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Einige Wochen später erhielt Heinz von Margot eine Karte, er möge am Sonntag mittag um zwölf im rechten Hochparterre eines Hauses in der Blücherstraße sein. Sie würde ihn dort treffen.
Da Margot ihm auf ähnliche Weise schon mehrmals Patienten empfohlen hatte, begab er sich zu der angegebenen Zeit in die Wohnung. Auf sein Klingeln erschien eine behäbige Frau in schwarzem Kleid und weißer Schürze und fragte, ob er Herr Doktor Tann sei?
»Jawohl.«
»Hab' ich mir gedacht. Bitte, treten Sie ein.«
Sie öffnete die Tür zu einem Zimmer und fügte mit diskretem Lächeln hinzu:
»Tun Sie nur ganz, als wenn Sie zu Haus wären gnädige Fräulein muß jede Minute kommen.«
Heinz ließ sich in einen der Klubsessel nieder und blickte um sich. Ein behagliches Zimmer. Alles noch neu, aber höchst bequem. Der schwere dunkle Tisch, darum die Klubsessel, darüber die seidenbeschirmte Krone. Auf dem Boden gute echte Teppiche. An den Wänden hohe Schränke mit seidenverhangenen Türen. Der eingebuchtete Schreibtisch von stattlicher Größe. Das Bild dahinter, der Ritter mit dem Stahlhelm von Rembrandt, überraschte ihn. Eins seiner Lieblingsbilder. Der leise, melancholische, gutmütige Trotz des Mannes war ihm so sympathisch. Von manchem Hieb getroffen, doch immer noch wehrbereit ... hätte er darunter schreiben mögen.
Durch die halboffene Tür trat er ins Nebenzimmer. Ein weißbedeckter Diwan, ein Schrank mit Medizinflaschen und chirurgischen Instrumenten, ein marmorner Waschtisch mit Nickelhähnen deuteten darauf hin, daß dies das Ordinationszimmer eines Arztes war. An den mit hellfarbigen Tapeten bespannten Wänden eines dritten Zimmers stand eine Reihe von Stühlen. Offenbar ein Wartezimmer ... Da war er also in die Wohnung eines Medizinmannes bestellt worden.
Als Heinz in das erste Zimmer zurückkehrte, blieb er einen Augenblick vor dem Schreibtisch stehen und zuckte erschrocken zusammen. Dann ergriff er die darauf stehende Photographie, indem er sich langsam niederließ. Margots Bild. Wie kam das hierher?
Er starrte auf den kostbaren, gepunzten Lederumschlag einer Schreibmappe. Eine schlanke, hochragende Tanne. Und auf dem Stamm in erhabener Schrift ein »H« und ein »T«.
Was bedeutete das?
Er sprang auf, um die Frau zu rufen. Aber als er gegen einen der Sessel rannte, sprangen wie knisternde Funken Erinnerungen in ihm auf. Eines Abends hatte er mit Margot vor einem Möbelmagazin gestanden und geäußert: Famose Klubsessel! Da standen sie! Er hatte mit ihr von dem Rembrandtbild gesprochen ... dort hing es! Er hatte ihr von der Tanne im Grund erzählt, die so hoch hinauf wachsen mußte, damit auch sie den blauen Himmel und die Sonne zu sehen bekomme ... das war seine Tanne so gut wie die Anfangsbuchstaben seines Namens! Und das ganze Zimmer ... wenn er selbst, ohne an die Kosten denken zu müssen, es sich eingerichtet hätte, er hätte kein Stück anders gewählt.
Er brauchte nicht zu fragen, er wußte ohnehin: es war Margots Werk. Sie hatte sicher auch die Frau engagiert. Hatte ihn hier ausgestattet und einquartiert, als wenn ... als wenn er ihr ausgehaltener Liebhaber wäre.
Während er mit blaß funkelnden Blicken um sich schaute, gewahrte er, daß die Tür zu dem andern Nebenzimmer nur durch eine Portiere verhängt war.
Hier war ein Tisch für zwölf Personen gedeckt. Das Silber glitzerte auf dem weißen Damast. Die Teller türmten sich vor jedem Platz. Jeder einzelne war mit einem zierlichen Tannenkranz umrandet. Ein Halbkreis von Gläsern stand darum. Und es fehlten weder geschliffene bunte Kristallpokale noch Sektkelche.
Ob sie auch den Sekt nicht vergessen hat? dachte Heinz, während er vor Zorn bebte. An die Zigarren hatte sie gedacht. Auf einem orientalischen Hocker hatte er vorhin ein reichliches halbes Dutzend Kisten bemerkt. Da mußte auch wohl ein Weinkeller vorhanden sein. Aber wehe, wenn er keinen französischen Sekt enthielt!
