Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Grete von der Linden griff mit recht mürrischer Miene nach Umschlagtuch und Hut und begab sich in den Garten. Sie wollte versuchen, hier ihre Gedanken zu ordnen, nachdem sie ein sehr aufregendes Gespräch mit Carin Helge gehabt hatte.

Ihre frühere Erzieherin und jetzige Gesellschafterin hatte geäußert, daß Herr von Brecken ihr ein äußerst widerwärtiger Mensch sei, eine Persönlichkeit, vor der man sicher auf der Hut sein müsse, und Grete hatte sehr empfindlich entgegnet, daß sie es nicht passend finde, daß Carin ein solches Urteil über Freunde des Hauses fälle.

Darauf war wieder eine etwas schroffe Äußerung von Fräulein Carin gefallen, und nach einer nicht minder gereizten Antwort von Grete hatte die erstere erklärt, daß es bei der geringen Übereinstimmung, die neuerdings zwischen ihnen herrsche, wohl besser für sie sei, Holzwerder zu verlassen. »Ja, machen Sie das ganz, wie Sie es für gut befinden, liebe Carin.« Mit diesem kühl gesprochenen Wort war das Band zerrissen, das die beiden seit Jahren verknüpft hatte. Aus der ursprünglichen Erzieherin war nach Gretes Einsegnung eine Freundin geworden. Auf Gretes ausdrücklichen Wunsch war Carin auf unbestimmte Zeit als Gesellschafterin und Gast auf dem Gut geblieben. Aber von Monat zu Monat hatte sich im letzten Jahr das Verhältnis schlechter gestaltet. Grete waren die Flügel ungewöhnlich rasch gewachsen, sie erlaubte sich, über alles sehr präzise nachzudenken, sich ihre eigene Meinung zu bilden und dieser nicht nur Ausdruck zu geben, sondern auch über entgegengesetzte Ansichten kurz wegzugehen oder ihnen entschieden entgegenzutreten.

Einige Ausflüge mit ihren Eltern in die große Welt hatten sie rasch gezeitigt. Sie wußte, daß sie hübsch und klug war, und schmeichelnde Stimmen hatten es in zahlloser Wiederholung bestätigt, aber sie wußte auch, daß sie eine reiche Erbin sei, und hatte bereits erfahren, wieviel ein Mensch, den man für begütert hält, der Welt ohne Widerspruch bieten kann.

Geld und Gold beugte die Kniee der Menschen und schuf demütige Gebärden selbst dann, wenn die den Nacken krümmenden Personen keiner Vorteile gewärtig sein konnten.

Grete hatte ein Interesse für Tankred, weil ihrem praktischen Sinn die Vorzüge einleuchteten, die erwachsen würden, wenn die beiden aneinandergrenzenden, großen Güter unter eine Herrschaft kämen. Breckens waren Freiherren, auch Tankred hatte das Recht, sich Baron zu nennen. Schon seit ihrer Kindheit hatten ihr die Bewohner von Falsterhof großen Respekt eingeflößt. Reichtum verband sich bei ihnen mit solider Gesinnung und vornehmer Zurückhaltung; die alten Breckens ließen die Menschen an sich herankommen, sie suchten sie nicht auf. Das gefiel Grete, die Eindrücke der Jugend wirkten nach und übertrugen sich auf Tankred.

Er war ein stattlicher Mann, groß und geschmeidig und hatte etwas Energisches in Haltung und Ausdruck, und doch besaß er etwas Fortreißendes, wenn er liebenswürdig sein wollte.

Daß sich nichts von Sentimentalität in seinem Wesen äußerte, war Grete höchst willkommen; sie haßte alle Empfindsamkeit, weil sie selbst davon nichts besaß. Und endlich und zuletzt – sie mochte ihn einmal, und durch seine Vermögenslage würde sie imstande sein, um so leichter die allerdings nur moralisch begründeten materiellen Ansprüche ihrer Eltern zu befriedigen. Allerdings, auch das überdachte Grete; sie war durchaus nicht geneigt, sich Einschränkungen aufzuerlegen.

