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In den Kreis der Asen war Njord ausgenommen mit seinem Sohne Freyer und seiner Tochter Freya. Gewaltiger Reichtum kam mit ihnen nach Asgard, aber auch viel böse Lust nach Reichtum und manche Sucht nach räuberischem Erwerb. Mehr und mehr ging die Schlichtheit der Lebensführung dahin. Die Gelage mehrten sich, die Abenteuerfahrten dehnten sich aus, Liebeshändel kamen auf und nahmen zu im Himmel und auf Erden, die Freude am Kriege erwachte und führte in ihrem Gefolge Gewalttat, List und Betrug.
Wohl waren die Wanen, die von nun an zu den Asen gerechnet wurden, vornehme Wesen, doch ihre ganze Art und Daseinsauffassung war freier, üppiger und leichtherziger, und der Aufwand, den sie trieben und der den Menschen reichere Opfer und prunkvollere Feiern auferlegte, brachte die Asen von ihrem einfachen Götterwandel ab und näherte sie den Begierden und Untugenden der Menschen.
Njord liebte Jagd, Seefahrt, Fischfang und Handel. Er machte das Meer fruchtbar und bevölkerte die Wälder mit Wild. Er beschenkte die Menschen mit Reichtum, gab den Schiffen günstigen Wind und ruhige See, den Jägern Beute über Beute. So riefen ihn alle an, die Seefahrt und Jagd betrieben. Auch stammte die Göttin Nertha von ihm, die in heiligem Hain am Meeresstrande wohnte und die Fluren segnete zu wogenden Saaten.
Schön war Freyer, sein Sohn. Schön fast wie Baldur. Licht und heiter übte er sein Amt als Himmelsgott, tat es seinem Vater gleich in der Spendung von Reichtum und Fruchtbarkeit und schätzte deshalb den Frieden, damit seine Gaben zu gedeihen vermöchten und Freude brächten. Doch war er aller ritterlicher Übungen nicht minder Herr, und er besaß ein Roß, das wabernde Lohe durchstürmte, und ein Schwert, das sich von selber schwang, galt es einen Feind.
Die schönste im Himmel und auf Erden war Freya, Freyers Schwester. So reizvoll war sie an Wuchs, Antlitz und Gebärde, daß sie Götter und Riesen, ja Menschen und Zwerge entzückte und berückte und keine Göttin begehrter und verehrter war als sie. Als Göttin der Liebe wurde sie angerufen, gefeiert und besungen; viele der Helden wünschten sich zu ihr und die Frauen verlangten nach ihrem Saal, wenn der Tod ihnen nahte. Folkwang hieß ihr Wohnsitz in Asgard, das ist »Sammelstätte des Volkes«, und Seßrymnir ihr Saal, »der an Sitzen geräumige«. Die Zauberkunde der Wanen, die den derben Asen fremd gewesen war bis auf Wodans Runen, brachte sie nach Asgard und lehrte vor allem den Liebeszauber Götter und Menschen. Fuhr sie sichtbar hinaus, so fuhr sie auf einem schimmernden Wagen, den ein geschmeidiges Katzenpaar zog. Fuhr sie heimlich hinaus, so legte sie ihr zaubrisches Falkenhemd an, daß sie blitzschnellen Flugs wie ein Vogel durch die Lüfte glitt. Sie war so heiter, daß sie ihre Sitten oft und gerne darüber vergaß, und wo sie erschien, herrschte Jubel und Seligsein.
Die Besten ihres Geschlechtes hatten die Wanen hingegeben. Was sie dagegen erlangt hatten, war kein guter Tausch und ließ sie bald verkümmern. Wohl wußte Hönir, der ihnen von den Asen zugeteilt war, immerdar klugen Rat, solange der weise Mimir bei ihm stand und ihm Rede und Antwort einflüsterte. Geschah es aber, daß Mimir abwesend war und die Wanen guten Rats bedurften, so wußte sich Hönir, den sie zum Häuptling erkoren hatten, nicht zu helfen und stammelte schwerfällige Worte, die nichts besagten. Stutzig geworden, forschten die Wanen dem Rätsel nach. Und sie erforschten Mimirs Herkunft und den Betrug beim Vergleich und ergrimmten dermaßen, daß sie Mimir das Haupt abschlugen, das Haupt des Getöteten höhnisch heimsandten und den Asen vor die Füße werfen ließen.
Wortlos hob Wodan das Haupt des erschlagenen Freundes auf. Er salbte es ein und besprach es mit Runensprüchen, die das tote Hirn auferweckten und der Zunge die Sprache wiedergaben. Zur Weltesche Yggdrasil ging er in der Nacht und stieg durch die Welt hinab bis zu Mimirs Weisheitsbrunnen. In dem blanken Brunnen barg er Mimirs Haupt, und oft stieg er vom Himmel hinab zu dem tiefen Brunnen, wie die Sonne hinabsteigt ins Meer, und holte sich neue Kraft und Weisheit zu allen seinen schweren Werken.
