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VIII.

Ein Malayischer König im Frack. Die Krokodill-Jagd. Ein schreckliches Fest.


Die Stadt Kupang lag noch zwei Tagreisen von der Hütte des Malayen, aber er ließ es sich trotz aller Einwendungen nicht nehmen, seine Gastfreunde dorthin zu begleiten. Sie hätten sich ohne seine freundliche Hilfe auch wohl schwerlich zurecht gefunden, denn der Weg führte meist durch einen pfadlosen Wald, und hier war alle Aufmerksamkeit nöthig, daß man zwischen den zahllosen Sümpfen die Krokodille vermied. Wo diese furchtbaren Ungeheuer eine Beute für ihren Rachen finden, da machen sie zwischen Mensch und Thier nicht lange Unterschied.

Am Morgen des zweiten Tages kamen sie durch ein Dorf, wo große Aufregung herrschte. Auf Befragen erfuhren sie, daß am vorhergehenden Abende eines der Krokodille, welche schon seit langer Zeit die Gegend unsicher machten, einen alten Malayen gefressen hatte.

Die Dorfbewohner pflogen gerade um diese Stunde Rath, wie den gefräßigen Reptilien am besten beizukommen sei. Wenigstens eines der Ungeheuer sollte unter ihren Messern fallen. Da nun die beiden streitbaren Fremden zu geeigneter Zeit ihre Kräfte vermehrten, so hielten sie das für eine gute Vorbedeutung und konnten kaum den Beginn der gefährlichen Jagd erwarten.

Veronika und Babette vernahmen nicht ohne Schrecken den Entschluß ihrer beiden Begleiter, der Jagd beiwohnen zu wollen. Da sich aber gegen ihren entschiedenen Willen nichts machen ließ, so mußten sie sich in den damit verbundenen Aufschub fügen und begaben sich in das Haus des Königs.

Der Pallast dieses Königs unterschied sich von den Hütten der übrigen Malayen eigentlich durch nichts als durch die geringere Helle, welche im Innern herrschte. Seine Majestät aber flößte den Unterthanen einen großen Respekt ein, weil er über den sonst nackten Leib einen schwarzen Frack trug, den ihm vor Jahren ein europäischer Reisender als Zeichen seiner höchsten Verehrung geschenkt hatte.

Als die Sonne so hoch stand, daß man glaubte, der Menschenfresser werde sich jetzt in ihren Strahlen gütlich thun, zog die ganze männliche Bewohnerschaft, welche einen Krisch führen konnte, hinaus und einer sumpfigen Gegend am Meeresstrande zu. Hier zogen sie das Loos, wer von ihnen den Feind herbeilocken und wer den tödtlichen Streich führen sollte. Es entschied für den Begleiter der Europäer und einen jungen Menschen, welcher kaum das zwölfte Jahr zurückgelegt, sich aber bereits den Ruf als Krokodilltödter erworben hatte.

Bei dem Sumpfe angekommen, gewahrten sie ein riesenhaftes Exemplar dieser eckelhaften Bestie, welches, in tiefem Schlaf versunken, die brennende Gluthitze genoß.

Vorsichtig wurde es von den Malayen in weiter Entfernung umstellt; der zwölfjährige Knabe, welcher den vergifteten Krisch handhaben sollte, nahm seinen Platz in respektabler Entfernung hinter seinem Schwanze. Unser Freund aber, Peppo, versteckte sich im Gebüsch und begann wie ein Schwein zu grunzen.

Das Krokodill erwachte aus seinem Schlafe, hob den Kopf und erspähte die Gegend, woher das Grunzen kam. Da dieses fortdauerte, so reckte es sich auf seinen kurzen Füßen empor und bewegte sich der Gegend zu, welche ihm ein leckeres Mahl versprach.

Als es demselben ziemlich nahe gekommen war, verließ der Malaye seinen Standpunkt, vertiefte sich weiter in das Gebüsch und hielt hinter einem Baume, wo er sein Grunzen von Neuem begann, indeß die Treiber sich dem vorwärts eilenden Krokodill immer mehr näherten und hinter ihm den Kreis enger schlossen.

