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Unter den großen Verdiensten, die der Träger dieses vielgefeierten Namens sich erworben, steht nicht in letzter Linie das: in jenen drangvollen Zeiten, als eine kraftvolle Gegenwartskunst mit einer schwächlichen Nachklangskunst zusammenprallte, der neuen Dichtung in den weiteren Kreisen des bis dahin gleichgültig gebliebenen Publikums Bahn gebrochen zu haben.
Es geschah dies durch seine Bücher »Plaudereien mit der Herzogin von Seeland« und »Apotheker Heinrich.«
Aber wie, Heiberg ein Bahnbrecher? Er war allerdings sehr viel weniger ein solcher, als die, welche das Wort Realismus auf ihre Fahne geschrieben hatten. Er – so wenig wie Theodor Fontane – brach auch keineswegs so ganz mit der Vergangenheit, wie jene es zu thun meinten; er – so wenig wie Theodor Fontane – stellte keine großartigen, langatmigen und langweiligen Programme auf; er – so wenig wie Theodor Fontane – spielte sich als Begründer einer ganz neuen, noch nie dagewesenen Poesie auf. Dafür vollbrachten Theodor Fontane und Hermann Heiberg realistische Thaten; sie waren unter den ersten in Deutschland, welche die Wirklichkeitskunst begründeten. In den siebziger Jahren erschien ganz im Stillen Fontanes »L'Adultera«; Heiberg schrieb 81 seine graziösen, entzückenden Plaudereien und zwar nur, »um seine mißmutigen Gedanken zu töten,« keineswegs aber, am allerwenigsten, um Belegstücke zu liefern, welche die einzige Berechtigung des neuen Dogmas darthun sollten.
Er schrieb sie freilich gerade in der Zeit, als jener heiße Kampf entbrannte; doch hat das vielleicht nicht so sehr den maß- und geschmackvollen Realismus, der seine Dichtungen kennzeichnet, hervorgerufen, als sein durch seine Vergangenheit geschärfter Wirklichkeitssinn. Er war Realist, er wurd' es nicht erst. Denn er hatte gelebt, und er hatte erlebt, eh' er die Feder ergriff; er war ein reifer Mann, als er sein erstes Buch schrieb; er erfüllte buchstäblich die Forderung der Concourts, (wenn ich nicht irre, waren es die beiden Brüder, welche sie aufstellten,) daß man erst vierzig Jahre zählen müsse, bevor man sich Realist nennen dürfe. Aber Realist! Meines Wissens hat sich Heiberg nie so genannt, und da seine Bücher nicht »die einzige Berechtigung des Realismus« beweisen wollten, da er sich nicht auf ein einseitiges Dogmenverkünden und Dogmenbeweisen kapriziert hatte, sondern in Wahrheit nichts anderes als wirken, nämlich die Sinne und die Seele des Lesers nach seinem Willen regieren, sie mit den Bildern und Vorstellungen, welche seine Ideen forderten, füllen wollte – etwas, was bis jetzt alle Dichter seit Homer, ohne Ausnahme, erstrebten – , so nahte seinen Büchern das Publikum sich unbefangen und ohne jegliche Voreingenommenheit. Dem Publikum ist es nämlich in der That ja ganz gleichgültig, wer vor ihm steht, ob es ein Idealist, Romantiker, Realist oder was immer sei – als ob überhaupt die Wirklichkeit diese Gegensätze so scharf begrenzt auseinanderhielte! – es will nur eins: es will bezwungen sein; der Leser wünscht zu fühlen, daß der Künstler Gewalt über ihn habe, er will sein Gefangener sein ...
Heiberg bezwang das Publikum; er fesselte es mit Rosenguirlanden in seinen entzückenden Plaudereien; aber aus seinen folgenden Büchern – ich denke hier besonders an den »Apotheker Heinrich» – langte es mitunter zugleich wie ein Paar grauer Schattenarme, die sich Einem unvermerkt um den Hals schlangen, fester und fester ... und die uns mit unheimlicher Gewalt tiefer und tiefer in das Buch und seine Geschichten hineinzusehen zwangen, bis langsam sich die Spannung löste und ein hinreißender Humor uns den Alp von der tiefaufatmenden Brust wälzte ... Was sag' ich? in das Buch? In das Leben, in das Leben, wie es ist! In allen seinen folgenden Arbeiten, wenn auch in einzelnen bisweilen die Kraft des Dichters nachzulassen schien, steckte ein Element der Ursprünglichkeit, ein naives, leidenschaftliches Ergreifen der Dinge, wie es Einem lange nicht vorgekommen. Und dabei doch wieder: man fühlte sich so wohl bei Heiberg; er hat etwas Aristokratisches, Vornehmes, Weltmännisches; bei ihm vereinigte sich Weltton mit Frische, heitere Laune mit einer schneidenden Satire. Auch seine berückendsten Schilderungen waren durch einen goldechten Humor verklärt. Dieser Humor gerade ist das Auszeichnende der schriftstellerischen Persönlichkeit Heibergs: nicht viele Dichter der gegenwärtigen Zeit können sich zu diesem Erlösungsmittel durchringen, sie werden immer zwischen den schmerzvollsten Gegensätzen hin und her geschleudert, und erleichtert seufzen sie auf, wenn ihnen ein Begünstigter begegnet, und horchen auf ihn, um zu lernen, wie man das schwere Leben leicht nimmt.
