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Um Baldur

Gut ist's, bereit zu sein.«

Am Tische der Einherier war das Wort gefallen. Wodan wußte es lange. Und er wußte die Vorzeichen, die das Nahen der Stunde kündigten. Wenn das volle Licht getötet wird von der blinden Nacht, wenn der sonnenlose Winter die Lichtzeiten Frühling und Sommer vernichtet haben wird.

Noch lebte der Gott des lachenden Frühlings und der Sommerhöhe, noch lebte Baldur, der fleckenlose. Auf seiner himmlischen Burg Breidablick, dem Breitglanz des Himmels, lebte er mit seinem süßen Weibe Nanna, die da war wie eine Blume zwischen Blüte und Frucht, und das Glück der Wärme ging von ihm aus. Alle liebten sie ihn, die Götter wie die Menschen, und selbst die Riesen der Eisländer waren ihm zugetan, da auch sie seines Lichtes und seiner Wärme bedurften. Lebensfröhlichkeit war, wo Baldur erschien, selige Hoffnung, Liebe zur Arbeit, Glaube an eine höhere Welt. Die Menschen hoben die Häupter, blickten lächelnd in das Licht und ließen ihren Arbeitsgeist bestrahlen zu höheren Dingen. Da wuchs aus dem Werktag der Feiertag und aus dem Feiertag wuchsen die Künste, die wiederum den Werktag veredelten, und Baldur war es, der allen Empfindungen des Geistes und der Seele zur höheren Weihe verhalf.

Solange Baldur lebte, wuchs die Welt und in der Welt die Gesittung.

Nun war es seit etlicher Zeit, daß Baldur am Tage schwermütig dahinschritt und in der Nacht von beängstigenden Träumen zerquält wurde. Schnell merkten es die Götter, denn das glückliche Lachen tönte nicht mehr von Breidablick über Asgards Fluren hin, bald merkten es auch die Menschen, denn der Frühling kam karg und der Sommer ohne Freude, und selbst die Riesen spähten unruhig nach dem bischen Licht und Wärme ihres Himmels aus. Trübsinn zog in die Gemüter der Asen, und sie erforschten den traurigen Baldur, bis er ihnen alle seine Träume und Gedanken offenbarte.

Frigg, die stillsorgende Himmelsmutter und Mutter Baldurs, faßte sich zuerst. Ihr Sohn war in Gefahr. Also galt es, nicht zu beratschlagen, wie die Männer taten, sondern zu handeln. Und sie machte sich auf und ging zu allem, was da lebte und webte, wuchs und beharrte, zu Menschen und Riesen und Alben, zu Feuer und Wasser und Erde, zu Erzen und Steinen, Pflanzen und Giften und zu sämtlichem Getier, und alles nahm sie in feierlichen Eid, dem Leib und Leben Baldurs nimmermehr zu schaden. Da war große Freude, als die stillsorgende Himmelsmutter wiederkehrte und in Asgard Baldurs Unverletzlichkeit verkünden konnte. Wie die Kinder wurden die Götter in ihrer Ausgelassenheit, und sie trieben Spiele und Scherze mit Baldur, um den Zauber zu erproben. Nur Loki stand mißgünstig zur Seite, wenn die Götter mit Geren und Pfeilen auf Baldur schossen, mit Schwertern und Steinen nach ihm zielten, ohne dem leuchtenden Gott auch nur das geringste Leid antun zu können. Denn Loki empfand, daß seine neidische Seele nur noch tiefer in den Schatten sinke vor Baldurs sonnenreiner Klarheit.

Allvater Wodan aber schritt sinnend aus dem Kreise der Fröhlichen und sattelte seinen Hengst Sleipnir. Denn er vermochte nicht freier zu atmen trotz der Eide, die Frigg, seine Gemahlin, genommen hatte, weil er die Zukunft kannte und wußte, daß sich das Schicksal nicht betrügen ließe. Nur eine Gegenprobe zu dem eigenen Wissen wollte er machen und in die finstere Hel, das Reich der Todesgöttin, reiten.

»Wir reiten zur Wolwa, der Weissagerin, die jenseit der Hel im Grabe ruht,« sprach er zu seinem Rosse, und Sleipnir schoß wie ein Vogel hinab gen Niflheim.