Denn oft machten die Götter Allvater das Leben schwer durch wenig vorbildliches Wesen, und die Menschen eiferten ihnen lieber in den Untugenden als in den Tugenden nach, weil die Untugenden leichter zu verrichten und meist um ein bedeutendes fröhlicher waren. Seit Freya durch den Himmel schritt, gab es unter den Göttern und Göttinnen viel Eifersucht, Neid und Streit. Die lose Liebesgöttin aber hatte ihre heimliche Freude daran und suchte immer neuen Anlaß, sich zu schmücken und die anderen zu reizen. So fand sie einst in einer Höhle vier Zwerge bei der Arbeit, die ein goldenes Halsband von blendender Schönheit und unermeßlichem Werte schmiedeten. Sofort beschloß sie, es zu besitzen. Aber die Zwerge, von den nie erschauten Reizen Freyas berauscht, lehnten jeden dargebotenen Preis ab und forderten endlich auf der Liebesgöttin Drängen für einen jeden von sich eine Liebesnacht mit der lachend gewährenden Göttin. Nach vier Nächten kehrte sie nach Asgard zurück, und um Hals und Nacken trug sie das Wundergeschmeide Brisingamen, dessen Name soviel heißt wie Zusammenflechter, denn wenn sie erwachte und Brisingamen um Hals und Nacken legte, glitzerte es über Himmel und Erde, und das Frühlicht stieg auf, das den jungen Tag mit der schwindenden Nacht zusammenflicht.
Weit rissen die Götter die Augen auf, als Freya so goldenstrahlend vorüberschritt. Und Loki, der listenreiche, sann auf einen ebenbürtigen Schmuck, und er sah Sifs, der Gattin Donars, den sie auch Thor nannten, goldwogendes Haar und schlich ihr heimlich nach und schnitt es ihr ab. Tobend vor Grimm suchte Thor den Täter. Bald hatte er Loki erwischt, und seine mächtigen Fäuste packten den Geschmeidigen, daß ihm die Knochen im Leibe krachten. Wie ein Wurm wand sich Loki und schwur alle Eide, der weinenden Sif neues Haar zu schaffen aus echtestem Gold und so fein gesponnen wie Sonnenstrahlen. Da gewährte Thor ihm Zeit, denn ihm lag daran, die Schönheit seines Weibes wiederhergestellt zu sehen und den Spott zum Verstummen zu bringen. Und der geängstigte Loki fuhr ab zu den Zwergen.
Zwei Zwergenbrüder waren Brock und Sindri, die galten für die größten Meister aller Unterirdischen. Freundlich sagten sie dem geängstigten Gotte zu, sein Begehr zu erfüllen, und sie schmiedeten das Gold und zogen es in Fäden so fein wie Sonnenstrahlen, und da ihre Kunst eine lebenschaffende Kunst war, wie nur die echte Kunst, so gewann das Goldhaar alle Eigenschaften des natürlichen Haares und wuchs in goldenen Locken. Die freundlichen Zwerge aber wollten Loki nicht reisen lassen, ohne ihm Weihegeschenke mitzugeben für die heiligen Götter, und sie schmiedeten für Wodan den wunderbaren Speer Gungnir, dessen Wurf, ja dessen bloßer Schwung den Tod bringt, und für die anderen Asen das Wunderschiff Skidbladnir, das ohne Wind zu fahren vermochte und durch den ärgsten Sturm, und das sich zusammenfalten und in die Tasche stecken ließ.
Lüstern sah Loki den Künstlern zu, und seine arglistige Seele sann, wie er den Zwergen noch andere Meisterwerke entlocken könne. Da nun der Zwerg Brock den Hauptanteil an der Arbeit getan hatte, so gedachte Loki, einen der Zwerge gegen den anderen auszuspielen, und er wettete scheinbar harmlos und wie aus fröhlicher Laune heraus, daß Brocks Bruder Sindri die drei Meisterwerke nicht durch seine Kunst überbieten oder auch nur annähernd Gleichwertiges schaffen könne. Brock, der seinen Bruder zärtlich liebte, nahm sofort Partei, und Loki reizte ihn in eine Wette hinein, in der der listige Gott sein Haupt verwettete gegen die drei Kleinodien, die nunmehr Sindri schaffen solle.
Ohne zu zögern, begann Sindri sein erstes Werk. Und als es so weit war, daß es ins Schmiedefeuer mußte, um geglüht und gehärtet zu werden, zog Brock den Blasebalg, ohne auch nur eine Pause zu machen.
»Weshalb setzest du nicht einmal aus?« forschte Loki wie in harmloser Neugier.
