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D. 4./15. Jul. stiegen wir in Painböf an Land, und unser Wahrzeichen war ein altes Weib. Man gewöhnt sich an alles, sogar ans Schiff und mein erster Eintritt in die Barke war nicht ohne kleinen Schauder so bei Helsingöhr, so hier. Wie gut wäre es gewesen mich bei Koppenhagen zu debarquiren. Ich erinnere mich noch der himmlischen Nächte, die ich vor Koppenhagen hatte, der schönen Tage, da wir die Jagdschlößer des Königs und seine Flotte vorbeizogen, der schönen Abende, da wir seine Gesundheit im letzten guten Rheinwein trunken. Ich bin aber zu gut um mich lenken zu lassen und ich gab mein Wort ohne daß ich selbst wollte und ohne daß ich sagen kann, ein andrer habe mich dazu gezwungen. Der Geist Klopstocks hatte nicht gnug Anziehung vor mich, um über die kleinen Hinderniße der Reise zu profitiren, und so ward mein ganzer Plan vereitelt. In Deutschland wäre kein Schritt für mich ohne den größesten Nutzen gewesen und meine Beschäftigung wäre in ihrem vollen Feuer geblieben. Klopstock wie sehr dachte ich ihn zu nutzen, um seinen Geist und sein Temperament kennen zu lernen! um mich mit ihm über sein Bild des Meßias und seiner Zeit und seiner Religion überhaupt zu besprechen! um einen Funken von seinem Feuer zu bekommen! um seinen Meßias noch einmal und von Angesicht zu Angesicht zu lesen! ihn lesen, ihn deklamiren zu hören! und also auch nur von seinen Sylbenmaassen rechten Begrif zu erhalten! = = Resewitz! über wie viel Punkte der Offenbahrung hatte ich nicht zu reden, wo man nur mündlich offenherzig ist. Ueber die ersten Urkunden des Menschlichen Geschlechts. Ueber unsere Begriffe von den Patriarchen. Von Moses und seiner Religion. Von der Theopnevstie und dem Zustande der jüdischen Kirche zu aller Zeit. Vom Charakter des Erlösers und der Apostel. Vom Glauben. Von den Sakramenten. Von der Bekehrung. Vom Gebet. Von der rechten Art zu sterben. Vom Tode und Auferstehung. Von einer andern Welt nach den Bildern der Christen = = welch ein Catechismus der Redlichkeit und mündlichen Offenherzigkeit! = = Alsdenn Cramer und ihn predigen zu hören, ihnen meine Ideen von der geistlichen Beredsamkeit zu geben, vielleicht selbst zu predigen! = = Das Münzkabinet zu sehen und da Begriffe zu sammlen, die ich durchaus noch nicht habe! = = Gerstenberg aufzusuchen, mit ihm die Barden und Skalder zu singen, ihn über seine Liebe und Tändeleien im Hypochondristen und wo es sey, zu umarmen, die Briefe über die Merkwürdigkeiten etc. mit ihm zu lesen, von Hamann, Störze, Klotz u. s. w. zu sprechen, und Funken zu schlagen, zu einem neuen Geist der Litteratur, der vom Dänischen Ende Deutschlands anfange und das Land erquicke. Alsdenn da über die Skalden zu schreiben, und nach Kiel hin ins Arabische zu verschwinden. Das war meine erste Periode, werde ich sie in Frankreich erreichen?
Es ist freilich vortreflich, die Französische Sprache und Nation von ihr selbst aus zu kennen; aber wenn man schon wählen muß, wenn man nicht lange Zeit, nicht viel Geld zu reisen hat, und am meisten noch nicht reisen gelernt hat: muß man da Frankreich wählen? Für die Kunst, für die Wissenschaft, was ist da zu sehen, wo alles in dem grossen Paris versteckt liegt, wo alles mit Luxus, Eitelkeit, und Französischem Nichts verbrämt ist? Wie viel grosse Leute gibts denn, die für mich so merkwürdig sind. Etwa einen Wille und wird der nicht vielleicht blos Künstler seyn? Einen Diderot, und hat der sich nicht vielleicht schon ausgelebt? Einen Buffon, Thomas, Du Klos, D'Alembert, Marmontel – und sind die nicht gewiß in einen Hefen Französischer Welt, und Anstandes und Besuchs eingehüllet? Und wem kann ich mich denn mittheilen? Wem Intereße an mir einflössen? Gegen wen mir den Stempel des Ausdrucks geben, der nach der Französischen Denkart allein den Menschen von Geschmack und von Geist ausmacht? Ton, Anstand, Geschwindigkeit, Wendung! siehe dahin ist alles geflohen[.] armer! wirst du dich mit deiner Deutschen Denkart, die mit deiner Muttersprache so zusammen gewachsen ist, mit deiner Deutschen Langsamkeit dich nicht durch alle Französische Litteratur nur durchbetteln müssen? Und in welche Kluft stürzest du dich alsdenn von Beschämungen, Mißvergnügen, unaufgeräumten Stunden, verfehlten Visiten, müssigen Tagen? Wo wirst du einen Freund finden, der mit dir dies Land der Fremde für dich, durchreise? Louvre und Luxemburg aufsuche, Thuilleries und Gärten durchpromenire, dir Bibliotheken und Naturkabinette aufschliesse, dich Künstler und Kunstwerke betrachten lehre? Wo wirst du ihn finden? und wirds ein Franzose oder ein Deutscher seyn?