Geifernd bellte der blutige Hund der Hel, doch Wodan achtete seiner nicht und ritt durch die dunklen Schrecknisse, bis er am Rande des Totenreichs das Grab der Wolwa fand. Hier saß er ab und sang der Hexe den Leichenzauber, bis sie sich widerwillig erhob.

»Tot war ich lange. Was willst du von mir?«

»Antwort will ich, für wen im Hause der Hel die Bänke mit glitzernden Brünnen, und mit Gold die Dielen belegt sind!«

»Für Baldur geschah's. Auf ihn wartet das Methorn der Hel. Laß mich schweigen.«

»Noch schweigst du nicht. Wissen will ich, wer es ist, der Baldurs Blut vergießen wird.«

»Hödur heißt er. Nun begehr ich zu schweigen.«

»Noch schweigst du nicht. Wissen will ich, wer die Blutrache nimmt für die ruchlose Tat.«

»Ried wird Wodan den Wali gebären. Eine Nacht nur alt, zieht er aus in den Kampf. Das Haupt nicht kämmt er, die Hände nicht wäscht er, bis Baldurs Mörder im Blute liegt. Nicht gerne sprach ich, begehr nun zu schweigen.«

Erschauernd hatte die Wolwa Wodan erkannt, den alten Schöpfer der Welt.

»Kein anderer Mann soll wieder mich wecken, bis von den Fesseln Loki sich löst und die Feinde kommen zum Sturze der Götter!« rief sie mit letzter Kraft und sank in das Grab zurück. –

Wodan ritt heim. Er hatte die Probe auf sein Wissen gemacht, und sein Wissen war Wahrheit ...

Immer noch trieben die Götter auf Asgards Wiesen mit Baldur die fröhlichen Kampfspiele. Immer noch ging Loki neidverzehrt umher. Eine neue Arglist sann er aus, und er humpelte in Gestalt einer alten Dienerin zu Frigg, der stillsorgenden Himmelsmutter, und plauderte mit ihr.

»Welch ein Wunder ist es mit Baldur, unserm Liebling. Nichts und nichts auf der Welt vermag ihm zu schaden.«

»Ich nahm alle Dinge in Eid, wie Mütter tun,« erwiderte freundlich Frigg und zählte sie alle her, bei denen sie gewesen war.

»Vergaßest du auch nichts? Hast du auch nichts übersehen?«

»Nichts übersah ich. Nur die Mistel ließ ich aus, die in den Bäumen wuchert. Kaum hat sie das eigene Leben.«

Loki aber begab sich alsbald in den Wald und fand die unscheinbare Mistel, die mir im Winter blüht, und schnitt sie ab und fertigte aus der Ranke einen dünnen, scharfen Ger. Und er kehrte zurück in den Kreis der Götter, die lachend auf Baldur, den lichten Gott des Frühlings und der Sommerhöhe, ihre Speere schossen, und traf auf den blinden Hödur, den Gott der Nächte und des sonnenlosen Winters.

»Weshalb bleibst du dem Spiele fern?« fragte der Arglistige. »Auf, versuch deine Kunst.«

»Ich bin blind,« klagte Hödur, »sehe das Ziel nicht und führe keine Waffe.«

Da drückte ihm Loki den Ger aus Mistelzweig in die Hand und lenkte seinen Arm. Mächtig warf der blinde Hödur, pfeifend durchschnitt der dünne scharfe Ger die Luft, durchbohrte Baldurs Leib und Leben.

Entsetzen lähmte die Glieder der Götter. Kein Laut entrang sich ihrem Munde. Tot war Baldur, und ein Mord war geschehen im Himmel. Und plötzlich war ein wildes Weinen in ganz Asgard.

An der heiligen Freistätte durften die Götter die Übeltäter nicht greifen. Hastig entwich Loki, und Hödur stand wie versteinert. Frigg aber, die Schmerzensmutter, wischte zuerst die Tränen vom Angesicht.

»Zur bleichen Hel ist Baldur gefahren, mein liebster Sohn. Wer reitet den Weg und bittet ihn los von der Hel gegen alles Lösegeld, das sie verlangt? Wer fürchtet sich nicht und reitet um meiner Liebe willen?«

Da trat Hermod vor, Wodans schneller Sohn, und das schnellste Roß wurde gebracht, Sleipnir, Wodans achtfüßiger Hengst. Und Hermod schwang sich in den Sattel und trat den Helritt an.

Denn das verlangte die unerbittliche Gerechtigkeit, der auch die Götter unterworfen waren, daß die Seele dessen, der in Asgard verschied, zur Hel mußte. Wie wäre es sonst ein Sterben für die Asgardbewohner gewesen, wenn sie in derselben Stunde des Todes in Walhall auferstanden wären und wiederum unter Göttern und Helden gesessen hätten! Wer von den Göttern fiel, schied aus. Er gehörte der Hel. So verlangte es die ausgleichende Gerechtigkeit.

»Blutrache«, war der Götter erster Gedanke, als sie zur Besinnung kamen. Bei Göttern und Menschen, soweit es Männer waren, gab es kein heiliger Wort. Und sie blickten einander in die Augen, wer sie üben solle.

»Mein ist die Rache,« sprach Allvater, »aus meinem Blute wird Baldur gerächt werden. Euch aber brauch ich zu anderen Taten.« Und er ging hin und fand die riesische Jungfrau Ried, die sich zu den Asen hielt, und sie gebar ihm in selber Nacht einen Knaben, den Wodanssohn Wali. In selbiger Nacht wuchs Wali zu seiner ganzen Manneskraft auf, und er kämmte nicht sein Haar und wusch nicht seine Hände, bis er wichtigeres vollbracht hatte, das Wichtigste, das dem Bruder ziemte. Hödur, Baldurs Mörder, suchte er auf und traf den Unglücklichen am Rande der Morgendämmerung und erwürgte ihn. –

Neun Tage und neun Nächte ritt Hermod zur Hel. Er stob dahin, daß aus den acht Hufen Sleipnirs Funkengarben sprangen wie wirres Wetterleuchten.

Die Asen aber trugen Baldurs Leiche ans Meer und betteten sie hoch oben auf dem Holzstoß, den sie auf des toten Gottes Luftschiff Hringhorn geschichtet hatten. Wodan kam mit seinen Raben und Wölfen, und Frigg kam mit ihm und die Schar der Walküren. Mit seinem Bockgespann brauste der Donnerer herbei, Freyer fuhr mit seinem goldborstigen Eber, dem Geschenk der Zwerge, Heimdall, der getreue Himmelswächter, ritt seinen schnellen Hengst, und die liebliche Freya lenkte ihr Katzengespann. Zu Fuß, zu Roß und zu Wagen kamen die Götter und Göttinnen alle, und viel trauerndes Volk der Riesen und Alben kam, das, obschon es im ständigen Kampfe mit den Asen lag, den einzigen Baldur ausnahm aus aller Feindschaft. Die Himmel weinten, die Erde erschauerte im Schmerz, und ein wildes Klagen erschütterte die ganze Natur.

Nanna aber, Baldurs geliebtes Weib, die in des Gottes leuchtender und wärmender Liebe wie eine Blume gewesen war zwischen Blüte und Frucht, vermochte ihr Leid nicht mehr zu fassen. »Baldur!« schrie sie auf, daß der Schrei des Namens wie aller Klagen Klage durch die Welten lief, und in diesem einen Schrei brach ihr das Herz.

Da legten die Götter Nannas Blumenleiche auf den Holzstoß, und sie lag zur Seite des Geliebten, dem Frühling und Sommer das Leben waren.

Auf runden Hölzern ruhte das Schiff, um schnell in das Meer gerollt zu werden. Aber von allen Opfergaben war es so schwer, daß es sich nicht von der Stelle bewegte, denn auch Baldurs Sonnenroß, aufgezäumt in seinem blitzenden Geschirr, war auf den Scheiterhaufen geführt worden und Schätze über Schätze aus allen Landen. So sehr ward Baldur geliebt.

