Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Schweden: da sehe ich die Klippe des Olaus! Wie war die Zeit, da er lebte, da er starb! Wie grosse Gedanken gibt sein Grab mit Nebel und Wolken bedeckt, von Wellen bespült u. s. w. von dem Nebel und der Zauberei seiner Zeit? Wie hat sich die Welt verändert! Was für drei Zeiten, die alte Skandinavische Welt, die Welt des Olaus, unsre Zeit des armen ökonomischen und erleuchteten Schwedens. Hier wars, wo voraus Gothen, Seeräuber, Wikinger, und Normänner segelten! Wo die Lieder ihrer Skalden erklangen! Wo sie ihre Wunder thaten! Wo Lodbroge und Skille fochten! welche andre Zeit! Da will ich also, in solchen dunkeln trüben Gegenden ihre Gesänge lesen und sie hören, als ob ich auf der See wäre: da werde ich sie mehr fühlen, als Nero seine Heroide da Rom brannte. Wie verändert von diesem, als auf dieser See die Hanseestädte herrschten. Wisby, wo bist du jetzt? Alte Herrlichkeit von Lübeck, da ein Tanz mit der Königin Bornholm kostete, und du Schweden ihren Gustav Wasa gabst, wo bist du jetzt? Alte Freiheit von Riga, da der Altermann seinen Hut auf dem Rathhause lies und nach Schweden eilte, um die Stadt zu vertheidigen, wo jetzt? Alles ist zurückgefallen: mit weichen Sitten ist Schwachheit, Falschheit, Unthätigkeit, Politische Biegsamkeit eingeführt; der Geist von Hanseestädten ist weg aus Nordeuropa, wer will ihn aufwecken? Und ists für jede dieser Städte, Hamburg, Lübeck, Danzig, Riga nicht grosse wichtige Geschichte, wie sich dieser Geist verlohren? nicht, wie sich ihr Handel, ihre Privilegien u. s. w. sondern ihr Geist vermindert und endlich Europa verlassen hat, und haben wir solche Geschichte von Hanseestädten? Willebrand sollte sie schreiben, wenn er nicht zu fromm wäre: und alle Hanseestädte auf ihren offenbaren Rechtstägen lesen! – Jetzt, Riga, was ists jetzt? Arm und mehr als arm, elend! Die Stadt hat nichts, und mehr auszugeben, als sie hat! Sie hat eine dürftige, nutzlose Herrlichkeit, die ihr aber kostet! Ihre Stadtsoldaten kosten, und was thun sie? ihre Wälle und Stadtschlüßel kosten und was thun sie? Das Ansehen ihrer Rathsherren kostet ihnen so viel schlechte Begegnung und nutzt nichts, als daß sie sich brüsten und den Bürgern für den Kopf stossen können. Alles reibt sich an der Stadt: Gouverneur und Regierungsrath, Minister und Kronsschreiber: Dieser gibt sich ein dummes Ansehen mit seinen 150. Rubeln über Bürgerm[eister] und Rath: das ist Uebelstand. Der Minister läßt sichs bezahlen, daß er nicht schade: Uebelstand. Der Regier[ungs]rath zwackt Foderungen ab, daß er helfe: Uebelstand. Gouverneur wird in Ansehen Despot und verbindet noch Intereße: Uebelstand – alles ist gegen einander. Kaiserin und Stadt: Hof und Stadt: Gouvernement und Stadt: Kronsbediente und Stadt: Titelräthe und Stadt: Adel und Stadt: Schmaruzer und Stadt: Rathsherren und Stadt – welcher Zustand! Man kriecht um über andre sich zu brüsten: man schmarutzt, um sich zu rächen: man befördert sein Intereße, und schiebts auf die Kaufmannschaft: man