Er riß die Tür zu einem neuen Zimmer auf. Richtig, so hatte er es sich vorgestellt. Aus der Mitte der Längswand ragte ein prächtiges breites Messingbett in den Raum. Ein üppiges Lotterbette, hätte man es wohl vor hundert Jahren genannt. Und da der riesige Kleiderschrank mit dem bis auf den Boden reichenden eingelassenen Spiegel. Und der Waschtisch mit bunter Marmorplatte und doppeltem Waschbecken. Und daneben ein zweiter Tisch, mit zahllosen Gegenständen bedeckt.
Fehlt bloß der Kammerdiener, dachte Heinz. Ich werde mich doch von jetzt ab nicht selbst an- und ausziehen! Einen Kammerdiener brauche ich unbedingt. Der kann dann gleich den Kraftwagen führen. Denn ein Kraftwagen wird doch hoffentlich auch noch auftauchen. Überhaupt ... überhaupt, ich finde das alles etwas matt, kleinbürgerlich, ohne rechten Stil. Wenn man sich schon ausstaffieren läßt, muß es großartig fein, nicht so wie eine Tänzerin dritter Güte.
Seine Hände krampften sich zusammen, spreizten sich auseinander vor zurückgehaltenem Zorn.
Was tun? Den Hut nehmen, stillschweigend das Haus verlassen und es nie, nie wieder betreten. Das wäre das einzig Anständige. Was dachte Margot denn eigentlich von ihm? Traute sie ihm nicht ein bißchen Stolz mehr zu, daß sie ihm das anzubieten wagte? Verliert man denn damit, daß man einmal die Großherzigkeit eines Menschen in Anspruch nimmt, völlig seine Freiheit? Er war doch kein Bettler, dem man, ohne zu fragen, Wohltaten reichen kann, wenn's einem gerade paßte.
Da hörte er Schellen, lebhaftes Sprechen auf dem Flur, einen kleinen Aufschrei, gleich darauf flog die Tür auf.
Während Margot noch auf der Schwelle stand, riß sie von einem Strauß kaum erblühter Rosenknospen das Seidenpapier ab, stürmte dann mit Schritten, so groß wie ihr enger Rock sie nur erlaubte, auf ihn zu. Als er aber unbeweglich im Schatten des Fenstervorhanges stehen blieb, legte sie kokett den Kopf auf die Seite und fragte in gemacht kindlichem Ton:
»Haben die Heinzelmännchen es so gut gemacht, Herr Doktor?«
In all seinen Zorn mischte sich etwas wie Beschämung über ihre unglückselige Pose.
»Guten Tag,« erwiderte er trocken. »Sag' mal, wer wohnt hier denn eigentlich?«
»Aber Heinz!«
»Ich denke, du hast mich eines Patienten wegen hierher bestellt?«
»Aber Heinz, das ist doch ... du sollst selbst doch von jetzt ab hier wohnen.«
»Sei versichert, das tue ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich habe mir schon selbst ein Zimmer gemietet. Nach meinem eigenen Geschmack.«
»Aber Heinz, dies ist doch alles so, wie du es gern hast. Du hast es ja, ohne es zu wissen, selbst ausgesucht. Erinnerst du dich nicht?«
»Gewiß, ja ... es ist alles wunderhübsch. Nur leider entspricht es meinen Mitteln nicht. Ich weiß nicht, wie ich es bezahlen soll.«
»Ach Gott, sei doch nicht kleinlich, Heinz. Mit dem Bezahlen hat's wahrhaftig keine Eile.«
»Ganz gleich. Früher oder später muß es aber doch bezahlt werden. Und ich möchte meine Selbständigkeit nicht mit einer solchen Schuldenlast anfangen.«
»Aha, das habe ich mir gedacht. Nein! Ich nehme das nicht geschenkt. Ich danke dir vielmals für deine Freundlichkeit. Aber du mußt schon gestatten, daß ich sie ablehne.«
Er atmete schwer auf, nahm ihr, die am ganzen Leib zu zittern begann und so blaß war wie die weißen Fliederblüten an ihrem Hut, den Rosenstrauß ab und schob ihr einen Sessel hin.
