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J. A. Larssons Komptoir.

Frau Rünkrans und die Kinder hatten bescheidene Leibrenten, die gekauft worden waren, als die Verhältnisse noch nichts zu wünschen übrig ließen; dazu einige tausend Kronen von einer Tante, die den glänzenden industriellen Plänen des Ingenieurs nicht recht getraut und deshalb durch testamentarische Dispositionen ihm es unmöglich gemacht hatte, dieses Geld anzugreifen. Doch alles dies zusammen genommen war zu wenig, um für die Witwe und die Kinder auszureichen, nachdem die Gläubiger reines Haus gemacht und zuletzt auch die schöne Villa Framnäs selbst genommen hatten. Die Hinterbliebenen mußten deshalb zu Assessor Klints ziehen, dort den einen Flügel des Gutshauses bewohnen, gemeinsamen Haushalt führen und von den Verwandten annehmen, was an den Geldern zum Schulbesuche der Kinder und zu den übrigen, bis auf das Geringste reduzierten Ausgaben fehlte.

Und Jenny war nun ohne Stelle.

Ihr neues Stellengesuch lag schon fertig, als die Kunde von dem Tode des Ingenieurs das ganze Haus in Schrecken versetzte. Sein letztes Gutenachtsagen hatte ihr gezeigt, daß sie mit diesem Manne nicht länger unter einem Dache weilen konnte. Sie mußte sich ein neues Heim suchen und bei ihrer Mutter sein, bis sie es gefunden hatte.

Am Morgen, als sie die Turmtreppe hinabstieg, um die nötigen Schritte zum sofortigen Verlassen des Hauses zu thun, hatte sie Lisettes Klagegeschrei vernommen.

Sobald es ihr gelungen war, sich von der allgemeinen Bestürzung zu erholen, schickte sie die Annonce für alle Fälle ab, denn sie sah bald ein, wie es nun hier im Hause werden würde. Doch die Zeit bis zur Auflösung des Haushaltes, hatte ihr keine Antwort gebracht, und so mußte noch ein Bett für Jenny in der engen Wohnung aufgestellt werden, als sie Framnäs verließ.

Der Mutter und den Geschwistern war Jennys Kommen sehr lieb, und in der Freude, sie wieder bei sich zu haben, konnten sie anfänglich garnicht ihren Kummer über ihre Stellenlosigkeit teilen. Doch Jenny empfand es unsäglich schwer, daß sie dem kleinen Haushalt zur Last liegen sollte, zu dessen bescheidenem Einkommen, außer ihr, alle beitrugen. Sie hatte ja noch Geld von ihrem Gehalte und erklärte bestimmt, von diesem »für sich bezahlen« zu wollen, wenigstens eben so viel wie Emmy. Aber Mama weinte und die Geschwister schalten und wollten die große Schwester durchaus so lange als Gast im Hause haben, wie sie keine eigenen Einnahmen hätte; ihre paar armseligen Sparpfennige brauche sie allein.

Da verfiel sie auf etwas anderes. Sie paßte es so ab, daß die Geschwister nicht zu Hause und Mama im Zimmer war, als der Holzfahrer in die Küche kam, und kaufte von ihm für ihr eigenes Geld ein ganzes Klafter Holz. Da wurde Mama aber so böse, daß Jenny es bis auf weiteres unterlassen mußte, sich in häusliche Angelegenheiten zu mischen.

Und die Annonce »Ein flinkes, tüchtiges Mädchen, in der Wirtschaft erfahren und bereit in der Buchführung zu helfen, sowie auch jüngere Kinder zu unterrichten etc.« stand wöchentlich einmal in der Brackstader Wochenpost und verschlang viel Geld mit ihren 8 Öre für die Petitzeile.

Endlich wirkte sie auf eine ziemlich unerwartete Weise.

Eines Nachmittags klopfte es kräftig und majestätisch an die Thür und herein trat Herr J. A. Larsson, Kaufmann und Bürger in Brackstad, ein munterer, mittelalterlicher, kleiner, rötlicher Herr, von ziemlich simpelm Aussehen. Er sei von der Annoncenexpedition hierher geschickt, sagte er, habe dort die Abschriften der Zeugnisse gelesen und wolle nun Fräulein Högfeldt fragen, ob sie vielleicht Lust hätte, in sein Geschäft einzutreten.