Freilich waren Tankreds Vermögensverhältnisse noch nicht völlig aufgeklärt. Einige behaupteten, Tankred von Brecken besitze keinen Groschen, andere dagegen, – sie wollten es aus seinem Munde gehört haben, – daß er Miterbe von Falsterhof sei.

Nach dem ersten Besuch war Tankred noch zu wiederholten malen auf Holzwerder gewesen, obschon er nicht mehr auf Falsterhof wohnte. Er hatte sich in Elsterhausen unter dem Vorgeben eine Wohnung gemietet, daß ihm der Aufenthalt auf dem Gute ohne Theonie zu einsam, es auch für seine Bemühungen, sich ein Gut zu kaufen, bequemer sei, in der mit der Eisenbahn verbundenen Stadt zu wohnen.

Heute ward Tankred abermals erwartet, und bei dieser Gelegenheit hatte sich Herr von Tressen auf Veranlassung seiner Frau vorgenommen, mit dem Gast über dessen Vermögensverhältnisse zu sprechen.

Frau von Tressen besaß die Eigenschaften, welche die verstorbene Frau von Brecken an ihr gerühmt hatte. Sie war gutherzig, klug und energisch, hatte eine gerechte Denkungsart und einen ehrenwerten Charakter. Aber sie liebte das Leben und seine Zerstreuungen und hatte niemals recht verstanden, sich einzurichten. Während ihr erster Mann noch gelebt hatte, war er der verständige Haushalter gewesen, aber nach seinem Tode hatte Frau von Tressen über ihre Verhältnisse gewirtschaftet und in ihrem zweiten Mann keinerlei Stütze für bessere Entschlüsse gefunden. Im Gegenteil, das ihr persönlich gebliebene Vermögen war schon längst verthan. Bei der Feinfühligkeit, die ihr eigen war, hatte sie bisher noch niemals mit Grete über die Zukunft gesprochen, ebensowenig ihr Mann, der alles beiseite legte oder aufschob, was ihm unbequem war. So vertrauten beide stillschweigend Grete, aber ihr Nachdenken sagte ihnen auch, daß ihre Tochter eine offnere Hand haben werde, wenn sie einen wohlhabenden Mann heirate.

Tankred gefiel ihnen aus denselben Gründen, die für Grete hauptsächlich in die Wagschale fielen.

Wohl wollte sich in der Frau – wie in Carin – bisweilen ein Mißtrauen gegen Tankred regen, aber durch seine Geschmeidigkeit ward ihre Vernunft eingeschläfert, und ein Gemisch von befriedigter Eitelkeit, Anbequemung an Gretes deutlich hervortretende Wünsche und jene Flüchtigkeit, die zunächst nur das greifbar Vorteilhafte ins Auge faßt, bestimmten sie, sich für die Partie zu interessieren, – natürlich vorausgesetzt, daß Tankred der vermögende Mann sei, als den sie ihn schätzten.

Ihr künftiger Schwiegersohn und ihre Tochter sollten sich schriftlich verpflichten, ihren Eltern jährlich eine festgesetzte Summe zu zahlen. Aber wenn nun Tankred kein Vermögen besaß, oder wenn er oder ein anderer Gatte Gretes sich weigerte, für ihre und ihres Mannes Existenz aufzukommen?

Zum erstenmal überfiel es die Frau schwer, zum erstenmal in ihrem Leben überkam sie eine schier unbezwingliche Angst, es könne dergleichen geschehen oder später eintreten. Ihr Mann, ein früherer Offizier, war vollkommen erwerbsunfähig. Schon machten sich allerlei durch einen raschen Lebenswandel hervorgerufene Leiden bei ihm bemerkbar, ihn plagten vorübergehend Gichtschmerzen; eigentümliche nervöse Beschwerden, Schlaflosigkeit und Atemnot waren schon vor zwei Jahren eingetreten und hatten das Herz der Frau mit Sorge erfüllt. Wenn er sich dann wieder erholt und wohl gefühlt, hatten sie beide die Gedanken an Krankheit und Tod rasch beiseite geschoben; aber gegenwärtig erschien ihr alles in einem anderen, sehr dunklen Lichte. Unklar und drohend stieg die Zukunft vor ihr auf, und sie beschloß, vorsichtig zu handeln und sich nicht auf bloße Eindrücke oder gar auf den Zufall zu verlassen. –

