Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Geschichte des zweiten Irrsinnigen.

»O mein Herr, mein Fall ist wundersam, und vielleicht wünschest du, daß ich dir die Geschichte in ordentlichem Zusammenhang erzähle.« Der Sultan versetzte: »Laß sie hören.« Da sprach der Jüngling: »O mein Herr Sultan, ich bin von Beruf ein Kaufmann, und keiner von der Gilde war jünger wie ich, da ich gerade in mein sechzehntes Jahr trat. Gleich meinen Gefährten kaufte und verkaufte ich Tag für Tag im Bazar, bis eines Tages ein Fräulein zu mir herantrat und mir ein Papier überreichte. Ich öffnete es, und siehe, da war 49 es voll von Versen und Oden zu meinem Preis, und das Ende des Briefes enthielt den Namen des Mädchens und das Geständnis, daß sie in mich verliebt sei. Als ich das Papier las, kam ich von meinem Ladenbrett in meiner Thorheit und Unwissenheit herunter und, meine Hand ausstreckend, packte ich das Mädchen und schlug es, bis es ohnmächtig ward. Nach diesem ließ ich sie los, worauf sie ihres Weges ging, während ich in Grübeleien versank, und bei mir sprach: »Wüßte ich doch, ob das Mädchen ohne Verwandte ist, oder ob sie Angehörige hat, bei denen sie sich beklagen wird, worauf sie kommen und mich verprügeln werden!« Und so, o unser Herr Sultan, bereute ich, was ich gethan hatte, wo die Reue nichts mehr nützen konnte. Dies dauerte zwanzig Tage lang, als nach Verlauf derselben, während ich wie gewöhnlich in meinem Laden saß, eine junge, kostbar gekleidete und süß parfümierte junge Dame eintrat, gleich dem Mond in seiner Fülle in der vierzehnten Nacht. Als ich sie anblickte, flog mir der Verstand fort, und meine Besinnung und Vernunft verließen mich, so daß ich unfähig war, auf etwas anderes als auf sie acht zu geben. Sie aber trat nun heran und fragte mich: »O Jüngling hast du verschiedene Metallzieraten bei dir?« Ich versetzte: »O meine Herrin, du kannst alle möglichen Arten haben.« Da wünschte sie einige Fußspangen zu sehen, und ich holte sie hervor, worauf sie mir ihre Füße hinhielt und zu mir sprach, indem sie mir ihre Waden zeigte: »O mein Herr, probier' sie mir an.« Ich that es, und nun verlangte sie nach einem Halstuch. Nachdem ich dieses ebenfalls hervorgeholt hatte, enthüllte sie ihren Busen und sagte: »Nimm mir Maß.« Ich that es, und nun sagte sie: »Ich wünsche ein paar schöne Armbänder.« Als ich sie ihr gebracht hatte, streckte sie ihre Hände aus und ihre Handrücken zeigend, sagte sie zu mir: »Leg' mir sie an.« Ich that es, und nun fragte sie noch: »Was kosten alle diese Sachen?« Ich versetzte: »O meine Herrin, nimm sie als Geschenk von mir an.« Dies aber sprach ich im Übermaß 50 meiner Liebe zu ihr, o König der Zeit, da ich ganz in ihr aufgegangen war. Alsdann fragte ich sie: »O meine Herrin, wessen Tochter bist du?« Sie erwiderte: »Ich bin die Tochter des Scheich el-Islâms.« Nun sagte ich: »Ich möchte bei deinem Vater um dich anhalten«; worauf sie entgegnete: »Es ist gut; jedoch o Jüngling, möchte ich dir mitteilen, daß, wenn du dich um mich bei meinem Vater bewirbst, er zu dir sagen wird: »Ich habe nur eine Tochter, die ein Krüppel ist und mißgestaltet wie SatîhEin Seher ohne Kopf und Hals, mit dem Gesicht in der Brust und ohne Gliedmaßen; er verkündete die göttliche Sendung Mohammeds. es war.« Antworte ihm jedoch, daß du zufrieden wärest, und, so er Einwände erhebt, rufe: »Ich bin zufrieden, zufrieden!« Da fragte ich: »Wann soll es geschehen?« Und sie erwiderte: »Morgen zur Frühstückszeit komm zu unserm Hause, wo du meinen Vater, den Scheich el-Islâm, mit seinen Freunden und Vertrauten dasitzen sehen wirst. Dann begehr' mich zur Frau.« Wir einigten uns daraufhin, und am nächsten Morgen, o unser Herr Sultan, begab ich mich mit einigen Freunden zum Haus des Scheich el-Islâms, den ich umgeben von mehreren Großen dasitzen sah. Wir machten unsern Salâm, den sie uns erwiderten, worauf sie uns willkommen hießen und wir alle in freundschaftliche und vertrauliche Unterhaltung kamen. Als die Mittagszeit kam und das Tischtuch ausgebreitet ward, luden sie uns ein uns ihnen anzuschließen, so daß wir mit ihnen speisten und nach dem Mahl den Kaffee tranken. Dann aber erhob ich mich und sprach: »O mein Herr, ich bin hierher gekommen, um bei dir um die wohlverwahrte Maid und verschlossene Perle, deine Tochter, anzuhalten.