»Bitte, Herr Larsson, nehmen Sie Platz. Verzeihen Sie ... ich bin so unbekannt in der Stadt ... was ist es für ein Geschäft, das ...?«

»Landhandel, hauptsächlich Landhandel, Getreide, Speck en gros und en detail, Häute und Felle, Käse und Butter, alles Mögliche, Kartoffeln nicht. Die frieren.«

»Und ich sollte ...?«

»Nein, durchaus nicht, Sie brauchen weder die Häute noch die Felle anzufassen, noch für gewöhnlich auf den Speicher zu gehen. Es ist nicht meine Art, so etwas von einem Frauenzimmer zu begehren. Ich habe einen Buchhalter und zwei Knechte. Aber im Comptoir brauche ich ein Frauenzimmer an Stelle meiner Schwestertochter Lotte, die krank geworden ist. Meistens nur Buchführung und Korrespondenz, sehen Sie, Fräulein, und dann müssen Sie natürlich, wenn der Buchhalter und ich auf Landtouren sind, auf den Speicher gehen und nachsehen, ob die beiden Knechtlümmel ordentlich wägen. Für einen Schnaps oder zwei sind sie sonst imstande, die Interessen ihres Herrn zu vergessen. Man muß aufpassen; ich habe mir selbst jeden Schilling verdient, den ich besitze. So ist meine Weise. Und dann die Kasse, selbstverständlich, und das Ausbezahlen, wenn der Buchhalter nicht da ist.«

»Und Sie geben, Herr Larsson?«

»Vierzig Kronen monatlich, vierzig Kronen für alles. Das ist viel für unsere kleine Stadt, aber das ist so meine Weise. In J. A. Larssons Comptoir wird nicht geknausert. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Habe Ihre Zeugnisse gesehen. Gut, obwohl keines über Buchführung. Assessor Klint schrieb das letzte, seh' ich. Rünkrans war insolvent. Kaufe stets allen Roggen des Assessors. Feiner Kerl und gutgesichtete Ware.«

»Könnte die Sache bis morgen unentschieden bleiben und ich Ihnen dann bestimmte Antwort aufs Comptoir bringen?«

»Ja, gewiß. Aber morgen muß es sein. Alles voll von Mädchen, die wollen. Die Barbiertochter läuft mir das Haus ein und bietet sich an. Und die Tochter von der Trödlermadame in der Weststraße; die in Pension gewesen ist und alles, sie will auch. Aber die Kasse, sehen Sie, die Kasse, da wäre es am ruhigsten, eine aus besserer Familie zu haben. Guten Abend! Also morgen Vormittag!«

Abends, als Jenny von dem Platze in J. A. Larssons Comptoir anfing, gab es Kampf und Streit. Die Mama weinte, Emmy war schon bei dem bloßen Gedanken an Häute und Felle außer sich und Bruder Karl erklärte, Larsson sei ein vollständiger Bauernlümmel, der beim Ballotieren zu der Gesellschaft B. V. S. (Brachstads vergnügte Seelen) durchgefallen sei. Es würde Jenny schwer fallen, später einen ordentlichen Platz zu finden, wenn sie einen einzigen Tag in dem Comptoire gewesen wäre. Der junge Herr wollte seine Schwester dort nicht wissen.

Doch am folgenden Morgen zehn Uhr erfaßte Jenny doch, obwohl mit stark klopfendem Herzen die lose, schmutzige Thürklinke zu J. A. Larssons Comptoir. Sie wollte keinen Tag länger ohne Stelle sein, als es nötig war.

Beim Geruch von nassem Tuche, Tierhaaren und Kleidern, die dem Feuer zu nahe gekommen waren, und beim Anblick des dunklen, düsteren Comptoirs und zehn bis zwölf breiter Bauernrücken vor dem Pulte, und ebenso vieler um den Kachelofen, wollte sie jedoch hastig die Thür schließen und wieder forteilen.

Doch der Chef des Hauses J. A. Larsson hatte sie schon erblickt.