erkauft sich einen Titel, um elend zu trotzen: man bereichert sich, um mit leeren Versprechungen zu helfen. Welcher Zustand! Unmöglich der Rechte, sondern die Hölle zwischen Freiheit und ordentlichem Dienste. Es höre der Unterschied zwischen Stadt und Krone auf: der Rath behalte seine Einrichtungen, Freiheiten, Departemente, Gewalt: nur [er] bekomme einen Präsidenten, der sie gegen Militarische Begegnung durch sein Ansehen schütze. Auch sie müssen Kronsbediente werden, und aller Unterschied der Begegnung z. E. bei Gerichten u. s. w. aufhören: sie selbst und jeder unter ihnen, Advokat u. s. w. Rang bekommen: Die Casse muß ihr bleiben, nur der Präsident sei das Mittel, das sie mit dem Hofe binde und von allem wisse. Er sei der Burggraf, und der Vater der Stadt: der Vertreter gegen Gewalt, und Vorsprecher bei der höchsten Obrigkeit. Im Commerzcoll[egio] bekomme der Präfect. der Stadt mehr Ansehen und könne dem Oberinspektor näher kommen. Der Oberpastor stehe über dem Past[or] der Jacobikirche, aber unter dem Sup[erintendenten] und das Stadtconsistor[ium] so unter dem Oberconsist[orium], wie Magistr[at] unter Hofgericht. Die Kanzelei sei nicht erblich, aber doch die Stadtkinder behalten Vorzug und kein militarisches Aufdringen sei möglich. Sie balancire mit der Krone und aller Haß werde ausgelöscht. Man nehme Rathsherrn so gut aus Advokaten hier, wie bei der Krone: Kanzlei und Advokatur sei kein Wiederspruch; aber auch keine nöthige Verbindung. Man wähle, wo man findet, und lasse nicht 2. Rathsherrn und den Advokaten freie Hände. Kein Bürger werde in Ohrenklagen gegen den Magistrat gehört, und kein Magistrat beschimpft. Der Partheiengeist werde erstickt: in der Handlungsverbeß[erung] beßere bürg[erliche] Commission gesetzt: so im Geistl[ichen] auch, wo so viel Verbeßer[ung] nöthig ist, und die Stadt werde Eins, ruhig glücklich. Sie bleibe keine Scheinrepublik, keine R[es] p[ub]l[ica] in republ.; aber eine Dienerin mit Vorzügen und Range: wie glücklich wer das könnte! der ist mehr als Zwinglius und Calvin! ein Befreier und zugleich Bürger – sind dazu keine Wege möglich? aber jetzt nicht: spät: durch Gewalt an Hofe. Ich bin bei der Stadt gewesen, mit Advokaten, Canzl[ei] und Rath umgegangen; komme unter die Krone, werde dies Departement kennen lernen; beides untersuchen – soll dies nicht Vorurtheil für mich seyn? Kampenhausen und Tesch und Schwarz und Berens nützen: im Stillen arbeiten, und vielleicht bekomme ich einmal ein Wort ans Ohr der Kaiserin! Was Morellet in Frankreich ausrichtet; ich das nicht an einem andern Ort. Dazu will ich meine Gabe zum Phlegma und zur Hitze ausbilden, mir erste Anrede und Gabe des kalten deutl[ichen] Vorschlages geben, den nur spät ein Enthusiasmus unterstütze, und so mich im Stillen bereiten, um Einst nützl[ich] zu werden – o hätte ich doch keine Critische Wälder geschrieben! – – – Ich will mich so stark als mögl[ich] vom Geist der Schriftstellerei abwenden und zum Geist zu handeln gewöhnen! – Wie groß, wenn ich aus Riga eine glückliche Stadt mache.
