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A legmegengesztelhetetlenebbeknek

1

Hideg, meleg – welches ist warm, welches ist kalt? Der Griff steht auf hideg. Wir drehen ihn auf meleg, und eine betäubende Dampfkesselhitze schlägt aus den Tiefen des Eisenbahncoupés zu uns hinauf. Also drehen wir wieder auf hideg zurück; der Dampf fährt fort, aus den Tiefen des Wagens emporzusteigen; hideg und meleg sind offenbar im Komplott. Das nächste Coupé! Aber das ist ebenso siedend heiß. Der Speisewagen! Die Dampfkesselhitze betaut unsere Augengläser. Resigniert kehren wir in das erste Coupé zurück, legen unser Schicksal in hidegs Hand und reißen das Fenster weit auf. Erste Beobachtung: Die finnisch-ugrische Volkszusammengehörigkeit ist zur Genüge bewiesen. Ein Eisenbahnzug in Ungarn läßt sich nur mit einem finnischen Dampfbad vergleichen. Der Zug braust durch die Dämmerung. Recht bald nähern wir uns Österreichs Grenzen – sich Österreichs Grenzen nicht recht bald zu nähern, ist eine schwere Aufgabe; wir lesen das Wort Hegyeshálom an einer Stationsfassade, und wir sind in Ungarn.

Sör! Sör! ruft ein kleiner Junge auf dem Perron. Wünscht er uns auf englisch willkommen zu heißen? Nein, er trägt ein Tablett mit vielen Gläsern, und die Gläser enthalten Bier. Zweite Beobachtung: Sör bedeutet Bier. Hiermit zusammenhängende Beobachtung: Bierhalle heißt Sörszanatoriúm! Wie oft sind wir nicht am Morgen nach einem Feste in ein Biersanatorium gewankt, ohne daß es uns gelang, unserer Dankbarkeit für den gelben Trank diese konkrete Form zu geben!

Hegyeshálom verschwindet in Schatten, und der Zug fliegt weiter durch Gefilde, die immer dämmeriger werden. Kaum ein Licht in den Dörfern und Städten, die vorbeipassieren, kaum eine Laterne an den Stationen. Wir sehen den Zug selbst näher an: welche Armut in der Einrichtung, wie alt und eng und wackelig die Wagen sind, wie grob und fadenscheinig die Überzüge, auch in den Coupés erster Klaffe, und wie brüchig die Korkmatten auf dem Boden! Das ist weder Deutschland noch Österreich; das ist ein Land, das im tiefsten Ernst besiegt und geplündert wurde. Hier hat keine Billionennotenfabrik neue Eisenbahnwaggons zu zehntausenden gebaut, hierher haben keine hilfreichen Nationen ihre Hilfsbereitschaft erstreckt. Hier haben zuerst die ursprünglichen Sieger genommen, was des Kaisers war, dann die Bolschewiken, was Gottes war, und hierauf die Rumänen, was übrig war. Aber wer weiß, daß dieses Land wenigstens drei Fünftel seines Gebietes und dreizehn Millionen einer Bevölkerung von zwanzig verloren hat? Nicht viele in dem freundlich gesinnten Europa, sicherlich noch weniger außerhalb der engen Grenzen des freundlich gesinnten Europas. Die Ungarn sind zu stolz, um Reklame für ihr Unglück zu machen; darum ist man überzeugt, daß bei ihnen alles vortrefflich steht.

In dem Coupé neben unserem sitzt eine typisch ungarische Gesellschaft: zwei Offiziere mit Kaiser-Karl-Schnurrbart und den eigentümlichen Tschakos der ehemaligen österreich-ungarischen Armee; ein Gutsbesitzer im Pelz mit Husarenschnüren und zwei Zigeuner. Die Zigeuner spielen auf ihren Geigen schmachtende, befeuernde Melodien, die man durch den Lärm der Räder hört, und die drei anderen lauschen mit blitzenden Augen. Einmal, vor langer Zeit, in Monte Carlo, traf ich bei meinem Freund, dem Abenteurergrafen Borgacz, einen seiner unzähligen Onkel, einen sonngebräunten, hünenhaften Greis, Besitzer von wirklichen Gütern am Balatonsee, im Gegensatz zu dem Neffen, dessen Güter im Monde lagen. Er streifte seit Jahren in der Welt herum, heute in Monte Carlo, morgen in Paris, die Woche darauf in London. Und überall, wo er ging und stand, führte er vier Zigeuner mit, die ihm vorspielten. Einen englischen Lord kann man sich nicht ohne Bedienten reisend vorstellen, der ihm das Hemd zum »evening dress« herauslegt; noch viel weniger konnte man sich Borgaczs Onkel ohne seine vier Musikanten reisend denken ... Unwillkürlich gehen meine Gedanken zu ihm zurück, als ich das Trio dort drinnen sehe.

