Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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51 Das Mittel gegen kalte Füße

Es kann hier nicht die Rede sein von den gewöhnlich angewandten Mitteln gegen kalte Füße, als da sind kalte Fußbäder, Einlagen von Kork- oder Papiersohlen in die Schuhe oder Kaltwassertreten nach Kneipp mit darauffolgender Bewegung. Wollte ich alle diese Mittel aufzählen, die gegen diese Art von kalten Füßen im Leben zur Anwendung kommen, so könnte ich reichlich Zeilen schinden. Aber es handelt sich hier um eine ganz andere Art von kalten Füßen. Dagegen gibt es nicht viele, sondern nur ein einziges Mittel.

Unter kalten Füßen, von denen hier die Rede sein soll, versteht man einen vollständigen Mangel an allem, was zu des Lebens Notdurft gehört, nämlich Speise und Trank. In der Sprache der wandernden Gesellen wird dieser Zustand von dem Leidenden mit dem Satz zum Ausdruck gebracht:

»Ich habe kalte Füße.«

Aber nicht nur Handwerksburschen haben kalte Füße, auch bei Studenten soll das öfter vorkommen. In dieser Beziehung hat sich gegenüber der Zeit, von der ich spreche, nichts geändert.

Alle erhofften Einnahmen und Geldempfänge 52 blieben ans. Es war, als ob sich alles verschworen hätte. An einem Sonntagabend hatte ich noch 15 Pfennig in der Tasche, hinreichend, um beim benachbarten Wirt im Universitätsviertel Kuttelfleck mit Knödeln und ein Hausbrot zu kaufen. Aber am Montag waren alle Quellen versiegt, und da Ferien waren und kein Freund da war, bei dem ich einen Pump aufnehmen konnte, so war der Montag ein kompletter Fasttag. Der erste Tag wurde gut überstanden. Aber am zweiten Tag überzeugte ich mich davon, daß ich zum Fastenkünstler nicht die geringste Anlage hatte. Um meine Reservekalorien möglichst zu sparen, blieb ich am Dienstag im Bett liegen. Ich wohnte bei einem Handwerkergesellen, braven Leuten. Ich habe viele Abende bei ihnen im Küchenzimmer zugebracht und mit den Leuten gemütlich geplaudert, und ich kann versichern, das Geplauder war oft interessanter und inhaltreicher wie in manchem Salon.

Als an diesem schwarzen Montag meine Hausfrau zum spätesten üblichen Termin, nämlich kurz vor 12 Uhr, mein Bett machen wollte, fand sie die Stube zugeriegelt. Sie stand von ihrem Vorhaben ab.

53 Es kam der Dienstag. Mein Hausherr arbeitete ganz in der Nähe. Es kam öfter vor, daß er in der Vesperpause früh 9 Uhr auf einen Sprung nach Hause kam. Da klopfte er an meine Tür und rief mich bei meinem Namen. »Was ist los?« Antwort aus dem Bette: »Meister,« so pflegte ich meinen Hausherrn anzureden, »mir ist nicht gut,« worauf dieser mit einem hörbaren »So, so!« sich wieder entfernte. Es dauerte aber kaum eine Viertelstunde, dann klopfte es wieder. Ich wurde wieder bei meinem Namen gerufen. Es war wieder mein Hausherr. »Ich habe Ihnen eine Medizin vor die Türe gestellt.«

Eine kleine Anstandspause . . . ich erhebe mich, riegle leise auf und schaue neugierig durch den Türspalt. Da sah ich auf der Schwelle einen mir wohlbekannten Hafen stehen, in dem mir meine Hausfrau in guten Tagen meine Weißwürste zu holen pflegte. Neben dem Hafen lag ein Zwanzigpfennigkipf. Daß der Hafen nicht leer war, brauche ich nicht zu versichern. Es schwammen in ihm ein halbes Dutzend der bekannten echten Münchener Weißwürste. Das war die richtige Medizin.

Der Beschämung wich im Augenblick eine tolle Heiterkeit. Ich lachte gerade hinaus und rief 54 meinen Hausherrn beim Namen. Aber der war schon verschwunden.

Die Leutchen gehören in meinem Erinnerungskreis noch zu den Menschen, deren ich mich nur mit Dankbarkeit erinnere. Unter den kleinen Bürgern und kleinen Beamten Münchens, die an Studenten vermieteten, habe ich und andere manche solche gute Seelen kennen gelernt, und sie sind bis auf den heutigen Tag nicht ausgestorben.

*

Ein andermal bin ich der Gefahr kalter Füße durch einen merkwürdigen Zufall entgangen. Als ich zum Mittagessen zum Augustiner ging, hatte ich noch einen Taler in der Tasche und die Gewißheit, daß bis zum nächsten Geldempfang vier Tage vergehen würden. Da hieß es einteilen. In meinem Budget wurde verschiedenes gestrichen. Die Zigarre, das Kaffeehaus und die Kronfleischküche. Mein Mittagessen kostete 40 Pfennig mit Dreipfennighausbrot. Da gingen noch Studenten, Künstler und Kaufleute in die Küche des Augustiner, und die wohlbeleibte Zenzi stand hinter ihrem grünen Küchentisch und legte einem auf den vom Gaste selbst herbeigeholten Teller einen Lappen 55 Fleisch und die Zuspeise auf. Und das ging fix. Damit zog man dann ab und setzte sich in den Gang oder Affenkasten, wo gerade Platz war. Ich reichte der Zenzi meinen Taler, und die kleine Münze, die ich zurückbekam, versenkte ich in meiner Hosentasche. Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Als ich an meinem Stammkaffeehaus vorüber ging, wohin mich meine Füße unwillkürlich geführt hatten, entschloß ich mich trotz aller Sparsamkeitsbeschlüsse, meine übliche Tasse Kaffee zu trinken und einen Kaiserterdl zu spielen. Ich hatte Glück. Ich habe im Terdl meinen Kaffee gewonnen. Die einzige Ausgabe, die ich machte, war eine Zigarre. Da entdeckte ich in meiner Tasche unter den Münzen, die ich herausholen wollte, ein großes Geldstück. Ich traute meinen Augen nicht. Es war ein Taler. Ich zählte nach. Richtig! Die Zenzi hatte mir auf 5 Mark herausgegeben. Es waren dortmals noch Taler im Kurs, die größer waren wie die Preußentaler. Ich weiß jetzt nicht mehr, waren es sächsische Taler oder österreichische. In der Eile hatte die Zenzi einen solchen Taler für ein Fünfmarkstück gehalten. Drei Tage ging ich nicht mehr zur Zenzi, sondern in die Kronfleischküche. Ich konnte es nicht über 56 mich bringen, ihr unter die Augen zu treten. Als dann die kritischen Tage vorüber waren und ich wieder Geld im Beutel hatte, ging ich zur Zenzi, gab ihr die 2 Mark zurück und erklärte ihr ihren Irrtum. Sie schaute mich so an, als ob sie sich den Mann merken wolle. Und es war so. Obwohl Hunderte jeden Tag zu ihr kamen, konnte es ihr nicht schwer fallen, mich künftig immer wieder zu erkennen.

Von der Stunde an hat die gute, dicke Zenzi mir immer eine Extraportion gegeben. Nicht nur Wohltun trägt Zinsen, sondern auch Ehrlichsein. Zenzi war, wie man sagt, ein gut's Leut. Ich segne noch heute ihr Andenken.


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