Als Grete nach ihrer Wanderung im Freien ins Herrenhaus zurückkehrte, begegnete ihr Hederich, der die Weste schief zugeknöpft hatte, und dem ein Zipfelchen hinten aus dem Rockkragen hervorschaute. Er war ein gut geschulter Verwalter und ein gerader, durchaus ehrlicher Mensch, der nicht eben überintelligent und vielseitig war, aber instinktiv das Rechte traf, in allen seinen Obliegenheiten nach Grundsätzen verfuhr und allgemeine Achtung genoß.

Niemand übte einen so großen Einfluß auf Grete aus, wie er, ja, insofern das junge Geschöpf überhaupt jemanden, einschließlich ihrer Mutter, zu lieben vermochte, – ihren Vater betrachtete sie eigentlich nur als eine durch unantastbare Verträge überkommene, friedfertige und unschädliche Persönlichkeit, – empfand sie ein solches Gefühl für Hederich. So lange sie ihn gekannt hatte, war er ihr stets gütig und zugleich ehrerbietig begegnet. Wann immer sich eine Gelegenheit gefunden, hatte er ihr Aufmerksamkeiten erwiesen, und schon als Kind war sie zu ihm gelaufen und hatte ihm ihr kleines Herz ausgeschüttet. Nicht Herr von Tressen, der immer nur seine Amüsements, seine L'Hombre-Partieen, Diners, Jagden und Reisen ins Auge faßte, hatte ihr den früh verlorenen Vater ersetzt, sondern der Junggeselle Hederich.

Er kannte nichts von der Welt draußen, aber um so besser war er über alle Gutsangelegenheiten und alle Persönlichkeiten in nächster und weiterer Umgegend unterrichtet. Er ward auch sehr häufig in praktischen Fragen, bei der Beurteilung von Pferden und anderen die Landwirtschaft betreffenden Dingen, über Korn, Witterung und Gesinde um Rat gefragt und wußte eigentlich immer alles. Dem pfeifen es die Drosseln von den Bäumen zu, sagten die Leute von ihm.

»Guten Morgen, guten Morgen, liebes Fräulein. Drum und dran. Schon so früh heraus? Wie geht's Papa heute? Hab' ihn noch nicht gesehen. – So, so, das ist schön. – Ja, gewiß, gern. – Ich habe Zeit! Sollen wir hier den Buchensteg entlang gehen? Nun, liebes Fräulein, was ist, bitte?«

»Zuerst Hederich: Fräulein Carin verläßt uns. Sagen Sie, was halten Sie eigentlich von ihr?«

»Viel, Fräulein Grete! Sie ist eine ehrliche Person und braucht nicht erst ein Kreuz auf dem Rücken zu haben zum Zeichen, daß sie dienstfähig ist. Sie hat von ihren Eltern Verstand mit in die Wiege gelegt gekriegt. Aber drum und dran, warum fragen Sie?« forschte der Alte mit seinem tief eingeschnittenen Gesicht und machte neugierige Augen.

»Nun ja, weil sie weggeht, und ich darüber nachdenke, an wem die Schuld wohl liegt. Gewiß Hederich, ich stimme Ihnen bei. Aber wir verstehen uns nicht mehr. Da ist es besser –«

»Ja, ja, Sie gehen bei Zeiten auseinander, als daß Sie in Feindschaft enden. Gewiß, das hat sie nicht um Sie verdient, Fräulein Grete!«

Grete schwieg, sie fühlte er hatte recht; gern würde sie aber gesehen haben, daß er ihr bereitwillig zugestimmt hätte.

