Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

50. Löwenjagd.

Wir begeben uns nun nach Mombasa an der Ostküste Afrikas unmittelbar südlich vom Äquator und kommen damit in die eigentliche Heimat des afrikanischen Löwen. Uns begleitet der beste Wegweiser, der zu denken ist, der englische Oberst Pattersson, der zahlreiche Abenteuer mit den Königen der Wüste erlebt hat, und eines von diesen Abenteuern sei hier erzählt. Es ist ein wenig schaurig, aber weder erdichtet noch auch nur übertrieben, denn mehrere Tausend Menschen waren Zeugen dieser Begebenheiten.

Oberst Pattersson war im Jahre 1898 zum Dienst an der Ugandabahn kommandiert, die von Mombasa nordwestwärts durch Britisch-Ostafrika nach dem großen Viktoria-Njansa führt, dem größten Quellsee des Nils. Bei seiner Ankunft dort war die Bahn noch nicht weiter fertig als bis an den Tsavo, einen kleinen Nebenfluß des Sabaki, der sich im Norden von Mombasa ins Meer ergießt. Hier am Tsavo, über den eine provisorische Holzbrücke führte, die Pattersson durch eine stehende Eisenbrücke ersetzen sollte, hatten er und einige Tausend Bahnarbeiter aus Indien ihr Lager.

Einige Tage nach Patterssons Ankunft hörte er von zwei Löwen, die die Gegend unsicher machten. Zuerst gab er nicht viel darauf, bis nach einiger Zeit einer seiner Diener von einem Löwen fortgeschleppt wurde. Ein Kamerad des Unglücklichen, der in demselben Zelt lag, hatte gesehen, wie der Löwe sich mitten in der Nacht lautlos ins Lager einschlich, geradeswegs in das Zelt hineindrang und den Diener Patterssons an der Gurgel packte. Der Mann hatte gerufen: »Laß mich los!« und seine Arme um den Hals des Raubtiers gelegt. Dann senkte sich wieder nächtliche Stille auf das Lager herab. Am Morgen konnte der Oberst die Löwenspur leicht verfolgen, denn die Füße des Opfers waren auf dem ganzen Weg im Sand nachgeschleift; da, wo der Löwe seine Mahlzeit verzehrt hatte, lagen nur noch die Kleider des Unglücklichen und sein Kopf; seine Augen waren mit einem vor Entsetzen starren Blick gebrochen.

Tief erregt durch diesen Anblick und das traurige Ereignis schwur der Oberst, nicht eher zu ruhen, als bis die beiden Löwen getötet seien. Mit der Flinte in der Hand wartete er in der nächsten Nacht in der Nähe des Dienerzelts. Als es still und dunkel geworden war, ertönte in der Ferne ein Gebrüll, es näherte sich immer mehr; die Löwen kamen, sich ein neues Opfer zu holen. Dann wurde es wieder still; der Löwe greift stets schweigend an, nur wenn er sich auf seine nächtliche Wanderschaft begibt, stößt er zuerst ein dumpfes Gebrüll aus, wie um die Menschen und Tiere der Wildnis zu warnen. Der Oberst wartete – da ertönten plötzlich in dem nächsten Lager, ungefähr hundert Meter entfernt, Rufe des Entsetzens. Dann wieder Schweigen. Ein neues Opfer war von den Räubern fortgeschleppt worden!

Nun verbarg sich der Oberst in dem andern Lager. Aber auch hier wurde seine Hoffnung vereitelt. Aus großer Entfernung erscholl in der nächsten Nacht herzzerreißendes Geschrei – ein dritter Arbeiter war geraubt worden.

Die indischen Arbeiter schliefen in verschiedenen Lagern, und die Löwen hatten sich jede Nacht ein anderes Lager ausgesucht, um die Leute irrezuführen. Als sie jetzt merkten, daß sie mehrere Nächte jedesmal einen Menschen hatten rauben können, ohne sich dabei einem Angriff auszusetzen, wurden sie immer dreister und zeigten nicht die geringste Furcht vor den Lagerfeuern. Sie machten sich nichts aus dem Aufstand, den sie im Lager verursachten, kümmerten sich nicht einmal um die Flintenkugeln, die man ihnen in der Dunkelheit nachschickte.

Man baute nun um jedes Lager einen hohen, starken Zaun aus Dornsträuchern, aber dennoch gelang es den Löwen stets, darüberzuspringen oder ein Loch zu brechen und ihre Beute trotz alledem zu holen. Bei Tage verfolgte Oberst Pattersson die Löwenspur nach allen Richtungen hin, aber sobald er auf felsigen Boden kam, verlor er sie natürlich aus den Augen.

