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In Asgard saß Wodan, der Götter Haupt und Held. Eine Türschwelle hatte er vor dem Götterheim zu einem Hochsitz geschichtet. Wohl erwählt war der Platz, denn von dem Hochsitz aus überschaute Allvater die ganze Welt und alles Werden und Vergehen. Und er sah mit durchdringendem Auge, daß im Leibe der Erde ein seltsam Leben wimmelte.
Er berief den Götterrat, und sie erforschten, daß des Riesen Ymirs träges Fleisch voller Maden gesteckt habe, die sich, mit der Verwandlung von Ymirs Fleisch in fruchtbaren Erdboden, ebenso zu einer höheren Stufe entwickelt hatten und als absonderliche Zwerge und Wichte zwischen den Rippen der Erde wühlten. In guter Laune formten und feilten die Götter an den drolligen Gestalten, ohne sie um vieles schöner herausputzen zu können, schlossen sie deshalb vom Tageslicht aus und bannten sie ins dunkle Erdinnere zurück, beschenkten sie aber in göttlichem Mitleid mit Verstand und Rückerinnern.
Und Allvater sprach:
»Nur der vermag das Sonnenlicht auf Erden zu ertragen, der in der Sonne geboren ist. Das Sonnenlicht hebt die Gedanken stolz und hoch zum Himmel und schafft ihnen höhere Gleichnisse. Darum taugt es nicht, daß die Unterirdischen die Macht auf Erden gewinnen, denn ihre Gedanken steigen in die Dunkelheit und zum wimmelnden Gewürm.«
Und Wodan warf seinen Sturmmantel um und entbot Hönir, den Gott des Waldes und der Heide, und Loki, den Heißen und Leuchtenden, dem das Feuer untertan war, und fuhr mit den Ratgesellen zur Erde.
Sie wanderten dahin im Licht der Sonne, die aus Muspelheims Funken am Himmel hing, und das Schweigen der Wälder umgab sie. Prüfend gingen ihre Augen über alles, was war. Und sinnend schritten die drei Götter dahin.
Da bot sich ihnen auf der Lichtung eines Hügels ein wunderbares Bild. Kraftvoll war es und lieblich zugleich. Vom Schatten des Waldes umkränzt, hob sich sonnenübergossen der blumige Hügel, und eine mächtige Esche reckte sich darauf und eine breitausladende Ulme, und beide streckten sie ihre Wipfel sehnsüchtig dem Himmel entgegen, und sehnsüchtig vermählte sich ihr starkes Untergeäst, als wollte ein Baum den anderen stützen und umschlingen, und ihre Wurzeln tranken tief aus der Erde, während ihre Wipfel hoch nach dem Himmel verlangten.
In lächelnder Gewähr blickte Allvater Wodan auf das Bild, segnend stand Hönir, der Wälder Gott, feurig und leidenschaftlich trat Loki heran.
Und Wodan nickte mit dem Haupt und strich mit leisen Händen über die Rinde der Bäume. Und von seinen Händen ging eine Kraft aus, die drang in das Mark der Esche und drang in das Mark der Ulme und erfüllte beide mit der göttlichen Seele.
Da ging ein Raunen und Rauschen durch die Bäume von der Wurzel bis zur Krone.
Und Hönir tat wie Wodan und streichelte liebkosend Stämme und Blätterdach und flüsterte mit ihnen.
Da standen Esche wie Ulme horchend und wurden sehend und regten ihre Äste und standen, mit offenen Sinnen, in freier Bewegung in all der Sonne.
Der feurige Loki aber sprang vor, riß sie an seine Brust, daß sie taumelnd die Glut seines Herzens spürten, ließ einen Blutstropfen in sie überspringen und gab die Menschgewordenen aus seiner brünstigen Umarmung frei.
Auf der Erde standen die ersten Menschen. –
Und die ersten Menschen sahen die Götter und sahen dann sich selbst. Und sie erblickten in ihren Augen die Sonne des Himmels und schritten mit heißen Wangen aufeinander zu und faßten sich bei den Händen.
Ask hieß die Esche. Embla die Ulme. So hießen die ersten Menschen. Und Embla lehnte ihr Haupt an die Schulter des Ask, wie Frigg getan hatte, die erste Göttin, als sie Wodan erblickte.
Da winkte Wodan seinen Gefährten und fuhr mit ihnen gen Asgard zurück.
»Wir gaben ihnen viel,« sprach Wodan, »mehr noch müssen sie sich selber geben.«
Die Gefährten suchten Allvaters sinnenden Blick.
