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Der holländische Gouverneur zu Kupang. Die Chinesen und ihre Diebsfertigkeit. Rückkehr zu den Malayen. Abfahrt in dem Boote und Ankunft auf Bali.
Es läßt sich leicht denken, daß Veronika am folgenden Morgen den Malayenkönig nicht mit den freundlichsten Augen betrachtete, was diesem um so unbegreiflicher war, da er ihr die höchsten Ehren erwiesen hatte, die in seinem kleinen Staate gebräuchlich waren. Von dem vorgesetzten Frühstücke rührte sie keinen Bissen an, sondern drängte zum Aufbruche nach Kupang, wo sie in der Person des holländischen Gouverneurs doch wenigstens wieder einen Menschen zu finden hoffte.
Dieser Gouverneur empfing sie allerdings höflich genug und lud sie sogar zur Tafel ein; als aber der Steuermann mit seiner Schiffsmeuterei zum Vorschein kam, und von ihm die Mittel verlangte, nach Java zu fahren, da schüttelte er den Kopf. Die ganze Geschichte schien ihm erfunden, um ihm Geld abzuschwindeln; er gab das auch deutlich genug zu erkennen, und als Veronika und Babette ihre Betheuerungen hinzufügten, da meinte er, im günstigsten Falle könne er nicht mehr thun, als sich mit nächster Schiffsgelegenheit in Holland zu erkundigen und nach den eingegangenen Nachrichten sein Verhalten einzurichten.
Damit aber war Veronika nicht gedient; die Aussicht, vielleicht ein ganzes Jahr lang in Kupang zurückgehalten zu werden, flößte ihr Entsetzen ein; auch reichte die geringe Baarschaft, welche sie mit sich führte, kaum für einen Monat.
Der junge Malaye gab den Rath, die Fahrt nach Java in dem Boote zu wagen. Die Entfernung von Insel zu Insel wurde ja auch von den Eingebornen in Fahrzeugen zurückgelegt, die kaum besser und stärker waren.
Der Rath war vernünftig genug, auch war der Steuermann geneigt, demselben zu folgen, aber den Mädchen bangte vor einem solchen Wagniß; sie wollten sich vorher vergewissern, ob es auf Kupang durchaus keine Fahrgelegenheit nach Java gäbe.
Peppo rieth, einen Versuch bei den Chinesen zu machen, welche die halbe Bevölkerung von Kupang bilden.
Die Malayen und die nach Timor eingewanderten Chinesen unterscheiden sich nicht allein in ihrer Körperbildung und Kleidung, sondern auch in ihren Sitten und Gebräuchen so vollständig von einander, daß ein Durcheinanderwohnen dieser beiden Racen zu den größten Unbequemlichkeiten führen würde; sie sind deßhalb auch vollständig von einander getrennt. Eine Allee von Tamarindenbäumen scheidet ihre Häuser und Hütten.
In das chinesische Viertel eintretend machte Veronika die Bemerkung, daß alle Bewohner desselben sich mit Handel abgeben, denn sie sah nirgendwo ein Haus, welches nicht einen Verkaufsladen besaß, wo allerlei Gegenstände des Schmuckes feilgeboten wurden.
Der Malaye warnte sie vor dem Eintritte. Wer da hineingeht, sagte er, der wird ganz sicher bestohlen, denn alle Chinesen vom ältesten bis zum jüngsten sind Spitzbuben. Die Lage, in welcher Veronika sich befand, war übrigens auch durchaus nicht darnach angethan, um sich an den fremden Dingen, die sonst wohl Reiz genug für sie gehabt hätten, zu erfreuen. Sie verzichtete deßhalb gerne auf die Besichtigung der chinesischen Waaren.
Vor einem der aus Bambusrohr gebauten Häuser war ein Schild mit einem Schiff gemalt, ein Zeichen, daß der Eigenthümer sich mit der Schiffahrt und vielleicht auch mit Personenbeförderung von einer Insel zur andern abgebe. Dort gingen sie hinein; trafen aber nicht den Hausherrn, sondern die Frau, welche ihnen mit freundlichem Gesichte entgegenschlurfte, wobei sie genug zu thun hatte, das hinten und vorn lang schleppende Kleid aufzuheben.
Das Weib erging sich in den ausgesuchtesten Formen der Höflichkeit, bedauerte unendlich, daß ihr Gatte nicht zu Hause sei, richtete aber während des Sprechens immerfort ihre Augen auf den Armring von geschnitztem Elfenbein, welchen Veronika trug.
