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Ein bindendes Versprechen hatte sie nicht gegeben, aber die Liebe faßte es so auf. Sie sah sich hoffnungsfreudige Augen entgegenstrahlen, aus den jungen Augen glühende Hingebung, aus den alten ruhigeren Abendfrieden, und sie fühlte die fesselnden Banden sich zusammenziehen, noch ehe Hjalmar ihr Wort begehrt hatte, sobald der Alte ihm seine Unterredung mit Jenny mitgeteilt hatte.
Sie fühlte dies mit Angst, einer Angst, die sie fast hart erscheinen ließ, als sie endlich versprach, Hjalmar Norbergs Frau zu werden, ihm aber zugleich ehrlich sagte, daß sie ihm zuvor erst innerlich näher treten müsse. Er war zufrieden mit dem, was sie ihm geben konnte. Es war eine wunderliche Verlobung, und als der Alte erfuhr, wie wenig das ausgetauschte Gelübde die beiden einander näher gebracht hatte, wurde auch er ängstlich und dachte, ob er wohl Recht gethan hätte, auf Jenny einzuwirken.
Es war eine schwere Zeit. Jennys Wesen war so ungleich geworden, und die vertraulichen Gespräche über die Zukunft und das neue Heim, die Hjalmar so lieb waren, und nach denen sich sein Herz in jedem Augenblicke des Fernseins von ihr so leidenschaftlich sehnte, fielen in der Regel niemals so schön aus, wie er sie sich gedacht hatte.
Die Verlobung sollte noch nicht veröffentlicht werden, und die Hochzeit ... ja die Hochzeit ... Hjalmar hatte ihr versprochen, sie nicht zu beschleunigen; sie sollte erst sein, wenn sie das innere Gleichgewicht wieder gefunden hätte, und den Frieden und die Gewißheit, daß ...
Ja, worüber wollte sie denn Gewißheit haben? Und so weinte sie des Nachts und nannte sich böse und schlecht, und schalt sich, daß sie gegen ihn nicht so gewesen war, wie sie sollte, gegen ihn, der ihr so ganz angehörte und alles für sie thun wollte, und sie suchte ihr Herz durch den Gedanken zu erwärmen, wie lieb und zartfühlend er doch sei, wie viel er gäbe und wie wenig er forderte. Und dann hielt sie sich selbst vor, wie schwer und zwecklos ein Brautstand unter solchen Verhältnissen sei.
Wenn sie dann am Morgen seinen liebevoll forschenden Blicken und seiner schüchternen Zurückhaltung begegnete, die selten und nur zaudernd trotz des vielen Alleinseins einen Gunstbeweis forderte, da taute sie immer auf, fühlte sich zu ihm hingezogen und machte ihn durch kleine Annäherungen, durch die geringsten Andeutungen von einem gemeinsamen Leben überglücklich. Aber wenn er dann, voll froher Hoffnung, das Gespräch auf das gewöhnliche Thema brachte, wann ... dann war es ganz so, als seien sie einander wieder ein ganzes Stück ferner.
Hätte das Schicksal sie auseinander gerissen und die Erinnerung mit ihrem warmen Kolorit sein Bild umgemalt und ein bißchen idealisiert, hätte sie die Einsamkeit und die Kälte in einer fremden Umgebung gefühlt, dann würde ihr Herz vielleicht bald angefangen haben, nach ihm zu rufen, aber es lag etwas so Widerstrebendes und Gefühlserstickendes darin, daß sie nur die Hand auszustrecken brauchte. Mama und die Geschwister wußten, was beschlossen worden war, und Karl und Emmy waren sehr entzückt, während die Mama mit einer gewissen Unruhe daran dachte, daß Jennys Herz wohl noch nicht frei gewesen sei, da sie ja versuchen wollte, für Hjalmars Bild darin Platz zu machen.
Beide, Vater und Sohn, überhäuften Jenny mit Bitten, nun, da Hjalmar Frau Högfeldt seine Aufwartung gemacht hatte, die Ihrigen zum Besuch nach Lindhem kommen zu lassen. Frau Högfeldt fand diesen Wunsch ganz natürlich, erklärte aber, daß erst die Verlobung veröffentlicht werden müsse, und sie nicht begreifen könne, weshalb Jenny dies nicht wolle.
Jenny konnte darauf keine befriedigende Antwort geben und so wechselten sie denn in Mamas kleinem Salon die Ringe und saßen Hand in Hand auf dem besten Sofa, ein wenig gezwungen zwar, aber doch freundlich lächelnd, ungefähr so, als sollten sie zusammen photographiert werden. Der alte Präpositus Norberg und Frau Högfeldt saßen in den großen Lehnstühlen am Fenster, und diese beide schienen beinahe noch mehr Gefallen an einander zu finden.