Die Zigeuner spielen und spielen; ihre walnußbraunen Gesichter sind auf die Geigen gesenkt, ihre schwarzen Augen glitzern, und sie saugen jeden Ausdruck in dem Gesicht ihrer Zuhörer ein. Je nachdem dieser Ausdruck wechselt, schlagen sie von einem Liebeslied in eine rasende Tanzmelodie um oder umgekehrt.

Aber sind wir denn nicht bald in Budapest? Die Uhr sagt, daß wir dort sein sollten, aber wir sausen und sausen dahin, ohne irgendwelche Zeichen zu sehen, die eine Großstadt ankündigen. Sicherlich spielen der Lokomotivführer und der Heizer auch Violine, sie sind an Budapest vorbeigefahren, und wir sind auf dem Wege nach Konstantinopel. Nein, jetzt sammeln sich die zerstreuten Signallichter zu einer Milchstraße – einer recht mageren Milchstraße – die Bremsen arbeiten, und der Zug hält.

Wir sind in Budapest, genauer gesagt in Pest.

 

2

Irgendeinmal im sechsten Jahrhundert nahm das ungarische Volk irgendwo östlich von der Wolga Abschied von seinen finnischen Vettern und machte sich auf, um Ungarn zu erobern. Mit einer Behendigkeit, die auf die Zeitgenossen verblüffend wirkte, zog es bereits vierhundert Jahre später auf die Ebenen an der mittleren Donau hinab; und 896 hielt Arpád, »der oberste Fürst über die sieben Fürsten«, seinen Einzug in Budapest und übernahm die Regierung. Von wem er die Regierung übernahm, ist weniger bekannt. Als 450 die Völkerwanderung begann, fiel der Vorhang über das Europa östlich vom »Rhein und nördlich von den Alpen, und nicht zum geringsten über die Provinz Pannonien, einer von Roms Kornspeichern«. Im Jahre 1001 wurde das Volk von dem heiligen István (oder Stefan) getauft, dessen Krone seither als die heilige Krone jedem seiner Nachfolger aufs Haupt gedrückt und bisweilen vorzeitig wieder abgehoben wurde. So nach und nach begann Verwandtenbesuch zu kommen; die Türken, das dritte Mitglied der finnisch-ugrischen Volksfamilie, statteten immer häufigere Visiten bei ihren wohlhabenden Vettern ab, deren Gastfreiheit zu allen Zeiten weltberühmt war. Die Türken haben nie sehr viel Verständnis für die Regeln eines korrekten gesellschaftlichen Benehmens gezeigt; aber in Ungarn verloren sie alle derartigen Begriffe vollständig und blieben nach der Art zudringlicher Verwandten etwa dreihundert Jahre. Dann rafften sich die höflichen Ungarn endlich auf und eskortierten sie zum Tor, zum eisernen Tor bei Orsova – nur um sofort darauf neue Gäste aus Wien zu bekommen. Auch dieser Besuch zog sich hinaus und lief nicht ohne Szenen ab. Diese Szenen kulminierten darin, daß die unfreiwilligen Gastgeber im Jahr 1848 eine Gegenvisite in Wien abzustatten beabsichtigten; der Dichter Petöfi hatte bereits eine Festkantate für die Gelegenheit verfaßt, und General Kossuth hatte die Leitung der Zeremonien übernommen, als der Besuch plötzlich durch den russischen Zar verhindert wurde. Seither hat Wien und Budapest getrennten Haushalt geführt, ohne daß darum Mangel an häuslichen Szenen geherrscht hätte.