Die dritte Periode auf der Ostsee sind die Holländischen Domainen: Holland, dies Wunder der Republik; hat nur Eine Triebfeder, Handelsgeist, und dessen Geschichte möchte ich lesen. Wie er auf den Geist der Feudalkriege folgte? sich aus Amerika und Asien in Europa übertrug, und einen neuen Geist der Zeit schuff. Er war nicht einerlei mit dem Erfindungsgeiste: Port[ugal] und Span[ien] nutzten nichts von ihren Entdeckungen: er war eine Oekonomie Europens zu dem sich aus Morrästen eine arme, dürftige, fleißige Republik emporhob. Welch ein grosser Zustrom von Umständen begleitete sie zum Glück! zum Glück von Europa! Aber von ihnen hat Alles gelernt: derselbe Geist hat sich überall ausgebreitet: England mit seiner Akte, Frankreich, Schweden, Dännemark u. s. w. Holland ist auf dem Punkte zu sinken; aber natürlicher Weise nur allmählich. Der Verf. des Commerce de la H[ollande] hats gezeigt: sein Mittel aber zur Entdeckung des 5t[en] Welttheils wird nichts thun: der Entdeck[ungs]geist ist nicht der Kaufmannsgeist. Daher hat man nichts einmal unternehmen wollen: auch unternommen, wäre für Holland kaum eine Einnahme und Einrichtung zur Bothmäßigkeit mögl[ich]: und endlich würden sie es so gewiß verlieren, als Holland sein Brasilien und Port[ugal] sein Ostindien verlor. Dieser Verfall ist kaum mehr vermeidlich: die Gestalt Europens ist zu sehr darnach eingerichtet, daß sie ihn fodert; und Holland sinkt durch sich selbst. Seine Schiffe gehen umsonst: die Preise der Compagnie fallen: die Republik ist weniger in der Waage Europens, und muß dies Wenige bleiben, sonst wird sie noch mehr [verlieren]. Sie bereichert sich von dem, was andre ihr zu verdienen geben, und diese geben ihr weniger zu verdienen, und werden endlich von ihr verdienen wollen. Es wird also einmal und vielleicht schon bei meinen Lebzeiten eine Zeit seyn, da Holland nichts als ein todtes Magazin von Waaren ist, das sich ausleert und nicht mehr vollfüllen mag und also ausgeht, wie eine Galanteriebude, die sich nicht ersetzen will. Der Geldwechsel wird noch länger als der Waarenhandel dauren; wie aber, wenn England mit seinen Nationalschulden da einmal ein Fallißement macht? In diesem Betracht aber kann es sich noch lange erhalten: denn einmal ist doch vor ganz Europa eine Geldwechslerin nöthig: diese muß eine Republ[ik] seyn: liegen, wie Holland liegt: mit dem Seedienst verbunden seyn: die Genauigkeit zum Nationalcharakter haben und siehe! das ist Holland! Republik, in der Mitte von Europa, für die See geboren, arbeitsam und nichts als dieses, genau und reinl[ich] wie im Gelde so in der Rechnung: es wird lange Wechslerin bleiben, was ists denn aber als dieses allein? Keine Seemacht, sondern Seedienerin; keine handelnde Nation mehr, sondern Dienerin und Hand des Handels: welche grosse Veränderung! Denn wird man sehen, was Handelsgeist, der nichts als solcher ist, für Schwächen gibt: das wird alsdenn kein grübelnder Philosoph, sondern die Reelle Zeit lehren, nicht mit Worten, sondern Thaten: in einem grossen Beispiel, für ganz Europa an einer ganzen Nation. Da wird man sehen, wie der blosse Handelsgeist den Geist der Tapferkeit, der Unternehmungen, der wahren Staatsklugheit, Weisheit, Gelehrsamkeit u. s. w. aufhebet oder einschränket: man kanns zum Theil in Holland schon jetzt sehen. Ist hier wahres Genie? einen ehrlichen Friso nehme ich aus; diese Provinz ist nicht Holland: das übrige ist, als öffentliche Sache, Lat[einisch], Griech[isch], Ebräisch, Arab[isch] Experiment. Medicin. Kram; sehr gut, nach unsrer Litterat[ur] vortreflich, ein Muster, unentbehrlich. Sie kommen weiter, als die Deutschen und Franzosen, die sich allem widmen, und weniger weit, als die Engländer, die immer Genie mit ihren Erfahrungen verbinden, und das erste oft übertreiben. Alles ist in Holland zu Kauf: Talente, und die werden also Fleis: Gelehrsamkeit und die wird Fleiß: Menschheit, Honnetete, alles wird vom Kaufmannsgeiste gebildet – doch ich will erst Holland sehen! – Und zum Uebersehen des Genies, oder zum Gedächtnißlernen des Krams der Gelehrsamkeit ist das, glaub ich, das erste Land!
