Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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69 Ich bin der Geschichte vorgeeilt, und kehre zurück. Der Reisegefährte führte mich in einen Gasthof, wo er dem Wirth von seinem vorigen Hierseyn noch bekannt war, der uns gleich in eine große Stube wies, und uns den Anwesenden als Vaterlandsfreunde aus dem Zürcher Gebiethe vorstellte. Es waren Bürger aus allen Klassen, die auch, wie sie uns sagten, die Liebe des Vaterlands hierher vereinigt hatte, welche Liebe sie noch mit des Wirths gutem Weine anzufeuern schienen. Nachdem mein Gefährte ihnen eine tröstliche Schilderung von dem guten Fortgange der Sachen bey uns gemacht, erzählten sie uns hinwiederum, wir kommen gerade recht, um wichtigen Auftritten beyzuwohnen; gestern und heute haben die Landbürger schon angefangen, ihr Recht thätlich geltend zu machen, indem sie da in einem Schlosse sich der Urkunden bemächtigt, um ihre alten Freyheiten wieder hervorzusuchen, dort in einer Kirche an dem Grabstein eines Schultheißen, der vor anderthalbhundert Jahren ein Aristokrat gewesen, ihren Zorn ausgelassen haben. Bald werde es in der Stadt auch angehen, wenn die Perucken nicht nachgeben; gesäubert und ausgefegt müsse nun einmahl alles seyn.

Säubern geht säuberlich, konnte ich mich nicht enthalten zu sagen, ausfegen aber oft unsanft zu.

Nun was hat's zu sagen, versetzte einer, wenn auch mit dem Unrath der Rath weggefegt wird! – 70 Man lachte, und ich lernte so den Geist der Gesellschaft kennen.

Es wurde nun in dieser lustigen Weise fortgefahren, wie es geht, wenn einmahl ein Spaßvogel den Ton angegeben hat; als ein junger Mann hereintrat, bey dessen Anblick sie alle, auch die Alten schwiegen. Er erkundigte sich bey dem Wirth über uns Unbekannte, und nachdem er sich auch zum Glase hingesetzt hatte, fing er sogleich von den neuen Vorfällen auf dem Lande zu sprechen an, und als er die Freude darüber auf den meisten Gesichtern bemerkte, fuhr er fort: Was geschehen ist, war nothwendig, und nothwendig wird noch manche hartscheinende Maßregel seyn, denn das Eis muß nun einmahl brechen. Mißvergnügte wird es über die Neuerungen genug geben, weil viele dadurch verlieren oder zu verlieren glauben werden; ihrer wollen wir aber nicht spotten. Weil die Sachen gut gehen, wollen wir uns freuen, aber nicht weil es jemand übel geht –!

Glaubt Ihr aber, es werde gut gehen? fragte einer. Wenn wir Stadtbürger klug sind, antwortete er, so ist Hoffnung zu einem guten Ausgange vorhanden; die Hauptfrage aber ist, wie wir uns dabey zu benehmen haben, daß der Landschaft Recht und uns nicht Unrecht geschehe? Ueber diesen wichtigen Punkt hat man sich in der Gesellschaft (er meinte die der Freyheitsfreunde, wie man nachher hören wird) sorgfältig berathen, und wenn Ihr mir eine kurze 71 Aufmerksamkeit schenken wollt, so will ich Euch den einladenden Wunsch der Gesellschaft an alle, die es mit der guten Sache halten, bekannt machen. Diese beiden Fremden (auf uns deutend) sind Freunde, wie ich höre, sie werden also auch nichts dawider haben. Die Gesellschaft benahm ihm alles Mißtrauen.

Nun las er uns eine Schrift vor, die bey aller Wärme für Freyheit doch mehr darauf berechnet schien, die brausenden Gemüther herabzustimmen, als noch mehr zu heben. Es war darin die Rede von den wohlwollenden Gesinnungen der großen Nachbarin für das Wohl unsers Landes, und ihrem unabläßlichen Wunsche, unsre Musterkarte von veralteten Regierungen, wo nicht in eine Einzige zu verschmelzen, doch den Grundsätzen der Freyheit und Gleichheit näher zu bringen; wozu jeder wohldenkende Schweizer, vorzüglich aber jeder Bürger von Basel Hand biethen sollte, indem dieser nicht nur die Allgemeinnützigkeit des Vorschlags, sondern auch die Lage seiner Stadt an den Grenzen in's Auge zu fassen habe, wodurch sie bey einer unüberlegten Widersetzlichkeit gegen den unwiderruflichen Entschluß der benachbarten Uebermacht einem nicht zu berechnenden Unglück ausgesetzt wäre. Eben so sehr als die träge und starre Anhänglichkeit an die alten Formen müsse aber auch der sanguinische Eifer vermieden werden, womit einige sogleich jeden Einfall, wenn er nur neu ist, zur That machen wollen, und dadurch sich und der Stadt nicht minder Unheil 72 bereiten, als durch schimpfende und schmählende Unthätigkeit. Leidenschaftlicher Eifer in politischen Handlungen, hieß es, führe entweder zum Despotismus, zur Ordnung ohne Freyheit, oder zur Anarchie, zur Freyheit ohne Ordnung; und kluge Köpfe auf der Landschaft könnten leicht diese bereitwillige Begeisterung mißbrauchen. Die Gesellschaft der Freyheitsfreunde erwarte also von allen ihren Mitbürgen, welche Anhänglichkeit für die auf Menschenrechte begründete Staatsveränderung haben, nicht nur feste Entschlossenheit für die Gerechtigkeit der Sache, sondern auch Behutsamkeit in ihren Aeußerungen gegen das Landvolk, um Uebelgesinnten nicht Anlaß zu verderblichen Auftritten zu geben; und lade sie auf morgen zu einer zahlreichen Zusammenkunft an bekanntem Orte ein, um sich über weitere Maßregeln gemeinschaftlich zu berathen.

Diese Ermahnung machte eine gute und gefällige Wirkung auf die Zuhörer; sie klatschten zwar nicht in die Hände, welches mehr den Beyfall des Geschmacks als zustimmende Theilnahme verräth; aber sie wurden still und nachdenklich.

Der junge Redner wandte sich nun zu uns, und fragte, woher wir kämen. Hier am Ziel unsrer Reise fand ich kein Bedenken, ihm die Sendung, so wir hatten, zu entdecken. Ohne wissen zu wollen, an wen unsre mitgebrachten Briefe gerichtet seyen, hieß er uns morgen früh in ein Haus kommen, das er uns nannte, 73 wo wir die Personen, welche wir suchen, antreffen würden. Auf sein weiteres Fragen, ob wir sonst noch Bekanntschaften in der Stadt haben, nannte ich ihm den Mann, an welchen mir der alte Herr in Bremgarten einen Auftrag gegeben hatte und äußerte ein Verlangen, ihn heute noch zu besuchen.

Das ist der Wiedertäufer, der draußen vor der Stadt wohnt, sagte er zu den Anwesenden; ein braver Mann, ich kenne ihn wohl; es thut mir leid, daß ich gegenwärtig nicht selbst mitgehen darf. Er beordnete einen Jungen mir den Weg zu weisen.



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