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Fräulein Jennys letzte Stelle.

Als die Kirschenbäume in Blüte standen und das Thal, in dem Lindhem lag, sich in sein grünes Gewand gekleidet hatte, kam das, was zu kommen pflegt, wenn ein junger Mann und ein junges Mädchen, deren Herzen noch frei sind und die beide gute und liebenswürdige Eigenschaften besitzen, in ländlicher Einsamkeit Wochen und Monate in naher Berührung, vertraulichen Gesprächen und teilweise gemeinschaftlicher Arbeit verbringen.

Hier war nur ein Herz frei, aber es kam doch.

Fräulein Jenny und Hjalmar Norberg legten zusammen den kurzen Weg von Askeberg, dem Norbergschen Gute, wo sie die Arbeiten im Garten angeordnet hatten, nach Hause zurück. Er war den ganzen Tag über außergewöhnlich still gewesen, als sie aber die Allee erreichten, an deren anderm Ende man das hellgrüne Gitter des Pfarrhofes leuchten sah, blieb er stehen, sah ihr ins Auge und sagte ganz plötzlich mit größerer Klarheit im Zusammenhange, als sie ein Mann in solchem Falle zu besitzen pflegt:

»Fräulein Jenny, man behauptet, so viel ich weiß, daß ein kluger Mann sich bei der Frau, die er liebt, keiner Abweisung auszusetzen braucht, wenn er sie ein wenig beobachtet hat und sie keine herzlose Kokette ist. Sie sind keine ...«

Jenny sah höchst überrascht aus, blickte mit purpurroten Wangen und halberschreckter Miene auf und beschleunigte unbewußt ihre Schritte. Da legte er hindernd die Hand auf ihren Arm und fuhr fort:

»Sie sind keine Kokette, Jenny, aber ich habe Sie weder so beobachtet, wie es hierbei vielleicht nötig gewesen wäre, noch Ihnen die Cour gemacht, vielleicht bin ich auch kein ›kluger‹ Mann und weiß daher selbst nicht, wie dreist ich bin, wenn ich Sie nun frage, ob Sie glauben mit der Zeit so viel von mir halten zu können, daß Sie mein Weib werden wollen?«

Jenny blickte nach dem Stakete und fühlte den instinktiven Wunsch fortzulaufen. Aber sie war ein reifes Weib und liebte ihn nicht, und daher legte sich das größte Erstaunen auch schnell genug.

Also dies war die Sprache der Liebe, die sie jetzt zum erstenmal hörte! War dies nicht ganz ruhig und vernünftig? Vielleicht hatte er sich nur eingeredet, daß es so für ihn gut und passend sein würde? Vielleicht hatte der Vater, dessen ganzes Herz sie gewonnen, ihn ... Sie blickte zu ihm auf.

Nein, Hjalmar Norberg folgte seinem eigenen Herzen. Sein offenes, ehrliches Antlitz glühte, und die Liebe, die er so ruhig und still in sich getragen, daß sie trotz des in dieser Hinsicht so wunderbar scharfen weiblichen Instinktes über ihren eigenen Gedanken nichts davon gemerkt hatte, strahlte nun aus seinen Augen mit einer Stärke, die niemand mißverstehen konnte. Doch als sie mit der Antwort zögerte, und er sie anblickte, bewölkte sich seine Stirn.

»Ich bin sehr unerfahren in solchen ... in solchen Dingen, Fräulein Jenny. Die Frage, die ich jetzt gethan, habe ich nie an ein Weib gerichtet und ... werde es auch niemals wieder thun. Aber ich fürchte, daß in Ihrem Herzen nichts für mich spricht: gar nichts?«

Ohne daran zu denken, waren sie wieder umgekehrt. Da meinte Jenny endlich etwas sagen zu müssen.

»Sie dürfen sich nicht wundern, daß ich meine Überraschung nicht verbergen kann, Herr Norberg. Haben Sie mir auf irgend eine Weise zu verstehen gegeben, daß Sie eine Frage wie die heutige an mich richten wollten, so ist es mir vollständig entgangen. Ich hätte sonst versucht, uns zu ersparen ...«

»Nein, ich sage es ja, ich habe Ihnen nie die Cour gemacht ... Sie haben sich nichts vorzuwerfen ... nur ... nur, daß ich nie im Leben wieder glücklich werden kann ...«

Jenny blickte zu dem hochgewachsenen, gewöhnlich so sichern Manne auf und konnte sich trotz des Ernstes der Stunde doch eines Lächelns nicht erwehren.

»Ach, Herr Norberg, das denkt man nur ... ich halte jedenfalls genug von Ihnen, um über den Schmerz, den ich Ihnen zugefügt habe, tief traurig zu sein. Aber denken Sie auch an mich, die ich nun wieder fort und mir ein Nest suchen muß wie ein verirrter Vogel. Ach ich war so gern hier!«

Hjalmar Norberg sah ganz erschreckt aus und faßte eifrig ihre Hände.