Der Malaye bemerkte das und nahm sich vor, für das Mädchen zu wachen. Die Chinesin drückte bald den lebhaften Wunsch aus, diesen Armschmuck zu besitzen; sie wollte einen andern, schönern dafür geben; sie holte auch ein Toilettenkästchen mit allerlei niedlichen Kleinigkeiten herbei. Das Armband wurde von ihr besehen und wiederbesehen, und je länger sie es beschaute, desto größer wurde der Wunsch, es zu besitzen.
Mehrere andere chinesischen Frauen und Mädchen traten jetzt in die Stube; alle waren höflich, alle wünschten, irgend einen Gegenstand von Veronica oder Babetten zu besitzen.
Plötzlich war das Armband verschwunden; die Hausfrau erhob ein großes Geschrei und trieb die später Eingetretenen mit heftigen Worten aus dem Zimmer, keck behauptend, eine derselben müsse das Armband genommen haben. Mit großer Betrübniß packte sie ihr Toilettenkästchen wieder ein und brachte es in Sicherheit. Dann wollte sie die Fremden verabschieden, indem sie eine nothwendige Arbeit vorschützte.
Da trat der Malaye vor und sprach: Ehe wir gehen, gib das Armband heraus, denn du hast es genommen.
Die Chinesin ließ einen Blick der furchtbarsten Entrüstung auf ihn fallen, aber er war seiner Sache gewiß; dort in deinem Bette liegt es, sprach er entschieden.
Die Frau nahm Veronika, Babette und den Steuermann zum Zeugen, daß sie ihren Standpunkt gar nicht verlassen habe und am allerwenigsten in der Nähe des Bettes gewesen sei.
So war es auch in der That, aber dem scharfen Auge des Malayen war es nicht entgangen, daß sie es mit einer raschen Handbewegung hinter sich geworfen hatte.
Es fand sich bei der Untersuchung auch wirklich in dem Bette, und der Steuermann wollte es schon an sich nehmen, als der Gatte eintrat. Ein rascher Blick der Chinesin hatte ihn schnell verständigt. Mit der größten Unverschämtheit trat er auf die Gruppe zu, ließ sich das Armband zeigen und sprach: Ei, ihr Leute, meine Frau hat den Schmuck seit Jahren besessen; ich selbst habe ihn von Peking hieher gebracht.
Da ging dem Steuermann die Geduld aus; er packte den Betrüger an seinem langen Zopfe, schüttelte ihn, daß er kirschroth wurde und schrie: Du infamer Schuft und Spitzbube, steht da nicht der Name Veronika eingeschnitten? Und du Schurke willst das Armband in Peking gekauft haben! Da nimm diese holländischen Ohrfeigen, und wenn du Courage hast, so tausche sie gegen chinesische um. Von der Waare kannst du so viel haben, bis dein ganzer Buckel damit beladen ist.
Der Chinese, weit entfernt, ein solches Tauschgeschäft einzugehen, machte mit pfiffigem Gesichte einen tiefen Bückling und meinte, der Herr Steuermann werde in Kupang ehrlich bedient werden, wenn er eine solche Sprache rede.
Unsere Reisenden hatten nach diesem ersten Anfänge die Lust verloren, sich einem chinesischen Schiffer anzuvertrauen, zumal der Malaye versicherte, sie seien alle so, und wenn einer nicht die Augen aufthue, so verständen sie es, ihm das Hemd vom Leib zu stehlen.
Was war aber nun zu machen? Wie die Verhältnisse einmal lagen, konnten sie in der That nichts Besseres thun, als den Rath ihres großmüthigen Malayenfreundes zu befolgen; der Steuermann rieth auch dazu.
Der Stadt Kupang wurde nun Lebewohl gesagt; alle vier wandten ihr den Rücken und begaben sich auf den Weg, ihr verlassenes Boot aufzusuchen.
Die beiden Malayenmädchen, welche sich mit den Europäerinnen so schnell befreundet hatten, waren überglücklich, als sie die Gäste zurückkommen sahen, und wetteiferten mit einander, ihnen das Leben in der Hütte angenehm zu machen. Am liebsten hätten sie es wohl gesehen, wenn sie ganz dageblieben wären; und diesen Wunsch sprach auch ihr Bruder unverhohlen aus.
Demselben nachzukommen war natürlich nicht möglich; die einfachen Naturmenschen aber konnten gar nicht begreifen, warum sie nach Java gehen wollten, da es doch auf Timor Reis und Palmfrüchte im Uebermaße gäbe, auch an Zuckerrohr und Cocosnüssen kein Mangel sei.
