Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Während beide, der Sultan und der Wesir, die Hauptstraßen der Stadt durchstreiften, wobei sie die Häuser betrachteten und in jeder größern Straße für eine Weile stehen blieben, gelangten sie auch zu einer Sackgasse, in der sie auf ein Haus stießen, in welchem sich eine Gesellschaft von Leuten befand. Dieselben plauderten miteinander und sprachen: »Bei Gott, unser Sultan hat nicht klug gehandelt und hat keine Ursache stolz zu sein, da er das Hochzeitsfest seiner Tochter zu einem eiteln Ding und Verdruß dadurch gemacht hat, daß er die Armen davon ausschloß. Er hätte besser gethan etwas unter die Armen und Elenden zu verteilen, die nicht in seinen Palast eintreten dürfen noch etwas zu essen erhalten können.« Als der Sultan dies vernahm, sprach er zu seinem Wesir: »Bei Gott, wir müssen unbedingt in dieses Haus eintreten,« worauf der Wesir erwiderte: »Thu' nach deinem Belieben.« Infolgedessen trat der König an die Thür heran und pochte, worauf einer herauskam und fragte: »Wer ist an der Thür?« Der Sultan erwiderte: »Gäste,« und nun entgegnete die Stimme: »Willkommen den Gästen,« und die Thür ward aufgethan. Alsdann traten sie ein, bis sie das Wohnzimmer erreichten, wo sie drei Männer fanden, von denen der eine lahm war, der zweite ein gebrochenes Rückgrat und der dritte einen geschlitzten Mund hatte, und die alle drei zusammen in jenem Raum saßen. Da fragte er sie: »Weshalb sitzet ihr drei hier anstatt daß ihr in den Palast geht?« Sie versetzten: »O Derwisch, das kommt von unserer Verstandesschwäche her.« Nun wendete sich der König zu seinem Wesir und sagte zu ihm: »Du mußt unbedingt diese drei Leute vor mich bringen, sobald die Hochzeitsfeste vorüber sind, damit ich untersuchen kann, was ihre Schwachköpfigkeit verursachte.« Alsdann fragte sie der König: »Weshalb macht ihr euch nicht auf, ihr drei, und esset Tag für Tag von dem Bankett des 70 Königs?« Sie erwiderten: »O Derwisch, wir sind Krüppel, die nicht aus- und eingehen können, da uns dies zu schwer fällt; wenn uns der Sultan jedoch etwas Essen anweisen und es hierher senden würde, so würden wir gern davon essen.« Er entgegnete: »Woher weiß denn der Sultan, daß ihr hier sitzt?« Sie versetzten: »Ihr seid Derwische, die überall Eintritt haben; wenn ihr also zu ihm geht, so erzählt ihm unsre Geschichte; vielleicht macht uns Gott, der Erhabene, sein Herz geneigt.« Der König fragte sie nun: »Sitzet ihr drei hier immer beisammen?« Sie erwiderten: »Jawohl; wir verlassen niemals einander, sei es bei Tag oder bei Nacht.« Hierauf erhob sich der König samt seinem Wesir und schenkte ihnen einige Silberstücke, worauf er sich von ihnen verabschiedete und fortging. Gegen Mitternacht kam er zu einer Wohnung, in der drei Mädchen mit ihrer Mutter spinnend und essend dasaßen; eine jede derselben sah schöner aus als ihre Gefährtinnen, und bald sangen, bald lachten oder plauderten sie. Da sagte der Sultan zu seinem Wesir: »Wir müssen unbedingt eintreten,« worauf der Wesir versetzte: »Was haben wir mit ihnen zu schaffen, daß wir uns ihnen nähern sollten? Laß sie sein, wie sie sind.« Der Sultan entgegnete jedoch: »Wir müssen unbedingt eintreten.« Da erwiderte der Wesir: »Ich höre und gehorche,« und pochte an die Thür, worauf eine der Schwestern rief: »Wer pocht in diesem nächtigen Dunkel?« Der Wesir antwortete: »Wir sind zwei Derwische, Gäste und Fremdlinge.« Das Mädchen versetzte hierauf: »Wir sind Mädchen mit unserer Mutter, und wir haben keinen Mann in unserm Hause, der euch zulassen könnte; begebt euch deshalb zum Hochzeitsfest des Sultans und werdet seine Gäste.« Da hob der Wesir von neuem an: »Wir sind Fremdlinge, die nicht den Weg zum Palast kennen, und wir fürchten, der Wâlī könnte auf uns stoßen und uns zu dieser Nachtzeit festnehmen. Wir wünschen deshalb, daß ihr uns bis zum Tagesanbruch Unterkunft gewährt, worauf wir wieder an unser Geschäft gehen wollen, und ihr 71 habt von uns nichts als Respekt und achtbare Behandlung zu erwarten.