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Das früher sehr große Drakensvãrdsche Vermögen hatte schon lange aufgehört sich zu vermehren, und jetzt konnte man sagen, daß es mit jedem Jahre abnahm. Wohl lagen noch große Reichtümer in den ausgedehnten Wäldern, den unbenutzten Wasserfällen, den kolossalen Brachen, aber der alte Baron und Baron Axel konnten sich nicht recht über das Nutzbarmachen dieser Hilfsquellen einigen, die Arbeitskräfte wurden immer teuerer, die nach alter Art bestellten Felder gaben immer weniger Ertrag, die Kornpreise fielen, trotz aller Sparsamkeit konnte man nicht recht auskommen, obwohl die Familie wohl noch auf eine Viertelmillion geschätzt werden konnte. Da bei solchen Zinsen ja natürlich stets reichlich bar Geld im Hause war, und auch nichts anderes mangelte, so hatte Jenny natürlich gedacht, daß auf Drakebo jedes Jahr große Summen zurückgelegt würden, und sie war ganz überrascht, als die Gnädige ihr eines Tages etwas für sie ganz Neues anvertraute.
Axel sollte sich mit einer sehr wohlhabenden Witwe – leider war sie keine Geborene – aus dem angrenzenden Kirchspiele verloben; der Seitenflügel sollte im Sommer neu für das junge Paar hergerichtet werden, die Alten wollten im Hauptgebäude bleiben, aber Axel würde das Gut von seinem Vater pachten, denn so wie es jetzt mit der Wirtschaft ging, könnte es nicht weiter gehen.
»Hier wird also viel weniger zu thun sein, und meine künftige Schwiegertochter hat schon eine Wirtschafterin ...«
Jenny verstand, daß hiermit die Kündigung eingeleitet werden sollte, und bat freundlich um ihr Zeugnis. Jetzt hieß es wieder die Stellenangebote in den Zeitungen durchlesen und, wenn es nicht anders ging, selbst annoncieren.
Doch beim Durchlesen der Stellenangebote fand Jenny in der Kreiszeitung eine andere Annonce, die ihr nicht aus dem Kopfe wollte, die Anzeige, daß ein kleines Manufakturwarengeschäft zu verkaufen sei. Die Besitzerin wollte sich wegen Altersschwäche zurückziehen, und das Geschäft lag in dem kleinen Orte Skogby, der sowohl Apotheke wie Post besaß und bald ein Marktflecken zu werden hoffte. Es bedurfte nur einiger hundert Kronen, um das Geschäft samt dem Lager zu übernehmen, ein so kleines »Frauenzimmergeschäft« mit einigen hundert Garnrollen, ein paar Dutzend Handtüchern, ein wenig Seife, Parfüms, Litzen, Band und Besatzartikeln konnte ja nicht so furchtbar teuer sein. Nun ein solches bringt ja auch in der Regel nicht viel ein, und Jenny legte die Zeitung mit einem Lächeln über ihren flüchtigen Gedanken, sich als Geschäftsbesitzerin zu versuchen, wieder beiseite. Aber ihr Selbständigkeitsgefühl war gewachsen, ihre Abneigung gegen neues Eingewöhnen in einem fremden Hause und das Abhängigsein von neuen Menschen, hatte sich vermehrt, und die kleine Annonce war zu fünfmaliger Insertion eingeschickt worden. Als Jenny sie zum viertenmale las, kam es wie eine Versuchung über sie, und als sie sie zum fünftenmale gelesen hatte, fuhr sie hin und kaufte dem alten Fräulein Malm das Geschäft ab, und als die »Herbstsaison« anfing, sah man in der Hauptstraße von Skogby – nebenbei gesagt, war die Hauptstraße zugleich auch die einzige und hatte kein Trottoir – ein großes, neues Schild glänzen, auf dem mit drei Zoll hohen Buchstaben »Luise Malms Nachfolger« stand, denn man muß den Namen einer geachteten Firma bewahren, und wäre dieselbe auch noch so unbedeutend gewesen.
Der Abschied von Drakebo war gerade nicht schmerzlich, vollzog sich aber mit so freundlichen Gefühlen beiderseits, daß Jenny, bei ihrer Abfahrt zur Bahnstation in der zweitbesten Equipage ein sonniges, dankbares Lächeln bei dem Gedanken, wie anders sich doch vor drei Jahren alles angelegt hatte, nicht unterdrücken konnte.
