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Breckens wurden erwartet. Am Mittag sollten sie eintreffen, und schon nahte sich der Augenblick. Frau von Tressen hatte das Schloß bekränzen lassen. Um die Fenster und Thüren waren Blumenguirlanden gesteckt, und auch Hederich hatte sich gerührt. Die Knechte und Mägde waren in ihren Sonntagskleidern bereits aufgestellt, und die Kinder der Gutsangehörigen standen mit Rosen in den Händen an der Schloßtreppe. Einem kleinen Mädchen waren einige Verse einstudiert, die sie hersagen sollte. Der Schluß der von Hederich unter vielen Nöten gedichteten Willkommsworte lautete:
»Es wechselt Kälte, Sonnenschein und Regen!
Der Landmann braucht's,
Ihm ist's ein Segen,
Wenn's auch mal kalt und naß vom Himmel strömt!
Durch Eure Herzen aber möge strahlen
Nur warmer, goldener Sonnenschein und malen
Auf Eure Wangen Lust und Fröhlichkeit!
Das wünschen alle, die hier sind vereinet,
Und seht, ein jedes Auge weinet
Vor Freud', daß Ihr zurückgekehret seid!«
Glücklicherweise war's ein herrlicher Tag. Alles glänzte, umflutet von der Sonne. Der Hof und der Vorgarten prangten in Ordnung und Sauberkeit, die Blumen in letzterem leuchteten in lebhaften Farben, der Himmel war klar und blau, und die am Morgen besprengten Gebüsche trugen noch silberfunkelnde Spuren des erfrischenden Bades. Auch waren die Wege neu aufgeschüttet, und von der Spitze des Daches flatterte eine Fahne in den Tressenschen Farben.
Und alles vollzog sich, wie gehofft und erwartet war. Sichtlich bewegt umarmte Grete ihre Mutter und ihren Vater; nach ihnen drückte sie Hederich die Hand und reichte sie, Tankred folgend, auch den Knechten und Mädchen. Ihr Gatte, in einem flottgeschnittenen Reisekostüm, strahlte wie seine Frau in Frische und Gesundheit, und deutlich malten sich die Eindrücke in beider Zügen wieder.
Bei Grete war's ein Anflug wahrer Rührung, sie verglich das wenige, was an Gemüt in ihr ruhte, mit dem, was ihr entgegengetragen ward. Ehrliche Scham und dankbare Gefühle zogen durch ihre Seele. Bei dem Manne war's dagegen die Eitelkeit und die Befriedigung, daß man ihm ohne Zwang Beweise der Verehrung entgegentrug, die er so wenig verdiente. Gesunkene Hoffnung auf altes Glück stieg auch in Frau von Tressen empor, sie glaubte, weil sie hoffte, und nicht minder fanden Herr von Tressen und Hederich ihre Voraussetzungen erfüllt.
Der Tag und die kommende Woche verliefen denn auch in ungestörter Harmonie. Grete packte, ordnete und richtete unter Beihülfe ihrer Mama alles nach ihrer Bequemlichkeit ein, und Tankred ging mit Hederich über die Gutsfelder und sah mit nicht geringer Genugthuung, wie jegliches gediehen war.
Nach und nach gewannen auch die Hauseinrichtungen eine feste Gestalt. Die junge Frau übernahm nunmehr die Küche, das Mittag- und Abendessen wurde in dem Speisezimmer unten serviert, und die Alten begaben sich, wenn die Glocke ertönte, herab und nahmen daran teil.
Dafür war ein festes Kostgeld verabredet worden. Tressens vergüteten, gleichviel ob sie erschienen oder nicht, ihren Kindern monatlich eine bestimmte Summe.
Morgens bereitete dagegen Frau von Tressen ihrem Manne selbst das Frühstück und sorgte auch in außergewöhnlichen Fällen für ihre und seine Bedürfnisse. Ein Diener wurde angenommen, der in erster Linie für Tressens da war; sie bezahlten ihn, und er beschaffte, was sie brauchten. In der Praxis sollte sich dann erst herausstellen, ob das alles so bleiben konnte, oder Änderungen eintreten mußten.