»Wie kam denn das mit Ihrem Streit, Fräulein Grete, nichts für ungut, wenn ich fragen darf?«

»Über Herrn von Brecken erzürnten wir uns. Apropos! Was halten Sie von dem?« unterbrach Grete sich, als sei sie erst durch das Gespräch auf ihn gebracht, während sie es doch nur um seinetwillen begonnen hatte.

Der Verwalter antwortete diesmal nicht gleich. Er schien ausweichen zu wollen.

»Nun? Haben Sie etwas gegen ihn?«

»Mit Verlaub, Fräulein Grete. Will Fräulein Carin etwas von ihm wissen?«

»Nicht viel eben! Sie verdächtigt seinen Charakter.«

Hederich bewegte den Kopf, zog die breiten Lippen und machte große Augen.

»Ja, sie versteht's –«

»Wieso? Mögen Sie ihn auch nicht? Hören Sie, Hederich! Ich frage nicht umsonst. Ich – ich –«

»A – h –« machte der Mann und sah Grete groß an. »Nun ja denn! Ich weiß nichts Schlechtes von ihm. Drum und dran, er soll leichtsinnig gewesen sein. Anfangs da gefiel er mir auch sehr gut. Er hat mir sogar eine Meerschaumpfeife geschenkt. Aber wissen Sie, Fräulein Grete, er hat was im Auge – oft – man kann sich fürchten –«

»Ja, ein energischer Mensch ist er. Ich glaube deshalb auch, wenn er sich mal gesetzt hat, mal zur Ruhe kommt, wird er ordentlich, sparsam und solide werden.«

»Ja – ja – das ist wohl anzunehmen,« bestätigte Hederich. »Aber ob er so recht umgänglich werden wird – gegen Sie – ich meine – drum und dran – und denn – und denn, Fräulein Grete – er hat, glaub' ich, gar nichts!« stieß Hederich zum Schluß heraus.

»So? Wissen Sie etwas Bestimmtes darüber?« forschte Grete, den ersteren Einwand umgehend.

»Er soll ein Versprechen haben von seiner Kousine auf Falsterhof, aber auch bloß ein Versprechen, das an Bedingungen geknüpft ist.«

»In der That? Von wem haben Sie das? Von ihm selbst?«

Hederich verneinte stumm. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Zuletzt ließ er etwas von Frege fallen und ging noch weiter und erklärte, Frege traue Tankred nicht über den Weg.

»Ja, aber weshalb mißtrauen ihm denn die Leute? Ich verstehe nicht,« betonte Grete, durch die Enttäuschung, die sie empfand, zum Widerstand gedrängt. Sie wollte Gutes hören, und da sie es nicht vernahm, wollte sie es, wie alle Hoffenden, erzwingen.

»Sie meinen – drum und dran –« entgegnete Hederich ehrlich, –«daß er wenig Herz hat und nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Für andere Menschen hat er nichts übrig.«

Grete fand diese Eigenschaft nicht so schlimm. Die Erklärung regte sie nicht auf, sondern beruhigte sie, obschon sie gern gesehen hätte, wenn Hederich von Tankred eingenommen gewesen wäre.

»Na,« schloß sie nüchtern. »Besser ein Fuchs, als ein dummes Huhn.«

»Ja, – ja – liebes Fräulein, aber es liegt – drum und dran – etwas dazwischen. Das ist das Richtige. Ihre Mama – na ja, sie hat ja eine sehr leichte Hand – aber die hat die schöne Mitte, klug und gut.«

Grete antwortete nicht.

»Warten Sie, alter, guter Hederich –« sagte sie und schob ihm das Bändchen unter den Rockkragen, –«hier steckt was heraus.« Und plötzlich ganz unvermittelt: »Wie viel sicheres Einkommen hat Falsterhof, und wie viel unser Gut?«

Darauf mußte Hederich schon antworten, weil er sich in der Rolle des genau Unterrichteten überaus gut gefiel.

»Falsterhof wirst wenigstens hundertzwanzig- bis hundertdreißigtausend Mark jährlich ab, und Holzwerder durchschnittlich, mal mehr, mal weniger, so etwa sechzigtausend Mark.«

»Nicht mehr?« fragte Grete enttäuscht.