Mama und die Geschwister bekamen nun bloß ein paar Tage, während welcher Jenny überdies noch meistens in die Läden der »großen Stadt« lief, und einen ganzen Vormittag stand sie auf einer Konkursauktion, um ihr Lager in Skogby zu ergänzen. Als alles fertig war und sie am letzten Abend mit den Ihren am Tische im Eßzimmer ihre Rechnung abschloß, stellte es sich heraus, daß ihre Ersparnisse von den beiden letzten Stellen soweit gereicht hatten, daß sie ihr Geschäft mit nur dreihundert Kronen Schulden beginnen konnte. Und dabei war sie auch noch Inhaberin einer »angesehenen Firma und eines Lagers, das in der Galanteriewarenbranche außerordentlich courant und dazu modern ist – wenigstens hier draußen,« wie das alte Fräulein Malm stolz gesagt hatte, als sie ihre beiden Borten mit »Diverseartikeln« und ihre vierundzwanzig Parfümflaschen zeigte. Jenny hatte sich in den letzten Jahren auch sehr mit Kleidern und allem beholfen, und die »kleine Schwester« fand sie nur so eben »fein« genug.
Es war ein schöner, sonniger Septembermorgen, als Luise Malms Nachfolgerin ihre Ladenthür links vom Vorplatze des kleinen gelben Hauses an der staubigen Dorfstraße öffnete. Zwei Zimmer, wovon das eine zum Laden eingerichtet war und eine kleine, kleine Küche. Das Geschäft erlaubte ihr nicht ein Dienstmädchen zu halten, aber eine alte Frau wollte morgens und abends zum Reinmachen kommen. Alles in dem kleinen Laden war gefegt und geputzt. Die vierundzwanzig Parfümflaschen glänzten, und auf den Borten fand sich kein Staubkorn, aber Jenny ging doch mit einem Wischtuche umher und rieb und putzte hier und da. Durch die offene Thür hörte man aus dem innern Zimmer das Ticken der wirklich häßlichen, viereckigen, sogenannten amerikanischen Wanduhr. Drinnen stand die neue eiserne Bettstelle mit den gelben Knöpfen und der rot und weißen Decke, da stand die alte Kommode von Eichenholz, die Jenny von ihrem Vater zur Konfirmation bekommen hatte, und dort standen zwei kleine Tische mit hübschen kleinen Decken und helle Cretonnegardinen wehten vor dem einzigen, jetzt offenen Fenster. Und auf dem davor stehenden Schreibtische lagen alle, »die gesetzlich vorgeschriebenen Handelsbücher« mit zierlichen Rubriken und erwarteten, daß die Skogbyer kommen und sich nobel machen sollten.
Und darauf wartete Jenny auch.
Um acht Uhr kamen die Kinder des Schmiedes, der Jenny gerade gegenüber wohnte, steckten die Finger in den Mund und blinzelten das neue, leuchtende Schild an. Dann fuhren ein paar Landleute vorbei und ihnen folgte der Briefträger. Darauf kam der Pastorsadjunkt, trat ein, stellte sich vor und wollte ein Gummiband für seine Brieftasche haben. War leider nicht zu haben. Wir wollen hoffen, daß er seinen Adjunktengehalt in einem Pastorate dritter Kasse auch ohne ein Gummiband festhalten wird. Dann war das Geschäftsleben bei »Luise Malms Nachfolger« zwei Stunden lang still und ruhig.
Jenny ging umher und ordnete, zog ihre oberste Kommodenschieblade aus und blätterte in alten Briefen. Zwei von ihm! Einer von unterwegs aus einer Hafenstadt, mit der Nachricht, daß die Kinder seekrank gewesen seien, sich aber am Lande sofort wieder erholt hätten und ihre liebe, liebe Tante herzlich grüßen ließen. Der andere war sieben Monate nach der Ankunft geschrieben und teilte ihr mit, daß sie es dort gut getroffen hätten, daß er eine gute deutsche Bonne für die Kinder hätte und selbst im Hotel äße, daß die Kinder viel nach Tante Jenny fragten und daß weder sie, noch er je würden vergessen können, was sie ihr alles verdankten.
Und dann nichts – in drei langen Jahren nichts. Sie hatte an seine Cousine, Frau Hauptmann Granbom, geschrieben und nach – den Kindern gefragt. Und die kleine Frau Hauptmann hatte geantwortet, daß vor vier Monaten noch alle gelebt hätten, augenblicklich aber wisse sie nichts, denn Georg, der abscheuliche Mensch, schreibe nur, wenn er seine Papiere schicke und durch Granbom um Urlaubsverlängerung einkommen lasse, dabei würden die Verwandten aber immer nur mit einem kurzen Gruße abgefertigt.
