau' ja doch nur Sie an, schönste Frau! Also führen Sie mich nur weiter durch dies makabre Reich.«
Und sie brachte ihn hinauf zur alten Festung. Lauter Punkte waren es, wo sie mit Axel oft gewesen. Hier oben aber wehte sie Erinnerung besonders schwermütig an. Wie hatten sie doch so selig verträumt dort auf der Brüstung im Frühling gesessen und hinausgeschaut auf die zwei Flüsse! Und sie hatte ihm von Sulihah erzählt. – Sie fröstelte. Die Schwermut des Gedenkens spiegelte sich auf ihrem zarten Gesichte, ließ sie in den Augen des kleinen rundlichen Mannes noch rührend liebreizender und schutzbedürftiger erscheinen. »Und weiter haben Sie hier nichts?« frug er bedauernd. »Da langweilen Sie sich wohl recht und wünschen sich fort?«
»O nein,« entgegnete sie rasch, »ich bin bisher sehr gern hier gewesen.«
»Sie haben scheint's alle Tugenden,« sagte er, »sogar die bei Diplomaten seltenste der Zufriedenheit.« – Und dabei dachte er: jede andere hätte doch die Gelegenheit wahrgenommen und mich angezapft, ihrem Mann zu einer netten Versetzung zu verhelfen; aber sie ist wirklich in allem wie eine Lilie auf dem Felde.
Nun fuhren sie heimwärts. Unter den entblätterten Kastanien der Hauptstraße schlenderten Menschen, die die spärlichen Sonnenstrahlen suchten.
»Wer waren die beiden alten Herrn, die Sie eben grüßten?« frug Hindermeyer.
»Unser Doyen, Graf van Stratten, und Herr von Wawerling,« antwortete Liane. »Und denken Sie, die sind schon siebzehn Jahre hier und erzählen mit Vorliebe, bei ihrer Ernennung habe man ihnen gesagt, sie würden nur ganz kurz hier gelassen werden, – aber dies sei nun mal einer der Orte, wo man viel länger bliebe, als man dächte.«
Den Geheimrat schauderte. Siebzehn Jahre hier! – Na, der schönsten Frau hier neben ihm sollte es nicht so ergehen, wenn er noch ein Wort mitzureden hatte. Die war denn doch zu schade für dieses Nest. Die gehörte anderswohin ... und zwar... möglichst bald.
Die beiden Inseparables schauten währenddessen dem Wagen nach.
»Mir fällt da eben ein Satz aus Ollendorfs Grammatik ein,« sagte Wawerling. »Er lautet: Die schöne Frau führe lieber mit dem jungen Vetter als mit dem alten Geheimrat.«
»Aber ich weiß nicht, ob sich der junge Vetter ebensosehr danach sehnt,« antwortete Stratten. »Ich sah gestern die Abfahrt der Ausflügler – sie hatte etwas von der ›Abfahrt nach Kythera‹, und er schien höchst beflissen im Dienste Jungamerikas.«
»Ja, es ist eben ganz so gekommen, wie ich's voraussah!« sagte Wawerling bekümmert. »In der Liebe zahlt meistens der eine mit Gold, der andere mit falschen Scheinen.«
»Aber als mildernden Umstand muß man hinzusetzen, daß er gewöhnlich nicht weiß, daß sie falsch sind,« entgegnete Stratten.
»Er hält sie für echt, weil sie das Beste sind, was er hat.«
In der blassen Herbstsonne schritten die beiden Alten weiter durch die holprigen Straßen und warfen sich gewohnheitsgemäß ihre aphoristischen Gedanken zu – wie Pingpongbälle.
Der Minister Lazarewitsch war nicht so gut gelaunt heimgekehrt, wie es nach einer glücklichen, die Galle beruhigenden Karlsbader Kur zu erwarten gewesen wäre. Und zwar obwohl er gerade in Karlsbad einen Erfolg – oder doch wenigstens Teilerfolg – davongetragen hatte. – Mirojedsky war gleichzeitig wie er zur Kur dort gewesen, und in dieser inoffiziellen Atmosphäre hatten sie über die Holzhäuserfrage – und manches andere – eine zwanglosere Unterhaltung geführt als je in der Stadt an den zwei Flüssen. Dabei hatte Lazarewitsch hingeworfen, daß, wenn nur Mirojedsky von seiner Forderung bedingungsloser Bestellung bei der Firma Zeysigoff absehen und auf die Konkurrenzausstellung eingehen wolle, er sich anheischig machen würde, mit Hilfe Wukowitschs die Prüfungskommission ganz unauffällig derart zusammenzustellen, daß Mirojedsky mit ihrem Richterspruch zufrieden sein würde. Zwar hatte Mirojedsky geantwortet, daß ihm an den Holzhäusern viel weniger liege als gerade an der Prestigefrage – aber schließlich war er doch auf die Abmachung eingegangen, betonend, daß dies nur aus persönlicher Gefälligkeit für den Minister geschehe. Lazarewitsch wußte wohl, was dies zu bedeuten hatte, und er hätte viel lieber das ganze Netzwerk der Abhängigkeiten und Subsidien abgeschüttelt, statt sich tiefer darin zu verstricken. Aber was sollte er tun! Es war doch immerhin eine Art, aus dieser unglückseligen Sache herauszukommen, ohne die übrigen Bewerber öffentlich zu brüskieren – und vor allem: ohne den leider so sehr engagierten Despoten bloßzustellen.