« Als die Mutter dies vernahm, empfand sie mit ihnen Mitleid und befahl einer Tochter die Thür zu öffnen. Infolgedessen that sie es, und nun traten der Sultan und sein Wesir ein und begrüßten sie mit dem Salâm, worauf sie sich niedersetzten, um miteinander zu plaudern. Der König aber betrachtete die Schwestern voll Verwunderung über ihre Schönheit und Lieblichkeit, und sprach bei sich: »Wie kommt es daß diese Mädchen in solchem Zustande unverheiratet daheim wohnen?« Alsdann sprach er zu ihnen: »Wie kommt es, daß ihr, wo ihr so schön seid, keine Ehemänner habt, und daß kein Mann in euerm Hause ist?« Da versetzte die Jüngste: »O Derwisch, hüte deine Zunge und frag' uns nach nichts, denn unsere Geschichte ist seltsam und unsre Abenteuer sind wunderbar. Hüte jedoch deine Worte und kürze deine Rede, denn, fürwahr, wärst du der Sultan und dein Gefährte der Wesir, ihr würdet wohl mit unserer Lage Mitleid haben, wenn ihr unsere Geschichte hörtet.« Hierauf kehrte sich der König zum Wesir und sprach zu ihm: »Komm und laß uns unsers Weges gehen; zuvor vergewissere dich jedoch über den Ort und hefte deine Marke an die Thür an.« Alsdann erhoben sich die beiden und gingen fort, während der Wesir eine Weile anhielt und, ein Zeichen auf den Eingang setzend, seinen Abdruck hinterließ; dann kehrten beide zum Palast zurück. Mit einem Male aber sagte die jüngste der Schwestern zu ihrer Mutter: »Bei Gott, ich fürchte, die Derwische haben ihre Marke an unsere Thür gemacht, um dieselbe am Tage wieder zu erkennen; denn vielleicht sind die beiden gar der König und der Minister.« Die Mutter fragte: »Welchen Grund hast du hierfür?« Die Tochter entgegnete: »Ihre Sprache und ihre Fragen, die nichts anders als Zudringlichkeit waren.« Mit diesen Worten begab sie sich zur Thür, wo sie das Zeichen und die Marke fand. Da aber außer den beiden Häusern zur Rechten und Linken fünfzehn Thüren waren, zeichnete das Mädchen alle mit derselben 72 Marke, die der Wesir gemacht hatte. Als nun Gott den Tag dämmern ließ, sprach der König zum Wesir: »Geh' und schau nach dem Zeichen und vergewissere dich seiner.« Infolgedessen ging der Wesir fort, wie es ihn der König geheißen hatte, jedoch fand er alle Thüren in derselben Weise gezeichnet, so daß er sich verwunderte und nicht imstande war die gesuchte Thür zu erkennen und zu unterscheiden. Er kehrte deshalb wieder zum König zurück und berichtete ihm die Sache von den Zeichen an den Thüren, worauf der König rief: »Bei Gott, diese Mädchen müssen eine merkwürdige Geschichte haben. Wenn jedoch das Hochzeitsfest beendet ist und wir die Sache der drei Schwachköpfe untersucht haben, wollen wir uns die Sache der drei Mädchen, die nicht aufzufinden sind, vornehmen.«
Als nun der dreißigste Tag des Hochzeitsfestes zu Ende ging, verlieh er allen Herren seines Landes Ehrenkleider, worauf seine hohen Reichsbeamten zu ihrer gewohnten Beschäftigung zurückkehrten. Alsdann ließ er die drei Leute, die sich selber als Schwachköpfe bezeichnet hatten, vor sich bringen, die, als sie vor den König geführt wurden, bei sich sprachen: »Was kann der König von uns haben wollen?« Als sie vor ihn traten, befahl er ihnen sich zu setzen und sprach zu ihnen, nachdem sie sich niedergelassen hatten: »Es ist mein Wunsch, daß ihr mir die Beweise eurer Schwachköpfigkeit und die Ursache eurer Gebrechen angebt.« Der erste aber, an den die Frage gerichtet ward, war der mit dem gebrochenen Rücken, und, als er zur Rede gestellt ward, sprach er: »Geruhe mir eine Antwort auf eine Sache zu gewähren, o unser Herr Sultan, die mir durch den Kopf ging.« Der Sultan versetzte: »Sprich und sei unverzagt.« Da fragte der Mann: »Wie erkanntest du uns, und wer sprach zu dir von uns und unserer Schwachköpfigkeit?« Der König erwiderte: »Es war der Derwisch, der in der und der Nacht bei euch eintrat.« Da entgegnete der Mann mit dem gebrochenen Rückgrat: »Gott schlag' alle Derwische tot, die alle Schwätzer und 73 Zwischenträger sind!« Bei diesen Worten wendete sich der Sultan lachend zum Wesir und sagte: »Wir wollen sie wegen nichts tadeln sondern sie vielmehr zum Besten haben.« Hierauf sagte er zu dem Mann: »Erzähle, o Scheich.« Und so erzählte er: