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III.

Veronika auf dem Seeschiffe mit einundzwanzig Salutschüssen empfangen. Besichtigung der Waaren. Auf dem Ocean. Schwerdtleins Betragen schlägt um. Babette van Ohr. Die Pocken. Lebendig begraben.


Als am nächsten Morgen das Frühstück verzehrt war, fand sich der Kapitän wieder in van Ginkel's Hause ein, und nun begab sich der ganze Zug mit sammt dem Hausherrn und seiner Tochter in ein Boot, welches schon das Gepäck aufgeladen hatte, um der Veronika zuzusteuern.

Das Schiff lag ziemlich weit im Wasser; es war ein prächtiger Bau, der wohl darnach aussah, als wenn er Sturm und Wetter keck die Stirne bieten könnte. Um die Seeräuber in manierlicher Entfernung zu halten, lugten an seinen Seiten die Mündungen von acht Kanonen heraus, welche das Gefühl der Sicherheit noch vermehrten.

Mynheer Jongmanns hatte zu Ehren des deutschen Fräuleins alle Flaggen aufziehen lassen, so daß die Veronika in ihrem vollständigsten Festanzuge, in ernstem Schweigen dalag. Das Schweigen sollte aber nicht lange dauern, denn als der Kapitän ein Zeichen mit seinem Taschentuche gab, krachten die Kanonen und begrüßten die Tochter des Herrn Dionisius Elster mit einundzwanzig Salutschüssen.

Hier und dort auf dem Wasser machte sich ein kleines Schiff das Vergnügen, in den Kanonenlärm mit einzustimmen, und kläffte mit seinen Katzenköpfen so wacker drein, daß eine hübsche Kanonade den Morgennebel in Bewegung setzte.

Die Gesellschaft stieg jetzt, von Mynheer Jongmanns geführt, die Schiffstreppe hinan, wo der Kapitän ein zweites Frühstück bereit hielt. Es war ziemlich vergebens aufgetischt; hier und dort nur wurde ein wenig genippt. Veronika mußte vor allen Dingen ein paar Zeilen nach Nürnberg schreiben, um ihren Lieben Nachricht von der glücklichen Ankunft in Holland zu geben.

Als dies geschehen und der Brief Herrn van Ginkel zur Besorgung übergeben war, plagte sie die Neugierde, zu sehen, was für Gegenstände ihr Vater ihr zu Begleitern gegeben. Jongmanns führte sie und die Uebrigen deßhalb durch alle Lagerräume und erklärte, was für Waaren jede Kiste und jeder Ballen enthielt.

Reiche, berghohe Waarenvorräthe hatte Veronika oft genug in den weitläufigen Magazinen des alten Kaufmannshauses zu Nürnberg gesehen, aber solch eine Menge, wie hier aufeinandergestapelt und zusammengepreßt war, hatte sie doch niemals unter die Augen bekommen. Sie meinte, in ganz Nürnberg sei kaum so viel Vorrath.

Am meisten wunderte sie sich über die sonderbare Wahl ihres Vaters; denn da gab es Hunderte von Kisten, welche nichts als Glasperlen, kleine Schellchen, schlechte Messer und dergleichen Dinge enthielten, die man in Deutschland um wenige Heller kaufen konnte.

Der Kapitän lächelte: Mein Fräulein, sprach er, diese Waaren sind für Leute bestimmt, welche noch in den Kinderschuhen stecken: für Wilde und Halbwilde, denen etwas Besseres, aber weniger Glänzendes, kaum des Tausches werth wäre. Für eine Handvoll Glasperlen aber geben sie das Beste, was sie haben, für eine Schelle, die Sie in Nürnberg kaum von der Straße aufheben würden, bezahlen sie gerne ein Paar Ochsen, und lachen hinterher noch, daß sie den Fremdling so listig betrogen haben. Darin aber liegt für den klugen Europäer ein ungeheuerer Gewinn. Wenn er es versteht, von Insel zu Insel seine Tauschgeschäfte zu betreiben, so macht ihn eine einzige Fahrt zum reichen Manne. Ihr Herr Vater kennt das, und Herr Schwerdtlein nicht minder, denn auch er hat einst von den Wilden große Schätze mit nach Hause gebracht.

Ich habe sie leider in alle Winde zerstreut, gab der Vetter zur Antwort; aber ich bin nun klüger geworden und denke auf dieser Fahrt meinen Wohlstand einigermaßen wieder herzustellen.

Nachdem Alles besichtigt war, nahmen die beiden Mädchen von einander Abschied und Herr van Ginkel empfahl sich.

Mynheer Jongmanns führte Veronika nun in die Kajüte, welche zu ihrem eigenen Gebrauch bestimmt war. Er hatte dafür gesorgt, daß dem jungen Mädchen hier nichts fehlte, was die Annehmlichkeit und Bequemlichkeit auf einem Seeschiffe vergrößern kann.