« Als der Scheich el-Islâm diese Worte von mir vernahm, senkte er sein Haupt für eine Weile zu Boden in tiefen Gedanken über den Fall, der seine Tochter betraf, die ein Krüppel war und von merkwürdiger Mißgestalt. Denn das Mädchen, das mir von ihr erzählt hatte, hatte mir einen Streich gespielt und eine Falle 51 gestellt, ohne daß ich etwas von ihrer List ahnte. Der Scheich el-Islâm aber hob nun wieder sein Haupt und sprach zu mir: »Bei Gott, o mein Sohn, ich habe eine Tochter, jedoch ist sie hilflos.« Ich versetzte: »Ich bin's zufrieden.« Da sagte er: »Wenn du sie nach dieser Beschreibung zur Frau nehmen willst, so soll es unter der ausdrücklichen Bedingung sein, daß sie nicht aus meinem Hause entfernt wird, und daß du sie bei mir zu Hause besuchst.« Ich erwiderte: »Ich höre und gehorche,« indem ich, o König der Zeit, glaubte, sie wäre das Fräulein, das meinen Laden besucht und das ich mit meinen eigenen Augen gesehen hatte. Hierauf verheiratete mich der Scheich el-Islâm mit seiner Tochter, während ich bei mir sprach: »Bei Gott, ist es möglich, daß ich der Herr dieses Mädchens werde und ihre Schönheit und Anmut voll und ganz genießen kann?« Als aber die Nacht anbrach und sie mich in Prozession zum Gemach meiner Braut geleiteten, sah ich, daß sie so scheußlich aussah, wie ihr Vater sie mir als mißgestalteten Krüppel beschrieben hatte. In dem Augenblick fielen alle Sorgen auf meinen Rücken, und ich raste und stöhnte voll Kummer aus innerstem Herzensgrund; doch vermochte ich kein Wort zu sagen, da ich sie ja aus freien Stücken zur Frau genommen und mich in Gegenwart ihres Vaters für zufrieden erklärt hatte. Schweigend setzte ich mich in einen Winkel des Raums, und meine Braut setzte sich in einen andern, da ich es nicht übers Herz bringen konnte, mich ihr zu nähern. Gegen Anbruch des Morgens, o mein Herr Sultan, verließ ich dann das Haus und begab mich in meinen Laden, ihn wie gewöhnlich öffnend und mich niedersetzend, mit einem Kopf, der wie der eines Trunkenen schwindlig war, ohne daß ich Wein getrunken hatte, als mit einem Male die junge Dame, die dieses Mißgeschick über mich gebracht hatte, vor mir erschien. Sie trat an mich heran und begrüßte mich mit dem Salâm, ich aber erhob mich mürrisch und schalt sie und rief: »Weshalb, o meine Herrin, hast du solch eine Sache über mich gebracht?« Sie versetzte: »Du 52 Kessel, gedenke des Tages, da ich dir einen Brief brachte und du, nachdem du ihn gelesen hattest, aus deinem Laden kamst und mich packtest und unter Schlägen fortjagtest.« Da versetzte ich: »O meine Herrin, ich bitte dich, vergieb mir, ich bereue es aufrichtig.« Alsdann ließ ich nicht ab ihr mit sanften Worten freundlich zuzureden und versprach ihr alles Gute, wenn sie mir nur verzeihen wollte. Schließlich ließ sie sich herbei meine Entschuldigungen gelten zu lassen und sagte: »Es soll alles wieder gut werden; wie ich dich einfing, will ich dich auch wieder aus dem Netz befreien.« Ich entgegnete: »Gott, Gott, o meine Herrin, ich bin unter deinem Schutz.« Hierauf sagte sie: »Begieb dich zum Aghā der Spielleute, gieb ihm fünf Piaster und sprich zu ihm: »Wir wünschen, daß du uns mit Vater und Mutter, Vettern und Sippe und Verwandtschaft versiehst und sie heißest von mir sagen: Er ist unser Vetter und Blutsverwandter.« Laß ihn dann alle zum Haus des Scheich el-Islâms schicken und begieb dich zugleich mit seinem Trupp, einer Schar von Trommlern und Pfeifern, dorthin. Wenn sie dann ins Haus treten, und der Scheich sie sieht und ruft: »Was haben wir da?« so laß den Aghā antworten: »O mein Herr, wir sind deines Schwiegersohnes Verwandte und kommen seine Hochzeit mit deiner Tochter zu feiern und uns mit ihm zu vergnügen.« Wenn er dann fragt: »Ist dieser dein Sohn ein Spielmann und Tänzer?« So antworte und sprich: »Ja, gewiß, ich bin ein Spielmann.« Dann wird er dich anschreien und rufen: »O Hund, du bist ein Tänzer und wagst es, die Tochter des Scheich el-Islâms zu heiraten?« Gieb ihm alsdann zur Antwort: »O mein Herr, es war mein Ehrgeiz, durch die Verbindung mit dir geadelt zu werden, und ich habe deine Tochter nur zu dem Zweck geheiratet, daß der gemeine Name eines Tänzers von mir weicht und ich unter dem Saum deines Schutzes stehe.«