Die Riesen rieten in der Not der Götter, die Stärkste der Starken, das Riesenweib Hyrockin, holen zu lassen. Das Weib kam angesprengt auf einem gewaltigen Wolf, dem sie statt eines Zaumes eine Natter durch das Maul gezogen hatte, um den Göttern furchtbarer zu erscheinen. Und um die Götter mit ihrer Kraft zu schrecken, stieß sie, während vier Berserker ihren Wolf kaum auf dem Boden halten konnten, das Schiff mit einem so unbändigen Ruck ins Wasser, daß die Holzrollen Feuer spien und fast das ganze Schiff mit seiner heiligen Ladung vom unheiligen Feuer verzehrt worden wäre.

Blut trat dem Donnerer in die Augen. Er hob den Hammer, um die Unverschämte zu zerschmettern. Aber die Götter fielen ihm in den Arm, und die Riesen baten für ihr Leben, da ihr freies Geleit zugesichert sei. Da ließ er sie laufen.

Im Wasser schwamm das Schiff mit der teueren Last. Noch einmal nahm Wodan Abschied von dem schönen Leib des Sohnes und legte ihm als letzte Gabe den kostbaren Ring Draupnir auf den Holzstoß, den Tröpfler, das Geschenk der Zwerge, dem jede neunte Nacht acht neue Ringe enttropften. Dann trat der Donnerer an den Holzstoß und weihte die Götterleichen mit dem Zeichen des Hammers.

Alsbald entzündeten die Asen die Scheiter mit dem heiligen Feuer aus Asgard, und das Schiff fuhr wie eine Fackel hinaus auf das dunkle Meer, immer weiter und weiter, bis es in Flammen verging.

Fröstelnd kehrten die Asen, fröstelnd kehrten die Riesen und Albe heim. Wie in Todesfrost erschauerten die Menschen.

Immer aber und immer noch kreiste Nannas Schrei um Baldur durch die Welt und wollte nimmer vergehen. –

Neun Tage und neun Nächte ritt Hermod zur Hel. Er stob dahin, daß aus den acht Hufen Sleipnirs Funkengarben sprangen wie wirres Wetterleuchten. Das war das einzige Licht, das ihm den Weg erleuchtete durch die gräßliche Finsternis der Unterwelt.

Am Abend des neunten Tages gelangte er an den Totenstrom Gioll, der das Reich der Hel von allen anderen Reichen trennt, und die goldene Giollbrücke krachte in allen Fugen, als Sleipnirs Hufe über die Planken donnerten. Eine Jungfrau erschien, Modgud mit Namen, das ist »Seelenkampf«, die warf sich dem Reiter entgegen. »Wer bist du, und was suchst du Lebender im Reich der Toten?«

»Ich bin Hermod, Wodans Sohn, und suche Baldur, meinen Bruder.«

»Ich dachte es mir, daß du kein Gewöhnlicher bist,« entgegnete Modgud besänftigt. »Fünf Haufen Toter ritten gestern über die Brücke, aber die Hufe aller ihrer Rosse donnerten nicht so auf der Brücke, als die deines einzigen.«

»Sahst du auch Baldur reiten?« drängte der Ase sie.

»Wohl sah ich Baldur. Er ritt zur Ehrenhalle der Hel, wo sie selber thront.« Und sie wies ihm den Weg.

Weiter sprengte Hermod den Helweg durch die Finsternis und gelangte an ein haushohes Eisengitter, das die Wohnung der Hel umschloß. Siebenfach verriegelt war die Pforte und sonst kein Eingang und Ausgang.

»Sleipnir, es gilt«! hauchte Hermod dem Hengste ins Ohr und nahm ihn zum Sprunge zurück. Und Wodans Jagdpferd setzte an und setzte im Steilsprung über das Gitter und hielt wie aus Stein vor Hels Halle. Dankbar klopfte ihm Hermod den Hals. Dann trat er ein.

Den Asenmut nahm Hermod zusammen, als er das Bild, das dort sich ihm bot, erblickte.