»Und bei der Gelegenheit möchte ich dir sagen, Margot – einmal muß es gesagt werden –, eure Geschenke fangen an, mich zu drücken. Ich bin deiner Mutter meine ganze Ausbildung schuldig und werde ihr stets dafür dankbar sein, meine Freiheit jedoch will ich mir dafür nicht nehmen lassen. Aber wie kann ich sie bewahren, wenn ich in immer größere Abhängigkeit von euch gerate? Das, was deine Mutter für mein Studium bezahlt hat, hoffe ich in absehbarer Zeit zurückgeben zu können.«
»Pfui!« schrie Margot. »Wie niedrig! Wie gemein!«
Sie sprang auf und trat ihm entgegen; den Kopf in den Nacken geworfen, hielt sie mit der zitternden Rechten den breiten Hutrand fest. Ihr blutleeres Gesicht war häßlich, wurde aber verklärt von der bleichen Glut ihrer Augen.
»Jawohl, ich finde es gemein, so von uns zu denken. Wir freuen uns, wir sind glücklich, daß es dir gut geht, wir sind stolz auf deine glänzenden Examina. Für uns bist du einfach ein Freund. Wir haben nie gefragt, was wir dir gegeben haben. Aber du rechnest uns nach, was du uns schuldig bist. Als wenn im Geld unsere Freundlichkeit läge, als wenn nicht die Gesinnung alles wäre.«
»Du hast seinerzeit selbst gesagt, daß ich das Geld nur als geliehen betrachten solle.«
»Habe ich das gesagt? Dann hast du dich an die Worte gehalten und nicht an den Sinn. O, Heinz, ich hätte nie geglaubt, daß ich dich von der Seite kennen lernen würde. Unsere Geschenke drücken dich! Das würden sie nicht tun, wenn du nicht einen so kleinlichen Charakter hättest. O Gott, wenn das meine Mutter wüßte! Wie stehen wir denn da? Es ist ja gerade, als wenn wir Wucherer wären, aus deren Händen du dich so schnell wie möglich befreien müßtest.«
»Von allem dem habe ich nicht ein Wort gesagt.«
»Aber gedacht! Gedacht! Was magst du sonst noch alles für Hintergedanken gehabt haben! Vielleicht hast du auch gedacht, ich wollte dich dadurch ködern, daß du mich heiratest.«
Er fuhr zusammen.
»Hör' auf, Margot. Das ist entsetzlich.«
»O mein Gott, mein Gott, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll! So in meinen reinsten Absichten verdächtigt zu werden. Und das von dir! Den ich für meinen Freund hielt. Aber geh nur! Du brauchst nicht zu denken, daß du irgendwie an mich gebunden bist. Du kannst ruhig gehen. Ich werde nie den geringsten Versuch machen, dich je zurückzurufen. Bei aller Anhänglichkeit und Treue bin ich doch keine Klette.«
Er ging auf sie zu, wollte etwas entgegnen. Aber sie wehrte ihn mit wilden Bewegungen von sich ab und erklärte, er solle doch nur gehen, alle seine Worte nützten nichts mehr. Achselzuckend trat er ans Fenster. Hinter seinem Rücken ertönte noch immer ihr Schluchzen.
Es tat ihm leid, daß er das, was ihn seit Jahren bedrückte, heftiger, mit härteren Worten, als gut war, herausgebraust hatte. Aber gesagt mußte es einmal werden. Trotz ihrer Vorwürfe fühlte er sich erleichtert. Kleinlich und mißtrauisch hatte sie ihn genannt? Vielleicht war er das. Aber jeder hatte seinen Fehler und mußte nach seiner Eigenart handeln.
Obwohl sie hartnäckig das Gesicht von ihm abwandte, setzte er sich ihr gegenüber und wiederholte seine Gründe.
Er erinnerte Margot daran, daß er sie oft gebeten hatte, bei ihrer Mutter dahin zu wirken, daß diese ihre Geschenkwut einschränke. Sie wußte, wie peinlich ihm diese Kostbarkeiten, die zu seinem einfachen Gelehrtendasein nicht paßten, gewesen waren. Und nun hatte sie denselben Fehler begangen. Er war es, der ihr Mangel an Zartgefühl und eine schlechte Kenntnis seines Charakters vorwerfen mußte.
»Ach Gott, wenn du wüßtest, wie einfach und harmlos alles gekommen ist. Mama hat unverhofft eine Erbschaft gemacht und jedem von uns eine kleine Summe geschenkt. Ich sollte mir Schmuck dafür kaufen. Aber was tue ich damit? Ich habe ja mehr als genug von dem Zeug. Da bat ich sie, es für dich verwenden zu dürfen. Sie war mit Freuden dabei. Wir waren so glücklich, dich endlich in einer behaglichen Umgebung zu wissen. Und nun vergällst du uns alles. Was soll ich Mama nur sagen? Sie wird denken, du hast genug von uns.«
»Bring' es ihr schonend bei. Zeig' auch du jetzt deine Freundschaft und nimm mich, wie ich bin!«
Sie strich ihr Haar aus der Stirn, rückte den Hut zurecht. Ein demütiges Lächeln umkroch ihren Mund.
