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Professor Doktor Voraus beginnt selbst, Heimweh zu empfinden. Im Parlament der Homunkuliden wird der Antrag eingebracht, für Herrn Lorenz eine Frau zu konstruieren. Die Parlamentssitzungen gestalten sich äußerst stürmisch. Eine Revolution bedroht die Fremdlinge am Leben. Doktor Voraus und Lorenz entfliehen auf einem Separatluftschiff und landen nach fürchterlichen Mühseligkeiten auf Island. Sie beschließen, auf dieser Insel das Ende ihrer Tage abzuwarten.
Das von Lorenz veranstaltete Weihnachtsfest hatte bei dem Professor einen tiefen Eindruck hinterlassen. Die Abende verbrachte er ganz ausnahmslos in Lorenz' Gesellschaft, und wenn einmal Plato und Archimedes bei dem Professor zu Gaste waren, so mußte Lorenz nach ihrer Verabschiedung oft noch über eine Stunde bei seinem Herrn bleiben. In solchen Stunden sprachen sie von der so lange vergangenen Zeit und Lorenz erzählte von seinen Jugendtagen. Das Verhältnis von Herr und Diener hatte sich total geändert, die beiden saßen beisammen wie alte Freunde.
Einst war die Rede darauf gekommen, was es einmal werden sollte, wenn einer von beiden das Zeitliche segnen werde, übereinstimmend hatten beide sich dahin ausgesprochen, daß der Überlebende entschieden böser daran sei als der Verstorbene. Diese Gedanken hatten sie so traurig gestimmt, daß beide lange schweigend dasaßen und mit trüben Blicken vor sich auf den Boden starrten. Auf einmal war Lorenz aufgestanden und hatte ohne sichtbaren Grund plötzlich das Zimmer verlassen. Trotzdem er so ausgezeichnet mit seinem Herrn stand, schämte er sich doch, vor ihm so urplötzlich in Tränen auszubrechen.
»Die Universitäten der Homunkuliden werde ich noch besuchen, um meine Kenntnisse ihrer Bildungsanstalten zu vervollständigen«, sagte eines Abends der Professor zu dem Diener.
Lorenz zuckte geringschätzig die Achseln.
»Ich für meinen Teil habe kein Interesse daran, die Studenten der Homunkuliden kennenzulernen. Das können wieder die richtigen Kerle sein!« sagte er. »Kneipen tun sie einmal nicht, weil es kein Bier gibt, und Studentenlieder singen sie auch nicht, weil heutzutage die Musik abgekommen ist. Paukereien und sonstigen Ulk werden sie auch nicht aufführen. Bei uns haben sie wenigstens zur Betätigung ihres idealen Strebens jedes Jahr einmal die Rampe von der Universität hinabgeschmissen.« Er schüttelte mißmutig den Kopf. »Nein, nein, ich will mir die Erinnerung an unsere lustigen Studenten nicht verderben!«
»Sie werden mich doch nicht allein gehen lassen?« fragte vorwurfsvoll der Professor.
»Wenn es der Herr Professor wünscht, gehe ich natürlich mit«, erwiderte mißvergnügt Lorenz; »ich für meinen Teil habe von dieser Kultur da genug kennengelernt...«
Der Professor sollte nicht mehr zu der Gelegenheit kommen, die Universitäten der Homunkuliden kennenzulernen, denn es trat ein Ereignis ein, das alle weiteren Pläne des Gelehrten vereitelte.
Eines Morgens trat unvermutet der Professor in das Schlafzimmer seines Dieners, ein Zeitungsblatt lustig in der Hand schwenkend.
»Lorenz, haben Sie heute schon die Zeitung gelesen?« fragte er fröhlich.
»Nein«, antwortete der Diener, »ich lese die Zeitungen schon lange nicht mehr; es steht nie etwas darin, was mich irgendwie interessieren würde!«
Der Professor legte die Zeitung vor Lorenz hin und wies mit dem Zeigefinger auf eine rot bezeichnete Stelle.
Lorenz las. Und was er las, erfüllte ihn mit Freude und Verwirrung. Die Stelle hatte folgenden Wortlaut:
»Antrag des Direktors der Ersten Fabrik, dem Lorenz Unterkofler, Begleiter des Herrn Professor Dr. Voraus, über sein Verlangen, einen Homunkuliden weiblichen Geschlechtes als Eheweib darzustellen. Berichterstattung über diesen Antrag am Tage der Tag- und Nachtgleiche des Jahres 3908. Berichterstatter: der Direktor.«
»Sehr brav«, sagte ganz bleich vor Erregung der Diener. »Das werde ich den Homunkuliden nie vergessen! Um dieses Antrages willen will ich den Homunkuliden alle Dummheiten verzeihen, die mich bis jetzt verstört haben!«
Er war ganz glücklich. Den ganzen Tag ging er herum, als wenn er betrunken wäre. Wenn er mit dem Professor zusammenkam, sprach er von nichts anderem als von seiner Homunkulidin. Der Professor hörte ihm lächelnd zu und hatte das größte Vergnügen über die Freude seines Dieners.
Nach dem Abendessen saßen die beiden noch lange beisammen.
»Wie stellen Sie sich die Homunkulidin vor?« fragte gut gelaunt der Professor.
»Ich habe mir ein ganz bestimmtes Bild von ihr gemacht. Dem Direktor habe ich ja eine Photographie von der Wetti bereits übergeben. Die Homunkulidin muß nach diesem Muster gearbeitet werden. Ich hege keinen Zweifel, daß es diesen gescheiten Leuten gelingen wird, meinen Auftrag zu meiner vollsten Zufriedenheit auszuführen«, sagte Lorenz und rieb sich vergnügt die Hände.
Der Professor schüttelte bedenklich sein Haupt. »Wenn aber die Homunkulidin so ausfällt wie alle Homunkuliden? Kalt, gefühllos, ohne Liebe, ohne Freundschaft? Werden Sie dann zufrieden sein?« fragte er.
»Ich werde sie schon erziehen, Herr Professor können sich darauf verlassen. Sie wird nicht zänkisch sein. Sie hat keine Sorgen, denn der Staat wird für uns beide sorgen. Und es müßte schon ein sehr dummes Frauenzimmer sein, wenn ihr ein Homunkulide besser gefallen sollte als ich. Was ich ihr biete, kann ihr kein Homunkulide bieten. Und dann wird sie eine große Pflicht der Dankbarkeit gegen mich haben!«
»Wieso?« fragte verwundert der Professor.
»Wenn ich nicht wäre, wäre auch sie nicht. Wenn ich nicht die Bitte stelle, sie zu erzeugen, so kommt sie nie in die Lage, hier auf Erden zu wandeln! Sie wird freilich manches entbehren müssen, was die Weiber unserer Zeit hatten. Mit den Bällen und sonstigen Unterhaltungen schaut's hier windig aus. Ich hoffe aber, daß die Chemiker der ersten Fabrik schon jenen Stoff erfunden haben, der häuslichen Sinn erzeugt. Ich werde den Direktor ersuchen, von diesem Stoff recht viel zu nehmen, wenn sie den Embryo meiner Wetti konstruieren. Mit der Mode habe ich auch keine Angst. Wetti hat hier keine Konkurrentinnen. Und schließlich, wenn sie auch alle Jahre zehn neue Hüte verlangt, so wird sie sie haben können. Die können ja in der Fabrik gleich die nötigen Individuen erzeugen, die ihre Putzsachen anfertigen. Es kostet ihnen ja nichts. Nein, nein, ich glaube, ich werde mit ihr sehr zufrieden sein!« setzte er noch zukunftsfroh dazu.