Nachher in Gnadenhausen waren aber die Dinge gar nicht seinen Wünschen gemäß verlaufen. Zwar hatte ihn die Herzogin Mutter für ein paar Tage auf die Rattenburg geladen und huldvoll aufgenommen; als er jedoch sein Projekt einer Heirat des Despoten mit der schönen amerikanischen Milliardärin vorbrachte, war es gewesen, als ob sich da vor seinen Augen die alte Fürstin zu Eis verwandelt habe. Kalt wehte es ihn von ihr an. Bei aller gleichmäßig bewahrten Huld der Form empfand er plötzlich die Distanz, die ja auch ihr Sohn so sehr um sich zu verbreiten wußte. Lazarewitsch versuchte der Herzogin Mutter die ungeheuren Vorteile darzulegen, die diese Verbindung für sein Land haben würde: Sanierung der ganzen Finanzen, Befreiung aus mancher Abhängigkeit, Möglichkeit sozialer Fürsorgemaßregeln – lauter Ziele, die auch gerade dem Wesen Urosch des Fünfundzwanzigsten entsprachen. Die alte Herzogin in dem langen schwarzen Kleide, mit dem Witwenschleier und der Schnebbe, die ihr scharf und spitz bis zur Nasenwurzel reichte, hörte ihm aufmerksam bis zu Ende zu. Und dann sagte sie: »Liebe Exzellenz, die Vorteile für das Fürstentum auf rein finanziellem Gebiet sehe ich allenfalls, und hätten Sie zur Zeit einen Herrscher aus einer Ihrer früheren einheimischen Dynastien, die den Ebenbürtigkeitsbegriff nicht kannten, so wäre diese Heirat vielleicht zu erwägen – obschon mir in dem Fall die Bereitwilligkeit der betreffenden Dame weniger sicher erschiene. Urosch der Fünfundzwanzigste aber ist nicht nur Despot Ihres Fürstentums, sondern auch Prinz von Gnadenhausen-Rattenburg; und zwar bliebe er das, auch wenn er das Fürstentum je verlieren sollte – was, wie Sie mir ja leider zugeben müssen, doch immerhin mal eintreten könnte. Nach Gnadenhausen-Rattenburg aber – ja, da paßt nun einmal keine aus – wie sagten Sie doch? – ja richtig: aus Clarenceville, Dakota, importierte – ›Prinzessin‹ kann ich nicht sagen, denn das könnte sie, nach unseren Hausgesetzen, ja gar nicht werden. Bei Ihnen Herrscherin, würde sie bei uns nur morganatische Gemahlin sein.«
Im Verlauf der weiteren Unterhaltung hatte die Herzogin Mutter dann angedeutet, daß sie selbst bereits Umschau gehalten und Fäden angeknüpft habe, um eine matrimoniale Allianz zustande zu bringen, die den Bedürfnissen des Fürstentums ebenso genüge wie den Ansprüchen des Hauses Gnadenhausen-Rattenburg. Auch denke sie daran, im Winter des Sohnes Residenz zu besuchen. Lazarewitsch wußte sehr genau, daß die Herzogin den Despoten stets gut beriet und bei allem die Interessen des Fürstentums wohl erwog; aber es gab eben doch Punkte, wo Gnadenhausen-Rattenburg und was damit zusammenhing den Vortritt hatte. Da war dann plötzlich die Distanz da. Das Fürstentum und die dazu gehörten: Orient! –
Jetzt bei seiner Rückkehr sah Lazarewitsch mancherlei Widerwärtigkeit und Langeweile voraus. Und richtig: kaum daß er angekommen, ließen sich auch schon drei dieser etwas wollenden oder, schlimmer noch, etwas aufdrängenden Herrn zum gemeinsamen Besuch bei ihm für den Nachmittag ansagen. Nun, er wußte ja, was sie fordern würden, als hätten sie es ihm schon gesagt: die endliche Einberufung der vom Fürsten angeregten Konkurrenzausstellung. Im Bewußtsein seiner geheimen Karlsbader Abmachung sah Lazarewitsch diesem Verlangen aber mit Ruhe entgegen. Er würde den Herren versprechen, Mirojedsky dazu zu überreden und sich aus dessen, ihm ja schon gegebener Zustimmung nachher bei den Dreien ein Verdienst machen. Alles Weitere war dann Sache der Prüfungskommission. Und die würde eben richtig zusammengesetzt sein. –
Kurz, ehe die drei Gesandten kommen sollten, ward dem Minister aber noch Oki Abunai gemeldet. Der wenigstens wollte nie was. Da waren keine Fatalitäten zu befürchten. Ja, den wollte er gleich empfangen. – Mochten die drei anderen, wenn sie inzwischen kamen, etwas warten. –
Um die Zeit, da Linteloe annehmen konnte, daß der gemeinsame Schritt der drei Gesandten erfolgt und ihr Besuch bald beendet sein würde, machte er sich seinerseits auch auf den Weg zu Lazarewitsch, um ihn über den Stand der Angelegenheit zu sondieren. Schon von weitem sah er die drei Herrn aus dem Ministerium heraustreten. Eifrig und offenbar erregt untereinander redend. Zu seinem Erstaunen blieben sie dann in der Straße stehen, wo ihre drei Equipagen warteten, und setzten ihr lebhaftes Gespräch auch da noch fort. Sobald sie ihn selbst aber erblickten, winkten sie ihn heran, wie Leute, die etwas auf dem Herzen haben, das sie gar nicht rasch genug weitergeben können.