Zunächst spürten beide Familien nur die Annehmlichkeiten der Einrichtungen. Am Tage, der seine Pflichten erheischte, hielt sich jeder für sich, und wenn der Abend mit seinem Ruhe- und Erholungsdrange kam, trat auch das Bedürfnis nach Geselligkeit ein. Nach wie vor wurden die Karten oder das Schachbrett hervorgeholt, man plauderte oder las vor, und die Frauen beschäftigten sich mit Handarbeit. Grete hatte offenbar den besten Willen mitgebracht, mit ihren Eltern in engstem Zusammenhange zu bleiben, und Tankred fügte sich entweder aus wirklichem Behagen oder aus Klugheit bereitwillig in die geschaffenen Verhältnisse.
Jedenfalls ward das gute Einvernehmen durch nichts gestört, und nach Verlauf von einigen Wochen, als sich alles in geordnetem Gange befand, wurde nunmehr auch erörtert, wann die jungen Leute Besuche machen wollten, und wer zunächst eingeladen werden sollte.
»Es geht gar nicht mehr! Wir müssen sobald wie möglich nach Falsterhof,« erklärte Grete. »Noch haben wir nicht einmal für die Blumen gedankt, die Theonie uns gesandt hat.«
Tankred, der diesen Besuch als einen ihm sehr unbequemen absichtlich aufgeschoben hatte, stimmte jetzt bei. Einmal mußte er seiner Kousine ja doch zum erstenmal wieder gegenübertreten, und schon hatte Hederich, der inzwischen wiederholt auf Falsterhof gewesen war, erzählt, daß Theonie sich erkundigt hätte, ob ihre Blumen auch abgegeben worden seien.
»Drum und dran! Sie wundert sich, daß Sie noch nicht da waren, Herr von Brecken. Da Sie mich fragen, ja, es ist so.«
Es wurde demnach beschlossen, am Sonntag nachmittag nach Falsterhof zu fahren und Theonie und Fräulein Carin zu einem Diner in der Mitte der Woche einzuladen.
Letzterer gegenüberzutreten, war Grete recht peinlich. Aber da sie sich schon bei der Hochzeit wieder gesehen, und beide ein unbefangenes Wesen an den Tag gelegt hatten, überwand sie bald den Anflug ihrer unbehaglichen Stimmung.
Nach eingenommenem Kaffee um vier Uhr nachmittags machten sich die Bewohner von Holzwerder in zwei Wagen auf den Weg. Hederich saß bei den Alten, die Jungen kutschierten voran; Grete, neben ihrem Manne, lenkte die Zügel. Während sie dahin fuhren, sagte Tankred:
»Weißt Du, es wäre wirklich gar zu schön, wenn die beiden Besitzungen, die ursprünglich zusammengehört haben, wieder vereint würden. Es hat doch keinen Zweck, daß meine Kousine da allein auf Falsterhof wirtschaftet. Wenn sie mir ihr Versprechen früher einlöste, wäre es auch leicht zu machen. Ich würde eine Hypothek auf Falsterhof aufnehmen und ihr ihre Hälfte damit abkaufen. Denke Dir, Holzwerder und Falsterhof! Es wäre eine fürstliche Herrschaft! Wenn manches anders eingerichtet wird, die Güter rationeller bewirtschaftet werden, können sie gegen zweihunderttausend Mark abwerfen. Sei nur recht liebenswürdig gegen meine Kousine und auch gegen die Helge. Die hat großen Einfluß auf sie. Sie kann uns im Fall alles verderben.«
»Wenn nur Theonie nicht noch einmal heiratet, Tankred,« entgegnete Grete, ihres Mannes Worte durch Neigen des Kopfes bestätigend. »Dann könnte sie am Ende an ihrer Zusage rütteln?«
»Gewiß. Und deshalb müßte man auch darauf hinzuwirken suchen, – ich denke täglich daran, – daß sie schon früher Ernst macht. Sie will nach der Vorschrift des Testaments die Sicherheit haben, daß der Besitz nicht verschleudert wird, mit anderen Worten, daß wir ihn halten, mehren und verbessern. Wenn sie die Überzeugung gewonnen hat, daß wir das thun, so wird sie nicht zögern, ihr Versprechen wahr zu machen. Man könnte vielleicht Hederich ins Vertrauen ziehen. Aber das ist auch wieder zu überlegen. Der thut nur, was er für richtig hält, und daß er auf dem Standpunkte steht, ohne seine Verwaltung könne nichts gedeihen, ist ausgemacht. Wir kamen schon gestern einmal an einander. Immer will er seinen Willen durchsetzen. Eigensinnig ist er wie ein Kutschpferd.«