Ich habe A. gesagt; ich muß auch B. sagen: ich gehe nach Frankreich: eine Nacht vor Helsingör hats entschieden. Ich überließ mich meiner Trägheit, meiner Schläfrigkeit, um zwei Tage zu verderben: da mir nichts leichter gewesen wäre, als von Hels[ingör] nach Koppenh[agen] zu gehen: wir sind fortgesegelt: ich fand mich in der See: ich gehe nach Frankreich. Nun ist also die Französische Sprache nach der Mundart der Nation, nach ihrem Ton, und Nasenlaut, nach ihrem Geschmack und Schönheit, und Genie mein Hauptzweck = und da, denke ich, in 14. Tagen, wie mir mein Freund B[erens] Hoffnung gemacht hat, in den Ton zu kommen, und mit ihr, wie viel habe ich, insonderheit in Riga, gewonnen! Welche Schande, bei Landräthen und Sekretairen von Wind und von Geschmack kein Französisch zu sprechen! Welche Schande eine Schweizerfranzösin und einen durchwandernden Franzosen insonderheit wenn es ein Abbe wäre nicht zu verstehen! Welcher Vortheil hingegen mit jedem Narren nach seiner Narrheit zu reden! den Geschmack auch in der Sprache des Geschmacks hören zu lassen! Werke des Geschmacks in Poesie, Prose, Malerei, Baukunst, Verzierung, auch in der Sprache des Geschmacks zu charakterisiren! Anekdoten von Paris zu wissen! wenigstens alles Das kennen, wovon andre plaudern! = Ferner, die Französische Oper, und Komödie zu studieren, zu schmecken! die Französische Deklamation, Musik und Tanzkunst zu gemessen! mir wenn nicht neue Äste der Vergnügen, wenigstens neue Farben zu geben! Kupferstecher- Maler- und Bildhauerkunst, wenn es möglich ist, unter der Aufsicht eines Wille, zu studiren! Von allem, was zum Jahrhundert Frankreichs gehört, lebendige Begriffe zu haben, um z. E. einen Clement, einen de la Place, einen Freron recht verstehen zu können! = Ferner die Französischen Gelehrten kennen zu lernen, wäre es auch nur, wie sie aussehen, leben, sich ausdrücken, bei sich und in Gesellschaft sind! Auch sie nur kennen bringt Leben in ihre Werke, und wenn nicht einen Stachel der Nacheiferung, so doch ein gutes Exempel, sich wie sie zu betragen. Das ist alsdenn ein Cursus der domestiquen Litteratur in Frankreich, der viel erklärt, an sich und im Contrast von Deutschland, und viel aufschließt! = Endlich die Französische Nation selbst, ihre Sitten, Natur, Wesen, Regierung, Zustand: was daraus auf ihre Kultur und Litteratur folge? was ihre Kultur eigentlich sey? die Geschichte derselben? ob sie verdiene, ein Vorbild Europens zu seyn? es seyn könne? was der Charakter der Franzosen dazu beigetragen? durch welche Wege sie das Volk von Honnetete, Sitten, Lebensart und Amusemens geworden sind? wie viel sie dabei wesentlichere verlieren? und es andern Nationen durch die Mittheilung ihrer Narrheit rauben und geraubt hatten! = Ja endlich! sollte sich denn keiner finden, der mein Freund und mein Muster werde, als Mann von Welt, um seine Känntniße recht vorzutragen, in unsrer Welt geltend zu machen, als Mann von Adreße und von Umgange, um auch in den Sachen, für die ich reise, es zu werden und das in meiner Zeit auszurichten, wozu ich da bin! Gütiges Schicksal, gib mir einen solchen[,] lehre mich ihn kennen! und gib mir Biegsamkeit, mich nach ihm zu bilden! Vorjetzt bin ich schon in Frankreich, ich muß es nutzen: denn gar ohne Französische Sprache, Sitten, Anekdoten, und Känntniße zurückzukommen, welche Schande!
