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16. Auf Schneeschuhen und Hundeschlitten zum Nordpol.

Die beiden kühnen Wanderer hatten drei Schlitten und 28 Hunde bei sich, und damit schlugen sie die Richtung nach dem Nordpol ein. Sie selber liefen auf Schneeschuhen und lenkten ihre Gespanne. Zuerst war das Eis glatt, und man kam rasch vorwärts; dann aber wurde es holprig, und die Fahrt ging langsam.

Nach zwei Marschtagen stieg die Kälte auf dreiundvierzig Grad, und in dem kleinen Seidenzelt war es mehr wie morgenkühl. Die beiden marschierten aber am Tage neun Stunden lang und spürten im Gehen die Kälte nicht; nur gefror die Körperausdünstung in den Kleidern, und diese wurden schließlich zu Eispanzern, die bei jedem Schritt krachten. Durch das beständige Scheuern am unteren Rand der hart wie Holz gefrorenen Ärmel wurden Nansens Handgelenke wund und blutig und heilten erst im Spätsommer wieder.

Zum Lagerplatz wählte man stets eine vor dem Wind Schutz bietende Eisspalte. Johansen besorgte die Hunde und fütterte sie, Nansen schlug das Zelt auf und füllte den Kochtopf mit Eisstücken. Das Abendessen war das Schönste am Tag; da wurde man wenigstens innerlich einmal warm, nachher kroch man schnell in den Schlafsack. Hier tauten die vereisten Anzüge auf, und die Schläfer lagen die ganze Nacht in nassen Umschlägen und träumten von Schlitten und Hundegespann. Einmal rief Johansen nachts im Schlaf: »Vorwärts, ihr Racker, flink, flink! – Halt, nun werft ihr um!«

Bei grimmiger Morgenkälte standen sie wieder auf, brachten die Hunde, die zusammengerollt im Schnee lagen und über die Kälte winselten, auf die Beine, entwirrten die Zugleinen, beluden die Schlitten, und dann ging es weiter in die große stille Einsamkeit hinein.

Nur zu oft war das Eis entsetzlich schlecht, die Schlitten fuhren sich fest, mußten getragen und über Wälle und Spalten hinübergeschoben werden, eine mühselige Wanderung. Aber ein Breitengrad war bereits erobert! Manchmal waren sie so erschöpft, daß sie fast im Gehen auf ihren Schneeschuhen schliefen, während die Hunde langsam neben ihnen hertrotteten. Auch diese wurden der beständigen Anstrengung allmählich überdrüssig. Zwei mußten geschlachtet werden und wurden ihren Kameraden als Frühstück vorgesetzt; aber einige von diesen dankten für solche Kost.

Als das Eis immer schlechter wurde und die weiße Wüste nach Norden hin, soweit der Blick reichte, wie ein einziges Geröllfeld aussah, da beschloß Nansen auf das Erreichen des Nordpols zu verzichten und wenn auch schweren Herzens umzukehren. Zurück zur »Fram« war unmöglich; Schneestürme hatten alle Spuren verwischt. Das einzig Mögliche war, die Richtung nach der eisigen Inselgruppe, die Franz-Joseph-Land heißt, einzuschlagen. Die Entfernung bis dahin betrug aber siebenhundert Kilometer, und der Proviant ging schon zu Ende! Aber da der Frühling bevorstand, war zu hoffen, daß man unterwegs auf Wild stoßen würde. Zwei Flinten hatte man ja und dazu hundertundachtzig Kugelpatronen und hundertundfünfzig Schrotschüsse. Die Hunde hatten es weit schlimmer; sie sollten nach und nach einander verspeisen.

So machten denn Nansen und Johansen am 8. April 1895, nachdem sie bis zur Breite von 86° 4' vorgedrungen waren, kehrt und gingen auf leidlichem Eise in langen Märschen auf Franz-Joseph-Land zu. Eines Tages sahen sie einen Balken aus dem Eis emporragen. Welch wunderbare Schicksale mußte der erlebt haben, seitdem man ihn gefällt hatte! Ende April zeigte sich die Fährte zweier Bergfüchse im Schnee. War Land in der Nähe, oder was hatten diese Wichte hier draußen auf dem vereisten Meer zu suchen? Zwei Tage später wurde der erste Hund, der »Gelbe«, geopfert. Er war auf der »Fram« geboren und hatte während seines kurzen Lebens nie etwas anderes als Eis und Schnee gesehen!

Offenes Wasser im Sonnenschein, glitzernde Wellen! Wie herrlich, ihr Plätschern am Eisrande zu hören! Den beiden Wanderern klang es wie Frühling und Sommer, wie ein Gruß von dem großen Meere, dem Wege zur Heimat! Neue Fuchsfährten ließen auf Land schließen, und täglich spähten die Wanderer danach aus. Aber noch drei ganze Monate sollten vergehen, ehe sie die erste Insel erreichten!

Anfang Mai waren nur noch sechzehn Hunde übrig. Jetzt hielt der lange Sommertag seinen Einzug in die Polarregion, und vor Hitze war es kaum mehr auszuhalten – denn es waren nur mehr elf Grad Kälte! Aber das Eis war erbärmlich! Unaufhörlich mußten die Schlitten über tiefe Rinnen und hohe Eiswälle hinübergeschleppt werden, und die beiden Männer taumelten nach diesen schweren Anstrengungen auf ihren Schneeschuhen halb erschöpft weiter. Die Hunde hatten es nicht weniger schwer je weniger ihrer wurden, und der Proviant verminderte sich bedenklich.

