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Zweites Kapitel
Die Eule Ludmilla und die Verschwörung

Zwei Jahre waren so über dem Städtlein dahingegangen, seit der alte Jörg von dem Turmzimmer Besitz ergriffen hatte.

Ein Sommertag ging wieder einmal schlafen. In grauem Gewand flog die Dämmerung über die Stadt.

Jörgs Zimmer war bereits dunkel. Er saß in seinem Lehnstuhl, und die Pfeife lag in der Rinne des rechten Mundwinkels an ihrem gewohnten Platz. Über dem Gesichte ruhte eine schwere Wetterwolke, die Furchen schienen tiefer zu sein, als ob sie der Sturm aufgewühlt hätte. Seine Gedanken waren drüben im kleinen Häuslein, und er sah voll Grauen einen herumschleichen und auf liebliche Beute lauern.

Langsam stieg hinter dem Walde der Mond herauf.

Da wurde es auf der Turmzinne lebendig. In einem Winkel stand der schmucklose Rest eines seit langem unbenützten Taubenschlages. Aus diesem schlüpfte eben lautlos und geisterhaft eine seltsame Erscheinung.

Auf hohen Beinen stand die schlanke Gestalt, umhüllt von einem weiten, bauschigen Kleide, und spähte mit scharfen Augen über den Rand des Gemäuers in die Nacht.

Es war Ludmilla, die Eule.

Der Schleier, den sie herzförmig übers Gesicht gezogen hatte, warf bald da, bald dort Falten, so daß man nicht wußte, ob sie lachen oder weinen wollte.

Sie erwartete eben den Besuch Tills, des Kauzes, den sie zu einer geheimen Besprechung eingeladen hatte.

Da ertönte schon sein Gruß »Kui-mit!«

Till setzte sich neben die Eule und begann mit lebhaftem Ton die Unterhaltung.

»Nun, verehrte Freundin, wie haben Sie den Tag verbracht? Mit Denken, Träumen und Schlafen? Ist der Plan der Turmverschwörung schon fix und fertig? Welche Rolle habt Ihr in Eurer Weisheit mir zugedacht?«

Die Fragen hatten sich wie tolle Purzelbäume überstürzt. Ludmilla blies ihren Schleier auf, um besser zu hören, aber sie sah dadurch etwas hochmütig aus.

»Nur nicht zuviel fragen auf einmal, lieber Freund«, mahnte sie, »der Weise wartet auf Antwort, bevor er ein neues Rätsel erforschen will. Also eins nach dem andern! Den Tag verbrachte ich mit Denken und Träumen, was sollte ich auch anders tun! Meine Augen ertragen nun einmal das helle Licht nicht, ein Erbübel unserer Familie. Dadurch lernen wir aber mehr als andere Tiergeschlechter das Nachtleben der Menschen kennen. Was bei ihnen das Tageslicht scheut, wird uns offenbar«.

»Ja, ja, lachte Till,« dadurch ist ja Eure Familie in das famose Turmgeheimnis eingeweiht worden.«

»So ist es«, antwortete Ludmilla, »und meine Ahnfrau hat es weitergegeben von Geschlecht zu Geschlecht, bis –«

»Bis wann, Verehrte«, warf der Kauz ein, der seine Neugier nicht verbergen konnte.

»Bis wir eben das Sonntagskind finden, dem der Schatz gehören soll«, sagte ernst und beinahe feierlich die Eule.

»Und der Glückliche ist ja nun gefunden?«

»So ist es«, sprach Ludmilla, »wir sind endlich im klaren. Nach allem, was ich selbst erkundet und von den übrigen Turmbewohnern erfahren habe, kann nur der alte Jörg das Erbe bekommen. Er ist ein echtes Sonntagskind und versteht unsere Sprache.«

»Herrlich, wunderbar«, schrie ganz begeistert der Kauz.

»Ruhig, ruhig, lieber Till«, sagte Ludmilla, »noch ist es Sommer, und wir müssen den jungen Lenz abwarten. Dann erst, wenn alle Knospen aufbrechen, darf das Geheimnis sich enthüllen. Bis dahin gibt es noch Arbeit die Fülle.«

»Und was für einen Anteil habt Ihr mir zugedacht?« fragte ungeduldig der Kauz.

»Das sollt Ihr später erfahren, wenn Frau Isidora, die Kreuzspinne, den ganzen Plan bis in die feinsten Fäden ausgesponnen hat. Ein Kunstwerk will seine Zeit haben. Aber Ihr sollt schon vorher eine Rolle erhalten.«

»Und die wäre?«

»Vorerst schweigen«, mahnte bedeutungsvoll die Eule, »und Euren Ruf vor dem Häuslein drüben unterlassen! Dort liegt das Enkelkind unseres Freundes todkrank. Ihr versteht mich doch?«

»Nicht ganz«, antwortete der Kauz, »holte mir eben drüben eine kleine Vesper! Kaum fängt es zu dämmern an, brennt dort schon die Lampe und Ihr wißt ...«

»Ja, ja, lieber Freund! Das Licht lockt allerlei leichtsinnig Volk an Mücken und Schnaken und Käfern an. Da tanzt dann das Gesindel in dem hellen Ballsaal, als gäbe es auf der Welt nichts als Lust und Narretei.«

»Nun, dem Tanz war schnell ein Ende gemacht«, lachte der Kauz lustig auf, »wie ein Polizist fahre ich zwischen das Gesindel und packe es am Kragen. ›Kurzerhand‹ nennen die gescheiten Menschen dies Verfahren.«

Schmerzvoll verzog Ludmilla ihr Gesicht.