Zur Hälfte schwarz, zur Hälfte fleischfarben, saß die grausige Hel mit hängendem Kopf und klaffenden Kiefern auf ihrem Thron. Unerbittlich war ihr Gesicht. Und um die Erbarmungslose geschart, saßen mit tottraurigen Augen Könige und Helden, die den Strohtod gestorben waren an Krankheit oder Altersschwäche, und nicht den Jubeltod im Schlachtenwetter, in dem die Walküren zu Wallhall entbieten.

So still und traurig war es, daß man die Tropfen von den Steinwänden fallen hörte in grauenhaft eintöniger Wiederkehr.

Auf hohem Ehrensitz, die Bank mit goldenen Brünnen, den Boden mit goldenen Fliesen belegt, saß traumverloren Baldur, von Nanna umschlungen. Vor ihm stand der Metkrug, wie vor den Königen und Helden, aber unberührt hatte ihn der Träumer gelassen. Des Gottes Geist träumte in die Zukunft.

Zu dem stillgewordenen Bruder trat Hermod und setzte sich zu ihm. Die ganze Nacht sprach er zu ihm über das Weh der Welt und über die Wünsche Friggs, den Sohn wiederkehren zu sehen zum Besten aller Wesen. Und Baldur hörte ihm zu und spann seine Gedanken.

Als der Tag anbrach, ging Hermod zum Throne der Hel.

»Wisse,« sprach er zu ihr, »daß ich dir die Wünsche der mächtigen Asen bringe, Baldur heimzusenden nach Asgard. Seit er schied, ist die Welt von Schmerzen erschüttert und will nicht mehr leben. Was aber sind die Götter, was bist auch du ohne die immer sich neugebärende Welt! Verzichte auf dein Recht auf Baldur, und die Menschen werden dich lieben, wie sie Baldur lieben.«

»Deine Worte klingen gut,« antwortete die finstere Hel, »aber der Bittende hat tausend Gründe, wo das Recht nur einen hat. Trotzdem: ich will deine Gründe erproben. Wenn alle Wesen und Dinge der Welt um Baldur als den geliebtesten und unersetzlichen weinen, so soll er heimkehren in das Licht. Weigert ein Einziges Liebe und Tränen, so muß er bleiben. Geh hin und künd es den Göttern.«

Und Hermod ging und nahm fröhlichen Abschied von Baldur, und Baldur gab ihm für Wodan den Ring Draupnir, den Tröpfler, zurück, da es im Reiche der Hel kein Verwenden für ihn gäbe. Und Nanna gab von den reichen Opfergaben, die ihren Holzstoß geschmückt hatten, Gewänder und Gewebe für Frigg und Freya und die Göttinnen alle. Hochgemut ritt Hermod den Helweg zurück, wußte er doch, daß alle Welt um Baldur weinte und weiter weinen würde, um Baldur, den jeder lieben mußte.

Wieder griff Sleipnir aus und donnerte den Helweg entlang. Und Hermod sah die Scharen der Müden und Stillen des Weges ziehn, die sich freuten, im Reiche der Hel die Ruhe zu finden, aber er sah auch die Scharen der Meineidigen und Mörder, und der Landesverräter, die schlimmer als Mörder und Meineidige sind, und sie durften nicht über die Brücke des Totenstromes Gioll hinüberwandern und mußten mit nackten Füßen durch das Flußbett waten, das mit hunderttausend scharfen Schwerterspitzen gespickt war. Brünstige Giftschlangen lauerten in Hels Reich auf die, die um eigenen Vorteils willen das Leben der Völker vergiftet hatten.

»Sleipnir, greif aus,« schmeichelte Hermod dem Hengst, und der Hengst verstand und stob durch die Hel und das ganze, unendliche Niflheim und gewann die Oberwelt und stürmte, die Wolkenrosse weit hinter sich lassend, nach Asgard hinauf, wo die Götter harrten.

Da herrschte Freude in allen Hallen, als Hels hoffnungsvoll klingender Spruch offenbar wurde, und alsobald eilten die Boten durch Himmel und Erde und Jotunheim und forderten die Tränen von den Lebendigen und von allen leblosen Dingen. Und die Menschen weinten mit den Göttern, und die Riesen weinten mit den Alben, von den Bäumen und Blumen tropften die Tränen, und selbst die Steine weinten, da Baldurs Sommer ihre Winternässe nicht mehr hinwegnahm.