»Ihr kamt an einander? Weshalb? Das hast Du mir ja gar nicht erzählt. Bitte, was war's?«
»Ich gehe stark mit der Absicht um, in größerem Maßstabe Rüben zu pflanzen und eine Zuckerfabrik anzulegen. Von diesem Plane erzählte ich ihm, und er wollte nichts davon wissen. Sie hätten alle bisher kein Geschäft gemacht, meinte er.«
»Dann ist's doch auch klug, es zu lassen.«
»Ja, so scheint es, aber die anderen haben es nicht richtig angefangen. Und das ist's ja auch nicht. Er ist nur gegen jede Neuerung, schon weil sie ihm Unbequemlichkeiten macht. Hat er sich nicht, wie Dein Papa erzählt, auch gegen die Branntweinbrennerei gesträubt? Und rentiert sie nicht ausgezeichnet?«
»Das ist etwas anderes, Tankred. Damals hatte man noch keine rechten Erfahrungen. Da sprach wohl bei ihm die Vorsicht. Aber man hört überall, daß die Zuckerfabriken vorläufig nur von Hoffnungen leben. Die Konkurrenz ist auch zu groß.«
»Nein, die Konkurrenz ist nicht zu groß, aber es ist noch ein Vorurteil bei Händlern und Konsumenten zu überwinden. Aber das wird sich geben. Der Rübenzucker stellt sich so viel billiger, daß man nach den überseeischen Produkten schon bald gar nicht mehr fragen wird. Und die bisher gebauten Fabriken sind auch zu teuer bezahlt. Das Anlagekapital war zu hoch.
Inzwischen hat man bessere Maschinen erfunden, und nach einem Jahr spätestens wird die Bahn von Elsterhausen über unser Gut gehen, und in Breckendorf wird eine Station errichtet werden. Dann kann man ganz anders konkurrieren.
Aber das sind alles Dinge, die in Hederichs Schädel nicht hineingehen. Eine Eisenbahn ist ihm ein Gedanke, als wollte sich Beelzebub hier in der Gegend dauernd niederlassen.«
Grete erwiderte nichts. Was ihr Mann sagte, konnte sie auf die Richtigkeit nicht prüfen. Sie nahm sich aber vor, sich alles einmal in Zahlen vorlegen zu lassen, und im übrigen wurden ihre Gedanken unterbrochen, da nunmehr Falsterhof seitwärts auftauchte.
Theonie hatte auf ihrem Besitze sehr vorteilhafte Veränderungen vornehmen lassen. Die das Haus verdüsternden Bäume waren gefällt, auch nach der Gartenseite war Licht geschaffen, und das früher so finster beschattete Haus lag jetzt, durchhellt von dem Glanz der Sonne, da.
Auch im Innern sah man die Thätigkeit einer neugestaltenden Hand. Der Flur hatte weiße Lackfarbe mit Goldverzierungen erhalten und machte mit den dunkelrahmigen Ölgemälden einen äußerst imponierenden Eindruck. Vom früheren Wohngemach der alten Frau von Brecken ging jetzt eine Thür ins Freie, und die Gartenanlagen waren unmittelbar bis ans Haus gerückt worden.
Auf einem großen Rondell blühten edle Rosen, und mit hellgelbem Kies bestreute Wege erfreuten statt des wildstruppigen Gebüsches und des halb eingefallenen Grabens das Auge.
Frege begrüßte mit gewohnter ernster, aber ehrerbietiger Miene die Gäste und führte sie in die hinteren Gemächer.
»Die Damen und ein Fremder, der zum Besuch da ist, sind im Garten,« erklärte er. »Gleich werde ich die Herrschaften melden.« Dann eilte er davon.
Mit sehr eigentümlichen Empfindungen betraten Tankred und Grete die Räume. Sie erinnerten sich jenes Nachmittags, an dem sie zusammen das Haus besehen, und jener Augenblicke, in denen Tankred zum erstenmal freier gesprochen: Grete von der Linden sein Inneres aufgeschlossen hatte. Die im Hause vorgenommenen Veränderungen wirkten befremdend auf sie ein. Der Gedanke, eigentlich schon Mitbesitzer von Falsterhof zu sein, trat weit zurück. Theonie schaltete und waltete ohne Vorfrage oder Mitteilung nach ihrem Gutdünken. Natürlich, es war ihr Recht, aber gerade weil dem so war, hob sich der Wert des Erbes und die Machtfülle der Besitzerin.
Die erste Wiederbegegnung mit seiner Kousine gestaltete sich indessen weit leichter und angenehmer, als Tankred sich vorgestellt hatte. Theonie reichte ihrem Vetter mit unbefangenster Miene die Hand und umarmte Grete mit Wärme und Herzlichkeit.