»Heinz, ich seh' ja ein, daß ich unrecht hatte. Ich hätte dich erst fragen sollen. Ihr Männer seid nun mal so. Auch wenn man nett zu euch sein will, müßt ihr erst eure Erlaubnis dazu geben. Dafür hast du mich angeschnauzt. Ich will deine entsetzlichen Worte vergessen: Aber nun sei auch gut. Stoß mich nicht zurück!«
»Nicht dich stoße ich zurück. Im Gegenteil, ich hoffe, unsere Freundschaft wird nur noch fester werden, wenn du darauf verzichtest, meinen Willen zu brechen.«
In wilder Erregung flogen ihre Blicke hierhin und dorthin. Ihre Enttäuschung, ihr aufgepeitschter Eigensinn machten sie unfähig, den Sinn seiner Worte zu begreifen.
»Von dem Geld meiner Mutter habe ich noch zehntausend Mark übrig. Die sollten für deine Versuche sein. Nimm wenigstens die, Heinz.«
»Danke, Margot!«
Er drückte ihr fest die Hand.
»Die hätte ich vielleicht genommen, da sie für meine Wissenschaft bestimmt sind, nicht für mich. Aber ich brauche sie nicht. Gestern ist mir für meine Versuche eine staatliche Unterstützung bewilligt worden.«
Sie schrie förmlich auf in der Maßlosigkeit ihrer Enttäuschung. Dann warf sie sich schluchzend zurück.
»Wär' ich doch lieber als arme Mäntelnäherin auf die Welt gekommen! Was habe ich denn von alle dem Geld! Nichts als Schreckliches.«
»Deinem Geld verdanke ich mein Studium. Das werde ich dir nie vergessen.«
»Ach, du hättest auch ohne uns studiert. Aber sonst! Du ahnst ja nicht, wie schrecklich es bei uns zu Haus zugeht. Papa ist schlechter als je zu Mama. Er betrügt sie, wo er nur kann. Uns Kinder haßt er. Ginge er doch lieber seiner Wege! Aber das Geld! Das Geld! Er will sich die Millionen nicht entgehen lassen, die ihm nach Mutters Tode zufallen müssen. So denkt er wenigstens. Er möchte ja am liebsten, daß wir Kinder ganz enterbt würden. Das alles ist ja so gräßlich. Wenn ich doch einmal sähe, daß aus dem Geld etwas Gutes kommt! Aber selbst du wirfst es mir vor die Füße, wo du es nicht mehr brauchst.«
»Du bist ungerecht. Du willst meine Beweggründe nicht verstehen.«
In diesem Augenblick trat nach diskretem Klopfen die Frau mit der weißen Schürze ein, brachte einen wohlriechenden Bratenduft mit und sagte, verschämt lächelnd:
»Meine Herrschaften, das Essen ist angerichtet.«
Dann verschwand sie.
»Auch das noch!« stöhnte Margot.
»Es tut mir leid. Furchtbar leid. Aber ich kann nicht anders.«
»Du wirst mich doch hier nicht so sitzen lassen? So blamiert.«
Er reichte ihr den Arm.
Schweigend löffelten sie ihre Suppe. Nach und nach begann Margot sich zu beruhigen, beantwortete seine Fragen nach ihrer Mutter, deren Aussehen ihm seit einiger Zeit Sorgen machte, und führte der bedienenden Frau wegen eine wortkarge belanglose Unterhaltung weiter.
Zum Schluß des gängereichen Mahls gab es noch frische Erdbeeren. Nachdem er einige verzehrt hatte, erhob er sich.
»Um zwei beginnt eigentlich mein Dienst. Jetzt ist es schon halb drei.«
»Du bleibst also wirklich dabei?«
»Ja, Margot. Und wenn du in Ruhe nachdenkst, wirst du mir recht geben.«
»Wie kann man nur einem Menschen so weh tun!« murmelte sie.
Einer verwelkten Treibhausblume gleich hockte sie, mit tief zwischen den Schultern hängendem Kopf und schlaffen Armen auf dem Stuhl. Tränen rannen über ihre fleckig geröteten Wangen.
Sie hatte von einer Schäferszene geträumt. So hatte ihre Leidenschaft sie verblendet ... Was nun? Wie war ihm beizukommen?