Noch schlimmer wurde es, als das Bahngleis weiter landeinwärts gelegt wurde und nur ein paar hundert Arbeiter an der Tsavobrücke blieben. Die Zäune wurden außergewöhnlich hoch und stark gebaut, die Wachtfeuer loderten gleich Scheiterhaufen, Wächter wurden allenthalben aufgestellt, die Flinten lagen bereit, und in jedem Lager mußte ein Mann auf leeren Ölkannen trommeln, um die Bestien zu verscheuchen. Aber immer wieder verschwanden neue Opfer. Vor Angst waren die Arbeiter so gelähmt, daß sie nicht einmal schießen konnten, wenn sie die Löwen unmittelbar vor sich hatten. Sogar aus dem Hospitalzelt wurde ein Kranker fortgeschleppt. Das nächste Opfer war ein Wasserträger; er hatte mit dem Kopf nach der Mitte des Zeltes und mit den Füßen zur Tür hin gelegen; der Löwe hatte den Zaun übersprungen, den Mann an den Füßen gepackt und herausgezogen. Der Unglückliche hatte sich an einer Kiste angeklammert, dann an einem Zelttau, das riß. Dann war der Löwe mit seiner Beute im Rachen innen am Zaun entlang gelaufen, um eine undichte Stelle zu suchen, und hatte sich hier durch den Zaun gezwängt. Am Morgen fand man hier Zeuglumpen und Fleischfetzen. Der zweite Löwe hatte draußen gewartet, und beide hatten die Beute geteilt. An einer zurückgelassenen Hand des Getöteten steckte ein Ring, der seiner Frau nach Indien geschickt wurde.

Darauf folgte eine Zeit der Ruhe. Die Löwen waren jedenfalls anderwärts beschäftigt, und die Arbeiter begannen schon der Hitze wegen außerhalb der Zelte zu schlafen. Eines Nachts saßen sie rings um das Lagerfeuer, als der eine Löwe plötzlich über den Zaun sprang, vor ihnen stehen blieb und sie anstarrte. Alles sprang entsetzt auf, warf mit Steinen, Holzscheiten und Feuerbränden nach dem Untier. Aber der Löwe machte unbekümmert einen Sprung, packte wieder einen der Männer und stürmte mit ihm durch den Zaun fort. Die andere Bestie erwartete ihn draußen, und sie verspeisten ihre Beute bloß dreißig Meter vom Lager entfernt.

Während einer ganzen Woche saß der Oberst jede Nacht in einem der Lager, wo voraussichtlich der Besuch zu erwarten war. Nichts Nervenerschütternderes, sagt er selbst, als solch ein vergebliches Warten. Immer hörte er das warnende Gebrüll in der Ferne, wenn die Räuber nahten; aber immer schwiegen sie, sobald sie dicht beim Lager waren. Dann pflegten die Wachen zu rufen: »Seht euch vor, Brüder, der Teufel kommt!« Und eine Weile später immer wieder Schreckensrufe und die Todesschreie des Fortgeschleppten! Schließlich ging die Frechheit der Löwen so weit, daß sie beide zugleich den Zaun übersprangen, um sich jeder einen Mann zu holen. Einmal glückte es dem einen Löwen nicht, sein Opfer durch den Zaun zu zwängen; er hatte es im Stich lassen und sich mit einem Anteil an der Beute seines Kameraden begnügen müssen. Der zurückgelassene Mann war aber so fürchterlich zugerichtet, daß er starb, ehe man ihn ins Krankenzelt bringen konnte.

Die von beständiger Todesangst und Nachtwachen erschöpften Arbeiter konnten diesen Zustand schließlich nicht mehr aushalten, sie streikten. Sie waren nach Afrika gekommen, um bei dem Bahnbau zu verdienen, nicht um als Löwenfutter zu dienen. Eines Tages hielten sie einen Zug an, füllten seine Wagen mit ihren Habseligkeiten und fuhren der Küste zu. Die wenigen Mutigen, die bei Oberst Pattersson aushielten, verbrachten ihre Nächte in Bäumen, im Wasserreservoir der Station oder in verdeckten Gruben, die sie sich in ihren Zelten gegraben hatten.