Da zwang sie ein wütender Schneesturm einen Tag zu rasten. Ein Schlitten wurde geopfert und zerbrochene Schneeschuhe den Flammen eines herrlichen Feuers als Opfer dargebracht. Für jeden der beiden übrigen Schlitten waren jetzt noch sechs Hunde übrig.

Endlich, Ende Mai, gelangten Nansen und sein Begleiter in eine Gegend, die ein Netz offener Wasserrinnen durchschnitt; der Marsch wurde dadurch vielfach aufgehalten. Aber nun begann mit dem Eintritt des Sommers auch das Tierleben. Der graue Rücken des Narwals wölbte sich über dem schwarzblauen Wasser der Eisrinnen; der Seehund ging auf Fischfang aus, und Eisbärenspuren weckten die Sehnsucht nach frischem Fleisch! Oft eilte Nansen auf Schneeschuhen weit voraus, um zu sehen, wo der Weg am besten sei; dann blieb Johansen wartend bei den Schlitten. Dauerte es gar zu lange, dann erhob sich wohl das Gespenst der Furcht, der kühne Schneeschuhläufer könne eingebrochen sein. Was dann aus dem Zurückgebliebenen würde, so ganz allein in der endlosen Eiswüste, war gar nicht auszudenken!

Der Juni brach an, und das Geschrei der Möwen gellte in der Luft. Die beiden Männer blieben eine Woche in einem Lager, um ihre Kajaks seetüchtig zu machen. Für einen Monat hatten sie noch Brot, und sechs Hunde waren noch am Leben. Als nur noch drei übrig waren, mußten sie sich selbst vor die Schlitten spannen.

In einer breiten langen Rinne setzten sie dann die Kajaks aus, banden die Schneeschuhe aneinander und ruderten nun am Eisrand entlang. Dabei schaffen sie zwei Seehunde und drei Eisbären und waren nun auf lange Zeit mit Fleischvorräten versorgt. Auch die beiden letzten Hunde konnten sich einmal wieder gründlich sattfressen.

Endlich zeigte sich im Süden das heißersehnte Land, und nun ging es eilig darauflos; vor jedem Schlitten ein Mann und ein Hund. Einmal mußten sie auf dem Kajak über eine Rinne steuern. Nansen stand schon am Rande des Eises, als er hinter sich Johansen rufen hörte:

»Schnell die Büchse!«

Als Nansen sich umdrehte, sah er einen großen Bären, der seinen Begleiter zu Boden gestreckt hatte und ihn beschnüffelte. Schnell wollte Nansen sein Gewehr im Kajak ergreifen, aber im selben Moment trieb das Kajak ab, und während er es wieder heranbugsierte, hörte er Johansen ganz ruhig sagen:

»Schieß schnell, sonst ist es zu spät!«

Da hatte er endlich seine Flinte gefaßt und schoß den Bären nieder.

Fünf Monate lang hatten sie sich so über das Eis hingeschleppt, als sie Anfang August von der Eiskante aus offenes Wasser bei den Inseln vor sich sahen. Jetzt mußte die Seefahrt beginnen, und die beiden ältesten Hunde waren unnötiger Ballast. Nansen nahm Johansens und Johansen des Freundes Hund, und zwei Kugeln lohnten die Treue der guten Tiere.

Nun ging es leichter und schneller vorwärts; die Kajaks waren zusammengebunden und mit Mast und Segel versehen, und auf ihnen strichen sie an unbekannten Inseln vorüber. Starker Seegang zwang sie einmal, auf einer der Inseln zu landen; während sie die Kajaks aufs Ufer zogen, kam ein weißer Petz angetrabt, witterte sie und begann ihre Spur zu beschnüffeln. Willkommener Proviant für einige Zeit! Der Bär war kaum abgehäutet, und schon plätscherte im Wasser ein Walroß, schwamm bis dahin, wo sich bereits zwei seiner Kameraden hingelegt hatten, um sich zu sonnen, und stützte sich mit seinen Hauern auf den Eisrand, um sich erst eine Weile zu verschnaufen. Dann schob es sich langsam aus dem Wasser hervor und wälzte sich zu seinen Verwandten hin. Doch diese wollten zuerst nichts mit ihm zu tun haben und wiesen ihm ihre Stoßzähne, ließen es aber dann doch in Frieden. Dort lagen die drei stundenlang regungslos und faul, während die Eismöwen über den Wellen übermütigen Lärm machten. Willkommenes Wild!

Nansen und sein Reisegefährte nahmen ihr neues Reich in Besitz, wanderten nach dem Innern der Insel und kehrten nachher zu ihrem Eisbärbraten zurück, der ihnen ein lange nicht mehr gekanntes Behagen des Sattseins verursachte.

Am nächsten Tag sahen sie sich nach einem passenden Unterschlupf um. Da sie aber nirgends eine Höhle entdeckten, bauten sie sich aus Steinen eine provisorische kleine Hütte, deren Dach die Schneeschuhe und das Seidenzelt bildeten. Tageslicht und Wind sahen von allen Seiten herein, aber drinnen war es ganz behaglich, und der Fleischtopf brodelte über einem mit rohem Walroßspeck unterhaltenen Feuer. Auf dieser Insel beschloß Nansen zu überwintern.


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