In Painböf Begriffe von Frankreich holen, welche Schande, und gibts nicht Reisebeschreibungen, die sie so geholt haben – Smollet z. E. und selbst grosse Reisebeschreibungen in den 5.t[en] Welttheil, die von den Küsten aus geurtheilt haben.
Meine Reisegesellschaft von Painböf nach Nantes: es ist immer wahr, daß eine Niedrigkeit dem Dinge anklebt, von solchen Gesellschaften nach der Manier Teniers und Tristrams Gemälde nehmen wollen.
Ich verstand weder Pilot, noch Wirthin, noch alte Weiber mit alle meinem Französischen. So müste ebenfalls ein Grieche daran seyn, wenn er nach Griechenland käme. O Pedanten, leset Homer, als wenn er auf den Strassen sänge; leset Cicero, als wenn er vor dem Rathe deklamirte!
Der erste Anblick von Nantes war Betäubung: ich sah überall, was ich nachher nie mehr sahe: eine Verzerrung ins Groteske ohngefähr; das ist der Schnitt meines Auges, und nicht auch meiner Denkart? Woher das? ein Freund, den ich über eben diesen ersten Anblick fragte, stutzte und sagte daß der seinige auch vast, aber vaste Regelmäßigkeit, eine grosse Schönheit gewesen wäre, die er nachher nie in der vue à la Josse hätte finden können. Entweder hat dieser kälter Geblüt, oder wenn ich so sagen darf einen andern Zuschnitt der Sehart. Ist in der meinigen der erste Eintritt in die Welt der Empfindung etwa desgleichen gewesen? ein Schauder, statt ruhiges Gefühl des Vergnügens? Nach den Temperamenten derer, die dazu beitrugen, kann dies wohl seyn, und so wäre das der erste Ton, die erste Stimmung der Seele, der erste Anstoß von Empfindung gewesen, der nur gar zu oft wieder kommt. Wenn ich in gewissen Augenblicken noch jetzt meinem Gefühl eine Neuigkeit und gleichsam Innigkeit gebe: was ists anders, als eine Art Schauder, der nicht eben Schauder der Wohllust. Selbst die stärksten Triebe, die in der Menschheit liegen, fangen in mir so an, und gewiß wenn ich in diesen Augenblicken zum Werk schritte, was könnte für eine frühere Empfindung dem neuen Wesen sich einpflanzen, als eben dieselbe? Und breite ich nicht also eine unglückliche verzogene Natur aus? oder ists kein Unglück, diese zu haben? oder werden mir bei reiferen Jahren, in der Ehe, bei rechten sanften Schäferstunden andre Gefühle und Schwingungen bevorstehen? Was weiß ich? Indessen bleibt dies immer Bemerkung in mir, die sich auf alles erstreckt. Ein erstes Werk, ein erstes Buch, ein erstes System, eine erste Visite, ein erster Gedanke, ein erster Zuschnitt und Plan, ein erstes Gemälde geht immer bei mir in dies Gothische Grosse, und vieles von meinen Planen, Zuschnitten, Werken, Gemälden ist entweder noch nicht von diesem hohen zum schönen Styl gekommen, oder gar mit dem ersten verschwunden. Gefühl für Erhabenheit ist also die Wendung meiner Seele: darnach richtet sich meine Liebe, mein Haß, meine Bewunderung, mein Traum des Glückes und Unglücks, mein Vorsatz in der Welt zu leben, mein Ausdruck, mein Styl, mein Anstand, meine Physignomie, mein Gespräch, meine Beschäftigung, Alles. Meine Liebe! wie sehr gränzt sie an das Erhabne, oft gar an das Weinerliche! wie ist die Entfernung in mir so mächtig, da es bei den Angolas nur immer der gegenwärtige Augenblick ist! wie kann mich ein Unglück, eine Thräne im Auge meiner Freundin rühren! was hat mich mehr angeheftet, als dieses! was ist mir rührender gewesen, als jene, die Entfernung! = = Daher eben auch mein Geschmack für die Spekulation, und für das Sombre der Philosophie, der Poesie, der Erzählungen, der Gedanken! daher meine Neigung für den Schatten des Alterthums und für die Entfernung in verfloßne Jahrhunderte! meine Neigung für Hebräer als Volk betrachtet, für Griechen, Egypter, Celten, Schotten u. s. w. Daher meine frühe Bestimmung für den geistlichen Stand, dazu freilich Lokalvorurtheile meiner Jugend viel beigetragen, aber eben so unstreitig auch der Eindruck von Kirch und Altar, Kanzel und geistlicher Beredsamkeit, Amtsverrichtung und geistlicher Ehrerbietung. Daher meine erste Reihen von Beschäftigungen, die Träume meiner Jugend von einer