»Nein, um Gotteswillen, nehmen Sie das Wort zurück! Es würde meinem alten Vater so weh thun, Sie zu verlieren. Um Gotteswillen bleiben Sie! Ich hoffe, daß Sie nicht an meiner Ehrenhaftigkeit zweifeln ...«

»Aber wie kann ich ... Weiß der Herr Präpositus um ... um ...«

»Um die Vermessenheit seines Sohnes, meinen Sie?« vollendete er bitter. »Nein.« – –

Fräulein Jenny blieb. Seit Hjalmar Norbergs plötzliches und übereiltes Geständnis ihr die Augen geöffnet und sie aus den eigenen Träumereien erweckt hatte, wurde es ihr, trotz all seiner Zurückhaltung, nicht schwer zu merken, wie es mit ihm stand. Und die Frauen sind nun einmal so, daß selbst die Liebe, die sie nicht erwiedern können, doch nie verfehlt, ihr lebhaftes Interesse zu erwecken.

Sie dachte oft darüber nach, wie es wohl geworden wäre, wenn sie einander getroffen hätten, ohne daß Georg Tornberg je ihren Weg gekreuzt hätte. Wie ruhig und schön wäre es dann gewesen, für immer in diesem friedlichen, stillen Hause, an dem ehrlichen, warmen Herzen, das in Hjalmar Norbergs breiter Brust, festzuwachsen, seine erste und einzige Liebe zu sein und den teuren Greis, den Jenny um seines sanften Wesens, seiner feinen Aufmerksamkeit und seines Wohlwollens willen wie einen Vater liebte, liebevoll zu pflegen!

Die Erklärung war so plötzlich gekommen, so überraschend, daß sie von Anfang an gleich Mitleiden mit ihm fühlte, dessen ganzes Herz sie gewonnen, ohne es zu wollen. Doch in mancher langen schlaflosen Nacht betrachtete sie die Sache von allen verschiedenen Seiten, und manchmal glaubte sie, sie sei dabei mehr zu bedauern als Hjalmar Norberg. Trug sie nicht ebenso wohl an einer hoffnungslosen Liebe wie er? Und er würde sicherlich vergessen lernen und später eine andere finden, die seine Gefühle erwiedern und ihn glücklich machen könnte. Und auf der andern Seite hieß es: »Fort aus dem Hause, Jenny, in dem du eine Heimat und den Frieden gefunden hast, hinaus in die weite, lieblose Welt, um wieder den Bissen Brot zu suchen, den Er, der die Vögel unter dem Himmel ernährt, auch dir irgendwo beschieden hat.«

Wäre es denn so unrecht, wenn sie ...? Sie stellte ihn höher als die meisten anderen Männer, und ihr Herz, das fühlte sie, würde nie wieder sprechen. Sie achtete ihn und konnte ihm Treue schwören und sie hielt ja auch etwas von ihm ... in gewisser Weise ... Doch als sie sich selbst auf solchen Gedanken ertappte, wies sie sie mit Kummer und Scham von sich, mit einem Gefühl, als sei sie dadurch entweiht worden, und war Hjalmar dafür dankbar, daß er sein Versprechen so musterhaft und treu hielt und es ihr nicht schwer machte, im Hause zu bleiben.

Jetzt aber war ihr weiblicher Instinkt geweckt und ihr Beobachtungsvermögen geschärft worden. Und beide sagten ihr, daß er noch leide, vielleicht mit jedem Tage, der verging, mehr leide, und daß sie besser thäte, ihm das Zusammensein, das ihn am Vergessen hinderte, zu ersparen. Sie fühlte auch instinktiv, daß, wenn auch seine Behauptung, sein Vater wisse nicht um die Sache, der Wahrheit entsprochen hatte, der Alte nun doch wüßte, wie es stand, auch unter Hjalmars Gram litt und keinen höheren Wunsch mehr im Leben hatte, als ihre Hände vor seinem Dahinscheiden vereinen zu können.

Es schmerzte sie tief, den Alten zu sehen, wie er, wenn er sich unbemerkt glaubte, ihr mit seinen wehmütigen Blicken folgte, als wollte er sagen: »Du eigensinniges, liebes Kind, wenn du nur wolltest ...«

Im Hochsommer kam Jenny eines Sonnabendabends mit Blumen für die »Pfarrhausgräber« auf den Kirchhof und traf den Präpositus. Er saß dort und begrüßte sie gewöhnlich mit einem freundlichen Lächeln und einigen herzlichen Worten, und als sie ihre Liebesgaben niedergelegt hatte, machte er ihr auf der Bank neben sich Platz.