An einem der nächsten Tage erhielt Lorenz eine amtliche Einladung, zur Parlamentssitzung am Tage der Tag- und Nachtgleiche des Jahres 3908 ganz bestimmt zu erscheinen, da er als Experte zu Punkt 1 der Tagesordnung zu sprechen ersucht werde.
Lorenz war überglücklich.
»Sie müssen natürlich in der Homunkulidensprache reden«, sagte der Professor.
»Das werde ich auch«, erwiderte begeistert der Diener, »diese scharmanten Leute verdienen diese Rücksicht.«
So langweilig vorher Lorenz die Tage im Reiche der Homunkuliden vergangen waren, so kurzweilig wurden sie ihm jetzt. Tag und Nacht studierte er an seiner Rede. Als er sie fertig hatte, berief der Professor auf sein Verlangen die drei Homunkuliden Plato, Archimedes und Lessing zu einer Generalprobe. Lorenz wollte durchaus nicht, daß er sich vor dem Parlament der Homunkuliden blamiere. Der Professor fand das sehr löblich und erklärte, es wäre ihm auch sehr unlieb, wenn durch Lorenz' Auftreten die Kultur seiner Zeit in Mißkredit käme.
Lorenz entwickelte vor der Versammlung in fast einstündiger Rede seine Ansichten von wegen des in der Fabrik zu erzeugenden weiblichen Homunkuliden. Er bewies, daß diese unerhörte Tat des Parlaments notwendig sei, da er eben nicht in einer Retorte zusammengebraut sei und derohalb noch sehr menschliche Gefühle entwickle, die befriedigt werden müßten. Die Homunkuliden hätten Homunkulidenrecht, er aber hätte Menschenrechte und er schätze die Homunkuliden viel zu hoch, als daß er glauben könnte, daß man hier im Homunkulidenstaate Menschenrechte mit Füßen treten würde.
Der Schlußpassus wurde allgemein als sehr wirksam befunden und Lorenz ward allseitig beglückwünscht. Lessing erbot sich, Lorenz' Rede in stilistischer Hinsicht etwas umzumodeln, was der Redner dankbar annahm.
Der Professor fragte, welche Aufnahme der Antrag im Parlament wohl finden werde.
Die drei Herren schwiegen erst, nach einer Weile nahm Plato das Wort. »Es ist schwer zu sagen«, begann er, »der Antrag ist ein so außerordentlicher und in vielem mit unseren Staatsgrundsätzen ganz unvereinbar!«
»Sie können diese Homunkulidin so einrichten, daß sie keine Kinder bekommt«, warf eifrig Lorenz ein. »Ich mache mir ohnehin aus Kindern nichts. Auf diese Weise bleiben ja Ihre sonstigen Einrichtungen vollständig aufrecht!«
»Das würde wohl auf jeden Fall geschehen«, meinte Plato, »denn kein Homunkulide würde sich sonst finden, der einer so tiefgreifenden Änderung zustimmte!«
Die Tage bis zur Parlamentssitzung verbrachte Lorenz in unsagbarer Unruhe. Hundert- und hundertmal erkundigte er sich bei Plato und Archimedes, welche Stimmung in dieser Hinsicht bei den Homunkuliden herrsche, bis ein Leitartikel des »Reichsanzeigers« vom 7. März 3908 ihm höchst unerwünschte Aufklärung brachte.
Dieses ganz unparteiisch geleitete Blatt brachte einen Artikel, in dem gegen Lorenz' Begehren in bei den Homunkuliden ganz ungewohnter heftiger Weise Stellung genommen wurde. Es wurde hervorgehoben, daß es nicht angehe, der Gastfreundschaft zuliebe die wichtigsten grundlegenden Gesetze des Homunkulidenstaates zu durchlöchern. Schließlich sprach das Homunkulidenblatt die sichere Hoffnung aus, es werde sich im Parlament kein Mann finden, der für die Erzeugung eines weiblichen Wesens stimmen werde.
Lorenz war sehr bestürzt, als er den Artikel las.
»Teufel hinein«, brummte er vor sich hin. »Sind denn diese Homunkuliden verrückt? Was geht es denn sie an, wenn ich mir ein Weib machen lasse. Die tun ja, als ob sie dann alle selbst heiraten müßten!«
Der Artikel blieb nicht vereinzelt. Jedes Homunkulidenblatt nahm Stellung zu dieser Sache und, wie Lorenz zu seinem größten Schmerz ersah, zumeist in sehr ungünstiger Weise. Ein Blatt schrieb sogar, dieser Antrag sei ein Attentat auf die Ruhe, auf die Sittlichkeit und das Wohlbefinden der Homunkuliden und bezeichnete ihn als einen Akt greulichster Reaktion, der, wenn er gelänge, zur Folge haben müßte, daß das Reich der Homunkuliden zerstört würde und die Homunkuliden wieder zur rohen, gemeinen Sinneslust der Menschen zurückkehren würden.
Es gab aber noch andere Blätter, die sich über die Sache weit ruhiger, ja freundlicher aussprachen, die es als geradezu lächerlich bezeichneten, wenn man befürchte, daß dieses eine Weib zur Gefahr für die Homunkuliden werden könne.
Gelehrte Zeitschriften, Wochen- und Monatsrevuen stellten tiefsinnige Betrachtungen über die mannigfachen Änderungen an, die eintreten würden, wenn man Lorenz' Antrag zum Gesetz erheben möchte. Sie brachten großartige Abhandlungen über das Verhältnis des Mannes zum Weibe, und die Zeitschrift »Die Kunst und das Leben« brachte einen Artikel, der die größte Sensation erregte. Diesem Artikel waren prachtvolle Illustrationen beigegeben, Abbildungen von einstigen Frauenschönheiten nebst Wiedergabe der begeisterten Schilderungen von Männern, die das Glück hatten, die Zeitgenossen dieser gefeierten Schönheiten gewesen zu sein.
Dieser prachtvolle Artikel erzeugte eine höchst günstige Stimmung. Ein Blatt verstieg sich so weit, den Antrag Lorenz' mit dem Zusatz zu versehen, für jeden Homunkuliden, der es wünsche, eine Homunkulidin zu erzeugen, da, wie aus alten Schriften nachgewiesen werden könne, ein weibliches Wesen imstande sei, das Leben in sehr angenehmer Weise zu verschönern.
Auf diesen Artikel erschien im »Reichsanzeiger« eine Widerlegung, die ob ihrer Heftigkeit allgemein befremdete. Der »Reichsanzeiger« fragte an, ob die Homunkuliden denn gesonnen seien, sich wieder in das alte Menschenelend zurückzubegeben, ob sie denn lieber mit Weib und Kindern darbten, anstatt die angenehme gleichmäßige Ruhe eines soliden Homunkulidendaseins zu genießen.
Die Zeitschrift »Die Kunst und das Leben« antwortete ebenso heftig. Es sei ja gar nicht gemeint, daß die Homunkuliden Kinder zur Welt brächten. Dieses Geschäft könne nach wie vor in den Fabriken besorgt werden. Aber welche Förderung würden Kunst und Leben durch die Einführung weiblicher Homunkuliden erfahren! Das Blatt führte gegen das Regierungsorgan eine sehr kühne Sprache, worauf der »Reichsanzeiger« ausführte, daß die Redaktionsmitglieder von »Kunst und Leben« wahrscheinlich an einem Konstruktionsfehler litten. Ja, der »Reichsanzeiger« ging sogar so weit, daß er direkt behauptete, daß bei den Redaktionsmitgliedern durch unverzeihliche Nachlässigkeit in der Fabrik die Geschlechtsgefühle in einer ganz unzulässigen Weise zur Entwicklung gelangt seien. Schließlich forderte das Blatt eine totale Umarbeitung der Redakteure.