»Nun, Schwager, wir haben ja noch nicht gehört, wann Ihr nun eigentlich Anstalt zu machen gedenkt,« sagte Karl, als Hjalmar einen Augenblick vom Sofa aufgestanden war, um sich das Zimmer seines Schwagers anzusehen. »Wir sind, wie du weißt, arm, aber die Alte möchte doch ein bißchen ...«
»Diese Cigarren sind nicht übel, nun dürfen wir aber der Damen wegen nicht länger qualmen«, meinte Norberg und ging wieder in die gute Stube.
»Ja, der kann so bleiben! Er ist so verliebt, daß er weder sieht noch hört,« sagte Karl lachend zu Emmy.
Die »kleinen Geschwister« zweifelten auch nicht im geringsten daran, daß Jenny verliebt sei. Emmy fand den zukünftigen Schwager »schrecklich nett« und Karl hielt ihn für einen »ganz verteufelt tüchtigen Kerl.«
Doch als abends die Herren Norberg ins Hotel gegangen waren, Jenny sich gelegt hatte und die Mutter an ihrem Bette saß, gerade so wie früher auf Elgarås, als Jenny noch ein kleines Mädchen war, da streichelte die Mama ihr leise die Wangen und flüsterte:
»Ihm gebe ich mein Töchterchen gern und frohen Herzens. Du ... Du hältst doch wohl wirklich etwas von ihm, Kind?«
Jenny richtete sich heftig im Bette auf. Keine Demütigung, nur kein Mitleiden, selbst nicht von der Mutter!
»Mama, du kennst doch wohl deine Jenny so viel, daß du nicht glaubst, sie werde sich an einen Menschen binden, von dem sie nichts hält.«
Und die Mama beugte sich nieder, um die Stirn ihrer Tochter zu küssen, und Jenny war nun ihretwegen ruhig, ganz beruhigt.
Ach, das Mutterauge sieht doch viel klarer.
Dann kam der große Tag, da alle drei Lindhem besuchen sollten. Es war wieder ein schöner Septembertag, wie der, an dem Jenny zuerst in das neue Heim kam. Und ein Festtag war es mit Friede und Freude, und Jenny wurde gerührt und warm, als sie die liebevolle Aufmerksamkeit sah, mit der Hjalmar ihre Mutter behandelte, und die herzliche Freundlichkeit, die er gegen ihre Geschwister zeigte.
Nach dem Mittagessen, als Hjalmar mit dem lieben Besuch in den Garten gegangen war, und Jenny im Eßzimmer Kaffee machte, kam der Alte, schloß sie in die Arme und flüsterte:
»Kind, nun ich sie kennen gelernt habe, die unsere Jenny geboren und erzogen hat, bin ich wegen der Zukunft ruhiger als vorher.«
Am Abend stand ein char-à-banc mit den Pastorsbraunen vor der Thür. Mama und die Geschwister mußten zum Abendzuge auf dem Bahnhofe sein, und Hjalmar und Jenny wollten sie dahin begleiten.
Der Zug wartete auf den Schnellzug der Südbahn, der erst einfahren mußte, ehe Mama und die Geschwister abfahren konnten. So, nun war er da! Adieu, adieu!
Hjalmar eilte ins Postbureau, um die Post mitzunehmen und Jenny ging langsam an dem langen Schnellzuge entlang und blickte in die Coupeefenster.
Plötzlich fuhr sie zusammen, und das Blut strömte ihr heftig zum Herzen ...
Es war natürlich nicht möglich ... Sie kehrte um und ging wieder an demselben Wagen vorbei ...
Dort im Schlafwagen saß Georg Tornberg, ein wenig mehr ergraut, sonst aber jugendlicher, mit feurigen Blicken und lächelndem Angesicht und sprach, ohne ein Auge für seine Umgebung zu haben, eifrig mit einer Dame von gereifter Schönheit und der einfachen Eleganz der feinen Kreise, einer Dame mit sonnverbrannten Wangen und stolzen Zügen, aber mit unaussprechlicher Zärtlichkeit in den großen, schwarzen Augen, die sie auf ihren Reisegefährten richtete.
Schlafwagen!
Da mußten die beiden wohl Mann und Frau sein! So war die Herzenswunde endlich geheilt und sie dort unten in der Erde des abgelegenen Kirchhofes war vergessen.
»Herr Norberg wartet draußen am Wagen, Fräulein Högfeldt!« rief der Stationsinspektor, der eben die Pfeife vom Munde nahm, mit der er das Signal zur Abfahrt des Schnellzuges gegeben hatte.
»Fräulein Högfeldt.« Bei dem Namen sprang Tornberg auf und lehnte sich aus dem Coupeefenster.
Ja richtig, da stand sie mit einem feuchten Schimmer in den großen, klugen, tiefblauen Augen; der hellgraue Mantel schloß sich dicht um die schöne volle Gestalt, und die letzten Strahlen der Abendsonne spielten in dem weichen, glänzenden lichtbraunen Haare.
Und Georg Tornberg lächelte froh überrascht, als er sie wiedererkannte, entblößte sein Haupt und schwang den Hut mit lebhaften kecken Bewegungen, die ihr an ihm ganz unbekannt waren.
