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Als der Plan der Ballonreise Andrées die Runde um die Welt machte, schossen natürlich allenthalben Unglückspropheten wie die Pilze hervor. Im Ausland tadelte man ihn mit scharfen Worten und nannte ihn dummdreist oder verrückt. Andrée könne sich doch wohl denken, daß die Seevögel droben im Norden die Ballonhülle zerhacken würden, daß die Insassen der Gondel, wenn sie über Land hintrieben, von Eingeborenen mit Pfeilen erschossen würden, und daß sie, falls sie je den Pol erreichten, dort totfrieren müßten! Schnee und Eis würden die gewaltige Ballonkuppel durch ihr Gewicht niederdrücken, die Schlepptaue sich zwischen den Eisblöcken einkeilen, anfrieren und den Ballon festhalten, so daß er nicht mehr vom Flecke käme.
Nur in Schweden erregte der Plan zuerst Staunen, dann Bewunderung und schließlich Begeisterung! Aber woher sollte das Geld kommen? 130 000 Kronen waren dazu erforderlich. Alfred Nobel erbot sich, die Hälfte der Kosten zu decken. König Oskar, der alles, was Entdeckungsreise hieß, mit freigebiger Hand unterstützte, übernahm den vierten Teil der Kosten, und der Rest wurde von andern gezeichnet.
Als alles in Ordnung war, reiste Andrée nach Spitzbergen. Auf der Däneninsel wurde ein gewaltiger Schuppen gebaut zum Schutz des Ballons vor dem Wetter während der Füllung. Ende Juli 1896 stand der Ballon gefüllt da, und nun wartete man nur noch – auf den Südwind.
Doch unaufhörlich wehte es aus Norden oder Westen. Wochen vergingen. Nebel und Schneeregen verschlechterten die Aussichten. Vergebliches Warten – der günstige Wind kam nicht.
Im Norden der Däneninsel liegt die Amsterdaminsel, die eine flache Landzunge, die Holländerspitze, nach Osten hinsendet. Hier ging am 14. August ein merkwürdiges Schiff vor Anker. Andrée und mehrere andre Schweden bestiegen ihre Dampfbarkasse und fuhren zu ihm hinaus. Es war die »Fram«, die sich erst vor wenigen Tagen aus ihrer dreijährigen Gefangenschaft im Polareis befreit hatte!
»Könnte ich Nansen sprechen?« fragte Andrée, nachdem er Sverdrup und dessen Kameraden begrüßt hatte.
»Was, Nansen ist noch nicht heimgekommen?« riefen die Norweger.
»Nein, aber warum ist er nicht auf der ›Fram‹?«
»Es ist beinahe anderthalb Jahre her, daß er uns verließ.«
Bestürzung und Betrübnis auf beiden Seiten. Sverdrup kehrte schleunigst nach Norwegen zurück, fest entschlossen, sich mit Kohlen und Proviant zu versehen, um nach Franz-Joseph-Land zu fahren und Nansen zu suchen. Als er den ersten Hafen einer kleinen norwegischen Küstenstadt erreicht hatte, ließ er sich mitten in der Nacht ans Land rudern und begab sich nach dem Telegraphenamt. Dort klopfte er so heftig an die Tür, als gelte es das Leben. Der ganze Ort schlief. Schließlich schaute ein älterer Mann zum Fenster heraus und brüllte ihn an: »Was ist denn das für ein fürchterlicher Spektakel mitten in der Nacht?«
Sverdrup antwortete: »Machen Sie nur die Tür auf; ich bin Kapitän Sverdrup von der ›Fram‹.«
Überall wurden jetzt die Fenster hell, und der Telegraphenbeamte kam Hals über Kopf heruntergestürzt.
»Ich habe von Andrée gehört,« sagte Sverdrup betrübt, »daß noch keine Nachricht von Nansen da ist.«
»Oho,« rief der Telegraphenbeamte, »Nansen? Der ist ja am 13. August in Vardö angekommen! Jetzt ist er in Hammerfest.«
Sverdrup schnellte in die Höhe, machte auf dem Fleck kehrt und eilte fort, um seinen Kameraden die frohe Kunde zu bringen.
Unterdessen wartete Andrée noch immer vergeblich auf Südwind. Das Jahr war mittlerweile zu weit vorgeschritten, und so mußte er umkehren. Der Ballon wurde entleert, alles wieder eingepackt, und Andrée reiste nach Stockholm zurück.
Es läßt sich denken, wie niedergeschlagen er war. Nie hatte der Plan einer Polarreise größere und wärmere Teilnahme gefunden. Die ganze Welt wartete gespannt auf die Abfahrt und den Ausgang. Bei seiner Abreise hatte man ihn in Stockholm und Gothenburg wie einen Helden gefeiert, und nun kam er unverrichteter Sache wieder zurück! Viele spotteten, aber die meisten bewunderten doch seine Selbstbeherrschung. Die zu einem neuen Versuch erforderlichen Summen wurden sofort gezeichnet, und zwar nur von Schweden. Mitte Mai nächsten Jahres wollte sich Andrée wieder zur Däneninsel begeben.
Am 10. Mai 1897 kam ich aus Asien zurück. Am 13. gab Andrée mir zu Ehren ein Diner. Wir waren nur sechs Personen bei Tisch, und ich sah ihn bei dieser Gelegenheit zum erstenmal. Im Verlauf des Essens hieß er mich mit einer Rede willkommen, deren ich mich noch voller Rührung erinnere. Wie verschieden doch das Leben vor uns beiden liege, führte er aus. Ich hätte meine große Reise hinter mir und sei zu ruhiger Arbeit heimgekehrt, er habe sie noch vor sich und wolle sich eben jetzt in die große Einsamkeit hinausbegeben zu einem ungewissen Ausgang. Ich merkte seinen Worten eine Wehmut an, die er vergeblich zu verbergen suchte. In meiner Antwort beglückwünschte ich ihn als den Urheber eines so glänzenden Planes und sprach meine Überzeugung aus, daß wir uns dereinst unter glücklicheren Verhältnissen wieder treffen würden!
Die Gesellschaft war früh zu Ende. Andrée hatte noch viel zu tun; zwei Tage später sollte er Stockholm auf immer verlassen.
Diesmal ging die Abreise in aller Stille vor sich. Man hatte ihn genug gehetzt, und es war vorauszusehen, daß er diesmal auch bei nicht ganz günstigem Winde aufsteigen werde. Nur wenige Freunde sagten ihm auf dem Zentralbahnhof Lebewohl. Ich drückte ihm warm die Hand – zum letztenmal! Dann rollte der Zug fort in den hellen Abend hinein.
Im Juni herrschte wieder das alte geschäftige Treiben auf der Däneninsel. Anfang Juli war alles zur Abfahrt bereit. Man wartete wiederum nur noch auf den Südwind. Während eines heftigen Sturmes wirbelte der Ballon so wild in seinem Schuppen umher, daß er sich an den Wänden zu zerschlagen und gar wegzufliegen drohte.
Täglich schrieb Andrée einige Zeilen in sein Tagebuch. Mit dem 8. Juli 1897 endet es – auf immer.