Aber nicht nur die Zeitungen erhitzten sich in einer für Homunkuliden unbegreiflichen Weise, Lorenz' Antrag war das allgemeine Tagesgespräch. Eines Abends erzählte Plato, daß in den Restaurationen und den Gesellschaftszimmern der Stadt die Homunkuliden beisammensäßen und in einer noch niemals zu beobachtenden Art eifrigst debattierten. Die ganze Stadt sei in zwei Lager gespalten. Die eine Partei trete energisch für Erzeugung weiblicher Homunkuliden ein, während die andere Partei, zu der sich fast alle Veteranen der Arbeit geschlagen hatten, sich entschiedenst konservativ gebärdete und in seltsamer Aufregung die Erhaltung der alten Zustände befürwortete.
Die Erregung griff immer weiter um sich und nahm besorgniserregende Dimensionen an. Selbst die Arbeit in den Fabriken begann zu stocken, unzählige Unglücksfälle bei den Maschinen kamen vor. Denn die Arbeiter dachten, statt sorgsam auf ihre Pflichten zu achten, darüber nach, wie es werden könnte, wenn jeder von ihnen eine Homunkulidin hätte. Tausende wurden von einer unbezwinglichen Sehnsucht erfaßt, die sie ganz und gar ihre wirklichen Lebenspflichten vergessen ließ.
Auf einmal erschienen in den Zeitungen der Homunkuliden Gedichte.
Das war eine Erscheinung, die Plato mit großer Besorgnis erfüllte.
»Wir hätten Herrn Lorenz doch abhalten sollen, seinen Antrag zu stellen«, sagte er trüb eines Tages zum Professor. »Das Reich ist von einer ungeheuren Erregung ergriffen. Für solche Verhältnisse haben wir nicht vorgesorgt. Wer weiß, was da noch alles kommen wird!«
»Aber die Homunkuliden sind doch sonst in dieser Hinsicht gänzlich unempfindlich«, erwiderte der Professor. »Diese Erregung ist mir vollständig unergründlich!«
Archimedes schüttelte das Haupt.
»Es kann nicht anders sein, als daß in den Homunkuliden durch irgendein Versehen der Gelehrten doch die Keime sexueller Kräfte vorhanden sind, die sich jetzt plötzlich entwickeln. Der Antrag des Herrn Lorenz war der Anstoß dazu.«
Je näher der Tag heranrückte, an dem Lorenz' Antrag im Parlament zur Verhandlung kommen sollte, desto mehr steigerte sich die Aufregung. Unzählige Versammlungen wurden abgehalten. Lorenz und der Professor erhielten Hunderte von Einladungen, in solchen Versammlungen über ihre Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht, die sie vor zweitausend Jahren gemacht hatten, zu sprechen.
Lorenz wäre sehr gern diesen Einladungen gefolgt, in ihm brannte die Begierde, sich über die Sache gründlich auszusprechen und die Stimmung der Homunkuliden für seinen Antrag günstig zu präparieren.
Aber der Professor lehnte ab.
»Wir dürfen uns an der Sache, die diese ruhigen Menschen plötzlich so verwirrt, nicht persönlich beteiligen. Wir dürfen nicht Partei nehmen!« erklärte er.
»Aber ich... ich muß Partei nehmen!« meinte hitzig Lorenz. »Die Sache ist für mich von größter Bedeutung; es ist meine Pflicht, meinen Gegnern Aug in Aug entgegenzutreten!«
»Lorenz, Sie werden mir das nicht antun, Sie haben im Parlament vollauf Gelegenheit, für Ihre Sache einzutreten. Ich glaube, das sollte Ihnen genügen!«
Der Professor blieb fest, und da Lorenz befürchtete, durch sein Auftreten in irgendeiner Versammlung in Zwiespalt mit seinem geliebten Herrn zu geraten, so unterließ er es, seine Meinungen und Absichten in wohlgesetzter Rede in einer großen Versammlung der Homunkuliden bekanntzugeben.
Über der Stadt lag eine bedrückende Unruhe. Es konnte nicht anders sein; Lorenz' Antrag, eine Homunkulidin darzustellen, hatte auf sämtliche Homunkuliden höchst aufregend gewirkt. Latente Gefühle waren in ihnen erwacht, ihre gefühllosen Herzen wurden ganz eigenartig, sehnsüchtig, romantisch bewegt.
Der »Reichsanzeiger« brachte nun aus der Feder des Direktors der Ersten Menschenerzeugungsanstalt einen höchst beachtenswerten Artikel unter dem Titel: »Ein wissenschaftlicher Irrtum.« Der Gelehrte wies in diesem Artikel überzeugend nach, daß sich die Wissenschaft bei Darstellung der Homunkuliden in einem großen Irrtum befunden habe, da sie als feststehendes Axiom annahm, in den Homunkuliden durch eigenartige Konstruktion ihrer Leiber jedes Liebesbegehren unterdrücken zu können. Der erste Gedanke, daß ein weiblicher Homunkulide erscheinen solle, habe in Hunderttausenden die latenten Gefühle erweckt und die weitgreifende Empörung gegen die jetzt geltenden Verhältnisse wachgerufen.
Daraufhin gab das Organ der Veteranen der Arbeit seine Ansicht dahin ab, daß diese Bewegung unter den Homunkuliden höchst bedauerlich sei. Das war noch der gelindeste Ausdruck. In einem Artikel, der am Vortag vor der Beratung des Lorenzischen Antrages erschien, forderte das genannte Organ schon gebieterisch die sofortige, aber selbstverständlich schmerzlose Entfernung beider Herren, deren Anwesenheit solche Verwirrung hervorgerufen habe.
Lorenz lief es kalt über den Rücken, als er diesen Artikel las.
»Die werden uns doch nicht meuchlerisch umbringen wollen?« sagte er bestürzt. »Na, sie können versichert sein, daß ich mich gewaltig wehren werde!«
»Was wollen Sie tun?« fragte der Professor.
»Die Polizei um Hilfe angehen!«
»Hier gibt es ja keine Polizei.«
»Sich an das Gericht um Schutz wenden.«
»Hier gibt es kein Gericht.«
»Es ist ein trauriges Land«, sagte bekümmert Lorenz, »man ist hier ganz verlassen. Man ist hier ohnmächtig gegen jede Gewalt des Staates. Kein Gericht hilft einem.«
Der Professor mußte unwillkürlich lächeln. Es fiel ihm ein, daß es früher auch nicht anders gewesen war.
Am Abend kam Plato zu dem Professor. Er zeigte eine ungewöhnlich ernste Miene.
»Es ist ganz sonderbar, welch furchtbare Aufregung hier herrscht. Die Galerien des Parlamentsgebäudes werden morgen überfüllt sein. Ich fürchte, daß es morgen nach jahrhundertelanger Ruhe zu gewaltigen Stürmen kommen wird.«
»Man wird uns doch nicht von Staats wegen das Logis kündigen?« fragte erschreckt Lorenz.