»Zöge ich den Blasebalg nicht nach Gebühr und setzte ich nur eine Sekunde aus,« erwiderte der Zwerg, »so würde das Werk einen Fehler erleiden.«
Da verwandelte sich der ränkereiche Gott schnell in eine Stechfliege, flog auf Brocks Hand, die den Blasebalg zog, und stach ihn in den Finger. Aber Brock verbiß den Schmerz, um des Werkes seines Bruders willen, und hielt aus, bis das Werk fertig aus der Esse kam. Da war es ein Eber mit goldenen Borsten, der schneller als ein Himmelsroß durch die Lüfte rannte und dessen goldene Borsten taghell die dunkelste Nacht durchleuchteten.
Und Sindri begann sein zweites Werk, und als es im Schmiedefeuer lag und Brock den Blasebalg zog, flog ihm Loki als Stechfliege in den Nacken und stach erbärmlich zu. Aber Brock zuckte nicht mit der Wimper, so wahnsinnig der Stich ihn schmerzte, bis das Werk fertig aus der Esse kam. Da war es der Ring Draupnir, der Tröpfler, von dem in jeder nennten Nacht acht neue kostbare Ringe abtropften, so daß sein Besitzer immer der Reichste war.
Und Sindri begann sein drittes und letztes Werk und schob es in das Schmiedefeuer, und Brock zog den Blasebalg in brüderlicher Treue. Da setzte sich ihm Loki als Stechfliege mitten auf das Augenlid und stach in, daß ihm das Blut in die Augen floß. Brock zog und zog, bis er vor rinnendem Blut nicht Esse noch Blasebalg mehr erkennen konnte. Eine Sekunde nur ließ er los, schlug nach der Fliege und wischte hastig das Blut aus den Augen. Aber er hatte ausgehalten bis gegen den Schluß, und als Sindri das Werk aus der Esse nahm, war es ein Hammer, Mjolnir, der Zermalmer, der nie zerbrechen konnte, nicht an Stahl und nicht an Stein, und, wenn er geworfen wurde, immer in die Hand des Werfers zurückkehrte. Nur der Hammerstiel war ein wenig zu kurz geraten. Das war geschehen, als Brock das Blut aus den Augen wischte.
Voller Zorn über Lokis Arglist und Tücke verlangte Brock den Preis der Wette, Lokis boshaftes Haupt. Loki aber lachte ihn aus und wies auf den Hammer, der mißraten sei. Da machte sich Brock mit Loki auf nach Asgard, den Göttern die Gaben zu bringen und ihren Schiedsspruch anzurufen.
Wie staunten die Götter über die Wunderwerke, über Sifs goldenes Haar, über Wodans Todesspeer und über das zaubertätige Götterschiff. Mehr aber noch staunten sie über den Ring Draupnir, den Tröpfler, den der Zwerg Allvater Wodan zur Gabe brachte, über den rennenden Goldeber, den er dem Wohltäter Freyer verehrte, und am meisten über den Hammer Mjolnir, den Zermalmer, denn es fehlte ihnen an gewaltigen Waffen, denen der Feind nichts entgegenzusetzen wußte. Und Brock überantwortete den Hammer dem freudig zugreifenden Thor.
Und Thor sprach:
»Es ist der Hammer und der Mann, der hinter ihm steht, auf den es ankommt. Mag der Stiel nun lang oder kurz sein.«
Da fiel der Schiedsspruch der Götter zugunsten des Zwerges, und Loki legte sich auf das Handeln und bot allerlei Lösegeld, aber der erzürnte Zwerg beharrte auf seinem Preis.
»So hol dir den Kopf, du verkümmerter Gnom,« lachte Loki und entglitt dem Verhöhnten auf seinen Zauberschuhen in die Lüfte.
Thors Biedersinn empörte sich über Lokis Betrug. Er schirrte seine Böcke vor den Donnerwagen, den Zahnknisterer und den Zahnknirscher, und brauste hinter dem Flüchtenden her. Er holte ihn ein, zwang ihn in den Wagen und brachte ihn dem Zwerg.
»Halt,« rief Loki, als der Zwerg das Messer zog, um den erwetteten Kopf herunterzuschneiden, »nur der Kopf ist dein; schneidest du mir in den Hals, so gilt es dein Leben.«
Da lachten die Götter über Lokis gelungenen Scherz, daß die Halle erbebte. Der Zwerg stand betroffen. Ohne den Hals zu verletzen, vermochte er den Kopf nicht abzulösen. Aber er zitterte nach Genugtuung. Und da der Kopf sein war, ergriff er wütend eine Ahle und einen Riemen und nähte dem Lästerer Loki das böse Maul zu. Dann erst trollte er sich befriedigt.
Lange ließen die Götter Loki mit vernähtem Lästermaule laufen. Dann aber fehlte ihnen sein scharfer Witz wie sein kluger Rat, und sie zogen den Riemen heraus. Denn sie wußten sich in einer schweren Sache, die den Himmel bedrohte, nicht zu helfen.