Schon durch die Anwesenheit so vieler Personen, namentlich auch durch die Gegenwart eines fremden Mannes wurde jede Peinlichkeit verwischt, und bald saßen die Anwesenden in dem Gartenzimmer, gemütlich plaudernd, beisammen.
Der Fremde war der Eigentümer des vor Tagen erwähnten in der Nähe von Elsterhausen belegenen Besitzes Klementinenhof.
Er hatte früher als Hauptmann in der Armee gestanden, war wegen eines Beinleidens gezwungen gewesen, den Dienst zu verlassen, und hatte sich, da er vermögend war, den kleinen Besitz gekauft, um hier der Ruhe zu pflegen und seinen Passionen nachzugehen. Er galt als ein besonnener, aber keineswegs pedantischer Mann, und man rühmte seine große Frische, seinen Geist und seine hohe Intelligenz.
Herr von Streckwitz führte denn auch vornehmlich das Gespräch. Herr von Tressen fragte, weshalb er seinen Besitz aufgeben wolle, und er erwiderte, daß er sich bei seinem Interesse für Landwirtschaft nach einem ihm mehr Beschäftigung bietenden Gütchen umzusehen die Absicht habe.
Hederich mischte sich hinein und machte Vorschläge, und Tankred, dem Streckwitz gleich beim ersten Sehen höchst unsympathisch war, riet mit vorgesteckter ehrlicher Miene, sich lieber in einer anderen Gegend anzukaufen. Er wollte einen Mann mit solchem geistigen Übergewicht nicht in seiner Nähe behalten, er wollte ihn auch von Theonie fern halten, die, wie er werkte, allem, was Streckwitz sprach, mit lebhaftestem Interesse zuhörte.
»Es gefällt mir aber gerade hier ausnehmend,« entgegnete Streckwitz. »Mein bisheriges Einsiedlerleben möchte ich zudem vertauschen, aber mir Thätigkeit und Verkehr nicht in einer großen Stadt suchen, sondern auf dem Lande. Übrigens eilt es durchaus nicht. Wenn sich mir früher oder später eine Gelegenheit zu anderer, größerer Wirksamkeit bietet, werde ich sie wahrnehmen. Zunächst habe ich die Absicht, mehr Verkehr zu suchen. Sie gestatten mir auch,« schloß er, sich mit verbindlicher Miene gegen Tressens und Grete wendend und nach seiner Gewohnheit das rechte Auge ein wenig zusammenkneifend, »daß ich Ihnen meine Aufwartung machen darf?«
»Es wird uns außerordentlich freuen, Sie bei uns zu sehen,« entgegnete Frau von Tressen, bevor Breckens das Wort nehmen konnten.
Da sich Streckwitz in Folge dessen gegen sie und ihren Mann und nur halb gegen Breckens verneigte, biß sich Tankred, in seiner Eitelkeit verletzt, auf die Lippen. Er nahm sich vor, seine Schwiegermutter demnächst einmal deutlich zu belehren, daß ihr kein Recht mehr zustehe, eine derartige Erlaubnis zu erteilen.
Er wurde indessen von seinen Gedanken durch ein Geräusch abgelenkt, da Fräulein Carin ein Knäuel Seide fallen ließ, und Hederich, sich übereifrig danach bückend, so unglücklich auf dem glatten Fußboden ausrutschte, daß er knieend vor ihr liegen blieb.
Um nun doch irgendwie seinen Ärger auszulassen, nahm sich Tankred Hederich und Carin zur Zielscheibe und rief, des letzteren Redeweise nachahmend:
»Bleiben Sie liegen, Hederich! Es ist – drum und dran – ein zu schöner Anblick, Sie in Ihrem jugendlichen Feuer vor Fräulein Helge hingestreckt zu sehen.«
Dazu lachte Tankred laut und mit der auffordernden Miene gegen die Anwesenden, seinem Scherz zu applaudieren, während Hederich, rot vor Beschämung, sich emporrichtete und das schmerzende Bein rieb.