»Es sind zwei mächtige, an Zahl fast gleiche Parteien«, fuhr Plato fort, ohne auf den Einwurf Lorenz' zu achten, »die sich morgen heftig befehden werden. Ich begreife gar nicht, woher dies auf einmal kommt. Jahrhundertelang haben die Homunkuliden in Ruhe und Frieden dahin gelebt. Jetzt auf einmal bricht ein Bürgerkrieg los. Ich möchte nur wünschen, daß der Antrag des Herrn Lorenz durchgeht!«
Der Professor mußte trotz seiner Erregung lächeln. Sollte der ernste Herr Plato daran denken, sich auch eine Homunkulidin zuzulegen?
Plato hatte das Lächeln bemerkt.
»Nicht um meinetwillen wünsche ich diesen Ausgang«, fuhr er trübe fort, »sondern um der Herren willen. Wenn der Antrag des Herrn Lorenz fällt, dann wird sich Ihr Schicksal hier sehr ungewiß gestalten. Denn der Staat wird alles daransetzen, sich vor ähnlichen Erschütterungen zu bewahren.«
»Sie fürchten doch nicht um unser Leben?« fragte der Professor.
Plato schwieg.
Auch Lorenz ward es gruselig zumute.
»Es ist doch eine sonderbare Sache. Die Leute hören nur von einem Weibe reden und sind schon ganz aus dem Häuschen! Wissen Sie, Herr Plato, wie die Homunkuliden mir jetzt vorkommen? Wie die feuerspeienden Berge, die auf Jahrhunderte ihr Geschäft eingestellt haben und auf einmal wieder anfangen! Ich hätte mir nicht gedacht, daß die Geschichte so ausgeht!«
In später Nacht wurden der Professor und Lorenz plötzlich geweckt. Plato wünschte dringend eine Besprechung mit dem Professor.
»Verzeihen Sie, Herr Professor«, begann er in seltsamer nervöser Hast. »Sie müssen die unliebsame Störung mit meinem Bestreben, Ihnen zu dienen, Sie vor einer großen Gefahr zu warnen, entschuldigen.«
»Aber, liebster Herr Plato, was ist denn los?« fragte erschrocken der Professor.
»Indem ich Ihnen die folgenden Mitteilungen mache, verletze ich meine Pflicht als Angehöriger des Homunkulidenstaates. Ich war in einer hochwichtigen Sitzung des Obersten Staatsrates als Experte geladen. Die Zusammenkunft galt den morgen bevorstehenden Ereignissen. Ich rate Ihnen, wenn der Spruch des Parlaments gegen Ihren Diener ausfällt, noch morgen zu fliehen.«
»Fliehen – wohin?«
Entsetzt sprang der Professor auf. »Was ist denn geschehen?«
»Der unglückselige Antrag, der morgen im Parlament zur Verhandlung gelangt, hat unter den Homunkuliden eine tiefe Zersplitterung hervorgerufen. Zu meiner Betrübnis muß ich sagen, daß die Mehrzahl der Mitglieder des Obersten Staatsrates gegen den Antrag ist. Ja, der Präsident hat sogar seiner Meinung dahin Ausdruck gegeben, daß er es als ein Unglück für den Staat bezeiclme, daß die Homunkuliden Ihnen und Ihrem Diener Gastfreundschaft gewährten.«
»Lorenz muß den Antrag zurückziehen!« rief der Professor aus. »Lorenz, Sie sehen, welches Unheil Sie angerichtet haben!«
»Was die Leute wegen eines einzigen Frauenzimmers schon für Geschichten machen!« rief entrüstet Lorenz aus. »Dies Geschlecht ist sehr zurückgegangen. Zu unseren Zeiten hat es Leute gegeben, wie die Türken und Perser, die sich gleich sechs bis zehn Frauen gehalten haben!«
»Ich glaube nicht, daß die Rückziehung des Antrages viel nützen würde, der Stein ist ins Rollen gekommen. Irgendeiner der Homunkuliden würde den Antrag aufnehmen und ihn wieder einbringen!« sagte Plato. »Am besten ist es, Sie bereiten sich zur Flucht vor!«
»Ja, wohin sollen wir fliehen? Die ganze Welt ist von Homunkuliden bewohnt, wohin wir kommen, werden wir Feinde treffen!« rief Lorenz.
»Es gibt einen Ausweg«, sagte ruhig Plato. »Einer unserer kleinen Regierungsaeronauten wird Sie an die Küste von Island bringen, in das Reservatgebiet der Weibgeborenen!«
»Die Regierung wird schwerlich den Aeronauten mit uns abgehen lassen«, warf der Professor ein.
Plato schwieg lange.
»Ich habe bereits vorgesorgt«, sagte er dann. »Sie benützen den Aeronauten, den Ihnen die Regierung zur Verfügung gestellt hat und dessen Bemannung vollständig unter Ihrem Befehl steht. Doch darf der Aeronaut nicht auf Island landen, denn das Betreten Islands ist jedem Homunkuliden strengstens untersagt. Aber dem kann abgeholfen werden. Ich werde Herrn Archimedes rufen, der weiß Rat in allen technischen Angelegenheiten!«
»Darf man ihm vertrauen?« fragte besorgt der Professor.
»Ja«, erwiderte Plato. »Er ist mit den geplanten Maßregeln der Regierung nicht einverstanden, und es wird ihm lieb sein, Sie in Sicherheit zu wissen, wenn hier der Tumult losbricht.«
Er ging, Archimedes zu holen.
»Das ist eine schöne Pastete!« seufzte Lorenz. »Man sieht es, die Weiber sind sogar dort ein Unglück, wo es gar keine gibt.«
Der Professor antwortete nichts auf diesen tiefsinnigen Ausspruch. Er sah trübe zum Fenster hinaus.
»Machen Sie sich parat«, sagte er dann zu Lorenz, »und lassen Sie mich mit den beiden Herren allein!«
»Sind mir Herr Professor böse?« fragte wehmütig Lorenz. »Ich konnte mir doch nicht denken, daß die Sache so ausgehen werde.«
»Ich bin nicht böse auf Sie«, antwortete kurz der Professor. »Gehen Sie gleich, wer weiß wie viel Zeit uns morgen bleibt!«
»Wir fahren nach Island; also hat man am Ende der Welt doch noch ein paar Menschen übriggelassen? Haben Herr Professor eine Idee, wie die isländischen Weiber sind? Sind sie hübsch?«
Der Professor maß Lorenz mit einem langen finsteren Blick.
»Das werden Sie bald genug selbst sehen – und jetzt rüsten Sie sich für die Flucht!«
Lorenz trollte sich. Nach wenigen Minuten kamen Archimedes und Plato herein.
»Herr Archimedes ist ebenfalls der Ansicht, daß schleunige Flucht das beste unter diesen Verhältnissen ist!« rief Plato schon beim Eintritt aus.
Der Professor trat Archimedes erregt entgegen und reichte ihm die Hand.
»Das hätten Sie nicht gedacht«, sagte er schmerzlich, »daß wir solche Unruhe über das Land bringen würden!«
»In Ihrem Willen lag es nicht und auch nicht in dem Ihres Dieners«, bemerkte Archimedes. »Es ist aber wirklich das beste, was Sie tun können.«
Er zog ein Blatt, das Organ der Veteranen, aus der Tasche und reichte es dem Professor hin.
Dieser las und rief erschrocken aus:
»Zum Teufel, die verlangen direkt meinen Tod! Nur mein Tod und der Tod meines Dieners könnten dem Reiche den Frieden wieder zurückgeben, schreiben sie.«
Die beiden Homunkuliden schwiegen.