Nun hatte Oberst Pattersson einen englischen Kameraden gebeten, zu ihm an den Tsavo zu kommen und an der Jagd auf die Löwen teilzunehmen. Der Zug, mit dem der Freund anlangte, verspätete sich, und es war bereits dunkel, als der Ankömmling auf dem Fußpfad durch das Dickicht das Lager aufsuchte. Er hatte nur einen Diener mit einer Laterne bei sich. Auf dem halben Weg vom Bahnhof sprang plötzlich vom Abhang eines Hügels ein Löwe auf sie herab, riß dem Engländer vier tiefe blutende Wunden in den Rücken und hätte ihn fortgeschleppt, wenn jener nicht seinen Karabiner abgefeuert hätte. Betäubt von dem Knall ließ der Löwe unwillkürlich los, stürzte sich aber auf den Diener und war im nächsten Augenblick mit seiner Beute in der Finsternis verschwunden.

Einige Tage darauf meldete plötzlich ein Suaheli, der Abkömmling eines arabischen Vaters und einer Negermutter, der Löwe habe einen Esel geraubt und verzehre ihn ganz in der Nähe. In Begleitung des Boten eilte der Oberst hin und sah schon von weitem über dem Strauchwerk den gelben Rücken des Tieres. Unglücklicherweise trat der Führer auf einen Zweig. Der Löwe verschwand in einem undurchdringlichen Dickicht. Nun wurden alle Leute aufgeboten, die erreichbar waren, und mit Trommeln und Blechkannen versehen umzingelten sie das Dickicht und drangen nun lärmend vor, während der Oberst an der Stelle lauerte, wo die Bestie wahrscheinlich herauskommen mußte. Und richtig, bald zeigte sie sich, ein gewaltiger Löwe, grimmig und wütend über die Störung. Langsam ging er geradeaus, blieb oft stehen und sah sich um und war in seinen Gedanken so mit dem Lärm hinter sich beschäftigt, daß er den Jäger gar nicht gewahrte. Nur noch dreizehn Meter war er entfernt; der Oberst erhob seine Doppelflinte – da hörte der Löwe die Bewegung, krallte die Vordertatzen in die Erde und schickte sich zum Sprung an, indem er wütend fauchte und seine mörderischen Reißzähne zeigte. Der Oberst zielte nach dem mähnenlosen Kopf, drückte ab und – die Flinte versagte!

Aber in diesem Augenblick drehte sich der Löwe um und wich in das Dickicht zurück; einen Schuß beantwortete er nur mit einem wütenden Gebrüll. Nun mußte sich der Oberst bis zur Nacht gedulden. Die tückische Doppelflinte hatte er sich in der Eile geliehen; jetzt galt es also, sich auf die eigenen Waffen zu verlassen. Der Esel lag noch unberührt da. In nächster Nähe des Kadavers wurde ein vier Meter hoher Schießstand errichtet, und bei Sonnenuntergang besetzte der Oberst die kleine Plattform. Am Äquator ist die Dämmerung sehr kurz, und wenn der Mond nicht leuchtet, wird es schnell dunkle Nacht. Dann liegt über den Dschungeln Afrikas eine drückende, unheilverkündende Stille. Pattersson selbst gesteht, daß ihm immer beklommener zumute wurde, je weiter die Nachtstunden fortschritten. Das Gewehr in der Hand wartete er regungslos; er war gewiß, daß der Löwe kommen und mit seinem Kameraden den Esel verzehren würde, denn aus den Lagern der Arbeiter war diesen Abend kein Angstgeschrei ertönt.

Klang es da nicht, als ob ein dürrer Zweig unter einer schweren Last zerbrach? Ein großer Körper zwängte sich durch die Büsche, das war deutlich zu hören. Dann wieder lautlose Stille. Jetzt ein tiefes Stöhnen, das Zeichen des Hungers – die Bestie war nahe. Wieder rauschte es leise zwischen den Büschen, dann durchschallte ein häßliches Gebrüll die Nacht. Der Löwe hatte die Nähe eines Menschen gewittert. Wird er umkehren? Im Gegenteil, er verschmäht jetzt den Esel und geht geradeswegs auf den Sitz des Obersten los!

Zwei Stunden lang umschlich das Raubtier den Schießstand und zog seine Kreise immer enger. Dem Jäger war unheimlich zumute. Plötzlich fühlte er etwas Weiches seinen Nacken berühren – »nun hat mich das Scheusal«, dachte er! Aber es war nur eine Nachteule, die die regungslose Gestalt des Obersten nicht bemerkt hatte.