Ob er wohl ein einziges Mal ihrer gedachte? Ob er wohl je zurückkommen würde ...
»Hier giebt es doch mit der Maschine gestickte Streifen zu Unterröcken?«
Großer Gott, da stand ja die Frau Postmeister selbst im Laden. Ja Streifen waren da, aber nicht solche, wie sie die Postmeisterin gerade haben wollte.
Gegen Abend verkaufte sie doch noch zwei Rollen Maschinengarn und drei Paar Stiefelschnüre, die sehr gewissenhaft ins Tageskassabuch eingetragen wurden.
Jenny meinte fast, daß sie sich nach einem so flauen Geschäftstage eigentlich kein Abendessen spendieren dürfe, aber als sie sich am Abende zu Bett legte, erfüllte sie ein unbeschreibliches Gefühl von Selbständigkeit und Freude darüber, daß sie zum erstenmale die Thür ihres eigenen, wenn auch kleinen Heims hatte schließen können.
Manchmal ging es auch lebhafter im Geschäfte, und einen Tag wurde für ganze 16 Kronen verkauft, ein andermal für 11 u. s. w., meistens aber nur für 2 oder 3. Oft war freilich der ganze Laden voll, aber teils kamen vier oder drei Personen mit, wenn eine Skogbyerin zwei Ellen Band kaufen wollte, teils waren es Neugierige, die die Bekanntschaft des netten angenehmen Fräuleins machen wollten, das das Geschäft des alten Fräulein Malm übernommen hatte. Die Schar der Neugierigen nahm bald ab, aber dabei hatte Jenny einige nette Mädchen und ein paar jüngere Frauen gefunden, mit denen sie gern ein Stündchen verplauderte und die bald ohne weiteres die Ladentischklappe aufhoben und in Jennys eigenes Zimmer spazierten, wo dann manchmal auf dem Petroleumkocher Kaffee gekocht und soviel frisches Gebäck vorgesetzt wurde, daß manchmal die ganze Nettoeinnahme des Tages daraufging.
Jenny fing an, sich über die große Stille des Geschäftes zu beunruhigen und versuchte die Freundinnen auszufragen, ob der Umsatz zur Zeit des alten Fräuleins lebhafter gewesen wäre.
»Nein, gewiß nicht, Liebste! Im Gegenteil, im Gegenteil; alle kommen so schrecklich gern zu dir. Die Frau Landrichter kauft jetzt kein Bandende mehr in der Stadt.«
»Aber, Beste, wie konnte die Alte da von dem Geschäfte leben?«
»Ja, sieh, sie brauchte auch schrecklich wenig, und einmal half der Landrichter ihr, so daß sie akkordieren konnte und ein kleines, gutes Lager für so gut wie nichts bekam, und dann machte sie recht fleißig Handarbeit, das that sie, Müffchen, gestrickte Tücher, Kindermuffe, auch nähte sie Schürzen.«
Jenny seufzte. Sie hatte davon geträumt, in den langen, langen Tagen, an denen sie ans Haus gebunden war, sich viel mit Lesen zu beschäftigen, das sie sehr liebte, wozu sie aber wenig Zeit gefunden hatte, seitdem sie aus dem Elternhause fort war. Doch wenn es nötig war, mußte sie wohl auch mit Kindermuffen, Tüchern, Müffchen und Schürzen beginnen.
Bald hatte sie ein ganzes Fach mit den Werken ihrer Hände angefüllt, die ungerechnet, die gleichsam als Aushängeschild auf einer Schnur vor dem Fenster hingen, und manchmal wurde auch etwas davon gekauft, aber sehr billig, und trotz aller Umsicht ergab der Abschluß des ersten Jahres ein Defizit von 10 Kronen 95 Öre.
Als Luise Malm Nachfolger ihr Hauptbuch mit den vielen, leeren, weißen Blättern nach dieser Entdeckung zuschlug, wischte sie sich zugleich eine Thräne aus dem Auge und die vollen Lippen bebten ein wenig. Ja so, es ging also für sie nicht an, sich über eine dienende, abhängige Stellung aufzuschwingen; alles Streben und Sparen nützte nichts. Sie mußte wohl auf ein eigenes Heim verzichten, bis sie alt und grau würde, wenn Gott ihr das Leben ließe und es ihr gelänge, jährlich etwas von ihrem Gehalte zurückzulegen. Jetzt galt es, der Sache rechtzeitig ein Ende zu machen und zuzusehen, ob sich nicht noch etwas von den eigenen, selbstverdienten 750 Kronen, die sie »der Firma und dem Lager« geopfert hatte, retten ließe.