»Nein, mehr nicht, Fräulein, und dann sind da auch noch Zinsen und – und – na, gleichviel –«

Eben waren sie wieder am Gutshof angelangt und nahe Hederichs Haus, das, von Epheu umsponnen und von schönen Bäumen umgeben, einen reizvollen Anblick gewährte.

»Haben Sie nie daran gedacht, zu heiraten, Hederich?« fragte Grete sinnend.

»Ja, einmal. – Was jetzt die Frau Pastorin ist – unter uns gesagt – die Pastorin Höppner, die hätt' ich gern gehabt, aber sie neigte ja mal zu so was Kirchlichem und zum Pastor. Ja, ja, ist ja auch ein netter Mensch, bloß kein Mann. – Nein, drum und dran – kein Mann. Ich freue mich noch immer, wenn ich sie sehe – ja, das thue ich!« schloß Hederich, mehr mit sich selbst als mit Grete redend.

»Adieu! Danke, alter guter Hederich!« sagte Grete. Was sie für ihn empfand, spiegelte sich in ihren Augen wieder.

Und er fühlte es und sagte:

»Noch eine hab ich immer in mein Herz geschlossen.«

»Nun?«

»Sie! Fräulein Grete,« sagte er mit warmem Ausdruck. Nun zog's über das Angesicht des Mädchens, und sie drückte ihm gerührt die Hand. Bisweilen sprang noch einmal wie in ihren Kinderjahren eine heiße Quelle in ihr auf; die Sehnsucht, gut zu sein und sich Liebe zu erwerben, durchzog sie stürmisch. –

Tankred war nach Abrede auf Holzwerder eingetroffen, und eben versammelten sich die Herrschaften, um zu Tisch zu gehen. Nur Carin fehlte noch, und Frau von Tressen, die nicht gern warten mochte, schaute etwas ungeduldig nach der Thür.

»Wo bleibt denn Carin? Weißt Du etwas von ihr, Grete?« wandte sie sich fragend an ihre Tochter und zog zugleich die Klingel. Grete zuckte mit deutlicher Teilnahmlosigkeit die Achseln; in denselben Augenblick aber öffnete sich die Thür, und Carin trat mit sichtlich verweinten Augen ins Gemach.

Alle blickten befremdet auf, aber Frau von Tressen verscheuchte die Peinlichkeit der Situation, indem sie sogleich das Zeichen zum Tischgang gab.

Nach Aufhebung der Tafel verschwand die Freundin des Hauses, die fast stumm dagesessen, sogleich wieder, und dieser Umstand veranlaßte Tankred, der mit Grete allein plaudernd in einem nach dem Garten schauenden Balkonzimmer saß, die Rede auf Fräulein Helge zu bringen.

»Wir haben uns erzürnt, und mit unserer Freundschaft ist's aus. Das Fräulein verläßt morgen früh Holzwerder,« entgegnete Grete kalt.

Die Mitteilung überraschte, aber interessierte und erfreute zugleich Tankred sehr. Die mißtrauischen Augen dieser Person in Zukunft nicht mehr auf sich gerichtet zu sehen, war ihm eine große Beruhigung.

»Das sagen Sie so leicht hin, gnädiges Fräulein?« knüpfte er, um mehr zu hören, an.

»Nun ja, was ist denn weiter? Sie war in unserm Hause angestellt, blieb dann noch einige Jahre als meine Gesellschafterin bei uns und sucht sich nun eine andere Thätigkeit. Ein Bündnis fürs Leben habe ich doch nicht mit ihr geschlossen.«

»Ließ die Dame etwa die Ehrerbietung gegen Sie aus den Augen, wenn die Frage erlaubt ist?«

Statt zu antworten, lächelte Grete vor sich hin. Dann sagte sie, halb verlegen, halb schelmisch zu Tankred emporschauend:

»Sie, Herr von Brecken, sind sogar die Veranlassung zu unserm Zwist. Wenn Fräulein Helge uns verläßt, so tragen Sie die Schuld. Ja, ja, man kann sündigen, ohne es zu wissen,« schloß sie, als Tankred große, forschende Augen machte.