Endlich hatte der Löwe seinen Angriffsplan zurechtgelegt und setzte zum Sprung an. Kaum merkbar zeichnete sich das Tier auf dem Sandboden ab. Da dröhnte der erste Schuß durch die Nacht, der Löwe stieß ein entsetzliches Gebrüll aus und flüchtete in das nächste Gebüsch, wo er sich umherwälzte, noch immer brüllend vor Schmerz. Dann wurden die Töne schwächer und verstummten zuletzt mit ein paar langgezogenen Seufzern. Die Rechnung mit dem ersten Räuber war abgeschlossen!

Noch vor Tagesanbruch zogen die Arbeiter mit Pauken und Trompeten aus und trugen den Obersten unter Freudengeschrei im Kreise um die tote Bestie herum. Der zweite Löwe setzte jedoch seine Besuche fort, wurde dann aber auch bald erlegt. Nun konnten die Bahnarbeiten wieder fortgesetzt werden, und der Oberst besaß in der ganzen Umgegend, die er von einer neunmonatigen Plage befreit hatte, die größte Popularität. –

Solcher Abenteuer erlebte Pattersson eine große Anzahl, nicht nur mit Löwen, sondern auch mit Nashörnern, Flußpferden, Leoparden, Giraffen, Krokodilen usw. Aber noch eines seiner Löwenabenteuer sei hier erzählt.

Eines Tages hatte er in einer kleinen Station oberhalb des Tsavo mit dem Polizeikommissar Ryall in einem Eisenbahnwagen zu Mittag gespeist, nichts ahnend von dem Schicksal, das diesen Mann einige Monate später genau in demselben Wagen treffen sollte. Ein Löwe hatte sich diese Station zu seinem Jagdgebiet ausersehen und schleppte einen Mann nach dem andern fort. Der Polizeikommissar zog deshalb mit zwei andern Europäern hin, um den Ort von dem Räuber zu befreien. Bei der Ankunft erfuhren sie, das Tier könne nicht fern sein, es habe sich ganz kürzlich noch in der Nähe des Bahnhofs sehen lassen. Die drei Europäer beschlossen also, die Nacht über zu wachen. Ryalls Wagen wurde vom Zug abgekoppelt und auf ein Nebengleis geschoben. Hier war die Planierung noch nicht fertig, und infolgedessen stand der Wagen etwas schräg. Nach dem Essen wollten sie abwechselnd Wache halten, Ryall selbst zuerst. In dem Wagen standen zwei Schlafsofas, das eine ziemlich hoch über dem Fußboden. Ryall hatte sie seinen Gästen angeboten, aber der eine wollte lieber zwischen den beiden Sofas auf dem Boden liegen. Als nun Ryall meinte, lange genug gewacht zu haben, und sich keine Spur von dem Löwen zeigte, legte er sich auf dem niedrigeren Sofa schlafen.

Der Wagen hatte eine Schiebetür, die sehr leicht in ihren Rillen lief und nicht verschlossen war. Als alles still war, schlich der Löwe aus einem nahen Dickicht heraus, sprang auf die hintere Plattform des Wagens, machte mit der Tatze die Türe auf und glitt lautlos hinein. Aber kaum war er drinnen, so rollte die Tür infolge der Schrägstellung des Wagens wieder zurück und das Schloß schnappte ein. Nun war die Bestie mit den drei schlafenden Männern zusammen im Wagen eingesperrt! Der auf dem höherstehenden Sofa Schlafende erwachte von einem gellenden Angstgeschrei und sah, wie der Löwe, der den schmalen Zwischenraum zwischen den beiden Lagerstätten fast ganz ausfüllte, mit den Hinterbeinen auf dem am Boden Liegenden und mit den Vordertatzen auf Ryall stand. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang er vom Sofa, um die gegenüberliegende Tür zu erreichen, konnte aber nicht an dem Tier vorbeikommen, ohne es auf den Rücken zu treten! Zu seinem Entsetzen merkte er, daß die Diener, vom Lärm aufgeschreckt, die Tür von außen zuhielten. Mit Aufbietung seiner ganzen Kraft gelang es ihm trotzdem, die Tür zu öffnen und hinauszukommen, worauf man sie schnell wieder zuwarf. In demselben Augenblick ertönte ein gewaltiges Krachen – der Löwe war mit Ryall im Rachen aus dem Fenster gesprungen, und da die Öffnung zu schmal war, hatte er das Holzwerk wie Glas zertrümmert! Am Tage darauf fand man die Überreste des Unglücklichen und begrub sie. Der Löwe wurde aber bald nachher in einer Falle gefangen und noch mehrere Tage gezeigt, ehe man ihn erschoß.


 << zurück weiter >>