Der kleine Salon war mit einem Luxus ausgestattet, den man sonst nur in den reichsten Zirkeln großer Städte findet. Sämmtliche, am Boden festgeschraubte Möbel bestanden aus den theuersten Hölzern, welche in der Tropenzone wachsen. Kostbare Teppiche bedeckten den Boden, werthvolle Gemälde die Wände. Die schönsten Blumen fehlten ebensowenig, wie ein Piano und eine reiche Bibliothek zur Vertreibung der Langeweile, welche sich auf einer längern Seereise ungerufen bei Jedem einstellt.

Veronika staunte, denn sie hatte niemals geahnt, daß man sich mitten auf dem Wasser das Leben so behaglich machen könne. In dem anstoßenden Schlafkabinete fand sie die Einrichtung nicht weniger prachtvoll und bequem.

So konnte sich denn ihr Herz wohl zufrieden geben; und sie war in der Tat recht glücklich, denn Vetter Schwerdtlein sorgte auf eine so liebevolle Art für ihre Bedürfnisse, daß sie nichts vermißte als die Heimat.

Als die Anker aufgewunden waren und das Schiff nun stolz und majestätisch dahinfuhr, mehr und mehr vom Lande sich entfernend, da überkam sie allerdings ein Bangen und sie streckte verlangend die Hände nach den schwindenden Ufern aus.

Cornelius Schwerdtlein aber wußte sie zu beruhigen und machte sie im Voraus darauf aufmerksam, welche reiche Abwechselung sich ihren Augen bieten würde, wenn sie erst in den blühenden Kranz der indischen Inseln eingefahren seien.

Bis dahin war nun freilich noch ein weiter Weg, und damals, wo der Dampf noch nicht im Dienste der Schiffe stand, ein doppelt weiter, aber sie sprang mit Schwerdtlein in Gedanken doch leicht über den weiten Raum hinweg und hörte mit steigender Wißbegier seinen Schilderungen zu.

Es liegt nicht in unserer Absicht, der Veronika auf dem weiten Seeweg durch das atlantische Meer zu folgen. Wir erwähnen nur kurz, daß die Fahrt bis zum Cap ohne irgend eine Ungunst des Wetters zurückgelegt wurde. Doch eines müssen wir noch anführen, daß nämlich Herr Cornelius Schwerdtlein in seiner Zuvorkommenheit und Ergebenheit gegen seine Schutzbefohlene nachließ, je weiter das Schiff dem Süden zusteuerte. Am Cap war es bereits dahin gekommen, daß er sich gar nicht mehr um sie bekümmerte, und wenn er nothgedrungen mußte, so geschah es nur mit sauern Mienen und unfreundlichen Worten.

Kapitän Jongmanns bemerkte diese Veränderung mit höchstem Mißfallen, und da es nicht in seiner Befugniß lag, ihm Vorwürfe zu machen oder ihm ein anderes Verhalten vorzuschreiben, so suchte er die unangenehme Lage des Mädchens dadurch ein wenig zu mildern, daß er selbst die Sorge für sie übernahm.

Unter dem Schiffspersonale befand sich eine junge Holländerin, Babette van Ohr, eine entfernte Verwandte des Kapitäns, welche er zu seiner eigenen Bedienung mitgenommen hatte. Sie war ein aufgewecktes Mädchen, munteren Geistes und von einer besseren Bildung, als man sie gewöhnlich bei der dienenden Klasse in Holland antrifft. Diese gab er ihr zur Gesellschafterin.

Schwerdtlein sah diese Begünstigung nicht gern, aber er konnte sie nicht verhindern, wagte es auch nicht, einen offenen Widerspruch zu erheben, aber er ließ keine Gelegenheit vergehen, wo er sowohl Veronika als Babette eine Kränkung zufügen konnte.

Veronika hatte im Anfange sein verändertes Benehmen irgend einer anhaltenden üblen Laune zugeschrieben; als er aber von Tag zu Tag schroffer wurde, da fühlte sie sich gekränkt Und machte ihrem Herzen durch herbe Worte Luft.

Die Folge war, daß er sich von jetzt ab nicht einmal mehr die Mühe gab, seine offenbare Abneigung gegen sie zu verbergen.

Da war es also für Veronika ein rechtes Gluck, die Freundin zu besitzen; bei ihr durfte sie sich wenigstens ausweinen. Babette van Ohr sprach ihr Trost und Muth ein. Die Seereise dauert ja nicht ewig, sprach sie, einmal wird doch der Tag kommen, wo wir in Batavia landen, und dann haben ihre Leiden ein Ende; bei der Tante werden sie froh, frei und glücklich sein.