Das wiederholte sich so lange bis sie es ganz umstellt hatten. Jetzt begann das vermeintliche Schwein sich hinter einem Baumstamme hin- und herzubewegen, scharrte in dem dürren Laube und gab dem Menschenfresser die zuversichtliche Hoffnung, daß er mit einem kühnen Sprunge sich des fetten Bissens vergewissern könne.

Das war der Augenblick, wo die todesmuthige That vollbracht werden mußte. Der durch das Loos bestimmte Jäger schwang sich mit einem raschen Sprunge auf den Rücken des gepanzerten Thieres, so daß seine Beine fast den Kopf berührten; der vergiftete lange Krisch funkelte in der erhobenen Hand.

Das Krokodill, welches in seiner gefräßigen Gier die hinter ihm folgenden Treiber nicht bemerkt hatte, war von dem plötzlichen Gewichte auf seinem Rücken überrascht und öffnete den ungeheuern Rachen. In diesem Momente fuhr der Krisch des Malayen in seinen Schlund und zerschnitt ihm die Zunge und die Sehnen, welche die beiden Kinnladen zusammenhalten.

Ein solcher Schnitt muß natürlich mit Gedankengeschwindigkeit geschehen, denn schon das bloße Zufallen der furchtbaren Freßzange würde ihm den Arm zu Pulver zermalmt haben.

Der Stoß war rasch und tödtlich ausgeführt worden, aber das Thier war noch nicht so urplötzlich verendet; in furchtbaren Schmerzen suchte es sich auf die Seite zu werfen und den Malayen mit den Schlägen seines Schwanzes zu erreichen.

Bald auf die eine, bald auf die andere Seite sich erhebend, schwand seine Kraft, weil das Gift seine Wirkung unglaublich schnell ausübte. Wenige Sekunden nur dauerten seine vergeblichen Anstrengungen, dann brach es zitternd zusammen, streckte seine Gliedmaßen von sich und verendete.

Der Malaye, von seinen Kameraden mit Jauchzen beglückwünscht, stieg von seinem sonderbaren Rosse, reinigte seinen Krisch an einem Palmenblatte und beschaute den überwundenen Feind mit einem stolzen Siegeslächeln.

Noch umstanden die Malayen die ausgestreckte Leiche, als einer von ihnen aufschrie: Aufgepaßt!

Schnell fuhren die Köpfe herum und nun gewahrten sie in geringer Entfernung ein zweites Krokodill, welches ihnen mit stillen Mordgedanken gefolgt war.

Sie stoben auseinander; nur der Steuermann blieb stehen und richtete seine Büchse auf das Ungethüm. Er hatte das Auge treffen wollen, aber der Schuß ging daneben und prallte auf den Schildern der Haut wie auf einer Metallplatte ab.

Nur die Freundlichkeit des Malayischen Gastfreundes Peppo rettete ihn vor einer tödtlichen Berührung mit dem angegriffenen Krokodill. Er riß ihn mit einem schnellen Rucke auf die Seite und machte sich dann selbst aus dem Staube.

Der Steuermann schwang sich behende auf einen niedrigen Baum, welcher wie ein rettender Engel am Wege stand. Dort lud er seine Büchse wieder, zielte diesmal genauer, und die Kugel fuhr dann auch wirklich in das Auge und durch dieses in das Gehirn, wo sie den Lebensfaden des Reptils zerriß.

Es mochte wohl das Erstemal sein, daß die Malayen einer solchen Art der Jagd beiwohnten, denn sie klatschten ihm mit lautem Jubel Beifall zu.

Einer der Dorfbewohner meinte, es sei nicht gerathen, länger an diesem Orte zu verweilen, denn die Krokodille hätten nun einmal Wind von ihrer Anwesenheit, und es könne sich leicht ereignen, daß sie herbeikämen, um für ihre Brüder Rache zu nehmen.

Dem stimmte der König, der sich übrigens bis dahin sehr unthätig gehalten hatte, bei und gab das Zeichen zum Rückzüge, indem er sich mit seinem schwarzen Fracke an die Spitze der heimwärtsziehenden Sieger stellte.