»Glauben Sie, Fräulein, daß ich ›sie‹ geliebt habe?« – flüsterte der alte Präpositus und deutete auf das Grab seiner Gattin.

»Wie können Sie so fragen, Herr Präpositus!« rief Jenny beinahe vorwurfsvoll.

»Ja, wohl hatte ich sie herzlich, innig lieb. Und doch ... und doch knieete ich mit ihr vor dem Altar mit dem bethränten Bilde einer andern im Herzen und mußte noch manchen Kampf bestehen, um es herauszureißen. Ich war Hauslehrer gewesen, müssen Sie wissen, und die Schwester meines Eleven, ja – das werden Sie wohl auswendig wissen ... und sie mußte einen andern heiraten, und die Jahre gingen ...«

»Aber,« flüsterte Jenny leise und wurde ganz bleich, denn sie ahnte, wohin diese Unterhaltung führen würde, »war – ist es recht gehandelt, dem Treue zu geloben, dem man auch nicht zugleich die beste und höchste Liebe seines Herzens geben kann?«

»Neunundzwanzig glückliche Jahre sollen für mich antworten. Warst du mit mir zufrieden, mein liebes, teures Mütterchen?« sagte der alte Präpositus weich und strich mit seiner weißen, mageren Hand sachte über das Gras des Hügels.

So saßen sie lange, lange, schweigend da. Doch als der Alte aufblickte, glänzten seine Augen von Thränen.

»Ist es so schwer, ein wenig Mitleiden mit meinem Hjalmar zu haben? Er ist mein Letzter, mein Einzigster, Alles, was ich noch habe,« stammelte der alte Präpositus, schüchtern und zaudernd und machte einen linkischen Versuch, Jenny an sich zu ziehen.

Sie sank ihm schluchzend an die Brust und flüsterte:

»Ich möchte, ich wollte so gern, aber ich kann nicht ... ich halte es doch für Sünde ...«

Der Alte strich liebkosend über ihr glänzendes Haar. Dann hob er ihr thränenüberströmtes Antlitz auf und küßte sie auf die Stirn.

»Du kluges, gutes, hübsches Mädchen, warum sollte der Himmel dich mir nicht für alles, was ich verloren habe, zur Tochter geben wollen!«

Die dünnen, zitternden Arme schlossen sich so zuversichtlich um ihre volle, kräftige Gestalt, es war so beruhigend und gut, sich an diesem alten, müden Herzen, das bald ausgeschlagen haben würde, ausweinen zu dürfen, und die Welt war so groß und kalt, das fremde Brot würde von Jahr zu Jahr schlechter schmecken, und Jahre und Meere lagen zwischen ihr und ihm, dem sie die erste Liebe ihres jungen Herzens geschenkt hatte. Vielleicht könnte es besser sein, wenn sie sich dem Alten voll und ganz anvertraute.

Und dann erzählte sie alles, in abgebrochenen Sätzen und sehr unvollständig, aber der alte Präpositus verstand sie.

»Armes, armes Kind! Und nicht ein Funken von Hoffnung liegt in dem Gefühl, das dieses warme Herzchen noch für ihn hegt?«

»Keiner, und ich habe auch nie Hoffnung gehabt.«

Sie gingen schweigend nach Hause, und als sie ins Pfarrhaus traten, waren schon alle zu Bett gegangen. Als sie sich im Eßzimmer trennten, legte der Greis ihr die Hand auf die Schulter und führte sie zum Fenster.

»Und weil er deinen Weg einmal kreuzte, Kind, um wie das Meteor am Rande des Horizontes wieder zu verschwinden, soll das Leben zweier Menschen zu Trümmern gehen? Steht das unwiderruflich fest?«

Wieder verbarg sie das Haupt an dem alten, vertragenen Priesterrocke und flüsterte:

»Ich bin so müde und bange und fühle die Zukunft so schwer, und es schmerzt mich, einen Sorgeschatten auf den Lebensweg eines Menschen zu werfen, der etwas von dem einsamen, armen Mädchen hält.« »Ich möchte ... ich würde so gern versuchen wollen ...«

Der alte Präpositus sagte nichts, aber ein Freudenstahl fuhr über seine welken Züge, und als Jenny nachher in ihrem Zimmer am Fenster stand und den Fluß durch die Bäume schimmern sah, und Dunkel und Schweigen sie umschlossen, da dachte sie daran, wie warm zwei Herzen, ein altes, zerrissenes, müdes und ein junges in der vollen Kraft des Lebens, für sie schlügen, und der Gedanke gab ihr ein sicheres, wenn auch nicht frohes Gefühl und es wurde ihr immer klarer, daß dies doch wohl ihre letzte Stelle sein würde.


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