Was wird aber auf den Handelsgeist Hollands folgen? Geist der Partheien, d. i. der Ekonomischen innerlichen Handlung eines jeden Landes? Auf eine Zeitlang glaub ichs, und es läßt sich dazu an in ganz Europa. Oder der Partheien, d. i. der Aufwieglung? Dies ist auf das eben genante unvermeidlich. Eines der großen Völker im Ekon[omischen] Handel z. E. England wird ein andres aufwiegeln, das wild ist, und dabei selbst zu Grunde gehen – könnte dies nicht Rußland seyn! – Oder der völligen Wildheit, Irreligion, Ueberschwemmung der Völker? was weiß ich. Die Jesuiten in Amerika haben aufgehört: ich habe mich betrogen: seinem Untergang indessen wird der feine Politische Geist Europens nicht entgehen. In Griechenland sprach man nicht ein Wort von Rom, bis dies jenes überwand: so mit Griechenland und Egypten: Egypten und Persien: Aßyrien und Meden. Nur Rom und die Barbaren – das war anders: da munkelte es lange, wie der Pöbel sagt: in unsrer Zeit muß es noch länger munkeln, aber desto plötzlicher losbrechen. –
Was wollen doch alle unsre Kriegskünste sagen? Ein Griechisches Feuer, Eine neue Erfindung, die alle vorige zerstört, ist allen überlegen. Was will alle Gelehrsamkeit, Typographien, Bibliotheken u. s. w. sagen? Eine Landplage, eine Barbarische Ueberschwemmung, alsdenn ein Herrnhutischer Geist auf den Kanzeln, der Gelehrsamkeit zur Sünde und Mangel der Religion und Philosophie zum Ursprunge des Verderbens macht, kann den Geist einführen, Bibliotheken zu verbrennen, Typographien zu verbrennen, das Land der Gelehrsamkeit zu verlassen, aus Frömmigkeit Ignoranten zu werden. So arbeiten wir uns mit unserm Deism, mit unsrer Philosophie über die Religion, mit unsrer zu feinen Cultivirung der Vernunft selbst ins Verderben hinein. Aber das ist in der ganzen Natur der Sachen unvermeidlich. Dieselbe Materie, die uns Stärke gibt, und unsre Knorpel zu Knochen macht, macht auch endlich die Knorpel zu Knochen, die immer Knorpel bleiben sollen: und dieselbe Verfeinerung, die unsern Pöbel gesittet macht, macht ihn auch endlich alt, schwach und nichts tauglich. Wer kann wider die Natur der Dinge? Der Weise geht auf seinem Wege fort die Menschliche Vernunft aufzuklären, und zuckt nur denn die Achseln, wenn andre Narren von dieser Aufklärung als einem letzten Zwecke, als einer Ewigkeit reden. Alsdenn muß man die Diderotschen und Schweizerischen Politiker wiederlegen, oder, da dies im Geist unsrer Zeit, da der AntiRoußeauianism. herrscht, zu einer Fabel wird und noch zu früh auch für Nutzen und Ausführung wäre, bei sich das beßere denken. Alle Aufklärung ist nie Zweck, sondern immer Mittel; wird sie jenes so ists Zeichen daß sie aufgehört hat, dieses zu seyn, wie in Frankreich und noch mehr in Italien, und noch mehr in Griechenland und endl[ich] gar in Egypten und Asien. Diese sind Barbarn, und verachtenswürdiger als solche: die Mönche von Libanon, die Wallfahrter nach Mecca, die Griechischen Papa's sind rechte Ungeziefer aus der Fäulniß eines edlen Pferdes. Die