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Siebentes Kapitel
Die Botschaft Isidoras ins Grillenhaus

Der kurze Tag war zu Ende. Ging's auch mählich auf den Frühling zu, draußen war noch Winternacht und Graus, die Turmstube aber warm und heimelig. Der Jörg schnitzte Späne und träumte dabei von alten Zeiten und von Menschen, die längst der grüne Hügel deckte.

Frau Isidora saß in ihrem Haus und erwartete Besuch. Die Fäden mußten sich nun bald zum glücklichen Ende zusammenschließen. Das Werk der Turmverschwörung stand vor der Vollendung. Hans Jakob hatte gemeldet, daß seine Stammburg in ihren Grundfesten erschüttert sei, seit Kaspar und Nickel, die beiden Wanderratten, solch mächtige Einfallstore von unten her geschlagen hätten. Was noch zum völligen Zusammenbruch fehle, das werde er mit seiner Sippe bis zur Wiederkehr der Schwalbe und des Storches leisten.

Nun mußte der alte Jörg auf sein Glück vorbereitet werden. Er allein durfte zur rechten Stunde auf dem rechten Platz stehen, wenn der Schatz zum Heben bereit war.

Mit diesen Gedanken hatte sich Ludmilla, die Eule, in nachdenksamen Stunden beschäftigt, und Isidora, die Kreuzspinne, spann das letzte Gewebe. Der Plan war fertig.

Wohnte nicht beim Jörg der Künstler Ambros Grille mit seinem wunderbaren Geigenspiel, dem der Turmherr so gerne lauschte? Konnte Ambros nicht in seinen Liedern singen und sagen von dem vergrabenen Schatz, von wannen er gekommen und wann und wo er zu heben sei? Ja, so ging es! Die Melodie blieb dem Künstler überlassen, den Text zu seinen Liedern aber schickte ihm Isidora.

Wo blieb denn der Kanker, der langbeinige Weberknecht, der Liebes- und Kampfbote des Stadttores? Endlich kam er mit großen Schritten ins Haus. Den Tag über war er müde in seiner Wohnung draußen am Turm in einem Steinspalt gesessen und hatte seine langen Beine für die nächtliche Arbeit gestärkt.

Als er bei Isidora eintrat, stieß er in der Hast unversehens an die Kante des Fensters.

»Au«, schrie er und zog ein Bein hoch. Isidora sah sofort, daß es gebrochen war.

»Schrecklich, Sepp!« sagte sie mitleidsvoll, »die Schlankheit deiner Beins ist ein Fluch für dich. Sie sind dein Stolz, deine Schönheit, aber auch dein Verderben! Und doch hast du wieder Glück im Unglück wie immer. Nur eins ist gebrochen und sieben sind noch heil. Also tröste dich!«

Der junge Kanker war ein unbesorgter, leichtherziger Geselle, wie es Laufburschen fein müssen. Er nahm nichts auf die Dauer schwer. Deshalb hatte er auch im Lernen fast gar keine Fortschritte gemacht. Zum Leidwesen seiner Tante Isidora verstand er von der Webekunst rein gar nichts, weshalb er auch den etwas verächtlichen Familiennamen »Weberknecht« führte. Er selbst trug ihn aber mit ebensoviel Stolz wie seine acht langen Beine. Eben hatte er mit einem Sprunge, um den ihn eine Katze beneiden konnte, zwei Käfer erhascht, die leichtsinnig einen Abendbummel vor dem Fenster machten.

»Siehst du, Tante«, rief Sepp lachend, »es geht auch mit 7½ Beinen! Nur gut, daß mein Magen nicht so zerbrechlich und dünn ist wie meine Beine.«

»Hast recht, Kankerlein!« sagte Isidora, die ihrem Neffen zugetan war, »du hast eine prächtige Heilhaut! Im Nu wächst dir alles nach. Wie lang wird's dauern, dann springst du wieder auf allen achten durch die Welt, du Bruder Leichtfuß.«

Draußen flog ein Nachtfalter vorbei, zitterig und unbeholfen. Er mochte zu früh aus seinem Winterhäuslein entflohen sein.

»Servus«, schrie der lustige Sepp, »komm ins Warme!« Damit hatte er den Falter verschlungen.

Nun aber wollte Frau Isidora den Kanker mit der Botschaft an Ambros Grille beauftragen.

»Komm, Kankerlein«, sprach sie zärtlich, »du sollst im Dienste unseres Turmbundes handeln.«

»Bekommt die blonde Annemarie bald ihr Krönlein aufs Haupt?« fragte Sepp und machte mit seinen 7½ Beinen einen lustigen Luftsprung.

»Wenn Schwalbe und Storch uns wiederkehrt!« sprach ernst und feierlich Isidora. »Und nun setze dich gefälligst einige Augenblicke und höre mir in Ruhe zu! Kannst du dir einige Verslein merken?«

Sepp kratzte sich mit zwei Beinen hinter den Ohren.