Waßerwelt, die Liebhabereien meines Gartens, meine einsamen Spatziergänge, mein Schauder bei Psychologischen Entdeckungen und neuen Gedanken aus der Menschlichen Seele, mein halbverständlicher halbsombrer Styl, meine Perspektive von Fragmenten, von Wäldern, von Torsos, von Archiven des Menschl[ichen] Geschlechts – – alles! Mein Leben ist ein Gang durch Gothische Wölbungen, oder wenigstens durch eine Allee voll grüner Schatten: die Aussicht ist immer Ehrwürdig und erhaben: der Eintritt war eine Art Schauder: so aber eine andre Verwirrung wirds seyn, wenn plötzlich die Allee sich öfnet und ich mich auf dem Freyen fühle. Jetzt ists Pflicht, diese Eindrücke so gut zu brauchen, als man kann, Gedanken voll zu wandeln, aber auch die Sonne zu betrachten, die sich durch die Blätter bricht und desto lieblichere Schatten mahlet, die Wiesen zu betrachten, mit dem Getümmel darauf, aber doch immer im Gange zu bleiben. Das letzte Gleichniß habe ich insonderheit in den Wäldern in Nantes gefühlet, wenn ich ging oder saß und meinen Belisar, meinen Thomas auf Dagueßeau las, und über mein Leben nachdachte und dasselbe für meine Freundin in Gedanken entwarf, und mich in grossen Gedanken fühlte, bis selbst das Leben des Erlösers in seinen grösten Scenen mir zu imaginiren, und denn aufblickte, die Allee, wie einen grünen Tempel des Allmächtigen vor mir sah, und Gedanken aus Kleists Hymne und seinem Milon aus dem Herzen aufseufzete, und wieder las, und durch die Blätter die Sonne sah und das weite Getümmel der Stadt hörte und an die dachte, die mein Herz besaßen und weinte! Da soll es seyn, wo mein Geist zurückwandert, wenn er Marmontels erste Kapitel und Thomas Dagueßeau lieset, und den Meßias fühlt und ein Leben Jesu entwirft.
Wie kann man sich in dem Charakter eines Menschen beim ersten Besuch irren, insonderheit wenn er sich hinter der Maske des Umgangs versteckt. Der erste, der mich in N[antes] besuchte, schien die Munterkeit, Belebtheit selbst: wer hätte in ihm den Türken an Bequemlichkeit, und den Langweiligen errathen sollen, der sich auf seinem Lehnstuhl zermartert und die schrecklichste höllische Langeweile auf die muntersten Gesichter ausbreitet, der immer einen Diskurs zu lang findet, frägt und keine Antwort Lust hat zu hören, mitten im Diskurs ein langweiliges Gähnen hervorbringt und an nichts Geschmack findet – wer hätte den in ihm rathen sollen? Artig gnug! sollte man sagen, wenn alle Französische Männer so sind, wer wird denn = = und siehe es sollte umgekehrt heißen: Gleißend gnug! wenn alle Franz. Männer so anders beim Kartentisch mit andern, und zu Hause sind, so heißt das Feuer aufraffen, damit es ersterbe und todte Flammen geben. Und würklich an diesem Charakter war recht das Französische zu sehen, was nichts als Gleißnerei und Schwäche ist. Seine Höflichkeit war politesse und honneteté, oft auswendig gelernt und in Worten: seine Lobeserhebungen fingen damit an, »er sprach Französisch[«] und endigten damit, [»]er war von einer politesse, Artigkeit, daß[«] – – und der Nachsatz fehlte. Seine Geschäftigkeit war leicht, aber auch um nichts: Briefe schreiben, wie Waßer; es waren aber auch gewäßerte Briefe, die nichts enthielten als Metereologische Verzeichniße über Regen u. s. w. Seine Delikateße war todte Ordnung z. E. Symmetrie auf dem Tische, oder Faulheit: Seine Ruhe Gedankenlosigkeit: Sein Urtheil eine Versicherung voriger Jahre über die er weiter nicht dachte: sein Wiederspruch oft der simpelste Gegensatz ohne Umschweif und Gründe: kurz, bei allen guten Seite[n], die abgebrauchteste, entschlafenste Menschliche Seele, die Gähnendes gnug hatte, um zehn Andre um sich einzuschläfern und gähnend zu machen. Seine Freundin, der entgegengesetzteste Charakter von der Welt hielt ihn für unglücklich: er wars nicht, als nach ihrer Empfindung: dieser Gegensatz zeigt, wie opponirt beide Charaktere waren; zeigt aber auch die schöne Seele, die halb aus Freundschaft, halb aus Mitleid seit Jahren in die Gewohnheit hineingedrungen ist, mitzuschlafen, und sich aufzuopfern!