»Guten Morgen, Fräulein Högfeldt! – Wartet ein wenig, Kirchenvorsteher. – Guten Morgen, guten Morgen! Leben und Bewegung, wie Sie sehen. Das ist so meine Weise! Wenig Avancen und großer Umsatz. – Bitte, treten Sie näher, Fräulein. Nu – un?«

Jenny sah sich ängstlich, aber vergebens nach einem inneren Zimmer um, wo die Sache hätte ohne so viele Zeugen verhandelt werden können; ihr war zu Mute, als möchte sie am liebsten in die Erde sinken.

»Flink ans Geschäft, Fräulein. Das ist so meine Weise,« ermutigte Herr Larsson.

»Wenn ich Sie gestern recht verstanden habe, Herr Larsson, so füllt Ihre Schwestertochter diesen Platz aus und es handelt sich nur um eine zeitweilige Vertretung?«

»Genau so, ja.«

»In dem Falle nehme ich Ihre Offerte an. Ich würde mich lieber einer andern Arbeit widmen, werde aber versuchen, auch hier meine Pflicht zu thun.«

»Danke, Fräulein, dann fangen wir wohl morgen an. Das Journal muß ausgefüllt werden, und mein Buchhalter ist aus und kauft Hafer. – Nun, Kirchenvorsteher, soll es ein und zehn für den Roggen sein? Schnell denken, das ist so meine Weise.« –

Der Dienst in J. A. Larssons Comptoir hatte für ein Mädchen aus besserer Familie, wie er es doch haben wollte, seine Schattenseiten. Der Geruch in dem freilich recht großen, aber sehr niedrigem und dunklen Zimmer war manchmal gerade zu schrecklich, wenn die nassen, frierenden Bauern sich um den Kachelofen scharten; und sobald der Buchhalter, der sonst die Waren auf dem Speicher annahm, abwesend war, ließ Herr Larsson der größeren Bequemlichkeit wegen die Häute und Felle ins Comptoir bringen und prüfte sie dort, wobei er Jenny zum Zeugen aufzurufen pflegte, daß er z. B. gestern eine viel größere und dickere Kuhhaut zwei Kronen billiger gekauft habe, als der gegenwärtige Kunde sie lassen wollte.

Den zweiten Tag, als Jenny allein bei den Büchern saß, kam ein kleiner Greis in einem Wolfspelz und holte sich die Bezahlung für sein Schwein. Als er sein Geld eingestrichen hatte, blinzelte er erst sehnsüchtig den ansehnlichen Gluthaufen im Kachelofen und dann Jenny an. Zuletzt trat er ans Pult und sagte:

»Hat Sie nicht eine Eisenpfanne, damit man sich ein Stück Wurst braten könnte?«

Der Alte meinte gewiß, es sei eine merkwürdige Ordnung, nicht einmal eine Eisenpfanne im Comptoire zu haben, tröstete sich aber, als Jenny ihn in die Knechtstube wies, wo die Anrichtung vor sich gehen konnte.

Manchmal wurde auch die Branntweinflasche am Kachelofen hervorgezogen, und während sie von Mund zu Mund ging, begann ein patriarchalisches Hochlebenlassen und die Unterhaltung nahm manchmal eine ziemlich dreiste Wendung, so daß der kleine, schieläugige, ritterlich veranlagte Buchhalter Lündh durch ein Husten oder einen wohlgemeinten Knuff die biederen Landleute auf die Gegenwart eines weiblichen Wesens aufmerksam machen mußte.

Die jüngere Bauerngeneration war dort, wie heutzutage überall, recht manierlich, aber die älteren, besonders die aus den Walddörfern, wo jede Hütte ganz für sich allein stand und die Leute ein wenig in der geistigen Entwickelung zurückgeblieben waren, traten sehr ungekünstelt auf.

Eines Tages, als mehrere dieser Landleute um die Ofenglut standen, und es nur so von ihren Haustuchröcken dampfte, begannen sie mit einander zu flüstern und blickten Jenny alle mit augenscheinlichem Interesse an. »Nein, laß es bleiben, Vater!« bat ein junger Knecht, der bei der Gruppe stand, eifrig. Doch der Alte, an den er sich gewandt hatte, antwortete ärgerlich: »Ja, bei meiner Seel', ich thu's.«

Und damit trat der Alte vor, zog seine kleine, blaue, platte Kümmelflasche aus der Brusttasche, zog den Stöpsel heraus, wischte den Flaschenhals hübsch manierlich mit dem Rockärmel ab und sagte: »Sie sieht heute so bleich und verfroren aus. Soll's nicht ein bißchen zur Stärkung sein?«

»Nein, danke,« sagte Jenny, biß sich in die Lippen und blätterte im Hauptbuche.

