Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Als wir vom Tische aufgestanden, hörte ich, daß heute Gelegenheit wäre, nach Haus zu schreiben; Q. wollte meinen Brief besorgen.

Ach! über allem, was ich gesehen und gehört, hatte ich nicht mehr an meine Frau gedacht, und die 112 plötzliche Erinnerung erschreckte mich jetzt, als wenn ich schon Monathe lang abwesend wäre, und ihr aus Lieblosigkeit nicht geschrieben hätte. Daher ergriff ich den Anlaß mit Freuden, und eilte auf Q.s Zimmer, wo ich bey ruhiger Ueberlegung erst fand, daß ich nicht eher hätte schreiben können.

Was sollte ich ihr aber sagen? Ich habe schon oft gesehen und gelesen, daß Briefe, welche man an sein Weib oder an liebe Freunde schrieb, gerade die kürzesten waren, und es daraus erklärt, weil die Umständlichkeit der Freundschaftsversicherungen, oder Neuigkeiten, wie man sie etwa an einen Dritten schreibt, uns gegen die Vertrauten des Herzens matt und schaal vorkommen; wenigstens ging es jetzt mir so. Daß ich sie sie lieb habe, wußte sie schon; sollte ich ihr von meinen Staatsgeschäften schreiben, so hätte sie mich ausgelacht und bogenlange Wichtigkeiten über ein einziges Wort des Herzens vergessen; eine kleine Reisebeschreibung? daß Gott erbarm, ihre geographische Neugierde geht nicht über den Zaun unsrer Heimath! – Ich schrieb also etwas von neuen Verwandten, die ich hier gefunden, und daß ich bald nach Hause kommen werde; kurz einen kalten Brief unter warmen Empfindungen.

Als ich denselben zu Q.s Frau hinunter trug, traf ich sie bey ihrem Flügel an, wozu sie mit schöner Stimme sang. Dieß machte mich meinen Vorsatz, ungesäumt zu dem Wiedertäufer hinauszugehen, bevor 113 die Eintrachtsgesellschaft ihren Anfang nähme, vergessen; und da es schwer hält, geheim zu thun, wo man glaubt, auch etwas von einer Kunst zu wissen, so erfuhr sie bald, daß auch ich ein Liebhaber von Liedern wäre, und es währte nicht lange, so sang ich mit. Sich so allein mit einer jungen Frau in Tönen zu vereinigen, hat etwas anziehendes. Wir wurden aber öfters durch stürmische Bürger, die Q. sprechen wollten, unterbrochen, welches mich ungeduldig und dieser »guten Sache der Freyheit« von neuem abgeneigt machte.

Ueber dem Singen war, wie sie selbst fand, die Zeit, meinen Vetter vor dem Thore zu besuchen, verstrichen; ich blieb also bey ihr, und da uns der Gesang vertraulich gemacht hatte, mußte ich mich neben sie hinsetzen, und wir kamen auf muntere Gespräche, wobey sie oft herzlich über meine Mundart lachte, wiewohl sie keine Sylbe besser deutsch sprach als ich. Zwar hatte ihr Mann schon über Tische bemerkt, wie seltsam es sey, wenn Schweizer einander wegen ihrer Sprache aufziehen; allein hübsche Weiber glauben nie, daß allgemeine Bemerkungen sie auch angehen, und so lachte sie nach wie vor.

Als sie aber wissen wollte, wer der Vetter vor dem Thore sey, und ich den Wiedertäufer nannte, wurde sie mit einmahl ernsthaft, und wollte, da sie vorher alles freundlich gebilligt hatte, was ich sagte, jetzt zu meinem Befremden durchaus nichts Gutes 114 von ihm und Seinesgleichen hören; diese Leute, sagte sie, seyen eigennützige Heuchler und erziehen ihre Kinder schlecht.

Ich wollte wenigstens meinen Freund rechtfertigen, aber sie unterbrach mich: Eben der ist der rechte, gerade den Nichtswürdigen meine ich! rief sie mit Leidenschaft.

Ich nahm sie bey der Hand, nicht gleich bedacht, daß sie zu weich für die meinige war: Da mögen besondre Gründe vorhanden seyn, liebe Frau; aber was ein Mann lobt, da soll der weibliche Tadel schweigen! Laßt uns lieber von etwas anderm sprechen.

Sie wußte nicht recht, wie sie daran war; allein unsre Unterhaltung verlor dadurch von ihrem lebhaften, doch nicht von ihrem gefälligen Tone. Plötzlich aber zog sie ihre Hand weg; ihr Mann kam die Treppe herauf, und ich ging mit ihm nach der Eintrachtsgesellschaft hin.

Unterweges fragte ich ihn, was denn seine Frau gegen den Wiedertäufer habe? – Sapperment, rief er mit Lachen, den hättet Ihr nicht nennen sollen! Ihr Bruder ist in seine Tochter verliebt, und will sie heirathen; darüber ist mein Schwiegervater wild, und meine Frau auch, weil es eine Mißheirath ist.

Welche von den Töchtern gilt es denn? säumte ich nicht zu fragen. – Was weiß ich! antwortete er; man sagt, es sey noch ein blutjunges Kind von großer Schönheit. Wenigstens ist der Mensch sterblich 115 verliebt, und will weder Vater noch Mutter mehr folgen, welches erschrecklich ist. Wenn er Euch kennte, Ihr hättet ihn schon auf dem Halse, um seine Liebesbriefe zu spediren und gut Wetter bey dem Wiedertäufer zu machen; denn man sagt, der wolle auch nicht recht.

Da ich jetzt ein Briefträger bin, so wäre es wenigstens nicht außer meinem Berufe, erwiederte ich. – Die Sache war mir nun gleichgültig, weil ich ziemlich sicher annehmen konnte, daß das Liebesverständniß nicht die Klare anginge. Ich konnte aber nicht weiter fragen, weil wir nun bey dem Versammlungsorte angekommen waren.



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