»Noch ist keine Gefahr«, sagte Plato, »wenn wirklich der Spruch des Parlaments gegen Sie lautet, dann haben Sie noch immer Zeit zu fliehen!«
»Ich bin – die Herren werden mir ja nicht böse sein – dieses Land ohnehin müde geworden«, sagte der Professor, »und bedauere heute, dieses, wie ich jetzt sehe, sehr gewagte Experiment gemacht zu haben. Ich habe hier Großes und Mächtiges gesehen, das mein Staunen und meine Bewunderung erregte, aber mein Herz ist leer geblieben bei all dieser Größe und Macht. Mir läge gar nichts daran, wenn ich jetzt sofort schon fliehen könnte. Ich muß aufrichtig sagen, der grandiose Fortschritt, dessen staunender Zeuge ich hier war, hat mich mehr erschreckt als erhoben!«
Er sank in einen Fauteuil.
»Herr Professor können vollständig beruhigt den Ausgang der morgigen Verhandlung abwarten; bis die Regierung die nötigen Vorkehrungen trifft, sind Sie längst in Island!«
Es klopfte. Lorenz trat mit einem Zeitungsblatt in der Hand ein.
»Das sind schöne Geschichten, man will uns abmurksen!« rief Lorenz zornig aus. »Eine nette Gesellschaft das, die Homunkuliden! Sie fürchten sich, wir könnten noch mehr solche unangenehme Sachen einführen wollen. Und die Geschichte ist gefährlich bei diesen Automaten. Man ist vielleicht auf einmal tot, ohne daß man etwas merkt davon.«
Noch in der Nacht packten der Professor und der Diener ihre Sachen zusammen. Der Professor nahm nur seine Schriften mit. Einen wehmütigen Blick warf er auf seine Bücher. Wie gern hätte er sie mitgenommen! Aber in der Eile die ganze Bibliothek zu verpacken, ging doch nicht an. Auch Plato riet davon ab, er meinte, es wäre gut, die Homunkuliden nicht unnötig auf die Reise aufmerksam zu machen.
Die Nacht schliefen die beiden nur wenig. Lorenz wurde von fürchterlichen Träumen gequält.
Am Morgen erklärte Plato, daß er auf jeden Fall die Mannschaft des Aeronauten verständigt habe, sich bereitzuhalten, da der Herr Professor gedenke, noch im Laufe dieses Tages eine längere Reise anzutreten. Den Koffer mit den Schriften ließ er zur Vorsicht sogleich auf den Aeronauten befördern.
»Wir werden Sie begleiten«, sagte Plato. »Es ist gut, wenn Herr Archimedes mit auf dem Schiffe ist.«
»Ich danke Ihnen«, sagte herzlich der Professor. »Wenn Sie aber dann ohne uns zurückkehren, wird man Sie zur Rechenschaft ziehen. Ihr Los wird dann vielleicht ein sehr unangenehmes sein...«
»Wenn Sie nicht mehr sind, dann haben wir ohnehin unsere Existenzberechtigung in diesem Lande verloren. Was dann mit uns geschieht, weiß ich nicht.«
Mit sehr gemischten Gefühlen begaben sich die vier Herren, Dr. Voraus, Lorenz, Plato und Archimedes, gegen zehn Uhr zum Parlamentsgebäude. Dort angelangt, wurde ihnen eine Loge in der nächsten Nähe der Regierungstribüne angewiesen.
Der Saal war bereits überfüllt. Daß jedes der Parlamentsmitglieder auf seinem Platz war, darf nicht wundernehmen, auch die Homunkuliden des Parlaments erfüllten genau ihre Pflicht, und keinem wäre es jemals eingefallen, eine Sitzung zu schwänzen. Gesteckt voll waren die Galerien. Dort drängte sich Kopf an Kopf, und was man sonst niemals in einer Homunkuliden-Versammlung bemerkte, ein sonderbares dumpfes Brausen erfüllte den ungeheuren Saal. Die Homunkuliden waren in eifriger Unterhaltung begriffen.
»Heute ist Leben in die Bude gekommen«, sagte Lorenz. »Die Ankündigung, daß ein Weibsbild kommen soll, hat diese Automaten rebellisch gemacht.«
Plötzlich wurde es ruhig. Das Präsidium des Parlaments und der Staatsrat der Homunkuliden traten ein und nahmen würdevoll auf ihren Sitzen Platz. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, die ungefähr folgenden Wortlaut hatte:
»Bewegte Tage sind über unser Reich gekommen. Der Antrag eines Weibgeborenen, über den wir heute laut den Gesetzen verhandeln, hat unseren Staat in tiefe Beunruhigung versetzt. Ich bitte Sie alle, im Interesse des Reiches, während der Verhandlung volle Ruhe zu bewahren. An Ihnen liegt es, das drohende Unheil abzuwehren und zu verhindern, daß dieses Reich wieder in den tiefen Pfuhl tierischer Unkultur zurückversinke, aus dem es vor Jahrhunderten erleuchtete Geister befreiten!«
»Sehr schön«, sagte Lorenz, »die Geschichte fängt gut an; der Herr Präsident scheint für meinen Antrag nicht eingenommen zu sein.«
Eine tiefe Bewegung ging bei diesen Worten durch den Saal. Mit Lorenz war ein großer Teil der respektablen Versammlung mit der Rede des Präsidenten nicht einverstanden. Ein sonderbares Murmeln, das sich anhörte wie das leise Grollen eines fernen Gewitters, ward hörbar. Immer stärker und stärker ward das Brausen, und als der Präsident geendet hatte, schwoll das Brausen zum Sturm an. Hunderte von Stimmen empfahlen dem würdigen Homunkuliden, sich sofort niederzusetzen und kein Wort weiter zu reden; er habe nicht das Recht, schon in der Eröffnungsrede Stellung zu dem noch nicht einmal offiziell eingebrachten Antrag zu nehmen. Die Gegner, voran in überwiegender Anzahl die Veteranen, nahmen mit einer bei Homunkuliden überraschenden Energie für den Präsidenten Partei, und um sich vernehmlich zu machen und nach Möglichkeit den Lärm zu übertönen, schrien sie alle mit Stentorstimme.
Der Präsident stand ratlos bei seinem Pult. Man sah, daß er heftig die Glocke schwang, aber es war nicht ein Ton zu vernehmen. Der tosende Lärm verschlang das sanfte Gebimmel der Präsidentenglocke.
Endlich trat Ruhe ein und die Verhandlungen konnten ihren Fortgang nehmen. Ein Homunkulide las den Antrag vor, demzufolge für Herrn Lorenz Unterkofler eine Homunkulidin bestellt werden solle. Als der Antragsteller geendet hatte, widerhallte der Saal von den Beifallsrufen der Anhänger. Aber auch die Gegner waren nicht müßig. Hundert- und hundertstimmig klang das heulende »Kui, Kui!« durch den Saal.
Wieder dauerte es eine geraume Weile, bis Ruhe wurde. Dann stand ein Homunkulide auf und befürwortete den Antrag. Seine Rede gipfelte darin, daß er der Versammlung vorschlug, zur Natur zurückzukehren, der sie sich durch ihre Überkultur total entfremdet habe. Der Mann verfügte geradezu über eine unglaubliche Belesenheit. Er führte alle glücklichen Ehepaare an, die aus der Geschichte bekannt sind, und auch die, die in den alten Dichtungen geschildert wurden. Er begann mit Philemon und Baucis, sprach zwei Stunden lang und schloß mit der Sentenz, daß die hohe Kultur der Homunkuliden wohl sorgenlos, aber nicht glücklich gemacht habe, und bezeichnete die Homunkulidinnen als ein äußerst probates Mittel, um die Homunkuliden glücklich zu machen.