»Es ist, – Schande über mich, wenn's nicht wahr ist! – reiner Cognacswein.«

»Laß das Fräulein in Ruhe, Vater!« bat der Bursche.

»Danke vielmals, aber ich trinke so etwas nicht,« versicherte Jenny.

»Wenn Sie nicht imstande ist, aus der Flasche zu saufen, so hat Sie ja ein Wasserglas auf dem Tisch,« beharrte der Alte auf seinem Vorhaben, und es war ziemlich schwer, ihn von seinem liberalen und wohlgemeinten Willen abzubringen.

Besonders im Anfange war dies alles ja sehr unbehaglich, und sich ganz daran zu gewöhnen, war einfach unmöglich, aber doch fühlte sich Jenny in kurzer Zeit viel sicherer in dieser rohen und ungebildeten Umgebung, als sie es auf Villa Framnäs bei aller Feinheit dort gehabt hatte. Doch sehnte sie sich trotzdem nach dem Ende dieser Stellung, wenn ihr dadurch auch das liebe tägliche Zusammensein mit den Ihrigen genommen würde.

Herr Larsson und sein kleiner, schielender Buchhalter waren nun eine ganze Woche in Geschäften auf dem Lande, und Jenny mußte selbst alles leiten, an der Wage auf dem Speicher stehen und Speck en gros, d. h. Schweine und Felle taxieren.

Als Herr Larsson nach Hause kam, ging er mit sehr kritischer Miene umher, und inspizierte das Tagebuch, das Hauptbuch und das Kopierbuch, den Speicher und den Trockenboden. Und als er damit fertig war, sagte er:

»Vielen Dank, Fräulein! Es steht alles ausgezeichnet, und es freut mich, eine so saubere Handschrift in den Büchern zu sehen. Lotte schreibt so, daß es aussieht wie ein Lattenzaun. Aber draußen im Speicher ... hm ...«

»Bitte, was ist draußen im Speicher?«

»Oh, nicht der Rede wert, Sie brauchen nicht bange werden, Fräulein, aber wenn man Kalbfelle kauft, muß man sie auf dem Fußboden ausbreiten lassen, damit man sieht, was daran ist. Das ist so meine Weise. Da sind nun fünf schrecklich kleine und Sie haben sie durch die Bank. Zwei und fünfundzwanzig für die großen und zwei und acht für die kleinen, das ist so meine Weise.«

Nachdem Jenny diese Instruktion genau befolgt hatte, war sie in den Augen ihres Prinzipals beinahe vollkommen, und als sie, die sich immer mehr aus dem düsteren Comptoir der Firma Larsson hinwegsehnte, immer häufiger danach fragte, wie es nun mit Fräulein Lotte stehe, antwortete er schließlich eines Tages, daß Lotte nun ganz hergestellt und auch bereit sei, ihre Stelle wieder anzutreten, er aber, wenn Jenny bleiben wolle, seiner Schwestertochter einen andern Platz verschaffen würde.

Sie dankte ihm für seine Freundlichkeit, wünschte aber, sofort abzugehen, sobald Fräulein Lotte wieder eintreten könnte.

Nun dabei blieb es auch, aber Herr Larsson war wirklich ärgerlich, und als Jenny die Kasse abgeliefert hatte und sich verabschiedete, sagte er sehr lebhaft:

»Es ist recht schade, Fräulein, daß Sie sich für J. A. Larssons Comptoir zu fein halten. Was Solidität betrifft, ist doch, meine ich, das Geschäft so fein wie nur eines hier in der Stadt, aber ich selbst bin ein Kind aus dem Volke und will, daß die Bauern sich bei mir auf dem Comptoir gemütlich fühlen. Das ist nun einmal so meine Weise. Danke für diese Zeit, Fräulein. Wären Sie geblieben, so wäre es mir auch auf 45 monatlich nicht angekommen. Nicht knausern! Das ist stets so meine Art gewesen.«


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