»Ich?« stieß er heraus. »Ich bitte, sprechen Sie. Das interessiert mich natürlich ungemein.«

Einen Augenblick schwankte Grete, ob sie Tankred antworten solle. Verriet sie ihm, daß Carins absprechendes Urteil über ihn sie geärgert habe, so offenbarte sie auch ihre Neigung zu ihm und griff den Dingen vor. Sie wollte ihm aber erst Hoffnungen machen, wenn sie über seine äußeren Verhältnisse genau unterrichtet war.

Dem klugen Intriganten ahnte, wie die Dinge lagen, und seine Wünsche unterstützten seine Annahme.

Er nahm deshalb rasch statt ihrer das Wort und sagte eindringlich:

»Ist es denkbar, daß Sie, mein Fräulein, für mich gegen Fräulein Helge Partei nahmen? Darf ich es hoffen, da es mir beweist, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin? Offen gestanden, Ihre Freundin war auch mir gleich bei dem ersten Anblick unsympathisch, und daß sie gegen mich intrigieren werde, war mir unzweifelhaft. Ich that ihr nichts, aber vielleicht sagte ihr ihr Ahnungsvermögen, daß – daß –«

»Daß?« forschte Grete, die eigentlich sich nicht fortreißen lassen wollte, und doch dem Reiz nicht widerstehen konnte, der in halb verdeckten Erklärungen liegt.

»Nun, daß Sie mir mit der Zeit vielleicht etwas gut werden könnten, und daß sie, Fräulein Helge, dann nicht mehr der Mittelpunkt Ihrer Gedanken sein würde.«

»Sollte es das sein?« ging's rasch und fast gegen Gretes Willen über ihre Lippen. Also Beweggründe egoistischer Natur hätten Carin geleitet! Das war Grete bisher noch nicht in den Sinn gekommen, aber da es ihr paßte, da sich daraus die Gründe für Carins Abneigung gegen Tankred erklären ließen, nahm sie das Gesagte als zutreffend an.

»Gewiß, ich bin dessen sicher, Fräulein von der Linden. Und nicht wahr?« fügte Tankred, sich vorsichtig umschauend und leiser und zärtlich sprechend, hinzu: »Ich darf annehmen, ich darf hoffen, daß Fräulein Helge das Rechte traf – ?«

Nun sah er sie an mit seinen leidenschaftlichen, sinnverwirrenden Augen, und sie ward unsicher und beängstigt. Ihr Blut regte sich, ein Strom schoß durch ihre Glieder, Liebe und Leidenschaft vereinten ihre Kräfte und wollten sie fortreißen. Aber dennoch siegte die überlegende Vernunft.

»Wir wollen über andere Dinge sprechen, Herr von Brecken,« stieß sie, sich mit Gewalt beherrschend, heraus und sah ihn an, als ob sie seine Worte als ein übertriebenes Kompliment aufgefaßt hätte. Und zur besseren Bestätigung ihrer Unempfindlichkeit fügte sie hinzu:

»Es giebt ja interessantere Themata als Fräulein Helge. – Wie denken Sie zum Beispiel über die Stellung des Jupiter zur Sonne?« –

Als später Tankred mit Herrn von Tressen in dessen Rauchzimmer saß – es war kurz vor dem Abendessen – sagte der letztere:

»Haben Sie etwas von ihrer Frau Kousine gehört? Wo hält sie sich jetzt auf, wenn's erlaubt ist, zu fragen? Wird sie den ganzen Winter fortbleiben?«

»Sie ist bei Verwandten ihres Mannes in Hannover und will schon in einigen Wochen nach Falsterhof zurückkehren.«

»Und dann siedeln Sie auch wieder nach Falsterhof über? Oder welche Pläne haben Sie, Herr von Brecken? Ist es richtig, was meine Tochter mir sagt, daß Sie ein Gut kaufen wollen? Hoffentlich dann in unserer Nähe,« schloß Herr von Tressen artig.