Loki saß in einer Höhle und fürchtete fiebernd für sein Neidlingswerk. Er nahm die Gestalt eines Riesenweibes an und nannte sich Thock, als die Boten der Asen bei ihm einkehrten, das ist: das Dunkel.

Und die Boten sprachen: »Du bist das letzte Wesen, das wir fanden und noch nicht baten. So bitten wir auch dich: Weine, weine um Baldurs, des Vielgeliebten, Tod und Wiederkehr.«

Die Riesin Thock wiegte kaum den Kopf.

»Ich heiße das Dunkel und dämmere im Dunkel dahin. Was schiert mich der lichte Baldur! Sein Leben hat so wenig Nutzen für mich wie sein Sterben, und mein Auge hat keine Tränen. Hel behalte ihr Eigentum.«

Sie verschwand in der Tiefe der Klüfte, und die Boten erkannten entsetzt, daß es Loki gewesen war.

Gebrochen kehrten sie heim durch die Tränenbäche der Welt, die umsonst geflossen waren, und kündeten den Göttern das Geschehnis. In tiefem Schweigen vernahmen es die Asen. Sie blickten auf Wodan, den Vater. Der saß wie aus Stein, nur sein Einauge blitzte. Endlich erhob er sich.

»Die als Götter gelebt haben, müssen auch als Götter zu sterben wissen. Sprecht es weiter.«

Und er hüllte sich in Mantel und Hut, um Mimirs stillen Quell aufzusuchen. –

Ein Gastmahl bot Ägir, der Beherrscher der Meere, den Asen an, um sie seiner Freundschaft zu versichern. Und sie gingen alle hin, die Götter und Göttinnen, auf ein paar Stunden anderen Sinnes zu werden. Denn Ägirs kristallene Halle war eine Freistatt, und Frevel war, sie durch Streit zu entweihen.

So saßen sie bei dem Meerbeherrscher und freuten sich des Mahles und des Metes, und nur der Donnerer war abwesend. Plötzlich aber vernahmen sie heftigen Wortwechsel und sahen Loki, der sich die unantastbare Freistatt zu nutze machte und einzutreten begehrte. Als ihm der Türhüter den Zutritt um des Friedens willen Diener wehrte, schlug ihn der erboste Loki so hart, daß der treue entseelt zu Boden sank.

In wilderwachtem Grimm sprangen die Asen auf und griffen zu den Waffen, den Bösewicht unschädlich zu machen. Der aber berief sich höhnend auf die Heiligkeit der Freistätte und erzwang sich seinen Platz an der Tafel. Und während er frech zugriff und den Metkrug leerte wie ein gerngesehener Gast, überschüttete er Götter und Göttinnen mit Schmähreden, warf dem einen Ungerechtigkeit, Treulosigkeit dem anderen, Feigheit, Gier, Geilheit den Dritten vor und zieh die Göttinnen der Schamlosigkeit, der Unzucht und aller Weiberuntugenden von tausenden von Jahren. Seine Lästerzunge lief wie ein Rad. Er wußte, daß er verfemt war, und wollte darum Gift und Galle seiner verdorbenen Seele über die früheren Bank- und Fahrtgenossen ausspritzen, bevor er auf immer verschwinden mußte. Er schonte selbst die Himmelsmutter nicht und nicht die goldhaarige Sif, als Sifs Gatte, der Donnerer, eintrat und der Lästerzunge Einhalt gebot.

»Du willst mir gebieten?« höhnte ihn Loki, »du, der sich im Däumling eines Riesenhandschuhs verkroch?«

Schweigend griff der Donnerer nach dem Hammer Mjolnir. Die Sprache verstand der Verräter.

»Zum letzten Male sitzt ihr bei Ägir zum Trunk! Das letzte Bier hat er euch gebraut! Feuer soll bald diese Halle verzehren, wie euch Asen der Wolf verschlingen wird und Muspels Feuer und meine Tochter, die Hel!«

Kreischend schrie er seine Verwünschungen, und bevor die Götter einen Gedanken zu fassen vermochten, stürzte er sich in Gestalt eines Lachses ins Wasser und war verschwunden.