»Schwer, schwer, Tante!« seufzte er, »war in der Schule beim Auswendiglernen immer auf der letzten Bank. Wenn es aber für das blonde Kind geht, will ich meinen Mann schon stellen, wenn es meinem Schädel noch so hart fällt. Hoffentlich reimen sich die Verse? Die Dichter, die nicht reimen, sind mir in der Seele zuwider seit meiner Schulzeit her.«

»Ach Seppl, du bist und bleibst ohne Kunstverständnis! Aber ich werde dir die Sache so leicht als möglich machen und die Verse, die Ludmilla, die Eule, verfaßt hat, in deine Sprache umdichten nach dem Rezept: Reim dich oder ich freß dich. Setze dich nun still nieder und höre mir zu!« Der Kanker setzte sich gehorsam neben Isidora und bemühte sich, Aug' und Ohr zu sein. Nur in seinen Beinen zuckte die Erregung.

Isidora sprach in feierlichem Ton:

»Ambros Grille muß sich von morgen an ganz und ungeteilt unserem Turmherrn widmen. Sein Weib Kreszenz mag die Kinder versorgen, sie werden es auch ohne Wiegensang aushalten. Der verwöhnt nur die ungeberdige Jugend. All sein Singen muß nach unserem Texte gehen. Das sagst du ihm im Auftrage unseres Geheimbundes.«

Sepp schaute ernsthaft seine Tante an und fragte leise: »Und den Text? Das sind die Verse, die ich merken muß?«

»Ja«, antwortete Isidora »und wenn du guten Willen hast, wirft du sie lernen können. Nun höre den ersten Sang: ›Wenn's Schwälblein fliegt zum Nest unterm Tor, dann lausche und höre mit feinem Ohr: sie kündet den Lenz und das Glück.‹«

»Nicht schwer, Tante! Das reimt sich ja ganz fein!« Seppl sprach den Vers tadellos nach.

Isidora war befriedigt und fuhr fort:

»Nun höre und merke das zweite Lied: ›Wenn der Storch baut auf der Zinne sein Haus, dann treibe im Kasten die Motten flink aus: sie zeigen den Weg dir zum Schatze.‹«

Kanker sprach nach, und zu seiner eigenen Verwunderung blieb er nur einmal stecken. Isidora sagte: »Nur noch ein Verslein, Sepp! Das ist aber das Wichtigste! Da darfst du kein einzig Wort auslassen oder verdrehen. Also merk auf! ›Der Kasten hat eine doppelte Wand. Nur wer den Schatz im Verstecke fand, der hält in den Händen das Glück.‹«

Sepp hatte wirklich einen bewundernswerten Eifer, und als er die Verse einige Male wiederholt hatte, wobei er mit seinen 7½ Beinen das Versmaß abklopfte, steckte der Text fest in seinem Kopf.

»Aber nun will ich mich sputen!« rief er, weil er seinem Gedächtnis doch nicht allzuviel traute.

»Ja«, sagte Isidora, »und halte dich auf dem Wege nicht mit leichtsinnigen Abenteuern auf! Denke an unseren Liebling, die blonde Annemarie!«

»Ohne Sorge, Tante!«

Mit kurzem Gruß war Sepp verschwunden.

Isidora wollte sich nun ausruhen, denn das Umdichten und die Belehrung Kankers hatte sie angestrengt. Sie hielt die Fäden der Verschwörung in festen Händen und setzte ihren Stolz darein, daß die ganze Angelegenheit überall klappte.

Da fuhr sie plötzlich zusammen. Was war das für ein Zerren und Zupfen an ihrem Netz? Schon stand sie auf der Wacht.

»Halt! Wer da?« klang ihr Ruf durch den Spinnenpalast.

Schüchtern und ängstlich näherte sich Damian, ihr Gemahl, ein Plauderstündchen mit Isidora zu halten. Endlich wollte er einmal auch klaren Wein über den Turmbund haben! Dazu besaß er doch wohl als Ehemann das Recht!

Leise klopfte er an einem der stärksten Glockenzüge an. Aber Isidora hatte keine Lust zur Zwiesprache und tat, als ob sie das Geläute gar nichts anginge.

Jetzt wurde Damian zornig und riß und zerrte an den Fäden zum Telephon.

Nun war aber die Geduld Isidoras zu Ende. Der Wüterich würde ihr wohl noch das ganze Haus einwerfen! Sie hatte ihn schon lange zum Fressen gern, nun sollte es endlich einmal damit Ernst werden! Rasend vor Zorn und Wut schüttelte sie ihr eigenes Haus, um den Störenfried zu vertreiben, und zeigte diesem zum Überfluß drohend ihr starkes Gebiß.

Damian mochte wohl mit einem zärtlicheren Empfang gerechnet haben. Da er aber wußte, daß seine Frau stärker war als er und keine Lust verspürte, von ihr aufgefressen zu werden, so verließ er enttäuscht und bitter gekränkt die Wohnung.

Und merkwürdig, wie in dieser unglücklichen Stimmung sich das Erbteil seiner Ahnen lebendig zeigte! Als Damian, der abgewiesene Spinnenmann, im Dunkel verschwand, ruderte und kroch er rückwärts, wie ein echter, gepanzerter Krebsritter.

Isidora aber sann noch lange nach, ob wohl Sepp seine Botschaft ins Grillenhaus richtig überbracht habe.

Von oben klang leise das Klopfen Hans Jakobs, und unter dem heimlichen Tick-tack schlief sie endlich ein und träumte einen schönen, sanften Spinnentraum.


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