»Wir haben uns verrannt«, sagte er, »wir müssen umkehren mit unserer Kultur, zurück zur Natur, um dann, dort angelangt, einen neuen Weg, einen besseren Weg, den Weg zum Glück, zu finden!« Er forderte schließlich sämtliche Homunkuliden auf, für den Antrag zu stimmen, und brachte noch den Zusatzantrag ein, die Erzeugung von Homunkulidinnen sofort in Angriff zu nehmen.
Unendliches Beifallsgetöse erfolgte, ohrenbetäubendes Klatschen, stürmische Zurufe – die Homunkuliden waren nicht mehr zu erkennen.
Nur die Veteranen verhielten sich ruhig; aber man sah es ihren sonst so unbeweglichen Gesichtern an, daß dies nur die Ruhe vor dem Sturme sei.
Dann trat ein anderer Homunkulide auf, der das strikte Gegenteil von dem behauptete, was der erste Redner gesagt hatte. Er führte gleichfalls eine Unmenge Beispiele aus der Sage, Geschichte und Dichtung aller Völker an, in denen aber von unglücklichen Ehen und bösen Weibern die Rede ist. Er wies aus der Heiligen Schrift nach, daß schon den Hebräern die Weiber in vielfacher Beziehung gefährlich waren und ihre Propheten sie unzählige Male in für die Frauen sehr kränkender Form gewarnt haben, ihnen allzusehr nachzulaufen. Er erzählte von dem Weibe des Sokrates und führte viele Namen von Frauen an, die durch ihre Schönheit und durch lasterhaften Lebenswandel verschiedenen Kaisern und Königen und damit auch ihren Völkern zu großem Unglück gereichten. Er sprach mehr als doppelt so lange wie der Vorredner, was vielleicht darin seinen Grund hatte, daß Beispiele nichtsnutziger Frauenzimmer, wie er sagte, weit häufiger sind als andere. Zum Schluß schilderte er in den schrecklichsten Farben die Zustände, die einträten, wenn wirklich Homunkulidinnen erzeugt würden, und beschwor die Versammlung, dem furchtbaren Antrage, den nur ein Feind der Homunkuliden ersinnen konnte, die Genehmigung zu versagen. Er bedauerte es, daß der Staat den beiden Weibgeborenen Gastfreundschaft geboten hatte!
Als dieser Redner geendet hatte, schwoll der Lärm noch um ein Beträchtliches an, da jetzt auch die Veteranen mitschrien. Es dauerte länger als eine halbe Stunde, bis so weit Ruhe eintrat, daß der Präsident zur Abstimmung schreiten konnte. Von Lorenz' Expertenaussage war keine Rede mehr.
In atemloser Spannung verfolgten die Herren in der Loge den Gang der Abstimmung. Das Resultat war ein verblüffendes: Stimmengleichheit.
Nach der Geschäftsordnung des Homunkulidenparlaments hatte jetzt der Präsident zu entscheiden.
Der Präsident war ein alter Herr, und es konnte nicht fraglich sein, daß er gegen den Antrag stimmen werde. Als er sein ablehnendes Votum gegeben hatte, brach im Hause ein furchtbarer Sturm los. Alles drängte gegen die Präsidententribüne, heftig schrien die jüngeren Homunkuliden auf den alten Herrn ein, der wieder von den Veteranen in Schutz genommen wurde. Jeden Moment konnte es zu Gewalttätigkeiten kommen; die jüngeren Homunkuliden waren fast rasend vor Wut.
Auf einmal marschierte durch den Haupteingang, in Viererreihen formiert, eine Abteilung von Homunkuliden herein, Riesengestalten, die die Parlamentsmitglieder um mehr als die Hälfte ihrer Leibeslänge überragten.
»Meine Herren«, sagte Plato, »es ist Zeit, daß wir gehen, der Präsident hat die Staatspolizei berufen; ich fürchte, daß der nächste Antrag, der hier gestellt wird, für Sie Schreckliches bedeutet...«
Lorenz war ganz bleich geworden. Die beiden Homunkuliden schritten voran und führten Lorenz und den Professor durch einen halbdunklen Gang auf die Straße hinab.
Dort harrte schon das Automobil. Ohne daß ein Wort gesprochen wurde, bestiegen es die vier Herren, und das Fahrzeug raste durch die menschenleeren Straßen. Beim Hafen der Luftschiffe angekommen, betraten sie sofort den Aufzug, der sie auf die Plattform des kleinen Aeronauten führte, der ihnen von der Regierung einst zur Verfügung gestellt worden war.
Auf der Plattform wurden sie von der Mannschaft des Aeronauten ehrfurchtsvoll begrüßt. Lorenz war so erschüttert, daß er sich sofort auf einem Fauteuil niederlassen mußte.
»In jeder Art sind die Weiber ein Unglück«, sagte er seufzend.
Plato gab den Befehl zur sofortigen Abfahrt. Während die Vorbereitungen getroffen wurden, besprach der Professor mit den beiden Homunkuliden in flüsterndem Tone die seltsamen, aufregenden Umstände dieser Reise.
»Wenn aber die Regierung das Schiff plötzlich zurückruft?« fragte besorgt der Professor.
»Der eigentliche Kommandant des Schiffes sind Sie, Herr Professor«, erklärte Plato; »das Schiff steht ganz unter Ihrem Befehl...«
»Und daß die Regierung uns nicht zurückruft, dafür werde ich sorgen«, erklärte Archimedes.
»Wieso, wie werden Sie das machen?« fragte erstaunt der Professor.
»Ich werde auf Ihren Befehl die Telephonkammer beziehen und jedes Regierungstelegramm, das während unserer Fahrt einläuft, inhibieren, wenn es etwas enthält, das uns zum Schaden gereichen könnte.«
An der seltsamen Leichtigkeit ihrer Bewegungen erkannten die Flüchtenden, daß die Schwerspiegel bereits in Aktion getreten waren. Dumpfes Sausen und Brausen ward vernehmbar, die Wände der Halle schienen zu versinken, das Schiff hob sich in die Luft empor.
Der Maschinist fragte an, welche Richtung das Fahrzeug nehmen solle.
»Nach England«, sagte Plato, »und auf Wunsch des Herrn Professors wird dieser Herr«, er wies dabei auf Archimedes, »das Schiff führen!«
Der Maschinist verbeugte sich und begab sich in das Innere des Aeronauten.
»Ich bin todmüde«, sagte Lorenz, zu dem Professor tretend, »ich werde mir erlauben, den Salon aufzusuchen!«
»Ja, gehen Sie!«
Archimedes nahm mit Plato und dem Professor die Telephonzelle ein.
»Hier sind wir sicher«, sagte er und verschloß die Tür. »Keiner von der Bemannung darf ohne unsere Erlaubnis diesen Raum betreten!«
Die Herren nahmen Platz.
»Wie lange werden wir fahren?« fragte der Professor.
»Wenn alles nach Wunsch geht, sehen wir binnen zwölf Stunden die Küste von Island. Dann müssen wir Abschied nehmen! Der Aeronaut legt in der Stunde bei halbwegs günstigem Winde zweihundertfünfzig Kilometer zurück, die Luftlinie beträgt etwas mehr als dreitausend Kilometer!« erklärte Archimedes.
»Und müssen Sie Abschied nehmen?« fragte bewegt der Professor.