»Stellen Sie sich vor!« –
»Sie werden's kaum glauben!«
»Es ist ja auch unerhört – eine derartig hinterlistige Geschäftsführung!« So schwirrten die Sätze durcheinander.
Am empörtesten schien Holst. » Okstipui »steteruntque comae et vox faucibus haesit!« rief er.
»Von diesen verschlagenen Asiaten muß man eben auf alles gefaßt sein!«
»Ja wahrlich: lated anguis in herba!«
»Daß die Geschäftsträger aber auch gar nichts gemerkt haben!«
»Wären wir doch nicht auf Urlaub gegangen!«
» Quos deus perdere vult, dementat prius!«
»Die ganze Geschichte ist wie ein Hohn – macht uns lächerlich!«
»Das ist ja grade das Greuliche dabei, Cedere maiori virtutis fama secunda est; illa gravis palma est, quam minor hostis habet.«
»Und was soll nun werden?«
»Ach um einen deus ex machina!« Wie Pfeile flogen, wie Donner grollten Holsts Zitate.
Linteloe stand zuerst ganz verwirrt zwischen den Entrüsteten.
»Sie können's auch kaum glauben,« sagte Känzli, der noch am ruhigsten war, »aber es ist tatsächlich so: Oki Abunai hat dem Fürsten in Andronikowice Angebote für die Holzhäuser gemacht, und zwar zu Preisen, die alle von uns angedeuteten bei weitem unterboten. Und der Fürst ist darauf eingegangen, hat die Lieferung den Japanern sozusagen fest versprochen. Lazarewitsch ahnte nichts davon, hat es von Oki Abunai erst unmittelbar vor unserer Ankunft erfahren. Er war selbst noch ganz fassungslos, erzählte es uns alles, als wir mit unserer gemeinsamen Note ankamen.«
»Ich glaube nicht, daß man bei mir zu Haus gewillt sein wird, das so einfach hinzunehmen,« sagte Pemberton, dem man die doppelte Gereiztheit des knapp überstandenen Gichtanfalls und der Enttäuschung anmerkte. »Despot kann man sich ja nennen, aber derartig autokratische Eingriffe sind doch nicht zulässig in einem Lande, wo es eine Volksvertretung gibt.« – –
Sobald sich Linteloe losmachen konnte, kehrte er eiligst heim. Er schmunzelte, und seine kleinen Augen blickten pfiffig. Vielleicht war dies die Chance, ohne die es nun mal kein Gelingen gibt, – es galt den Versuch, sie richtig auszunutzen! –
Wie er erwartet hatte, traf er den Geheimrat mit Stramm bei Liane am Teetisch. Er erzählte, was sich soeben ereignet, und dann sagte er, langsam jede Silbe betonend und mit großer Assürance: »Damit ist nur eingetreten, was ich voraussah. Ich habe nämlich Oki Abunai seit seiner Ankunft im Auge behalten, denn ich witterte gleich, daß der hier etwas beabsichtige. Als er dann aber gar für den ganzen Sommer nach Andronikowice zog, war ich meiner Sache so ziemlich sicher. Ich fühlte instinktiv: das tut er nicht umsonst. Grade aber weil ich diese japanische Konkurrenz kommen sah, habe ich meinerseits stets darauf hingewirkt, daß wir uns nicht – wie mir manchmal nahegelegt wurde – auch noch um die Holzhäuserlieferung bewarben; denn ich sagte mir, daß es vorteilhafter für uns sei, uns, bei dieser an sich geringfügigen Gelegenheit, das billige Verdienst einer wohlwollenden Haltung gegenüber der großen asiatischen Zukunftsmacht zu erwerben. Sache unserer Vertretung in Tokio dürfte es sein, dies dort ins rechte Licht zu setzen, damit wir die Früchte solcher Haltung auf anderem Gebiete ernten.«
Sehr stark, wirklich sehr stark! dachte Stramm bewundernd; das muß ich unbedingt gleich meinem Onkel melden.
Auch der Geheimrat nickte beifällig. Gottlob, der Mann schien ja beinah so schlau, wie die Frau schön war. Das traf sich wirklich mal gut. Dadurch wurde ihm selbst ein Gewissenskonflikt erspart, falls er die Möglichkeit haben sollte, der schönsten Frau durch eine glänzende Versetzung ihres Mannes von hier fort zu helfen.