Und so fuhr der Zug ab.
Jenny wußte nicht, wie sie die Treppe des Bahnhofsgebäudes hinunter und in den Wagen gekommen war. Sie war wie im Traum.
Wie hatte sie die Tote beneidet, an deren Grabe er kniete und es mit seinen Thränen benetzte.
Nun, und sie, die jung, schön und geliebt, ihm in sein Vaterland gefolgt war, um in seiner Liebe zu leben und ihm stets nahe zu sein? Beneidete sie sie nicht tausendmal mehr?
Sie wußte es nicht. Es war, als sei er von einem Piedestal herabgestürzt, dem Piedestal, auf das seine grenzenlose Liebe und sein unbesiegbarer Gram ihn in Jennys Augen gestellt hatten. Doch die Liebe hatte einen andern Gegenstand gefunden und der Kummer war getröstet! War dies überhaupt noch derselbe Georg Tornberg?
Sie hatte ein eigentümlich befreiendes Gefühl, wie wir es empfinden, wenn wir ein Konto durchgestrichen sehen, das uns Sorge und Unruhe gemacht.
So hatte sie wohl, doch ohne es zu wissen oder zu wollen, eine grundlose, wahnwitzige Hoffnung gehegt, daß vielleicht doch einst ...
Nein, bei Gott, das hatte sie nicht.
Aber wie konnte dann ...?
Ihr gerade gegenüber auf dem andern Sitze des char-à-banc saß Hjalmar Norberg, mit dem Wege, dem schwerfälligen Gang der Braunen und den Saatfeldern zu beiden Seiten beschäftigt, aber doch mit einem halben Auge und seinem ganzen Herzen bei ihr, um aufzupassen, wann sie aus ihren tiefen Gedanken erwachen würde.
Er war so männlich, ruhig und sicher, aber gut wie ein Kind und taktvoll und zartfühlend wie ein Weib. Er hatte nie eine andere geliebt und würde nie eine andere lieben, und er hatte ihr alles gegeben, sein ganzes Wesen, sein ganzes, großes, heißes Herz und ein Heim, Zukunft und Unabhängigkeit.
Er hatte wenig genug wieder bekommen.
Sie streckte ihre Hand aus, drückte die seine und sagte:
»Ich danke dir, Hjalmar, für deine Herzlichkeit gegen die Meinen.«
Er sagte nichts, aber sein Blick leuchtete auf, als er auf den kleinen braunen Handschuh niedersah; er preßte ihre Hand und sie sah dabei mit Erröten und Stolz zugleich, wie überglücklich ihn diese wenigen armseligen, freundlichen Worte machten.
Sie würde nie jene schwindelnde, berauschende Seligkeit fühlen, die nur »einer« ihr hätte schenken können. Aber das Leben besteht aus Kompromissen, und sie fühlte sich immer mehr dankbar für das, was es ihr versprach.
Es war spät geworden, die Sonne war untergegangen, und die Häuser, Felder, Getreidehocken zur Seite des Weges wurden immer undeutlicher. Dort zeichnete sich das alte Kirchlein am Abendhimmel ab, und dort unten lag die Heimat.
Sie setzte sich zu ihm, lehnte das Haupt an seine Schulter und flüsterte:
»Hjalmar ...«
Er legte den starken Arm um sie, als wollte er sie gegen die ganze Welt, gegen Wind und Wellen, gegen Sturm und Ungewitter und am meisten gegen ihre eigenen trüben Gedanken schützen und schirmen.
Es war ihr so ruhig und friedlich, so schön und geborgen zu Mute; sie dachte daran, wie unglücklich sie sich doch fühlen würde, wenn sie nie wieder so ruhen dürfte. Und dann richtete sie sich ein wenig auf, legte die Arme um seinen Hals und küßte ihn.
So kam sie nun doch endlich, so wurde seine Geduld doch belohnt! Eine wilde, wahnsinnige Freude erfaßte ihn, er drückte seine Lippen auf ihren Mund, ihre Augen und ihre Wangen.
Und dann kam schließlich wieder das, was stets zu kommen pflegte, sobald er glaubte, daß ihre Herzensthür sich ein wenig geöffnet habe.
»Ach, Jenny, wenn du doch wolltest ...«
»Was sollte ich wollen?« sagte sie lächelnd.
»Sagen wolltest, wann ich dich ganz und gar besitzen soll?«
Sie zog seinen Kopf zu sich nieder und flüsterte:
»Wann du willst.«
Er zuckte wie elektrisiert zusammen, hielt sie ein wenig von sich ab und blickte sie an, so gut es im Dunkel ging.
»Sage es mir noch einmal, Jenny! Noch einmal! Wie war es?«
Und wieder schlang sie die Arme um seinen Hals, verbarg das Haupt an seiner breiten Brust und sagte warm und innig:
»Wann du willst!«
Ende.