»Mitten aus Lust und Freude in den Tod! Just wie bei den Menschen. Auch bei dem Sonnenkinde drüben im Häuslein muß ich's fürchten. Der Tod schleicht um die Mauern und möchte sich das Blümlein holen.«

»Darf er nicht«, schrie zornig der Kauz, »dann wäre der ganze Turmschatz beim Kuckuck. Just um des Dirnleins willen freut mich die ganze Geschichte. Und der alte Jörg hält die Erbschaft für einen Plunder, wenn er sie nicht den paar Menschen hinterlassen kann, die er mehr liebt als sein Leben.«

»Ganz recht, lieber Freund. Das blonde Kind darf nicht sterben. Unsere Turmverschwörung wäre sonst nutzlos. Darum müßt Ihr vor dem Häuslein schweigen. Die Menschen sind allzu schwach. Hört Euch die Mutter rufen, so meint sie, der schwarze Tod hätte dem Kinde die Botschaft gebracht, ihm zu folgen. Dann hat sie keine Kraft mehr, mit ihm um das blonde Ding zu kämpfen.«

»Weiß, weiß«, flüsterte der Kauz in traurigem Tone, »und dann ist der Tod der Stärkere. Verstehe aber wirklich die dummen Menschen manchmal nicht. Sind so abergläubisch, daß sich unsereinem die Federn sträuben können! In meiner Freude über den guten Fang habe ich dem leichtsinnigen Käfervolk zugerufen: kui-mit! kui-mit! Dachte wirklich nichts Schlimmes, würde mich ja schämen, ein Knecht des Schwarzen zu sein! Liegt meiner lustigen Weltanschauung auch nicht. Drum schlug die Frau plötzlich den Laden zu! Ah, mir geht ein Licht auf, das meinen Augen und meinem Herzen wehtut. Räume unter den Feinden der Menschen auf und zum Dank nennen sie mich Totenvogel! Ach, ach!«

»Daran ist nichts zu ändern«, warf tröstend die Eule ein, »wenn alle Menschen so klug wären wie unser alter Turmherr und wenn sie unsere Sprache verstünden, würde es wohl anders sein. Alles Unglück in der Welt kommt davon her, daß man sich nicht versteht. Darüber habe ich schon oft und oft den ganzen Tag nachgedacht.«

»Darum geltet Ihr auch als die Königin der Weisheit«, schmeichelte Till; »wären die Menschen nur halb so klug wie Ihr, dann hätten sie schon längst den Turmschatz gefunden.«

»Nun«, sprach Ludmilla, »freuen wir uns, daß wir mitarbeiten dürfen, den Würdigsten damit zu belohnen.«

Till knurrte plötzlich der Magen.

»Und auf diese Freude wollen wir nun gleich fröhlich anstoßen! Gemeinsam mit Euch zu speisen und dabei Näheres über Eure Pläne zu hören, wird mir ein Vergnügen sein!«

Die Eule war einverstanden.

»In der Nähe ist eine feine Herberge, lieber Freund! Allerbester Spitzmausbraten zu jeder Tageszeit frisch zu haben, mein Leibgericht!«

Till schüttelte sich in komischem Grausen.

»Danke vielmals, Gnädigste. Neidlos Ihnen überlassen. Nicht nach meinem Geschmack! Liebe das Einfache: Hausmannskost! Schon meine Großmutter hatte Widerwillen gegen Spitzmausbraten, während sie Hausmäuse in jeder Zubereitung liebte.«

»Ja, ja«, stimmte Ludmilla gedankenvoll zu, »die Vererbung zeigt sich auch bei unseren Mägen: der Enkel frißt, was sein Ahne fraß!«

»Eine feine Weisheit«, sprach Till bewundernd. »Eure Kinder können sich glücklich preisen, eine solche Mutter zu besitzen. Wie geht es übrigens den herzigen Kleinen? Stecken wohl warm und weich in ihren Federn?«

»Danke«, sagte gerührt Ludmilla, »es war heuer ein reicher Kindersegen. Ihr kennt doch unseren Familienspruch: Gutes Mäusejahr – viele Eulenkinder! Man hat seinen Nachkommen gegenüber doch auch Pflichten. Wenn ich an den Kuckuck denke, empört sich mein Eulenherz. Hat man ein reiches Einkommen, wie dieses Jahr, so kann man ein paar Bruten verantworten. Sie sind alle wohlgeraten, und einem schmeckt die Kost besser als dem anderen. Man hat seine Freude an den Kindern.«

»Klug, weise, wie selten eine Frau, und ein mütterlich Herz«, lobte der Kauz.

»Schmeichler«, rief Frau Ludmilla abwehrend, indem sie an ihrem Schleier zog, daß es wie ein Lachen über ihre Züge ging, »wir wollen nun zu unserem Nachtmahl fliegen. Mit leerem Magen ist schlecht beraten.«

Lautlos flogen die beiden Gestalten in die dunkle Nacht.


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