»Wir Homunkuliden passen so wenig unter die Menschen, wie Sie, Herr Professor, und Lorenz zu uns gepaßt haben. Und außerdem verbieten uns die Gesetze unseres Staates strengstens, eine Stätte zu betreten, die von Menschen bewohnt wird. Wir kehren morgen alle zurück!«
Archimedes machte sich bereits an den verschiedenen Apparaten, Hebeln und Tastern, mit denen die Wände der Telephonkammer überreich ausgestattet waren, zu schaffen. Plötzlich drehte er sich um und wies auf die Uhr.
»Jetzt ist es genau fünf Uhr nachmittags; wenn alles nach Wunsch vor sich geht, landen wir um fünf Uhr morgens in Island!«
»Der größte Teil der Fahrt wird bei Nacht vor sich gehen?« fragte zerstreut der Professor.
»Nein, Herr Professor, wenn bei uns die Sonne untergeht, sind wir bereits im Norden Deutschlands angelangt. Um neun Uhr abends erreichen wir den fünfundfünfzigsten Breitegrad. Wir haben heute den einundzwanzigsten Juni – wenn unsere Uhr die neunte Stunde zeigen wird, wird erst die wirkliche Nacht beginnen, denn am fünfundfünfzigsten Breitegrad geht am einundzwanzigsten Juni die Sonne erst um zirka halb neun unter. Wenn diese Uhr ein Uhr nachts zeigt, sind wir am sechzigsten Breitegrad angelangt und dann trennen uns kaum zweidreiviertel Stunden vom Sonnenaufgang – diese Nacht wird kaum sechs Stunden dauern!«
Das Schiff zitterte unter den wuchtigen Schlägen der Schrauben.
»Jetzt haben wir die volle Geschwindigkeit erreicht«, sagte Archimedes.
»Ich bin todmüde«, sagte der Professor, »ich werde dem Beispiel meines Dieners folgen und mich, wenn es hier möglich ist, auf einige Stunden niederlegen. Sollte etwas Besonderes vorkommen, so bitte mich zu wecken!«
Er wollte auf das Deck hinaus, wurde aber von Archimedes zurückgehalten.
»Herr Professor, das Deck können Sie nicht betreten«, sagte Archimedes und zog ihn am Arme zurück. »Der Luftwiderstand, den Sie auf Deck als rasenden Sturm empfinden, würde Sie sofort in die Tiefe hinabfegen!«
Er öffnete mittels eines Hebels eine Falltür im Boden der Telephonkammer. Plato geleitete den Professor hinab in den kleinen Salon, wo Lorenz, die unglückliche Ursache dieser Flucht, bereits auf einem Diwan den Schlaf des Gerechten schlief. Der Professor sank ganz erschöpft in einen Fauteuil. Ehe noch Plato den Raum wieder verlassen hatte, war auch der Professor eingeschlafen.
Unterdessen fuhr der Aeronaut, unterstützt von einem ziemlich heftigen Wind, mit einer Geschwindigkeit von zweihundertfünfzig Kilometern dahin. Archimedes hielt das Schiff stets in einer Höhe von mehr als zweitausend Metern. Um ein Uhr morgens begegnete ihnen ein großes Luftschiff – es war aber zu weit entfernt, als daß man seinen Namen hätte lesen können. Die Passagiere des Regierungsaeronauten hatten auch durchaus keine Lust, sich dem großen Fahrzeug irgendwie bemerkbar zu machen. Archimedes brachte aus Vorsicht sogar die Signallampen des Aeronauten zum Verlöschen. Um vier Uhr morgens, die Sonne leuchtete schon hell durch die Fenster des kleinen Salons, in dem der Professor und Lorenz schliefen, betrat Plato plötzlich das Zimmer und weckte den Professor.
»Es ist von der Regierung ein Telegramm gekommen, das uns befiehlt, sofort umzukehren«, teilte er dem Professor mit. »Was befehlen der Herr Professor?«
»Was raten Sie?« fragte Dr. Voraus, der auf diese Nachricht hin mit einem Schlage vollkommen munter geworden war.
Plato schwieg erst einige Zeit.
»Ich würde es nicht raten«, sagte er nach einer Weile. »In einer Viertelstunde taucht die Küste von Island vor uns auf. Herr Professor sind dann in Sicherheit, denn dieses Eiland darf, wie ich schon sagte, von keinem Homunkuliden betreten werden!«
Der Professor begab sich mit Plato in die Telephonkammer. Er traf Archimedes an der Hörmuschel des Telephons.
»Soeben ist ein neuer, sehr dringender Befehl eingelangt, der die sofortige Umkehr fordert. Auch eine sehr böse Nachricht ist mir zu Ohren gekommen. Das Parlament hat in einer Nachtsitzung die vollkommene Unschädlichmachung der beiden Weibgeborenen beschlossen, da erwiesenermaßen ihr Verweilen eine stete Gefahr für die Ruhe und Ordnung dieses Reiches bedeute!«
»Sie haben also meinen und meines Dieners Tod beschlossen!« rief erbittert der Professor aus. »Nun, den Gefallen werden wir ihnen nicht tun, uns in ihre Hände zu begeben. Hier im Luftmeere, Tausende von Kilometern vom Reiche der Homunkuliden entfernt, können Sie uns nichts mehr anhaben!«
»Das ist nicht so ganz ausgeschlossen«, sagte Archimedes. Zum Fenster hinaussehend fuhr er dann fort: »Übrigens taucht bereits am Horizont die Küste von Island auf!«
»Erlauben Sie, Herr Archimedes, daß ich selbst die Rückantwort sende!« sagte der Professor.
Archimedes trat zurück. Der Professor begab sich zum Telephon.
»Hier Professor Doktor Voraus! Wer dort?«
»Der Chef der Staatsregierung!« tönte es aus dem Telephon.
In diesem Moment betrat auch Lorenz die Telephonkammer. Niemand beachtete ihn; die Anwesenden richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Telephon.
»Bitte der hohen Staatsregierung bekanntzugeben, daß ich durchaus keine Absicht habe, heute oder später einmal ins Land der Homunkuliden zurückzukehren!«
»Ah, bravo«, sagte Lorenz, »wollen sie uns wieder zurückhaben? Ist ihnen jetzt leid um uns? Da hätten sie sich aber in meiner Angelegenheit etwas anständiger benehmen müssen!«
Minutenlang kam keine Antwort. Plötzlich ertönte wieder das leise Klingelzeichen des Apparates. Der Professor horchte.
»Die Regierung droht uns! Falls wir nicht umkehren, wird sofort die Tätigkeit sämtlicher elektrischer Apparate im Homunkulidenreich eingestellt und wir haben zu gewärtigen, in das Meer zu stürzen!« erklärte der Professor. »Daß sie nicht früher auf diese Idee gekommen sind!«
»Nette Kerle das«, sagte Lorenz. »Hoffentlich kommen wir früher nach Island!«
»Dort werden schon die Felsen der Küste sichtbar«, sagte Archimedes. Er drehte an einem Hebel, ein sonderbar rasselndes Klingen ertönte, und gleich darauf begann der Aeronaut unter der vermehrten Wucht der Schläge seiner Luftschrauben zu zittern und zu dröhnen.
»Daß sie es nicht getan haben, hat einen guten Grund«, sagte Archimedes. »Sie mußten vorher sämtliche Luftschiffe verständigen, damit diese trachten, an das Land zu kommen. Denn im Moment der Abstellung aller elektrischen Apparate stürzen auch diese unschuldigen Aeronauten zur Erde herab. Wir haben das Telegramm schon vor mehr als einer halben Stunde empfangen. In diesem Moment bewegt sich auf dieser ganzen Erde außer unserem Aeronauten kein anderer mehr durch die Luft. In wenigen Minuten wird unser Schiff zu sinken beginnen. Ich habe deshalb befohlen, dem Aeronauten die höchste Schnelligkeit zu geben, damit es ihm gelingt, noch vor Eintritt dieses Ereignisses die Küste zu erreichen.«
»Das hätte ich diesen Kerlen doch nicht zugetraut, daß sie so rachsüchtig sein können! Seit meinem Antrag ist wirklich der Teufel in sie gefahren«, sagte Lorenz, »wenn ich das gewußt hätte, ich hätte den Antrag...«, er stockte verlegen.