»Die Erkenntnis,« sprach Wodan, »daß sie nur mit den Göttern Edelmenschen und Herren der Erde sind; ohne die Götter – Schlagholz im Walde.«
Loki erwiderte: »Aus dem Schlagholz im Walde springt hell und lustig die Flamme. Das deucht mich kein übles Los.«
»Wehe den Menschen,« sprach Wodan, »die göttliches Feuer mit irdischer Flamme verwechseln. Die irdische Flamme ist die Zerstörung, die göttliche führt zur Ewigkeit.«
Da schwieg Loki. –
Auf dem Hochsitz über der heiligen Türschwelle saß Wodan und blickte über die ganze Welt. Von den Tieren, die er erschaffen hatte, hatte er zwei Raben ausgewählt, die hießen Hugin und Munin, Denkkraft und Erinnerung, und hockten ihm zur Rechten und zur Linken auf der Schulter. Täglich sandte er sie über die ganze Welt hinaus, und was sie auf ihren Flügen erspäht hatten, flüsterten sie Wodan ins Ohr, wenn sie auf seinen Schultern hockten. An seine Füße schmiegten sich zwei graue Wölfe, Geri und Freki geheißen, des Gottes würgende Jagdhunde, wenn er als wilder Jäger durch die Lüfte brauste oder über die Walstatt der Kämpfer.
Von Asgard, der himmlischen Heimburg, blickte mit Wodan die Schar der Götter hinunter nach Midgard, ins Land der Menschen. Und der göttliche Teutsohn Mannus ersah mit Freuden ein kraftvolles Menschenkind mit goldrotem Haar und blaublitzenden Augen, das der Umarmung des Ask und der Embla entsprossen war, und er suchte sie auf in Midgard, und sie verbanden sich in Liebe und Kraft. Da wurden ihre Söhne Ingo, Isk und Irmin nach Ask, dem Urvater, die ersten Männer, die über das Erdreich schritten, und waren die Stammväter der Deutschen.
Unter den Göttern war Heimdall, der lichte Ase, den Wodan zum Wächter gesetzt hatte über alles Geschehen. Nie kam ihm der Schlaf. Vor der Sonne schon beleuchtete er den Himmel- und Erdenkreis mit goldenem Frührot und horchte aufmerksam auf die Atemzüge der Welt. Heimdall aber sah, wie schnell sich das Menschengeschlecht vermehrte und wie es nicht zum frohen Genusse des Lebens kam, weil ihr Schaffen ungeordnet war und ein Jeder jede Arbeit tat, ohne sie recht zu verstehen. So mühten sie sich ohne Erfolg und bald ohne Freude und brachten es zu nichts. Das bekümmerte den guten Gott, und er beschloß Wandel.
In menschlicher Gestalt betrat er die Erde und spähte in alle Hütten. Und er ersah ein Ehepaar, das war knochig und gedrungen und muskelhart an Armen und Beinen. Es buk sein schwarzes Brot aus den Körnern, wie sie vom Felde kamen, und trank die Milch warm, wie sie die Euter der Kühe spendeten. Zu ihnen trat Heimdall als Gast, und als er mit ihnen gegessen und getrunken hatte, weissagte er ihnen, daß aus der anspruchslosen Kraft die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde, und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frühlicht.
Die Frau aber gebar nach kurzem einen Knaben von schwerem Körperbau, und als er aufwuchs, rodete er Äcker, bestellte sie von morgens bis in den Abend und umzäunte sie, bewässerte Wiesen und schuf Weideland für Pferde und Kühe, Ziegen und Schafe und trieb die Schweine zur Mast in den Eichenwald. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts und lehrte wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich bei allem Mühen, und wenn er durch die wogenden Saaten schritt und durch die wachsenden Herden, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meiner Hände, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.
So wurde der Bauernstand, und er war göttlich durch Heimdall, den Wächter.
Und Heimdall spähte weiter in alle Hütten der Menschen, und er erschaute ein Ehepaar, das war stattlich und von kluger Stirn, hinter der die Gedanken arbeiteten. Der Mann hatte der Frau einen Spinnrocken geschnitzt und sich selber einen Webestuhl, und sie spannen und webten Linnen und Tuch und schmückten sich mit den schönen Gewändern, auf daß sie eine immer größere Freude aneinander hätten trotz Wind und Wetter. Bei ihnen trat Heimdall ein, und sie luden den Fremdling zu Gast, und die Frau kochte auf dem Herdfeuer ein feines Gericht aus den Kräutern des Gartens und zartem Fleisch. Und als der Gott sich gesättigt hatte, weissagte er ihnen, daß aus der durchdachten Kunst ihrer Handfertigkeit die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde, und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frühlicht.
Die Frau aber gebar nach kurzem einen Knaben, der war schlank und gelenkig und von besonderem Verstande. Als er aufwuchs, zimmerte er kunstvoll verzierte Häuser und weitgeschwungene Hallen, baute Schmiedewerkstätten, in denen aus den Erzen der Erde köstlicher Schmuck bereitet wurde und aus dem Eisen Schwerter und Pflugscharen, veredelte Rocken und Webstuhl und mit ihnen Gespinnst und Tuch und tauschte seine Erzeugnisse mit den Früchten des Bauern und dem Fleiß aller Welt. Sein Tagewerk ging grübelnd und wirkend bis in die Nacht, und er lehrte es wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich bei allem Mühen, und wenn er durch Häuser und Hallen und Werkstätten schritt, und sein Auge Gewebe und Schmuck jeder Art, Waren und Werkzeuge musterte, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meines Hauptes und meiner Hände, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.