 

3

Die Straßen sind breit und boulevardmäßig, die Häuser groß und stattlich mit stark deutschem Gepräge. Wo die Donau den Straßenpartien Relief gibt, sind sie wirklich schön. Vielleicht wären sie durchweg schön, wenn nicht das drückende Grau auf der Stadt lasten würde.

Es ist der Krieg und wiederum der Krieg. Zuerst der Krieg an Österreichs und Deutschlands Seite, dann der Krieg gegen den Bolschewismus, dann – als letztes und ärgstes – der Krieg im Frieden, der Krieg gegen die Rumänen, die Budapest einnahmen, um es nach der Bolschewistenperiode zu »pazifizieren«. Bei ihrem Abmarsch schleppten sie alles mit, wofür man nicht Lösegeld bezahlte – und hatte man einem korsettierten General auf -escu Lösegeld bezahlt, so gab es immer wieder fünf neue Herrn mit derselben Endsilbe, die besänftigt werden mußten. Sie nahmen die Druckerpressen mit, ohne daß es die Anzahl der Analphabeten in Rumänien in sichtlichem Grade herabsetzte, die Badewannen, die als Petroleumbehälter verwendet wurden, und die Telephonapparate, auf Grund derer die Freudenhäuser in Bukarest jetzt vollkommen auf der Höhe der Zeit sind.

So viele Subtraktionen merkt man. Budapest macht einen armseligen, hie und da fast russischen Eindruck. Eine große Straße, wie die Andrassy-Avenue, wo die reichen Magnaten ihre Winterresiden; hatten, liegt mit vernachlässigten Villen und Palästen, grauen Fassaden und staubigen Fensterläden da. Eine Geschäftsstraße, wie die breite Kaiser-Wilhelm-Straße läßt einen an Photographien von Omsk, Tomsk und Jenisseisk denken – ungestrichene Häuser, verrostete Laternen, staubbedeckte Bäume und Ströme von fadenscheinigen, farblosen Menschen.

Aber in den Vierteln um den Apponyi-Platz findet man gutgehaltene Häuser, elegante Geschäfte und ein Volksleben, das beinahe an die Kärntnerstraße erinnert; und der Donau entlang sieht man eine Vedute nach der anderen von ruhiger, imponierender Schönheit, die die Gedanken zur Themse führen würde, wenn nicht Buda mit seiner Festungsruine, seinem königlichen Schloß, seinem romantischen Bergprofil sie wieder in das alte Land der Ritterburgen zurückbrächte. Mitten in der Donau liegt die Margareteninsel mit ihren berühmten Bädern – Bädern, die merkwürdigerweise nicht in der Donau genommen werden, sondern in den warmen Quellen, die auf der Insel in dem majestätisch gleitenden Flusse entspringen.

Budapest oder wenigstens Buda liegt auf vulkanischem Grund. Nicht nur auf der Margareteninsel, sondern am ganzen westlichen Ufer springen heiße Quellen und kochende Dampfstrahlen aus der Erde, manchmal mitten auf der Straße. Ob irgendein Teil des Ostufers ähnliche vulkanische Phänomene aufweist, weiß ich nicht, aber ich wage die Vermutung, daß es dann an jener Stätte sein muß, wo das ungarische Parlament sein Haus errichtet hat und seine weltberühmten Sitzungen mit Tintenfaßschleudern und ähnlichen Divertissements abhält. Hätte ich mir von dem ungarischen Reichsverweser Horthy eine Gunst zu erbitten, es wäre die, Tintenfaßlieferant für den Reichstag des Landes zu werden; das wäre ein unfehlbarer Weg zu Wohlstand und Reichtum. Andererseits aber würde ich es nie wagen, diese Ansicht und diesen Wunsch im Parlament laut werden zu lasten. Da hätte ich sofort ein Duell mit Racz Vilmos auf dem Halse. Dieser moderne d'Artagnan ist Mitglied des Parlaments und zählt vierzig Jahre, also zwanzig Jahre mehr als d'Artagnan in den drei Musketieren. Aber während der zwanzigjährige d'Artagnan sich nur gleichzeitig mit Atos, Portos, Aramis und zehn Mann von der Leibgarde des Kardinals schlug, forderte Racz Vilmos vor nicht langer Zeit die ganze ungarische Armee auf einmal! Ehre solchen Männern! Aber wehe dem, der ihnen Anzüglichkeiten sagt und glaubt, daß er diese Anzüglichkeiten maskieren kann, indem er sie auf lateinisch sagt! Bis zum Jahre 1848 sprach man im ungarischen Parlament ausschließlich Latein (und Tintenfaßsprache); noch heute spricht jeder Magnat mit Selbstachtung (und welcher Ungar hat die nicht!) Latein als seine zweite Muttersprache.