Doch die von Tankred erhoffte Beipflichtung blieb aus: die Gesellschaft stimmte nicht zu, stellte sich vielmehr, Grete eingeschlossen, auf Hederichs Seite. Aber Hederich gab auch selbst seinen Empfindungen Ausdruck und entgegnete auf Theonies teilnehmende Erkundigung, ob er sich sehr weh gethan habe:
»Ich danke sehr für Ihre Güte, gnädige Frau, es ist schon vorüber. Ich bitte nur um Entschuldigung, daß ich in Ihrem Hause – drum und dran – eine so – lächerliche Rolle gespielt habe – – !«
Dieser auf Tankred gemünzte Satz mißfiel niemandem, und namentlich in Carins Gesicht spiegelte sich dieser Eindruck wieder. Sie streifte erst Hederich mit raschem freundlichen Blick und ließ dann ein auf Tankred berechnetes verächtliches Zucken um ihre Lippen spielen.
Tankred sah es. Er wußte, was in ihr vorging, und der alte Haß gegen das ›Frauenzimmer‹ setzte sich von neuem in ihm fest.
Der Vorfall that nun aber der bisherigen unbefangenen Stimmung so sehr Abbruch, und das glatt fließende Gespräch setze sich nun so gezwungen fort, daß Theonie den Vorschlag machte, einen Gang durch den Garten zu unternehmen.
Herr von Streckwitz, ein überaus stattlicher Mann mit dunklem Vollbart und ernsten, einnehmenden Zügen, schritt mit den beiden Tressens voran, ihnen folgte Tankred mit seiner Frau, die sogleich seinen Arm genommen hatte, und ein wenig später Hederich mit Carin.
Sowie die letzteren aus der Hörweite der Voranschreitenden waren, sagte Carin:
»Ich kann's nicht sagen, wie ich diesen Brecken hasse! Ich glaube, auf hunderttausend Meilen Umkreis giebt es keine so gemeine Seele. Und wissen Sie, Herr Hederich: ich habe seinen Gedankengang verfolgt. Es ist fast unheimlich, wie offen das Innere dieses Menschen vor mir liegt. Seine schlechte Laune entstand schon, als Herr von Streckwitz der Mittelpunkt des Gespräches ward. Dergleichen Zurücksetzungen kann er absolut nicht vertragen. Stets muß er das Wort führen und bewundert werden. Später ärgerte es ihn, daß Frau Cromwell sich so oft an den Gast wendete. Am Ende interessiert sie sich für ihn! Das paßt Brecken durchaus nicht; das durchkreuzt seine Pläne, und als Herr von Streckwitz nun gar davon sprach, sich hier in der Gegend einen größern Besitz erwerben zu wollen, kannte sein Ärger keine Grenzen mehr! Den ließ er dann an Ihnen aus, Herr Hederich! Empörend handelte er, in solcher Weise von seinem Übergewicht als Gutsherr Gebrauch zu machen. Aber eins hat mich auch wieder ausnehmend gefreut, daß Sie ihm nämlich eine solche Antwort zu teil werden ließen. Sie war vortrefflich; sie wirkte! Sie hätten den Natterblick sehen sollen, mit dem er Ihnen lohnte!«
Hederich hatte, wiederholt langsam den Kopf bewegend, zugehört. Als Carin geendigt hatte, sagte er:
»Sie gehen vielleicht etwas weit – aber – drum und dran – er ist kein guter Mensch, wir wissen's alle längst. Und es ist wahr, es giebt Dinge, die kann man schwer vergessen. Man streitet sich, hat verschiedene Ansichten, sagt sich die Wahrheit, aber niemand will lächerlich gemacht werden. Das liegt einmal im Menschen darin sind wir alle gleich!«
»Und wir haben recht!« fiel Carin ein. Und ablenkend fuhr sie fort: »Immer wieder frage ich mich, wie konnten Tressens diese Heirat zugeben, und wie konnte Grete sich in den Menschen verlieben? Sie brauchte doch wahrlich nur die Hand auszustrecken. – Ich weiß wohl, was Sie sagen wollen. Beide Teile glaubten so am besten ihren Vorteil wahrzunehmen! Aber welcher Vorteil erwächst ihnen denn aus der Heirat? Wissen Sie, Herr Hederich,« hier senkte Carin die Stimme, »was mir Frege neulich mitgeteilt hat? Bei einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Frau Cromwell, worin auch des Schriftstücks – Sie wissen, der Erbteilverschreibung – Erwähnung gethan sei, habe Frau Cromwell ihm den Wortlaut mitgeteilt, und er, Frege, könne darauf schwören, daß das von ihm damals abgeschriebene Dokument ganz anders – natürlich viel günstiger gelautet habe. Brecken hat also –« hier schossen Carins Augen unheimliche Blicke –«sicher eine Fälschung begangen!«
»O nein, nein, Fräulein Carin,« fiel Hederich erschrocken ein und sprach wieder das Wort Carin sehr breit. »Da gehen Sie doch wieder zu weit! So schlecht und so unvorsichtig ist Brecken nicht. Im Gegenteil! Er ist schlau, und er wäre es noch mehr, wenn – drum und dran – ihn sein Blut nicht oftmals fortreißen thäte.« Und forschend schloß er: »Hat Frege Frau Theonie denn auch so etwas gesagt?«
Carin nickte.