Der Steuermann stand noch vor seinem Opfer und betrachtete es, wie den thatsächlichen Beweis einer großen That. Wäre er noch wohlbestellter Steuermann auf der Veronika gewesen, so würde er es an Bord geschleppt und dem Museum im Haag als ewiges Zeichen seines Ruhmes verehrt haben. Aber solche Gedanken mußte er sich nun aus dem Kopfe schlagen, da es doch nicht wohl anging, das schreckliche Ungethüm auf seinen Rücken zu nehmen und damit in Kupang hineinzumarschieren, um es später auf irgend eine Weise nach Batavia zu bringen.

In dem Sumpfe wurden allerlei verdächtige Bewegungen sichtbar, so daß er trotz seiner Heldenthat auf Timor nicht Lust hatte, ein drittes Mal den richtigen Flug seiner Kugel zu bewundern.

Im Dorfe wurden ihm allerlei Ehrenbezeugungen erwiesen, wie sie in Rotterdam und auch anderswo nicht gebräuchlich sind. Selbst der befrackte König überhäufte ihn mit den schmeichelhaftesten Lobsprüchen, welche damit endigten, daß er ihm seinen Siribissen in den Mund schob.

Der Steuermann verwünschte zwar diese Gunstbezeugung in die siebente Hölle, mußte aber wohl oder übel das königliche Priemchen dankbar annehmen.

An ein Weiterreisen war für diesen Tag nicht mehr zu denken; die bloße Absicht schon erregte einen Unwillen unter den Leuten, der bis zur freundlichen, hierorts sehr üblichen Ermordung führen konnte. Nun aber hatte der Steuermann durchaus keine Lust, seine letzte Ruhestätte auf Timor zu finden, darum willigte er ein.

Veronika mußte sich ebenfalls fügen, zumal der König erklärte, wenn sie sich durchaus nicht fügen wolle, so werde er, um sie länger zu halten, genöthigt sein, sie zu seiner Gemahlin zu machen. Sie schauderte schon bei dem bloßen Gedanken, gab aber jeden Widerstand wegen des Bleibens auf, als der Steuermann ihr begreiflich machte, dieser unumschränkte Monarch vertrage keinen Widerspruch, und es käme ihm nicht darauf an, sie den Krisch fühlen zu lassen, wenn sie nicht bliebe, bis die bevorstehenden Festlichkeiten zu Ende seien. Diese Festlichkeiten bestanden vorab in einem Mahle von Reiskuchen, wobei die schwarze Majestät in huldvoller Herablassung jedem seiner Gäste der Reihe nach einen Bissen in den Mund steckte.

So etwas hätte Veronika in ihrem lieben Nürnberg passieren müssen. Aber was lernt der Mensch nicht Alles ertragen, wenn er in der Fremde und gar auf dem wunderbaren Timor ist? Die Hände seiner frackröckigen Majestät hatten wahrscheinlich in seinem Leben noch keine Seife gesehen, denn die Farbe derselben ging weit über das malayische Braun hinaus und näherte sich dem Schwarzen so sehr, daß sie sich mit dem Fracke messen konnten. Doch noch einmal, was lernt der Mensch nicht in der Fremde? Sie aß den Kuchen zwar nicht mit großem Behagen; aber sie aß ihn doch und ließ sich sogar herbei, gleich den Andern mit den Händen in die gemeinsame Reisschüssel zu greifen.

Am Abend veranstaltete der Malayenkönig einen Ball, der nach Timorschen Begriffen Alles übertraf, was auf einem Balle geleistet werden kann. Unsere Leser werden sich wundern, wenn wir ihnen anvertrauen, daß der Hauptreiz dieses Festes im Todstechen bestand, und dieses nicht etwa zum Schein, sondern in wirklichem Ernst.

Die Frauen waren vom Tanze ganz ausgeschlossen; sie durften sich nur im Kreise niederhocken und zuschauen, während die Männer allein die Ehre hatten, sich auf die zierlichste Weise von der Welt niederzustoßen.