Möglicherweise geschieht dies in dem Gefühl, so eine Sprache zu sprechen, die dem Ausländer leichter zugänglich ist als die schöne magyarische. Es ist nicht allen gegeben, das Wort Könyokiadok auf der Zungenspitze zu balancieren; es ist nicht jedermanns Sache die Worte asztalosárugyar, háromszazötvenezerért und egymillióhetszazezerért mit dem richtig fließenden Tonfall hinzuwerfen. Im Vergleich damit ist ut finale und der alblativus absolutus nur ein Kinderspiel.

Von Ungarns (bis auf weiteres) vorletztem König Franz Joseph wird folgende vollkommen wahre Geschichte erzählt:

Eines Tages versammelten sich die Magnaten im Parlament, runzelten zornig die Stirn und sagten:

»Wir und Österreich haben einen gemeinsamen Regenten, wir und Österreich haben ein gemeinsames Heer und eine gemeinsame Flotte; aber welche Namen bekommen die Panzerschiffe dieser Flotte? Sie bekommen deutsche Namen! Sollen wir uns das gefallen lassen? Nein! So gewiß wir unversöhnlich sind, verlangen wir, daß das Panzerschiff, das jetzt im Bau ist, einen magyarischen Namen tragen soll. Resolution! Wir sind unversöhnlich!«

Die Resolution wurde einstimmig angenommen und an Seine Majestät abgesandt. Franz Joseph grübelte darüber nach und schickte dann dem Parlament ein Schreiben, das besagte:

Dies ist der Name, den Wir allergnädigst geruht haben, für das neue Panzerschiff Unserer Marine zu bestimmen. Es ist ein guter ungarischer Name; wenn er dem Parlament nicht gefällt, um so schlimmer für das Parlament!

Unter dem Schreiben stand der Name. Er lautete (man hole tief Atem) wie folgt:

Legmegengesztelhetetlenebbeknek.

Ins Hebräische, Griechische und Lateinische übersetzt, stellte es sich heraus, daß dies bedeute: den Allerunversöhnlichsten.

Anstatt dessen erhielt das Fahrzeug später den Namen Viribus Unitis.

Wenn die Eisenbahnwagen der ungarischen Staatsbahnen einiges zu wünschen übrig lassen, so haben doch die tapferen Magyaren einen teilweisen Ersatz dafür in den Worten ihrer Sprache. Das sind famose Anhängewagen, die nie durch die Benützung strapaziert, ja nicht einmal von rumänischen Generalen gestohlen werden können.

Die langwierigen Verwandtenbesuche der Türken im Laufe der Jahrhunderte haben ausgesprochene Spuren in der Physiognomie der Stadt hinterlassen. Budapest war die erste abendländische Stadt, die Cafés und türkische Bäder hatte. Noch heute sind die Ungarn unermeßlich stolz auf ihren Kavé türök, und grauhaarige Offiziere diskutieren Backwerk und Konfekt mit einer Sachkenntnis, die siebzehnjähriger Backfische würdig wäre.

»Was haben Sie gegen die Italiener?« fragte ich einen ungarischen Bekannten, der, wenn es sich um Italien handelte, legmegengesztelhetetlenebbeknek war. »Ist es der Krieg?«

»Nein.«

»Ist es die ungerechte Niederlage des Säbelfechters Kovacs gegen den Italiener Puliti?«

»Nein. Puliti war ein Gentleman. Er und Kovacs standen sich noch einmal auf ungarischem Boden gegenüber, kämpften und versöhnten sich. Es herrscht Sportfriede zwischen Italien und uns.«

»Was haben Sie also gegen die Italiener?«

»Ich will es Ihnen sagen,« sagte mein schnurrbärtiger Freund. »Diese Orangen, die diese Italiener uns schicken! Die sind vollkommen unmöglich. Niemand, hören Sie, niemand kann eine anständige Orangentorte daraus machen!«

Die Türken sind wegen ihrer zeremoniösen Höflichkeit bekannt. Der Abschluß eines Geschäfts erfordert zehn Tassen Kaffee. Das sind Geschäftsmethoden, die für einen Abstinenten sehr angenehm sein können, aber jemandem, der Eile hat, einigermaßen auf die Nerven gehen.