Es gelang ihr auch, sie zu zerstreuen, und man konnte nun wieder häufig Veronikas herzliches Lachen aus der Kajüte hören.

Cornelius Schwerdtlein aber schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, nicht allein den beiden Mädchen, sondern auch dem Kapitän das Leben zu verbittern; es verging fast kein Tag, an welchem er nicht Händel mit ihm suchte, bald auf diese, bald auf jene Weise, aber immer so, daß Jongmanns alle seine Kaltblütigkeit zusammennehmen mußte, um sich nicht thätlich an ihm zu vergreifen.

Dagegen stand er mit der Schiffsmannschaft auf dem vertrautesten Fuße. In seiner Eigenschaft als Superkargo war er Herr über die ganze Ladung, und diesen Umstand benutzte er, um den Matrosen und dem Steuermanne aus den reichen Vorräthen ansehnliche Geschenke zu machen.

Jongmanns, welcher mit steigendem Unwillen sah, auf welch eine liederliche Weise das Eigenthum des Herrn Dionisius Elster verschleudert wurde, machte ihm Vorstellungen und da diese nicht fruchteten, so theilte er Veronika die Unterschleifen ihres sogenannten Beschützers mit.

Sie stellte ihn zur Rede, drohte, dem Vater Anzeige zu machen; aber Schwerdtlein lachte laut auf und meinte, von hier bis Nürnberg sei ein weiter Weg, und wenn es zum Klagen komme, so habe er doch auch noch ein Wörtlein mitzusprechen; übrigens werde er ihr schon den Mund rein zu halten wissen.

Woche um Woche verging; das Schiff steuerte rüstig vorwärts, aber je näher es seinem Bestimmungsorte kam, desto unleidlicher wurden die Zustände auf demselben.

Zum Unglücke für Veronika wurde der Kapitän krank, und es zeigte sich leider nur zu bald, daß die Pocken bei ihm ausgebrochen waren.

Unfähig, das Schiff länger zu befehligen, übergab er das Commando dem ersten Steuermann.

Cornelius Schwerdtlein zeigte sich jetzt in seiner wahren Gestalt. Unter dem Vorwande, daß das ganze Schiff in Gefahr sei, wenn der Kranke nicht abgesperrt werde, verbot er den Matrosen jede Hülfleistung und wollte ihn in seiner Kajüte einsperren lassen.

Babette kam händeringend zu ihr, um sie von dem grausamen Entschlusse des Unmenschen in Kenntniß zu setzen. In edelm Zorn eilte sie aus das Verdeck und befahl den Matrosen, den Kranken in ihre eigene Kajüte zu bringen; sie und Babette wollten sich in die Pflege, welche dem braven Mann verweigert wurde, theilen.

Die Matrosen wurden von ihrem Zorne eingeschüchtert, aber keiner von ihnen rührte eine Hand, um ihren Befehl zu vollziehen.

Schwerdtlein, der Feigling, hatte sich auf das Hinterdeck zurückgezogen, um sich der Ansteckung nicht auszusetzen. Als er aber hörte, um was es sich handelte, rief er den Matrosen zu, dem tollen Mädchen den Willen zu thun.

Nun faßten sie an und trugen den leidenden Kapitän hinab. Schwerdtlein gab Befehl, die Planken zu säubern, wo sich möglicher Weise der Krankheitsstoff festgesetzt haben könne. Erst als dieses geschehen war, kam er näher und sprach mit teuflischem Lachen: Jetzt sind die Vögel im Käfig; wir dürfen nur die Thüre vernageln, so sorgt die Ansteckung dafür, daß sie insgesammt umkommen. Dann aber haben wir freies Spiel; Schiff und Waaren sind unser und mein Herr Vetter in Nürnberg mag sehen, wie er zurecht kommt.

Das also war der Kern des vielen Getuschels, welches er seit langer Zeit bald auf Deck, bald in den Kajüten mit der Mannschaft geführt hatte. Sie waren des Handels längst vorher einig geworden, und hätte unser Herrgott den Kapitän nicht durch Krankheit unschädlich gemacht, so stand ihm aller Wahrscheinlichkeit nach ein weit schlimmeres Loos bevor. Uebrigens hatte es allen Anschein, als ob ihm Schwerdtlein schon vor dem Ausbruche der Krankheit irgend ein Pülverchen in den Wein gemischt habe, denn nur auf diese Weise ließen sich die absonderlichen Krankheitserscheinungen erklären. Die Mädchen aber hatten davon nicht die entfernteste Ahnung.

He Jungens, rief der schlechte Mensch triumphirend, die drei dürfen nicht mehr herauskommen, bis sie todt sind. Rasch Nägel und Klammern herbei und die Thüre zugeschlagen!