»Allerdings, ich möchte wohl hier herum etwas erwerben, finde aber nichts Passendes. Ja, wenn ich ein Gut wie Holzwerder kaufen könnte –«

Unwillkürlich erhob Herr von Tressen den Blick. Hatte Tankred die letzten Worte mit einer bestimmten Absicht gesprochen? Wollte er auf diese Weise das Gespräch auf Grete hinüberleiten? Im Augenblick fand Herr von Tressen keine Anknüpfung, dann aber kam ihm ein guter Gedanke, und er sagte:

»Falsterhof selbst zu verwalten, da Sie ja, wie ich höre, Mitbesitzer sind, würde Ihnen nicht konvenieren? Übrigens nachträglich meine Gratulation! Es ist wohl die schönste Herrschaft in der Provinz.«

Diesen Worten war es unmöglich, auszuweichen. Tankred wußte auch, daß sie absichtlich gesprochen waren. Tressens wollten Klarheit haben, und wenn die Dinge nach ihren Wünschen ausfielen, stand einer Heirat mit Grete nichts im Wege.

Und da doch einmal das Schweigen gebrochen werden mußte, da Tankred je eher, desto lieber zum Ziele gelangen wollte, warf er alle Bedenken beiseite und sagte:

»Da Sie mich fragen, will ich Ihnen offen antworten, Herr von Tressen. Ohnehin drängt es mich, ein unumwundenes Wort mit Ihnen zu sprechen. Wollen Sie es mir gestatten?«

»Ich kann mich dadurch nur geehrt fühlen,« entgegnete Gretes Stiefvater verbindlich und zugleich mit größter Spannung.

»Nun, meine Kousine ist allerdings alleinige Erbin von Falsterhof, aber sie hat selbst den Wunsch, mich an dem Besitze in halber Höhe zu beteiligen. Zu diesem Zwecke wurde mir durch ihren Rechtsbeistand bereits ein bares Kapital überwiesen. Weiteres macht sie abhängig von gewissen Bedingungen. Ohne Rückhalt gesprochen, sie will mich prüfen, ob ich imstande bin, mit einem großen Vermögen umzugehen. Eine gewisse Breckensche Pedanterie, übertriebene Gewissenhaftigkeit leiten sie. Aber ich besitze ein Schriftstück, das unzweifelhaft ihre Absicht kund giebt, mich zum gleichberechtigten Erben einzusetzen. – Ich gelange nun auf den anderen Punkt, Herr von Tressen. Ihre Tochter, Fräulein Grete, hat gleich bei unserer ersten Begegnung einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und er hat sich bei jeder von Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin mir in so überaus liebenswürdiger Weise gestatteten Wiederholung meiner Besuche verstärkt. Aber noch ein besonderer Umstand tritt hinzu, der meine sehr lebhaften Wünsche unterstützt. Unwillkürlich richtet ein besonnener Mensch auch den Blick auf die Umgebung der Erwählten seines Herzens. Er fragt sich, ob die Personen, die ihr nahe stehen, ihm sympathisch sind, und da muß ich ohne Komplimente sagen, daß ich es als das höchste Glück ansehen würde, in Zukunft gerade mit Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin in nähere Berührung zu treten.«

Bei den letzten Worten machte Tankred ein so freimütig liebenswürdiges Gesicht, so ehrlich blickte sein Auge, und so überzeugt klangen seine Worte, daß sie die volle Wirkung erzielten, die er damit beabsichtigt hatte.