Am ersten Tage meines Budapester Besuches sah ich mich genötigt, Geld zu wechseln. Das stieß auf Schwierigkeiten. Die großen Banken waren schon geschlossen. Endlich fand ich eine Wechselstube im ersten Stockwerk eines Hauses in der II. Vilmos Czaszarut (Kaiser-Wilhelm II.-Straße – alle Zunamen werden zuerst gesetzt). Ich nahm einen Hunderter heraus und machte mich bereit, meine Millionen in Empfang zu nehmen. Aber nein, so einfach ging das nicht. Der Wechselstubenbesitzer öffnete sofort eine Tür und führte mich in ein anderes Zimmer:

»Treten Sie ein, Euer Gnaden, treten Sie ein!«

Ich trat ein. Ein schwarzbärtiger Mann empfing mich in einem Salon à l'orientale möbliert, mit Sofas rings an den Wänden und vergitterten Fenstern. Ich brachte mein Anliegen abermals vor. Der Schwarzbärtige rief sofort einen Dritten und stellte vor:

»Mein Bruder, Kompagnon der Firma!«

Wir verbeugten uns voreinander. Der Bruder verschwand hinter einem Vorhang und kam mit einem jungen Mann zurück, einem Neffen, den er mir ebenfalls vorstellte. Dann kam noch eine Dame, die Frau des ersten Herrn, hierauf zwei Personen, deren Namen und Beruf ich nicht recht verstand.

»Sie wünschen Geld zu wechseln?«

»Ja, mein Herr. Ich wünsche hundert schwedische Kronen zu wechseln. Es freut mich, daß Sie nicht den Eindruck haben, daß ich die ungarische Banknotenzirkulation aufzukaufen wünsche. Eine solche Auffassung wäre nämlich irrig.«

»Mein Herr, Ihre Note wird sofort gewechselt werden. Unterdessen bitte ich Sie Platz zu nehmen!«

Ich nahm Platz. Die übrigen Damen und Herren nahmen auch Platz. Wir saßen im Halbkreis wie die Teilnehmer an einer Friedenskonferenz.

»Und wie sind die Geschäftsverhältnisse in Suédoises

Wir sprachen nämlich Französisch, genau wie bei einer Friedenskonferenz, und es war die Auffassung meiner Gastgeber, daß Schweden Suédoises hieß ...

»Die Geschäftsverhältnisse? Ausgezeichnet!«

»In welcher Zeitung soll man annoncieren, wenn man Geschäftsverbindungen anknüpfen will?«

»In Bonniers Wochenschrift.«

»Ich wollte schon lange Geschäfte in Suédoises machen. So raten Sie mir also in Bonniers Wochenschrift zu annoncieren?«

»Nein.«

»Warum nicht, wenn es das beste Inseratenorgan ist?«

»Weil das Blatt solche Annoncen nicht aufnimmt. Wenn Sie Geschäfte in schwedischen Damen machen wollen, müssen Sie ...«

Aber da kam endlich mein Geld und enthob mich der undankbaren Aufgabe, ein Organ für weißen Sklavenhandel in Stockholm anzugeben.

Ich trennte mich von meinen Bankiers unter nicht ganz so vielen Zeremonien wie die, mit denen sie sich mir vorgestellt hatten, und eilte in ein Kávehász oder Café, um meine Millionen anzufeuchten. Ich feuchtete sie teils mit einer Flasche Léanyka, teils mit einer Flasche Menyeczke an. Das sind zwei Weine mit wirklich poetischen Namen. Das erstere bedeutet nämlich das Junge Süße Mädchen, und das zweite die Süße Junge Frau.