»Doch nicht eingebracht«, ergänzte der Professor.
»Aber jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken.«
Er sagte dies ohne Groll, ohne irgendeine Aufregung, nur an der Blässe seines Gesichtes konnte man erkennen, daß die Erkenntnis der furchtbaren, aus so weiter Ferne drohenden Gefahr auch sein Herz in allen Tiefen bewegte.
In diesem Moment überfiel ein seltsames Gefühl der Schwere alle Anwesenden, gleichzeitig verlöschten alle Lichter in der Telephonkammer.
»Unsere Apparate haben wegen Mangels an Elektrizität zu wirken aufgehört«, sagte Plato. »Das erwartete Ereignis ist eingetreten.« An der Tür der Telephonkammer erschien der Maschinist des Aeronauten.
»Es ist eine Störung in der Zuleitung eingetreten«, rief ihm Archimedes entgegen. »Machen Sie sofort die beiden Boote seeklar, damit wir uns an die Küste retten können, wenn der Aeronaut ins Meer stürzt.«
Durch das Fenster konnte man sehen, wie die sechs Mann der Besatzung sich in fieberhafter Eile an den beiden Aluminiumbooten zu schaffen machten. Der Aeronaut flog unterdes mit fast ungeminderter Geschwindigkeit vorwärts.
»Aber die Maschinen gehen noch!« rief Lorenz aus.
»Ja, von selbst. Die lebendige Kraft der Masse treibt jetzt unser Schiff vorwärts. Ich hoffe, mit ihrer Hilfe das Land zu erreichen«, sagte Archimedes.
Keiner wagte, ein Wort zu reden. Deutlicher stieg in der Ferne die Felsenküste Islands aus dem Meere empor.
Die Schnelligkeit des Aeronauten verminderte sich zusehends; die kaum bewegte Oberfläche der See schien zu ihnen emporzusteigen.
»Der Aeronaut fällt«, sagte Archimedes. »Meine Herren, in die Boote!«
Er ging voran auf das Deck. Der als Sturm empfundene Widerstand der Luft war noch ein ziemlich bedeutender; die Herren mußten sich zu dem Boot ordentlich vorwärtsgreifen, um nicht über Deck geweht zu werden. Der Professor, Lorenz, Archimedes, Plato und zwei Mann der Besatzung, darunter der Maschinist, nahmen in dem größeren Boot Platz, die vier übrigen Mann der Besatzung in dem zweiten, weit kleineren Boot.
Es war eine grauenhafte Fahrt. Schon konnte man die von einer wilden Brandung umtosten Felsenufer Islands erkennen. Die stahlgraue Fläche in der Tiefe fing an, mit unheimlicher Schnelligkeit zu ihnen emporzusteigen. Die bange Frage, ob das Schiff noch das Land erreichen werde, bewegte alle Herzen. Schweigend, aber mit vor Erregung bleichen Gesichtern saßen die Männer in den Fahrzeugen.
Und immer schneller und schneller stieg die See zu ihnen empor. Schon hörte man das Tosen und Brüllen der Brandung; die weißschäumenden Wogen sahen wie die Arme empörter Rachegeister aus, die nach dem Luftschiff langten.
Auf einmal – ein furchtbarer Krach. Das Luftschiff war auf ein Felsenriff aufgefallen und zersplitterte in tausend und abertausend Trümmer.
Die siedenden Wogen schwemmten Schiffsteile und Menschenleiber zwischen den Klippen umher.
* * *
Isländische Fischer hatten aus der Ferne den gewaltigen Sturz des Aeronauten beobachtet. Es gelang ihnen, aus den schäumenden Wellen zwei Männer zu retten – den Professor und seinen Diener. Ihren Bemühungen, das Leben in die fast entseelten Leiber zurückzubringen, widerstand am längsten Lorenz, der sich durch einen Anprall an eine Klippe eine tiefe Kopfwunde zugezogen hatte. Der Professor war besser davongekommen und bemühte sich im Verein mit den mitleidigen Fischern um Lorenz. Endlich schlug er die Augen auf.
»Ah, mein Herr! Sind wir in Island?« fragte er.
»Ja, ja, aber nur Ruhe, mein Freund!« ermahnte der Professor.
»Ist Plato da und Archimedes?« fragte trotzdem Lorenz weiter.
Der Professor wendete sein Antlitz ab.
»Morgen werden Sie alles erfahren«, sagte er unter Tränen, »jetzt nur Ruhe!«
»Also sind sie tot?«
Der Professor gab keine Antwort. Lorenz ward aufs neue bewußtlos.
Am nächsten Tage wurden sie nach Reykjavik gebracht. Im Hospital ward ihnen die sorgsamste Pflege zuteil..
Nach ungefähr drei Wochen hatte sich Lorenz so weit erholt, daß er mit dem Professor einen Spaziergang unternehmen konnte. Die ausgezeichnete, wahrhaft menschenfreundliche Pflege, die er im Spital gefunden, hatte so herzerquickend auf ihn gewirkt, daß er all das Große und Schwere, das er im Reiche der Homunkuliden erfahren hatte, schon allmählich verwand.
»Hier sind doch Menschen«, sagte er glücklich, »wirkliche, einfache, liebe Menschen. Unser Experiment ist weit besser ausgegangen, als ich dachte. Hier sind Leute, mit denen man reden kann, Leute, die lachen und weinen können. Es ist bei ihnen nicht so schön eingerichtet und bei weitem nicht so komfortabel wie bei den Homunkuliden, aber man lebt unter Menschen.«
»Nun, und an Plato und Archimedes denken Sie gar nicht mehr?« fragte vorwurfsvoll der Professor.
»Es waren liebe Kerle; sie müssen einen Konstruktionsfehler gehabt haben, daß sie so lieb waren. Mir kommt das alles aber wie ein wüster, böser Traum vor! Hier ist's mir lieber! Hier gibt es Menschen, Männer, Weiber und Kinder!«
Er war so froh, so glücklich!
Den beiden war auch ein glücklicheres Los auf dieser weltabgeschiedenen Insel bereitet. Die Isländer erfuhren nur zu bald, was für seltsame Gäste ihnen das Schicksal beschieden hatte, und behandelten sie mit der größten Hochachtung und Ehrerbietung. Die Regierung wies ihnen zum Aufenthalt ein großes, mit allem auch auf Island schon längst einheimischen Komfort ausgestattetes Haus an, und durch ein vom Althing genehmigtes Gesetz ward den beiden Einwanderern zugesichert, zeitlebens auf Kosten des Staates erhalten zu werden.
Professor Dr. Voraus benützt die Zeit, die ihm von dem über Menschen und Homunkuliden waltenden Schicksal noch bestimmt ist, dazu, seine Lebensgeschichte zu schreiben. Darin dürften die Homunkuliden keinen besonders guten Platz einnehmen.
Lorenz fühlt sich trotz seines Alters von zweitausendundvierzig Jahren noch immer als Jüngling. Er wird heiraten. Doktor Voraus wird in seiner Familie die Rolle des seelensguten Onkels spielen.
Ende