Er hatte die Matrosen schon so weit entmenscht, daß keiner von ihnen eine Fürbitte für die Unglücklichen einlegte. Die Nägel wurden herbeigebracht und ehe Veronika ahnte, was man mit ihnen vorhatte, erschollen schon die Hammerschläge, mit denen sie von den übrigen Schiffsräumen abgesperrt wurden.

Erschrocken eilte sie in den Vorsalon und fragte, was das Hämmern bedeute und warum sie die Thüre vernagelten.

Närrchen, rief ihr Schwerdtlein zu, glaubst du etwa, wir sollten uns hier oben anstecken lassen? Thue nur deine christliche Pflicht und bleibe hübsch da unten!

Veronika erschrack, denn in ihrer Kajüte befanden sich nur wenige Vorräthe an Lebensmitteln, und doch bedurfte sie schon des Kranken wegen mancherlei Erfrischungen; aber ihre Drohungen wurden verlacht, ihre Bitten verspottet.

Jongmanns stöhnte vor Schmerzen, deßhalb eilte sie an sein Lager. Babette, die doch sonst immer Rath wußte, hatte nun ebenfalls den Muth verloren; mit gesenktem Kopfe saß sie neben dem Lager des Kapitäns und ließ die Thränen in den Schooß rieseln. Wir werden hier elend verhungern, wenn die Unmenschen uns nicht öffnen, jammerte sie.

Veronika erwiederte nichts; die Wahrheit dieser Worte erschütterte sie bis in's tiefste Mark. Voll schöner Hoffnungen, voll Lust nach fremden Menschen und Ländern, nach Abenteuern und Kenntnissen, hatte sie ihr schönes, liebes Nürnberg verlassen, um auf hoher See elend umzukommen. Dumpf vor sich hinbrütend gedachte sie des alten Vaters, des liebenden Bruders und verwünschte nun ihre thörichten Pläne.

Jongmanns jammerte nach Wasser; da lief sie in das anstoßende Schlafkabinet und kam bald wieder zurück, um ihm die heißen Lippen zu netzen. Es wurde Nacht; das Stöhnen des Kranken, das Rauschen der Wellen und das Seufzen des allmählich sich erhebenden Windes waren eine gar traurige Musik in dieser Abgeschlossenheit. Auch dem beherzten Manne, welcher auf dem blutigen Schlachtfelde, wie auf dem empörten Meere furchtlos dem Tode in's Auge gesehen, wäre hier der Muth gesunken, wie vielmehr zwei schwachen Mädchen, die selbst im kleinsten Ungemach zagend den Kopf hängen lassen.

In Veronika's Herzen aber erwachte gerade jetzt der Muth. Babette, sprach sie, Gottes Hand ist überall, und wenn es nicht in seinem Rathe beschlossen ist, werden diese Unholde kein Haar auf unserm Haupte krümmen. Sollen wir aber sterben, so gehen wir wenigstens mit der Erfüllung eines guten Werkes aus der Welt. Muth also, meine Freundin!

Babette richtete den Kopf empor und schaute der Freundin in die Augen; dann reichte sie ihr die Hand und lispelte: Wahr und recht gesprochen; aber es ist traurig, so jung und einsam zu sterben! Nun aber will ich es auch versuchen, stark und gefaßt zu sein.

Wunderbarer Weise gelang ihnen dieses. Die Nacht ging vorüber, der Tag brach an und warf seine Strahlen durch die runden Fenster. Die Mädchen begrüßten das Licht wie eine Trostbotschaft vom Himmel und Veronika sagte: Gott wird uns nicht verlassen, wir werden auch nicht sterben. Eine Ahnung sagt mir, daß ich Recht habe. Die Worte wurden in einer so zuversichtlichen Weise vorgebracht, und das Gesicht der Sprecherin drückte eine solche innere Ueberzeugung aus, daß auch Babette van Ohr neuen Muth faßte.

Ueber sich selbst waren sie also beruhigt; aber der Kranke war in einer schlimmen Lage. Bald war der letzte Tropfen Wasser aufgezehrt und der Durst wurde so unerträglich, daß er zu sterben glaubte und es sogar mit tiefster Inbrunst wünschte.

Veronika klopfte an der Treppe; sie bat, sie weinte, sie flehte, sie drohte – sie verschwendete die rührendsten Bitten für einen Tropfen Wasser, aber diese harten Herzen waren dem Mitleiden so unzugänglich, wie der Hai des Meeres, welcher seine Beute verschlingt, wo er sie findet, unbekümmert, ob er einen abgelebten Greis, einen lebensfrohen Jüngling oder eine heißgeliebte Mutter zwischen seinen furchtbaren Zähnen zermalmt.


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