 

4

Die Ungarn sind das gastfreundlichste Volk der Welt. Die Güter der ungarischen Magnaten sind wie alles andere vom Krieg und vom Frieden mitgenommen. Aber nichtsdestoweniger werden ihre Tische täglich für 16-20 Personen gedeckt, abgesehen von denen, die zum Hause gehören. Man hofft auf Gäste, man erwartet sie als etwas Selbstverständliches. Und wenn die Gäste kommen, ist gar nicht die Rede davon, daß sie nach dem Abendessen oder nach dem Frühstück am nächsten Morgen oder nach dem Lunch am Tage darauf wieder weggehen dürfen. Das wäre ein allzu schwerer Verstoß gegen alle ungarische Sitte. So wie es in England Adelsgeschlechter gibt, von denen man sagt: sie sind mit Wilhelm dem Eroberer herübergekommen, so gibt es auf den ungarischen Magnatengütern Gäste, von denen man in Wahrheit sagen kann, sie sind unter König Arpád zu Besuch gekommen.

Ich selbst, der ich dies bezeuge, weiß, was ich bezeuge, und mein Zeugnis ist wahr; denn ich weiß, daß es wahr ist. Durch zehn Tage war ich in Ungarn. Und in diesen Tagen war ich der Gegenstand einer so überwältigenden Gastfreundschaft, daß ich nur abreiste, weil ich wußte, daß ich nie weiter kommen würde als bis Budapest, wenn ich nicht sofort mein Bündel schnürte. Durch zehn Tage machte ich in der einen liebenswürdigen Familie die Bekanntschaft einer zweiten liebenswürdigen Familie, Neffen, Nichten, Onkel und Cousinen; bei dieser zweiten traf ich am nächsten Tag eine dritte Familie, bei der ich einen Tag später in Gesellschaft der zwei vorhergehenden die Bekanntschaft einer vierten machte; worauf wir alle zum Lunch bei einer fünften Familie von womöglich noch charmanterer Liebenswürdigkeit ... Nein, es lohnt sich nicht, das Unbeschreibliche zu beschreiben.

Diese Tage stehen in einem goldenen Glorienschein des Lächelns, der Zigeunermusik, des Tokaiers. Selten in meinem Leben habe ich soviel über gute Geschichten gelacht, noch seltener habe ich soviel Zigeunermusik gehört, die einzige richtige Musik der Welt – nie in meinem Leben habe ich soviel Tokaier getrunken – aber in seinem Heimatland ist er einer der besten Weine der Welt. Am zehnten Tage riß ich mich – mit blutendem Herzen und einigermaßen schmerzendem Kopf – von diesen ritterlichen, verschwenderischen, stolzen und fröhlichen Menschen los. Elfen!

Als ich in dem Privataeroplan, den sie mir für die Reise nach Wien zur Verfügung gestellt hatten, bequem zurückgelehnt saß, dachte ich an zwei Dinge (zu mehr hatte ich nicht die Kraft). Das eine war ein ungarisches Sprichwort. Es lautet: Wehe dem Fisch, der zum dritten Male ins Wasser kommt!

(Der Fisch lebt bekanntlich im Wasser und wird in demselben falschen Element gekocht.)

Das zweite war eine alte Geschichte aus meiner Jugendzeit: Ein Magnatensohn in meinem Vaterland, dem die juridischen Studien den Blick für die übrigen Facetten des Lebens nicht getrübt hatten, gab eines Abends in einem Hotel in der Universitätsstadt ein Souper für seine Freunde. Im Laufe der Nacht verdufteten er und einige der Souperteilnehmer insgeheim in die nächste ausländische Großstadt. Da sahen sie vieles, doch nicht gerade Museen. Die Zeit verging, und so allmählich tauchte in dem jungen Magnatensohn eine Erinnerung auf: das Souper! Und ein Gedanke: das Souper war in seinem Namen bestellt! Er beeilte sich, ein Telegramm an das betreffende Hotel abzusenden:

»Das Souper stoppen!«

Zwei Stunden später, es war um die Mittagszeit am vierten Tage, traf die Antwort ein:

»Souper heute um acht Uhr aufgehört!«

Diese wahre Begebenheit erregte in Schweden allgemeinen Stolz. Aber was hätte man in Ungarn zu einem Souper gesagt, das vor dem nächsten Jahrhundert aufhörte? ...

*


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