Herrn von Tressens Eitelkeit ward geschmeichelt, und da die vorausgegangenen Mitteilungen äußerst befriedigender Art zu sein schienen, war er bereits entschlossen, Tankred ganz in dem von ihm gewünschten Sinne zu antworten, als ihm die Erinnerung kam an das, was seine Frau ihm eingeschärft hatte. Er sagte deshalb vorläufig noch mit etwas Zurückhaltung:

»Bei einer Verlobung unserer Tochter, sehr geehrter Herr von Brecken, treten besondere Verhältnisse ein, die der Erörterung unterliegen müssen. Wenn ich Ihren sehr ehrenden und mich äußerst erfreuenden Antrag – meiner Tochter Stellung zu demselben kenne ich vorläufig noch nicht, ich darf dies gleich betonen, zweifle aber nicht, daß sie Ihnen, wie Sie es voraussetzen, geneigt ist, – also wenn ich Ihren Antrag in Überlegung ziehen soll, ist eine vorherige Klarstellung zwischen uns nötig.

Meine Tochter ist alleinige Inhaberin von Holwerder. Mit ihrer Heirat hören unsere rechtlichen Ansprüche auf, und wir sind angewiesen auf ihre gütige Hand. An sich ist dies peinlich, aber noch peinlicher gestalten sich die Dinge, wenn ihr Gatte Mitbesitzer und Verwalter des Vermögens wird. Eine klare, bindende schriftliche Bestätigung unserer moralischen Ansprüche ist erforderlich, nachdem die Höhe der uns zu zahlenden jährlichen Rente festgesetzt ist. Je bereitwilliger uns der Mann, der Grete einmal heimführen wird, in dieser Hinsicht entgegenkommt, desto geneigter werden wir ihm selbstverständlich sein. Darin liegt keine verwerfliche Geldsucht, sondern es begründet sich in der Natur der Dinge. Von der Luft können wir nicht existieren, und ein anständiges Auskommen wird meine Tochter ihrer Mutter selbst wünschen.«

Tankred hatte während Herrn von Tressens Rede wiederholt, eifrig beipflichtend, den Kopf bewegt. Aber da er vorläufig noch nicht Gretes Bräutigam war, hemmte er den Strom bereitwilliger Rede und sagte, der Wirkung seiner Antwort gewiß:

»Ich würde, wenn mir das Glück werden könnte, Fräulein Grete heimführen, es als eine Ehrensache betrachten, die Existenz derjenigen möglichst ausgiebig materiell sicher zu stellen, denen ich mein Lebensglück in erster Linie verdanke. Das als Antwort auf eine Eventualität, die in eine Thatsache umzuwandeln, Sie, mein hochverehrter Herr von Tressen, so freundlich und gütig sein wollen, zu unterstützen.« –

Als die beiden Ehegatten sich abends schlafen legten und Gelegenheit hatten, sich ohne Zeugen auszusprechen, berichtete Herr von Tressen in sehr gehobener Stimmung seiner Frau von dem Inhalt der stattgehabten Unterredung.

»Vortrefflich,« sagte die Frau, nachdem er geendigt. »Aber nun wäre es doch wünschenswert, daß wir das Schriftstück, von dem Brecken spricht, einsähen, und daß Du auch an Frau Cromwell schriebest.«

»Meinst Du wirklich, daß letzteres notwendig ist? Ich denke, die Einsicht in das Abkommen genügt; hoffentlich wird Brecken es uns von selbst vorlegen. Ihn darum zu ersuchen, ist peinlich.«

»Nun, es wird sich ja finden! Vorläufig wollen wir Grete noch nichts mitteilen, aber ich will sie morgen sondieren, wie sie zu Brecken steht. Daß sie sich sehr für ihn interessiert, ist zweifellos. Übrigens, wie ist sie kühl! Von der Helge trennt sie sich mit einer Gleichgültigkeit, die mich fast erschreckt. Armes Mädchen! Sie war sehr weich und rührte mich sehr bei der Unterredung, die ich am Vormittag mit ihr hatte, während Ihr spazieren gingt. Aber an eine Aussöhnung denkt sie selbst nicht. Sie fühlt, daß Grete ihr Gehen will, Grete hat begierig die Gelegenheit zur Herbeiführung der Verstimmung ergriffen.«

Aber Herr von Tressen hörte schon kaum mehr zu, tiefe Atemzüge bewiesen, daß er bereits dem Schlaf erlegen war.



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