Italienischen Akademien in Kortona zeigen die Reliquien ihrer Väter auf und schreiben drüber, daß es erlaubt sey, sie aufzuzeigen, lange Bücher, Memoires, 4t- und Folianten. In Frankreich wird man bald so weit seyn: wenn die Voltaire und Montesq[uieu] todt seyn werden: so wird man den Geist der Voltaire, Boßvets, Montesq[uieu] Racine u. s. w. so lange machen: bis nichts mehr da ist. Jetzt macht man schon Encyklopädien: ein D'Alembert und Diderot selbst lassen sich dazu herunter: und eben dies Buch, was den Franzosen ihr Triumph ist, ist für mich das erste Zeichen zu ihrem Verfall. Sie haben nichts zu schreiben und machen also Abrégés, Dictionaires, Histoires, Vocabulaires, Esprits, Encyclopedieen, u. s. w. Die Originalwerke fallen weg. – Daß ein Volk durch seine Feinheit des Geistes, wenn es einmal auf Abwege geräth, desto tiefer hinein sich verirre, zeigt der unvergleichliche Montesquieu an den Griechen, die durch ihren feinen Kopf eben so tief hinein in die Spekulation geriethen über die Religion, die ihr Gebäude umwarf.
England – in seinem Handel geht es sich zu ruiniren? seine Nationalschulden werden die Verfall des Ganzen machen? – aus Amerika wirds da nicht von seinen Colonien, Schaden nehmen? was ists in der Concurrenz andrer Nationen? wie weit kann diese dagegen noch steigen? = geht es im Handel also zu Bette, oder noch höher zu werden? Aber sein Geist der Manufacturen, der Künste, der Wißenschaften wird der sich nicht noch lange erhalten? Schützt es da nicht seine Meerlage, seine Einrichtung, seine Freiheit, sein Kopf? Und wenn es insonderheit die Aufwieglerin überwindender Nationen seyn sollte, wird es nicht dabei wenigstens eine Zeitlang gewinnen? und lange für dem Ruin sich wenigstens noch bewahren? = =
Frankreich: seine Epoche der Litteratur ist gemacht: das Jahrhundert Ludwichs vorbei; auch die Montesquieus, D'Alemberts, Voltaire's, Roußeau sind vorbei: man wohnt auf den Ruinen: was wollen jetzt die Heroidensänger und kleinen Comödienschreiber und Liederchenmacher sagen? Der Geschmack an Encyklopädien, an Wörterbüchern, an Auszügen, an Geist der Schriften zeigt den Mangel an Originalwerken. Der Geschmack an äußerlichen fremden Schriften, das Lob des Journal etranger u. s. w. den Mangel an Originalen: bei diesen muß doch immer Ausdruck, Stempel u. s. w. verlohren gehen und wenn sie doch gelesen werden, so ists ein Zeichen, daß der blosse Werth und die Natur der Gedanken schon reichhaltig gnug sey, um nicht die Wortschönheit nöthig zu haben. Und da die Franzosen von der letzten so viel und Alles machen, da ihnen Wendung, Ausdruck und überhaupt Kleid des Gedankens alles ist: da die Deutschen so sehr von den Wendungen und dem Lieblingsstaat der Franzosen abgehen und doch, die so verachteten Deutschen doch gelesen werden – so ist dies ein grosses Kennzeichen von der Armuth, von der demüthigen Herabkunft des Landes. Marmontel, Arnaud, Harpe sind kleine Stoppeln, oder sprossende Herbstnachkömmlinge: die grosse Ernte ist vorbei.