Es würde vergebliche Mühe sein, die Tanztouren so zu beschreiben, wie sie in der Wirklichkeit stattfanden, denn die timorsche Gliederverrenkungsmethode spottet jeder Beschreibung. Man hätte den ersten besten dieser Tänzer herausgreifen und nach Europa bringen können, so würde er dort wie ein Wunder angestaunt worden sein. Knochen schienen diese Menschen noch weniger zu haben, als die bewunderten Tausendkünstler, welche auf Messen und Märkten ihre Sprünge machen.

Aus einer unbegreiflichen Verschlingung von Armen und Beinen wickelte sich ein Paar nach dem andern los, sie reichten sich die Hände, stemmten das eine Bein gegen die Hüfte des Nachbars und hüpften mit dem andern im Kreise um zwei Männer, welche sich mit dem blanken Krisch einander gegenüberstanden. Ihre lächelnden Mienen, ihre zierlichen Bewegungen nach dem Takte einer klappernden Trommel, ließen vermuthen, daß diese beiden Tänzer einen künstlichen Pas aufführen wollten. Nun, sie thaten es auch, in einer ganz eigenthümlichen Weise.

Ihr funkelnder Krisch wurde aus dem Gürtel genommen und sie wandten sich gegen einander. In künstlichen Sprüngen und Körperverrenkungen suchte der eine dem andern den Vortheil abzugewinnen, aber Beide waren auf ihrer Hut und mit einer erstaunlichen Gewandtheit wurde der Krisch des Gegners bei Seite geschlagen.

Der Beifall der Tanzenden und der Zuschauer wurde immer stärker, bis er zuletzt, als einer der Kämpfenden zu Boden geworfen war, sich zu einem wahren Sturm steigerte. Die Tänzer hielten jetzt inne und schauten mit glühenden Augen dem gefährlichen Ringen zu, das aber nach einigen Sekunden mit einem tödtlichen Stoße endigte. Der Getroffene, dessen rieselndes Blut den Tanzboden überströmte, sank zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben.

Der erste Pas war vorüber; wie der malayische Freund Peppo äußerte, sollte der Tanz erst dann ein Ende nehmen, wenn nur noch der letzte Sieger übrig sei.

Veronika hatte dem blutigen Vergnügen mit Schrecken zugesehen, aber sie hätte es nicht länger gekonnt und wenn sie selbst hätte sterben müssen; auch Babette war einer Ohnmacht nahe.

Der Steuermann trat deßhalb vor den König und bat ihn, dem blutigen Spiel ein Ende zu machen oder zu erlauben, daß er sich mit den beiden Frauen aus dem Dorfe entferne. Weder das eine noch das andere war von dem Gewalthaber zu erreichen, doch gestattete er, daß sie sich in eine nebenanstehende Hütte zurückzögen, wo sie nur den Lärm der Tanzenden hörten.

Dort verstopften sich die Mädchen die Ohren, aber ihre Phantasie war so sehr aufgeregt, daß sie das scheußliche Gebaren der Malayen noch lange vor sich sahen, bis endlich der Schlaf sich ihrer erbarmte.

Der Todte wurde hinweggeschleppt, der Boden oberflächlich vom Blute gereinigt; dann begann der Todestanz von Neuem und dauerte in der That fort, bis nur noch ein einziger übrig war. Dieser letzte stand stolz und hochaufgerichteten Hauptes mit dem rauchenden Krisch vor dem Könige und bat um den Lohn für seine Heldenthaten.

Die malayische Majestät ließ sich ein breites Messer reichen und gebot dem Sieger, sich vor ihm niederzuknien. Er that es mit auf der Brust übereinandergekreuzten Armen.

Und nun werden die erschütterten Leser mit allem Scharfsinne wohl schwerlich errathen, worin dieser Lohn bestand. In nichts Geringerem, als in der Gnade, von seiner malayischen Majestät eigenhändig geköpft zu werden.

Wir wenden uns mit Abscheu von diesen blutigen Scenen ab, Gott im Herzen bittend, daß er endlich die Sonne des Evangeliums über diese unglücklichen Menschen möge scheinen lassen.


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