Die Asen machten sich auf.

»Der Tod wäre zu große Wohltat für solchen Bösewicht,« und sie kamen überein, ihn zu fangen und so zu fesseln, daß sein Weiterleben eine einzige Kette von Qualen bilden solle.

Von seinem Hochsitz aus blickte Wodan forschend in die Welt. Und er gewahrte Loki in einem Hause mitten in der Felsenwildnis sitzen, und das Haus war über einen Sturzbach gebaut und trug Fenster in allen vier Wänden. Beständig auf der Hut, lugte Loki rastlos nach allen Himmelsrichtungen aus und flocht dabei ein Netz, um Fische ins Garn zu locken.

Jäh sprang er auf. Er hatte das Nahen der Asen erspäht. Und mit einem Satz war er als Lachs in dem Sturzbach verschwunden.

Da fanden die Asen das Netz und nahmen es und zogen es quer durch den Sturzbach. Zweimal schnellte sich der Lachs über das Hindernis und verschwand in der Tiefe. Beim dritten Male geriet er in das Netz und hätte das Netz mit sich weggerissen, wenn nicht der Donnerer, der bis zur Brust im Wasser stand, zugegriffen und den Lachs beim Schwänze erwischt hätte Da half kein Drehen und Winden, des starken Asen Faust riß ihn aus dem Netz, das sich der Böse selber gefertigt hatte.

Loki, der Verderber des Himmels und der Erden, lag vor den Göttern.

Das Urteil war bald gefällt. In der Felsenwildnis, in die er sich begeben hatte, schmiedete man ihn an, den nackten Rücken auf den messerscharfen Felsenkanten, ihn, der vom Gott zum Unhold gesunken war. Sein verzerrtes Antlitz richtete man nach oben, daß er es nicht nach rechts, nicht nach links zu wenden vermochte, und befestigte über seinem Gesicht eine ekele Schlange, die ihm unaufhörlich die Gifttropfen ihres Schlundes wie brennendes Feuer ins Gesicht fallen ließ. Verlassen und verloren sollte er liegen und Qualen leiden bis an der Welt Ende ...

Die rächenden Götter waren heimgekehrt. Schaurig lag die Felseneinöde, durchgellt von den Schreien des Verdammten. –

Da tastete es auf nackten Sohlen durch die Felsenwildnis. Da huschte es auf blutigen Füßen durch das messerscharfe Gestein, und weitaufgerissene Frauenaugen suchten und suchten den Ort der Verdammnis, bis sie ihn fanden. Weiter huschte die Frau, bis sie neben dem Körper des Gefesselten niederglitt.

Das war Signy, des Bösen mißhandeltes Eheweib, dessen treues Werben er immerdar verspottet und mit Untreue gelohnt hatte. Was wußte Signy davon und von allen ihren Leiden? Sie sah nur den Mann, den sie geliebt hatte in seiner Schönheit und in seinen Fehlern, und den sie heute in seiner Qual mehr noch lieben mußte als je zuvor. Signy allein war zu ihm gekommen.

An seinen Fesseln biß und zerrte sie, ohne sie um Haaresbreite zu lockern. Ohnmächtig sank sie zuletzt in die Felsen. Aber das Brüllen des Verurteilten jagte sie wieder auf. Die Gifttropfen der Schlange zerbrannten und zerfraßen Loki das Gesicht. Und Signy ergriff einen Scherben und hockte sich neben den Mann und fing in ihrem Scherben die Gifttropfen auf, die niederfielen.

War die Schale gefüllt, so mußte sie sich einen Herzschlag lang wenden und die Schale entleeren. Dann fielen die Tropfen aus der Giftschlange Schlund aufs neue dem Elenden in die Augenhöhlen, daß er aufbrüllte vor wahnsinnigem Schmerz und sich in den Fesseln bäumte, daß die Menschen in allen Ländern erschrocken niederfielen und meinten, ein Erdbeben erschüttere die Grundfesten der Welt.

Und wieder saß Signy, die Treue, neben dem ungetreuen Manne und hielt ihm die Schale vor das Gesicht, wieder und wieder, in unermüdlicher Geduld.

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