Was hat das Jahrhundert Ludwichs würklich Originelles gehabt? Die Frage ist verwickelt. Aus Italien und Spanien haben ihre grösten Geister vieles her, das ist unleugbar: die Klubbe unter Richelieu arbeitete über fremde Gegenstände: Corneilles Cid ist Spanisch: seine Helden noch Spanischer: seine Sprache in den ersten Stücken noch Spanischer, wie Voltaire in seinem Comment[ar] darüber zu lesen ist. Seine Medea war ein Hexenstück: sein Cid s. davon die merkw[ürdige] Vorrede Volta[i]rs und die Romancen drüber. Von Moliere findet man etwas im 2ten Th. der Bibl[iothek] der Ana – der Cardinal Mazarin, der Quinault und die Oper aufweckte, war Italiener. Die Ritteraufzüge, Festlichkeiten u. s. w. Italienisch: Lulli ein Italiener: der Geschmack der Kunst, Baukunst, Bildhauerei, Verzierungen, Münzen, Italienisch: die Komödie Italienisch. Die Gesellschaft der Wißenschaften meist Italiener im Anfange s. Fontenelle und Voltaire: Telemach ein Gedicht halb Lateinisch, halb Italienisch in seinen Beschreibungen: u. s. w. Die vornehmsten Künste waren erfunden oder zurückerfunden von den Italienern: was haben die Franzosen gethan? nichts, als das Ding zugesetzt, was wir Geschmack nennen. Dazu disponirte sie ihre Philosophischere Sprache, mit ihrer Einförmigkeit, Reichthum an Abstrakten Begriffen und Fähigkeit, neue Abstrakte Begriffe zu bezeichnen. Da kam also der Spanische und Italienische Geschmack mit ihren Gleichnißen und Spielwörtern ab, man nenne diese Katachresen, oder Concetti oder wie man wolle, wovon noch die ersten Französischen Romanen, Tragödien und Poesien voll sind. Die zu hitzige Einbildungskraft der Span[ier] und Ital[iener] ward in der kältern Sprache und Denkart der Franzosen gemildert: das gar zu feurige der Liebe verschwand; es ward gemildert; aber mit dem Abentheuerlichen ging auch das wahrhaftig zärtliche weg: es ward endlich frostige Galanterie, die nur Adel in Gedanken, Franchise in Worten und Politesse in Manieren sucht. So wird also keine wahre zärtliche Liebe mehr die Scene eines Franzosen von Geschmack seyn. – Man sehe sie selbst auf ihrem Theater: welche ausstudirte Grimassen! einförmige Galanterien! – Sie haben das Herzbrechende weggeworfen: das gar zu niedrige von Küssen u. s. w. ist weg: das Uebertriebne von Augen u. s. w. ist weg: die wahre eheliche Liebe wird nicht gespielt; der wahre Affekt der Brautliebe ist gemein, ist einem Theil nach unedel und verächtlich; dem andern Theile nach übertrieben und lächerlich – was bleibt über? wo sind die schönen Griechischen Scenen der Iphigenia u. s. w. auf dem Franz[ösischen] Theater? – – Eben so ists mit dem Helden des Franz[ösischen] Geschm[acks]. Der Spanier abentheuerlich; Italien hat jetzt keine mehr: was ist aber der galante Held Frankreichs. – – Die Komödie ist in Ital[ien] zu gemein, zu Hanswurstmässig; in Frankreich ist sie in Scenen des gesellschaftlichen Lebens ausgeartet. Moliere ist nicht mehr. Man schämt sich von Herzen aus zu lachen: man lächelt wie im Lügner des Gressets und andren; (s.Clements Nouvell. darüber). Die Franz. Komödie macht Scenen des gesellschaftlichen Lebens; Abende nach der Mode, Marquis, oder nichts. – – Die wahre Kanzelberedsamkeit weg: keine unmittelbare Rührung, sondern Tiraden von grossen Bildern, langschwänzigen Perioden, nichts mehr. Können die Boßvets, Flechiers, u. s. w. rühren! Dazu ist weder Thema, noch Publikum, noch das Ganze der Rede; erleuchten, hie und da erschüttern, das können sie – – nur jener Redner vom jüngsten Gericht in einer Provinz wuste zu rühren mit dem Ganzen der Rede; in Paris wäre er ausgelacht, oder ausgezischt u. s. w.