Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XV
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Der Knabe und die Diebe.

»Es heißt, daß einst sieben Diebe wie gewöhnlich auf Diebstahl ausgingen und bei einem Garten vorüberkamen, in dem sich reife Walnüsse befanden. Da beschlossen sie in den Garten zu gehen, und siehe, da stießen sie auf einen kleinen Knaben, zu dem sie nun sagten: »Knabe, hast du Lust mit uns in diesen Garten zu gehen und auf diesen Walnußbaum zu klettern, daß du von den Nüssen soviel als du magst, issest und uns welche herabwirfst?« Der Knabe 177 willigte ein, und, als er mit ihnen in den Garten getreten war, –

Neunhundertundneunzehnte Nacht.

sprach der eine zum andern: »Schaut zu, wer der leichteste und kleinste unter uns ist, daß wir ihn auf den Baum steigen lassen.« Da sagten sie: »Keiner von uns ist schmächtiger als der Knabe,« und ließen ihn auf den Baum steigen, worauf sie sagten: »Knabe, berühre nichts vom Baum, daß dich nicht jemand sieht und straft.« Der Knabe versetzte: »Wie soll ich's denn anstellen?« Sie erwiderten: »Setz' dich mitten in den Baum und schüttele jeden Zweig aus Leibeskräften, daß die Nüsse abfallen und wir sie auflesen, und, wenn alles abgefallen ist und du zu uns herabgestiegen bist, sollst du deinen Teil von dem, was wir auflesen, haben.« Da schüttelte der Knabe jeden einzelnen Zweig, daß die Nüsse abfielen; und die Diebe sammelten sie auf, als mit einem Male der Herr des Baumes vor ihnen stand und sie fragte: »Was habt ihr mit diesem Baum zu schaffen?« Sie entgegneten: »Wir haben nichts von ihm genommen; als wir vorüberkamen, sahen wir den Knaben da auf ihm sitzen und baten ihn, da wir ihn für seinen Besitzer hielten, uns etwas von den Nüssen zum Essen zu geben, worauf er einen der Zweige schüttelte, daß die Nüsse von ihm abfielen; wir haben keine Schuld.« Da sagte der Herr des Baumes zum Knaben: »Was sagst du dazu?« Der Knabe erwiderte: »Sie lügen; ich will dir jedoch die Wahrheit sagen. Sie kamen allesamt hierher und befahlen mir auf den Baum zu steigen und die Zweige zu schütteln, daß die Nüsse auf sie niederfielen; und da gehorchte ich ihrem Befehl.« Da sagte der Eigentümer des Baumes: »Du hast dich da in ein großes Unglück gestürzt; hast du es dir denn zu nutze gemacht und etwas Nüsse gegessen?« Der Knabe versetzte: »Nein, ich habe nichts von ihm gegessen.« Da entgegnete der Eigentümer des Baumes: »Jetzt erkenne ich deine Dummheit und Thorheit darin, daß 178 du dich zu anderer Frommen abplagtest.« Alsdann sprach er zu den Dieben: »Ich habe keinen Weg zu euch, zieht eure Straße;« den Knaben aber nahm er fest und züchtigte ihn.

»Ebenso wollen auch deine Wesire und Staatsleute dich zu ihrem Besten zu Grunde richten und wollen mit dir ebenso verfahren wie die Diebe mit dem Knaben.« Der König versetzte: »Du hast recht geredet und die Wahrheit gesprochen. Ich will zu ihnen nicht hinausgehen und will mein Vergnügen nicht fahren lassen.« Alsdann verbrachte er mit seinem Weib die Nacht aufs angenehmste bis zum Morgen. Als nun der Tag anbrach und der Wesir sich erhob und sich zugleich mit den Großen des Reiches und denen von den Unterthanen, die anwesend waren, fröhlich und vergnügt zum Thor des Königs begab, wurde ihnen weder das Thor geöffnet, noch kam der König zu ihnen heraus und erteilte ihnen auch nicht Erlaubnis einzutreten. Als sie dann schließlich die Hoffnung aufgaben, sprachen sie zu Schimâs: »O vortrefflicher Wesir und vollkommener Weiser, siehst du nicht das Betragen dieses unverständigen halbwüchsigen Knaben, der zu seinen Sünden noch die Lüge hinzufügt? Wir bitten dich jedoch noch einmal zu ihm hineinzugehen und nachzuschauen, was ihn säumen läßt und abhält herauszukommen; denn wir zweifeln nicht, daß dieses Betragen aus seiner verderbten Natur herrührt, da er den höchsten Grad der Verstocktheit erreicht hat.« Infolgedessen begab sich Schimâs wieder zu ihm und sprach zu ihm: »Der Frieden sei auf dir, o König! Wie kommt es, daß du um solcher geringfügigen Freuden willen eine so große Sache unterlässest, für die es dir geziemte mit allem Eifer zu sorgen? Du gleichst einem Manne, der eine Kamelin hatte und von ihrer Milch lebte, infolge der Güte der Milch aber außer acht ließ ihren Zügel festzuhalten. Als er nun eines Tages wieder zum Melken kam und die Kamelin merkte, daß er den Zügel nicht festhielt, riß sie sich los und suchte das Weite, so daß der Mann die Milch und das Kamel verlor, und sein Verlust größer ward als sein 179 Gewinn. Deshalb, o König, betrachte, worin dein und deiner Unterthanen Wohlfahrt liegt; denn, wie es einem Manne nicht geziemt wegen seiner Notdurft nach Nahrung fortwährend an der Küchenthür zu sitzen, so hat er auch nicht immer wegen seines Geschlechtstriebes bei den Weibern zu hocken. Und wie ein Mann nur soviel essen und trinken sollte als nötig ist, um des Hungers und Durstes Qualen abzuwehren, so soll der vernünftige Mann von den vierundzwanzig Stunden des Tages auch nur zwei Stunden bei den Weibern verbringen und den Rest für seine und seiner Unterthanen Geschäfte verwenden. Denn die Lust an ihnen währt nicht länger als zwei Stunden, und bleibt er länger bei ihnen, so schadet dies dem Leib und Verstand, da sie ihn weder Gutes zu thun heißen noch ihn dazu leiten. Er soll deshalb auch weder Wort noch That von ihnen annehmen, und in der That kam mit zu Ohren, daß viele Männer um ihrer Weiber willen untergingen, wie unter andern auch ein Mann dadurch ins Verderben geriet, daß er dem Befehl seiner Frau gehorchte.«

 


 

Ende des fünfzehnten Bandes.

 


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