Hierauf, o mein Herr Sultan, erhob ich mich unverzüglich und that nach dem Geheiß des Fräuleins, indem ich mich 53 sofort mit den Vorstehern der Tänzergilde für fünf Piaster daraufhin einigte. Am nächsten Tage um die Mittagszeit trafen mit einem Male alle Spielleute mit Tamtam, Pfeifen und Reigen vor dem Haus des Scheich el-Islâms ein und scharten sich im Hof seiner Wohnung zusammen, worauf seine Familie herauskam und fragte: »Was ist los? Was bedeutet dieser Lärm?« Die Gesellen versetzten: »Wir sind Tänzer, und unser Sohn ist in euerm Hause, dieweil er die Tochter des Scheich el-Islâms geheiratet hat.« Als die Angehörigen des Scheich el-Islâms diese Worte vernahmen, begaben sie sich hinauf zum Oberhaupt der Familie und teilten ihm die Sache mit, worauf er sich erhob und zum Hof hinunterstieg, den er gedrängt voll Musikanten fand. Er fragte sie, was sie wünschten, worauf sie ihm entgegneten, daß der Jüngling, der die Tochter des Hauses geheiratet hätte, zu ihrer Sippe gehörte, und daß sie nun gekommen wären, die Hochzeit zu feiern. Da sagte der Scheich: »Das ist fürwahr ein schweres Unglück, daß ein Tänzer die Tochter des Scheichs el-Islâms geheiratet hat. Bei Gott, ich will sie sofort von ihm scheiden!« Alsdann schickte er nach mir, o Herr Sultan, und fragte mich: »Woher stammst du, und was willst du haben, dich sofort deines Weges zu scheren?« Ich versetzte: »Ich bin ein Tänzer und heiratete deine Tochter nur, um meinen gemeinen Namen eines Tanztrommlers in der Ehre der verwandtschaftlichen Verbindung mit dir zu versenken.« Er entgegnete hierauf: »Es ist ganz unmöglich, daß meine Tochter dein Weib bleiben kann; mach' dich daher auf und scheide dich von ihr.« Ich erwiderte jedoch: »Nein, ich will sie nimmermehr verstoßen.« Alsdann fingen wir an miteinander zu streiten, bis sich die Leute zwischen uns ins Mittel legten und die Sache in der Art in Ordnung brachten, daß ich für ihre Entlassung mit vierzig BeutelnEin Beutel etwa gleich hundert Mark. entschädigt werden sollte. Als mir dann das Geld ausgezahlt wurde, entließ ich sie 54 und zog mit dem Geld nach meinem Laden ab, erfreut, durch diese List losgekommen zu sein. Am nächsten Tage erschien das Mädchen, das mir diese List eingegeben hatte, wieder in meinem Laden und begrüßte mich, mir guten Morgen wünschend. Ich erwiderte ihr den Salâm, und in der That, o unser Herr Sultan, sie war ein Muster von Schönheit und Lieblichkeit, Wuchs und ebenmäßiger Gestalt, und mein Herz war wegen des Übermaßes ihrer Reize und durch den Fluß ihrer Rede und durch die Süßigkeit ihrer Sprache in der Liebe zu ihr verstrickt, so daß ich sie fragte: »Und wann das Versprechen?« Sie versetzte: »Ich bin die Tochter des und des, eines Kochs in dem und dem Viertel; geh' und halt' um mich bei ihm an.« Da erhob ich mich in aller Eile und begab mich zu ihrem Vater, ihn bittend, sie mir zur Frau zu geben. Dann heiratete ich sie und suchte sie heim, wobei ich sie gleich dem Vollmond in seiner vierzehnten Nacht erfand und von ihrer Schönheit zum Sklaven gemacht ward.

Das ist das Abenteuer, das mir widerfuhr; jedoch, o mein Herr Sultan, die Geschichte von dem Weisen und seinem Schüler ist noch wundersamer und ergötzlicher; denn, in der That, sie ist eines der Wunder der Zeit und gehört zu den Wunderdingen, die je die Menschen erschauten.« Da befahl ihm der Sultan zu erzählen, worauf er anhob und sprach:

 


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