Da es nun aber einmal gar nicht anders ging, so willigten sie am neunten Tage, wenn auch mit weinenden Augen in die Trennung. Alle drei begleiteten sie bis zur Bucht, wo das Boot versteckt lag, und trugen ihnen Nahrungsmittel nach, so viel sie fortschleppen konnten.
Nachdem sie auf dem Grabe des Kapitäns noch ein Gebet verrichtet hatten, schenkte der Steuermann seinem Freunde eine Pistole und etwas Pulver, einen Teppich und andere entbehrliche Dinge, dann bestiegen sie das Boot und fuhren, von den Segenswünschen der Malayen begleitet, von dannen.
Mit Hülfe der zurückbehaltenen Teppiche und einiger, aus dem Walde gehauenen Aeste stellte der Steuermann ein Segel her, welches ein gutes Theil der Arbeit verrichtete, die sonst mit dem Ruder allein geschehen mußte.
So viel es anging, hielt sich der Steuermann der Küste nahe, um an geeigneten Uferstellen Wasser und Früchte einzunehmen; wo aber einzeln am Ufer erscheinende Wilde oder Halbwilde ein gar zu drohendes Aussehen hatten, da suchte er das hohe Meer zu gewinnen, und kehrte erst zurück, wenn die Luft rein war.
Daß diese Art, auf dem Meere zu reisen, eine sehr lange Zeit in Anspruch nahm, ist selbstverständlich, und wir brauchen dem Leser kaum zu versichern, daß sie einen Monat zu dem Wege gebrauchten, den ein Segelschiff in einer Woche zurücklegte. Die ewig glühend niederbrennende Sonne, heftige Winde, zuweilen starke Regengüsse in einem offenen Boote auszuhalten, gehört zwar auch zu den Vergnügen einer Seereise, ist aber auf die Dauer gar nicht auszuhalten. So kam es, daß sie von Zeit zu Zeit an's Land gehen mußten, um auszuruhen, wobei sie natürlich allen Wechselfällen eines uncivilisirten Landes ausgesetzt waren.
Indessen, die Hand Gottes war überall mit ihnen; sie erreichten eine Insel nach der andern und rückten immer näher auf Java zu. Schon hatten sie die kleine Insel Bali, die letzte, welche sie noch von Java trennte, in Sicht, als sich ein Sturm erhob und sie gegen das felsigte Ufer schleuderte. Das Boot ging in tausend Trümmer, aber die Menschen kamen davon, freilich nur mit dem nackten Leben.
An eine Weiterreise war nun nicht mehr zu denken; wenigstens nicht in der bisherigen Weise. Es blieb kein anderes Mittel, als sich den Eingebornen anzuvertrauen, und der Steuermann meinte, es würde das mit nicht allzu großen Schwierigkeiten zu bewerkstelligen sein, da die javanesischen Holländer mit der kleinen Insel in starkem Handelsverkehr ständen.
Vor der Hand mußten sie sich in einem Gebüsche an der Küste, so gut es ging, ein Lager bereiten, denn die Nacht kam und nirgends war ein Dorf oder eine Hütte zu sehen.
Veronika und Babette hatten gänzlich den Muth verloren, besonders die letztere. Sie redete sich von Stunde zu Stunde mehr ein, sie solle niemals ihr liebes Holland Wiedersehen, sondern werde schließlich von einem Wilden aufgefressen werden. Trostgründe halfen nicht, sie schluchzte wie ein Kind, und erst als der Steuermann ihr begreiflich machte, daß sie durch ihr unzeitiges Geschrei in der That einen Menschenfresser herbeiziehen würde, gab sie sich Mühe, ihr Schluchzen zu unterdrücken, was ihr indessen nur sehr unvollkommen gelang.
Veronika hatte sich schweigend an einen Baumstamm gelehnt; was um sie herum vorging, hörte sie kaum. Ihre Gedanken weilten in Nürnberg; zum tausendsten Male machte sie sich bittere Vorwürfe und gelobte Gott, niemals wieder Gedanken an die Fremde in ihrem Herzen aufkommen zu lassen, wenn ihr die Gnade zu Theil würde, in ihre gute bayerische Heimath zurückzukehren.
Als Babette ihres Schluchzens gar nicht Meister werden konnte, kroch sie zu der stärkern Freundin und schmiegte sich fest an dieselbe. Veronika legte den Arm um ihren Nacken. Betend schliefen sie ein und fest umschlungen fand sie das Licht des folgenden Morgens.