»Und was hat sie erwidert?
»Sie glaubt's nicht. Frau Cromwell ist ja überhaupt eine sehr eigentümliche Frau. Sie strebt immer in erster Linie, gerecht und billig zu sein, obgleich sie, wie wenige Menschen, das Schlechte verabscheut. Einerseits dieser Grundzug ihres Wesens – denn ihre hervortretende gelegentliche Kürze und Strenge sind auch nichts anderes als ein Ergebnis ihrer wahrhaftigen Natur – und andererseits die Pietät, welche sie für alles an den Tag legt, was den Namen Brecken trägt, machen sie ungewöhnlich nachsichtig gegen ihren Vetter. Sie hofft noch immer, daß er sich ändert, und ihr gegenüber spielt er ja auch eine recht gute Komödie! – Wie geht's denn eigentlich in Holzwerder? Vertragen sich die Jungen mit den Alten?«
»Drum und dran – ja – . Es giebt wohl auch mal etwas, aber es macht sich so ziemlich –« entgegnete Hederich. »Frau von Tressen ist vorsichtig, und Grete will Frieden, – bis jetzt wenigstens, – und das giebt den Ausschlag! Ich habe ihr damals vor der Hochzeit zugeredet. Ich glaube, daß es Eindruck auf sie gemacht hat. Von da an wurde schon manches anders; von Trennung und dergleichen war nicht mehr die Rede.«
»Ja, sie liebt Sie, Herr Hederich! Sie hängt mehr an Ihnen, als an ihrer Mutter, von ihrem Stiefvater nicht zu sprechen. In ihr ist überhaupt noch nicht alles Gute erloschen, sie kämpft, glaube ich, einen ehrlichen Kampf; er aber ist schlecht aus Prinzip, und es macht ihm Freude, gemein und boshaft zu sein, wie der heutige Vorfall wieder bewiesen hat.«
»Weshalb, Fräulein Carin,« fiel Hederich milde ein, »hassen Sie Herrn von Brecken eigentlich so sehr? Hat er Ihnen was Unangenehmes zugefügt?«
Carin zuckte die Achseln. »Weshalb hat man eine Abneigung gegen Menschen, Herr Hederich? Mit demselben echt kann man fragen, weshalb man sich zu anderen besonders hingezogen fühlt? Ich kann überhaupt nur hassen oder lieben. Sehen Sie, in unserem Kreise sind alle Arten vertreten. Pastor Höppner kann überhaupt nicht hassen. Deshalb ist er auch kein Mann. Seine Frau ist ohne Ansehen der Persönlichkeit gütig und menschenfreundlich, aber sie unterscheidet im Gegensatz zu ihm und tritt dem Schlechten energisch entgegen. Grete vermag – ihre Person ausgenommen, die sie über alles liebt – weder zu lieben noch zu hassen! Ihr Mann liebt keine menschliche Seele auf der Welt, haßt aber jeden, der ihm irgendwie in den Weg tritt, – und – Sie – Sie, Herr Hederich –«
»Nun, Fräulein Carin? –« forschte Hederich gespannt, und sein gutes Auge ging unruhig hin und her.
»Ja, Sie sind ein Kind und ein Mann zugleich! Sie haben einen klaren Verstand, ein goldenes Herz und besitzen eine treue Seele.«
»Na – na – na! – Es ist schon zu viel Schönes, Fräulein Carin, aber – drum und dran, – daß Sie das sagen, das – das – ist mir mehr wert als – als –« sagte er weich betonend, und seine Stimme zitterte.
»Ach, Sie lieber Mensch! –« unterbrach das Mädchen den Mann, sah ihm mit einem seelenvollen Blick ins Auge, ließ ihn aber nicht weiter sprechen, sondern eilte nun rasch auf Frau Theonie und die übrigen Gäste zu, die nach dem Rundgang durch den Garten jetzt eben wieder vor dem Hause auftauchten.
Nach einem kleinen Imbiß nahm man demnächst von Holzwerder Abschied. Nur Herr von Streckwitz blieb noch den Abend da. –