So wurde der Gewerbestand, und er war göttlich durch Heimdall, den Wächter.
Und zum drittenmal spähte Heimdall in alle Hausungen der Menschen, und er erblickte ein Ehepaar, das war schlank und muskelhart zugleich, stark und furchtlos wie kein anderes, und wer Rat und Tat suchte, klopfte an seine Tür. Der Mann kam staubbedeckt von der Jagd, warf das Untier des Waldes, den erlegten Bären, vor die Feuerstelle und spannte den Bogen neu und schärfte die Speerspitze nach, bevor er sich erfrischte. Lachend schloß die schöngeschmückte Hausfrau den Wilden in die Arme. Und er saß bei ihr, den Arm um ihren Nacken geschlungen, und besprach mit ihr all sein tapferes Planen gegen das Raubzeug der Tiere, der Menschen und der bösen Geister, und sie gab ihm Rat und rief das Gesinde der Mägde und lehrte sie, das Wildpret zerlegen, zubereiten und die Armen und Hungrigen damit sättigen. Und Heimdall trat zu dem edlen Paar an den gastfreien Tisch, ließ sich den Bärenschinken munden und den schäumenden Met aus dem Auerochsenhorn, freute sich der würzigen Reden und weissagte den Starken zum Dank, daß aus ihrer Kraft und ihrem hochgemuten Sinn die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde über das Haus hinaus zum Besten aller, die um das Haus sich scharten. Und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frührot.
Die Frau aber gebar nach kurzem einen Knaben, der hatte die Kraft des Bären, die Schnelligkeit des Hirschen, das Auge des Falken. Stärker aber, rascher und schärfer noch war sein Geist. Und Geist und Körper waren wie Blitz und Schlag. Als er der Wiege entsprang, rannte er in den Wald, erkletterte er die Berge und ließ sein Jauchzen erschallen, daß die Menschen, die ihn hörten, Kopf und Nacken streckten und das Echo jubelten. Auf der Wiese griff er sich die Hengste und ritt mit den Winden um die Wette, ohne zu ermüden. Sein Pfeil holte den Vogel aus der Luft, sein Speer den Wolf auf der Flucht. In der Brandung der See kämpfte er mit den geschmeidigen Robben, als stände er auf festem Land. Und wo es Hilfe galt, war er der erste. Als er heranwuchs, baute er eine feste Burg, und die Nachbarn siedelten sich an im Schutz seiner Mauern und seines Schwertes. Im Kampf mit dem Feind war er allen voran und zeigte den Seinen den Sieg! Im Gericht kannte er nur die Gerechtigkeit, dann erst die Milde. Im Rat aber war er, daß alle Nachbarn ihm ihre Sorgen brachten, und er nahm sie, als wären es die seinen. Sein Leben war Kampf und Sieg, für die andern mehr denn für sich, Tag und Nacht, ohne die Rast des Bauern, ohne die Ruhe des Bürgers, und er lehrte es wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich Bei allem Mühen, und wenn er durch die Schanzen seiner Burg, durch die Reihen seiner todesmutigen Mannen, durch die Gehöfte und Siedlungen der glücklichen Bauern und Bürger schritt, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meines Geistes, der mich und die Scharen lenkt, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.
So wurde der Stand der Krieger und Heerkönige, und er war göttlich durch Heimdall, den Wächter.
Von Stund an tat jeder der Stände seine Pflicht in seinem Kreis, und es herrschte in der Menschen Leben, ihrer Arbeit und ihrer Freude Ordnung und Lohn. –
Lächelnd reichte Wodan Heimdall die Hand zur Heimkehr. Auf dem Hochsitz über der heiligen Türschwelle saß er und ließ eine Esche wachsen, die ihre Wurzeln in alle Welten senkte und deren Krone bis nach Asgard ragte. Drei Wurzeln senkte sie hinab. Die eine saugte ihre Säfte aus einem Brunnen unter Midgard, der Menschenerde, an dem die Schicksalsfrauen wohnen, die Nornen Urd, Skuld und Werdandi, die Künderinnen alles Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen im Menschenleben. Die zweite Wurzel saugte ihre Säfte aus einem Brunnen unter Niflheim, dem Geheimnis der Totenwelt, und der Drache Nidhögg benagt sie, um sie zum Sterben zu bringen. Die dritte Wurzel aber saugte ihre Kräfte aus einem Brunnen unter Utgard, der Welt der Riesen und Trolle, und Mimir birgt sich in ihm aus Ymirs Geschlecht, der Wissen und Weisheit aus der Urzeit bewahrte, bevor die Götter waren.
Yggdrasil, Baum des Gerichts, hieß die Esche, die Allvater gepflanzt hatte, um alle Welten fest ineinander zu wurzeln unter der Herrschaft des Himmels. Einen Adler setzte er in die Krone mit einem Falken zwischen den Augen, daß ihm nichts entgehe. Ein Eichhörnchen hüpft den Stamm hinauf und hinunter und hinterbringt dem Adler und dem Drachen alle Scheltworte, die der eine dem anderen gönnt. So bleiben sie alle zornig wach.
Und Allvater lachte zufrieden. – – –