Es gelang ihr durch Ausverkauf, 450 Kronen 75 Öre zu retten. Die Lehrerin der Volksschule kam mit ihrer Mutter, und sie kauften alles; die Alte, die nichts mehr thun konnte, sollte die Kunden bedienen, Miete und Verlagskapital waren gering, sie hatten das Gehalt von der Schule außerdem, und da konnte das kleine Geschäft wohl ein bißchen hergeben.
Für die kurze Freude, ihr eigener Herr zu sein, hatte Jenny 209 Kronen und 75 Öre, dreihundert Tage fleißiger Arbeit und ein Jahr ihres Lebens geben müssen.
Aber bis die Sorge über ihr Auskommen überhand genommen hatte, war es Jenny in Skogby garnicht so übel gegangen. Es lebten dort viele nette, freundliche Menschen, die Jenny alle kannte und die sie alle gern hatten; an einige der jungen Mädchen hatte sie sich sogar warm angeschlossen.
Als es bekannt wurde, daß Jenny eine Stelle als Hausdame bei dem alten Präpositus in Lindhem angenommen hatte und der Tag ihrer Abreise bestimmt war, ging die Postmeisterin zur Landrichterin, worauf Landrichters Stubenmädchen Gutsbesitzer Karlssons Erzieherin, Jennys beste Freundin holen mußte. Dann schlossen diese drei Damen sich in der landrichterlichen guten Stube ein und konferierten zwei Stunden. Das Resultat dieser Konferenz beschrieb die Volksschullehrerin und nunmehrige Inhaberin der Firma »Luise Malm, Nachfolger« folgendermaßen in der Kreiszeitung:
Eingesandt.
»Ein wirklich schönes und ergreifendes Abschiedsfest gab die haute volée von Skogby am Sonnabend Abend in dem Wirtshause dieses lebhaften, sich immer mehr vergrößernden Ortes, der wohl bald die Rechte eines Fleckens erwerben dürfte, zu Ehren eines feineren und allgemein beliebten Mitgliedes der ersten Kreise. Dies war die ehemalige Inhaberin der geachteten Firma ›Luise Malm, Nachfolger‹, des ersten Galanteriewarengeschäftes unseres Ortes, das auch in den Händen der jetzigen Besitzerin ›Fräulein Veda Krans‹, sein gutes Ansehen gewiß fernerhin aufrecht erhalten wird, das war Fräulein Jenny Högfeldt, die nun einen anderen Beruf ergreift und sich von dem Jagen und der Unruhe des Geschäftslebens in die stille Welt der Häuslichkeit zurückzieht; sie war es, der zu Ehren dies Fest gegeben wurde.
Der Gasthaussaal war festlich mit Grün und den schönsten Rosen des Herbstes geschmückt, und die Musik, die einerseits den Ehrengast mit einem schönen Duett empfing, andererseits zum animierten Tanzvergnügen am Abende beitrug, wurde mit bekannter und anerkannter Virtuosität vom hiesigen Organisten auf dem Klaviere und von einem geschätzten und stets gern gehörten Mitgliede des augenblicklich hier anwesenden Hoboistenkorps künstlerisch auf der Violine ausgeführt. Als die Teilnehmer am Feste sich versammelt hatten und ein wenig getanzt worden war, wurde vom Schenktische, wo die Bowlen standen, um Gehör gebeten und das Hoch auf den geschätzten und geliebten Ehrengast von Herrn Postmeister P. Kallsén in einer humoristischen, aber zugleich herzlichen Rede ausgebracht, worauf eine weitere Huldigung durch das Vortragen eines außerordentlich schönen, von ihm selbst verfaßten, formvollendeten ansprechenden Gedichtes von Herrn cand. phil. L. Lindqvist erfolgte, der Fräulein Högfeldt ein feines, geschmackvoll gebundenes Album mit den Bildern der ersten Gesellschaft von Skogby überreichte. Fräulein Högfeldt dankte mit sichtlicher Rührung herzlich für alle diese Beweise großer Sympathie, die sie hier gewonnen hat.«
– »Hm ...«, sagte der Redaktionssekretär.
»Streichen Sie ›formvollendet‹ bei dem Gedichte des Kandidaten,« sagte der Redakteur.
Das Übrige wurde gedruckt.
Und als Herr J. A. Larsson dies in seinem Comptoir in Brackstad las, seufzte er und sagte:
»Ich war doch ein verfluchter Schafskopf, daß ich mir das Mädchen entgehen ließ. Lotte, Lotte, nie bekommst du ihren Kopf!«