Und dringender wurde nun allgemach das Fragen: Wer ist dieser Mann? Wo kommt er her? Nicht müßige Neugierde blos war es, die so forschte. Denn, um es mit einem groben und beschränkten Wort zu sagen: Was Einer ißt, das ist er. Meine Leser verstehen sicher, was ich meine.
Man erfuhr nach und nach folgendes.
Hermann Heiberg ist am 17. November 1840 in Schleswig, der jetzigen Provinzialhauptstadt, als Sohn eines Rechtsanwalts geboren. Die Heibergs, eine angesehene Patrizierfamilie, spielten in der kleinen Stadt seit langem eine große Rolle. Heibergs Mutter, die noch lebt, entstammt dem gräflichen Hause Baudissin-Knoop. Er verlebte eine sehr glückliche Jugend, man ließ ihm als Knaben Luft und Licht ... und er war ein frischer, fröhlicher Junge, kein Stuben- und Ofenhocker. Seine Jugend wirft denn auch einen lichten, lachenden Schein in all seine Bücher, ... er ist einer der größten und naturwahrsten Kinderdarsteller der Gegenwart, ebenso wie er die Kleinstadt, in der eben seine Jugend dahinfloß, meisterhaft zu vergegenwärtigen weiß. Nachdem Heiberg das Gymnasium seiner Vaterstadt durchlaufen hatte, wollte er das Studium der Rechte ergreifen; doch verhinderten die damaligen Wirrnisse in Schleswig-Holstein und andere Umstände die Ausführung dieses Entschlusses. Heiberg ward Kaufmann und zwar Buchhändler. Seine Lehrjahre, die er später im »Januskopf«, diesem vortrefflichen Buchhändlerroman, geschildert hat, absolvierte er in Kiel. Dann übernahm er in Schleswig die selbständige Leitung einer von seinem Vater begründeten, aber bisher von fremder Hand verwalteten Buchhandlung, die er wenige Jahre später, nachdem er inzwischen ein Jahr in Köln gewesen, als Eigentum an sich brachte. Nach dem Krieg von 1866 verkaufte er sein aufblühendes und mit einer eigenen Druckerei versehenes Geschäft, um nach Berlin zu übersiedeln. Hier ward er vorerst geschäftlicher Leiter der Nordd. Allg. Ztg., dann der Spenerschen Zeitung, doch bald wurde der energische und tüchtige Mann in die Direktion der Preußischen Bankanstalt berufen. In seiner neuen Stellung sammelte er die vielseitigsten Erfahrungen, zumal sie ihn zu häufigen und ausgedehnten Reisen durch Deutschland, die Schweiz, Holland, Belgien, Dänemark, Frankreich und England veranlaßte. Wo ist ein Schriftsteller mit einer so eigentümlichen und bewegten Vergangenheit, ein Schriftsteller, der als thätiger Mann im Leben stand, nicht es als müßiger Zuschauer beobachtete? ... Die Bank liquidierte; er stellte sich auf eigne Füße und beschäftigte sich vorwiegend mit der Einleitung zur Finanzierung von Eisenbahn- und Tramway-Unternehmungen; erhielt auch einige male allein oder im Verein mit anderen bedeutsame Vertretungen – so war er z.B. einmal vorübergehend Bevollmächtigter der chinesischen Regierung für eine Finanzierung in London – , zog sich aber endlich doch, mehrfach um die Früchte seines Fleißes und seiner Geschicklichkeit gebracht und grenzenlos angewidert von allem, was »Geschäft« heißt, zurück. Im Jahre 1881 schrieb er dann, »um meine mißmutigen Gedanken zu töten,« wie er sagt, jene reizenden »Plaudereien mit der Herzogin von Seeland.« Der große Erfolg, den dieses anmutige und originelle Buch fand, ermunterte ihn zum Weiterschaffen, und so lebt er denn noch jetzt als Schriftsteller in Berlin W., an der Seite einer liebenswürdigen Frau, mit der er sich 1865 vermählt hat, umgeben von einem blühenden Kinderkreis, rastlos und erfolgreich thätig.
Hiermit legt der Verein der Bücherfreunde der deutschen Leserwelt sein neuestes Werk vor.